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Flug VN 036 (Frankfurt – Hanoi, 26. August)

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Flughafen Frankfurt, Gate 8, Flug VN 036. Die Boeing 747 der Vietnam Airlines ist zum Einsteigen bereit. Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Der riesige, hellblau bemalte Vogel soll mich nach elfstündigem Flug nach Hanoi/Vietnam bringen. Der Flug wird mein Leben verändern. In diesen Tagen habe ich meinen Beruf als Direktor des Volkstheaters Wien, eines der größten deutschsprachigen Theater beendet. Knapp tausend Menschen hatten in meinem Haus Platz. Tausend Karten, die täglich zu verkaufen waren. Dazu kamen noch vier andere Bühnen, darunter ein eigenes Tourneeunternehmen. Theater war der Mittelpunkt meines Lebens. Vierzig Jahre lang habe ich daran gearbeitet, die Welt zu verändern. Die Welt ist immer noch die gleiche. Vierzig Jahre lang habe ich Geschichten erzählt. Hoffentlich haben sie Nachdenken, vielleicht sogar Lachen ausgelöst. Vierzig Jahre lang stand ich in der Öffentlichkeit und musste mich dafür, was ich tat, verantworten.

Oft meinte es mein Publikum gut mit mir, oft auch nicht. Lange, allzu lange bildeten Schauspieler und Mitarbeiter den Mittelpunkt meines Lebens. Nun ist es Zeit, an mich selbst zu denken. Mein einstmals geliebter Beruf wurde mir mit den Jahren mehr und mehr zur Belastung. Wie oft musste ich Kompromisse eingehen, um die schönste aller Nebensachen zur Hauptsache zu behaupten. Solange die Lust am Überwinden von Unwägbarkeiten überwiegt, so lange ist es gut. Ist der Enthusiasmus vorbei, verkehren sich Mühen in Schmerzen.

Ich habe mich entschlossen mein Leben neu zu ordnen. Tatsächlich habe ich mehr erreicht als ich zu Beginn meines Weges zu hoffen wagte. Nun will ich es gut sein lassen, es ist ja gut. Ich habe Sehnsucht nach einer anderen Welt – einer mir unbekannten Welt. Meine Reiselust hat mich oft schon an wunderbare Orte geführt. Aber zu vieles blieb unentdeckt. Ich fühle mich noch jung genug, um Neuland zu betreten. Mein Fernweh wurde in den letzten Jahren des Durchhaltens schmerzhaft groß. Natürlich war meine bisherige Zeit eine gute Zeit. Jetzt aber will ich all das zurücklassen. Das Reisen soll den Großteil meines künftigen Lebens ausmachen. Ich freue mich auf neue, geschenkte Jahre.

»Vermehrt Schönes!« steht auf dem Umschlag des kleinen, grauen Heftchens, das durch Zufall auf meinem Schreibtisch landete und dem ich in den nächsten Wochen meine Gedanken anvertrauen möchte. Der Abschied macht mich wehmütig. Vor einigen Stunden noch habe ich dich im Arm gehalten. Fünf Wochen lang werden wir getrennt sein, zehntausende Kilometer werden zwischen uns liegen. Vor einem Jahr hatte ich diese Reise bereits geplant. Die Zeit war noch nicht reif dafür. Ich hatte Scheu vor diesem Abschied. Nun aber ist es soweit. Nie zuvor war ich so lange alleine unterwegs. Ich freue mich darauf. Sehr. So sehr, dass ich heulen könnte vor Freude. Ich tue es auch. Verschämt blicke ich mich um. Die meisten Passagiere wurden schon aufgerufen. Da ich einen Platz in der letzten Reihe habe, bin ich erst jetzt dran. Für mich bedeuten die Schritte, die ich hier in Frankfurt durch die gläserne Röhre zum Einstieg in die riesige Maschine zurücklege, den Übergang aus meiner alten, wohlbekannten in eine neue, unbekannte Welt. Ein Gefühl von Angst überfällt mich. Rasendes Herzklopfen und die Gewissheit von Endgültigkeit. Zaghaft nehme auf 58C Platz. Die Sitze neben mir bleiben frei. Welch ein schöner Zufall, denke ich. Die beiden Plätze nehme ich als gutes Zeichen – das Schicksal gönnt mir Platz. Ich werde mich ausbreiten können während des langen Fluges. Ich werde diese Reise genießen. Schlafend, quer über drei Sitze gekuschelt fliege ich um die halbe Welt. Morgen werde ich in Hanoi erwachen.

Die Welt für Entdecker

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