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Im Reich der Dilong
ОглавлениеKein Weg zurück
Ein leises Flüstern, ein Plätschern im Nebel, ein Boot erscheint als grauer Schatten in der Ferne, am Ruder eine lange Gestalt, dann wieder Nebelschwaden. Aus der sumpfigen Umgebung taucht ein Licht auf, Schritte, dann wieder Stille.
„Arthur, in fünf Minuten ist Abgabe!“, fauchte die Lehrerin.
Wieder einmal eine dieser Mathearbeiten, die eigentlich gerade so zu schaffen war in der knappen Zeit. Arthur, der erst vor zwei Wochen in die 6B gekommen war stand mit Mathe auf Kriegsfuß. Die ersten Aufgaben waren meist einfach, zumindest sah es auf den ersten Blick so aus und man bekam ein Ergebnis heraus. Umso schwieriger dann die weiteren Aufgaben, bei denen man nach den ersten Zeilen einfach nicht weiterkam. Mehrfaches Durchrechnen brachte meist unterschiedliche Ergebnisse und so blieb einem dann nur die Taktik übrig, herauszupicken was machbar war und anschließend von den verbliebenen unlösbaren Aufgaben die erste oder zweite Teilaufgabe zumindest ansatzweise zu bearbeiten. Auf diese Weise konnte man noch ein paar der ersehnten Punkte bekommen. So war es auch heute wieder. Die unlösbaren, restlichen Aufgaben hatte Arthur schon angefangen aber er blieb immer wieder hängen. Die Ergebnisse konnte einfach nicht stimmen und im Geometrieteil passten diverse Linien nicht aufeinander was mal wieder zu komischen Ergebnissen im Koordinatensystem führte. Der Junge starrte auf sein Heft und wieder verschwamm die kleingedruckte Schrift. Es würden die bangen Stunden folgen wenn die Lehrerin in den nächsten Unterrichtsstunden mit einem Stoß Hefte unter dem Arm oder eben nur mit ihrer kleinen Handtasche und dem großen Geometriedreieck ins Zimmer kommen würde. „Ring, ring“, bellte die Glocke - endlich Pause. Arthur klappt sein Heft zu und warf es auf den großen Stapel auf dem Lehrertisch der schon mächtig an Höhe gewonnen hatte.
Arthur ging als vorletzter aus dem Zimmer, gerade noch vor Nikolas, der wie immer mit der Lehrerin nach der Klassenarbeit sprach und dabei lautstark über seine richtig gelösten Aufgaben referierte. Er hatte sie mal wieder alle herausbekommen. Pausenbrote, warum können es nicht mal ein paar Groschen sein, die anderen gehen doch auch immer zum Bäcker und holen sich eine warme Brezel oder ein süßes Stückchen. Arthur biss in sein Pausenbrot.
Die letzte Stunde war Englisch. Die Sprache mochte er eigentlich recht gerne und Herr Boch war ganz in Ordnung. Immerhin konnte er dadurch im Urlaub manchmal mit den anderen Kindern sprechen und selbst wenn viele Worte fehlten war das eigentlich nie ein Problem beim Spielen.
Nach der letzten Stunde fuhr Arthur mit der Buslinie 102 Richtung Bürgerpark. Seine Mutter hatte dort nach der Scheidung eine kleine Wohnung bezogen. Arthur hatte sein Zimmer mit allerlei Postern der aktuellen Nationalmannschaft ausgestattet. Eigentlich war Fußball gar nicht so interessant aber da es das Hauptthema der Pausengespräche in der 6B war, war das schon alleine deswegen notwendig und wenn er doch mal Gäste hatte... Mutter war wieder beim Arbeiten und Arthur wärmte sich den Gulasch auf, den sie für ihn gestern vorbereitet hatte. Vielleicht sollte er später Gerd oder Tom anrufen und mit den beiden um die Häuser ziehen?
Er beschloss fertig zu essen und dann zunächst Richtung Hafen zu gehen. An den Docks war immer etwas Interessantes zu sehen und die Hausaufgaben konnte er auch noch später erledigen.
Am Hafen war heute nicht ganz so viel Lärm wie sonst. Am siebten Dock wurden gerade Container von einem riesigen Containerschiff abgeladen. Am Bug war der Schiffsname Cortania und der Heimathafen Karachi zu lesen. Arthur dachte an die Piraten, die im Golf von Aden immer wieder zuschlugen. Bestimmt war die Cortania hier durchgekommen. Kaum vorstellbar, wie man auf dieses riesige, hohe Schiff während der Fahrt hochklettern konnte.
Arthur verließ das Dock und kam nach fünf Minuten an die großen Anlegestellen, an denen öfters Kreuzfahrtschiffe lagen. Auch heute lag ein solcher Ozeanriese vor Anker und davor standen viele Busse auf dem Parkplatz. Arthur konnte die rauchenden Schornsteine sehen. Kein Zweifel, dieses Schiff war kurz vor dem Auslaufen. Wo es wohl hinfahren würde?, dachte Arthur und sah Strände und blaue Buchten vor sich. Das Schiff war ganz in weiß gestrichen und oben auf einem höheren Deck standen viele Menschen, die in die Ferne zu schauen schienen. Drei Gangways waren am Schiff angesetzt. Arthur konnte sehen, dass die beiden vorderen bereits durch eine große rote Kette gesperrt waren, nur die hinterste Gangway schien noch offen zu sein, doch niemand stieg ein. Der Junge überlegte, noch nie hatte er ein Kreuzfahrtschiff von innen gesehen und außerdem wollte er doch ohnehin nicht mitfahren und wenn das Boot inzwischen losfahren würde wäre das auch nicht so schlimm. Dann müsste er wenigstens in der nächsten Zeit keine Klassenarbeiten mehr schreiben oder zurückbekommen. Wenn er jetzt einfach mal die Gangway hochgehen und reinschauen würde?
Weit und breit war niemand zu sehen, kein Wachpersonal, keine weiteren Reisegäste. Arthur stieg die Stufen hoch bis zur großen Stahltüre, die weit geöffnet, einen hell erleuchteten Gang freigab. Sah so ein Kreuzfahrtschiff von innen aus? Im Fernsehen hatte er den Film Titanic gesehen und dachte sich ob es oben auch so prunkvoll aussehen würde? „Deck null“, las Arthur auf einer Tafel als er um die Ecke bog. Er ging eine Treppe hoch und stand direkt vor einem Fahrstuhl. Arthur ging rein und drückte auf „4 Promenadendeck.“ Als er aus dem Fahrstuhl stieg kam ihm warme Frühlingsluft entgegen. Er ging um eine Ecke und stand plötzlich zwischen vielen Leuten auf einem Freideck. Unter ihm war ein großer Swimmingpool und an einer Bar lachten ein paar größere Jungs lautstark. Arthur ging an die Reling und schaute herunter. War das ein Anblick. Wie klein alles von hier oben wirkte. Aus der Menge an der Reling fiel ihm ein kleiner Junge auf, der etwa in seinem Alter sein musste. Der Junge hatte ihn wohl schon eine Weile beobachtet und grinste jetzt zu ihm herüber. Während Arthur noch darüber nachdachte, ob er wohl zu dem anderen Jungen rübergehen sollte um ihn zu fragen, wohin das Schiff eigentlich fahren würde, ertönte ein lautes „Wrooom“, dann nochmal ein „Wrooom.“ Arthur begriff, dass er sich beeilen musste um das Schiff noch vor Abfahrt zu verlassen und rannte Richtung Fahrstuhl. Unten angekommen blieb Arthur kurz stehen. War er von rechts oder links gekommen? Der Junge war sich plötzlich nicht mehr sicher, die Gänge sahen in beiden Richtungen gleich aus und hier war auch kein Hinweisschild zu sehen. Er entschied sich für die rechte Seite und lief mit schnellen Schritten voran. An der nächsten Ecke las er während dem Laufen – Deck null. Er war also richtig, hier war er schon vorbeigekommen. Jetzt noch schnell den Gang geradeaus und die Gangway herunter. Arthur spürte wie seine Knie weich wurden, er lief noch ein paar Schritte ehe er an der von innen grün gestrichenen Stahltüre stehenblieb: Die Tür war zu.
Eine gefühlte Ewigkeit später, stand Arthur immer noch im Gang und alles war wieder vor seinen Augen verschwommen, genau wie bei der Mathearbeit. Nur langsam legte sich der Dunstschleier und Arthur begann zu überlegen, wie er wohl aus dieser peinlichen Lage herauskommen könnte. Sollte er schnell wieder ein Deck höher gehen? Er konnte versuchen über Bord zu springen und an Land zu schwimmen. Aber das Kreuzfahrtschiff war ja so hoch und bestimmt schon sehr weit vom Ufer weg, so dass ein Zurückschwimmen nicht möglich war. Sollte er direkt zum Kapitän gehen und alles erzählen? Was würde ihn dort erwarten? Arthur beschloss erst mal wieder zurück an Deck zu gehen und zu schauen wo das Schiff überhaupt war und ob sich dort oben vielleicht eine Lösung für sein Problem finden würde. An Deck oben war es jetzt nicht mehr so freundlich und sonnig wie beim ersten Mal. Graue Regenwolken hatten sich gebildet und der Wind war stärker geworden. Arthur fröstelte. Als er aufs Meer hinaus schaute, vom Festland war weit und breit nichts mehr zu sehen, merkte er, wie die Knie erneut nachgeben wollten. Da spürte er ein Stupsen in der Seite. Arthur drehte den Kopf und sah direkt in das vergnügte Gesicht des kleinen Jungen, den er vorhin auf dem Deck gesehen hatte.
„Warum bist Du denn vorhin so schnell davongerannt?“, fragte der Junge.
Arthur wusste erst einmal nicht, was er antworten sollte und stammelte: „Ich wollte, ich will nach Hause, ich muss runter vom Schiff.“
Der Junge schaute ihn staunend an. Es vergingen ein paar Sekunden, dann lachte der Junge laut los. Bevor Arthur etwas sagen konnte hörte er neben ihnen eine Stimme rufen:
„Tarik sei nicht so laut und komm jetzt mit uns herunter in den Speisesaal, das Buffet öffnet in ein paar Minuten.“
Der Junge schmunzelte Arthur an und gluckste noch ein „bis später“, bevor er seiner Mutter hinterher sprang und in der dicht gedrängten Menge verschwand. Arthur stand wenig später fast alleine auf dem Aussichtsdeck, nur ein paar ältere Senioren lehnten noch an der Reling und unterhielten sich leise. Arthur blickte nach rechts und sah eine Gruppe von Matrosen in weißen Uniformen auf sich zukommen. Der Junge bekam es mit der Angst zu tun. Würden ihn die Matrosen vielleicht anhalten und fragen, wo denn seine Eltern seien? Das könnte schnell unangenehm werden. Bevor Arthur darüber nachdenken konnte wie es jetzt weitergehen sollte war er auch schon losgelaufen und lief quer über das Deck am Swimming Pool vorbei auf die andere Seite des Aussichtsdecks. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt und das Deck war fast nur noch durch die vielen kleinen Lampen beleuchtet, die an der Wand angebracht waren. Wo sollte er jetzt hingehen? Die Schritte der Matrosen kamen schon wieder näher, jedenfalls hörte sich das so an. Arthur beschloss sich erst einmal irgendwo zu verstecken um dann ganz in Ruhe nachzudenken. Er lief noch ein paar Schritte weiter und sah über sich eine Plattform mit einem großen Rettungsboot. Das Boot war abgedeckt. Arthur stieg auf die eingelassenen Stufen unter der Plattform und war kurz darauf direkt neben dem Boot. Jetzt sah Arthur, dass das Boot nur halb abgedeckt und der hintere Teil komplett offen war. Arthur kletterte in das Boot und fand es sehr geräumig. Der Boden bestand aus einer gerade Platte und so konnte sich Arthur relativ bequem hinsetzen. Von unten war er jetzt nicht mehr zu sehen. Arthur fühlte sich zumindest für den Moment ein bisschen sicherer. Der Mond schien hell und die Wolken zogen vorbei. Arthur lag auf dem Rücken im Boot und dachte an seine Mutter, die ihn bestimmt schon suchen würde. So hatte er sich eine Kreuzfahrt nicht vorgestellt obwohl er immer davon geträumt hatte einmal auf Reisen zu gehen, wenn er wie so oft durch den Hafen geschlendert war. Arthur war todmüde und drehte sich auf die Seite. Er würde jetzt erst mal schlafen und sein Problem morgen lösen. Schließlich würde die Welt morgen sowieso anders aussehen, das hatte er oft gehört. Am nächste Morgen wachte Arthur früh auf. Sein Rücken tat weh und um ihn herum war alles kalt und nass. Es hatte in der Nacht etwas geregnet. Zu allem Überfluss stiegen jetzt auch noch Hunger und Durst in ihm hoch. Hier konnte er nicht bleiben. Arthur schaute über die Bordwand, niemand war zu sehen, das Deck war leer. Arthur schwang ein Bein herüber und war wenig später unten auf dem Deck angekommen. Er hatte gestern doch gehört, dass es ein Buffet im Speisesaal gab. Arthur beschloss herunterzugehen und den Speisesaal zu suchen. Vielleicht konnte er sich einfach dort reinmogeln und etwas zu essen ergattern. Gedacht, getan, Arthur stieg in den Fahrstuhl mit dem er gestern gekommen war und drückte auf „2 Messe.“ Als sich der Fahrstuhl wieder öffnete sah Arthur viele Tische und eine große Traube von Menschen die sich an einer langen Reihe von verglasten Theken ihre Teller füllten. Es roch nach Speck und geröstetem Brot. Arthur ging vor zum Buffet und griff zu einem der Teller, die direkt vor den Theken übereinandergestapelt waren.
„Na Junger Mann, dürfte ich Deine Kajütennummer wissen?“, fragte eine freundliche Stimme neben ihm.
„Kajütennummer?“, murmelte Arthur und drängelte sich so schnell er konnte durch die Menge in Richtung Ausgang.
Ein Klirren und Scheppern, Arthur stürzte. Als er nach oben blickte erkannte er mit Schrecken, dass er den Oberkellner umgerannt hatte, der gerade frischen Orangensaft auf einem großen Tablett hereingebracht hatte. Der Saft bildete nun eine riesengroße Pfütze am Boden und mittendrin lagen Arthur und der Kellner. Im Speisesaal war es inzwischen totenstill geworden. Arthur schoss reflexartig nach oben und war schon dabei, seine Flucht fortzusetzen als er einen kräftigen Griff im Nacken spürte.
„Nicht so schnell junger Mann, so geht das ja nicht“, hörte Arthur hinter sich rufen und erkannte die Stimme des ersten Kellners der ihn vorher am Buffet nach seiner Kabinennummer gefragt hatte.
„Lassen Sie mich los!“, schrie Arthur und versuchte sich loszureißen. „Was ist denn hier los? So lassen Sie doch den Jungen los“, meldete sich jetzt eine empörte Frauenstimme.
Es war die Mutter des Jungen den er gestern auf dem Aussichtsdeck getroffen hatte. Die Frau verteidigte ihn weiterhin aber auch sie fragte ihn schließlich nach seinen Eltern und der Kabine. Nun sollte also doch alles herauskommen. Als Arthur erzählte, dass er in keiner Kabine auf dem Schiff wohnte, schloss sich der Griff des Kellners eher noch fester um seinen Kragen.
„So, da haben wir also einen blinden Passagier“, hörte man jetzt den Oberkellner in spöttischem Ton sagen.
Dieser hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt und war gerade dabei, die größten Glasscherben einzusammeln, die mitten im Orangensaft auf dem Boden herumschwammen.
“Wir werden jetzt mit unserem unbekannten Passagier erst mal zum Kapitän gehen, dann werden wir schon sehen, was wir mit Dir machen“, sagte der Kellner mit ärgerlichem Ton. Dabei achtete dieser immer darauf, dass er Arthur festhielt, er wollte den blinden Passagier auf jeden Fall daran hindern, dass er ihnen nochmal durch die Lappen ging. Die Frau hatte die Szene weiter verfolgt und kam nun hinter den beiden Kellnern und Arthur hinterhergelaufen und auch der kleine Junge folgte.
Sie stiegen einige Treppen hoch, liefen dann durch enge Gänge und überquerten schließlich ein Zwischendeck. Arthur dachte sich, dass sie sehr weit über der Meeresoberfläche sein müssten und das stimmte auch wie Arthur feststellte, als sie oben auf der Brücke ankamen. Die Brücke war wie ein großes Zimmer eingerichtet. Viele Monitore waren an Konsolen angebracht und Arthur dachte sich, wie man sich wohl unter dieser Riesenmenge an Schalttafeln zurechtfinden konnte. Auf der Brücke waren zwei Männer in weißen Uniformen und ein etwas älterer Herr in schwarzer Uniform und Mütze, der jetzt überrascht über die Gäste, auf sie zukam.
„Kapitän Rasmussen mein Name, darf ich Sie fragen warum sie hier einfach unangemeldet auf die Brücke stürmen und auch noch mit einem Kind?“, fauchte der Kapitän die beiden Kellner an.
„Herr Kapitän, wir haben einen blinden Passagier aufgegriffen, der uns seinen Namen nicht verraten will. Wir haben ihn zur Identifizierung auf die Brücke gebracht.“
Der Kapitän schaute die beiden Kellner mit prüfendem Blick an und wendete sich dann ohne Arthur zu beachten, direkt an die Mutter des Jungen, die ihnen bis auf die Brücke gefolgt war.
„ Sind Sie die Mutter?“, fragte der Kapitän jetzt in ruhigerem Ton.
„Nein ich habe das Ganze nur zufällig gesehen und mitbekommen, wie ihre Mitarbeiter mit kleinen Kindern umgehen, deswegen bin ich mitgekommen“, entgegnete die Frau selbstbewusst.
„Nun mal ganz langsam, jetzt fragen wir erst mal den Jungen“, wandte sich der Kapitän jetzt an Arthur. Nun half alles nichts mehr und Arthur erzählte seine Geschichte, wie er doch so gerne mal ein Kreuzfahrtschiff von innen sehen wollte und wie das Schiff dann so schnell abgelegt hatte, dass Arthur nicht mehr rechtzeitig von Bord kam. Alle hörten erstaunt zu und machten bedrückte Gesichter.
„Ja“, sagte der Kapitän, „unser nächster Hafen ist Nassau auf den Bahamas. Ich fürchte, Du musst uns bis dahin begleiten und wir organisieren Dir dann einen Flug zurück nach Hause. Jetzt werde ich aber erst mal die Polizei per Funk verständigen damit alle Bescheid wissen und vor allem Deine Mutter weiß wo sich ihr Sohn herumtreibt. Das wird übrigens ein teurer Ausflug für Deine Eltern“, sagte der Kapitän in strengem Ton.
„Außerdem sind wir komplett ausgebucht und haben keine freie Kabine“, murmelte ein Mann in weißem Anzug.
„Er kann bei uns bleiben, wir haben genug Platz“, sagte jetzt die Mutter des Jungen.
„Vielen Dank“, sagte Arthur mit leiser Stimme und gesenkten Kopf. Nachdem der Kapitän den ganzen Vorgang und Arthurs Daten an die Polizei gemeldet hatte, durften alle drei gemeinsam die Brücke verlassen. Die beiden Kellner blieben noch beim Kapitän, der wohl noch ein ernstes Wort mit ihnen zu reden hatte. Während der nächsten Tage erfuhr Arthur vieles über die Frau und den Jungen. Der Junge hieß Tarik und reiste mit seiner Mutter alleine, weil der Vater erst kürzlich gestorben war. Die Mutter arbeitete als Rechtsanwältin in einer Kanzlei und nahm sich jetzt einmal zwei Monate frei um mit ihrem Sohn diese Reise zu machen. Tarik und Arthur verstanden sich von Anfang an prima und waren nach ein paar Tagen zu dicken Freunden geworden. Arthur war erleichtert, dass jetzt seine Mutter wusste wo er war und sich nicht mehr ganz so schlimme Sorgen machen würde. Trotzdem fürchtete er sich davor nach Hause zu kommen und alles nochmal erklären zu müssen. Viel lieber wäre er auch für den Rest der Reise bei Tarik und seiner Mutter geblieben. Sie waren nun schon viele Tage unterwegs und eines Nachts bemerkte Arthur, dass auch Tarik nicht schlafen konnte und dieser ihn heimlich beobachtete. Der Mond schien hell durch das Bullauge in die Kabine und so konnte Arthur sehen, wie Tarik anfing zu grinsen, weil auch der erkannt hatte, dass Arthur nicht schlief.
„Sollen wir ein bisschen an Deck gehen?“, flüsterte Tarik.
Arthur antwortete gar nicht sondern ließ sich langsam aus seinem Bett rutschen. Die beiden Jungen schlichen zur Tür und schnappten sich noch schnell ihre Kleider, die auf einem Stuhl lagen. Sie schlichen aus der Kabine und schlossen die Tür so leise wie sie nur konnten. Oben auf Deck angekommen war es still. Auch die Beleuchtung war jetzt in der Nacht nur teilweise eingeschaltet so dass eine düstere Atmosphäre herrschte. Tarik und Arthur standen an der Reling und blickten hinab ins dunkle Wasser. Kleinere Wellen waren da unten im Mondschein zu erkennen und hier und da eine Schaumkrone, die das Schiff während der Fahrt durch die Nacht unten an der Bordwand erzeugte.
„Weißt du eigentlich wo wir uns gerade befinden?“, flüsterte Tarik geheimnisvoll?
„Wir sind auf dem Weg zu den Bahamas, dachte ich“, entgegnete Arthur. „Ich soll doch in Nassau aussteigen.“
„Richtig, aber das ist noch nicht alles“, sagte Tarik geheimnisvoll. Wir befinden uns im Bermudadreieck. Hast Du nie was davon gehört?“, fragte Tarik und fing an von verschwundenen Schiffen und Flugzeugen und von Seeungeheuern zu erzählen.
Arthur lief es kalt den Rücken herunter. Inzwischen war er auch sehr müde geworden. „Lass uns wieder runter ins Bett gehen“, sagte Arthur und gähnte dabei. Nach kurzem Zögern drehte sich auch Tarik in Richtung Ausgang und schlenderte los.
„Hast du das gesehen?“, fragte Tarik plötzlich.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte Arthur gelangweilt, während er weiterging. Aber da blieb auch Arthur stehen, denn es durchfuhr in wie ein Blitz als er merkte, dass es plötzlich bei jedem Schritt „platsch“ machte und ihm kaltes Wasser in die Schuhe floss. Das ganze Deck war etwa fünf Zentimeter hoch mit Wasser bedeckt und es schien, als ob hier ein Fluss entlang fließen würde. Bevor Arthur noch darüber nachdenken konnte woher auf einmal das viele Wasser gekommen war, ob es vielleicht einen Rohrbruch gegeben haben könnte, wurden beide durch ein gleißend helles Licht am Horizont geblendet. Das Licht wurde immer stärker und heller als ob die Sonne mit stärkster Kraft am Mittag scheinen würde. Und dies mitten in der Nacht?
„Tarik, was ist das?“, hört sich Arthur selbst schreien, kam aber gegen das laute Dröhnen und Rauschen mit seiner Stimme kaum an welches sich jetzt genauso plötzlich wie das helle Licht aus Richtung des Horizonts gebildet hatte. Beide Jungen starrten über das Deck zum Bug des Schiffes wo sich jetzt ein buntes Farbenspiel aus violetten, roten und gelben Farbtönen gebildet hatte. Arthur dachte instinktiv an einen Regenbogen, dann merkte er, wie sich alles um ihn herum zu drehen begann. Der Ausgang des Aussichtsdecks bewegte sich wie in Kreisfahrt um ihn herum und Gegenstände wie die Rettungsringe, die vorher noch überall an den Wänden gehangen hatten, folgten dieser Kreisbewegung in verschiedenen Höhen. Alles war jetzt von Schleiern dieses Farbenspiels umgeben und die Kreisfahrt ging immer schneller. Jetzt sah Arthur mit Entsetzen, dass auch Tarik in diesen Strudel geraten war. Er selbst verlor einen Augenblick später den Boden unter den Füßen und wurde so stark umher gewirbelt, dass er die Orientierung verlor. Arthur sah nur noch abwechselnd farbige Schlieren und dann wieder Wasser, dann einen grellen Blitz und alles war dunkel.
„Aua.“
Arthur hatte den Kopf gehoben und war gegen etwas hartes, kaltes gestoßen. Es war immer noch dunkel. Er fühlte mit den Händen und konnte über sich eine felsige Decke ertasten.
„Tarik, bist Du da?“, fragte Arthur in die Dunkelheit hinein.
Er hörte daraufhin ein leises Stöhnen und ein „wo sind wir hier, was ist denn passiert?“
„Ich glaube wir sind in einer Höhle“, sagte Arthur. „Wir müssen schnellstens hier rausfinden.“
„Ok geh du voran“, erwiderte Tarik und gab seinem Freund einen kleinen Schubs nach vorne.
Arthur begann langsam vorwärts zu kriechen und tastete dabei immer mit der flachen Hand vor sich her damit er nicht wieder irgendwo mit dem Kopf anstoßen würde. So kamen sie zwar sehr langsam vorwärts aber Arthur wusste ja nicht, ob nicht plötzlich etwas im Weg lag oder gar ein Abgrund kam. Nach mehreren Metern machte der Gang eine Biegung und in der Ferne war eine kleiner Lichtschein zu erkennen.
„Ich glaube da vorne ist ein Ausgang“, sagte Arthur nach hinten zu Tarik.
Das Licht wurde immer heller und größer und bald konnten beide den Boden vor sich sehen. Es war ein steiniger, fast sandiger Boden. Der Gang war etwa einen Meter breit und auch nicht wesentlich höher. Als sie am Ende des Tunnels angekommen waren, blickten beide Jungs auf eine riesige Halle herunter, die von vielen Fackeln beleuchtet war. In der Mitte der Halle brannte ein großes Feuer. Den beiden blieb fast der Atem stehen als sie erkannten, dass im hinteren Teil des Raumes merkwürdige Wesen saßen. Die Kreaturen schienen irgendetwas zu planen. Sie saßen in einem großen Kreis und sahen aus wie eine Mischung aus einem großen Vogel und einem Menschen. Sie hatten einen großen schwarzen Schnabel und beharrte Beine. Arthur konnte erkennen, dass die Wesen auch Arme und Hände hatten da eines von ihnen einen großen Speer in der Hand hielt.
„Sei bloß leise, sonst sind wir erledigt“, warnte Tarik Arthur von hinten, der sich gerade umgedreht hatte und kurz davor war entweder loszuschreien oder wieder in den Gang zu flüchten.
„Ich verstehe das alles nicht“, sagte Arthur jetzt mit leiser Stimme als er sich wieder etwas beruhigt hatte.
„Wie kommen wir denn hierher und wo ist unser Schiff?“
„Ich hab keine Ahnung“, entgegnete Tarik trocken und Arthur war erstaunt darüber, wie Tarik nur so ruhig und locker bleiben konnte. Unter ihnen tat sich jetzt etwas. Die Vogelwesen waren aufgestanden und verließen nacheinander den Raum durch ein großes hölzernes Tor welches die beiden Jungen vorher nicht bemerkt hatten. Das Tor war etwas abseits in einem Bereich angebracht, der durch das große Feuer nicht ausgeleuchtet wurde.
„Tarik ich fürchte wir müssen nachher auch dort hindurch, wenn wir hier überhaupt jemals wieder rauskommen.“
Arthur merkte, wie Tarik zitterte obwohl er doch noch vor ein paar Minuten so heldenhaft gesprochen hatte. Er wollte sich eben wieder Richtung des Raums wenden als ihm das Mark in den Knochen gefror. Im selben Moment wusste er, warum Tarik zitterte und mit den Zähnen klapperte - aus dem Gang aus dem sie vor ein paar Minuten gekommen waren schaute jetzt ein langer schwarzer Schnabel heraus.
Arthur und Tarik waren unfähig, sich zu bewegen und sahen zu, wie das Vogelwesen jetzt vollständig aus dem Tunnel hervortrat. Der Vogel war etwas größer als die beiden Kinder aber doch auch etwas kleiner als ein erwachsener Mensch. Er gab einen gellenden Krächzer von sich und nach kurzer Zeit kamen zehn bis zwanzig der Kreaturen, aus dem Gang herangekrochen. Arthur und Tarik waren jetzt von den Vögeln umzingelt.
Das größte Exemplar trat nun zu ihnen vor, es schien der Anführer zu sein.
“Woher kommt Ihr Eindringlinge?“, sprach das Wesen mit klarer ruhiger Sprache.
„Es spricht unsere Sprache flüsterte Tarik.“
Nach kurzer Schreckenspause war Arthur der erste, der sich wieder fasste und dem Vogelwesen erwiderte:
„Wir waren eben noch auf einem Schiff und wissen selbst nicht, wie wir hierhergekommen sind.“
Der Vogel glotzte sie mit großen gelben Augen an.
„Dann seid Ihr Menschen von der Erde die hier in unserer Welt gestrandet sind. Ihr seid nicht die ersten“, bemerkte das Vogelwesen ernst.
„Wo finden wir die andere und wie kommen wir wieder nach Hause?“, meldete sich jetzt Tarik zu Wort.
„Für Eure Fragen ist noch genug Zeit“, sagte der Vogel und machte mit seiner Klaue eine Geste die den Jungs bedeutete, dass sie dem Vogel folgen sollten.
Sie zwängten sich durch den Gang zurück und fanden sich nach einiger Zeit in einem Labyrinth von zimmerhohen Gängen wieder, die ebenfalls mit Fackeln beleuchtet waren. Nach endlosem Marsch durch dieses Tunnelsystem kamen Sie in einen Raum, in dem eine große Tafel mit allerlei Essen angerichtet war. Der Vogel hieß die beiden sich zu setzen und bot Ihnen die Speisen an. Diese waren in Tongefäßen verschiedenster Formen angerichtet. Arthur und Tarik wagten nicht zu widersprechen und probierten das eine oder andere vorsichtig. Manches schmeckte ganz ordentlich, wie Tarik fand, sie konnten aber beide nicht erkennen was sie da aßen. Es schien eine Mischung aus Fleisch und Gemüse zu sein aber keiner der beiden wagte, den Vogel danach zu fragen. Schließlich fassten die beiden Vertrauen, so dass sie trotz leichtem Unbehagen jeder fast einen Teller voll aßen. Nach dem Essen meldete sich der Anführer erneut und führte sie in ein anderes Zimmer welches spärlich eingerichtet war. Es gab lediglich einen Tisch und eine Bank zum Sitzen und der Eingang war offen, denn eine Tür gab es nicht. Der Vogel fing nun an den Kindern zu erzählen, dass bereits vor einigen Jahren drei Menschen, genau wie Tarik und Arthur durch den Tunnel zu ihnen gekommen waren. Es waren drei Wissenschaftler, die ungewöhnliche Phänomene im Bermudadreieck auf der Erde untersuchen wollten und sich angeblich auf einmal in jenem dunklen Gang des Vogelreiches wiedergefunden hatten.
„Was ist aus den Dreien geworden?“, fragte Arthur den Vogel ungeduldig.
„Sie waren nur ein paar Tage bei uns und haben uns dann trotz all unserer Warnungen verlassen. Sie sind an die Oberfläche gegangen und haben Verderben über unser Volk gebracht indem sie sich mit den Keloten verbündet haben“, seufzte der Vogel.
„Wer sind denn die Keloten?“, wollte Tarik wissen.
Der Vogel erzählte nun eine lange Geschichte über das Schicksal seines Volkes und dass er Tikra, vom Volk der Dilong in einem Kampf mit den Keloten fast getötet worden war. Sein ganzes Volk wurde von den Stämmen der Oberwelt ständig gejagt. Sie hatten sich daraufhin endgültig im Untergrund versteckt, den sie normalerweise nur in den großen Stürmen aufgesucht hatten. All die Kriege und das große Jagen, vor allem auf die Dilong, hatte zu dem Zeitpunkt erst richtig begonnen, als die drei Wissenschaftler in der Oberwelt die Herrschaft an sich gerissen hatten. Mit ihren Waffen und bösem Geschick hatten Sie es geschafft den eingermaßen friedlichen Herrscher der Keloten zu stürzen und sich selbst zum Anführer zu ernennen. Anschließend führten sie Kriege gegen unterlegene Stämme und versklavten immer mehr Bewohner. So konnten sie schließlich die Macht über die gesamte Oberwelt an sich reißen. Nur ein Volk konnte sich noch erfolgreich vor den Kriegern der Keloten verstecken und dieses waren die Dilong.
„Ihr dürft niemals an die Oberfläche gehen, sonst seid ihr verloren“, mahnte Tikra in besorgten Ton. „Ihr seid Kinder, das haben wir gleich gesehen und Ihr habt keine bösen Absichten und so wollen wir Euch helfen.“
Arthur und Tarik blieben also erst mal bei den Dilong. In den folgenden Tagen erfuhren Sie noch vieles über die Vogelwesen und über deren Welt, die aus einem riesengroßen Stollensystem bestand, welches sich unter weiten Teilen der Oberwelt erstreckte. Nachdem die Dilong hierher geflohen waren, hatten sie den Eingang zu ihrem Unterschlupf verschüttet und ließen nur in einer Nebenhöhle einen kleinen Ausgang frei, den sie des Nachts nutzten um Nahrungsmittel herbeizuschaffen. Der Ausgang wurde Tag und Nacht von bewaffneten Vogelwesen bewacht. Neben Speeren, verfügten die Wachtruppen auch über Armbrüste und Schlagwaffen. Der geheime Ausgang war zudem noch mit einer weiteren Sicherung versehen, die dann zum Einsatz kam, wenn eine zu große Invasion von Oberweltlern versuchen würde, in die Unterwelt einzudringen. In diesem Fall konnten die Dilong den Ausgang sprengen, so dass sämtliche Angreifer verschüttet wurden und der Gang unpassierbar wurde. „Erzähl mir mehr über die drei Besucher aus unserer Welt“, forderte Tarik jetzt Tikra auf.
„Viel wissen wir leider nicht über sie“, entgegnete Tikra. „Sie waren damals schon recht früh in die Oberwelt verschwunden.“
„Haben sich diese Professoren einfach davongeschlichen?“, fragte Arthur.
Der Dilong schwieg. Nach einer Weile erwiderte er:
„Wir haben schon bemerkt, dass sie an die Oberfläche gehen wollten und unsere Wachmänner haben auch versucht, sie davon abzubringen. Aber einer der drei, er trägt den Namen Professor Valerius ist ein sehr aggressiver Mensch. Er hatte damals unsere zwei Wachposten mit einer Fackel angegriffen und schwer verletzt, nur weil sie den Weg nicht gleich freigegeben haben. Die drei sind daraufhin an die Oberfläche geflüchtet und haben dann den Gang gesprengt. Wir haben ein Jahr gebraucht, um einen neuen sicheren Stollen an anderer Stelle zu graben.
„Tikra, wir müssen dringend einen Weg finden, wie wir wieder nach Hause kommen können, könnt Ihr uns dabei helfen?“, fragte Tarik jetzt hoffnungsvoll.
„Ich fürchte, das wird fast unmöglich sein“, erwiderte der Vogel. „Der einzige Weg für Euch, in Eure Welt zurückzukehren wäre...“,er sprach nicht weiter.
„Bitte sag uns, wenn Du etwas darüber weißt“, bat jetzt auch Arthur. „Wir gehören nicht hierher und zu Hause suchen uns sicher schon unsere Eltern und sie machen sich große Sorgen.“
„Arthur“, sagte der Vogel, „die einzigen, die wissen, wie man zwischen den Welten wechseln kann, sind die drei Wissenschaftler, diese aber sind für uns unerreichbar. In der Oberwelt wird jeder gejagt, der nicht zu den Keloten gehört. Sie rauben und morden wie es ihnen gefällt. Auch von uns ist noch keiner je zurückgekommen, der sich tagsüber nach oben gewagt hat. In der Nacht können wir uns verstecken und in sicherer Höhe fliegen. Aber die Keloten haben Waffen, mit denen sie auf uns schießen, wenn sie uns am Tag in der Luft sehen.“ „Woher wisst Ihr, dass die drei Wissenschaftler den Weg zwischen den Welten kennen?“, wollte jetzt Arthur wissen. Er misstraute dem Vogel, der so geheimnisvoll sprach und der ihm schien, als würde er nicht alle Informationen mit ihnen teilen wollen. „Professor Valerius lachte damals, als ich ihn fragte woher er komme“, sprach jetzt Tikra. “Er sagte mir, er komme aus einer weit höher entwickelten Welt und könne jederzeit zurück wenn er nur wolle. Er hätte aber erst eine Mission zu erfüllen. Mehr sagte er mir nicht und wurde sehr böse, als ein paar meiner Freunde weitere Fragen über seine Welt und seine Mission stellten.“
Tikra wurde von einem Wächtervogel gerufen und vertröstete die Kinder auf ein späteres Gespräch. Als Arthur und Tarik an diesem Abend schlafen gingen, sie hatten gleich am ersten Abend ein eigenes Zimmer zugewiesen bekommen, konnten sie natürlich nicht schlafen. Zu viele Dinge gingen in ihren Köpfen umher und besonders die Frage nach der Mission des Professors und wie man in die eigene Welt zurückkommen konnte.
„Tarik“, flüsterte Arthur, ich glaube wir müssen an die Oberfläche!“
„Bist du verrückt?“, fragte Tarik. „Tikra hat uns doch ausdrücklich davor gewarnt. Ich will nicht in die Fänge der Keloten geraten, da überleben wir doch keinen weiteren Tag mehr.“
„Ich weiß, aber wir müssen mit dem Professor sprechen, sonst kommen wir nie wieder nach Hause.“
Am nächsten Morgen waren die beiden schon früh auf den Beinen. Nach einem kräftigen Frühstück, das aus seltsamen aber wohl schmeckendem Fleisch und eigenartigen Früchten bestand, machten Arthur und Tarik einen Ausflug in das Höhlenlabyrinth der Dilong. Sie wurden dabei von Tikra und Murkat, dem zweiten stammesältesten begleitet. Die beiden Vögel lebten nun schon viele Jahre unter der Erdoberfläche und kannten einen großen Teil der unterirdischen Gänge, die sie nach langer Forschung in Karten verzeichnet hatten. Wie groß sich ihre Unterwelt aber wirklich erstreckte, konnten die Dilong selbst nur erahnen.
"Gibt es hier unten eigentlich noch andere Völker?", fragte Tarik.
"Wir haben hier und da Anhaltspunkte, dass auch andere Stämme unter die Erde geflüchtet sind, wir haben sie aber nie zu Gesicht bekommen", antwortete Murkat.
„Was sind das denn für Anhaltspunkte oder warum glaubt ihr, dass Ihr hier unten nicht alleine seid?“ wollte Arthur jetzt genauer wissen.
Der Dilong erzählte, dass sie während der verschiedenen Forschungsexpeditionen zur Aufzeichnung der Gänge und Höhlen mehrmals große Knochen gefunden hatten, die sie jedoch keiner der ihnen bekannten Spezies in ihrer Welt zuordnen konnten. Dazu seien die Knochen enorm groß gewesen. Arthur erschauerte bei dem Gedanken, dass in den dunklen Höhlen in die sie immer weiter vorstießen irgendwelche großen Wesen lauern könnten. Der Schein ihrer Fackeln machte die Situation noch gespenstischer als sie ohnehin schon war. Hinter der nächsten Biegung hörten sie einen Plätschern und kamen schließlich in einer haushohe Höhle an, in der sich von ganz oben ein Wasserfall ergoss. Das Wasser strömte die Wand herunter in einen glasklaren unterirdischen See. Am Ufer des Sees stand ein kleines Ruderboot und Tikra wies die Gruppe an, dort einzusteigen.
Als sie ein paar Minuten gerudert waren, wurde der Raum immer enger. Schließlich war der See zu einem Kanal geworden der gerade einmal drei Bootsbreiten maß. So ging es weiter in die Dunkelheit und das Boot nahm jetzt Fahrt auf obwohl Arthur die Ruder nach oben geklappt hatte.
"Tikra, wir haben eine ordentliche Strömung, wie kommen wir denn nachher wieder zurück?“, fragte Arthur.
Der Dilong erwiderte: "Ich verstehe das nicht, hier war noch nie eine Strömung, wir sind schon oft den Gang entlang gefahren und konnten jedes Mal wieder zurückrudern, haltet Euch fest!"
Das Boot schwankte und hatte währen der Ansprache des Vogels noch mehr an Geschwindigkeit gewonnen. Bereits einige Sekunden später, schoss es durch den Kanal und stieß hier und da gegen die Wand. Arthur versuchte mit den Rudern zu lenken wenn sie wieder auf eine Kurve zurasten aber die Strömung drehte das Boot mal nach rechts und mal nach links. Jetzt kamen sie an eine Gabelung. "Wir müssen nach links!", schrie Murkat aus Leibeskräften aber das Tosen des Kanals war ohrenbetäubend geworden. So sehr Arthur auch mit den Rudern zu lenken versuchte, die Strömung war stärker und so drehte sich das Boot kurz vor der Abzweigung mit dem Bug nach links und dann um die ganze Achse. Tarik sah nur Dunkelheit und Wasser. Das Boot war in den rechten Gang gefahren.
"Was machen wir jetzt?", schrie Tarik.
"Wir müssen aus dieser Strömung raus", krächzte Tikra zurück und zeigte mit der Fackel nach rechts vorne wo in der Ferne ein kleiner Kieselstrand näher kam.
"Halte dort drauf zu!", mahnte Tikra und Arthur steuerte mit beiden Händen das rechte Ruder, um das Boot nach rechts zu drehen.
Mit einem lauten Scharren und einem dumpfen Geräusch fuhr das Ruderboot auf den Strand auf. Dann machte es Knacks, zwei der mittleren Planken waren gebrochen. Die vier Abenteurer kletterten aus dem havarierten Boot und hatten jetzt wieder festen Boden unter den Füßen.
"Murkat, die Karte", kommandierte Tikra seinen Stammesbruder.
"Sie wird uns nicht viel helfen Tikra, diesen Weg haben wir nicht verzeichnet", antwortete dieser. „Wir müssen jetzt erst mal trocknen und dann schnell den Rückweg finden, bevor unsere Fackeln erlöschen“.
Die Situation war nun wirklich ernst. Die Fackeln waren etwa halb heruntergebrannt und wenn diese erst mal verbraucht waren war es fast unmöglich in diesen dunklen Gängen ohne Hilfe wieder zurückzufinden.
"Lasst uns lieber gleich losgehen", entschied Tikra und so marschierten sie los.
Vom Strand aus, führten zwei Gänge seitlich weg und ein etwas breiterer genau mittig. Ohne ein Wort zu verlieren schritt Tikra auf den mittleren Gang zu und seine Mitstreiter folgten wortlos. Jeder war froh, dass er nicht über den richtigen Weg entscheiden musste und so folgten sie dem Vogel und schwiegen. Der Gang führte sie erst gerade und dann abschüssig nach unten. Immer wieder kamen Sie an Abzweigungen vorbei und Arthur und Tarik wurden immer unruhiger. Tikra aber schritt immer weiter und schien sich des Weges sicher zu sein. Nach weiteren zwei Abzweigungen stieß es aus Arthur hervor: "Tikra, weißt Du eigentlich wo wir hingehen? Vielleicht sollten wir nicht immer weiter bergab gehen?"
Tikra schaute sich um und blickte Arthur mit seinen gelben Augen an. Arthur wusste nicht was das bedeutete, denn der Vogel sprach kein Wort und schritt dann einfach weiter.
"Er folgt dem Geruch, Junge“, bemerkte Murkat, der hinter den beiden Kindern marschierte. "Wir Dilong haben zwar keine Nasen wie Ihr Menschen aber wir können mit unserer Zunge kleinste Gerüche und Partikel in der Luft wahrnehmen und uns so orientieren. Tikra hat eine Fährte aufgenommen.“
Tikra hatte also eine Fährte aufgenommen. Arthur beruhigte das nicht wirklich. Er sah nur den dunklen abschüssigen Gang oder das was er davon im Fackelschein sehen konnte und fühlte sich unbehaglich. Nach kurzer Zeit lief der Vogel immer schneller und Arthur konnte einen Luftzug spüren.
"Da vorne scheint ein Licht", rief Tarik laut vor lauter Freude.
Ein warnendes Krächzen von Tikra ließ Tariks Euphorie dahin schmelzen. Sie waren am Ende eines Ganges angekommen der in eine, der Versammlungshalle der Dilong ähnliche Höhle führte. Der Gang endete jedoch in großer Höhe an einem großen Loch in einer Steilwand. "Lass mich auch mal nach vorne", jammerte Tarik, der jetzt als letzter der vier auch nach unten blickte. Tarik sah einen Raum voller Kreaturen, die um eine Art Brunnen herumtanzten. Die Kreaturen waren groß und muskulös. Lange Zungen züngelten aus ihren Mäulern heraus und die die Situation erinnerte an eine Horde hungriger Dinosaurier, die um ihren Festschmaus herumtanzten. Erst nach genauerem Hinsehen konnten die vier sehen, was dort in der Mitte zwischen den Echsen stand. Es war ein gefesselter Dilong. Die Echsen reihten sich jetzt immer dichter um ihr Opfer und drängten es in Richtung des Brunnens ab.
"Wir müssen ihm helfen", flüsterte Arthur Tikra zu.
"Wie stellst Du Dir das vor kleiner Arthur?", fragte der Vogel traurig. "Diese Echsen sind uns überlegen. Wir bringen uns und unser ganzes Volk in Gefahr, wenn wir jetzt eingreifen. Außerdem können wir nicht einmal zu ihnen herunter.“
„Aber ihr könnt doch fliegen", sagte Tarik.“ „Ihr müsst Eurem Freund da unten helfen!"
„Ich mach das", sagte jetzt Murkat und hörte das "Nein warte" von Tikra nicht mehr.
Murkat hatte sich blitzschnell nach vorne gedrängt, seine Flügel ausgebreitet und segelte mit Hilfe seiner großen Schwingen lautlos und in steilem Winkel auf die Meute zu. Nur wenige Sekunden später wäre der Dilong, der jetzt an der Kante des Brunnen stand herabgestürzt, da wurde er von Murkat mit dessen riesigen Krallen gepackt und empor gerissen. Murkat flatterte jetzt um sein Leben und das des Dilong, der in seinen Krallen hing. Die Echsen hatten sofort gemerkt, dass ihnen ihre Beute gestohlen werden sollte und begannen unter schrecklichem Geschrei und Geheule mit Pfeilen nach dem Vogel über ihnen zu schießen. Arthur konnte erkennen, dass die Echsen am Rand des Raumes die Wächter waren, die mit Armbrust ausgerüstet sofort das Feuer eröffnen. Pfff, wieder schossen einige Pfeile durch die Luft und Murkat, der noch etwa fünfzig Meter bis zum Loch in der Wand zurücklegen musste wurde von einem Pfeil in den Flügel getroffen. Die drei Freunde konnten sehen, wie der Vogel mit seiner Last in den Krallen kämpfte. Er taumelte immer wieder auf die Seite des getroffenen Flügels und musste dann erst wieder beidrehen weil er die Richtung verloren hatte um direkt zum Loch zurück zu gelangen. Während Murkats Flug oben eher dem einer Stubenfliege ähnelte luden unten die Verfolger ihre Waffen nach. Pfft, schon wieder schossen sie eine Salve der Pfeile nach oben ab. Nur durch eine weitere ungewollte Taumelbewegung seitens Murkat verfehlten die Pfeile haarscharf ihr Ziel. Murkat war jetzt nur noch wenige Meter vom rettenden Loch entfernt und die Freunde traten zurück um bei der Landung nicht umgeworfen zu werden. Arthur bemerkte dabei aber, dass der Vogel mit seiner Fracht zu tief anflog. Es fehlte ihm einfach die Kraft um noch einen halben Meter höher zu steigen. Arthur erkannte das als erster und sprang jetzt ebenfalls nach vorne. Dieser Geistesblitz seitens Arthur, rettete den beiden Vögeln das Leben, die im gleichen Moment mit voller Fahrt gegen die Kante krachten. Der Junge griff mit der Hand zu und half dem Dilong, der dazu mit letzter Kraft seiner Flügel flatterte, vollends hochzusteigen. Pfft, schon wieder schossen die Echsen unten ihre Pfeile ab. Diesmal wurde Arthur fast getroffen da die Echsen jetzt auf das Loch in der Wand zielten.
"Wir müssen uns schnellstens zurückziehen", jappste jetzt Tikra, der während der letzten Sekunden die Luft angehalten zu haben schien. „Wir müssen damit rechnen, dass die Echsen diesen Teil der Unterwelt kennen und schon einige auf dem Weg zu uns sind“, fügte er hinzu. Während sie den Gang zurückliefen erfuhren Arthur und Tarik, dass sie Arla, die Frau eines Wächtervogels gerettet hatten. Arla hatte sich noch nicht von ihrem Schrecken erholt, trotzdem erzählte sie japsend, dass sie beim Wasserholen am See in der Höhle von den Echsen überwältigt wurde und dann in deren Höhlensystem verschleppt wurde.
"Wenn Dich die Echsen nicht über das Wasser hierher gebracht haben, dann muss es noch einen anderen Weg geben", folgerte Arthur. "Tikra kannst Du nicht irgendetwas riechen?“
„Ich werde Euch führen“, sagte Arla, die sich jetzt wieder gefasst hatte. “Sie hatten mir zwar einen Sack über den Kopf gestülpt aber ich kann die Fährte mit meiner Zunge aufnehmen.“
Arla lief nun eilig voran und die anderen hatten Mühe hinterher zu kommen. Es ging durch enge Gänge, hinauf und wieder hinab. Arla blieb an jeder Weggabelung kurz stehen und fand den richtigen Weg. Vor uneinsichtigen Ecken waren sie besonders vorsichtig und hielten ihre Fackeln weit unten. Zu groß war die Gefahr auf die Echsen zu stoßen wenn Sie zu schnell um die Ecke bogen. Am Ende eines besonders engen Ganges blieb Arla stehen.
"Wir sind in einer Sackgasse, hier geht es nicht weiter", schluchzte Tarik.
Aber Arla schritt noch ein Stück nach vorne und hackte dann mit ihrem Schnabel auf einen steinernen Quader, der seitlich an der Wand angebracht war und den bisher keiner der Freunde bemerkt hatte. Zunächst passierte nichts doch dann vernahm die Gruppe ein Grollen und ganz langsam rollte die Wand am Ende des Ganges zur Seite. Erst bildete sich ein kleiner Ausschnitt, der dann aber immer größer wurde und schließlich war der Gang soweit geöffnet, dass die Freunde durchschlüpfen konnten.
"Jetzt wissen wir, wie die Echsen in unsere Seehöhle kommen konnten und auch woher die großen Knochen kommen, die wir gefunden haben", sagte Tikra.
Als Anführer hatte er für die Sicherheit seines Volkes zu sorgen und diese war schon seit längerem nicht mehr gewährleistet, wie er jetzt erkennen musste. Groß war die Freude der vielen Vögel, die sich aufgeregt in der Halle am See versammelt hatten und stundenlang auf die Rückkehr der vier gewartet hatten. Als die Menge nun sah, dass sogar fünf zurückkamen, kam keiner mehr zur Ruhe. Jetzt wurde erst mal die ganze Geschichte erzählt, die während der letzten zehn Stunden passiert war. So lange war die Gruppe weggewesen. Nach einiger Zeit zogen sich Tikra und Murkat mit den anderen Anführern des Stammes zurück um zu beraten.
"Arla, Arla“, rief da ein überglücklicher Wächtervogel, der seine vermisste Frau jetzt wieder in die Flügel schließen konnte.
Tarik und Arthur saßen auf dem feuchten Steinboden der Höhle und waren einerseits todmüde, fühlten sich andererseits aber zufrieden und fast etwas euphorisch. Auch wenn die Gefahr noch lange nicht abgewendet war, waren sie doch erst mal dem Schicksal entkommen und zumindest fürs erste sicher. Die Wächtersoldaten hatten großen Findlinge herbeigeschafft und den Zugang zu den Echsen so zugestellt, dass dort jedenfalls keiner so leicht durchkommen konnte. Arthur und Tarik gingen, nachdem sie den vielen Fragen der Dilong geantwortet hatten und ihre Geschichte hoch und runter erzählt hatten in ihr Zimmer und schliefen auch recht bald darauf ein.
Im Beratungssaal saßen dagegen die obersten Dilong und berieten was jetzt als erstes zu tun war. Sicher war, dass die Echsen nun wussten, dass es noch mehr Dilong da unten gab und sie würden mit größter Wahrscheinlichkeit versuchen zu ihnen vorzudringen. Ein Dilong war ein leckerer Happen für die Echsen und eine ganze Horde von Dilong ein ganzer Wintervorrat.
"Warum haben die Echsen bisher noch nicht angegriffen, wenn sie doch den Zugang zur Seehöhle bereits gegraben hatten?", fragte Gerwen, der eine Art Medizinmann des Stammes war.
"Ich vermute, sie haben sich bisher ganz bewusst zurückgehalten und die Höhle mit dem verschiebbaren Stein versehen so dass sie uns genau ausspionieren konnten. Ich bin mir sicher, dass sie bereits Vorbereitungen getroffen hatten um dann einen großen Angriff auszuführen", sagte Tikra.
"Die Frage ist, was sie als nächstes machen werden, wenn sie entdecken, dass der Zugang zu uns nicht mehr zu öffnen ist", bemerkte Murkat mit fragendem Unterton.
„Sie werden einen neuen Gang graben und wir wissen nicht, an welcher Stelle sie dann vordringen. Wir müssen alle unsere Räume und Gänge, die sich am Außenrand befinden ständig überwachen und auf die kleinsten Hinweise reagieren", fügte Tikra mit ernster Stimme hinzu. „Wenn wir nicht äusserst vorsichtig sind, wird noch schlimmeres passieren als die Entführung von Arla.“
Die Vögel diskutierten noch die ganze Nacht lang und man kam schließlich zum Schluss, dass mehr Vögel zu Wächtervögeln ausgebildet werden müssen und dass es notwendig war, dass diese an den strategischen Punkten Tag und Nacht wachen mussten. Nur zum Schlafen sollten die Wächter dann abgelöst werden und die ganze Sippe sollte darauf hingewiesen werden alle Auffälligkeiten zu melden. Am nächsten Tag waren Tarik und Arthur schon früh aufgestanden und berieten auch ihrerseits in ihrem Zimmer, was die Ereignisse des letzten Tages für sie bedeuten würden.
"Tarik, denk daran, wir müssen langfristig einen Weg finden, wie wir wieder in unsere Welt kommen können. Außerdem glaube ich, dass wir hier nicht mehr sicher sind. Diese riesigen Echsen sehen mir sehr gefährlich aus. Ich glaube, wenn sie es schaffen, noch ein Mal bis zu ins vorzustoßen, wird keiner von den Vögeln überleben", sagte Arthur. "Und was ist mit uns, Arthur?", fragte Tarik ängstlich.
"Das ist es ja gerade, wir müssen etwas unternehmen, damit uns und auch den Dilong nichts passiert. Die Dilong sind wirklich in Ordnung und haben uns so freundlich aufgenommen. Ich möchte ihnen auch gerne helfen. Ich bin immer noch der Meinung, wir müssen an die Ober....“
Arthur wurde jäh unterbrochen, als ein Wächtervogel in sein Horn blies. „Das ist das Alarmzeichen Arthur!", rief Tarik mit weit aufgerissenen Augen und klammerte sich an Arthurs Arm fest.
"Lass uns nachsehen, was passiert ist", sagte Arthur in ganz ruhigem Ton obwohl auch er die aufkommende Angst in den Beinen spüren konnte.
Die beiden Freunde traten aus ihrem Zimmer heraus und gingen in Richtung der Aufenthaltsräume der Dilong. Aus dieser Richtung war das Signal gekommen und in diese Richtung strömten jetzt auch zahlreiche Dilong durch den Gang. Am Ende der ganzen Vogelgruppe, die sich im großen Aufenthaltsraum gebildet hatte standen der Wächtervogel mit dem Horn und Tikra, der gerade dabei war, die Gruppe von Vögeln zu beruhigen, die aufgeregt mit den Flügel schlugen und durcheinander gackerten.
"Keine Aufregung meine Freunde" erhob Tikra das Wort. „Es ist jetzt ganz wichtig, dass wir Ruhe bewahren.
" Was ist denn passiert?“, hörte man einen anderen Dilong, der sich hinter den beiden Freunden auf die Krallen gestellt hatte um über Tarik und Arthur hinwegblickend etwas zu sehen.
"Wir haben Schaufelgeräusche in drei Räumen wahrgenommen“, sagte jetzt Tikra und versuchte anschließend erneut seine Vögel zu beruhigen. "Wir haben genug Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten da die Echsen noch mindestens zwei Tage brauchen um durch die Wand zu kommen. Also macht Euch keine Sorgen", sprach Tikra wieder mit seiner ruhigen und weisen Stimme.
Die Dilong waren doch ein einfältiges Volk und Arthur und Tarik waren erstaunt, wie sehr sie ihrem Anführer vertrauten. Ohne große Fragen zu stellen schienen sich die Dilong jetzt augenblicklich zu beruhigen und verließen teilweise mit sogar zufriedenen Gesichtern den Saal. Arthur und Tarik hatten den Raum nicht verlassen und im Gegensatz zu den Dilong hatten sie ängstliche Gesichter.
"Wenn die Schaufelgeräusche in verschiedenen Räumen zu hören sind bedeutet das doch, dass die Echsen jetzt an mehreren Stellen losgraben. Wenn sie schlau sind und ich fürchte das sind sie, dann werden sie versuchen, heimlich viele Stollen zu graben um dann aus allen Richtungen gleichzeitig durchzubrechen.“
Tarik schlug die Hände vor sein Gesicht und fing an zu schluchzen. „Was sollen wir denn nur tun?“
Der Junge zog das letzte Taschentuch aus seiner Hosentasche, das er noch hatte.
"Wir müssen mit Tikra reden, ich meine, wir müssen hier schnellstens verschwinden und die Dilong müssen ebenfalls flüchten."
„Aber wo sollen wir den hingehen?“, fragte Tarik.
"Wir müssen an die Oberfläche", entgegnete Arthur und schaute mit entschlossenen Augen vor sich hin.
Die beiden Freunde diskutierten noch lange über jede denkbare Fluchtmöglichkeit. Oben warteten drei verrückte Professoren und eine riesige Meute von Keloten, die jedem Fremden feindlich gesinnt war und hier unten gruben sich gerade riesige fleischfressende Echsen zu ihnen durch um ihren Hunger zu stillen. Das waren Aussichten. Beide Buben waren sich aber einig, dass sie etwas unternehmen mussten denn Warten war sicherlich die schlechteste Wahl um jemals wieder heil nach Hause zu kommen.
Sie suchten also Tikra auf. Tikra war in seinem persönlichen Zimmer und die beiden Jungs mussten erst lange mit dem Wächtervogel verhandeln um überhaupt Zugang zu Tikras persönlichen Räumlichkeiten zu bekommen. Für die normalen Dilong war der Zutritt zu den Gemächern ihres Anführers streng verboten. Nur da die Situation so ernst war und Arthur dem Wächtervogel sagte, dass die Zukunft der Dilong von diesem Gespräch mit Tikra abhängen würde, wurde er trotz der Ruhezeiten Tikras eingelassen.
Die Jungs waren nicht schlecht erstaunt, als sie den ersten Raum dieser abgeteilten Wohnung betraten. Die Räumlichkeiten waren prächtig geschmückt. Ansstatt der kahlen Höhlenwände der anderen Zimmer waren diese Wände bunt verziert und mit allerlei Malereien versehen. An den Wänden hingen hölzerne Schnitzereien und Halterungen mit verschiedenen Tongefäßen. Je weiter sie nun den Hauptgang zu den Gemächer hinunter gingen, desto heller und bunter wurde alles. Schließlich betraten sie ein kreisrundes Zimmer. Das Zimmer war nicht sehr groß aber sehr hell erleuchtet. Die Wände des Raums glänzten grell und strahlten so hell, dass Arthur und Tarik kaum die Augen offen halten konnten. Sie waren ja seit längerer Zeit nicht mehr an so helles Licht gewöhnt.
"Arthur die Wände sind ja komplett aus Gold", staunte Tarik.
Aber Arthur reagierte nicht, zu sehr war er mit den Gedanken über die Gefahr, die über ihnen schwebte beschäftigt. Arthur ging jetzt voran. In der Mitte des runden Raumes stand ein Tisch, reich verziert mit Schnitzereien und an diesem Tisch saß Tikra über ein großes Pergament gebeugt. Auf dem Pergament konnte Arthur Linien und Zeichen erkennen.
"Das ist unser großer Plan der Unterwelt", sagte Tikra, ohne zu den beiden aufzublicken.
"Warum sind diese ganzen Gebiete hier rot markiert" wollte Arthur jetzt wissen.
"Die gesamte Karte enthält Gebiete, die wir selbst noch nicht betreten haben, warum sie rot markiert sind, kann ich Dir leider auch nicht sagen", sagte der Vogel geheimnisvoll.
Arthur verstand nicht, war es doch ein Plan der Dilong, aber diese wussten selbst nicht, was dort wie verzeichnet war?
"Wer hat denn den Plan erstellt?", fragte jetzt Tarik vorlaut.
Tikra sah die beiden mit ernstem Blick an. Nach einiger Zeit atmete er schwer ein und aus und sagte dann:
"Dieser Plan wurde nicht von uns erstellt. Das ist ein Plan, den die Wissenschaftler aus Eurer Welt zurückgelassen haben als sie in jener Nacht unsere Wächter überwältigt haben und dann an die Oberfläche verschwunden sind.
Arthur brauchte ein paar Minuten um seine Gedanken zu sammeln. Die Wissenschaftler waren also bereits mit einem Plan hier in die Unterwelt gekommen. Das bedeutete, sie mussten bereits schon einmal hier gewesen sein bevor sie schließlich an der Oberfläche die Herrschaft über die Keloten und alle sonstigen Wesen dort oben übernommen hatten. Arthur fuhr ein kalter Schauer den Rücken herunter. Aber andererseits bedeutet dies, dass die Wissenschaftler tatsächlich wussten, wie man zwischen den Welten wechseln kann.
„Wir müssen die Wissenschaftler finden", murmelte Arthur vor sich hin. "Nein Junge, die Wissenschaftler sind böse und würdet ihr es auch schaffen, bis zu ihnen vorzudringen würde es Euch böse ergehen. Ich habe schon so viele Dilong verloren, die an die Oberfläche gingen und selbst nachts Opfer der Keloten wurden. Ihr dürft die Unterwelt nicht verlassen, das ist viel zu gefährlich", sagte Tikra jetzt mit aufgeregter Stimme.
"Aber hier sind wir doch alle auch nicht mehr sicher, es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis die Echsen zu uns vordringen und dann sind alle verloren wenn wir noch hier sind“, sagte Arthur scharf.
"Wir können uns verteidigen und außerdem können wir uns in den hinteren Teil unseres Gebiets zurückziehen und die Wände nach außen verstärken", sagte Tikra jetzt mit verärgertem Ton.
Dass Tikra auch ärgerlich werden konnte hatten die beiden bisher noch nicht erlebt aber Arthur merkte, dass er vorsichtig sein musste und zog Tarik nach ein paar weiteren harmlosen Fragen Richtung Ausgang. "Was ist denn mit dem los?", wollte Tarik wissen. „Warum wird Tikra denn so böse? "
„Tarik, ich glaube, Tikra weiss, dass sein Volk in großer Gefahr ist und ich denke er hat einfach selbst nur Angst."
Das hatte gesessen. Tarik, der bisher auch geglaubt hatte, dass der große Anführer der Dilong eine Lösung finden würde, wurde schlagartig klar, dass Tarik Recht hatte. Der Vogel war jetzt in einer Zwangslage und er konnte als Anführer nicht zugeben, dass er nicht weiterwusste. "Was machen wir jetzt bloß?“, fragte Tarik mal wieder seinen Freund. "Wir werden versuchen, morgen nochmal mit Tikra zu sprechen.
Ich glaube, dass unsere einzige Chance die Oberfläche ist und für uns, die Wissenschaftler zu finden. Die Dilong werden sich einen neuen Lebensraum zu suchen müssen. Hier unten wartet nur das Verderben“, sagte Arthur.
Auch am nächsten Tag waren die Grabegeräusche wieder zu hören und zu allem Überfluss dazu noch an viel mehr Stellen als am gestrigen Tag. Arthur und Tarik, die gerade ihr Frühstück beendet hatten, bemerkten die Hektik und Unruhe, die von den Vögeln an diesem Morgen ausging.´
"Ich sammel schon mal meine Sachen zusammen", hörten sie einen Küchenvogel zum anderen sagen.
Ein weiterer sprach vom Aufbruch in das tiefere Labyrinth der Unterwelt. Arthur und Tarik machten sich kurz frisch und liefen dann in Richtung Versammlungshalle. Offenbar gab es dort neue Informationen, große Gruppen von Vögeln liefen durch die Gänge und strömten dabei alle in die gleiche Richtung. Da ertönte, genau wie schon am Tag zuvor das Signalhorn. Die ganze Vogelgruppe, die eben noch Richtung Versammlungsraum gelaufen war, hatte augenblicklich die Richtung gewechselt und lief jetzt in hüpfenden Schritten in die Gegenrichtung. "Das müssen wir uns ansehen, komm schnell mit", rief Arthur und stürzte sich mitten in die Menge wobei er fast mitgerissen wurde. Tarik folgte ihm. Nach einigen Metern durch den Gang, blieben die vordersten Vögel stehen. Arthur konnte zuerst nicht genau erkennen was da vor sich ging, da zu viele Schnäbel und Köpfe vor ihm waren. Zudem war das Licht sehr gedämpft da es nur in größeren Abständen Fackeln an der Wand gab. Ein lautes Geschrei ging durch den Gang und vorne konnte man schlagende Bewegungen mit langen Stöcken ganz schemenhaft erkennen. Die beiden Kinder sahen, wie sich vorne mehrere Wächtervögel versammelt hatten und von anderen Vögeln eifrig Fackeln herbeigebracht wurden. Nachdem sie näher gekommen waren, konnten die beiden Kinder erkennen, was passiert war. An der Wand zu den Badebereichen war ein kreisrundes, kopfgroßes Loch in der Wand durch das die Wächtervögel mit ihren Waffen gerade eine Echse abwehrten, die versuchte das Loch mit einem Grabwerkzeug noch weiter zu vergrößern. Trotz der Stöße und Treffer der Dilong, ließ die Echse nicht ab und grub weiter wobei sie nur ab und zu etwas zurückwich.
"Da kommen noch mehr Wächter", rief Tarik aufgeregt, der jetzt eine Truppe Dilong bemerkt hatte, die einen riesengroßen Stein auf einem Wagen hinter sich herzogen.
Die Wächter kamen mit ihrer schweren Fuhre durch den Gang, dicht gefolgt von Tikra und Murkat, die das Unterfangen zu leiten schienen. "Ladet ab!", befahl Tikra und die Wächtersoldaten stemmten sich zu zehnt gegen den riesen Stein, der jetzt vom Karren herab rutschte und dann mit einem dumpfen Ton direkt gegen die Wand kippte.
Das Loch war jetzt erstmal verschlossen, hier konnten die Echsen nicht mehr durch. Im Gang war es jetzt ganz still geworden. Murkat trat vorsichtig hervor und setzte einen großen Trichter an die Wand, den er als Hörrohr benutze. Alle schwiegen bis Murkat den Trichter absetzte und berichtete:
"Ich glaube, sie haben aufgegeben.“
"Ja, aber nur an dieser Stelle", knurrte Tikra. "Wir müssen beraten, Murkat und meine Ältesten treffe ich in fünf Minuten in meinen Gemächern", befahl Tikra mit ernster Stimme und hüpfte durch den Gang davon.
"Jetzt wird es immer enger", bemerkte Tarik.
"Ja es ist eine Frage der Zeit, bis der nächste Alarm ertönt. Lass uns nochmal zu Tikra gehen", sagte Arthur.
"Meinst Du wirklich, dass das eine gute Idee ist?", fragte Tarik.
Aber Arthur war schon losgelaufen und Tarik sah zu, dass er hinterher kam. Ihm war alleine in den dunklen Gängen gar nicht wohl zumute. Er hatte Angst und wollte auf keinen Fall alleine sein, wenn wieder ein Alarm ertönen würde. Bei Tikras Gemächern angekommen, fanden die beiden die Tür geöffnet vor. Kein Wächtervogel bewachte den Eingang wie sonst üblich. Arthur ging einfach direkt durch die Tür und Tarik folgte ihm in einigem Abstand. Er hatte Angst, dass es jetzt gleich zum Donnerwetter kommen würde, wenn sie einfach ungefragt dort eintraten und die Vögel ohnehin bereits gereizt und aufgeregt waren. Die Vögel saßen im hell erleuchteten Rundsaal Tikras und das Gold an den Wänden blitzte wie beim ihrem ersten Besuch. Arthur musste blinzeln. Ein paar der älteren Vögel blickten mit wütenden Blicken zu ihnen herüber und schienen jede Sekunden aufzuspringen aber Tikra ergriff das Wort:
"Kommt herein und setzt Euch zu uns in die Runde.“ Das Schicksal betrifft uns alle und somit auch Euch. Daher möchte ich dass die beiden Menschen auch erfahren, wie wir entscheiden werden.“
Arthur gefiel diese Aussage gar nicht. Er wollte in jedem Fall mitentscheiden, denn die Vögel würden hier unten nicht lange überleben wenn sie ihre Unterwelt nicht verließen. Arthur und Tarik setzten sich zu den Dilong.
"Habt Ihr Euch eine Strategie überlegt", fragte Arthur jetzt keck in die Runde.
Er dachte sich, dass er auf diese Weise mehr erreichen könnte als wenn er nur still zuhörte.
"Wir haben beschlossen, dass wir unseren jetzigen Ort verlassen und uns tiefer ins Labyrinth zurückziehen werden. Wenn wir tief genug hineingehen, werden uns die Echsen nicht mehr finden", erklärte Tikra. Arthur blickte kurz vor sich auf den Boden und überlegte. Tarik dagegen machte ein fragendes Gesicht. In diesem Augenblick ertönte wieder ein Alarm. Tikra befahl einem Wächtervogel nachzusehen, was passiert war und gebot, sofort Meldung zu machen. Die Runde saß wortlos da und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis man wieder ein hüpfendes und scharrendes Geräusch hört, welches der Wächtervogel auf dem steinigen Boden hinterließ, wenn er in großer Eile in seiner außergewöhnlichen, hüpfenden Gangart zurückgelaufen kam. Außer Atem berichtete er, dass die Echsen an zwei weiteren Stellen einen Durchbruch geschafft hatten und diese diesmal nur mit Feuer und brennendem Öl zurückgetrieben werden konnten.
"Verschließt die Löcher augenblicklich mit Felsen", befahl Tikra und der Wächtervogel hüpfte mit scharrenden Geräuschen davon.
"Bereitet alles für den Aufbruch vor, wir haben keine Zeit zu verlieren", sagte Tikra in die Runde und die Vögel nickten so dass ihre langen Schnäbel fast auf dem Boden aufstießen.
"Tikra, entschuldige, aber ich glaube nicht, dass uns der Weg tiefer ins Labyrinth retten wird", sagte jetzt Arthur.
Die Blicke der Vögel verfinsterten sich. Wie konnte dieser kleine Menschenjunge es wagen, den großen Tikra zu kritisieren und gar seine Entscheidungen in Frage zu stellen?
"Ich glaube, die Echsen sind sehr klug, Sie greifen jetzt von allen Seiten an und ich bin mir sicher, dass sie uns im Labyrinth aufspüren werden egal wie weit wir hier reingehen.“
„Wie kommst Du denn darauf, dass sie uns so einfach finden werden?“, schaltete sich jetzt Murkat ein, der die ganze Zeit aufmerksam geschwiegen hatte.
"Die Echsen in unserer Welt sind vielleicht nicht so schlau wie diese hier, aber ich weiß, dass Echsen sehr gut riechen können. Genau wie ihr können sie Fährten noch nach Tagen sehr genau verfolgen. Wenn wir mit dem ganzen Vogelvolk durch die Gänge flüchten, werden sie das merken und uns leicht verfolgen können. Außerdem werden wir mit der großen Menge an Vögeln sehr langsam sein."
Die Vögel schauten erstaunt zu Arthur und dann zu ihrem Anführer. Der starrte die beiden Kinder an. Arthur konnte in diesem Moment keinen Gesichtsausdruck bei Tikra erkennen. Nach einiger Zeit erhob er Kopf und Schnabel und sagte:
"Welche Möglichkeit siehst Du denn, um mein Volk zu retten? Du hast eine Vorstellung, sonst wärst Du nicht hierhergekommen", sagte Tikra wieder mit seiner ruhigen Stimme.
"Ich bin der Meinung, dass wir nur eine Chance gegen die Echsen haben, wenn wir die Unterwelt verlassen und uns an der Oberfläche einen neuen Lebensraum suchen", sagte Arthur.
Die Vögel rissen jetzt ihre gelben Augen auf und begannen merkwürdige Krächzlaute von sich zu geben. Tikra machte eine weite Bewegung mit seinem Flügel und die Gruppe kam wieder zur Ruhe. "Und weiter?", fragte Tikra.
Arthur begriff, dass sich in diesem Moment entscheiden würde, ob Arthur sein Ziel durchsetzen konnte oder ob er von den weiteren Entscheidungen über die Flucht ausgeschlossen werden würde. Alles hing jetzt davon ab, dass Arthur eine Lösung präsentierte, die zumindest soweit durchdacht war, dass es für die Vögel eine realistische Chance gab die nächsten Tage zu überleben und die zudem noch schnell umsetzbar sein musste.
"Wir brechen an die Oberfläche durch, und sprengen dann den Gang hinter uns" erklärte Arthur. "Wir müssen noch bis in die Nacht aushalten, damit wir nicht gleich von den Keloten entdeckt werden und suchen uns dann im Schutze der Dunkelheit erst mal ein neues Versteck."
Arthur wusste, dass seine Erklärungen nicht tieferen Fragen standhalten würde. Zum einen konnte er an der Oberfläche noch keinen sicheren Platz bestimmen an dem sie dann am Tag unentdeckt wären, zum anderen war Arthur noch nie an der Oberfläche gewesen, jedenfalls nicht an dieser. Tarik, der aufmerksam zugehört hatte, zupfte sich an der Nase und wurde blutrot im Gesicht, als er merkte, dass einer der ältesten Vögel in schon seit einer Weile musterte.
"Die Oberwelt ist zu gefährlich", bemerkte jetzt der Vogel, der Tarik beobachtet hatte. "Der Junge kennt unsere Welt nicht und Du solltest keine Zeit mit seinen Ideen verschwenden“, sagte der Vogel jetzt zu seinem Anführer Tikra.
Da ertönte erneut das Alarmhorn und nach kurzer Zeit wurde Meldung gemacht, dass an drei weiteren Stellen die Echsen erfolgreich abgewehrt und die Durchbrüche verschlossen werden konnten. Allerdings waren dabei die letzten großen Felsen verbraucht worden. Die Wächtervögel hatten zwar begonnen, aus den zwei Kilometer entfernten Steinbrüchen neue Felsen herbeizuschaffen aber dazu brauchten sie sehr viel Zeit, die die Vögel nicht mehr hatten. Die Schaufelgeräusche waren jetzt an so vielen stellen laut zu hören, dass klar war, dass die nächsten Durchbrüche nicht mehr verschlossen werden konnten. Die Zeit lief ab.
"Tikra, habt ihr nicht von Euren nächtlichen Ausflügen an der Oberfläche einen Platz gesehen, an dem wir uns zumindest kurze Zeit verstecken könnten?", fragte Tarik mit leiser und verunsicherter Stimme, nachdem er seinen ganzen Mut zusammengenommen hatte. "Holt Gertan herbei, schnell", befahl Tikra und der Vogel kam alsbald herbei gehüpft. Gertan war kleiner als die anderen Vögel hatte aber ein prächtiges Gefieder das in den buntesten Farben schillerte. Dazu trug er einen schwarzen Schnabel. Gertan wurde jetzt befragt. Er war derjenige, der die meisten nächtlichen Ausflüge an die Oberfläche gemacht hatte und nachts mit Speer bewaffnet so manches Tier als Festtagsbraten zu den Dilong hinab gebracht hatte. Nach kurzer Diskussion, Gertan fasste sich sehr sachlich, erzählte dieser, dass er einen dichten Wald nicht weit vom Ausgang nach oben gesehen hatte, den er mehrere Nächte auf der Suche nach Wild durchquert hatte. Dabei war er aber nie auf feindliche Lebewesen gestoßen. Der Wald war zudem noch mit dichtem und starken Holzgewächsen eingesäumt, so dass auser einem Vogel niemand so leicht hineinkommen konnte. Gertan setzte sich an Tikras goldenen Tisch und verzeichnete den Wald und all das, was er von der Umgebung oben gesehen hatte in eine Karte. Anschließend krächzte er und schritt in majestätischer Weise auf seinen langen dünnen Beiden zur Tür hinaus.
"Wir werden jetzt erneut beraten", und Euch nachher Bescheid geben", sagte Tikra und wies Arthur, Tarik und die Wächtervögel mit seiner Flügelbewegung an, hinauszugehen.
"Meinst Du, sie werden auf Dich hören", fragte Tarik seinen Freund? "Ich weiß es nicht aber ich weiß, dass ich nicht tiefer in diese Unterwelt hinabsteigen werden. Unsere Rettung finden wir an der Oberfläche und nicht hier unten", sagte Arthur und ging zurück zu ihrem Zimmer.
Nach einiger Zeit wurden Sie von einem Wächtervogel abgeholt und erneut zu Tikras Gemächern geführt. Der Rundsaal war jetzt leer bis auf Tikra, der wieder hinter seinem goldenen Tisch saß und jetzt das Wort erhob:
"Wir habe uns beraten und wir haben beschlossen, Deinem Rat zu folgen und unsere Zukunft an der Oberfläche zu suchen.
Wollt Ihr, Arthur und Tarik die Führung der Kindervögel übernehmen?“ „Es ist wichtig, dass jetzt alle gemeinsam schnell durch unseren kleinen Gang nach draußen kommen, bevor die Echsen weitere Durchbrüche schaffen. Wir werden eine Gruppe Wächtervögel bis zuletzt zurückbelassen, die dann am Ende durch den Gang schlüpfen und vorher die Sprengung des Gangs einleiten.“
"Das übernehmen wir gerne", sagte Arthur stolz.
In seiner Welt zu Hause war Arthur eher der Außenseiter und jetzt wurde ihm Verantwortung übertragen. Er spürte ein sehr gutes Gefühl und dass er ernstgenommen. Jetzt ging alles sehr schnell. Tikra hatte auch noch andere Vögel instruiert und jeder dieser Vögel organisierte seinen eigenen Bereich. Nach weiteren Minuten waren alle Vögel in Gruppen im großen Saal versammelt, bereit ihre bisherige Welt aufzugeben und durch den schmalen Gang ins Ungewisse zu gehen. Inzwischen war es draußen tiefste Nacht geworden und die Wächtervögel hatten an all den Stellen Position bezogen, an denen ein weiterer Durchbruch der Echsen erwartet wurde. Mit Speeren, Fackeln und brennbarem Öl bewaffnet warteten diese Helden auf ihre überlegenen Feinde. Jetzt gab Tikra das Zeichen zum Aufbruch und die ganze Gruppe setzte sich in Bewegung. Arthur und Tarik waren mit den Kindervögeln an die letzten in der Reihe, da Tikra sich erst überzeugen wollte, dass oben keine Gefahr lauerte, bevor die Kleinen nach oben stiegen. Die Truppe setzte sich in Bewegung und zwei Vögel versorgten die Wände mit frischen Fackeln damit die Echsen, falls sie langsam durch die Wände kamen nicht gleich merkten, dass die Vögel auf der Flucht waren. Arthur und Tarik waren erstaunt, wie viele Vögel jetzt in der großen Halle versammelt waren. Sie strömten aus allen Richtungen herbei. Die Wächtervögel öffneten ganz vorne ein Tor, und gaben den Weg in einen Gang frei, der nach einer halben Stunde Fußmarsch und einem steilen Aufstieg am Ende schließlich an die Oberfläche führte. Tikra hatte erzählt, dass der Ausgang oben in einen hohlen Mammutbaum mündet und der Ausgang so von außen kaum zu entdecken war. Zudem hatten ihn die Vögel nach ihren nächtlichen Ausflügen stets mir allerlei Gras und Erde getarnt.
„Was wird uns da oben wohl erwarten?“, fragte Tarik.
„Es ist Nacht da oben, wir werden uns direkt zum Wald begeben“, sagte Murkat, der zu ihnen gekommen war um nachzusehen, ob auch alle Kinder vollzählig waren. Nachdem er fertig war, nickte er den beiden Freunden zu und hüpfte Richtung Ausgang wo er noch andere Aufgaben zu erledigen hatte. Jetzt waren die Vögel vor ihnen auch schon losmarschiert und es war an der Zeit, mit den Vogelkindern nach draußen zu gehen. Jedes der Kinder hatte eine kleine Tasche um den Hals gehängt in der es Proviant für die nächsten zwei Tage mit sich trug. Niemand war sich sicher, ob man an der Oberfläche gleich Nahrung finden würde. Die Vögel hatten sich während ihren nächtlichen Erkundungsflügen an der Oberfläche nie weit vom Ausgang weggewagt und so gab es auch Nächte, an denen Sie trotz größter Mühe beim Jagen keinen Erfolg hatten. Arthur und Tarik teilten sich jetzt auf. Arthur lief vorne weg und die Kinder folgten ihm. Tarik bildete den Schluss der Gruppe damit keiner zurück blieb. Als Sie durch das Tor traten, bekam Arthur und jeder zweite Vogel eine Fackel. Die Ludt war angenehm kühl und Arthur sog die frische Luft ein. Im gleichem Moment gab es einen dumpfen Schlag.
„Hast Du das gehört?“, fragte Tarik, der sich durch die Menge an Kindervögeln nach vorne durchgedrängelt hatte.
„Sie haben das Tor geschlossen“, sagte Arthur. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Du muss hinten auf die Kinder aufpassen!“
Tarik war sofort wieder nach verschwunden und nahm wieder seinen Platz am Ende der Gruppe ein.
„Spürt ihr den Luftzug?“, fragte Murkat.
Die Atmosphäre draußen war irgendwie gruselig. Alle Vögel hatten ihre Fackeln oben am Ausgang wieder löschen müssen, weil Tikra es für zu gefährlich ansah, mit den vielen Lichtern auf der Oberfläche herumzuspazieren. Wie leicht konnten sie von einer Truppe Keloten oben überrascht werden. Wichtig war nun, dass alle dicht zusammenblieben und ganz leise waren. Keiner der sonst so lebendigen Vögel ließ einen Ton hören und die Gruppe erinnerte an eine stille Prozession, die jetzt von Tikra angeführt über Wiesen und Felder in die Dunkelheit marschierte. Nach einer halben Stunde Fußmarsch wurde eine großen schwarze Wand sichtbar und als die Gruppe näher herankam konnten die Abenteurer erkennen, dass sie vor einem dichten Wald standen, der schwarz und undurchdringbar erschien. Tikra führte die Gruppe am Rand des Waldes entlang und blieb nach einiger Zeit stehen.
„Koan und Tekret, die Leiter“, befahl Tikra und augenblicklich traten zwei sehr große Vögel hervor. Die beiden verschwanden im dunklen Unterholz und schleppten dann eine baumhohe Leiter herbei. Tikra hatte ihre Flucht also genauestens vorbereitet, dachte sich Artur jetzt. Der schlaue Vogel war natürlich mit der Gruppe erst losgelaufen als er sicher war, dass sie eine sichere Bleibe gefunden hatten. Die Vögel mussten also schon in der Nacht zuvor die Vorbereitungen getroffen haben und sie hatten auch die Leiter bereits organisiert, damit die Vögel über die Hecke aus dichten Bäumen klettern konnte.
„Warum fliegt ihr nicht einfach herüber?“, fragte Tarik Murkat, der jetzt wieder neben ihnen stand.
„Wir können zwar über die Mauer aus Bäumen fliegen, aber was du jetzt noch nicht sehen kannst ist, dass die Bäume im ganzen Wald so dicht ineinander gewachsen sind, dass wir bei Nacht nicht gefahrlos hindurch fliegen können. Unser Ziel ist auch zu weit entfernt als dass die kleinen soweit fliegen können. Und übrigens könnt Ihr beiden auch nicht fliegen“, bemerkte Murkat lächelnd.
Die Leiter wurde an einer vorbereiteten Stelle angelegt. Die ersten Vögel hüpften in lockeren Sprüngen hinauf und verschwanden auf der anderen Seite.
„Klar die Vögel haben ja keine Angst herunterzufallen, sie können ja fliegen“, meckerte Tarik vor sich hin.
Er war nun an der Reihe über die Leiter zu steigen. Die Sprossen der Leiter waren für ihn sehr weit auseinander und er wollte fast schon protestieren, als ihm Murkat von hinten Hilfestellung gab. Der kräftige Vogel schob Tarik einfach nach oben so dass dieser keine Mühe hatte, sich festzuhalten und schließlich über die Kante der Leiter über eine zweite Leiter, die er dort vorfand, nach unten zu klettern. Nach wenigen Minuten waren alle Vögel auf der anderen Seite und die Leitern wurden entfernt. Tikra führe die Gruppe nun wieder an und sie gingen immer tiefer in den dunklen Wald, bis sie an eine große Lichtung kamen. Die Lichtung bestand aus weichem aber trockenem Boden und Arthur und Tarik waren froh, dass sich die Vögel endlich niedersetzen und sie sich ausruhen konnten. Arthur hatte in der Schule gelernt, dass Vögel stets im Stehen schlafen aber die Vertreter dieser Art legten sich jetzt der Länge nach hin und regten sich schon nach wenigen Minuten nicht mehr. Arthur und Tarik legten sich nebeneinander und dachten über die Ereignisse der letzten Stunden nach.
„Meinst Du, die Echsen sind jetzt schon alle im großen Saal?“, fragte Tarik.
„Bestimmt sind sie schon durchgebrochen und wundern sich jetzt, wo wir alle hin verschwunden sind“, erwiderte Arthur.
„Meinst Du sie könnten uns verfolgen?“, wollte Tarik wissen.
„Keine Angst, wir haben falsche Spuren in verschiedenen Gängen gelegt, so dass uns die Echsen in den Tiefen der Unterwelt suchen werden“, hörten die beiden Murkat flüstern, der ihnen genau zugehört hatte und den sie vorher gar nicht bemerkt hatten. Jetzt waren die beiden erst mal etwas beruhigt und schliefen bald darauf ein. Am nächsten Morgen schien die Sonne schon hell am Himmel als Arthur und Tarik aufwachten. War das ein schöner Anblick. Arthur und Tarik hatten schon seit so langer Zeit kein Tageslicht mehr gesehen, dass ihre Augen zuerst völlig geblendet waren. Trotzdem war es ein so schönes Gefühl nach der langen Zeit in den Höhlen die wärmende Sonne auf der Haut zu spüren.
“Was machen denn die ganzen Vögel da vorne?“, fragte Arthur einen der Wächtervögel.
„Sie bauen Häuser“, krächzte dieser und hüpfte schon wieder davon. „ „Nein, ich glaub sie bauen Nester“, rief Tarik hinter ihm und konnte sich kaum halten vor Lachen.
Arthur und Tarik liefen jetzt zum Rand der Lichtung um sich das hektische Treiben der Vögel genauer anzusehen. Arthur konnte kaum glauben, mit welcher Präzision und Geschwindigkeit die Vögel arbeiteten. Es waren gewiss über zweihundert Vögel, die im Wald standen und mit ihren Schnäbeln Bäume durchknabberten, Stämme hin-und hertrugen, und Gras schnitten. Eine andere Gruppe war damit beschäftigt, die vorbereiteten Teile zusammenzusetzen. Wieder traute Arthur seinen Augen nicht. Wie konnten es die Vögel schaffen, aus den Stämmen genau passenden Bauteile herzustellen? Man konnte bald darauf bereits ganze Wände erkennen, die die Vögel an mehreren Plätzen gleichzeitig errichteten. Auch der Boden der Häuser wurde wie mir einem Fundament versehen indem die Vögel dünnere Stämme aneinander flechteten und die Zwischenräume mit passenden kleineren Ästen ausfüllten, so dass sich ein recht glatter Boden ergab.
„Schau mal da drüben setzen sie schon ein Dach drauf“, rief Tarik mit großen Augen.
Tatsächlich war jenseits der Lichtung ein großes Haus erkennbar und etwa zwanzig Vögel, die ein auf die bereits stehenden Grundmauern ein Gebälk aus Stämmen gesetzt hatten. Sie deckten gerade das Dach mit riesigen Pflanzenblättern. Dabei flogen sie unermüdlich im Kreis herum, nahmen Blätter mit ihren Krallen im Vorbeiflug auf und flechteten diese dann oben ins Dach hinein. Dann schossen sie wieder vom Dach herab und das Spiel ging von neuem los. Nach kürzester Zeit, war das Dach geschlossen und die Vögel flogen rastlos zum nächsten Grundstück.
„Lass uns mal das Haus genauer anschauen“, sagte Tarik und zog Arthur hinter sich her.
Die beiden gingen einmal um das neue Bauwerk herum und fanden auf der Rückseite eine Türe, die ebenfalls aus Holz gearbeitet war und die die Vögel offenbar mit den Schnäbeln so bearbeitet hatten, dass sie von außen glatt war und ohne Spalt mit dem Türrahmen abschloss. Arthur drückte gegen die Tür und sie gingen hinein. „Sieht eigentlich gemütlich aus“, bemerkte Arthur und blickte jetzt nach oben von wo aus Licht ins Haus kam. Die Vögel hatte oben am Dachansatz geschickte Fenster eingearbeitet, die vom Dach überdeckt wurde, so dass kein Regen hereinkommen konnte. Arthur und Tarik waren begeistert und nachdem sie wieder herausgegangen waren meldeten sie sich bei Murkat um beim Hausbau mitzuhelfen. Murkat freute sich über die Unterstützung der beiden und gab jedem eine Aufgabe. Tarik durften beim Entfernen der Rinde helfen und Arthur beim Markieren der Fundamente. Der Hausbau ging in gleichem Tempo weiter und am Abend waren schon über zwanzig Häuser bezugsbereit. Arthur und Tarik fühlten sich sehr geehrt, denn sie bekamen ein kleines aber eigenes Haus in zweiter Reihe auf der Lichtung.
„Wir müssen uns noch einrichten und ein paar Möbel beschaffen“, sagte Tarik eifrig und die beiden schafften noch vor Sonnenuntergang etwas Stroh und lange Gräser herbei um für die Nacht ein weiches Lager zu haben. Als sie dann in der Dämmerung vor ihr Haus traten, sahen sie wie fünf Wächtervögel angeflogen kamen und in ihren klauen komische rundliche Tiere trugen. Die Beute sah aus wie eine Mischung aus Wildschwein und übergroßem Hase. In der Mitte der Lichtung wurde jetzt ein Lagerfeuer entzündet und bald duftete es nach herrlichem Braten, der über dem Feuer auf einem Spieß gegrillt wurde. Arthur und Tarik lief das Wasser im Mund zusammen und sie konnten es kaum erwarten bis sie jeder ein riesengroßes Stück des saftigen und knusprigem Bratens in den Händen hielt. War das ein Festmahl nach den vielen vegetarischen Mahlzeiten, die die beiden in der Unterwelt verzehrt hatten, da Fleisch dort unten nur selten beschafft werden konnte. Klarstes Wasser wurde dazu aus ausgehölten Holzblöcken getrunken, welches die für das Kochen zuständigen Vögel aus einem nahen Bach herbeigeholt hatten. Arthur und Tarik saßen noch lange am Lagerfeuer bevor sie die erste Nacht in ihrem neuen Haus verbrachten Sie schliefen in dieser Nacht so tief, wie es schon lange nicht mehr möglich gewesen war. Am nächsten Tag gingen die Bauarbeiten weiter. Es waren nochmal fünfzig Häuser zu bauen und viele der Vögel hatten die letzte Nacht noch im Freien verbracht. Arthur und Tarik halfen wieder eifrig mit und am Nachmittag waren schon wieder dreißig neue Häuser fertiggeworden. Inzwischen war die Lichtung schon zu einem kleinen Dorf geworden. Die beiden Buben liefen durch ihren neuen Wohnort und trafen unten am Bach auf Tikra und Murkat, die sich dort mit ein paar der älteren Vögel zurückgezogen hatten.
„Morgen beginnen wir mit dem Außenwall“, hörten die beiden Tikra sagen und setzten sich einfach in die Runde.
Arthur und Tarik erfuhren, dass Tikra beschlossen hatte, dass eine Schutzmauer zur Verstärkung der Bäume außen um ihren Wald herum errichtet werden sollte, sobald die letzten Häuser heute fertiggestellt worden waren.
„Glaubst du wir sind hier in Gefahr?“, fragte Arthur.
„Wir wissen zu wenig über die Oberwelt und ihre Bewohner und können nicht vorsichtig genug sein. Wenn uns die Keloten entdecken, ist es wichtig, dass wir eine Festung haben, die wir in jedem Fall verteidigen können. Wir werden deshalb morgen mit der Absicherung unseres Dorfes beginnen bevor uns jemand entdeckt“, sagte Tikra mit seiner ruhigen Stimme.
Jetzt bemerkte Arthur, dass er Tikra falsch eingeschätzt hatte. Hatte er doch in der Höhle gedacht, dass der Anführer der Vögel ratlos sei und durch seine Unentschlossenheit alle in Gefahr bringen würde. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Dieser Vogel war äußerst berechnend und hatte die Situation vollständig unter Kontrolle. Arthur war sehr zufrieden als er dies erkannte weil sie sich beide dadurch auch wesentlich sicherer fühlen konnten. So waren die nächsten Tage, Tage der Entspannung und Arthur und Tarik genossen es, am Bach zu spielen oder den Vögeln ein paar Stunden bei der Verstärkung der Außenmauern zu helfen. Die Vögel gruben dazu Steine aus einem Waldstück aus und rührten aus rotem Lehm und anderen Substanzen, die sie aus der Erde ausgruben eine Art Zement zusammen. Mit diesen Hilfsmitteln mauerten sie eine beindruckende baumhohe Mauer um den ganzen Wald herum. Keloten konnten dort nicht durchdringen, wie auch immer sie aussehen mochten, da waren sich beide Kinder sicher. In den nächsten Tagen machten Tarik und Arthur eigene Erkundungsgänge in ihrem Wald. Sie entdeckten einen weiteren glasklaren Fluss aus dem man trinken konnte. Viele bunte Fische schwammen umher und Tarik hatte bald verschiedene Techniken entwickelt um für die ganze Gruppe ein reichhaltiges Abendessen zu fangen. Er hatte sich von den Vögeln ein großes Netz ausgeliehen mit dem die Dilong normalerweise auch Tiere im Wald fingen und legte dieses Netz an einer Engstelle im Fluss so aus, dass der Weg nach oben versperrt wurde. Nun begann er die Fische flussaufwärts in Richtung des Netzes zu treiben, indem er große Steine in den Fluss warf. Nach einiger Zeit konnte er dann das Netz an vier Seilen, die er an alle vier Ecken gebunden hatte herausziehen. Meistens fing er dabei zehn bis zwanzig der bunten Fische und manchmal waren auch sehr große Exemplare dabei. Arthur hatte sich eine seichte Stelle gesucht und ging dort auch mit einem hölzernen Speer auf Fischfang. Zuerst war er noch zu langsam und verfehlte die Fische immer um ein Haar. Später aber schlich er sich vorsichtiger an und warf den Speer dann gezielt. Dabei vermied er es einen Schatten aufs Wasser zu werfen. Auf diese Weise fing er ebenfalls einige große Fische. Die Dilong waren in der Zwischenzeit nicht untätig und versuchten sich mit der Jagd auf die Tiere, die sie im Wald vermuteten. Dazu banden sie Netze an Bäume, die sie so zurückbogen und spannten, dass das Netz in die Höhe gerissen wurde wenn ein Tier übers Netz lief und so einen Mechanismus auslöste, der durch ein kleines verstecktes Seil verbunden war. Allerdings stellte sich auch nach ein paar Tagen nicht der gewünschte Erfolg ein.
Am nächsten Tag saßen alle beim Frühstück welches genau wie an den anderen Tagen aus Früchten und getrocknetem Fisch bestand. "Wir müssen außerhalb unseres Waldes jagen gehen“, bemerkte Sirgut der als Jäger die ganzen letzten Tage im Wald verbracht hatte.
„Hier gibt es einfach keine Tiere und ich möchte doch so gerne mal wieder einen leckeren Braten essen", fuhr er fort.
"Das wäre aber sehr gefährlich“, bemerkte Murkat, der gerade eine Orange im Schnabel zerkaute.
“Wenn wir über die Mauer steigen, dann müssen wir das jedenfalls in der Nacht machen, schmatzte Murkat.
Gesagt getan, eine kleine Gruppe von Vögeln, angeführt von Sirgut wurde instruiert, wie sie am Abend über die Mauer steigen sollten um dann mit Netzen und Speeren ausgerüstet gute Beute zu machen. Dazu stellten Murkat und Tikra einen genauen Flugplan auf, den Sirgut sich genau einprägte. Er war ja noch nie außerhalb des Waldes geflogen und es war äußerst wichtig, dass er sich nicht verirrte.
"Ihr müsst darauf achten, nicht zu tief aber vor allem nicht zu hoch zu fliegen, sonst können Euch die Keloten oder andere Feinde von unten leicht erkennen und Euch dann eine Falle stellen.“
Tikra verteilte am Abend die Netze und warnte die Gruppe nochmal eindringlich sehr vorsichtig zu sein und beim geringsten Anzeichen von Gefahr direkt über die Mauer zu fliegen. Murkat hatte nämlich ein paar Wächtervögel beauftragt, an einer bestimmten Stelle eine kleine Schneise in die Bäume über der Mauer zu schneiden, so dass die Vögel bei ihrer Rückkehr direkt hindurch fliegen konnten.
"Wir legen heute Abend die Netze aus und morgen kontrollieren wir sie dann", erklärte Murkat den beiden Kindern Arthur und Tarik, die neugierig herbeigelaufen waren. Besonders Arthur hörte aufmerksam zu, da er selbst bereits immer wieder darüber nachdachte, dass es wohl allmählich Zeit wäre die Suche nach den Wissenschaftlern aufzunehmen. Schließlich wollten sie nicht für immer in diesem Wald bleiben.
"Es sieht so aus als ob wir hier in unserem Wald ganz alleine sind“, sagte Tarik in die Runde.
"Wenigstens lauern hier keine Echsen oder anderes Getier auf uns“, entgegnete Arthur.
Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen und man konnte in den Bäumen allerlei merkwürdige Geräusche hören. Es knisterte und krächzte, aber sehen konnte man nichts. "Es gibt also doch Tiere hier im Wald", flüsterte Tarik, aber keiner hörte ihm zu. Ein Rauschen lag in den Bäumen, es war Wind aufgekommen. Ein paar der Vögel berieten darüber wie stark der Wind wohl noch werden würde und bei welcher Stärke man wohl nicht mehr fliegen könnte. Da versammelte sich auch schon die von Tikra eingeteilte Gruppe von Jägern und Wächtervögel am Lagerfeuer um die letzten Instruktionen der Anführer entgegen zu nehmen. Als die Truppe in Richtung der Schutzmauer marschierte, schlichen Arthur und Tarik heimlich hinterher. Sie waren neugierig und wollten unbedingt als erste wissen, was nachts hinter der Mauer vor sich ging. Es war schon lange dunkel geworden und nur ein paar Sterne leuchteten ihnen den Weg.
"Lass uns genug Abstand halten", flüsterte Arthur seinem Freund zu und lief jetzt langsamer.
Als sie noch weiter aufgeholt hatten, liefen die beiden stets von Baum zu Baum damit sie nicht von den Vögeln vor ihnen gesehen werden konnten. Tatsächlich drehte sich der letzte der Gruppe immer wieder nach hinten herum. Vermutlich waren die Vögel genauso aufgeregt wie die beiden Kinder und so ganz sicher war sich schließlich doch keiner der Dorfbewohner dass nicht noch eine Überraschung in ihrem Wald auf sie lauerte. Aber nur das Rauschen des Windes in den Bäumen und hier und da ein Knacken am Boden wenn eines der Kinder auf einen Ast trat, begleitete sie auf ihrem Weg. Schließlich konnten sie erkennen, dass die Vögel in einiger Entfernung angehalten hatte.
"Sie stehen vor der Mauer", sagte Tarik leise.
"Lass uns noch dichter heranschleichen“, erwiederte Tarik und schlich mit vorsichtigen Schritten weiter. Sie waren, gemessen an der kurzen Entfernung sehr lange unterwegs gewesen, bis sie endlich eine kleine Mulde erreichten, die rundherum von dichtem Farn umgeben war. Dort krochen die beiden rein und konnten so aus nächster Nähe zu den Vögeln, alles mit anschauen was da vorne vor sich ging.
"Klettert jetzt los", hörten sie einen der Vögel krächzen und die Gruppe hievte daraufhin die Netze über die Mauer.
Anschließend hüpfte einer nach dem anderen die Leiter hoch und verschwand in der Dunkelheit. Zu ihrer Verwunderung war kein Vogel an der Leiter zurückgeblieben, offenbar waren alle mitgegangen. Nach einigen Minuten kroch Arthur vorwärts.
"Bleib lieber hier", hörte er noch Tarik hinter sich flüstern aber er war bereits aus dem Gebüsch herausgetreten und stand nur noch wenige Metern von der Leiter entfernt, die noch immer an der Mauer lehnte. Tarik stand wenige Sekunden später hinter ihm als Arthur die Leiter hochkletterte.
"Was siehst Du?", fragte Tarik von unten, als Arthur mit dem Kopf über die Mauer spähte.
"Da vorne ist eine große Wiese mit ein paar Bäumen und weiter hinten kann ich einige Felsen erkennen", antwortete Arthur nach unten. "Komm wieder runter“, zischte Tarik, dem sein Platz am Fuß der Leiter und so ganz im Dunkeln unbehaglich wurde.
Arthur sah nochmal zu den Felsen rüber und fasste dann mit Hand nach der nächsten unteren Stufe um wieder herabzuklettern. Im gleichen Moment schreckte er auf. Was war das für ein Schnauben gewesen?
"Tarik, dort drüben ist etwas", sagte Arthur mit zittriger Stimme und linste nochmal über die Mauer.
Tarik unten, zappelte vor Aufregung mit den Beinen aber das konnte Arthur, der oben auf der Leiter stand nicht sehen. Was Arthur aber sehen konnte, ließ ihn zusammenfahren. Direkt unter der Mauer auf der anderen Seite stand jetzt etwas großes Dunkles. Was es genau war konnte Arthur noch nicht erkennen, aber es reichte bis zur Hälfte der Mauer hoch und schien einen großen Körper wie ein Elefant oder ein Nashorn zu haben. Jetzt bewegte sich das Wesen und drehte sich einmal um die eigene Achse. Arthur blickte in zwei riesige leuchtende rote Augen, die ihn anglotzten.
"Was ist denn da drüben?", rief Tarik wieder nach oben aber Arthur war unfähig ein Wort über die Lippen zu bringen.
Das Wesen schnaubte wieder und wieder und sein stechender Blick wich nicht von Arthur. Es gab keinen Zweifel, das Wesen hatte Arthur auch gesehen. Arthur stolperte die Leiter herunter und rannte an seinem Freund vorbei in Richtung ihres Dorfes.
"Komm schnell, lass uns bloß verschwinden", hörte Tarik den Freund schreien und ließ sich das nicht zweimal sagen.
Die Kinder rannten durch den dunklen Wald und blieben erst stehen, als sie ihre Blockhütte erreicht hatten. Sie stürmten hinein und verrammelten die Türe mit allem was sie an Möbel und schweren Gegenständen finden konnten. Erst jetzt fühlten sie sich sicherer und setzten sich auf ihr Lager.
"Das war knapp", keuchte Arthur, der nach dem langen Lauf noch außer Atem war.
„Was hast Du denn da drüben gesehen?", wiederholte sich Tarik nun erneut.
"Da drüben war ein riesige Wesen mit großen roten Augen und hat mich wütend angeschaut.“
„Hast Du das Schnauben gehört?“
Tarik starrte vor sich hin und fing dann an zu jammern.
"Ich will nach Hause, ich will hier nicht gefressen werden.“
„Du hast Recht“, sagte Arthur, der sich jetzt wieder gefasst hatte. "Aber dazu müssen wir dort raus und wer weiß, welche Kreaturen außerhalb ihr Unwesen treiben.“
„Aber hierbleiben können wir auch nicht.“
„Ich muss nachdenken", sagte Arthur und ließ sich nach hinten auf sein Kissen fallen das er sich aus besonders weichen Gräsern und Farnen unter Anleitung einem der Baumeistervögel gebastelt hatte.
"Hoffentlich sind die Dilong nicht auf diese Kreaturen gestoßen, die sehen nicht gerade freundlich aus", seufzte Arthur noch bevor er eindöste.
Am nächsten Morgen traten die beiden Buben früh vor ihr Haus. Sie wollten unbedingt wissen, wie es den Dilong beim Fallenstellen ergangen war. Beide hatten beschlossen, den anderen Vögeln erstmal nichts von ihrem Erlebnis auf der Leiter zu sagen. Arthur wollte unbedingt vermeiden, dass Tikra und Murkat mitbekommen könnten, dass er bereits plante, das sichere Dorf zu verlassen um die Wissenschaftler dort draußen zu finden. Bereits in der Unterwelt hatte Tikra versucht, die Wissenschaftler am Fortgehen zu hindern und Arthur war sich sicher, dass die Vögel auch Tarik und ihn aufhalten würden. Außerdem war der Plan doch zunächst nur eine Idee und noch viel zu ungenau als dass Ihnen jetzt schon jemand kennen sollte. Als sie den großen Versammlungsplatz betraten, der zentral zwischen den Häusern angelegt worden war, sahen die beiden zu ihrer Erleichterung einige der Vögel stehen, denen sie gestern hinterhergeschlichen waren. "Wie ist es Euch gestern ergangen?", fragte Arthur in die Runde.
"Einer der Jägervogel mit prächtigem regenbogenfarbigem Gefieder drehte sich um und antwortete:
"Wir haben alle Fallen aufgestellt und haben uns dann auf den Rückweg gemacht. Weil aber Sirgut sich den Flügel beim Landen verstaucht hat, mussten wir zu Fuß zurücklaufen. Wir sind dann erst heute Morgen im Morgengrauen zurückgekommen und Tikra und Murkat haben uns von innen geholfen, Sirgut über die Mauer zu ziehen. Heute Abend ziehen wir dann erneut los, und kontrollieren unsere Fallen. Ich glaube wir haben hier ein schönes neues Zuhause gefunden", sagte der farbenfrohe Vogel.
Arthur nickte zustimmend und verzog dann das Gesicht, als er sich zu Tarik umdrehte. War es doch nur ein glücklicher Zufall gewesen, dass das merkwürdige große Wesen nicht mehr da war, als die Vögel wieder über die Mauer zurückkletterten.
"Meinst Du nicht, dass wir ihnen von dem Wesen erzählen sollten", fragte Tarik, der sich jetzt mehr darauf freute, im Mittelpunkt zu stehen und sich die Bewunderung der Vögel in Gedanken vorstellte. Aber Arthur hatte dabei ganz andere Sorgen. Was würde passieren, wenn das Wesen, das ihn so angeglotzt hatte ein Kelot war und jetzt bekannt war, dass sich im Wald neue Bewohner angesiedelt hatten? Arthur fühlte sich unwohl und ausgeliefert, und es war fast das gleiche Gefühl, das er hatte, als sie in der Höhle bemerkten, dass die Echsen zu ihnen vorzudringen versuchten. Er musste etwas unternehmen. Was genau, das wusste Arthur noch nicht, aber klar war, dass die Zeit gegen sie spielen würde. Nach dem Mittagessen hatte Arthur einen Entschluss gefasst. Er würde Tikra von seiner Entdeckung erzählen auch wenn seine Pläne damit noch schwerer umzusetzen sein würden, als sie ohnehin schon waren. Die Vögel konnten sonst in Gefahr kommen und das wollte Arthur nicht zulassen. Arthur ging jetzt entschlossenen Schrittes auf das Haus des Anführers Tikra zu. Er überquerte die hölzerne Veranda, die besonders schön gefertigt worden war. Am Türrahmen konnte Arthur sogar aufwändige Schnitzereien erkennen, die verschiedene Tier zeigten. Die meisten davon kannte Arthur nicht. Es war schon eine komische Welt, in die sie da unfreiwillig rein gespült worden waren. Er klopfte und öffnete dann die schwere Holztür. Tikra saß an einem Tisch und Arthur dachte in dem Moment an die Situation in der Unterwelt, als er damals schon einmal zu Tikra gegangen war um ihn und sein Volk zu warnen.
"Was kann ich für Dich tun?", fragte Tikra mit seiner gewohnt freundlichen und warmen Stimme.
"Ich habe gestern etwas gesehen, von dem ich Dir unbedingt erzählen will“, sagte Arthur.
Der Vogel hob den Kopf und fragte:
„Du bist einer Kreatur begegnet?“
Arthur merkte, wie sich seine eigenen Augen weiteten. Dieser Vogel war raffiniert, schien er doch rein aus dem Verhalten und dem Ton von Arthur bemerkt zu haben, dass dieser auf etwas gestoßen war, das ihm Angst machte.
"Ja ich habe gestern eine Kreatur auf der anderen Seite gesehen. Tarik und ich waren den Jägern hinterhergelaufen und als ich über die Mauer schaute, sah ich unten eine riesige Kreatur mit großen roten Augen stehen.“
"Hat Dich das Wesen auch gesehen?", fragte Tikra mit ernstem Blick. "Ich glaube ja", gab Arthur zu.
"Weißt Du was das gewesen sein könnte? War das etwa ein Kelot?", wollte Arthur jetzt wissen?
"Nein ich denke nicht dass Du einem der Keloten begegnet bist aber was Du beschreibst könnte ein Felsenstier gewesen sein. Die Felsenstiere waren ursprünglich recht friedfertige Tiere aber auch sie wurden von den Keloten gejagt. Schließlich haben sie sich aus der Not heraus mit ihnen verbündet. Nunja, damit müssen wir davon ausgehen, dass unsere Gegenwart hier im Wald nicht mehr länger ein Geheimnis ist.
"Tut mir leid", stammelte Arthur aber der Vogel schaute ihn gutmütig an und erwiderte dann:
"Wir wären auch ohne Deine Begegnung von den Felsenstieren sicher schon bald entdeckt worden. Deswegen haben wir ja auch die hohe Mauer gebaut. Ich habe schon seit Wochen dreißig meiner Vögel den Auftrag gegeben, die Mauer mit Abwehreinrichtungen zu versehen, damit keiner von außen mit einer Leiter herüberklettern kann.“
"Aber davon habe ich gar nichts mitbekommen", sagte Arthur erstaunt und sah den Anführer dabei fragend an.
"Diese Gruppe arbeitet hauptsächlich nachts, Arthur. Ich möchte die anderen Vögel nicht beunruhigen, sie sollen erst mal ihre eigenen notwendigen Vorsorgen treffen. So sollen sie jetzt vor der heißen Jahreszeit eine Wasserleitung vom Fluss zum Dorf herüber bauen, damit wir unsere Felder bewässern können. Angst vor Überfällen würde dies alles nur verzögern.“
Arthur wollte die Gelegenheit nutzen, um mehr über die Wissenschaftler zu erfahren, die dort draußen irgendwo regierten und die er, wann auch immer, finden musste.
"Tikra, weißt Du eigentlich, wo die Wissenschaftler heute leben? Von wo aus regieren Sie die Oberwelt?“
Tikra sah Arthur mit prüfendem Blick an und Arthur dachte schon, dass der Vogel ihn erneut über die Gefahren aufklären würde, die sich ergeben würden, falls Arthur versuchen würde mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Aber es kam anders.
"Die Wissenschaftler leben weit im Norden der Oberwelt. Die Keloten hatten, als sie noch ihr eigenes Volk waren, einen großen Palast auf einem sagenumwobenen Berg gebaut. Man sagt, der Palast sei nur aus Marmor Gold und Silber aufgebaut und größer als jedes Schloss, welches man sich nur vorstellen kann", erzählte der Vogel.
„Schau nur Arthur dort oben leuchtet der rote Stern. Der rote Stern zeigt immer nach Norden. Von dort aus hat das ganze Schicksal seinen Lauf genommen. Die Wissenschaftler haben den Anführer der Keloten und seine gesamte Familie eingesperrt und sich des Schlosses bemächtigt. Von da an hat sich die Oberwelt verändert", fuhr Tikra fort.
"Aber woher wisst ihr das alles, Ihr habt Euch doch immer in der Unterwelt versteckt?“, wollte Arthur wissen.
"Das ist richtig, Arthur. Aber wir haben immer wieder unsere Späher nach oben geschickt, die ab und zu auf Sicks gestoßen sind. Die Sicks sind einige der wenigen Stämme, die es geschafft haben, sich eine Nische in der Oberwelt zu sichern und da sie nur nachts ihre Behausungen verlassen können sie da oben überleben."
„Wie schaffen das denn die Sicks? Was machen sie anders als ihr?", bohrte Arthur nach.
"Die Sicks sind Höhlenbewohner. Sie sehen aus wie große Maulwürfe und schlafen am Tag. Aber sie haben riesige unterirdische Gänge gegraben und sich inzwischen so ausgebreitet, dass sie einiges von dem mitbekommen, was da oben auch am Tage vor sich geht. Unsere Späher sind immer wieder bei nächtlichen Erkundungsflügen auf Sicks getroffen und konnten auch ab und zu mit ihnen sprechen.“
Dies waren interessante und wichtige Informationen für Arthur. Sein Besuch bei Tikra hatte sich jedenfalls gelohnt. Der Vogel sprach im Anschluss noch von allerlei Plänen, die er für das Dorf hatte, kam aber dabei nicht mehr auf die Wissenschaftler oder das Wesen der letzten Nacht zu sprechen. Tikra bedankte sich bei Tarik über dessen Auskunft und entließ ihn dann recht schnell. Arthur wunderte sich. Hatte ihn Tikra doch mit keinem Wort wegen des nächtlichen Ausflugs kritisiert. Arthur kehrte zurück zu ihrer Blockhütte und erzählte Tarik von seinem Gespräch mit dem Anführer der Dilong.
„Meinst Du wirklich, dass diese Schutzmaßnahmen ausreichen werden um zu verhindern, dass eines dieser komischen Wesen über die Mauer kommt?“, fragte Tarik, nachdem er erfahren hatte, an was die Dilong in der Nacht arbeiteten.
„Das sehen wir uns genauer an“, beschloss Arthur und die beiden liefen den gleichenWeg zur Mauer, den sie auch in der letzten Nacht schon eingeschlagen hatten.
Tatsächlich konnten sie jetzt am Tage erkennen, dass die Dilong ein ausgeklügeltes Sicherheitsystem aufgebaut hatten. Die Umgebungsmauer war bis auf die eine Stelle, an der die Vögel in der letzten Nacht herübergeklettert waren etwa einen Meter erhöht worden. Ganz oben hatten die Dilong offenbar eine Art Zement angemischt und jede dreißig Zentimeter angespitzte Pfähle ind die Mauer einzementiert. Die Pfähle waren Fünfundvierzigradwinkel nach außen gerichtet. Ein Übersteigen von außen schien jetzt unmöglich zu sein ohne dass sich das Wesen, wie auch immer es aussehen mochte aufgespießt hätte. Direkt innen an der Mauer hatten die Dilong eine Überdachung in halber Höhe angebracht die soweit das Auge reichte an der gesamten Mauer erstreckte. Direkt unter der Überdachung hatten die Vögel einen tiefen, etwa zwei Meter breiten Graben ausgehoben, der ebenfalls an der gesamten Mauer entlangging. Im Graben steckten die gleichen angespitzten Pfähle, die auch schon oben in die Mauer eingebaut worde waren. Zu ihrem Erstaunen erkannten die Kinder, dass in genau gleichem Abstand zur Mauer in regelmäßigen Abständen, Katapulte aus schwerem Holz aufgestellt worden waren, die mit großen Felsenblöcken geladen und gespannt waren.
„Das sieht aber gefährlich aus“, sagte Tarik und drehte sich nach Arthur herum. „Arthur?“
„Hier oben“, rief es aus den Baumwipfeln. Tarik schaute nach oben und lachte dann schallend los.
„Was machst Du denn da oben, besuchst Du etwa die Vögel?“, feixte Tarik.
„Hilf mir lieber“, knurrte es von oben.
Was war geschehen? Arthur war beim Betrachten der Mauer noch einen Schritt rückwärts zurückgegangen und hatte damit einen weiteren Schutzmechanismus der Dilong ausgelöst. Arthur wurde im Bruchteil einer Sekunden von einem Netz, welches sich getarnt unter seinen Füßen befunden hatte nach oben gerissen und nun hing er in seiner Falle oben in den Baum.
„Das kommt davon, wenn man einfach im Wald herumschleicht“, hörte Tarik eine Stimme hinter sich.
Es war einer der Wachvögel, die von Tikra beauftragt, an der Mauer Patrouille liefen und die jede Auffälligkeit sofort mittels eines Horns weiterzumelden hatten. Tarik war ganz aufgeregt und bemerkte wie etwas Angst in ihm aufkam. Der Vogel war ein sehr kräftiges Exemplar und bestimmt doppelt so groß wie Tarik selbst. Die Stimme des Dilong war sehr ernst.
„Dein Freund hat großes Glück gehabt, dass er nicht in eine der vielen anderen Fallen gelaufen ist, sonst wäre das schlimm für ihn ausgegangen.“
„Kannst Du ihm herunterhelfen?“, fragte Tarik mit ängstlicher Stimme? Der Vogel krächzte laut so dass sich Tarik die Ohren zuhielt und breitete dann seine mächtigen Flügel aus. Trotz der dicht verzweigten Äste katapultierte sich das mächtige Tier mit nur zwei Flügelschlägen hinauf zu Arthur und vermied dabei geschickt, einen der vielen Äste zu streifen. Mit seinem Schnabel hackte er zweimal auf eine Stelle des Baumes ein und löste damit eine Sperre, so dass das Netz nun herunter kam und dabei immer mehr beschleunigte. Bums! Da lag das Netz mit samt seiner Ladung auf dem Waldboden und man hörte ein „Autsch“ welches Arthur im Moment des Aufschlagens von sich gab. „Alles ok?“, erkundigte sich Tarik, der schon wieder ein Grinsen im Gesicht hatte. Arthur prüfte kurz seine Gliedmaßen und bestätigte dann:
„Ja alles noch dran.“
Der große Vogel war inzwischen wieder gelandet und baute sich jetzt mit ausgebreiteten Flügeln vor den beiden Freunden auf:
„Ihr kommt jetzt mit mir mit zum Anführer und dass Ihr immer genau hinter mir lauft, habt Ihr das verstanden?“, fragte der Vogel in drohendem Ton.
Arthur, der den riesigen Vogel erst jetzt genauer sehen konnte, hatte nicht weniger Respekt vor dem Tier als Tarik und nickte nur stumm. So ging es durch den Wald zurück in Richtung ihres Dorfes. Der Vogel blieb ab und zu stehen und zeigte den beiden Kindern die verschiedenen Fallen, die im Abstand bis etwa zehn Minuten Fußmarsch vor dem Dorf überall im Wald installiert waren.
„Seht Ihr dort drüben den Baum?“, fragte der Vogel während er seinen Hals um hundertachtzig Grad den Kindern zudrehte und dabei geradewegs weiterlief. „Wenn jemand zwischen diesem und jenem Baum dort drüben hindurchgeht, fällt von links ein mit Pfählen gespickter Hammer herunter.“
Die Kinder staunten.
„ Wie verhindert Ihr denn, dass Ihr nicht selber in eine Eurer Fallen tappt?“, wollte Arthur wissen.
„Das ist ein Geheimnis und Tikra hat befohlen, dass es niemand erfährt, der nicht am Bau beteiligt ist. Wenn der Feind diese Information in die Hände bekommt, ist unser Schutzsystem wirkungslos.“
Das war war einleuchtend und Arthur seufzte bei dem Gedanken, dass ein Verlassen der Dilong, um die Wissenschaftler aufzusuchen hierdurch nicht gerade erleichtert wurde. Als sie zurückkehrten, stand Tikra mit ein paar anderen älteren Vögeln am Lagerfeuer und wiedereinmal erkannte dieser sofort, was geschehen war. Der große Vogel wollte eben zum Bericht ansetzen, als Tikra das Wort zu allen Vögeln erhob, die sich in der Nähe des Feuers befanden:
„Dilong, hört mich an, wir haben zu unserem Schutz ein Schutzsystem im Wald aufgebaut, was es Angreifern unmöglich macht, in unseren Wald einzudringen und uns Schaden zuzufügen. Was aber für mögliche Angreifer gilt, müsst auch Ihr beachten. Wer außerhalb der roten Markierung unterwegs ist, die heute Abend durch den Wald gelegt wird, muss sich vorher bei mir melden. Dann wird ihn Euch einer der Wächtervögel begleiten. Dies lasse ich aber nur zu, wenn das Übertreten des inneren Bereichs unbedingt notwendig sein sollte. Ansonsten besteht für Euch Lebensgefahr. Bitte beachtet diese Warnung!“, mahnte Tikra eindringlich.
Tarik schaute Arthur fragend an aber dieser hatte jetzt einen äußerst verärgerten Blick aufgesetzt. So hatte sich Arthur das Zusammenleben mit den Dilong nicht vorgestellt. Der Schutz vor Angreifern war sinnvoll, aber sollten sie selbst nun genau wie in der Unterwelt zuvor eingesperrt sein? Zu allem Überfluss fing es jetzt wie in Strömen an zu Regnen und bevor Arthur und Tarik vollkommen durchnässt waren, liefen sie zurück in ihre Hütte. Die Vögel krächzten noch eine Weile weiter und jeder erzählte dem nächsten noch ein Mal was Tikra eben gesagt hatte. Überaschenderweise schienen die Vögel mit der neuen Regelung allesamt einverstanden zu sein. Es war auch bereits in der Unterwelt so gewesen, dass die Vögel das Wort ihres Anführers nie in Frage gestellt hatten sondern einstimmig das taten, was Tikra ihnen befahl. Arthur vernahm immernoch den Beifall, den die Vögel Tikra gaben, der am Feuer noch weitere Erklärungen abgab. Die Vögel störten sich nicht am Regen, schließlich kam das Wasser nicht durch ihr dichtes und fettiges Gefieder hindurch.
„Ich lasse mich hier nicht einsperren“, meldete sich Arthur jetzt.
„So schlimm finde ich das eigentlich nicht“, sagte Tarik vorsichtig. „Willst Du Dein ganzes Leben hier verbringen und Dich von Tikra und diesen Vögeln kommandieren lassen? Wir müssen endlich einen Plan erstellen, wie wir wieder nach Hause kommen!“, schimpfte jetzt Arthur. „Du hast ja recht“, gab Tarik zu.
„Aber die Vögel werden uns nicht gehen lassen und draußen müssen wir es mit diesen Wesen aufnehmen. Ich weiß jedenfalls nicht, was da draußen noch alles lauert. Mir reicht schon das Ungeheuer, das Du auf der anderen Seite der Mauer in der letzten Nacht gesehen hast.“
„Ich überlege mir jetzt einen Plan und morgen spreche ich nochmal mit Tikra“, sagte Arthur entschlossen. „Wenn er uns nicht gehen lassen will, dann verschwinden wir eben heimlich. Ich will und werde wieder nach Hause finden!“, sagte Arthur jetzt so energisch, wie ihn Tarik noch nicht erlebt hatte.
Tarik konnte an diesem Abend nicht einschlafen und dachte die ganze Nacht darüber nach, ob es jetzt besser wäre, den Wald zu verlassen oder zumindest für einige Zeit bei den Dilong zu bleiben. Schließlich waren sie hier in Sicherheit. Die Dilong waren in dieser Nacht erneut über die Mauer gestiegen und hatten in ihren Fallen reiche Beute vorgefunden. Als sie in der Nacht zurückkamen, schleppten sie vier Waldschafe und drei Bergziegen und ein großes Zahnhornschwein über die Mauer. Der Fleischvorrat für die nächsten Tage war gesichert.
Am nächsten Morgen fand Tarik die Schlafstätte seines Freundes leer. Tarik warf sich sein verblichenes T-Shirt über und zog sich seine Hose an, oder besser das, was von dieser noch übrig war. Die Hose hatte inzwischen mehr Löcher als Stoff und wurde nur noch vom Gürtel gehalten, da die meisten Knöpfe inzwischen abgefallen waren. Tarik schnappte sich noch eine der Früchte, für die er zwar immer noch keinen Namen hatte, die es aber jeden Morgen zum Frühstück gab und von denen die meisten auch recht süß schmeckten. Er machte sich auf die Suche nach Arthur. Unten am Fluss standen ein paar Vögel und unterhielten sich, während sie verschiedene hölzerne Gefäße mit Wasser füllten. Es war schon recht warm und Tarik beschloss ein Bad zu nehmen, bevor er seine Suche fortsetzen wollte. Das Wasser war herrlich erfrischend und glasklar so dass Tarik während dem Baden auch gleich ein paar Schluck trinken konnte. Ein Fluss in dem man baden und aus dem man trinken konnte kannte Tarik bisher nur aus Bilderbüchern. Ein Fisch in Farben eines Regenbogens schwamm ganz dicht an Tarik vorbei. Tarik griff blitzschnell zu, aber verfehlte den Fisch um Haaresbreite. Aber zum Fischen war er ja nicht hierhergekommen und so stieg er aus dem Wasser und ging in der gleichen Richtung weiter. Nach einiger Strecke stolperte Tarik fast und blieb abrupt stehen. Vor ihm erkannte Tarik am Boden eine dicke rote Linie, die ihm bedeutete, dass er hier nicht weitergehen durfte. Weit konnte man aber nicht gerade gehen, dachte Tarik und setzte seinen Marsch entlang der roten Linie jedoch mit einigem Abstand zu jener fort. Nach wenigen Minuten kam er an eine freie Stelle auf der der Boden geebnet worden war. Tarik erkannte zwei Wächtervögel, die gerade dabei waren, Speere und Pfeile anzuspitzen. Hinter den Vögeln war eine Art Wagen abgestellt auf den die Vögel ihre fertigen Produkte aufluden. Weiter hinten konnte Tarik eine andere Gruppe erkennen, die mit einer Art Fräse große Baumstämme bearbeitete. Die Fräse bestand aus einem großen runden Felsen, der über eine lange mächtige Welle angetrieben wurde. Die Welle mündete auf der anderen Seite in ein Gerüst, das über den Fluss gesetzt war und in dem ein Wasserrad knirschend im Kreis lief. Mittels eines großen Hebels konnten die Arbeiter den runden Stein absenken und sägten damit in wenigen Sekunden einen dicken Baumstamm durch. Auf der rechten Seite stand eine lange hölzerne Lore, auf der einige der kugelförmigen Felsen lagen, die Tarik auch auf den Katapulten an der Mauer gesehen hatte. Hier also fertigten die Dilong ihre Waffen. Tarik schlich sich jetzt leise einige Meter in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Die Vögel hatten ihn bisher nicht bemerkt, weil Fräse und Wasserrad so einen Lärm verursachten. Tarik dachte, dass es besser sei, wenn sie ihn nicht bemerkten. Weiteren Ärger konnten sie mit Blick auf die geplanten Gespräche mit Tikra nicht brauchen. Tarik ging jetzt entlang der Linie weiter. Dabei vermied er es, laut aufzutreten, denn er wollte seinen Ausflug jetzt nicht mehr ausschlisslich dazu verwenden, seinen Freund zu finden sondern auch gleich auszukundschaften, was die Vögel noch so alles aufbauten und trieben. Auch Tarik fühlte sich auf einmal bevormundet. Tikra, der zu Anfang immer über alles informiert hatte, hielt doch vieles geheim. So ging er immer weiter und immer entlang der roten Linie. Tarik blieb kurz stehen, hörte er da ein Geräusch? Vorsichtig ging er noch ein paar Schritte vorwärts, worauf das Geräusch lauter wurde. Jetzt konnte er ein Plätschern wahrnehmen. Das Geräusch kam von rechts aber wenn er hier weitergehen wollte musste er die rote Linie überqueren. Tarik zögerte. Schließlich siegte die Neugier und Tarik fasste all seinen Mut zusammen und übertrat die rote Linie. Er beschloss ganz vorsichtig zu sein und den Weg vor sich genau zu betrachten. Hinter den nächsten Bäumen fand Tarik ein kleines Rinnsal welches aus einer kleinen Aufwerfung hervortrat. Tarik folgte dem Wasser ein paar Meter und kam schließlich an einen kleinen Teich. Als Tarik am Ufer stand und genauer hinsah konnte er erkennen, dass der Teich durch einen Zufluss gespeist wurde, der etwa zwei Meter breit war und direkt aus Richtung der äußeren Begrenzung kam. Der Junge lief direkt am Ufer dieses Kanals entlang, hier würde ein Feind der Dilong nicht entlang balancieren. Trotzdem hielt Tarik bei jedem Schritt den Atem an und setzte mit Zehenspitzen einen Fuß vor den anderen. Nach einer endlosen Zeit kam Tarik an der Begrenzungsmauer an. Der Kanal endete dort aber nicht etwa wie Tarik gedacht hatte sondern lief quer zur Mauer, unter dieser durch. Der Junge betrachtete diese Stelle ganz genau und konnte nur klarstes Wasser erkennen. Die Öffnung in der Mauer, durch die der Kanal nach draußen Floß, war sogar hoch genug, dass Tarik wenn er sich herunter bückte zwischen Wasser und Mauer hindurch blicken konnte. Tarik pfiff leise. Hatten diese einfältigen Vögel doch tatsächlich vergessen, diesen Zufluss abzusichern?
„Sind das naive Kreaturen“, murmelte Tarik vor sich hin.
Schlagartig war ihm klar geworden, dass die wasserscheuen Dilong gar nicht daran gedacht hatten, dass jemand es wagen würde durch den mit Wasser gefüllten Kanal zu kriechen. Er stand noch ein paar Minuten an der Mauer und schaute zu, wie einige bunte Blätter, die von den Bäumen ins Wasser fielen langsam in die Mitte des Kanals getrieben wurden und dann unter der Mauer nach draußen hindurch trieben. Dann machte sich der Junge auf den Rückweg und achtete konzentriert darauf, exakt den Weg zurückzugehen, den er gekommen war um nicht doch noch in eine der Fallen zu geraten, die hier überall gestellt worden waren. Tarik kam schließlich wieder an der roten Linie an und setzte seinen Weg entlang dieser Markierung fort. Seine Beobachtungen würden Arthur bestimmt interessieren. Auf ein Mal hörte Tarik über sich ein Rascheln. Er blickte nach oben und sah einen schwarzen Schatten von einem Baum zum anderen Springen.
"Ein Affe", dachte Tarik und wollte gerade wieder den Blick auf den Waldboden vor sich senken.
In diesem Moment entdeckte er am Baumstamm vor sich, dass die Rinde etwa in Augenhöhe irgendwie merkwürdig aussah. Tarik sah sich das jetzt genauer an und erkannte, dass der Baum eine Art Markierung hatte. Tarik schaute sich jetzt die anderen Bäume in der Umgebung an und fand in regelmäßigen Abständen Bäume mit eingeritzten Zeichen. "So nun wissen wir also, wie die Vögel den Weg durch den Wald finden. Die Frage ist nur, was die Zeichen genau bedeuten", murmelte Tarik vor sich hin. Es war sehr wahrscheinlich, dass die Zeichen auf die Fallen hinwiesen, aber Tarik konnte keine weiteren Hinweise auf den genauen Standort oder die Art der Fallen erkennen. Er beschloss, vorsichtig zum Dorf zurückzukehren und seine neuen Erkenntnisse erstmal mit Arthur zu besprechen. Wichtig war jetzt vor allem, dass er nicht bei seinem Rundgang entdeckt wurde. Tarik war der Meinung, dass die Vögel ohnehin schon viel zu genau darauf achteten, was die beiden taten. Tarik wendete sich jetzt von der roten Linie ab und schlug die Richtung zum Dorf ein. Als er an ihrer Blockhütte ankam fand Tarik die Tür offen und ging hinein.
"Wo warst Du denn so lange?“, rief ihm Arthur entgegen, der an ihrem selbstgebauten Tisch saß und an einer grünen, eiförmigen Frucht herum knabberte.
"Ich habe mich im Wald umgesehen und einige interessante Dinge entdeckt. Aber eigentlich habe ich dich gesucht, wo warst Du denn heute Morgen?“, fragte Tarik zurück.
Arthur berichtete, dass er gleich früh nach dem Aufstehen Tikra aufgesucht hatte und ihm gesagt hat, dass er und Tarik das Dorf verlassen wollen, um diejenigen Menschen zu finden, die ihnen helfen konnten wieder nach Hause zu kommen.
"Was hat Tikra gesagt? Hilft er uns, die Reise vorzubereiten?", fiel Tarik ein ohne eine Antwort von Arthur abzuwarten.
"Absolut nicht, Tarik", sagte Arthur mit verbissener Stimme. "Er sieht unsere Reise als zu gefährlich an und will uns nicht gehen lassen. Als ich ihm dann immer wieder erklären wollte, warum wir hier nicht bleiben können, hat er mich aus seinem Haus verwiesen. Auf die Hilfe der Dilong können wir nicht zählen, im Gegenteil. ich bin mir sicher, dass sie versuchen werden uns am Fortkommen zu hindern.", endete Arthur. "Wir lassen uns doch hier nicht einsperren.", bemerkte Tarik mehr fragend als feststellend.
"Ganz und gar nicht", antwortete Arthur. "Wir müssen aber damit rechnen, dass uns die Vögel sehr genau beobachten werden, nachdem sie jetzt wissen, das wir das Dorf eigentlich verlassen wollen", setzte Arthur hinzu. "Wir werden uns jetzt erst mal ein paar Tage ganz unauffällig verhalten und das Thema nicht mehr ansprechen. Während dessen haben wir Zeit uns einen Plan zurechtzulegen, wie wir hier aus dem Dorf herauskommen und auch draußen zurechtkommen.“
Immer wenn Arthur so ernst war und dann davon marschierte, meinte er es ernst und ließ sich von seiner Idee nicht abbringen, soweit kannte Tarik seinen Freund. Er selbst war immer noch etwas unschlüssig. Auf der einen Seite hatte er Heimweh zu seiner Mutter aber auf der anderen Seite hatte er schreckliche Angst vor dem, was außerhalb der schützenden Mauern auf sie warten würde. Tarik stellte sich das Wesen der letzten Nacht in Gedanken vor, welches mit feuerroten Augen plötzlich vor ihnen stehen konnte. Aber einer Sache war er sich sicher: Alleine würde er hier im Dorf nicht bleiben. Die nächsten Tage verhielten sich die beiden dann besonders unauffällig und Artur und Tarik waren sich sicher, dass sie nicht beobachtet wurden. Trotzdem war Arthur besonders vorsichtig. Er wusste, wie schlau Tikra der Anführer der Dilong war und dass dieser sicher Vorkehrungen getroffen hatte, um die beiden Jungen von ihrem Plan, das Dorf zu verlassen abzuhalten. Inzwischen hatte Tarik genug Zeit gehabt, seinem Freund genauestens von seinem Streifzug durch den Wald zu berichten und Arthur hatte aufmerksam zugehört.
"Lass uns heute Nacht nochmal diese Zeichen an den Bäumen genauer anschauen", sagte Arthur.
Als es dunkel war und auf dem großen Platz beim Lagerfeuer Ruhe eingekehrt war, schlichen sich Arthur und Tarik aus dem Haus und liefen im Schatten der Häuser direkt in den Wald hinein. Es war schwierig, überhaupt etwas zu erkennen, weil die Sterne, die ihnen den Weg beleuchten sollten kaum durch die dichten Bäum e hindurch scheinen konnten. Schließlich kamen sie an die rote Markierung. "Wir suchen uns eine Stelle, die heller ist", beschloss Arthur und so gingen sie entlang der Linie bis sie an eine kleine lichte Stelle kamen an der die Bäume weiter voneinander entfernt standen. Hier übertraten Sie in höchster Anspannung die rote Linie und suchten die umliegenden Bäume nach Markierungen an der Baumrinde ab.
"Hier ist eine", flüsterte Tarik und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen mächtigen Baum mit dickem Stamm der tatsächlich eine der seltsamen Zeichen in seiner Rinde eingeritzt hatte.
Vorsichtig traten die beiden Freunde an den Baum heran und sahen sich das Zeichen an.
"Kannst Du erkennen, was das Zeichen bedeuten könnte?“, fragte Tarik.
"Psst nicht so laut", mahnte Arthur und fuhr mit dem Finger das Zeichen nach.
"Die Zeichen sehen alle gleich aus", bemerkte Tarik, ich glaube nicht, dass sie uns mehr verraten als dass hier irgendwo ganz in der Nähe eine Falle aufgestellt ist.“
Auch Arthur war immer noch ratlos und sagte schließlich:
„ass uns zurückgehen, wir müssen die Zeichen nicht verstehen. Findest Du die Stelle mit dem Kanal, der durch die Mauer fließt wieder?“
„Aber klar", antwortete Tarik.
"Gut, dann sind wir hier fertig. Wenn wir den Wald verlassen, dann schwimmen wir durch den Kanal. Dieser Weg ist sicher und einen andere Möglichkeit über die Mauer zu kommen, fällt mir sowieso nicht ein.“
Tarik war froh, dass sie wieder den Heimweg antraten. Arthur ging voran und Tarik sah voller Bewunderung, dass Arthur einem Weg aus Kieselsteinen nachlief, den er ab Übertreten der roten Linie angelegt hatte.
"Das ist ja wie bei Hänsel und Gretel", sagte Tarik grinsend.
So kamen sie sicher zurück zu ihrer Hütte und Arthur führte Tarik in seine Pläne ein, wie sie in nächster Zeit die Vorbereitungen treffen würden um dann in genau fünf Tagen des nachts den Wald zu verlassen. Am nächsten Tag legten die beiden Freunde einen großen Vorrat an Früchten und anderen Vorräten an, die sie auf ihrer bevorstehenden Reise mitnehmen wollten. Die Dilong sammelten die Früchte normalerweise in geflochtenen Körben aus denen sich die beiden Kinder nun Rucksäcke fertigten So konnten sie genug Vorräte für die nächsten Tage unterbringen. In der zweiten Nacht wachte Tarik auf und erschrak. Arthur war weg. Hatte er ihn alleine gelassen und die Reise etwa alleine angetreten? Noch während Tarik überlegte ob er zum Kanal aufbrechen sollte, ging die Tür leise auf. Es war Arthur, der zwei Speere, zwei Bogen und diverse, aus Stein gefertigte Messer in den Händen trug.