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Die geheimnisvolle Nachricht

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»Ruhig Blut, Junge, ruhig Blut!«

David Skyworker zügelte sein strammes kleines Pony. Gewöhnlich machte Lazy, was zu gut deutsch Faulpelz heißt, seinem Namen alle Ehre, aber heute schien er es eilig zu haben. David konnte es ihm nicht verübeln. Es war ein Tag, wie es ihn nur in New Mexico gibt. Ein vom Regenguss stahlblau gewaschener Himmel, der Boden bereits wieder trocken und in der Ferne noch die Reste eines Regenbogens. Eine Atmosphäre unglaublichen Friedens hing über dem Land.

»Wir haben den ganzen Tag Zeit«, beruhigte er Lazy, »lauf dich also nicht heiß. Wir haben noch eine hübsche Steigung vor uns.« David ritt alleine, weil er Lazy mit einem grandiosen Mexikanischen Sattel herausgeputzt hatte, den seine Eltern ihm zum Geburtstag hatten schicken lassen. Der Sattel war wunderschön, mit silbernen Beschlägen, die ihn wie einen Kronleuchter glitzern ließen. Aber auf der Ranch-Schule, die David besuchte, war er genauso fehl am Platz wie ein Smoking bei einem Rodeo - daran hatten seine Eltern nicht gedacht. David war stolz auf den Sattel, aber bei seinen Kameraden hatte er dazu geführt, dass sie aus seinem Namen »David James Skyworker« den Spitznamen Davi gemacht hatten.

Ein unerwartetes Geräusch ließ Lazy scheuen. David zog an den Zügeln und holte das Telefon aus der Satteltasche. »6-J-233309, David Skyworker.«

»Hier ist Mr. Reeves, David«, meldete sich die Stimme des Direktors von der Ranch-Schule Altana. »Wo bist du?«

»Am Ende der Südlichen Weide Sir.«

»Komm so schnell wie möglich zurück.«

»Was gibt's denn?«

»Ein Telegramm von deinen Eltern. Ich schick' dir den Hubschrauber, sobald der Koch zurück ist - und jemanden, der dein Pferd zurückbringt.«

David zögerte. Er mochte es nicht, wenn jemand anders Lazy ritt. Andererseits war ein Telegramm von seinen Eltern sicherlich etwas Dringendes. Seine Eltern lebten auf dem Mars, und seine Mutter schrieb regelmäßig, mit jedem Schiff aber Telegramme, abgesehen von Weihnachts- und Geburtstagsglückwünschen, waren etwas Besonderes.

»Ich beeile mich. Sir.«

»Gut!« Mr. Reeves schaltete ab. David lenkte Lazy herum und trabte zurück. Lazy schien enttäuscht und sah sich einige Male anklagend um. Als der Hubschrauber der Ranch sie entdeckte, waren sie nur noch eine halbe Meile von der Schule entfernt. David winkte ab und ritt Lazy selbst das letzte Stück zurück. Trotz seiner Neugierde nahm er sich noch die Zeit, das Pony abzureiben und ihm Wasser zu geben. Mr. Reeves wartete in seinem Büro und winkte ihm hereinzukommen. Er reichte David das Blatt.

Die Nachricht lautete:

lieber Sohn, Passage für dich am 12. April ab

Nürnberg City auf der Franken 1 reserviert Stopp alles liebe Mutter und Vater David starrte das Telegramm ungläubig an. »Aber das ist ja praktisch sofort!«

»Ja. Hast du nicht damit gerechnet?«

David überlegte. Er hatte damit gerechnet, zum Ende des Schuljahres nach Hause zu fahren - falls man es nach Hause nennen konnte, wo er doch den Mars noch nie betreten hatte.


Hätten Sie seine Passage auf der „New England“ in drei Monaten bestellt ... »Äh, eigentlich nicht. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, weshalb sie mich schon vor dem Ende des Schuljahres nach Hause kommen lassen.«

Mr. Reeves sagte: »Ich schon.«

David sah ihn überrascht an. »Das verstehe ich nicht. Mr. Reeves, Sie rechnen doch nicht wirklich damit, dass es Schwierigkeiten geben wird, oder?«

Der Direktor blickte ernst. »David, ich bin kein Prophet. Aber ich würde annehmen, deine Eltern machen sich jedenfalls Sorgen und wollen dich schnellstens aus einem möglichen Kriegsgebiet herausholen.«

David wusste immer noch nicht, was er denken sollte. Kriege waren etwas, worüber man in Schulbüchern las, nicht etwas, was einem selbst zustieß. Natürlich hatten sie sich in Gegenwartskunde mit der augenblicklichen Krise und den Kolonialangelegenheiten auseinandergesetzt. Trotzdem erschien ihm das Ganze als etwas weit Entferntes - eine Angelegenheit für Diplomaten und Politiker, nichts, was mit der Wirklichkeit zu tun hatte.

»Schauen Sie, Mr. Reeves, mag ja sein, dass meine Eltern nervös werden, aber ich nicht. Ich würde gerne ein Telegramm schicken, dass ich mit dem nächsten Schiff komme, sobald die Schule zu Ende ist.«

Mr. Reeves schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann nicht zulassen, dass du gegen den ausdrücklichen Wunsch deiner Eltern handelst. Außerdem, äh« - dem Direktor schien es schwerzufallen, die richtigen Worte zu finden - »ich will sagen, David, wenn es zum Krieg kommt, dann wäre deine Situation hier, sagen wir einmal, etwas unangenehm, findest du nicht auch?« Die Temperatur in dem Raum schien plötzlich um einige Grade gesunken. David kam sich einsam vor und älter, als es seinen Jahren entsprach. »Warum?« Mr. Reeves studierte seine Fingernägel. »Bist du ganz sicher, wo deine Loyalität liegt?« fragte er langsam. David zwang sich, darüber nachzudenken. Sein Vater war auf der Erde geboren; seine Mutter war Venuskolonistin der zweiten Generation. Aber keiner der beiden Planeten war ihr Eigentliches Zuhause; sie hatten sich auf Luna kennengelernt und geheiratet und ihre planetologischen Forschungen in vielen Gegenden des Sonnensystems. David selbst war im Weltraum geboren, und seine von der Föderation ausgestellte Geburtsurkunde ließ die Frage seiner Nationalität offen. Die Erde hatte er zum ersten Mal betreten, als er bereits elf Jahre alt war.

»Ich bin ein Bürger des Sonnensystems«, sagte er langsam. »Mhm-« machte der Direktor. »Klingt gut. Vielleicht bedeutet das sogar eines Tages einmal etwas. Bis dahin aber gebe ich deinen Eltern völlig recht. Der Mars wird wahrscheinlich neutral bleiben; dort bist du in Sicherheit. Noch einmal – und ich spreche da als Freund - hier könnten die Dinge etwas unangenehm werden, wenigstens für jemand, dessen Loyalität nicht eindeutig feststeht.«

»Niemand hat das Recht, meine Loyalität anzuzweifeln! Dem Gesetz nach bin ich jedem Erdbürger gleichgestellt!« Der Mann gab keine Antwort. Dann gab er sich einen Ruck und sagte: »Geh jetzt auf dein Zimmer packen. Der Hubschrauber bringt dich um ein Uhr nach Mexico City.«

»Ja, Sir.«

Er stand schon unter der Tür, als der Direktor ihn Zurück rief.

»Augenblick noch. In der Hitze unserer - äh – Diskussion hätte ich beinahe vergessen, dass da noch eine zweite Nachricht für dich ist.«

»Oh?«

David nahm den Zettel entgegen. Auf ihm stand:

„lieber Sohn verabschiede dich unbedingt von Onkel dudley ehe du abreist – Mutter“

Diese zweite Nachricht überraschte ihn eigentlich noch mehr als die erste; er brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, dass seine Mutter Dr. Dudley Jefferson meinen musste – einen Freund seiner Eltern, keineswegs einen Verwandten, jedenfalls einen Mann, der in seinem eigenen Leben keinerlei Bedeutung hatte. Aber Reeves schien die Nachricht als etwas ganz Selbstverständliches anzusehen, also steckte er sie ein und ging aus dem Zimmer. David machte sich ans Packen und verabschiedete sich von seinen Freunden. Dann ging er hinaus zur Koppel.

Lazy kam sofort gelaufen, als er rief, und schnupperte an seinen Taschen, ob er Zucker hatte. »Tut mir leid, alter Junge«, sagte er traurig, »nicht einmal eine Mohrrübe. Hab' ich vergessen. « Er stand da und lehnte sein Gesicht an die Wange des Pferdes und kratzte es hinter den Ohren. Dann redete er leise auf das Pferd ein, erklärte alles ganz ausführlich, so als könnte Lazy jedes Wort verstehen.

»So ist das eben«, schloss er. »Ich muss weg, und die lassen mich dich nicht mitnehmen.« Und dann brachte er plötzlich kein Wort mehr heraus. Er warf dem Pferd seine Arme um den Hals und

weinte.

Lazy schnaubte leise. Er wusste, dass hier irgendetwas nicht stimmte, und versuchte, seine Zuneigung zu zeigen. Dann hob David den Kopf. »Wiedersehen, Alter. Pass gut auf dich auf.« Er drehte sich abrupt um und rannte zu den Schlafsälen.

Der Helikopter setzte ihn am Flugplatz von Mexico City ab. Er musste sich beeilen, um seine Rakete zu erreichen. Ehe er den Flugsteig betrat, nahm ihm ein Beamter seine Taschen ab. »Hast du eine Kamera drin, Junge?« fragte der Mann. »Nein. Warum?«

»Weil wir deinen Film belichten könnten, wenn wir die Tasche röntgen.« Offenbar zeigte auch der Röntgenschirm keine in seiner Wäsche verborgenen Bomben, und so reichte man ihm seine Tasche, und er ging an Bord des Kontinentalflugs Santa Fe Trail der zwischen dem früheren Mexico und Nürnberg City verkehrte. Drinnen schnallte er sich an und wartete. Zuerst störte ihn das Startgeräusch mehr als der Andruck. Aber als sie dann die Schallgeschwindigkeit überschritten, verstummte das Geräusch, während die Beschleunigung immer noch zunahm. Schließlich verlor er die Besinnung. Er kam zu sich, als die Rakete in freien Fall überging und einen hohen Bogen über den Wüstenstaaten beschrieb. Sofort empfand er große Erleichterung, dass das unerträgliche Gewicht von seiner Brust genommen war - aber ehe er sich richtig daran gewöhnen konnte, wurde ihm ein neuer Sinneseindruck bewusst; sein Magen versuchte an seiner Speiseröhre empor zu kriechen. Und das - ja, das war die Raumkrankheit- das musste gerade ihm passieren, ihm, der im freien Fall geboren war. Raumkrankheit war etwas für Erdenkriecher, nicht für Leute wie ihn. Aber das half nichts; er hatte gerade noch Zeit, nach dem Plastikbehälter zu greifen, der für diese Zwecke vorgesehen war. Nachher fühlte er sich wohler, wenn auch geschwächt, und hörte sich in den Kopfhörern Musik an. Und dann war schon wieder der Augenblick da, wo der Himmel draußen seine Farbe von Schwarz in tiefes Purpur Veränderte, die Tragflächen griffen wieder, und die Passagiere spürten wieder ihr Gewicht, als die Maschine ihren Gleitflug nach Nürnberg City antrat. Zwanzig Minuten später sprangen die Motoren in der Nase des Schiffes, ausgelöst von Radar an, und die Santa Fe Trail setzte zur Landung an. Der ganze Flug hatte kürzer gedauert als der Helikopterflug von der Schule nach New Mexico - eine knappe Stunde für die gleiche Strecke nach Osten, die die Planwagen -wenn sie Glück hatten - in achtzig Tagen von Osten nach Westen durchgeführt hatten. Die Maschine landete auf einem Flughafen außerhalb der Stadt ganz in der Nähe des riesigen alten Flughafens, der immer noch etwas Radioaktivität ausstrahlte und heute den Hauptraumhafen des Planeten darstellte. Hier war früher einmal das alte Erlangen gelegen.

Ein Rollband war auf das Schiff zugefahren. Er betrat es und ließ sich in das Flughafengebäude tragen. Drinnen verwirrte ihn das rege Treiben in zahllosen Stockwerken über und unter der Erde. Der Franken-Flughafen bediente nicht nur die Santa Fe Trail, die Route 66 und andere Lokalraketen, die den Verkehr mit dem Südwesten versahen; er bediente auch noch ein Dutzend anderer Lokallinien, ebenso wie die Interkontinentalschiffe, die Frachter und die Raumschiffe, die zwischen der Erde und der Star-Terra-Station verkehrten- und von dort weiter zur Luna, der Venus, dem Mars und den Jupitermonden; er war gleichsam der Nabel eines mehr als weltweiten Imperiums. Die lärmenden, dicht gedrängten Menschenmassen irritierten David, insbesondere nach dem langen Aufenthalt in der weiten leeren Wüste, von New Mexico. Für ihn hatten Menschen, die sich wie Ameisen benahmen, etwas Würdeloses, wenn er diesem Gefühl auch keine Worte hätte verleihen können. Aber da

konnte man nichts machen - er sah die drei Globalbusse der Interplaneten Linien und folgte den schimmernden Neonzeichen, die den Weg zu den Reservierungsbüros wiesen. Ein ziemlich desinteressierter Angestellter händigte ihm seine Fahrkarte für Sitz 64, Passagierschiff Franken 1 aus, das am folgenden Morgen um 9:03:57 von der Erde zur Star Terra Station startete. »Haben Sie eine Reisegenehmigung?« »Hm? Was ist das denn?« Der Angestellte zog die Flugkarte wieder zu sich. »Hören Sie denn keine Nachrichten? Geben Sie mir Ihren Ausweis.« David schob ihm etwas zögernd seinen Ausweis hin; der Angestellte fertigte eine Fotokopie an und reichte das Papier dann zurück. »Jetzt Ihre Fingerabdrücke.« David drückte seinen Daumen auf das ihm hingeschobene Scanner Pad und sagte: »Ist das jetzt alles? Kann ich meine Flugkarte haben?«

»> Ist das jetzt alles? < sagte der Mann! Seien Sie morgen eine Stunde vor Abflug hier. Dann können Sie sich Ihr Ticket holen - wenn das IBI einverstanden ist.« Der Mann wandte sich ab. David wusste nicht recht, was er jetzt tun sollte. Er hatte Direktor Reeves gesagt, dass er im Hilton übernachten würde, das war das Hotel, in dem seine Familie vor Jahren gewohnt hatte und im Übrigen das einzige, das er namentlich kannte. Andererseits musste er noch versuchen, mit Dr. Jefferson - »Onkel Dudley« - Verbindung aufzunehmen, da das seiner Mutter anscheinend so wichtig war. Es war noch Ziemlich früh am Nachmittag; er beschloss, seine Koffer einzustellen und mit der Suche zu beginnen.

Das bereitete auch keinerlei Schwierigkeiten; er fand die Telefonnummer sofort und drückte die Tasten des Videobildschirms. Das Telefon des Doktors bedauerte höflich, dass Dr. Jefferson nicht zu Hause wäre, und bat ihn, eine Nachricht zu hinterlassen. Er war gerade beim Diktieren, als ihn eine freundliche Stimme unterbrach: »Für dich bin ich zu Hause, David. Wo bist du denn, Junge?« Der Bildschirm leuchtete auf, und er blickte in die vertraut wirkenden Züge von Dr. Dudley Jefferson.

»Oh, auf dem Flughafen, Doktor. Franken-Airport. Ich bin gerade vor ein paar Minuten angekommen.«

»Dann nimm dir ein Taxi und komm sofort hierher.«

»Äh, ich will Ihnen keine Umstände machen, Doktor. Ich habe angerufen, weil Mutter gesagt hat, ich soll mich von Ihnen verabschieden. « Insgeheim hatte er gehofft, Dr. Jefferson würde keine Zeit haben. So sehr er auch Städte hasste, hatte er eben so wenig Lust, seinen letzten Abend auf der Erde damit zu verbringen, mit einem Freund der Familie Höflichkeiten auszutauschen; er wollte sich umsehen, was dieses moderne Babylon an Zerstreuungen anzubieten hatte. Der Kreditbrief, den sein Vater ihm geschickt hatte, brannte in seinen Taschen; er wollte ihn etwas anzapfen. »Aber ganz und gar nicht! Wir sehen uns in ein paar Minuten. Inzwischen will ich ein fettes Kalb aussuchen und es schlachten. Hast du übrigens ein Päckchen von mir bekommen?« Der Doktor sah ihn plötzlich gespannt an.

»Ein Päckchen? Nein.«

Dr. Jefferson murmelte irgendetwas über die langweilige Post, und David meinte: »Vielleicht kommt es noch. War es wichtig?

»Äh, macht nichts; wir sprechen später davon. Hast du in der Schule eine Adresse hinterlassen?«

»Ja, Sir - das Hilton.«

»Nun - dann gib den Pferden die Sporen, und sieh zu, dass du möglichst schnell hierherkommst. Freien Himmel!«

»Und sichere Landung, Sir.« Beide schalteten ab. David verließ die Telefonzelle und sah sich nach einem Taxistand um. Das Flughafengebäude schien noch überfüllter als zuvor; überall sah man Uniformen, nicht nur solche von Piloten und Schiffspersonal, sondern auch militärische Uniformen - und überall die allgegenwärtige Sicherheitspolizei. David zwängte sich durch die Menge, eine Rampe hinunter, durch einen Tunnel, und fand schließlich, was er gesucht hatte. Am Taxistand wartete eine Schlange; er stellte sich hinten an. Neben der Schlange lag lang ausgestreckt die große schwerfällige Sauriergestalt eines Venerianischen »Drachen«. Als David schließlich neben ihm stand, pfiff er höflich einen Gruß. Der Drache drehte eines seiner Stielaugen zu ihm herum. An seiner »Brust« zwischen den Vorderbeinen unmittelbar unter den Tentakeln hing ein kleines Kästchen, eine Sprachbox. Die Tentakel huschten über die Tasten, und der Venerianer antwortete auf dem Umweg über die mechanische Sprachbox, statt in seiner eigenen Sprache zu pfeifen: »Seien Sie gegrüßt, junger Herr. Es ist eine Freude, inmitten von Fremden die Laute zu hören, die man schon im Ei vernahm.« David konstatierte vergnügt, dass die Sprachbox des Venerianers deutlichen Cockneyakzent sprach.

Er pfiff seinen Dank und gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Drache eines angenehmen Todes sterben möge. Der Venerianer dankte ihm erneut mit Hilfe seiner Sprachbox und fügte hinzu: »Ihr Akzent ist ausgesprochen nett, aber würden Sie mir bitte den Gefallen tun, Ihre eigene Sprache zu gebrauchen, damit ich mich darin üben kann?«

David nahm an, dass seine Aussprache so unerträglich falsch war, dass der Venerianer ihn kaum verstehen konnte. Also sprach er in menschlicher Sprache weiter: »Mein Name ist David Skyworker«, erwiderte er und pfiff noch einmal - nur um seinen Venerianischen Namen hinzuzufügen - »Nebel über den Wassern«; seine Mutter hatte ihn ausgewählt, und er empfand ihn keineswegs als komisch. Ebenso wenig der Drache. Er pfiff jetzt zum ersten Mal, stellte sich selbst vor und fügte dann über seine Sprachbox hinzu: »Man nennt mich >Sir Isaac Newton<.« Drachen wählten sich häufig als Zusatznamen den irgendeines Erdmenschen aus, den sie besonders bewunderten. David hätte »Sir Isaac Newton« gerne gefragt, ob er zufällig die Familie von Davids Mutter kenne, aber die Schlange hatte sich inzwischen vorwärtsbewegt, und der Drache blieb liegen; er musste also weitergehen, um seinen Platz in der Schlange nicht zu verlieren. Der Venerianer folgte ihm mit einem kreisenden Stielauge und pfiff ihm nach, er hoffe, dass auch David einen angenehmen Tod finden werde. Dann kam der stetige Fluss von Kabinentaxis zum Stillstand; ein von einem Menschen gesteuerter Sattelschlepper kam herangefahren und senkte eine Rampe herab. Der Drache erhob sich auf sechs massive Beine und kletterte an Bord. David pfiff ihm einen Gruß nach - und dann wurde ihm plötzlich bewusst, dass ein Sicherheitspolizist ihn schon seit einiger Zeit scharf beobachtete. Zu seiner Erleichterung hatte er jetzt die Spitze der Schlange erreicht und konnte in die Kabine steigen und die Klappe hinter sich zu ziehen.

Er wählte die Adresse und lehnte sich zurück. Das kleine Fahrzeug fuhr ruckartig an, eine Rampe hinauf, fädelte sich durch einen Lastentunnel und rollte in einen Lift. Zuerst versuchte David die Orientierung zu behalten, aber die Windungen des Ameisenhaufens, der da »New Chicago« hieß, hätten selbst einem Topologen Kopfzerbrechen bereitet; also gab er auf. Vermutlich wusste die Kabine ja, wo die Reise hinging. Doktor Jeffersons Wohnung lag unter der Erde in einem teuren Stadtviertel. Beinahe hätte David Schwierigkeiten gehabt; das Taxi hatte an der Wohnungstüre gehalten, als er aber auszusteigen versuchte, wollte die Türe sich nicht öffnen. Das erinnerte ihn daran, dass er den Fahrpreis bezahlen musste, der vor ihm auf einem kleinen Bildschirm leuchtete - und dann wurde ihm bewusst, dass er wie ein Dorftrottel ein Autonomes Fahrzeug bestiegen hatte, ohne Münzen in der Tasche zu haben. Und seinen Kreditbrief würde die kleine Kabine, so schlau sie auch sein mochte, bestimmt nicht einmal beschnüffeln. Schon hatte er sich damit abgefunden, dass die Maschine ihn zur nächsten Polizeistation befördern würde, als ihn das Auftauchen von Dr. Jefferson aus seiner Not befreite. Der Doktor gab ihm Münzen und komplimentierte ihn in die Wohnung. »Denk dir nichts dabei, Junge; mir passiert das auch einmal jede Woche. Unser Revierpolizist hat immer eine Schublade voll Hartgeld bereit, um uns aus solchen Nöten freizukaufen. Ich zahle ihn alle paar Monate und runde den Betrag dann immer etwas auf. Setz dich doch. Einen Sherry?«

»Äh, nein, vielen Dank, Sir.«

»Dann also Kaffee. Da steht Sahne und Zucker. Was hörst du denn von deinen Eltern?«

»Nun, das Übliche. Beiden geht es gut und sie haben viel Arbeit und all das.« David sah sich um. Der Raum, in dem sie saßen, war groß und komfortabel, ja luxuriös, obwohl die Bücher, die aus allen Regalen quollen und ungeordnet auf Schränken und Tischen, ja sogar Stühlen lagen, diesen Eindruck etwas verwischten. Und ihm gegenüber war ein Aussichtsfenster, das eigentlich in die Eingeweide der Stadt hätte blicken müssen; stattdessen konnte man darin einen Bergstrom und Kiefern sehen. Soeben sprang eine Forelle aus dem Wasser. »Das kann ich mir vorstellen, dass sie viel Arbeit haben«, antwortete sein Gastgeber. »Die haben sie immer. Dein Vater versucht, in einem einzigen, kurzen Menschenleben Geheimnisse zu ergründen, die sich im Laufe von Millionen von Jahren aufgetürmt haben. Unmöglich - aber er gibt nicht auf. Junge, ist dir eigentlich klar, dass wir zu der Zeit, als dein Vater seine Laufbahn begann, noch nicht einmal in unseren kühnsten Träumen ahnten, dass es schon einmal eine Zivilisation gab, die das ganze Sonnensystem umfasste?« Er machte eine kleine Pause und fügte dann nachdenklich hinzu: » Wenn es die erste war.«

Dann fuhr er fort: »Jetzt haben wir die Ruinen auf dem Meeresboden erforscht - und sie mit Aufzeichnungen von vier anderen Planeten in Beziehung gebracht. Natürlich hat dein Vater das nicht alles allein getan, nicht einmal den größten Teil davon - aber ohne seine Arbeit stünden wir heute noch am Anfang. Dein Vater ist ein bedeutender Mann, David - und deine Mutter steht ihm nicht nach. Nimm doch ein Sandwich.« David sagte: »Danke schön« und ging damit einer direkten Antwort aus dem Wege. Es tat ihm gut, dieses Lob seiner Eltern zu hören, aber er wusste nicht recht, wie er antworten sollte. Aber der Doktor konnte das Gespräch durchaus ohne Hilfe fortführen. »Wahrscheinlich werden wir nie alle Antworten erfahren. Zum Beispiel, wie der edelste aller Planeten, der Sitz der Zentralregierung, zerstört und in Weltraumschutt zerlegt wurde. Dein Vater hat vier Jahre im Asteroidengürtel verbracht - du warst doch mit von der Partie, oder? - und hat nie eine eindeutige Antwort gefunden. War es ein Doppelplanet so wie die Erde und der Mond, der von der Kraft der Gezeiten auseinandergerissen wurde? Oder ist er explodiert?« »Explodiert?« wandte David ein. »Aber das ist doch theoretisch unmöglich, oder?« Doktor Jefferson wischte die Bemerkung weg. »Alles ist theoretisch unmöglich, bis es einmal geschieht. So ist es noch allen epochenmachenden Erfindungen gegangen. Hast du dich je mit mathematischer Philosophie befasst, David? Bist du mit der Theorie des unendlichen Universums vertraut und mit den offenen Postulaten?«

»Äh, ich fürchte, nein, Sir.«

»Eine ganz einfache Idee und höchst attraktiv. Die Vorstellung, dass alles möglich ist - ich meine wirklich alles - und dass alles schon einmal geschehen ist. Alles. Ein Universum, indem du den Sherry angenommen und dich sinnlos betrunken hast. Ein anderes, in dem der fünfte Planet heil geblieben ist. Und wieder ein anderes, in der Atomkraft und Kernwaffen ebenso unmöglich sind, wie unsere Verfahren es einmal glaubten. In einem solchen Universum möchte ich übrigens gerne leben.« Er stand auf. »Iss nicht zu viele Sandwiches. Ich gehe mit dir noch in ein Restaurant, damit du die Freuden des Großstadtlebens kennenlernst.« »Ich möchte aber Ihre Zeit nicht zu sehr beanspruchen, Sir.« David hoffte immer noch, sich die Stadt allein ansehen zu können.

Die Vorstellung in irgendeinem langweiligen Club unter lauter reichen Leuten essen zu müssen, erfüllte ihn nicht gerade mit Begeisterung. Schließlich war das sein letzter Abend auf der Erde.

»Zeit? Was ist Zeit? Wohnst du im Hilton?«

»Nein, Sir, ich hab' mein Gepäck auf dem Flughafen eingestellt.«

»Gut. Dann kannst du hier übernachten; wir lassen dein Gepäck später holen.« Dr. Jefferson wurde plötzlich ernst. »Aber deine Post wird doch ins Hotel nachgeschickt?«

»Ja.«

David stellte überrascht fest, dass das Dr. Jefferson etwas zu beunruhigen schien. »Nun, darum kümmern wir uns später. Das Päckchen, das ich dir schickte - meinst du, man schickt es dir gleich nach?« »Das weiß ich wirklich nicht, Sir. Normalerweise wird zweimal täglich Post zugestellt. Wenn der Direktor aufgepasst hat, hat er es vielleicht mit Eilboten nachgeschickt, damit ich es morgen früh noch vor dem Start bekomme.« Die Sache schien Dr. Jefferson doch mehr zu beschäftigen, als er zugeben wollte, und er sprach auch während der Fahrt ins Restaurant kaum ein Wort. Es hieß Das Hinterzimmer, doch das war außen nicht angeschrieben; es war einfach eine von vielen Türen in einem Tunnel. Trotzdem schienen viele Leute das Lokal zu kennen und es besuchen zu wollen, aber ein Mann mit einem strengen Gesicht verteidigte den Eingang hinter einer Samtkordel. Dieser Würdenträger erkannte Dr. Jefferson und schickte nach dem Saalkellner. Der Doktor machte eine Geste, die von Oberkellnern begriffen wird, seit es Restaurants auf der Welt gibt, die Kordel senkte sich, und man führte sie würdevoll zu einem Tisch ganz vorne an der Bühne. Während Dr. Jefferson bestellte, bemerkte David, dass man ihnen gegenüber einem Tisch weggenommen hatte, um für eine große durchsichtige Plastikkapsel auf Rädern Platz zu machen. David hatte so etwas noch nie gesehen, wusste aber gleich, worum es sich handelte; das war die »Klimakammer« eines Martianers, tatsächlich nichts anderes als eine fahrbare Klimaanlage, die die dünne kalte Luft lieferte, wie sie die Ureinwohner des Mars benötigten. Man konnte den Insassen des Wagens nur undeutlich sehen. Sein gebrechlicher Körper wurde von einem Metallgerüst mit Servomotoren gestützt, das ihm dabei behilflich war, mit der brutalen Schwerkraft des dritten Planeten zu Rande zu kommen. Seine Pseudoflügel hingen schlaff herunter, und er bewegte sich nicht. David tat er leid. Als kleiner Junge war er auf Luna mit Mart1anern zusammengetroffen, aber das geringe Schwerkraftfeld des Mondes war sogar schwächer als das des Mars; folglich wurden sie dort auch nicht zu Krüppeln, die ein Schwerefeld lähmte, für das sie nicht gebaut waren. David fragte sich, was den hier zur Erde führte. Eine diplomatische Mission vielleicht? Dr. Jefferson schickte die Kellnerin weg, blickte auf und bemerkte, dass er den Martianer anstarrte. David sagte: »Ich habe mich gefragt, was er wohl hier macht. Bestimmt ist er doch nicht zum Essen gekommen?« »Wahrscheinlich will er sich die Fütterung der Raubtiere ansehen. Mir geht es übrigens ähnlich, David. Sieh dich gut um, so etwas siehst du nie wieder.« »Nein, das kann ich mir denken - nicht auf dem Mars.«

»So habe ich es nicht gemeint. Sodom und Gomorrha, Junge - bis auf den Kern verfault und dem Abgrund nahe ... aber ich rede zu viel. Genieße es, solange es währt.« David blickte verblüfft auf. »Dr. Jefferson, leben Sie eigentlich gerne hier?«

»Ich? Ich bin so dekadent wie die Stadt selbst. Das hindert mich aber nicht daran, sie zu kritisieren.« Plötzlich unterbrach die Kapelle ihre sanften Weisen, und die Lautsprecheranlage verkündete: »Sondermeldung!« Gleichzeitig wurde der simulierte Nachthimmel über ihnen schwarz, und Leuchtbuchstaben fingen an darüber zu gleiten. Die Stimme am Mikrofon las die Worte vor, die über die Decke huschten: Nachrichten: Das Kolonialamt hat soeben bekanntgegeben, dass der provisorische Ausschuss der Venuskolonien unser Angebot abgelehnt hat. Dem Vorsitzenden der Galaktischen Föderation nahestehende Quellen meinen, man habe mit dieser Entwicklung gerechnet, und es besteht kein Grund zur Sorge.

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