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Die Figuren: Teil 1

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Die Figuren in diesem Roman:

ER ist in diesem Krimi der Mörder – doch seinen Namen erfahren wir erst später …

SIE ist Marlies Mühlmann, und sie hat ein Problem: Sie hat Pech und ist das Opfer. Sie weiß, wer der Mörder ist – doch sie kann es uns leider nicht mehr verraten …

ICH bin Titus Tim Tenfelde, Therapeut in Münster. Ich weiß daher viel über das Warum hinter solchen Gewalttaten – doch ich denke auch, ich weiß, wer es war.

Martin Heveling muss von Berufs wegen herausfinden, wer es war: Er ist der ermittelnde Kommissar, aber er weiß natürlich nicht sofort, wer es war oder warum.

Hans Haferkamp ist mein Patient und Physiklehrer. Er ist das Opfer eines Diebes: Ein „Wirtschaftsberater“ im Nadelstreifenanzug hat seine Alterssicherung ergaunert.

Weitere Rollen spielen:

 Erich Ether, Chemiker am Landesuntersuchungsamt (Er untersucht von Amts wegen Brötchen, Schweine und andere Lebensmittelproben, und manchmal auch Moni Mongold, seine Kollegin),

 Helga Hülk, meine Sekretärin (Sie dirigiert meine Praxis mit Büro-Kompetenz und Herzenswärme),

 Dieter Determann, Haferkamps Chef (als Schulleiter Musterknabe und Liebling von Bezirksregierung – denkt er),

 Hermann E. Petermann, ein „legal“ arbeitender „Wirtschaftsberater“ (oder Dieb im Nadelstreifenanzug?)

 Meier-zu-Brokenhoff, Hevelings Chef, sowie Mike Rohsoft und weitere Kolleg/inn/en von der Kripo Münster, der KTU und von der Gerichtsmedizin)

und ein paar weitere Originale aus dem Münsterland und Ostfriesland.

Teil 1

Der Mörder kam, als die Anderen schon ans Gehen dachten. Er kam auch nicht heimlich, auf leisen Sohlen. Er kam, ganz offen sichtbar, per Fahrrad den Dortmund-Ems-Kanal lang. Er unterquerte die Umgehungsstraßen-Brücke über den Kanal, gegenüber vom großen Futtermittelbetrieb, dessen künstlerisch verzierte Getreide-Silos in den Abendhimmel Münsters ragten. Er fuhr zum Betriebseingang der Gießerei herüber, stellte sein Fahrrad an den Straßenrand, streifte den blauen Rucksack mit der Thermoskanne und zwei Plastiktüten ab und betrat, für alle gut sichtbar, die heiße Halle der Gießerei, um seinen Plan eiskalt zu beenden.

„Hey, Tom!“, rief er laut vernehmlich in die Halle und stempelte an der Stechuhr seine Karte ab.

Tom, der Gießer am Ofen, drehte sich um und hob die Hand im Thermo-Handschuh.

„Hey!“, rief er zurück. „Gut, dass du kommst! Wir müssen noch eine Ladung Gullideckel fertiggießen!“

Toms Ruf ging in diesem Moment fast im Lärm unter. Eine neue Brennstoffladung war in das Ofenfeuer gepackt worden und die Stichflamme schoss in diesem Moment aus der offenen Ofentür.

Tom, dem die Feuerhitze dank der Schutzkleidung kaum etwas ausmachte, drehte sich routiniert wieder um, versah cool die Tür des fast glühenden Schmelzofens mit einem kräftigen Stoß mit der großen Eisenzange, und diese fiel mit einem lauten Krachen zu.

Der Mörder ging in die Umkleidekabine hinüber, stellte seinen blauen Rucksack in den roten Spind Nummer 14 und streifte sich Feuerschutzanzug und Thermohandschuhe über.

„Den Guss übernehm’ ich schon!“, beruhigte er seinen Kollegen Tom, als er zum Schmelzofen hinübertrat.

„Geil!“, meinte Tom und reichte ihm die Eisenzange. „40 Stück – für’s Straßenbauamt Münster! Bist echt ‘ne hilfreiche Hilfskraft. Da kann ich ja jetzt Feierabend machen – meine Alte wartet sicher schon! Tschüß!“

„Herzliches Beileid!“, meinte sein Kollege schmunzelnd. Er klopfte Tom auf die Schulter, und schon war Tom im Umkleideraum, sich der Schutzklamotten entledigen. „Der heißeste Arbeitsplatz Münsters“, hatte die Tageszeitung einmal einen Bericht über die Gießerei am Kanal betitelt – und tatsächlich war es Tom bald kalt, als er in den noch rund 25 Grad warmen Sommerabend hinausging und die Gießerei Klebholz kurz darauf mit seinem Sportwagen hinter sich ließ. Seine Sabine wollte er tatsächlich nicht länger in Kinderhaus warten lassen.

Der Aushilfsschmelzer betrachtete Toms Werk durch das Sichtfenster von Ofen Eins. Die neue, automatische Sauerstoffzufuhr durch das Hinterhof-Rohr funktionierte bestens. Unter den Flammen, orange leuchtend, waberte das zähflüssige Gusseisen und wartete darauf, dass der Ofen angestochen wird. Er kontrollierte noch einmal die Bimsstein-Kanäle und Gussformen am Bodenofen, griff dann zum Stecheisen und stach die Ausgussöffnung an. Leicht spritzend ergoss sich die glühende Metallschmelze über die alten Abflusskanäle in die gereinigten Gullideckel-Gussformen. Über Nacht sollte sie abkühlen und Tom würde sie in der nächsten Schicht aus den Formen hebeln und mit dem Gabelstapler verladen – zur Gullideckellieferung frei Haus.

Dann sah er sich um. Tom und Luigi waren die Letzten, die noch am Ofen gewesen waren. Jetzt, eine halbe Stunde nach Feierabend, war die Gießerei bis auf die Spätschicht leer. Spätschicht, das waren heute Mark und er. Mark, sein Schichtpartner, war jedoch krankgemeldet, und er – wie das in einem Kleinbetrieb so läuft, musste seinen Job dann halt mitmachen. Keiner wusste, dass er am Zechabend zuvor seinem Kollegen Mark ein Mittelchen in das Bier gegeben hatte. Klar, dass Mark nun krank war – der Plan ging auf. Nun konnte er Marks Job mitmachen. In diesem Fall hieß das: Neben Ofen Nummer Eins auch Schmelzofen Zwei anstechen. Er war ungestört. Also schloss er die Ofenöffnung wieder. Dann ging er zum zweiten Schmelzofen hinüber. Dort kontrollierte er den nun beendeten Schmelzprozess durch das Sichtfenster. Anschließend sah er sich in der heißen Gießerei-Halle nochmals um. Er durchquerte sie und lief, als er sich vergewissert hatte, dass die Luft nun rein war, hastig zum Umkleideraum. Er öffnete seinen Spind, nahm eine Plastiktüte aus dem Rucksack, packte Rucksack und Plastiktüte mit links, schloss den Spind wieder mit rechts und eilte mit Plastiktüte und Rucksack zum zweiten Ofen.

Die Eisenzange half ihm, die Ofentür zu entriegeln. Laut quietschend krachte sie auf. Funken flogen. Die Stichflamme schoss die Ofenwand hoch. Seine Hand zitterte. Er bückte sich, griff die neben ihm liegenden Teile und wollte Rucksack und Plastiktüte in hohem Bogen in den Ofen werfen. Die Tüte jedoch entglitt ihm im Wurf aus den Fingern. Ihr Inhalt war noch nicht aufgetaut, und als seine durch die Nähe des Ofens erwärmte Hand die Tüte griff, rutschte sie an der kondensierten Luftfeuchtigkeit ab, während der Rucksack zischend in den Flammen verschwand.

„Verdammter Mist!“, fluchte er, als er die Tüte auf den Boden fallen sah. „So eine gequirlte Hundekacke!“, schob er erregt hinterher. Er fing sich, griff die Tüte und wollte sie erneut in den Ofen schleudern, da riss sie auf und der Kopf der Leiche rollte über den Boden. Er packte ihn an den Haaren und schwang ihn, einem perversen Basketballspiel gleich, in den offenen Schmelzofen – die Plastiktüte mit Hilfe einer Eisenstange hinterher.

Bloß keine Spuren hinterlassen!, schoss es ihm durch den Kopf. Eisenstange und Thermohandschuhe hatten Kontakt mit dem abgetrennten Kopf gehabt – auch sie mussten in den Ofen. Dann kontrollierte er den Hallenboden, dort wo der Kopf seines Opfers auf den Boden aufgeschlagen war. Er sah so genau hin, wie er in der Eile konnte. Haare, Schuppen oder Ähnliches sah er nicht – auch keine Blutstropfen. Gut, dass der noch tiefgekühlt war!, dachte er. Dann nahm er etwas Löschsand, verstreute ihn an der Stelle, wo der Kopf gelegen hatte, fegte ihn wieder auf und entsorgte auch ihn im Ofen. Mit einem Ruck schloss er die Ofentür, griff zum Stechrohr und entließ, nach einer Kontrolle der Ablaufbahnen und Gussformen, die Gusseisenschmelze aus dem Schmelzofen. Restlos hatte sie den noch tiefgekühlten Kopf in sich aufgenommen. Ein puffendes Zischen, als der Schädel im Ofen durch den Dampfdruck aufsiedender Hirnflüssigkeit platzte, eine Wolke von Wasserdampf, eine Stichflamme – und Kopf, Tüte, Stange und Thermohandschuhe waren Geschichte.

Ein großes Gefühl von Genugtuung und Entspannung durchströmte ihn, als er die Metallschmelze in die Gussformen fließen sah. Wie glühend heiße Lava floss sie durch die Formteile, legte sich in die Ritzen und füllte sie aus. Nun hatte er auch das letzte Leichenteil entsorgt – planmäßig und spurenlos wie alle anderen zuvor: Zerkleinert mit Hilfe entsprechender Werkzeuge in der Wanne daheim, verpackt in Plastiktüten und in der Tiefkühltruhe deponiert, Werkzeug und Wanne ausgewaschen mit Wasserstoffperoxid und danach monatelang jeweils die Werkzeug- und Leichenteile portionsweise in und nach der jeweiligen Spätschicht im Schmelzofen vernichtet.

Ein Triumphgefühl mischte sich in seinen Ozean aus entspannter Genugtuung, und ein stolzes Lächeln überzog sein Gesicht. Dich wird niemand wieder finden!, jubelte er innerlich. Perfekt entsorgt!

Er setzte sich die Mineralwasserflasche an den Hals, wie er es in vielen, heißen Schichten getan hatte. Er leerte die noch halbvolle Flasche in einem Zug, und es kam ihm dieses Mal vor, als sei es das köstlichste, kühlste, würzigste Mineralwasser, dass er je getrunken hatte. Dieses Miststück hatte ihm so viel weggenommen, sein Leben gleich zwei Mal zerstört – jetzt war es dafür endgültig komplett vernichtet worden, verglüht in der höllischen Hitze des Klebholz-Schmelzofens. Und das frisch geschmolzene Gusseisen ruhte in den Gussformen des Hallenbodens, erkaltend in der Form stadtüblicher Gullideckel der Gießerei. Alles war gut, alles wieder im Lot.

Tief befriedigt fuhr er die Heizleistung der beiden Öfen hinunter, beendete seine Schicht, legte eine Ersatz-Eisenstange für die nächste Frühschicht bereit und den verkohlten Rest eines Thermohandschuhs neben eine der Gussformen. Es würde für die Anderen aussehen, als habe er wieder einmal einen Thermohandschuh liegen lassen an der Gussform, den die Metallschmelze dann angesengt und fast verschluckt hat.

Er zog sich um, bestieg sein Fahrrad und verließ die Gießerei in Richtung Kanal. Genüsslich langsam fuhr er den Betriebsweg am Kanal entlang. Die Sonne verschwand hinter den Getreidesilos der Tierfuttermittel-Fabrik an der Umgehungsstraßenbrücke, und einige hundert Meter weiter schienen die Pflasterstein-Stapel der benachbarten Betonwerke sich vor dem dunklen, nur noch schwach orangenen Himmel Gute Nacht sagen zu wollen.

Er wollte es perfekt machen, das Verwischen der Spuren. Der Schmelzofen war sein Hilfsmittel, sein Freund gewesen, denn er hatte ihn jahrelang kennengelernt, seine Tücken und Macken, seine Vorzüge und Stärken. Und seinen Job würde er nun – nach einigen Wochen vorgetäuschter Krankheit – kündigen, kurz eine weitere, neue Wohnung beziehen (vielleicht waren ja doch noch Reste in der Wanne – ein Umzug konnte da nur vorteilhaft sein), und dann würde er seine Zelte in Münster endgültig abbrechen und ein neues Leben anfangen, mit einer neuen Beschäftigung, in einem neuen Umfeld. In Münster hielt ihn nichts mehr, nichts Verdächtiges konnte mehr auf ihn hinweisen.

„Garnichts?“, fragte er sich plötzlich erschrocken, als er, den Kanal entlangradelnd, am Feuerwehr-Ausbildungszentrum entlangkam. Da fiel ihm plötzlich siedend heiß sein Fahrrad ein, so, als hätte man ihm kochendes Wasser über die Schultern gegossen. Hatte die Tüte nicht, bevor er sie in den Rucksack gestopft hatte, kurz am Lenkrad gehangen? Konnte es daher nicht auch noch Leichenspuren am Lenker geben?

„Verdammter Mist!“, fluchte er erneut, und Gequirlte Hundekacke – die Leeze!, schoss ihm durchs Gehirn, zusammen mit dem Entschluss, sicherheitshalber auch das Fahrrad zu entsorgen. Er hielt an, packte das Rad an der Stange unter dem Sattel und wollte es in hohem Bogen in den Kanal werfen, als er in der Drehbewegung plötzlich mit einem älteren Herrn zusammenstieß, der mit einer oder auch seiner Frau dort spazieren ging.

„Hallo!“, protestierte der Mann, „passen sie doch gefälligst auf!“

Das Paar war stehen geblieben und sah ihn entrüstet an.

„Entschuldigung!“, sagte Elmar kleinlaut, „Ich habe sie übersehen!“

„Allerdings!“, entgegnete der wütende Spaziergänger im Weitergehen. „Unmöglich, sowas hier zu entsorgen.“

Genervt setzten die Beiden ihren Abendspaziergang fort.

Er holte einmal tief Luft, packte die Leeze, wie man in Münster die Fahrräder nennt, erneut und warf sie, wie vorgesehen, in den Kanal. Das Paar war schon ein paar Schritte weitergegangen. Die Frau hatte sich nocheinmal umgedreht, den Fahrradwurf bemerkt und dem Mann mitgeteilt. Kopfschüttelnd zog das Pärchen ab.

„Aggressionsstau oder Choleriker…“, stellte der Mann noch fest. Er bekam noch ein paar Gesprächsfetzen mit. Sie verrieten ihm: Der Typund seine Begleiterin waren psychologisch angehaucht. Intensiv über ihre„Hypothesen“ diskutierend, setzten sie ihren Abendspaziergang fort, ohne ihn weiter zu beachten.



„Da, Lilly, schau!“

Lilly blieb stehen. Sie waren an der Promenade, Höhe Ludgeriplatz. Die Morgensonne blendete sie und die schwere Eisenfeile drückte ihr in der Seitentasche.

Inga zeigte auf die andere Straßenseite.

„Was ist das?“

Inga lief quer über die Fahrbahn. Sie zeigte auf die Gegenstände, direkt an der Bordsteinkante. Lilly kam herüber. Sie beugte sich hinab. Neugierig beäugte sie, was da am Gullideckel an der Bordsteinkante war. Rechts im Rinnstein sah sie einen Schlüsselbund mit grauem Stofftierchen-Anhänger, wohl eine Robbe oder ein Seehund. Links lag eine Tageszeitung und darauf eine schwarze Geldbörse. Sie nahm die Gegenstände auf. In aller Ruhe sah sie in die fremde Geldbörse.

„Ey! Was machst du da?“, fragte Lilly. „Klauen?“

„Nee. Ich sehe nach, wem das gehört, du Nuss!“

Lilly Stresemann griff in die Geldbörse. Sie hoffte, in der Patte einen Perso oder eine Visitenkarte zu finden. So könnten sie den Eigentümer vielleicht direkt anrufen statt zum Fundbüro zu müssen.

Lilly trug Jeans. Sie war Journalistik-Studentin und Praktikantin bei der Bild-Zeitung. Die Blondine hoffte, dort übernommen zu werden, wenn sie ihr Studium schaffte.

Inga sah auf den Personalausweis. Sie studierte nebenbei mit Lilly, war jedoch im Hauptfach Metallurgie-Studentin. Sie hatte Lilly mit auf Tour genommen, denn sie sammelte Gusseisen-Proben von Gartenzäunen, Parkbänken, Sperrmüll- und Altmetall-Abfällen, und von den Beet-Begrenzungen an der Promenade. Deren Untersuchung gehörte zu ihrer Doktorarbeit bei Professor Haber.

„Da steht’s!“, rief Inga. „Bernd Berendsen heißt der. Mit Adresse, guck!“

Er sah gut aus, dieser Berendsen, fand Lilly. Sie beschloss, ihm die Geldbörse und das Portemonnaie noch am selben Abend vorbeizubringen. Lilly steckte alles ein. Sie wollte weiter.

„Moment!“

Inga hielt sie fest.

„Wir nehmen noch eine Probe!“, bestimmte sie.

„Okay“

Lilly wusste, was sie zu tun hatte. Sie reichte ihr die Feile. Inga beugte sich zum Gullideckel hinab, der am Fundort im Rinnstein saß. Sie legte ein Tütchen auf die Querrippen des Gullis, setzte die Feile an eine Gullideckel-Rippe und feilte von unten nach oben. Die Späne fielen auf ihr Tütchen. Sorgsam schloss sie das Tütchen, als sie genug Späne hatte, und steckte es ein. Zufrieden gingen die beiden weiter über die Promenade in Richtung der Synagoge.

Martin Heveling brauchte heute Morgen einen starken Kaffee. Einen Da-steht-der-Löffel-ja-von-alleine-Kaffee musste es sein. Das Kommissariat am Friesenring war jetzt, am frühen Morgen, fast noch menschenleer, und er wollte den Kaffee im Büro selbst aufsetzen, bevor die Anderen kamen.

Kommissar Martin Heveling fuhr den Mitsubishi auf den Parkplatz, ging durch die Pforte und nahm die vierzehn Stufen in den ersten Stock in einem Schwung, bevor er die Tür öffnete. „Der Aktenberg muss weg!“, hatte er sich vorgenommen, und dazu brauchte er, wie gesagt, seinen Da-steht-der-Löffel-ja-von-alleine-Spezialkaffee. Von Hand aufgegossen, nicht per Maschine.

Er öffnete die Amtsstubentür, warf die Lederjacke über die Bürostuhllehne und ging zum Büroschrank, auf dem, hüfthoch abgestellt, Wasserkocher, Kaffeedose und Filter mit Filterpapierpackung bereitstanden.

„Zwei Löffel!“, dachte er, als er den Wasserkocher füllte und anstellte. Die zwei Löffel Kaffeepulver jedoch konnte er nicht mehr in den Kaffeefilter geben, denn kurz darauf klingelte das Telefon.

„Heveling!“, meldete sich Martin.

„Büro Staatsanwalt Memming, Backendreher hier“, meldete sich die Dame von der Staatsanwaltschaft.

„Hallo Inge!“, sagte Martin.

„Martin, wir brauchen die Unterlagen im Fall Welterhoff!“

„Der Tote in der Hohen Waardt?“

„Ja, der Chef will sie einsehen!“

„Gestern fertiggestellt. Ich lasse sie euch rüberkommen!“, versprach Martin.

„Danke!“, schloss Inge, „Dir einen schönen Tag noch!“

„Dir auch!“, antwortete Martin, in Gedanken wieder an der Kaffeedose angekommen.

„Moin moin, Martin!“, schallte es ihm da von der Tür entgegen.

„Morgen, Ernst!“, sagte Martin.

„Martin, die neuen Ermittlungsakten. Abzuschließende Fälle vom Vorjahr! Der Chef will sie heute Nachmittag sehen. Und du sollst die KTU anrufen – gleich sofort!“

Martins Mundwinkel sanken vom Obergeschoss in das Erdgeschoss hinab. Die Kaffeepause konnte er vergessen. Der Arbeitstag hatte begonnen. Mit Betonung auf Tag – denn auch nachts konnte und musste er gelegentlich arbeiten.

„Vielen Dank!“, meinte Martin ironisch – doch Ernst war schon wieder auf dem Flur.

Martin schob den Aktenstapel an den Rand seines Schreibtisches und sah auf die obersten Ordner. „Vermisstenanzeige Mühlmann“, las er die anhaftende Notiz, „Angestellte, vermisst seit 19.3., Spuren erfolglos geprüft, Suche vorläufig einstellen!?? Meier-zu-Brokenhoff.“

„Okay, einstellen!“, dachte Martin, als schon wieder das Telefon klingelte.

„Martin, wo bleibst du? Wir hatten uns doch heute an der Gerichtsmedizin verabredet, mit Mike Rohssoft!“, erinnerte ihn Bob Davis, sein Kollege vom Kommissariat 12.

Oh, Mist, der IT-ler von der KTU!, fiel es Martin wieder ein.

Er holte Luft, um Bob zu antworten, da ging sein Handy.

„Oh Bob!“, meinte Martin. „Vergessen! Das ist nicht mein Tag heute!“

Und während er Bob zu erklären versuchte, dass die Meckmann-Unterlagen zur Staatsanwaltschaft müssen, die KTU auf ihn warte und Meier-zu-Brokenhoff auf einen Stapel Ermittlungsakten hoffe, da erfüllte ihn ein echt trauriges Gefühl in der Brust: Zu seinem Kaffee würde er wohl nun erst einmal nicht mehr kommen…



Das reiskorngroße Steinchen trudelte durch die eiskalten, dunklen Tiefen des unendlich weiten Weltraums. Es schwebte in der Umlaufbahn des ehemaligen Kometen 109P/Swift-Tuttle alle 133 Jahre einmal um die Sonne, wurde vom Mond umgelenkt und geriet kurze Zeit später plötzlich und mit einer rasenden Geschwindigkeit von 249000 Stundenkilometern in den Luftraum über dem Münsterland. Die Reibungswärme erhitzte es auf über 2000 Grad Celsius. Im Todeskampf in 80 km Höhe glühte das Geschoss für einen Sekundenbruchteil am Sternenhimmel im Sternbild Perseus auf, bevor seine Atome und Moleküle mit der Luft zu einem Plasma reagierten.

Petra, schau!“, rief ich, „Eine Sternschnuppe!“. Ich wusste an diesem Abend noch nichts von den Vorgängen in der Schmelzerei am Kanal, und auch nichts von Hevelings neuem Vermisstenfall am Morgen danach. Ich erinnere mich aber: ich hatte an jenem Abend diese Sternschnuppe erblickt, als wir unseren Abendspaziergang am Kanal machten. Ich stieß meine Kollegin noch an und zeigte in die Richtung. Petra sah sich zur Seite um, doch da war sie schon verglüht. Die Baumwipfel am Horizont hinter den Silhouetten der Betonwerke verdeckten das Ende ihrer Schweifspur und der Abendhimmel war wieder vom gleichmäßigen Dunkel des sternenübersäten Firmamentes geprägt.

Eine Sternschnuppe? Um diese Zeit?“, fragte Petra.

Ja, es sind Perseïden – wir haben August!“, meinte ich.

Aber sie fallen doch erst nach Mitternacht – bis in den nächsten Morgen hinein?“, meinte Petra skeptisch.

Ich sah sie an. Ich wollte ihr gerade antworten, da stießen wir am Kanalufer plötzlich auf eine Gestalt, die ein Fahrrad angehoben hatte und es in hohem Bogen durch die Luft schwang. Der Vorderreifen hätte mich fast am Kopf erwischt.

Hallo!“, protestierte ich, „passen sie doch gefälligst auf!“

Wir waren stehen geblieben und ich sah ihn entrüstet an.

Entschuldigung!“, sagte er kleinlaut, „Ich habe sie übersehen!“

Allerdings!“, entgegnete ich im Weitergehen. „Unmöglich, sowas hier zu entsorgen.“

Genervt setzten wir unseren Abendspaziergang fort.

Als wir ein paar Schritte weitergegangen waren, drehte Petra sich noch einmal um.

Du, er hat sein Fahrrad in den Kanal geworfen!“, meinte sie entsetzt.

Was?“

Ja, einfach weggeworfen – ins Wasser!“

Ein Wutausbruch?“

Kopfschüttelnd zog Petra weiter, ich folgte ihr.

Aggressionsstau oder Choleriker?“, fragte ich, und schon waren wir von einem astronomischen in ein psychologisches Fachgespräch gerutscht. Es machte einfach Spaß, mit Petra zu fachsimpeln.

Wir hatten unsere Runde abgebrochen, waren zurück Richtung Wolbecker Straße gelaufen – entlang an den Sportanlagen des TuS Saxonia und des gegenüberliegenden Rudervereins. Ich verabschiedete mich von Petra in Höhe des Alten Gasthauses Homanns. Sie bestieg ihr Auto, fuhr schnell davon, und auch ich war froh, bald wieder in meinem Bett zu sein. Schließlich war am nächsten Morgen viel zu tun: Ein Kommissar Heveling bat um Rückruf in Bezug auf mein früheres psychologisches Gutachten in einem Mordfall und Patient Hans Haferkamp hatte einen Therapietermin. Und Petra und ich hatten uns noch kurzzuschalten für eine Videokonferenz zur Vorbereitung einer Fortbildung für Kollegen, Thema: „Tatmotive in der Traumabewältigung von Gewaltopfern“. Vielleicht ließ sich dann ja auch kurz über den „Radweitwurf“ scherzen, dessen Opfer ich beinahe am Kanal geworden wäre?



Mark und Luigi hatten Schicht. Es war wenige Tage nach dem Vorfall mit dem Fahrrad am Kanal. Luigi war als Erster da. Er pulte sich in den Hitzeschutzanzug, schmiss den Ofen an und machte die erste Ladung zum Aufschmelzen fertig. Der Ofen war noch nicht heiß, doch schon jetzt kam der 110-Kilo-Mann ins Schwitzen. Einem unbedarften Zuschauer wäre es unklar gewesen, ob nun Luigi schwerer war – oder die Schmelzladung für Ofen Zwei.

Luigi machte sich daran, den Schmelzofen zu bestücken, da hörte er jemanden die Halle betreten und das Radio anschmeißen.

„Wieder gesund, Mark?“, ächzte Luigi, als Mark die Halle betrat.

„Jau, wieder gesund!“ entgegnete Mark ganz auf westfälische Art. Zwei, drei knappe Worte mussten genügen, denn alles ab vier Worten ist ein unnötig langer Roman. Immerhin hatte Mark hochdeutsch geredet, denn Luigi, der Italiener, konnte kein Plattdeutsch.

Luigi wandte sich also wieder der Schmelzladung zu, als Mark plötzlich ins Reden kam.

„Besichtigung“, teilte er ihm mit, „vom Chef genehmigt“.

„Mamma Mia!“

Luigi stöhnte. So etwas nervte ihn.

„Gleich um halb acht“, fügte Mark hinzu.

So gesprächig hatte Luigi ihn selten erlebt.

Mamma Mia! So schwätzt der doch eigentlich sogar nur dann, wenn Ostern auf Weihnachten fällt!, dachte er.

Der Physiklehrer und seine Klasse kamen, als die Belegschaft schon in die Frühstückspause gegangen war –bis auf Mark und Luigi.

Der Lehrer und seine Klasse kamen vom Halleneingang zu den Schmelzöfen herüber. Mark hantierte an Ofen Eins, Luigi knurrte und schmorte an Ofen Zwei. Wegen dieser blöden Betriebsbesichtigung sah er seine Frühstückspause in ernsthafte Gefahr kommen – in Gefahr dieses Typen, dessen Gesicht er wiedererkannte.

„Grüß Dich, Luigi!“, rief ihm der Lehrer zu. Dann drehte er sich um.

„Und jetzt lernen wir den Prozess des Schmelzens aus nächster Nähe kennen“, informierte der Lehrer seine Klasse.

„Kommt einmal rüber zu mir. Ich erkläre Euch jetzt, was der Schmelzer da macht.“, ergänzte er.

Marks Knurren war verstummt – es schien, als werde der Lehrer die Führung übernehmen (er kannte ihn schon vom Sehen her). Nur das Knurren seines leeren Magens verstummte nicht – Mark hoffte, der Lehrer werde die Führung, die er übernommen hatte, auch schnell wieder beenden. Marks Magen brauchte dringend eine Schinkenstulle mit Pumpernickel, dem westfälischen Schwarzbrot.

Der Lehrer kam schnell zur Sache. Die Schüler bestaunten Marks‘ Hitzeschutzanzug, die Hitze des Höllenofens dahinter und des Lehrers Schilderung vom „heißesten Arbeitsplatz von Münster“, wie es in den Westfälischen Nachrichten damals geheißen hatte. Die heißeste Braut Münsters wäre mir lieber!, hatte Mark nach dem Erblicken der Reporterschlagzeile damals gedacht, doch der Zeitungsbericht hatte nur zur Folge gehabt, dass mehrere Firmenbesichtigungen angefragt wurden. Sogar Anfragen nach Praktikumsplätzen hatte es gegeben, und daher kannte Mark den Lehrer schon. Aber er war sich unsicher.

Hat der Typ sich nicht neulich für so ein Kennenlern-Praktikum beworben oder eins mitgemacht?, fragte er sich. Oder kenn’ich den jetzt nur von diesen lästigen Betriebsbesichtigungen?

Sein knurrender Magen zeigte ihm, dass es nun echt wichtigere Dinge gab als das, was da vor ein paar Wochen im Betrieb gelaufen war.

Die großen Hallentore standen offen, doch in der Halle wehte kein laues Lüftchen. Luigi öffnete ein Probe-Ablassventil am Drehtrommelofen. Funkensprühend spritzte die Probe an Gusseisenschmelze in das Auffanggefäß. Einer der Schüler schrie vor Schreck oder Erstaunen auf.

Mit der Stange leitete Luigi die Probe weiter in die Gussvorrichtung.

Der Lehrer dozierte: „Ihr seht: Die Schmelzer arbeiten hier mit rund 1400 Grad heißem Eisen –im Winter ebenso im wie im Sommer. Klar: Es gibt viele heiße Arbeitsplätze, im Straßenbau unter der sengenden Sonne zum Beispiel, über der Hitze des heißen Asphalts. Aber für die Bauarbeiter dort im T-Shirt ist das, wenn ein Wind geht, schon etwas Anderes! Und daraus“ – der Lehrer zeigte auf die Eisenschmelze – machen die dann Graugussteile für die Maschinenbau-Industrie. T-Shirts sind natürlich absolut tabu hier. Die Männer müssen an den großen Drehtrommel-Ofen ran, in schwer entflammbarer Arbeitsschutzkleidung: Gießerstiefel, Handschuhe, Käppi, Schutzbrille. Sonst entflammt denen das T-Shirt und die Haare brennen!“

Beeindruckt hörte die Klasse zu.

Der Lehrer lachte: „Nachher sind die gut durch.“

Luigi hätte ihn umbringen können. Nicht für die Bemerkung, denn schwitzen war sein Job. Aber für das Gelaber – schließlich konnte er nicht in Pause gehen bevor der Typ seinen Vortrag beendet hatte.

Accidenti, quel tipo è fastidioso!Ob der nun Praktikum macht, hier, oder nun auch Betriebsbesichtigung – der nervt!, fluchte er, innerlich kochend wie Lava oder wie die Eisenschmelze in seinem Ofen.

„In diesem Drehtrommelofen hier“ – der Lehrer zeigte auf Luigi – „bringt ein Öl-Sauerstoff-Gemisch das Roheisen zum Schmelzen. Die Brennerflamme kommt auf 2500 Grad. Das flüssige Eisen, das gerade in einen großen Bottich und dann in die Formen aus Quarzsand geflossen ist, hat immerhin auch noch 1400 Grad Celsius.“

Ein Schüler schaute gelangweilt weg, sah neidisch Luigis Mineralwasserflasche.

„Schaut her!“, mahnte der Lehrer und zog ein Thermometer aus der Jackentasche.

„Ein normales Thermometer reicht zur Probemessung nicht mal aus: Es ist bei 50 Grad am Anschlag. „Die Temperatur geht aber hier schon bis an die 60 Grad und die Strahlungshitze kommt hinzu.

Luigi lief der Schweiß im Schutzanzug hinunter – und seine Wut kochte weiter hoch.

Silenzio, chiacchiere!, dachte er, Schweig, du Schwätzer!

„Das ist schwere körperliche Arbeit“, dozierte der Physiklehrer, „und rund zweieinhalb Tonnen Eisen können so täglich verarbeitet werden – zu Gullydeckeln oder Lagerschilden für Elektromotoren. Die müssen dann langsam abkühlen und strahlen dabei noch stundenlang Hitze ab. Die Gießer beginnen im Sommer um 5 Uhr morgens, damit sie in der Mittags um 14 Uhr fertig sind. Sie müssen viel trinken, mehrere Liter täglich, und hoffen auf ein Eis zur Frühstückspause – eine sehr willkommene Abkühlung.“

Luigi dachte daran, den Lehrervortrag mit einem neuen Spritzer glühender Eisenschmelze zu beenden, aber natürlich blieb er ruhig und kümmerte sich um den Ofen. Und er hatte Glück: Der Physiklehrer beendete seinen Vortrag plötzlich – wohl weil in der schwitzenden Berufsschulklasse Unruhe aufkam, als er das Wort „Eis“ in den Mund genommen hatte.

Nun war der Moment nicht mehr weit, an dem auch Luigi sein Frühstück in den Mund bekam. Gießerei Klebholz – hier kommt alles wieder ins Lot, dachte Luigi. Man muss nur abwarten, bis die Hitze verflogen ist.



Bernd „Bernie“ Berendsen, der gemütliche Ostfriese, öffnete die Tür zu dem kleinen Appartement, das er sich an der Josefskirche angemietet hatte. Er war müde. Er schob sich eine Pizza in den Ofen und sah aus dem Fenster. Im Südpark grillten einige Studentengruppen. Andere spielten Fuß- und Federball. Zwei Studentinnen schlenderten durch den Park, in Richtung auf seine Wohnung.

Berendsen war froh, dass sich der Tag dem Ende zuneigte. Es war später nachmittag. Feierabend. Er war gerade vom Aschendorff-Verlag zurück. Dort hatte er seinen Kollegen Rudi Rettich getroffen, der bei den Westfälischen Nachrichten arbeitete. Er selbst kam jedoch nicht aus Münster. Er kam aus Norden (der Stadt, und auch der Himmelsrichtung) und war Reporter der OZ, Ostfriesenzeitung Leer (sie war aber voll, nicht leer, und er schrieb die Berichte für Leer-Logabirum und Aurich). Berendsen kannte Rettich schon seit Jahren. Zwei, drei Mal pro Jahr trafen sie sich zum Austausch. In Münster hatte es zwei interessante Mordfälle gegeben, und für die OZ waren das sicher ein paar interessante Schlagzeilen. Er hatte genug Infos bekommen, und jetzt war er froh, wieder daheim zu sein.

Gerade als er nach der Pizza im Ofen sehen wollte klingelte es. Er sah durch den Türspion. Auch lecker!, dachte er vergnüglich. Hoffentlich keine Zeuginnen Jehovas!

Zwei junge Frauen standen in der Tür. Eine, blond und ganz in Jeans gekleidet, gefiel ihm sofort. Ihre rothaarige Begleiterin weniger.

„Guten Tag, Herr Berendsen!“, strahlte die Blonde.

„Moin!“, brummte Berendsen freudig erstaunt.

„Wie sind sie in ihre Wohnung gekommen? Wir haben da etwas für sie!“, strahlte sie weiter.

„Mit dem Ersatzschlüssel! Aber was zum Deibelschiet …“

Berendsen hielt inne. Seine Kinnlade klappte auf – wie die Laderampe einer norddeutschen Inselfähre.

Die Rothaarige hielt ihm sein Schlüsselbund entgegen, die Blondine sein Portemonnaie.

„Fundsachen. Für sie.“, lachte sie.

Berendsen freute sich über die Fundsachen. Er bat die Frauen herein. Als Finderlohn spendierte er ihnen an diesem Abend seine Pizza. Und eine Cola light. Und dann noch ein, zwei Rotweine, fast ebenso süß.

Es wuirde ein langer Abend. Bernd, Inga und Lilly wurden Freunde und sprachen noch lange über Journalismus- und das Reporter-Dasein. Bernd ließ sich von den beiden gerne noch etwas weiter ausfragen, nicht nur Berufliches. Und die Beiden waren sehr wissbegierig.

Der Mörder ging, als die Anderen kamen. Er ging auch nicht heimlich, auf leisen Sohlen. Er hatte einige Wochen krank gefeiert und dann gekündigt, von einer neuen Liebe erzählend und einem neuen Job. Er hatte seinen Spind geräumt, letzte persönliche Dinge wie Thermoskanne und Stullendose eingepackt und ein neues Fahrrad besorgt. Nun fuhr er damit von seiner Ex-Firma Klebholz aus den Dortmund-Ems-Kanal lang, ein letztes Mal. Er wollte die Umgehungsstraßen-Brücke über den Kanal unterqueren, doch dann nahm er aus einer Laune heraus die entgegengesetzte Richtung den Kanal lang, bog in ein Waldstück ein, über die Nieberdinger Straße am ehemaligen Kreiswehrersatzamt vorbei, hinter Getränke Lappe die Kanalseite wechselnd, und radelte zum Kreativ-Kai hinter den ehemaligen Osmo-Hallen. Irgendwo in der Nähe des Hot-Jazz-Club und des Beach-Clubs setzte er sich auf eine Steinbank am Ufer und ließ seine Gedanken schweifen.

Niemand würde ihn wiederfinden. Er hatte erzählt, er ziehe ins Sauerland, und seine neue Liebe heiße Martina Müller aus Lüdenscheid – doch er hatte ein Zimmer bei einer Ferienwohnung auf Langeoog angemietet. Er würde dort unterkommen, als Hafenarbeiter jobben und Gras über die Sache wachsen lassen, Gras über Münster, Gras über Marlies Mühlmann, dieses Miststück. So wie jetzt am Kreativ-Kai, so würde er in Zukunft an einem Kai beim Hafen auf Langeoog sitzen und seine Gedanken schweifen lassen. Er dachte daran, wie er in der Wohnung der Mühlmann ihr Handy in der Hand hatte, um es auf das „Tagebuch“ der Mühlmann zu legen, das er zuvor mühsam angefertigt hatte. Er war stolz auf sich: Auch auf dieser Fälschung hatte er keinen einzigen Fingerabdruck hinterlassen. Die Kripo würde nichts finden – nur eine falsche Spur.

Er saß noch dort, bis die Sonne unterging. Dann fuhr er heim, packte in der inzwischen leergeräumten Wohnung (auch sein Ex-Vermieter glaubte, er ziehe ins Sauerland) seine letzten Sachen ein und nahm am Folgetag einen Zug Richtung Nordsee, mit Anschluss an die Fähre Bensersiel – Langeoog.

Nach der Überfahrt saß er erst noch kurz am Strand, einige hundert Meter von der Anlegestelle entfernt. Er blickte auf das Meer hinaus. Es war Ebbe und das Watt war zu sehen – und das Festland bei Bensersiel im Süden. Er hatte sich aus Münster abgesetzt. Nichts gab es mehr, was ihn dort hielt. Der Job bei Klebholz war gekündigt, und die Mühlmann, dieses Miststück, war beseitigt. Sie hatte ihn so sehr verarscht. Er hatte sich an sie rangemacht, sich um sie bemüht, den Arsch aufgerissen. Und sie? Was hat sie gemacht? Schluss hatte sie mirt ihm gemacht, einfach so, und ihre ABD-Beteiligung an dem Fonds gekündigt, die er ihr günstig besorgt hatte, zum Jubiläum ihrer beider Beziehung.

Zwei Mal hatte sie sein Leben zerstört – einmal privat, indem sie beendet hatte, was er mit ihr angebahnt hatte, um ihr die ABD-Anlagebeteiligung anzudrehen, und finanziell, indem sie diese Beteiligung wieder gekündigt und sich dann auch noch rausgeklagt hatte. Provision und Reputation hatte es ihn gekostet – das musste ja dann einen Wink von ganz oben geben, sie zu eliminieren. Genau zweieinhalb Monate waren sie ein Paar gewesen, zehn Wochen, ind dann hatte sie einfach so Schluss gemacht und die ABD-Anlagebeteiligung gleich mitgekünsigt. Das hatte ihn nicht nur seine Provision gekostet. Es hatte ihn auch seinen Ruf als guter Verkäufer ruiniert und Petermann, sein Chef, war sauer geworden. „Sowas ist kein Verkaufserfolg, du Niete,“, hatte er getobt, „nur eine Seifenblase!“ Sogar gegen die Ablehnung Ihres Widerrufs hatte sie dann noch geklagt – gegen den ABD. Welch‘ eine Rufschädigung, welch eine Blamage! Gequirlte Hundekacke, dachte er, und ich musste Arsch vom Dienst das Problem wieder lösen und die Mühlmann zum Schweigen bringen!

Aber er wusste: Er hatte ganze Arbeit geleistet: Das Miststück vergiftet, ihre Wohnung gereinigt und Spuren beseitigt, die falsche Spur in Marlies‘ Wohnung gelegt, die Leiche nachts im Sack in den Wald geschafft, zerstückelt und portionsweise im Schmelzofen der Firma verheizt, wo er Praktikum und Minijob gemacht und gleich wieder gekündigt hatte. Alles in Butter! Petermann konnte zufrieden mit ihm sein. Sein Ruf war rehabilitiert, und der des ABD auch. Er war sicher auf Langeoog. Und über die Sache wuchs das Gras.



Sonntagmorgen. Kommissar Martin Heveling hatte frei. Er freute sich auf die Hochzeit, als er aufgestanden war. Er ging die Treppe ins Bad hinunter, öffnete die Tür zum Gäste-WC, zog seine Schlafanzughose hinunter und setzte sich. Aber so ganz sicher war er sich seiner Freude nicht, bemerkte er beim Blick in den Spiegel über dem Waschbecken gegenüber des WC-Sitzes.

Danach zog er sich an, machte der Familie das Frühstück, weckte die Kinder, zog sie an und setzte sie an den Frühstückstisch, während seine Frau sich wusch und anzog. Sie machte sich schick heute, besonders schick, denn ihr Jugendfreund Walter heiratete beim Schloss der westfälischen Wilhelmsuniversität Münster (Es soll umbenannt werden, da, so die Begründung, Kaiser Wilhelm ein imperialistischer Rassist war), am ehemaligen Hindenburgplatz (der schon in Schlossplatz umbenannt worden ist). Hevelings ganze Familie war danach ins Schlossgartencafé eingeladen.

„Das Rote oder das Blaue?“, fragte ihn Ina, das rote Kleid angezogen und das Blaue am Bügel in der Hand (Frauen fragen so etwas ihre Männer immer, wenn etwas Besonderes ansteht, zu dem sie sich fertigmachen möchten).

„Du, Schatzi, Du siehst in Beidem gut aus!“, entgegnete Hans, als er den Kindern nach dem Frühstück die Jacken überzog und sie ins Auto setzte.

„Nimm das Rote!“, fügte er schnell noch hinzu. Denn er hatte gesehen, dass sie es schon anhatte.

„Aber vielleicht wirkt das Blaue festlicher?“, erwiderte Ina. „Ich ziehe es noch mal über und wir vergleichen!“

„Okay“, stöhnte Martin, „ich muss eh noch mal kurz für Männer!“

Martin ging noch mal auf das WC, setzte sich und drückte. Ina zog sich noch mal um, oben im Schlafzimmer. Die Kinder warteten schon angeschnallt im Auto. Martin hatte seit einiger Zeit das Problem, dass er wie bei einer Verstopfung lange drücken musste – doch es kam nichts. Seit einigen Tagen kamen sogar einige Tröpfchen Blut. Doch Martin überging es. Und er drückte weiter.

„Martin, bist du soweit?“ Ina kam im Blauen die Treppe hinab, streifte ihre Jacke über und wollte zu den Kindern ins Auto.

„Ja, ich komme gleich!“, rief Martin – und drückte noch fester.

Ina ging hinaus, die Treppe durch den Vorgarten hinab und ins Auto. Sie warteten.

„Kommst Du?“, rief Ina durch die wieder geöffnete Wagentür hoch.

„Ja!“, rief Martin zurück, doch er hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er erhob sich, drehte sich so, dass er sich hinten sehen konnte im sich spiegelnden Deckel des WC-Rollen-Halters, und er erschrak. Er sah etwas Hautfarbenes, so groß wie eine Apfelsine, und es saß an seinem Darmausgang. Martin bekam Panik und war völlig verwirrt: Es sah fast aus wie bei seiner Ina, als sie damals ihr Kind gebar und das Köpfchen sich durch den Ausgang schob.

„Das gibt es doch nicht!“, dachte Martin verwirrt. „Was mach’ ich denn jetzt bloß?“.

Drücken half nicht, und Zeit war auch nicht mehr. Er schob es zurück, so gut es ging, nahm ein weiches Kissen mit, damit er breitbeinig und weich sitzen konnte (denn er musste ja Auto fahren!), und er ging ins Auto, ließ den Motor an und fuhr die Weseler Straße hinunter. Er kam nur bis zum Aasee, zum Parkplatz des Segelclubs an der Himmelreichallee.

„Ich hab ein Problem“, sagte er Ina und erzählte es ihr. „Kannst Du denn fahren?“, fragte sie besorgt. „Jaja“, sagte er, „ich krieg das schon hin!“ – denn Beifahrer sein wollte er nicht. Dort konnte er nicht breitbeinig sitzen. Kaum angekommen, hasteten sie durch den botanischen Garten. Es ging jedoch nicht sofort zur Orangerie, in der die Trauung stattfand (standesamtlich – denn Walters Braut war früher schon einmal verheiratet gewesen, und da sagt die katholische Kirche in solchen Fällen Nein zu einem Ja der Brautleute). Es ging erneut zu einer Toilette.

„Nichts geht!“, stellte Martin hilflos fest, zog sich wieder an und ging mit den Kindern vor die Tür.

Es war eine routinierte Trauzeremonie, die der Standesbeamte da abhielt. Hans stand mit den Jungen vor der Tür. Drinnen hatte die Zeremonie schon begonnen und es gab keine Sitzplätze mehr. Auch Ina stand nun in der Tür.

Sektempfang, Gang zum Schlossgartencafé, Hochzeitssuppe und westfälisches Festessen. Wieder ging Martin zur Toilette. Wieder erfolglos Als dann nach der Hochzeitssuppe der Hauptgang serviert wurde, konnte er nicht einmal mehr auf dem Polsterstuhl sitzen. Er sagte es Ina.

Ina handelte. Sie rief per Handy einen Darmarzt an. Sie machte einen Notfalltermin. Sie leitete den vorzeitigen Abschied von der Festtafel ein, packte die Kinder ins Auto und Martin fuhr auf einem weichen Kissen breitbeinig zur nächstgelegenen Arztpraxis. Ein Blick, ein Telefonat – und der Arzt teilte ihm mit, dass operiert werden müsse, sofort. Martinspürte das schon. Er war erleichtert. Im Clemenshospital, gleich am Kappenberger Damm gelegen, kam er in die Notaufnahme. Er konnte sich gerade noch ein Hemd anziehen. Für die OP.

„Ich kläre sie jetzt über die Risiken der OP auf. Sie müssten mir das bitte hier unterschreiben!“, sagte der Arzt.

„Ja, Herr Doktor“, stöhnte Martin brav. „Danke, dass sie mich jetzt davon befreien!“

Nach der Schnell-Belehrung schoben sie ihn in den Vorbereitungsraum.

„Und ich kläre sie jetzt über die Narkoserisiken auf!“, sagte der Anästhesist und legte los. „Und nach der OP werden sie noch Halsschmerzen vom Tubus haben, eventuell Stimmlosigkeit und Reizung der Stimmbänder“, endete er.

„Vom Intubieren?“, fragte Martin ängstlich zitternd. „Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“

„Doch“. Der Anästhesist zeigte ein breites Lächeln. „Die Rückenmarksbetäubung.“. Nun zählte er auch hier die Risiken auf. „… und im schlimmsten Fall könnten sie Querschnittsgelähmt sein“, endete er, „wenn das Rückenmark durch die Punktion getroffen wird.“

Martin dachte an seine Frau, die eine Rückenmarkpunktion zur Betäubung vor der Geburt hatte machen lassen. An die Routine, die eine Klinik mit vielen Dutzend Geburten und Hunderten von OPs pro Woche haben musste.

„Was würden sie an meiner Stelle machen?“, fragte er den Anästhesisten verwirrt.

„Ich würde in jedem Fall die Rückenmarkpunktion wählen“, sagte dieser. „Sie haben dann nicht die Hals- und Kehlkopfschmerzen nach der Operation, und auch insgesamt hält die Betäubung länger an Und die Schmerzen kommen nicht so schnell und heftig wieder.“

Martin wählte die Rückenmarkspritze. Er musste sich dazu noch mal hinsetzen musste. Der Anästhesist plauderte mit ihm weiter, als er ihn in den OP schob, und setzte die Unterhaltung auch noch fort, als ein grelles Licht anging und sein Unterleib mit Tüchern verdeckt wurde. Von dem, was die anderen Ärzte und Schwestern dann hinter den Tüchern machten, merkte Martin nichts mehr.

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Zugegeben, ich weiß: Es ist ungewöhnlich, einen Kriminalroman mit einem Mordfall UND mit einer Stuhlgangs-Geschichte zu beginnen. Aber so war es damals: Genau so ungewöhnlich wie der Anfang mit Hevelings Not-OP ist ja auch das Verbrechen. Und der Mensch, von dem ich diese Geschichte erzähle.

Mein Name ist Titus Tim Tenfelde. Eigentlich bin ich auch nur ein ganz durchschnittlicher Psychotherapeut in einer durchschnittlichen, westfälischen Kleinstadt – der ehemaligen „Provinzialhauptstadt“ von Westfalen, nach der das schöne, grüne Münsterland benannt wurde.

Ich betreue Traumapatienten, Opfer von Gewalttaten und ihre Angehörigen. Und ich hätte neben dem Mordfall sicher auch nichts Welt bewegendes zu berichten gehabt, wäre da eben nicht dieser ganz ungewöhnliche Patient gewesen. Er hatte etwas an sich, was mich faszinierte, je mehr ich ihn kennenlernte. Und so wurde er immer mehr zu meinem ganz persönlichen „Fall“, zu meinem ganz eigenen „Problem“, dieser Patient, den ich unbedingt wieder glücklich und gesund „kriegen“ wollte. Denn je mehr ich ihn kennenlernte, umso mehr spürte ich: Er hatte etwas für ihn Schlimmes erlebt und Wut im Bauch. Aber es hatte ihn auch heruntergezogen, seelisch. Und er war mir selbst ähnlich, charakterlich – und umso drängender wurde daher auch die Frage: Wieso ist er depressiv geworden und ich nicht? Und konnte ich ihm helfen, seine krankhafte Traurigkeit abzulegen, ihn wieder gesund und glücklich zu machen? Konnte er sich vielleicht sogar irgendwann irgendwie selbst aus dem Sumpf ziehen – ein therapeutisch initiierter Baron-von-Münchhausen-Effekt?

Ich weiß daher noch genau, wie unsere erste Begegnung war. Er kam damals zu mir in die Praxis, als ich gerade über einem Tee saß (denn ich liebe Tees!). Ich legte die Gutachterberichte für die Krankenkassen und die Staatsanwaltschaft beiseite, stellte meine Tasse Earl-Grey-Tee beiseite und sah ihn an.

Guten Tag, Herr Tenfelde“, sagte er mit fast schluchzender Stimme, „Ich komme mit meinem Leben nicht mehr klar. Sie müssen mir helfen, ich weiß nicht mehr weiter, alles läuft schief!“

Er war völlig aufgewühlt. Sein Kopf war hochrot angelaufen, er schwitzte und keuchte. Er weinte und wirkte wie ein hilfloses Kind, obwohl er ein gestandenes Mannsbild war.

Ich beruhigte ihn.

Jetzt setzen sie sich erst mal!“, sagte ich langsam. „Möchten Sie einen Kaffee?“

Lieber Tee“, entgegnete er zu meiner Überraschung, „mit Milch und Süßstoff. Herr Tenfelde, ich komme mit meinem Leben nicht mehr klar“, wiederholte er, als ich nach einem zweiten Teesieb suchte, „ich hab‘ zwei Menschen weh getan und ich weiß nicht mehr weiter!“

Und er schilderte mir seine Lage, seine ganze Geschichte wie ein Wasserfall. Er erzählte und erzählte, fasste seine traurigen Gefühle in bewegende Worte, redete sich die lang aufgestauten Kummerberge von der Seele, und sein damals hastig angetrunkener Tee wurde langsam kalt. Mir schien es fast, als müsse er erst einmal zu sich kommen, während er erzählte – fast so, als habe seine Seele einen Notfall gehabt, so dass operativ eingegriffen werden muss.



Als Martin auf sein Krankenzimmer geschoben wurde, blieb er liegen, schloss die Augen und döste vor sich hin. Halsschmerzen hatte keine. Überhaupt: Er war einfach nur ein wenig müde (vom Beruhigungsmittel), und er hatte es hinter sich, dachte er.

Eine Schwester kam und sah nach ihm. Dann döste er weiter. Der Anästhesist und der Chirurg kamen nach ihm, erkundigten sich nach seinem Befinden, und dann durfte er wieder weiterdösen. Dann bekam er etwas Wasser angeboten, eine Schmerztablette (Wofür?, dachte er noch) und er döste erneut.

Nach einiger Zeit musste er aufs Klo. „Stuhldrang“ meldete er der herbei geklingelten Schwester, und wollte sich erheben.

„Moment, sie hängen noch am Tropf!“, sagte diese. „Und ich muss erst dem Arzt Bescheid sagen!“, ergänzte sie.

„Arzt? Ich ... – ach ja, die OP!“, sagte Martin und legte sich noch einmal hin.

Der Art war eine junge Ärztin. Es hatte gerade einen Schichtwechsel gegeben. „Moment“, sagte sie, „ich schaue mal in ihre Akte!“. Sie überflog Zettel in einem Hefter, blickte wieder auf und sagte: „Sie haben noch einen Tampon hinten drin, den müssen wir erst ziehen!“

„Einen Tampon? Ich bin doch keine Frau, verdammt!“

„Ja, eine Saugbinde, die das Blut aufnimmt!“

Es half nichts: Er hatte Stuhldrang. Er erhob sich, ging langsam in die Nasszelle des Krankenzimmers, den Tropf am Gestell mitschiebend, und bückte sich. Die Ärztin zog. Martin schrie einmal auf. Dann ließ sie ihn sich hinsetzen und lehnte die Tür an.

„Kommen sie klar?“, fragte sie kurz danach.

„Ja“, sagte Martin und drückte vorsichtig, obwohl nur ein wenig Blut kam und keinerlei Stuhlgang. Und als er etwas kräftiger drückte, sackte er, sich vor Schmerzen krümmend, auf dem Fliesenboden zusammen. Ein Tsunami von Schmerzenswellen überrollte seinen Körper. Er jammerte und schrie, rang nach Luft und kauerte auf dem Boden.

„So schlimm?“, sagte die junge Ärztin. „Dann müssen wir ihnen noch etwas geben – ihre Betäubung lässt nach.

Sie griff zu einer Spritze, steckte die Injektionsöffnung in den Zugang am Tropf und drückte die Flüssigkeit durch den Zugang in Martins Armvene.

Nach zwei, drei Atemzügen war der Schmerz weg. Martin staunte über die Wirksamkeit des Betäubungsmittels. Er fühlte unendlich große Dankbarkeit für die Erlösung von den bisher schlimmsten Unterleibsschmerzen seines Lebens. Die Ärztin kam ihm fast wie ein Engel vor und er schwebte mit ihr durch irgendwelche Wolken und träumte Träume, wie sie vermutlich wohl nur von Morphinderivaten hervorgerufen werden können.

Martin erholte sich. Er lag auf dem Krankenbett, las Zeitungen, empfing Telefonate von seinen Kollegen von der Kripo und Besuch von Ina und den Kindern. Die schrecklich schmerzhaften Momente, wenn er zur Toilette musste, wurden nach und nach auch immer weniger schmerzhaft. Bald konnte ihm der Engel sogar den Tropf abnehmen und übliche Schmerztabletten, drei Mal täglich, genügten.

„Wie geht es ihnen?“, fragte sein Chirurg, der auf Visite vorbeikam.

„Gut“, sagte Hans, „bis auf Schmerzen beim Stuhlgang.“

„Das ist verständlich nach so einem Eingriff!“, entgegnete sein Operateur. „Sie hatten inkarzinierte Hämorrhoiden, die wir operativ eliminiert haben. Aber ihre Defäkation ist wieder initiiert und refunktionalisiert!“

Hans schmunzelte. „Wozu dieses Fachchinesisch?“, dachte er, „Gut dass ich weiß, dass das heißt: Gewebe am Darmausgang entfernt, Stuhlgang wieder möglich und in Gang kommend.“

Schließlich ging das Ärzteteam wieder. Hans lehnte sich zurück ins Kissen. Sein Handy vibrierte. Das Kommissariat war dran. Meier-zu-Brokenhoff ersehnte wohl seine Rückkehr.



Bernd Berendsen war wieder auf Tour. Der Abend mit den beiden Studentinnen war noch lang geworden – junge „Dinger“, die von einem Leben als Starreporterinnen träumten. Wie naiv und idealistisch die doch alles sahen! Doch sie sahen auch toll aus, besonders die Blonde! Aber sie war pfiffig, und Bernd konnte sich gut vorstellen, dass sie nach ihrem Praktikum von der Bildzeitung übernommen werden würde.

Inga, die Rothaarige, war anders. Sie war keine Jägerin auf der Jagd nach Beute, Infos und Stories. Sie war der Typ Analytikerin. Berendsen war sich sicher, dass sie eher in der Forschung stranden würde, als Metallurgin oder Ingenieurin. Aber diese Lilly …

Sein Kopf meldete sich. Jetzt brauchte er eine Aspirin. Oder einen Grog. Und eine steife Brise, wie es sie nur im Norden gab. Er musste wieder auf die Autobahn.

Aspirin. Nicht Grog. Bevor es auf die Autobahn ging, wollte er lieber einen klaren Kopf haben.

Als Hans damals das erste Mal zu mir gekommen war, fragte ich mich: „Wen habe ich da vor mir sitzen?“. Mein Blick ging vom kalt gewordenen Earl-Grey-Tee hinüber zu ihm. Er war ein stattlich gebauter, großer Mann mit freundlichem Lächeln. Trotz seiner Größe ging er gebeugt, zog die Schultern vor und senkte das Haupt. Er wohnte in Hiltrup. Von Beruf war er Physik-Lehrer.

Ich bin wie ein verdurstendes Mauerblümchen, das im Schatten vegetiert und nach Wasser und Sonne lechzt“, hat er sich in seiner Erzählung kurz beschrieben. Selbstmitleid? Depressionen? Erin Trauma? Ich wollte ihm helfen, wieder die Augen zu öffnen, um die Sonne der Freude im Leben zu sehen, und die Wurzeln wieder zu beleben, um das Durst stillende, klare Bergwasser aufsaugen zu können, dass seine verdurstende Seele vermisste.

Hans Haferkamp schrieb ich damals auf seine Patientenakte. Seine Entwicklung, sein Werdegang und seine Therapie bis hin zu einem neuen, glücklich-befreiten Leben waren so ungewöhnlich, dass er mich bewegte und immer mehr fesselte. Daher entschloss ich mich später auch, dieses Buch zu schreiben – die Erzählung davon, wie Patient Hans Haferkamp nach einer Scheidung ein neues Leben begonnen hat und die Verstrickung seiner Seele in das depressive Dunkel überwand. Fast ganz ohne meine Hilfe. (Denn Sie wissen ja vielleicht: Dass sich ein Mensch an seinem eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht, in den er gefallen ist, das ist physisch und physikalisch unmöglich. Psychisch jedoch gibt es da Möglichkeiten: Einen „Baron-von-Münchhausen-Effekt“ in Gang zu setzen, denke ich, das wäre in der Verhaltenstherapie ein durchaus lohnenswertes Unterfangen, wenn es um Depressionskrankheiten geht. Man muss mit dem Patienten halt nur den Arm trainieren, der den Zopf greifen muss, um dem trüben Sumpf zu entkommen! Beim Patienten wird so eine Selbstheilung möglich – eine Operation, bei dem der Therapeut mit in den Sumpf fassen muss, ist somit überflüssig. Den „Sumpf“ überlasse ich daher lieber dem Kommissar, den ich damals schließlich mitbehandeln musste, einige Monate nachdem er auf der Hochzeit seines Freundes „aus dem Verkehr gezogen“ wurde).



Kriminalkommissar Heveling war wieder im Dienst. Als er den Stapel alter Ermittlungsakten durchgearbeitet hatte, machte er sich auf den Weg zu Meier-zu-Brokenhoff. Auf dem Gang traf er Simon. Kollege Simon war immer guter Laune. Heveling mochte seine aufmunternde Art – gerade jetzt, wo er zum Chef musste. Simon war da ein guter Weggefährte. Wie der Seelsorger auf dem letzten Gang mit dem Delinquenten zum Henker.

„Hey Martin!“, strahlte er von weitem. „Auf dem Weg zum Chef? Kopf hoch! Kennste den? Sagt der Kollege von der Verkehrskontrolle: Sie sind gerade mit 65 durch eine 30’er-Zone gefahren! Antwortet die Rentnerin: Aber Herr Wachtmeister! Sie Charmeur! Ich bin doch schon 81!“.

„Geil!“, schmunzelte Heveling.

„Oder den? Sagt der Kollege von der Autobahnpolizei im OP: Ich habe heute einen Geisterfahrer getroffen. Er war sehr entgegenkommend!“

„Noch besser!“, lachte Heveling.

„Oder den? Sagt der Kollege von der Sitte: Sie sind aber heute …“

„Simon, Sorry, wir sind da! Ich muss jetzt rechts abbiegen. Zum Chef!“, unterbrach ihn Heveling.

Der Weg zu Meier-zu-Brokenhoff war immer ein steiniger Weg, obwohl der Aufzug sanft hochfuhr und der Linoleumboden im Flur des Kommissariats frisch gewischt und gebohnert war. Es war ein steiniger Weg für Heveling, und ihm war, als ginge er barfuß durch ein ausgetrocknetes Bachbett voll kleiner, spitzer Kieselsteinchen. Diese pieksten und stachen an den Fußsohlen, und als Heveling dann an der Tür von Meier-zu-Brokenhoff geklopft hatte, da hatte er den Eindruck, als sei der Bach eiskalten Gebirgswassers in Form einer Sturzflut das Bachbett hinab gekommen, das er mühsam erstiegen war.

„Heveling, kommen sie rein!“, rief Meier-zu-Brokenhoff barsch durch die noch geschlossene Tür seiner Amtsstube. „Was haben sie inzwischen an Ergebnissen?“

„Guten Morgen, Chef!“, versuchte Martin ihn beim Eintreten anzulächeln, doch Meier-zu-Brokenhoffs versteinertes Gesicht ließ sein Lächeln erfrieren.

„Guten Morgen, Heveling. Gibt es neue Ergebnisse?“, hakte Meier-zu-Brokenhoff nach.

„Chef, ich …“, wollte Martin beginnen, doch der nicht gerade schlanke Meier-zu-Brokenhoff stand aus seinem Sessel auf, ging auf Kriminalkommissar Heveling zu und nahm ihm den Stapel Ermittlungsakten ab.

„Zeigen sie mal!“, schnaufte er, begab sich mit seiner ganzen Leibesfülle und dem Stapel Akten zum benachbarten, leeren Schreibtisch und schien beides krachend auf der Tischplatte abzuladen.

„Gern…“, konnte Martin Heveling noch nachschieben, doch Meier-zu-Brokenhoff griff schon die erste Akte heraus und nahm unter lautem Vorlesen die anhaftende Notiz zur Kenntnis.

„Vermisstenanzeige Mühlmann“, murmelte er, „ABD-Angestellte, vermisst, Spuren erfolglos geprüft, Suche einstellen.“

Kriminalhauptkommissar Meier-zu-Brokenhoff drehte sich um, sah Heveling an und schien noch förmlicher, noch dienstlicher zu werden, als er es ohnehin schon war.

„Herr Heveling! Meine Notiz vor ihrer OP war eine ironische Frage! Eine rhetorische Frage, ob sie die Suche wirklich tatsächlich vorläufig einstellen wollen – keine Dienstanweisung, den Fall zu den Akten zu nehmen! Ich kann der Staatsanwaltschaft doch nicht melden, dass wir dieses Jahr vier Mord- und Vermisstenfälle haben, die von ihnen erfolglos bearbeitet und nun eingestellt worden sind!“

„Chef, das ist doch nur ein Vermissten-, kein Mordfall. Und die Vermisstenmeldung ist nun über neun Wochen alt! Die Vermisste kann inzwischen schon über alle Berge sein! Dem Ehemann entlaufen, ein neues Leben in Brasilien begonnen oder im Lotto gewonnen haben! Chef, es gibt nicht einmal Hinweise, dass die Frau tot oder gar ermordet worden ist – wir sind ein Kriminalkommissariat, kein Vermisstensuchdienst vom Roten Kreuz!“

Meier-zu-Brokenhoff lief rot an. Martin sah seine Halsschlagader anschwellend und bereute es schon, Meier-zu-Brokenhoff diesen kamikazehaften Satz entgegnet zu haben.

„Herr Heveling!“ Meier-zu-Brokenhoff schnappte nach Luft, dann ließ er den Dampf wieder ab. „Herr Heveling, sie sind jetzt seit neun Jahren in meinem Kommissariat, und sie meinen, sie können nun an meiner Stelle definieren, was dessen Aufgaben sind und was nicht?“

„Nein, ich …“

„Nein, ich sage ihnen jetzt was!“, brüllte Meier-zu-Brokenhoff. „Ich weiß nämlich, was unsere Aufgaben sind, und ich weise sie an, diesen Fall noch mal aufzurollen. Wir müssen ein Verbrechen ausschließen können oder den Fall als Mordfall der Staatsanwaltschaft melden – MIT Täter! Wer sagt uns denn, dass das keine Beziehungstat war? Eifersucht, Rachsucht, Beziehungssucht – diese Beziehungstaten passieren doch ständig! Und SIE werden jetzt erneut die Ereignisse um diesen Fall aufrollen! Alle Ereignisse! Sie werden mit denen reden, Heveling, die die Vermisstenanzeige aufgegeben haben. Sie werden Angehörige aufsuchen. Sie werden recherchieren, alles, und sich von diesem Arbeitgeber „ABD“ Daten über ihre Tätigkeitsbereiche geben lassen. Sie werden nach Motiven suchen, die ein eventueller Täter gehabt haben könnte. Und sie werden die Personenbeschreibung und –daten erneut an alle Gerichtsmediziner, Krankenhäuser, Melde- und Ordnungsämter der Republik verschicken, wenn es sein muss, um Hinweise darauf zu bekommen, ob inzwischen nicht doch noch irgendwo eine Frau aufgetaucht ist, auf die die Beschreibung der Vermissten Mühlmann passt!“

„Chef, ich …“

„Das war eine dienstliche Anweisung, Heveling! Wenn es ein Mord war will ich Aufklärung! Mord verjährt nicht! Auch nicht nach nur neun Wochen! Und, Heveling, Gnade ihnen Gott, dass ich nicht noch entsprechende Vermerke auch auf die anderen sechs Akten setze oder gar eine Abmahnung hinterherschicke, weil sie meine Dienstanweisungen als Anfragen zu einer etwaigen, vorläufigen Einstellung unerledigter Verfahren auffassen. Herr Heveling! Haben sie das verstanden?“

„Jawohl, Herr Meier-zu-Brokenhoff!“, antwortete Martin in dem Ton, den er vor seinem Polizeidienst bei der Bundeswehr kennengelernt hatte, und stand unwillkürlich stramm.

„Das freut mich, Heveling!“, stellte Meier-zu-Brokenhoff beruhigt fest. „Ach ja, und dann der Täterprofil-Abgleich! In Sachen möglicher Mordmotive bitten sie unseren psychologischen Gutachter um begleitende Akteneinsicht! Wie hieß der damals noch gleich?“

„Tenfelde, Herr Meier-zu-Brokenhoff, Dr. Tenfelde, psychotherapeutische Praxis Tenfelde am Aasee.“

„Tenfelde, richtig, Heveling! Sie rufen ihn am Besten gleich an.“

„Klar, Chef!“, sagte Martin Heveling, nahm die Akten wieder an sich und verließ mit einem geschäftig-beschwichtigenden Abschiedsgruß den Käfig des Löwen.

Er würde jetzt einen starken Kaffee brauchen, seinen Da-steht-der-Löffel-ja-von-alleine-Kaffee. Und dann würde er Tenfeldes Nummer wählen.

Das war der Moment, in dem ich damals mit Kommissar Heveling in Kontakt kam. Und mein Fall Hans Haferkamp begann.



Er ging an Land, als die Touristen die Fähre betraten. Genauer gesagt: Er betrat eine Insel in Ostfriesland, als die Touristen mit der Fähre von dort aus wieder aufs Festland zurück wollten, in ihre Pensionen und Hotels an den Sielen, in Bensersiel, Dorumer Siel und Carolinensiel. Er nahm die Bimmelbahn vom Hafen zum Örtchen, in dem er ein Zimmer bekommen hatte. Sein Vermieter hatte einige Ferienwohnungen dort, er war der Inselarzt von Langeoog. Er hatte sich dem Arzt als Wanderarbeiter vorgestellt, der nun eine Saison am Hafen jobbe (was er auch tatsächlich vorhatte).

„Jau, mokt wi!“, hatte ihm der Doc geantwortet, „Hier ist ihr Schlüssel, und die Miete pünktlich jeden Monatsersten aufs Konto!“

„Werde ich einzahlen!“, versprach er dem Doc, „Jedes Mal, wenn ich die Lohntüte am Monatsersten bekomme!“

„Gut!“, erwiderte der Doc, lächelte erst ihn an und dann das Kunststoff-Skelett in seinem Behandlungszimmer, in dem er den Wanderarbeiter empfangen hatte.

Gequirlte Hundekacke, dachte er, was lächelt der Doc dieses Gerippe immer an? Kopfschuss?

Der Arzt sah ihn an. Er bemerkte seine Verwunderung.

Schließlich erhob er sich, um ihn zu verabschieden.

„Also dann!“, sagte der Doc, streckte ihm eine Hand entgegen und begleitete ich zur Tür, „Machen Sie’s gut!“

„Tschüß, Herr Doktor!“, verabschiedete er sich vom Arzt, schüttelte ihm die Hand, nahm seinen Seesack über die Schulter und verließ die Arztpraxis, vorbei an den nett lächelnden Damen an der Rezeption.

Dumme Puten!, dachte er und ging die Hauptstraße des Dorfes entlang. Jetzt, nach Abreise der Tagestouristen, war ein ganzes Stück ruhiger geworden. Er lief die Strecke bis zur Hotelpension Beachotel am Lilly-Marleen-Brunnen zu Fuß. Hier wollte er um einen Zweitjob als Aushilfe fragen, als Küchenhilfe oder Aushilfskellner, neben seinem Job am Hafen. Dann bog er ab in die Seitenstraße mit den Ferienwohnungen, das Zimmer des Docs beziehen.

Seine Welt war in Ordnung. Alles lief wie am Schnürchen.



Die Sonne hatte sich unter den Horizont verzogen und ihr gegenüber ging ein großer, fast oranger Vollmond über den Wipfeln der Bäume am Aaseewäldchen auf. Als ich endlich das Naturkundemuseum am Aasee erreichte, hatten die Sternfreunde sich schon in den Vortragssaal zurückgezogen. Professor Henning Haber war zu Gast. Er hielt einen Vortrag über neuere Erkenntnisse der Planetologie, die sich aus den chemischen Analysen der Bodenproben von Mars- und Venussonden ergeben hatten. Ich war schon müde, als ich den Vortragssaal betrat, aber zum Glück fand ich in der letzten Reihe noch einen Platz zum Zuhören. Eine Notfall-Patientin hatte mich aufgehalten, und so hatte ich nicht mehr rechtzeitig aufbrechen können, um den Vortragsbeginn im Planetarium noch mitzubekommen. Haber referierte schon über die Argon-Isotopen der Mars- und Venusatmosphäre, und obwohl ich neugierig Neues zum Thema hatte hören wollen, musste ich nun gähnen und kämpfte im Hörsaal-Sitz mit der Müdigkeit. Ich stellte mir vor, die Sonde beim Analysieren der Gase sehen zu können, schloss die Augen und betrachtete den Greifarm, der ausfuhr, um eine Bodenprobe zu nehmen von dem Sand, den noch nie ein Mensch zuvor betreten hatte.

Titus Tenfelde, ich glaub’ es nicht!“ hörte ich plötzlich. Vor mir stand Sigmund Sicht, mein alter Studienkollege, lachte mich an und fasste mich dabei leicht an der Schulter. „Titus, du hier?“

Betreten schaute ich drein. Ich war wohl eingeschlafen. Der Vortragssaal war leer, Titus hatte mich in der letzten Sitzreihe dösend gefunden und lachte sich fast schlapp vor Freude.

Titus, altes Haus, was machst du hier?“

Du, ich habe gehört, dass du hier bist. Du hast in deiner Praxis ein Semester Pause eingelegt, um als Assistent von Professor Haber umherreisen zu können, und bist unserer geliebten Psychotherapie somit untreu geworden?“

Sigmund lachte erneut auf.

Titus, Mensch, ja, woher weißt du das?“

Petra, meine Kollegin, hat mir von dir erzählt. Wir sind nämlich auch unter die Hobbyastronomen gegangen und haben neulich noch am Kanal Sternbilder und Sternschnuppen beobachtet – natürlich nicht so Profimäßig wie du mit deiner Haber-Assistenz!“

Petra Pandora, natürlich, die rothaarige Studentin damals im Psychoanalyse-Seminar – mit der hast du noch Kontakt?“

Ja, sie praktiziert hier in Gievenbeck, einem Vorort von Münster. Und du?“

Ich bin mit Professor Haber gereist – seine Vortragsreihe in Süddeutschland. Nächste Woche geht es noch zur Sternwarte Bochum – dann kehre ich wieder in meine Praxis zurück.“

Mensch, du hast ein Leben!“, klopfte ich Sigmund auf die Schulter.

Ja, mal abschalten und was Anderes mitbekommen als immer nur Psychologie, das tut schon gut! Aber das merkst du ja auch, wenn du nun mit Petra in die Hobbyastronomie einsteigen willst.“

Sigmund zwinkerte mich an. Wahrscheinlich stellte er sich vor, ich hätte noch engeren Kontakt mit ihr, aber Petra hatte nach dem Studium geheiratet, einen Informatiker aus Frankfurt. Der war nun an das Münsteraner Uni-Rechenzentrum versetzt worden. Sie hatte eine Praxis in Gievenbeck eröffnet, nahe der Michaeliskirche. Sigmund hörte sich an, was ich ihm erzählen konnte aus den letzten Jahren, seit wir uns gesehen hatten, und als er mich kurz über das verpasste Vortragsthema „Analyse von Bodenproben“ informiert hatte, kam er plötzlich auf einen Fall zu sprechen, der den Professor vor ein Rätsel stellte.

Stell dir vor“, platze es plötzlich aus ihm heraus, „Hat mich doch der Haber gefragt, ob ich an Wunder glaube – speziell im Hinblick auf Analysegeräte. Er hatte eine Studentin, die hieß Inga. Er hat sie damit beauftragt, per Atomabsorptionsspektrometer eine Metallprobe für eine Doktorarbeit in Eisenmetallurgie zu untersuchen – einige Körnchen Gusseisen, dass er von einem angerosteten Gullideckel abgefeilt hatte. Und die Studentin wollte ihm weismachen, sie habe in der Metallprobe Gold gefunden – etwa 12 ppm. Natürlich hat Haber sie zusammengefaltet, ist dann aber ins Unilabor gedüst, hat selbst das AAS-Gerät angeschmissen, gemessen und fast den Glauben an die Wissenschaft verloren: Das Material vom Gievenbecker Gullideckel enthielt tatsächlich 12 ppm Gold – ganze 0,0012 Prozent. Kannst du dir vorstellen, wie der Alte da geguckt hat?“

Nein, ist nicht wahr? Hat die Studentin ihren Ehering mit angefeilt und der Bodenprobe beigemischt? Oder was?“

Haben wir auch erst gedacht, aber sie trug keinen Schmuck. Und es war auch kein Schmuck- oder Münzgold – es gab Begleitspuren von Platin, Palladium, Zink und sogar 0,3 ppm Iridium. Auch ein Arbeiter am Schmelzofen kann also nicht einen Ring verloren und in das Gusseisen fallen lassen haben!“

Zink und Platinmetalle? Zink tut nun wirklich keiner in Schmuckmetall. Komisch…“, rätselte ich. „Ich weiß zwar, dass der Meteorit, der vor 65 Millionen Jahren im heutigen Mexiko niederging und die Dinosaurier auslöschte, erhöhte Iridiumspuren aufwies, aber mit irdischen und außerirdischen Metallproben kenne ich mich dann doch nicht so gut aus.“

Titus, lass gut sein,“ meinte Sigmund, „wir müssen nicht jedes Rätsel lösen. Uns genügen die Rätsel der menschlichen Seele!“, lachte er, „Und es ist schon spät. Ich wollte nur verhindern, dass du hier im Votrtragssaal übernachtest!“

Danke!“, lächelte ich zurück, „Vielleicht sollten wir uns mal ein andermal zum Fachsimpeln treffen, wenn du noch ein paar Tage in Münster bist?“

Sicher, Professor Haber ist noch bis Donnerstag hier – dann düsen wir nach Bochum.“

Sigmund reichte mir seine Visitenkarte.

Hier hast du meine Handynummer! Meld’dich mal!“

Danke“, meinte ich erneut. Wir verabschiedeten uns und ich fuhr nachdenklich mit der Frage des Professors heim, wie denn Gold und Platinmetalle in einen Gullideckel kommen könnten, wenn es kein Schmuck oder Münzgold gewesen sein kann. Daheim angekommen streckte ich mich auf der Couch ein und träumte weiter – von einer Robotersonde, die auf dem Marsboden in goldhaltigem Sand schürfte und ein paar ppm Iridiumanteile analysierte.



Er verließ das Beachotel am Lilly-Marleen-Brunnen. Endlich Feierabend!, jubelte er vor sich hin.

Er passierte die Buchhandlung, stieg zum Wasserturm hoch und schlenderte an ihm vorbei in die Dünen. Rechts ließ er das Langeooger Hallenbad liegen, links herum ging er zum Strand.

Die Abendsonne strahlte ihm entgegen.

Er setzte sich in die Dünen. Ein paar Möwen kreischten und der Wind fuhr ihm durchs Haar.

Plötzlich kam eine Erinnerung in ihm hoch, eine dunkle Unruhe ergriff ihn wie ein Strudel.

Dreimal gequirlte Hundekacke: die Freundin von dem Miststück!, tobte er wütend. Ihr Handy! Was wenn die Bullen die sms lesen und Hinweise bei ihr finden – hatte das Miststück ihr nicht von ihm geschrieben?

Die Mühlmann hatte doch diese Freundin, und die wusste von ihrer Beziehung zu ihm. Die Polizei könnte sie befragen und sogar Hinweise auf ihn finden, weil die Mühlmann ihr über ihn gesimst hatte! Sie hatte ihm da sowas geschrieben, bevor sie mit ihm Schluss gemacht hatte …

Er musste diese Freundin finden – VOR den Bullen! Er überlegte fieberhaft, was er von ihr wusste: Sie war Tierpflegerin, hatte die Mühlmann gesagt, bei Seerobben oder Seehunden – wohl im Münsteraner Zoo. Sie hatte vorher ein Praktikum auf der Seehundstation bei Norddeich gemacht.

Er musste sie finden. Er musste nach Norddeich fahren und suchen. Und dann nach Münster, in die Höhle des Löwen. Er wusste: Das war ein Risiko. Aber er musste es riskieren. Er konnte nicht mehr abgetaucht auf Langeoog bleiben – auch ein Seehund muss mal wieder auftauchen und Sauerstoff tanken. Er musste diese Freundin beseitigen. Spurlos. Wie die Robbe den Fisch. Nur so konnte er auf Nummer sicher gehen. Nur so konnte er Petermann beeindrucken und Pluspunkte bei Gerd sammeln, seinem ABD-Gruppenchef. Dadurch bekam er später wieder Zugang zu weiteren, lukrativen ABD-Beteiligungs-Vermittlungen.

Die Sonne ging unter, und sein Plan nahm Konturen an: Er musste sie am Zoo in Münster aufsuchen. Bestimmt gibt es da Möglichkeiten, sie spurlos verschwinden zu lassen, so wie ihre Freundin. Eine Tierkadaverbeseitigung oder ähnlich. Er würde sie ausfindig machen und beobachten, diese Tierpflegerin im Zoo. Er beschloss, sie bei ihrer Arbeit zu beobachten – am Besten bei den Raubtieren. Würden diese Fleischfresser für ihn nicht auch diese Mühlmann-Freundin beseitigen? Da war er jedenfalls ganz kreativ.

Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Es war spezialisiert auf spurlose Beseitigungen.

Gequirlte Hundekacke!, dachte er, wer ein solches Miststück beseitigen kann, der schafft das auch mit zwei!



Münster ist ein beschauliches Örtchen. Eigentlich könnten die Menschen hier glücklich sein und bräuchten sich weder mit Suchtmitteln noch mit deprimierenden Gedanken zu plagen. Leider jedoch ist das zu kurz gedacht. In meiner Praxis lernte ich das schnell.

Ich hatte viele Patienten, die traurig, abhängig oder traumatisiert waren. Spiel-, Tabletten-, Alkohol-, Nikotin-, Sex- und Internetsüchte sind verbreiterter als man meint. Suchtmittel wecken Begierden, unerfüllbare Begierden machen traurig. So verbreiten sich auch Depressionen, wenn man nicht gelernt hat, mit unerfüllten Wünschen zu leben (Und wer kann sich schon alle Wünsche erfüllen? Gesunde Menschen lernen also, auch mit unerfüllten Wünschen zu leben). Menschen können an Süchten schwer erkranken, sterben oder sich das Leben nehmen, und immer hinterlassen sie dann trauernde Angehörige. Traumatisierte Menschen sind der zweite Großteil meiner Patientinnen und Patienten.

Als Martin Heveling damals seine Therapie begonnen hatte, lange vor seiner Not-OP, da hatte ich meine Praxis gerade eröffnet. Hans Haferkamp war zwei Jahre bei mir in Behandlung, und der Grund der psychotherapeutischen Behandlung waren Depressionen, deren Anfänge sich schon in erster Ehe gezeigt hatten. Und die Folgen der Scheidung, die wegen der Depressionen nicht ausbleiben konnte.

Da war zum Beispiel Ana, meine erste Patientin aus Münsters Kuhviertel (Münster ist Universitätsstadt, und wo Unis sind, sammeln sich Studentenkneipen. Diese Sammlung wird auf westfälisch „Kuhviertel“ genannt, oder auch kurz: Q/4). Sie wohnte dort in einer der vielen Gassen, in der sich die „Pinten“, Bier- und Studentenkneipen reihten.

Ana kam zu mir, als sie ihre Freundin verloren hatte. Sie war schwer traumatisiert: Ihre Freundin Livia, wie Ana 26 Jahre alt, war Opfer eines Mordes geworden, eines spektakulären Mordes, der sich im Kuhviertel ereignet hatte.

Einfach abgestochen und entsorgt, wie ein Stück Müll!“, schluchzte Ana.

Livia, meine liebe Livia!“

Ana hatte Livia sehr gemocht, ihre Jugendfreundin, deren Eltern mit Livia aus Brasilien nach Münster gezogen waren.

Das ist schwer für sie!“, sagte ich.

Er hat sie einfach abgestochen, in einen alten Teppich gerollt und auf einer Sackkarre durch die Innenstadt gefahren, um sie in einen Anhänger zu schmeißen und im Kanal zu entsorgen.“

Ana vergoss Tränen, und ich spürte, dass es für sie ein so großer Verlust war, als wäre sie selbst getötet worden. Schon als Kinder hatten sie nebeneinander gewohnt, hatten die Grundschule am Kuhviertel besucht, zusammen gespielt und später studiert. Livia hatte dann auf einem Heimflug nach Brasilien einen sechzig Jahre älteren Mann kennengelernt, auch ein Münsteraner. Sie fanden zusammen, heirateten, und trotz des hohen Alters des Mannes begann die Ehe glücklich. Dann aber wollte Livia nicht mehr: Sie hatte sich in einen gleichaltrigen Mann verliebt. Er wurde ihr Liebhaber – sie wollte ihren Mann verlassen. Sie fuhr vom Liebhaber per Taxi zurück in die Wohnung ihres Mannes im Kuhviertel. Danach wurde sie nie wieder gesehen – ihr Liebhaber erstattete am 27. Oktober eine Vermisstenanzeige.

Mit einer Sackkarre, in einen Teppich gerollt?“, fragte ich.

Ja, und dann hat er sie nach Ibbenbüren gefahren, mit Ketten beschwert und von einer Kanalbrücke geworfen! Meine Livia! Das kann man doch nicht machen!“

Der Sackkarrenmord!

Mich schauderte. Kalt lief es den Rücken herunter. Jetzt verstand ich. Sie sprach von der Realität und phantasierte nicht. Es hatte morgens in der Zeitung gestanden: Der Mörder hatte seine junge Frau im Streit erstochen. Die Leiche rollte er in einen Teppich, karrte sie durch die Innenstadt in einen PKW-Anhänger und fuhr weg. Und niemand in der Stadt hatte es bemerkt. Wahnsinn! Das war der Sackkarren-Mord, von dem mir Kommissar Heveling damals erzählt hatte – und die Freundin des Opfers saß vor mir.

Wir hatten so schöne Jahre!“

Ana weinte noch immer. Ich reichte ihr ein Taschentuch.

Als sie ausgeweint hatte, starrte sie in die Leere. Sie trauerte nicht nur, sie war schwer traumatisiert. Sie fühlte sich selbst wie abgetötet, und sie würde noch viel Zeit brauchen, um sich zu fangen und wieder zu sich zu finden. Ihre Verbundenheit mit Livia, der jungen Brasilianerin, war sehr groß.

Ihr Trauma ließ sich heilen. Viele Monate später lernte sie in der Therapie, mit ihrer Trauer, ihrem Verlust weiterzuleben. Auch die Demütigung, das Leiden an der Brutalität der Tat, lernte sie zu tragen. Und das, ohne den Schmerz im Alkohol zu ertränken (was eine Zeit lang Thema in ihrer Therapie war). Meditative Teezubereitungs-Rituale helfen da manchmal eher als Wein und Bier. Anas Lieblingssorte hieß „Sencha“, der grasgrüne Tee aus Japan.

Nach Ana kam Hans damals zur Therapiesitzung. Ich musste umschalten, nicht nur auf seine Lieblingssorte Ostfriesentee, und ich hatte erhebliche Schwierigkeiten, Anas Erzählung zu verarbeiten, während Hans nun von seiner Traurigkeit erzählte. Sie kam mir im Vergleich dazu so unbegründet vor – im Vergleich zu alledem, was Ana betrauerte. Wir tranken also erst einmal in Ruhe fünf Minuten lang Ostfriesentee, dann aber begann die Sitzung.

Hans erzählte mir etwas von seiner Sehnsucht nach körperlicher Nähe. Und von Streitereien, die er mal gehabt hatte, weil er nie über seine Wünsche reden mochte.

Jammern auf hohem Niveau? Als Therapeut durfte ich nicht so denken. Doch trotzdem musste ich an Livias Mörder denken, als ich versuchte, Hans zuzuhören: Auch er hatte körperliche Sehnsüchte gehabt, in Livia einen Traum von Jugend besitzen wollen. Und als sein Wunsch unerfüllbar wurde (Livia hatte einen jungen Liebhaber gefunden und wollte die Scheidung), da stach er einfach zu.

Wäre er doch zuvor in Therapie gegangen und hätte über seine unerfüllten Wünsche geredet!



Kommissar Heveling saß an diesem Nachmittag über einigen Akten. Im Kommissariat war es ausnahmsweise recht ruhig. Die Kollegen waren unterwegs zu einem Einsatz im Kuhviertel, und er hatte endlich einen Moment Ruhe für einen starken Kaffee, seinen Da-steht-der-Löffel-ja-von-alleine-Kaffee. Er sah aus dem Fenster auf den Niedersachsenring. Der Verkehr quälte sich über die Straße. Die Sonne lugte durch einige Baumwipfel und von der Anrichte neben dem Fenster lockte ihn ein aromatisch riechendes Kaffeepulver, eine neu angebrochene Packung. Er nahm einen Filter, steckte ihn in die Maschine und griff den Plastiklöffel, um das Pulver in den Filter zu tun.

Er hatte gerade den ersten Löffel Pulver aus der Packung genommen, da schrillte das Telefon. Kommissar Heveling erschrak und ihm fiel etwas Kaffeepulver auf die Akten.

„Heveling“, meldete er sich am Hörer.

„Meier-zu-Brokenhoff. Kommissar Heveling, bitte kommen sie zu mir rüber. Es eilt.“

Dann tütete es – und Heveling schloss daraus, dass sein Chef wieder eingehängt hatte. Und dass Arbeit anlag.

Er ging den Weg zum Chefzimmer. Ihm war mulmig zumute.

„Heveling, kommen sie rein!“, rief Meier-zu-Brokenhoff wie immer durch die noch geschlossene Tür seiner Amtsstube, als er ihn kommen hörte.

„Der Mord im Kuhviertel, die Leiche eine Brasilianerin Livia Panheira wurde letzte Woche aufgefunden. Haben Sie inzwischen erste Ergebnisse?“

„Guten Morgen, Chef!“, versuchte Martin ihn beim Eintreten anzulächeln, doch Meier-zu-Brokenhoffs versteinertes Gesicht ließ sein Lächeln wieder einmal einfrieren.

„Guten Morgen, Heveling. Also: Gibt es erste Ergebnisse?“, hakte Meier-zu-Brokenhoff nach.

„Nein ich …“, setzte Kommissar Martin Heveling an.

„Sie haben heute Morgen ihr Fax nicht abgerufen!?“, stellte Meier-zu-Brokenhoff noch halb fragend fest.

„Chef, ich …“, wollte Martin beginnen, doch Meier-zu-Brokenhoff stand mit seiner ganzen Körperfülle aus seinem Sessel auf, ging auf ihn zu und reichte ihm die neu angelegte Ermittlungsakte „Mordfall Panheira“.

„Kriminaloberkommissar Kanetta ist krank. Das ist jetzt ihr Fall!“, schnaufte er, begab sich mit seiner ganzen Leibesfülle zurück in den Bürosessel und ergänzte: „Studieren sie auch die Pressemeldungen. Der Sackkarrenmord!“.

„Gern…“, wollte Martin Heveling noch nachschieben, doch Meier-zu-Brokenhoff wandte sich schon wieder von ihm ab.

„Ich brauche Resultate!“, ergänzte Meier-zu-Brokenhoff, und Hevelings Audienz bei ihm war mit diesem Befehlsempfang schon wieder beendet.

Direkt nach seiner Audienz fand Heveling die Nachricht von der KTU. Die Kriminaltechniker hatten endlich auch noch das alte Nokia-Handy ausgewertet, dass die Spusi ihr vom Tatort gegeben hatte. Die Spurensicherung hatte es damals in der Wohnung des Opfers sichergestellt. Es hatte auf dem Tagebuch der Mühlmann gelegen. Die Spusi hatte es der KTU übergeben. Mike Rohsoft von der IT-Abteilung nahm ihn in Empfang.

„Hey, Martin! Wieder da?“

„Hey Mike! Wir brauchen wieder mal deine Fähigkeiten. Eine Handy-Obduktion.“

„Daten und Software rausholen, okay. Mach‘ ich dir blind! Weißt du übrigens, wie viele Softwareentwickler man braucht, um im Dunklen blind eine Glühbirne auszuwechseln?“

Heveling lachte.

„Nö, wieso?“

„Keinen. Das ist ein reines Hardwareproblem!“

„Ey, ich revanchiere mich jetzt, du Softwarespezialist!“, antwortete Heveling schlagfertig. „Wieviel Ostfriesen braucht man denn, um eine Glühbirne auszuwechseln?“

„Öhm …“

„1001. Einer hält die Glühbirne fest, und 1000 drehen das Haus.“

„Tausend. Der ist gut!“, trompetete Mike Rohsoft. „Arbeiten am Windows-PC ist wie im U-Boot: Öffnest du auch nur ein einziges Fenster, fangen die Probleme an.“

„Jaja, Windows heißt Fenster …“

„Erinner‘ mich nicht daran. Eigentlich müsste es 1001 Fenster heißen! Echt: Im Mittelalter hieß das Hölle, wo man schmorte, jetzt heißt es Windows.“, stöhnte Mike Rohsoft. „Und weißt du, was www heißt? Welt-weites Warten!“

„Das wusste ich nicht, aber ich weiß, was Revolver und Windows gemeinsam haben, Mike!“

„Oh, der Kriminalisten-Schlaumeier! Was denn?“

„Ungeladen sind beide völlig harmlos!“

„Du kannst geile Dönekes!“, gab Mike zurück. „Deiner ist ja fast so gut, wie neulich der von der Anfrage an unsere Hotline. Ich installiere gerade Windows, sagte die Kollegin. Was soll ich tun? Gab ich zurück: Am besten beide Daumen drücken! Sie: Und was mach ich, wenn der OC die Tastatur nicht erkennt? Ich: Wieso? Welche Fehlermeldung haben sie denn? Sie: Press F1. Da hab ich ihr dann die Daumen gedrückt.“

Unterdessen nahm Mike das Handy auseinander und saugte ihm die Daten ab wie eine Mücke das Blut.

Die Gerichtsmediziner untersuchen die Hardware. Und tatsächlich, Mike fand einige interessante sms. Er war nunmal Spezialist in sowas – ihm entging da garnichts. Er war Computer-Tüfler in den USA, als PC-Händler nach Europa gekommen und KTU-Spezialist für Informatik geworden, mit besten Kenntnissen auch über das Darknet und die organisierte Kriminalität. Und er kannte Gaby von der Gerichtsmedizin. Gaby hatte auch das Tagebuch untersucht, und im Handy hatte sie eine Kopfhautschuppe gefunden im Einlegeschacht der sim-Karte. Sie stammte nicht von der Mühlmann. Sicherheitshalber hatte Heveling Gaby diese DNA-Probe einlagern lassen, auch wenn die Herkunftperson unbekannt war. Man wusste ja nie.

Sms-Kontakte zu einem Kollegen vom ABD, zu einem Physiklehrer vom Patenkind, zu …

Heveling überflog die Tabelle. Plötzlich stieß auf einen Namen mit X, den er bestens kannte.

Xenia!

Sein Blut gefror schlagartig in den Adern.

Die Mühlmann kannte Xenia?

Er las weiter. Hastig. Die Mühlmann, so Mike Rohsofts Bericht an die Mordkommission, hatte auf ihrem Handy kein WhattsApp und auch kaum sms-Kontakte – nur mit einer Freundin Xenia und mit einem ABD-Anlageberater – vermutlich ihr Kollege. Und sie schrieb gelegentlich mit ihrem Patenkind Susi. Zusätzlich gab es Anrufe vom Handy an ihre Mutter in der Seniorenresidenz Düesbergweg. Aber Xenia?

Heveling versuchte, sich zu beruhigen. Die Mühlmann war ledig und kinderlos. Sie hatte Susi, das Kind ihrer Freundin Xenia, als Patenkind angenommen. Deshalb hatte sie auch noch einen kurzen Kontakt mit Susis Physiklehrer, wohl wegen dem Abfahrtstermin einer Klassenfahrt, zu der sie das Kind bringen wollte – oder wegen eines Elternsprechtermins. Okay, aber ausgerechnet Xenia!?

Heveling erinnerte sich sofort: Die Vermisstenanzeige in Sachen Mühlmann stammte von ihrer Freundin, und die hieß, so sah er jetzt, Xenia – die Akte lag in seinem Büro. Xenia war auch wieder in Münster. Sie war Witwe und kurzzeitig nach Polen „ausgewandert“, dort aber nicht mehr klargekommen.

Sie hatte eine tragische Geschichte hinter sich. Es begann mit einem Geldfund – wie im Märchen. Eine halbe Million Euro in bar.

Sie war im Fundbüro tätig gewesen. Dort fand sie zu ihrer Überraschung eines Tages in einem Rucksack einen Haufen Bündel von 100-, 200- und 500-Euro-Banknoten. Ein Busfahrer hatte die Fundsache dort abgegeben, Fundort: Unter der hinteren Sitzbank in seinem Linienbus, Haltestelle Düesbergklause.

Wahnsinn! Ein Lottogewinn?, schoss es ihr durch den Kopf.

Sie fing sich. Sie schloss den Rucksack, noch bevor ihr Kollege den Inhalt sah. Abends nahm sie das Geld abends mit nach Hause. Ohne groß nachzudenken. Sie zeigte es ihrem Mann. Ihr Mann hatte Multiple Sklerose, saß im Rollstuhl. Er hoffte auf eine medizinische Behandlung, doch die Krankenkasse wollte die Kosten nicht übernehmen. Da hatte sie natürlich eine Idee – sie liebte ihren Achim, und die Versuchung war groß.

„Das geht nicht. Du musst das Geld zurücklegen, deinen Chef und die Polizei informieren“, widersprach Achim. Xenia hörte nicht auf ihn.

Der Eigentümer holte seinen Wagen wieder. Er tobte, weil man ihn wegen so eines blöden Parkverbots abgeschleppt hatte, und als der Rucksack fehlte, rastete er komplett aus. Er wolle den Rucksack zurück, und als Xenias Chef sagte, er wisse von nichts, da verprügelte er ihn. Er setzte ihm eine Frist von 24 Stunden – andernfalls werde er wiederkommen und ihn umbringen.

Xenia war verzweifelt, ihren Chef nicht informiert zu haben.

Das Geld gehörte Konstantinos Kapitalopoulos, einem Security-Mitarbeiter. Er war zudem als ABD-Vertreter unterwegs, verwickelt in krumme Geschäfte. Anlagebetrug mit Geschlossenen Immobilienfonds. Vielleicht hatte er es dort unterschlagen – Geldwäsche, vermuteten die Polizeikollegen. Seine Freundin hatte es für ihn im PKW liegen lassen. Aus Wut über ihren Geldverlust erschoss er sie im Affekt. Die Kollegen im Bielefelder Morddezernat hatten den Fall bearbeitet.

Xenia erfuhr über ihren Chef, wer der Eigentümer des Mitsubishis mit dem Geldrucksack war. Sie fiel in Panik. Sie gab ihr Kind zu ihrer Schwester in Pflege und bewaffnete sich zur Selbstverteidigung.

Am folgenden Tag war Kapitalopoulos wieder am Autohof. Xenia hatte gerade Mittagspause. Er wolle den Inhalt des Autos wiederhaben, schrie er wütend und stach Xenias Chef mit einem Messer nieder. Er überlebte und warnte sie. Sie sollte mit Achim fliehen, sagte er. Kapitalopoulos kam hinzu. Xenia floh. Er verfolgte sie, jagte sie in einer wilden Autojagd durch Münsters Osten. Sie konnte auf ihn schießen. Er floh zu Antonelli, seinem Kumpanen. Der war zwar nur ein Anlageberater, aber er konnte ihn notdürftig verarzten.

Kapitalopoulos überlebte. Er verfolgte Xenia anschließend erneut in Tötungsabsicht. Xenia und Achim wurden von ihm in ihrem PKW überrascht. Kapitalopoulos riss die Pkw-Tür auf, als sie an der Autobahnraststätte Münsterland hielten. Er zerrte Achim aus dem Fahrzeug und schlug ihm auf dem Kopf. Sie schoss Kapitalopoulos in den Bauch. Es war Notwehr. Ihr Mann kam zu sich und betätigte den Notruf – Polizei und Krankenwagen. Er wollte, dass sie sich stellen. Dann kam Kapitalopoulos wieder zu sich. Er ergriff Xenias Waffe und erschoss ihren Mann, kurz bevor er selbst verblutete. Xenia flüchtete über die Autobahn. Die Kollegen fanden auf dem Rastplatz nur noch zwei männliche Leichen. Xenia hielt ihren Pkw erst wieder in Polen an. Sie war dort mit dem Geld allein, ganz allein, und kam nicht mehr klar.

Sie hatte sich gestellt. Die polnische Polizei lieferte sie nach Münster aus. Kommissar Heveling hatte sie in Empfang genommen. Inzwischen war sie aus der U-Haft entlassen worden. Tenfelde sollte ihr Trauma therapieren.

Xenia war Erbin des spärlichen Nachlasses der Mühlmann. Sie hatte so gut wie nichts hinterlassen, nur ein kleines Sparbuch für ihr Patenkind Susi. Keine 300 Euro.

Heveling stutzte. War sie knauserig? Oder pleite?, fragte er sich. Und er nahm sich diesen „ABD“ vor. Sein Schädel brummte. Das war gestern wohl ein Bierchen zuviel. Doch er nahm eine Aspirin, schmiss sie in ein Glas Wasser und betrachtete nachdenklich die Bläschen. Die Tablette verschwand im Nichts, in einer Wolke aus Gasbläschen im Wasserglas. Er war versucht, das Wasser zum Blumengießen zu benutzen – die Efeutute auf der Fensterbank seines Bürozimmers war trocken – doch dann besann er sich. Er schonte die Zimmerpflanze und gab ihr einen Schuss aus der Mineralwasserflasche.

Schließlich schlürfte er das Zeug aus dem Glas selbst und setzte sich wieder über die Akten. Er fand heraus, dass das Kürzel Allgemeiner Beratungs-Dienst bedeutete. ABD? Er kramte gedanklich in seinen Erinnerungen. War da nicht vor Jahren so ein Fall, wo das Kürzel vorkam? Irgendwas mit Anlagebetrug? Das Verfahren war, so meinte er sich zu erinnern, eingestellt worden, weil es wohl ein Suizid war. Das Opfer war einem Anlagebetrug aufgesessen und kam nicht klar, und ein Mord war nicht nachweisbar. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren eingestellt. Ihm fiel ein, dass es da damals so einen Finanzdienstleister gab. Hieß der nicht ABD oder AWD oder so ähnlich?

Er nahm den letzten Schluck Aspirin. Dann rief er Mike Rohsoft an. Mike war nicht da. Erika ging ran, seine Kollegin aus der Abteilung O.K. – organisierte Kriminalität.

„ARD?“, scherzte sie, „aber Martin, das heißt doch Allgemeiner Rundfunk Deutschland, das Erste im Fernsehen!“

„Sehr witzig“, brummte Heveling. „ABD, du Nuss!“

„Oh, danke für das Kompliment, Martin.“ Sie lachte. Martin hörte ihren PC hochfahren. Ihre lackierten Fingernägel tippten auf die Tastatur.

„Also ABD.“, murmelte sie. „Also: Google sagt, das heißt Ausfuhr-Begleit-Dokument. Damit bestätigt die Ausfuhrzollstelle, dass die Ausfuhr bestimmter Waren zulässig ist. Oder es heißt Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie. Und es gibt den arabischen Vorname ʿAbd, der bedeutet Sklave, Diener oder Knecht. Wie zum Beispiel in Abd‘ullah, Knecht Gottes.“

Martin stöhnte.

„ABD ist auch das Kürzel für Abend oder Abdankung oder das automatische Bremsdifferenzial – das ist Technik …“, murmelte sie unbeirrt weiter.

Martin räusperte sich.

„Ach, da ist es ja: Es gibt unter dem Kürzel ABD hier in Münster auch einen Makler – meist du den?“

„Erika, lass gut sein.“

Erika fuhr fort. „Also AWD statt ABD? Immobilien und Wirtschaft, ok, aber ich glaube, es war dann wohl eher AWD, was du meintest?“

Irgendwie spürte Heveling, dass er wohl noch eine zweite Aspirin bräuchte.

„Also, AWD steht für All Wheel Drive, englisch für Allradantrieb, für einen ehemaligen deutschen Motorradhersteller, einen ehemaligen britischen Nutzfahrzeughersteller, die Arzneimittelwerke Dresden in der früheren DDR, den Afghan War Day …“

Martin Heveling, dachte Heveling, du musst jetzt den Hörer auflegen, bevor dir der Schädel platzt.

„… und für die AWD Holding – das heißt Allgemeiner Wirtschaftsdienst – ein ehemaliges Finanzdienstleistungsunternehmen, das jetzt Swiss Life Select heißt. Ich mail Dir den Link! Dann …“, fuhr Erika fort.

„Danke!“, unterbrach sie Heveling, „Das ist klasse von dir! Sorry, ich muss jetzt zu einem Vernehmungstermin, nicht bös‘ sein!“

ARD, ABD, AWD … Sein Kopf brummte.

„Alles gut“, hörte er noch, bevor er Tschüß sagte. Dann nahm er seine zweite Aspirin.

Fünf Minuten später hatte er Infos über diesen AWD auf dem Bildschirm.

„Der Allgemeine Wirtschaftsdienst AWD Holding AG war einer der größten unabhängigen Finanzdienstleister Europas“, las er. „Heute firmiert das Unternehmen unter Swiss Life Select“.

Dieser „Finanzdienstleister“ war in den 80er Jahren von Carsten Maschmeyer gegründet worden, der lange Jahre Co-Chef des Unternehmens war, bis etwa 2009 seine Familie ihre Aktienbeteiligung an AWD an Swiss Life verkaufte und er ausschied. Eine Meldung vom 28.10.2012 lautete, der Name des Finanzberatungsunternehmens AWD sei laut „Spiegel“ wohl bald Geschichte. Die Firma solle Ende November eine Fusion mit der Deutschland-Niederlassung der Schweizer Muttergesellschaft Swiss Life eingehen und ihre „Finanzprodukte“ demnächst unter der Bezeichnung „Swiss Life Best Select“ vertreiben, behaupteten Insider gegenüber dem Nachrichtenmagazin. Das Unternehmen wolle das nicht kommentieren und eine Umbenennung sei „reine Spekulation. „Maschmeyers AWD könnte bald Geschichte sein. Ein Kampf gegen das schlechte Image?“, lautete da eine Schlagzeile, veröffentlicht am 28.10.2012 von Welt online. Der Unternehmenssitz war in Hannover. Vermittler für Finanzberatung, Vermittlung von Versicherungen, Kapitalanlagen und Finanzierungen sowie Immobilien für Privathaushalte und Unternehmen. Die heutige Swiss Life Select Deutschland ist aus der ehemaligen börsennotierten AWD hervorgegangen.

Finanzhaie, die auch Privathaushalte ausnehmen?, dachte Heveling.

Er scrollte den Mailtext durch und überflog ihn.

Erika war sehr fleißig gewesen. Sie hatte ihm weitere Recherche-Ergebnisse beigefügt. Sie meinte, sie habe etwas gefunden, wo schwere Vorwürfe gegen Alt-Bundeskanzler Schröder und diesen Finanzunternehmer Maschmeyer erhoben worden seien. Zu den Freunden des Unternehmensgründers, so hätten die Autoren Löer und Schröm eines Buches „Geld Macht Politik“ behauptet, zählten nämlich Altkanzler Gerhard Schröder und Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Ein Nachrichtenmagazin muss wohl berichtet haben, das Buch enthülle das „Geben und Nehmen zwischen Wirtschaft und Politik“, basierend „auf Tausenden persönlichen, firmeneigenen und juristischen Dokumenten“. Es rücke die Maschmeyer-Beziehungen in die Nähe des Korruptionsverdachts. „Auch die Freundschaft zwischen Carsten Maschmeyer und Gerhard Schröder warf, so könnte man es formulieren, beiderseitig üppige Rendite ab“, hätten Löer und Schröm behauptet.

Der eine habe die Riesterrente geschaffen, an der die Finanzbranche und also auch Maschmeyers AWD sehr gut verdienen konnten, und der andere, also AWD-Chef Maschmeyer, habe sich revanchiert, indem er Schröder nach dessen Wahlniederlage 2005 für zwei Millionen Euro die Rechte an dessen Biografie abgekauft habe.

Heveling dachte nach. Schröder? War das nicht der mit diesem Song-Text „Gib mir mal ‚ne Flasche Bier!“, sein Kontakt zu Putin und sein Posten bei diesem russischen Konzern Gazprom?

Der Aufsichtsrat des Versicherungskonzerns Swiss Life habe jedenfalls die Namenstilgung beschlossen, stand da, denn der AWD sei durch eine Klagewelle von Kunden in die Schlagzeilen geraten. Swiss Life hoffe laut „Spiegel“, mit einem neuen Namen das schlechte Image des AWD abstreifen zu können. Noch hunderte Schadenersatzklagen seien anhängig gewesen, so die Kritiker, und diese könnten nun auch wohl mit dem neuen Namen in Verbindung gebracht werden. Eine weitere Veröffentlichung vom 22.05.2012 habe die Schlagzeile „Maschmeyer steigt bei Chinas iTunes-Rivalen ein“, schrieb Erika. Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer habe nun für einen Millionenbetrag einen Anteil am chinesischen Online-Musikdienst 88tc88 erworben. Der AWD-Gründer sei dann wohl auf der Suche nach neuen Anlagechancen gewesen. 88tc88 biete westliche Musiktitel, elektronische Bücher und andere Programme gegen Bezahlung zum Herunterladen an und stoße damit in China in eine Lücke. Die Firma sei in Berlin und Peking ansässig, hieß es. Musiklabels hätten in China 2010 nach Angaben des Branchenverbands IFPI „nur“ 64 Millionen Dollar eingenommen – im Vergleich zu 4,2 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten. Maschmeyer, der mit der Schauspielerin Veronica Ferres liiert sein und selbst einige Milliarden besitzen soll, habe da neue Anlagechancen gewittert und einen Teil seiner Aktien am heutigen AWD-Eigentümer Swiss Life für gut 50 Millionen Euro verkauft, wohl auch, um beim Klinikbetreiber Marseille-Kliniken einzusteigen, beim ostdeutschen Fahrradhersteller Mifa und beim Leverkusener Biotech-Unternehmen Biofrontera.

Die haben alle zuviel Kohle – Verbrecherbande!, dachte Heveling. Und die Kohle haben sie dann wohl Anderen aus der Tasche gezogen.

Im Buch „Geld Macht Politik“, las er, haben es diese Journalisten Wigbert Löer und Oliver Schröm wohl noch berichtet, Swiss Life habe dann ein weiteres Kapitel der umstrittenen Vergangenheit des AWD geschlossen und mit der Zahlung von elf Millionen Euro einen jahrelangen Rechtsstreit in Österreich beigelegt. Der Verein für Konsumenteninformation VKI habe der Swiss-Life-Tochter AWD nämlich systematische Fehlberatung im Zusammenhang mit Immofinanz-Aktien vorgeworfen und vor Gericht auf Schadenersatz von 40 Millionen Euro geklagt.

40 Millionen aus Privathaushalten eingesackt – elf davon zur Streitbeilegung gezahlt. 29 Millionen Gewinn. Klasse!, dachte Heveling. Da kann mit meinem kleinen Beamtengehalt echt nicht mithalten. Ich sollte die Branche wechseln…

Wut kam in ihm auf, Hass und Wut auf diese gierigen Turbokapitalisten so ganz ohne jede Moral.

Gulligold - Serienmorde in Münster

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