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Kapitel 4

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Auf der Funkstation der Altakolia I herrschte reger Betrieb. Die Datenauswertung lief auf vollen Touren. Das Nachtteam hatte während der letzten Schlafperiode alle Quantenrechner programmiert, die neuen, von den Vorboten eingetroffenen Datenpakete aufzubereiten. Eine erste Auswertung. Ihr Ergebnis wartete darauf, auf Tüngörs Desktop angeklickt zu werden.

Als Tüngör kam, traf er auf SFmO Häga Oharam, den Schiffsfernmeldeoffizier. Er saß neben Wølknu Külkopp und Tomalchaiman Casnochmal, seinen beiden Stellvertretern. Das Trio hatte die ganze Nacht verfolgt, wie der Quantenrechner die Daten durcharbeitete. Sie waren wie im Rausch. Wølknu Külkopp flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Casnochmal starrte aufgeregt auf sein Display, auf dem Zahlenkolonnen herunterratterten. Die Euphorie hatte ihre Müdigkeit hinweggespült, als die ersten Daten kamen. Casnochmal grüßte erregt.

„Tüngör, das ist sensationell! Schau, was da kommt!“

Tüngör wurde neugierig. Ein wenig müde flatterte er zu seiner Konsole nieder und loggte sich ein. Die vergangenen Nächte saßen ihm noch in den Knochen. Sie waren etwas kürzer gewesen. Es hatte einen feucht-fröhlichen Partyabend bei Maat Mälkem gegeben, und ein Patenonkelfest mit Jauke und seiner Scharla bei Jenis. Aber er hatte sich vom Feiern einigermaßen erholt.

„Was gibt’s denn?“, fragte er.

„Altakol-Späher 34“, japste Oharam. „Er hat … Er hat modulierte …“

Die Ergebnisdatei öffnete sich auf den Displays. Alle verstummten. Jenis wurde gerufen. Er kam sofort. Oharam rief die Datei auf. Der Text erschien. Die Informationen waren umwerfend. Oharam sprühte förmlich auf, wie ein helles Feuerwerk. Auch Tüngör strahlte plötzlich wie eine Plutoniumbatterie. Begeisterung durchströmte seinen Vogelmenschkörper, wie heiße Lava. Warmes, sauerstoffreiches Frischblut schien ihm bis selbst in die Feder- und Zehenspitzen zu fließen. Alles in ihm jubelte. Jetzt verstand er die Euphorie der Anderen. Ihr Expeditionsziel war bewaldet, wie ihre Heimat. Es hatte Bewohner. Und: sie waren intelligent. Eine Sensation. Der Beweis flimmerte vor ihren Augen: modulierte Funkwellen. Die Landesonde von Altakolspäher 34 hatte sie registriert. Es gab keinen Zweifel: Die „Sariahner“ nutzten Funkverkehr zur Übertragung von Informationen. Sie hatten eine technische Zivilisation.

Tüngör berichtete. „Die Radarsatelliten haben Sariah umrundet und aus dem Orbit gescannt. Ihre Daten zeigen an, dass es auf dem blauen Planeten schätzungsweise drei bis vier Billionen Bäume gibt, zumeist in Tundra- und Regenwaldgebieten. Überall Anzeichen einer technisierten, sariahnischen Zivilisation: geteerte Transportwege, Transportfahrzeuge zu Wasser, zu Land und in der Luft, Ballungszentren und Siedlungen, rege Berg- und Ackerbau-Aktivitäten! Und wisst ihr was? Sariah ist fast ein Doppelplanet. Ein großer Mond umrundet ihn. Unser Team hat auf seiner Rückseite Robotersonden abgesetzt. Sie haben uns dort eine neue Raumstation gebaut, die Sariarah!“

Die Entdeckung der Zivilisation auf Sariah sprach sich rum wie ein Lauffeuer. Ma-Ting Coqey erfuhr es von Jenis als Erste. Die Astroökologin war nicht nur für die künstlichen Ökosysteme an Bord zuständig. Die Chefin der Exobiologie-Station war auch Schiffsversorgungsoffzier SVO. Fassungslos starrte sie auf ihre jubelnden Bioastronomen. Es bedeutete allerdings auch den Anfang eines Abenteuers – und einer neuen, langen, sehr langen Arbeitsphase. Sie hatten noch mehrere Annus Zeit bis Sariah. Ma-Ting flog an ihr Interfunkgerät. Eilige Interfunk-Emails gingen an alle Altakolia-I-Kollegen, die die Kommunikation mit den Sonden, Satelliten und Schwesterschiffen pflegten. Eine intensive Auswertung und –analyse aller Sondendaten lag an, mehrere Annus Analysearbeit. Neugierig und mit wachsender Begeisterung ging ihr Team die Aufgaben an. Die Sariahner waren fortan unter vollautomatischer, ferngesteuerter Beobachtung. Tüngörs Sonden-Team überwachte ihre Aktivitäten, ins Besondere die abgehörten Funksignale. General Fazzuwär aktivierte seine Spionagesatelliten.

Es war stickig. Auf der Altakolia I begann die große Offiziersbesprechung. Tüngör hatte sie mit Ma-Ting Coqey zusammen organisiert. Die große Holokonferenz zur SDA-Strategieplanung (SDA für Sonden-Daten-Analyse) der Bordoffiziere begann noch zur Frühstückszeit. Schiffschefinformatiker SCInf Wølknu, Cjasa Bibos als sein Stellvertreter und SVO Ma-Ting Coqey saßen am Kopf des Tisches. Tüngör als Konferenzleiter und Fernmeldeoffizier Wølknu Külkopp als Protokollant hockten am anderen Tischende. Per Interfunk beigeschaltet waren Kapitän Jenis und mehrere Crewmitglieder der Kommunikations- und Astronavigationsteams.

Jenis begrüßte die Runde. Tüngör und SCInf Wølknu eröffneten die Sitzung. FmO Wølknu Külkopp, sein Cousin, assistierte. Tüngör und Wølknu berichteten als Zuständige von den ersten Zwischenergebnissen.

„Wahnsinn!“, zwitscherte Tüngör los.

„Ja!“, ergänzte Wølknu. „Das haut uns um!“

Er blickte auffordernd auf seinen Stellvertreter. Cjasa Bibos erhob sich.

„Ich weiß, sie alle sind neugierig auf das, was wir von Sariah erfahren haben. Doch es gilt zu planen. Noch liegt ein weiter Hinweg vor uns. Den müssen wir erst einmal meistern. Wir müssen auf dem Hinflug an den vorinstallierten Raumstationen Energie auftanken, sonst reicht es nicht bis zum Ziel. Wir müssen sammeln, was wir über Sariah und das Planetensystem wissen. Ich berichte also zunächst über die Stationen, die uns auf dem Weg dorthin erwarten“, begann er.

Es wurde ein längerer Vortrag. Er beschrieb die Körper des Planetensystems, ihre Bahnen. Tüngör deutete assistierend auf den Monitor, zeigte eine Sternkarte. Jenis schmunzelte über die Namen, die Tüngör den Himmelskörpern verpasst hatte. Vierling, Exzentriker und Arabkijan stand da.

Daniel erzählte von äußeren Zwergplaneten, von den vier Gasriesen und von deren Eismonden, die die Raumsonden ausgemacht hatten. Dann kam er auf das innere Planetensystem Altakols – die vier Gesteinsplaneten.

„Stellt euch vor: Der zweitinnerste Planet Altakols ist eine echte Treibhaus-Hölle. Hier ist vor rund zwei Milliarden Annus ein Protoplanet eingeschlagen. Er hat die Rotationsachse des Planeten nicht nur geändert, sondern ihre Richtung sogar umgekehrt. Der Treibhauseffekt hat sich auf Neu-Wemura danach so hochgeschaukelt, dass die Urozeane verdampften. Der Planet wurde komplett von Lava bedeckt. Die Gashülle enthält in Folge dessen nun über 95% Kohlendioxid. Ein gewaltiger Überdruck! Ungeheure Temperaturen! Wolken aus konzentrierter Schwefelsäure hängen am Himmel. Die Oberfläche ist so heiß, dass dort Seen von flüssigem Blei vorhanden sein könnten – hätte das Blei mit den Schwefel- und Sauerstoffverbindungen nicht zu Bleisulfat reagiert.“

„Da landen wir garantiert nicht!“, scherzte Bibos.

„Und dort im Orbit sitzen unsere Lichtkollektoren und Laserübertragungsstationen?“, fragte Casnochmal.

„Ja.“, bestätigte Oort. „Drei Übertragungsstationen stehen für die Energieversorgung ihrer Altakolia I zur Verfügung, fünf hat General Fazzuwär auf die Altakolia VII richten lassen, sieben auf die Roboterschiffe im Planetoidengürtel, ...“

„Danke, Leutnant!“, unterbrach ihn Jenis. „Was ist nun mit Sariah und seinem Mond?“

Jenis sah zu Tüngör herüber.

Tüngör berichtete. „Auch der Mond Sariahs zeigt Spuren des großen Bombardements. Er ist über und über mit Kratern bedeckt – aber, was uns am meisten überraschte, er weist überhaupt keinen Kern auf. Er ist aus dem gleichen Material wie der Planet, den er umrundet. Das kann nur eines bedeuten: Sariah ist früher ebenfalls mit einem Protoplaneten kollidiert. Der Treffer hatte einen so flachen Winkel, dass er einen Großteil der Kruste Sariahs in eine Planetenumlaufbahn geschleudert hat. Hieraus hat sich der Mond gebildet. Gewissermaßen umkreist nun ein Teil der Sariah-Kruste seinen Mutter-Planeten. Sariah selbst hat durch einschlagende Kometen und Asteroiden sein Wasser erhalten. Und organisches Material. Weil er in der bewohnbaren Zone liegt, wurde er zur Brutstätte für pflanzliches Leben und hat durch Photosynthese eine Sauerstoffatmosphäre aufgebaut.“

„Wir brennen darauf, erste sariahnische Boden- und Wasserproben von den Sonden zu erhalten“, rief Ma-Ting Coqey begeistert.

„Nicht nur ihr“, schmunzelte Jenis über ihre Begeisterung, und er berichtete über Pläne seines Teams. Denn auch die Astronavigatoren und Raumstationsbau-Strategen waren begeistert: Die Sonden hatten den Bau und zum Teil schon die baldige Fertigstellung weiterer Raumkolonien gemeldet – auf der Rückseite des Mondes von Sariah, auf mehreren Planetoiden, dem roten Planeten und einigen Eismonden der Gasriesen.

Daniel meldete sich.

„Da ist auch der größte Mond im Altakolsystem - viel Wassereis und ein eigenes Magnetfeld, fast wie die Planeten! Wäre der nicht auch ein weiterer optimaler Zielort für ein planetares Habitat oder einen Militärstützpunkt?“

Sofort wurden Baupläne diskutiert und Prioritäten gesetzt. Vier Eismondozeane standen zur Verfügung. Raumbasen ließen sich auf unzählige Planetoiden konstruieren, und dem roten Planeten. Sariah aber war und blieb der erhoffte Zwilling Puntirjans: Eine friedliche, zivilisierte Welt, umkreist von einem großen Mond. Ein neues Zuhause.

Leonid Alexejewitsch Kulik war ein echter Russe. Er kannte die Kälte. Er hatte sie im russisch-japanischen Krieg kennengelernt – auch die volle Härte der Gewalt. Endlich war sein Dienst in der russischen Armee beendet. Er wollte Abstand gewinnen von all den Kriegserlebnissen, und er wollte den Abstand radikal. Er hatte sogar schon einmal daran gedacht, sich den Revolutionären anzuschließen, von deren Aktivitäten er über ehemalige Studienkollegen gehört hatte. Aber er scheute davor zurück. So wurde er Ausbilder für Mineralogie in Tomsk.

Vladimir Komarow, sein Gönner und ehemals Generalinspekteur, war inzwischen frühpensioniert und nebenbei zum Fellhändler geworden. Er bereiste Sibirien mit der Transsibirischen Eisenbahn, kaufte als wohlhabender Pensionär Felle der Jäger und Nomaden auf und verkaufte sie in Moskau an die feinere Gesellschaft. Eigentlich wollte er in jenem Jahr 1908 sein Handelshaus in Moskau errichten, doch dann trat er doch noch seine Handelsreise an in die sibirische Taiga an, um sein Lager aufzufüllen.

Vladimir machte sich also auf den Weg in die Taiga. Oleg Okalakulak, sein Handelspartner im Gouvernement Jenissejsk hatte ihm geschrieben, er habe einige Hundert Felle von den nomadischen Jägern der Ewenken erworben – eine Riesenchance!

Es war der 30. Juni des Jahres 1908. Schleppend langsam näherte sich der Zug der Podkamennaja Tunguska im Siedlungsgebiet der Ewenken im Gouvernement Jenissejsk. Noch etwa fünfhundert Kilometer, und er würde die Station erreichen, die Handelssiedlung Wanawara, an der Oleg ihn in Empfang nehmen würde – wie immer mit frisch gebranntem Wodka.

Vladimir hatte sich gerade vom Schlafwagen in den Speisewagen begeben. Müde sah er in den Morgenhimmel. Plötzlich blendete ihn ein heller Feuerschein über den Wipfeln der Bäume. Er erfasste den gesamten Himmel, hell wie ein Blitzlicht. Die Transsibirische Eisenbahn schien aus den Gleisen geschüttelt zu werden. Eine Druckwelle raste über die Baumwipfel. Vladimir hörte mehrere Male ein lautes Donnergrollen. Bäume knickten um. Der Zug vollführte eine Notbremsung.

Was war das?“, fragte Vladimir.

Ich weiß es nicht? Ein Donner? Eine Bombe?“ sagte ein älterer Mann gegenüber, als er sich vom Boden erhob.

Neben ihm erhob sich ein altes Bäuerchen.

Gott zürnt unserem Volk!“, sagte er, „Wir sollten den Zaren als Herrscher von Gottes Gnaden akzeptieren!“

Schweig still, Pavel!“, herrschte ihn eine Frau neben ihm an – oder war es seine Tochter? „Siehst Du nicht? Der feine Herr hat den Eisenbahnschaffner eine Frage gestellt – nicht dir!“

Der Schaffner der transsibirischen Eisenbahn stierte ratlos ins Leere. Es war unklar, ob er bei der Notbremsung auf den Kopf gefallen war oder ob es der Wodka war, den er vor der Notbremsung zu sich genommen hatte. Er starrte kreidebleich aus dem Fenster, in die Weiten der Taiga.

Heiliger Johannes Chrysostomos! So etwas habe ich noch nie gesehen!“, murmelte er plötzlich in seinen Bart. Dann rappelte er sich auf, verließ das Abteil und kämpfte sich zur Lokomotive durch. Er wollte den Lokomotivführer fragen, ob er die Notbremse lösen und den Zug wieder in Gang bringen könnte.

Eine Viertelstunde später fuhren sie wieder, und als sie an Wanawara ankamen, staunten sie nicht schlecht. Dutzende Fenster und Türen waren eingedrückt, Bäume umgeknickt, und alle Reisenden der transsibirischen Eisenbahn hatten den Feuerschein bemerkt, das Donnergeräusch und die Druckwelle – egal aus welcher Himmelsrichtung sie herbeigereist waren, selbst in einer Entfernung von über 500 Kilometern. Überall in der Tunguska. Später hieß es, in einem Gebiet von über 2000 km² seien rund 60 Millionen Bäume umgeworfen worden. In dem ukrainischen Dorf Kargalyk in der Umgebung von Kiew, so hörte Vladimir später, sei zwar ein Meteoritenfall beobachtet worden – doch das in der Tunguska konnte kein Meteorit gewesen sein. Und auch ein Vulkankrater in der Tunguska wurde niemals entdeckt.

Auch in den Anden ging an diesem Tag ein Meteorit nieder. Einige Eingeborene sahen ihn vom Himmel fallen. Es war ein Bruchstück, das sich vom Kometen abgetrennt hatte. Es war nicht in der Tunguska niedergegangen – es war Richtung Südamerika getorkelt. Es enthielt einen kleinen, außerirdischen Sender. Er überstand die harte Landung. Er aktivierte sich noch kurz, gab ein Funksignal ab und ging dann auf stand-by-Betrieb. Seine Zeit war noch nicht gekommen.

DIE ANKUNFT

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