Читать книгу Bettina Fahrenbach Classic 5 – Liebesroman - Michaela Dornberg - Страница 3

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Es war ein ausgesprochen diesiger Morgen, an dem es der Sonne einfach nicht gelingen wollte, die graue Wolkendecke zu durchbrechen. Doch das tat der guten Laune der beiden jungen Frauen keinen Abbruch, die gerade das exklusive Brautmodengeschäft betraten.

Sofort kam eine dezent gekleidete Verkäuferin mittleren Alters auf sie zu.

»Guten Morgen, meine Damen. Was kann ich für Sie tun?«

»Wir hätten gern ein Brautkleid.«

Lindes Stimme klang aufgeregt, und ihrem leicht geröteten Gesicht sah man diese Aufregung auch an.

Aber war das nicht normal, wenn man das Kleid für seine eigene Hochzeit kaufen wollte, dem schönsten Tag im Leben einer Frau?

»Ich nehme an, das Kleid soll für Sie sein?«

Die Verkäuferin hatte das sofort erkannt.

Linde nickte begeistert.

»Und haben Sie schon eine Vorstellung?« erkundigte sich die Verkäuferin.

Linde warf einen unsicheren Blick zu ihrer Freundin Bettina, die sich bislang dezent im Hintergrund gehalten hatte.

»Vielleicht können Sie uns etwas zeigen?« schlug Bettina vor. Wenn die Frau erfahren war, und danach sah sie durchaus aus, würde sie das Passende für Linde finden. »Und wir können uns unabhängig davon auch ein wenig umsehen.«

»Aber gern. Schauen Sie sich in aller Ruhe um, und lassen Sie sich nicht von den Größen irritieren. Wir haben von jedem Modell jeweils nur ein Kleid in den Regalen, aber in unserem Lager haben wir die anderen Größen oder wir können sie bei unseren Lieferanten bestellen. Ich selbst suche schon mal das heraus, von dem ich glaube, daß es für Sie passend sein könnte.« Sie warf Linde einen abschätzenden Blick zu. »Ich denke, Sie haben Größe 40?«

Linde war verblüfft. Wie hatte die Frau das so ohne weiteres erkennen können?

»Ja, ich bin nicht die Schlankeste.«

»Aber meine Dame, ich bitte Sie, Größe 40 ist doch keine Übergröße. Außerdem sind Sie sehr groß und wirken dadurch noch schlanker.«

»Tja, aber ich hab eine ganz schöne Oberweite.«

Die Verkäuferin lachte.

»Seien Sie doch froh darum. Bei Ihnen ist alles echt, was sich so manche Frauen für viel Geld aufpolstern lassen.«

Bettina hatte derweil angefangen, sich die Kleider anzusehen. Aber die, die sie bislang durchblättert hatte, waren für ihre Freundin nicht geeignet. Sie waren sehr hübsch, aber viel Tüll und viele Glitzersteinchen paßten nicht zu Linde.

»Hast du schon etwas gefunden?«

Linde hatte sich zu ihr gesellt.

»Bislang nicht, aber wir sind ja erst am Anfang, die Auswahl ist riesig. Wir werden schon das Passende finden, da habe ich überhaupt keine Sorge.«

Irgendwie beneidete Bettina ihre Freundin, die in wenigen Wochen den Mann ihrer Liebe heiraten würde.

Wie schön wäre es, wenn sie das Hochzeitskleid für sich aussuchen könnte, für ihre Trauung mit Thomas. Aber daran war ja noch lange nicht zu denken. Sie konnte sich glücklich schätzen, daß er in vielleicht zwei Wochen aus Amerika zu ihr kommen würde. Das war ja schon ein Geschenk.

Sie hielt inne.

»Linde, schau mal, wie findest du das? Das könnte doch angezogen ganz hübsch aussehen?«

Sie zog ein cremefarbenes schlichtes Corsagenkleid heraus, dessen leicht gebauschter Rock tulpenförmig geschnitten war.

»Das gefällt mir, ist es in meiner Größe da? Dann nehmen wir es.«

Bettina mußte lachen.

»He, mache es dir nicht so einfach. Wir gucken weiter, und dann sehen wir auch, was die Verkäuferin für dich herausgesucht hat. Und dann können wir auch nach dem Kleid für die standesamtliche Trauung schauen. Ich kann mir gut vorstellen, daß wir hier etwas Passendes finden werden, ich guck auch gleich für mich, als Trauzeugin muß ich schließlich auch gut aussehen.«

Bettina hängte das Kleid auf eine kleine Absortierstange, dann schauten sie weiter und fanden noch drei Kleider, die auch infrage kamen.

Die Verkäuferin hatte fünf Kleider für Linde herausgesucht, die auch sehr gut aussahen.

»Und das alles soll ich anprobieren«, stöhnte Linde, aber das war nur so dahergesagt, sie freute sich auf die Anprobe.

Es waren schließlich drei Kleider, die in die engere Auswahl kamen, das cremefarbene, das Bettina gleich am Anfang herausgesucht hatte, ein champagnerfarbenes, sehr raffiniert geschnittenes Seidenkleid und ein Kleid in gebrochenem Weiß aus Wildseide mit einem engen Oberteil, einem kleinen Ausschnitt und angedeuteten Ärmeln. Der Rock war weit, fiel aber durch das schwere Material sehr schön, der Rücken war, wie bei einer Corsage, mit Seidenbändern geschnürt.

Die Auswahl fiel wirklich schwer.

Aber dann entschieden sie sich für das Wildseidenkleid.

Auch die Verkäuferin war der Meinung, daß ein Schleier nicht zu Linde paßte, die ins Haar gesteckten Blumen fand sie zu lieblich und hatte die Idee, auf eine Spange, die Lindes Haare seitlich zurückhalten sollte, kleine Blumen aus der Wildseide nähen zu lassen.

Das hörte sich gut an, und damit war Linde einverstanden. Sie erstanden auch noch die passenden Schuhe und ein kleines Seidenbeutelchen, in dem Linde wenigstens ein Taschentuch unterbringen konnte.

Für die standesamtliche Trauung fanden sie einen nougatfarbenen Dreiteiler mit einem leicht ausgestellten Rock, einer kurzen, kastigen Jacke und einem passenden bestickten Top. Das sah sehr feminin aus und war etwas, was sich auch jeweils als Einzelteil mit anderen Sachen kombinieren ließ.

Dazu erstanden sie hochhackige Riemchenschuhe.

Es war nicht die Kleidung, die Linde sonst trug, aber man merkte ihr an, daß sie sich durchaus gefiel.

»Ach, Bettina«, rief sie aufgeregt, »ich bin ja so gespannt, was Martin zu den Sachen sagen wird. Was glaubst du, wie wird er mich als Braut finden?«

»Er wird begeistert sein«, sagte Bettina ganz ehrlich.

»Ach, weißt du, Bettina, ich kann es kaum erwarten, seine Frau zu werden, ist das nicht komisch? Ich meine, wir kennen uns ein Leben lang, sind seit Jahren verlobt. Da dürfte es doch eigentlich keine Aufregung mehr geben, und dennoch bin ich so aufgeregt wie jemand in… in den ersten Werbewochen.«

Bettina lachte.

»Zu heiraten ist für jede Frau ein aufregendes Erlebnis«, wandte die Verkäuferin ein, »egal, wie lange sie den Partner vorher kannte. Es ist wirklich ein sehr bedeutsamer Schritt.«

»Sie müssen es ja wissen, denn zu Ihnen kommen die Bräute ja täglich. Eigentlich haben Sie einen tollen Beruf – immer nur mit dem Glück umzugehen.«

»Es ist nicht immer Glück«, widersprach die Verkäuferin. »Es kommt auch vor, daß es sich ein Partner anders überlegt und die Hochzeit vorher absagt. Wir hatten kürzlich auch einen tragischen Fall, wo die Braut eine Woche vor der Hochzeit tödlich verunglückt ist. Aber glücklicherweise sind das Ausnahmen, in den meisten Fällen ist es schon so, daß wir am Glück von Menschen teilhaben dürfen. Ihnen beispielsweise merkt man an, daß sie glücklich sind.«

Linde nickte.

»Das bin ich, sehr sogar. Und erst jetzt, wo wir unsere Liebe durch die Trauung besiegeln, bin ich noch glücklicher als zuvor und weiß erst, was ich an meinem Martin habe.«

»Das hängt vermutlich damit zusammen, daß jetzt ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der Veränderungen mit sich bringt, während vorher alles ja in irgendeinem Gleichmaß verlaufen ist.«

Bettina freute sich über Lindes Worte. Wenn Linde vorher über ihre Liebe zu Martin gesprochen hatte, war es ihr manchmal so vorgekommen, daß sie sich zwar liebten, daß es aber irgendwie auch ein Zweckverband war. Doch das stimmte ja überhaupt nicht. Linde und Martin liebten sich von ganzem Herzen und mit aller Aufgeregtheit, und man sah Linde an, wie sehr sie ihrem Hochzeitstag entgegenfieberte.

»So, Bettina, und jetzt bist du dran, jetzt suchen wir die Sachen für dich aus«, sagte Linde, nachdem für sie alles abgesprochen war.

Aber davon wollte Bettina nichts wissen.

»Nein, Linde, das heute ist dein Tag. Ich kann ein andermal herkommen und für mich aussuchen.«

»Bist du dir sicher?«

»Absolut.«

»Na super, dann gehen wir jetzt Kaffee trinken, und vielleicht esse ich ja auch…«

Sie brach ihren Satz ab.

»Kaffee reicht, bis zur Hochzeit sollte ich mir wohl all die kleinen zusätzlichen Sünden verkneifen, sonst passe ich nicht in meine Sachen.«

»Wir haben hervorragende Änderungsschneiderinnen in unserem Atelier, es gäbe dann immer noch die Möglichkeit, einige Nähte auszulassen«, wandte die Verkäuferin ein.

Darauf wollte Linde es aber doch nicht ankommen lassen.

»Besser nicht. Ich danke Ihnen für Ihre freundliche, kompetente Beratung. Wenn Sie die kleinen Änderungen und das Kämmchen fertig haben, können Sie mich anrufen, dann hole ich die Sachen ab.«

»Selbstverständlich, ich danke Ihnen für Ihren Einkauf. Es hat sehr viel Spaß mit Ihnen gemacht.«

Sie verabschiedeten sich.

Als sie draußen waren, mußte Linde sich noch einmal vergewissern: »Und du bist dir ganz sicher, daß ich alles richtig gemacht habe, Bettina? Vielleicht hätte ich ja doch das Kleid nehmen sollen, das du zuerst herausgesucht hast, und für das Standesamt, vielleicht wäre das schlichte, dunkelblaue Kostüm besser gewesen.«

»Linde, so wie wir es ausgesucht haben, ist es absolut richtig. Besser könnte es überhaupt nicht sein. Vertraue mir einfach und mach dich nicht verrückt.«

Linde seufzte.

»Ich vertraue dir. Schließlich bist du meine Freundin, und danke, Bettina, daß du dir die Zeit genommen hast, mit mir auszusuchen. Allein wäre ich vollkommen überfordert gewesen. Ich kann dir einen kompletten Menüplan für die ganze Woche aus dem Ärmel schütteln, aber wenn ich für mich Bekleidung einkaufen soll, überfordert mich das. Und dann noch die Hochzeitskleidung.«

»Linde, wir haben es mit Bravour gemeistert. Und den Kaffee haben wir uns verdient. Ich sehe dort drüben ein Café, das ganz ansprechend aussieht.«

»Um die Ecke ist ein Besseres, dort haben sie außerdem die besten Nußecken, die man im weiten Umkreis kriegen kann. Und Linie hin und her, ich brauche jetzt so eine Nußecke, oder vielleicht sogar zwei, für meine Nerven.«

»Konsequent bist du ja nicht. Erinnerst du dich, was du in dem Laden gesagt hast?«

Linde winkte ab.

»Schon der alte Adenauer soll gesagt haben, was interessieren mich meine Worte von gestern. Im übrigen hast du ja gehört, daß es überhaupt kein Problem ist, Änderungen vorzunehmen«, sie zwinkerte ihrer Freundin zu. »Und was ist mit dir, auch eine Nußecke?«

»Vielleicht…«

»Warum du zögerst, kann ich nicht verstehen, du kannst dir doch Süßkram kiloweise reinschaufeln, ohne auf die Linie achten zu müssen, du Glückliche.«

»Ja, ich weiß, meine Liebe. Aber ihr Alle vergeßt immer, daß ich etwas Herzhaftes bevorzuge.«

Als sie Lindes enttäuschten Blick bemerkte, lenkte Bettina rasch ein: »Wenn diese Nußecken wirklich so grandios schmecken, dann kann ich ja wenigstens eine davon versuchen.«

»Du wirst es nicht bereuen«, prophezeite Linde und zog ihre Freundin mit sich fort.

*

Als Bettina auf den Fahrenbach-Hof kam, stürzten ihr die Hunde entgegen, als sei sie jahrelang weggewesen und nicht nur einen Vormittag.

»Hallo, Lady, meine Süße, Hektor, mein Guter«, rief sie und kraulte die beiden Hunde, die freudig bellend an ihr hochsprangen. »Ist ja schon gut. Ich weiß, daß ihr euch freut, aber ich weiß auch, was ihr möchtet, ihr zwei Schlawiner.«

Die Hunde ließen sofort von ihr ab, als sie sahen, das Bettina von der Fensterbank eine Dose herunterholte.

Erwartungsvoll sahen die beiden Hunde sie an.

»So, für jeden von euch drei Leckerli, und dann ist Schluß.«

Bettina hatte es sich angewöhnt, die Leckerli an allen möglichen Stellen parat zu haben, eine Unsitte, die sie schon so manches Mal bereut hatte. Aber jetzt erwarteten Lady und Hektor das von ihr.

Als die merkten, daß es keine weitere Ration geben würde, tummelten sie sich.

Leni kam über den Hof gelaufen.

»Und? Habt Ihr etwas Passendes gefunden?« erkundigte sie sich neugierig.

Bettina beschrieb ihr die Kleider, die sie für Linde erstanden hatten.

»Und was hast du für dich gekauft?« wollte Leni wissen.

»Noch nichts. Ich hatte es zwar ursprünglich vor, aber irgendwie hätte es das Einkaufserlebnis von Linde abgewertet. Sie ist doch die Braut, und es sollte dann auch ihr Tag sein. Ich fahre irgendwann in die Stadt. Vielleicht können wir zwei es ja zusammen tun. Du willst dir für die Hochzeit doch auch noch ein neues Kleid kaufen.«

»Ja, eigentlich hatte ich daran gedacht. Aber andererseits kann ich doch auch gut mein dunkelblaues Seidenkleid anziehen, findest du nicht?«

Bettina umfaßte die rundliche Haushälterin.

»Liebste Leni, dein dunkelblaues Seidenkleid in allen Ehren. Aber findest du nicht, daß die Fahrenbacher an dir mal was Neues sehen sollten? In diesem Kleid kennen sie dich alle schon, und das seit Jahren.«

»Wann brauche ich schon was so Feines.«

»Es gibt immer Gelegenheiten. Keine Ausflüchte mehr, wir zwei werden zusammen einkaufen gehen, und laß mich dir dieses Kleid schenken.«

»Es ist nicht wegen des Geldes.«

»Das weiß ich, aber ich möchte dir das Kleid wirklich gern kaufen. Du tust soviel für mich, das ist mit Geld überhaupt nicht zu bezahlen.«

»Steck dein Geld lieber in den Umbau des Gesindehauses, damit die Appartements endlich fertig werden.«

»Das werden sie auch so. Hast du vergessen, daß ich inzwischen das Geld für den Verkauf der Eigentumswohnung auf meinem Konto habe?«

»Na, soviel ist das nun auch wieder nicht.«

Da hatte Leni durchaus recht. Der erzielte Preis war ein sehr viel geringerer gewesen, und auch wenn sie das Geld dazurechnete, was sie für die gleich mit verkaufte Einrichtung erhalten hatte, war das, abzüglich der auch noch darauf lastenden Hypothek wirklich nicht soviel gewesen. Aber es war ein Anfang. Und Bettina war optimistisch, daß der Verkauf der Spirituosen von Brodersen und Horlitz gut anlaufen und bald entsprechende Resultate bringen würde. Das waren ja wirklich Zusatzeinnahmen, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Wenn ihr Bruder nicht diese Lieferanten aus dem Programm des Weinkontors genommen hätte, wäre diese Chance für sie nicht dagewesen.

»Leni, es reicht, um dir ein Kleid zu kaufen und dich hinterher zum Essen einzuladen. Und jetzt keine Widerrede. War was los, während ich weg war?«

»Ja, dein Bruder hat angerufen.«

»Frieder?« rief Bettina ganz aufgeregt, denn das würde bedeuten, daß er sich besonnen hatte und daß der Familienfrieden ihm wichtiger war als Profit, den er mit ihren Grundstücken machen wollte.

Leni schüttelte den Kopf.

»Nein, es war Jörg.«

Den würde sie gleich zurückrufen, wenn Jörg schon wieder versuchte sie zu erreichen, mußte etwas vorgefallen sein, oder ihre Schwägerin Doris hatte ihm, trotz ihrer Zusage, nichts von ihrem Anruf gesagt und ihm auch nicht ausgerichtet, daß sie nochmals versuchen würde, Jörg zu erreichen. Das war eigentlich auch kein Wunder, so alkoholisiert wie Doris gewesen war.

»Und sonst?«

»Da waren noch Anrufe…, irgendwelche Firmen haben angerufen und Bestellungen aufgegeben. Aber die sind drüben in der Likörfabrik angekommen. Toni hat es nur erwähnt.«

Das freute Bettina sehr. Es schienen also ihre ersten Werbekampagnen für die Brodersen und Horlitz Produkte bereits ihre Wirkung zu zeigen.

»Ja, dann ziehe ich mich jetzt um und mache mich auch an meine Arbeit«, sagte Bettina, doch Lenis Stimme hielt sie zurück. »Da war noch etwas, es ist ein Brief gekommen ohne Absender. Ich habe ihn bei dir in der Diele auf die Kommode gelegt.«

»Danke, Leni, bis später. Wenn noch etwas sein sollte, findest du mich dann drüben in der Destille. Ich rufe nur Jörg an.«

An den Brief wurde sie erst wieder erinnert, als sie in die Diele kam.

Es war ein längliches Kuvert in einem blassen Rosa, und der Brief mußte auf jeden Fall von einer Frau geschrieben worden sein, denn es entströmte ihm ein leichter Parfümgeruch.

Bettina nahm den Umschlag mit nach oben, zog sich um, dann griff sie zum Telefon.

Glücklicherweise meldete Jörg sich sofort.

»Danke, Bettina, daß du sofort zurückgerufen hast…, eigentlich habe ich schon gestern versucht, dich zu erreichen.«

Seine Stimme hatte leicht vorwurfsvoll geklungen, und das wollte sie einfach nicht auf sich sitzen lassen.

»Und ich habe auch gestern schon versucht, dich zu erreichen, du warst nicht da. Ich habe mit Doris gesprochen, hat sie dir nichts ausgerichtet?«

Jörg zögerte.

»Nein…, wie war sie denn drauf?«

Bettina ahnte, worauf er hinauswollte. Er wollte es nicht direkt ansprechen und hoffte wahrscheinlich, sie habe nichts bemerkt. Aber so einfach konnte sie es ihrem Bruder nicht machen. Doris war krank, und das mußte ausgesprochen werden. Es half niemandem, vor allem Doris nicht, es zu verdrängen.

»Sie hat ziemlich schleppend gesprochen… Ach, Jörg, was soll es, du weißt es, und es war nicht zu überhören, Doris war ziemlich betrunken.«

Diese offene Antwort war ihm peinlich.

»Doris…, ich meine, sie verträgt nicht viel…, schon ein, zwei Gläschen reichen…«

Bettina unterbrach ihn.

»Doris hat mehr als ein, zwei Gläschen getrunken, als ihr bei Frieders Eröffnung ward. Das habe ich selbst gesehen, und vielleicht erinnerst du dich daran, daß du sie beizeiten wegbringen mußtest, weil sie betrunken war.«

»Ja, aber…«

Wieder unterbrach sie ihren Bruder.

»Jörg, du mußt dich nicht rechtfertigen, und du mußt auch nichts beschönigen. Doris hat ein Problem, und ihr muß geholfen werden.«

»Wir können uns ja persönlich darüber unterhalten, denn ich wollte dich eigentlich bitten, mich zu besuchen.«

»Dich besuchen?«

Das erstaunte Bettina wirklich sehr. Bislang war es nämlich immer noch so gewesen, daß Jörg sie niemals eingeladen hatte, weder zu einem verwandtschaftlichen Besuch noch zu seinem gigantischen Festival, das er auf dem Chateau Dorleac ausgerichtet hatte.

Jörg schien sich auch daran zu erinnern.

»Ja, es war nicht die vornehme Art, dich einfach nicht einzuladen. Aber so, wie ich dich kenne, wärst du ja ohnehin nicht gekommen.«

»Jörg, was macht dich da so sicher? Und warum hast du bei Frieder und Grit gleich gewußt, daß sie kommen würden?«

»Ist blöd gelaufen, Bettina. Aber wahrscheinlich hatte ich Angst, du könntest mir Vorwürfe machen, in deinem Denken bist du halt so wie Papa, und der hätte auch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn er von dem Festival auf dem Chateau erfahren hätte.«

Wenigstens war er ehrlich, denn ihr Vater hätte noch mehr getan, als nur die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen.

»Laß uns keine alten Kamellen aufwärmen, Jörg«, zeigte sie sich versöhnlich. »Weswegen soll ich kommen?«

»Es gibt einiges, was ich mit dir besprechen möchte. Es ist schlecht am Telefon…«

»Gut, ich komme. Aber ich muß erst sehen, wann ich das einrichten kann. Hier hat sich einiges verändert, meine Freundin heiratet, T…«, sie wollte von Thomas erzählen, aber das ließ sie dann sein. Daß Thomas und sie sich wieder gefunden hatten, würde sie ihrem Bruder erzählen, wenn sie in Frankreich war.

»Ein paar Tage würden reichen«, sagte Jörg. »Was nicht bedeutet, daß ich dich nicht für längere Zeit bei mir haben möchte.«

Das tat gut. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, daß ihr Bruder sie bei sich haben wollte, aus welchem Grund auch immer.

»Jörg, ich klär das hier alles, und dann telefonieren wir wieder miteinander.«

»Bettina, am besten rufst du mich auf meinem Handy an, wenn du abschätzen kannst, wann du kommst«, er setzte ihr Kommen also fest voraus, und sie würde es ja auch einrichten. Sie hatte ihren Bruder lange nicht gesehen und freute sich auf ein Wiedersehen.

Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander. Dann beendeten sie das Telefonat.

Bettina wollte schon aufstehen, um hinüber zu Toni zu gehen, als ihr Blick auf den blaßrosa Umschlag fiel.

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, von wem dieser Brief, der ohne Absender gekommen war, sein könnte. Sie kannte niemanden, er ihr blaßrosa Briefe schickte.

Ziemlich lustlos riß sie den Umschlag auf.

Liebe Bettina,

bitte entschuldigen Sie, daß ich Sie so hintergangen habe. Sie haben mich vorbehaltlos in Ihrem Haus aufgenommen, haben mir vertraut, mir überall Zugang gewährt, und ich habe Ihr Vertrauen mißbraucht. Sie glauben nicht, wie sehr ich mich dafür schäme.

Für mein Handeln, Sie skrupellos auszuspionieren, gibt es auch keine Entschuldigung. Es war falsch. Aber ich habe es aus Liebe zu Ingo getan. Er hat es von mir als Liebesbeweis gefordert und gedroht, mich sonst zu verlassen. Er will um jeden Preis ein Seegrundstück von Ihnen haben, weil ihm eine Investorengruppe eine Millionenprovision zahlt, wenn ihm das gelingt.

Das ist kein Grund, und das muß auch niemand verstehen. Aber Sie sind ein so guter, so aufrichtiger Mensch, Bettina, ich wünsche mir nur, daß Sie nicht schlecht über mich denken. Auf dem Fahrenbach-Hof war es wunderbar. Das ist mir erst so richtig bewußt geworden, als ich wieder im alten Leben war, voller Streß und Hektik.

Ariane.

Ja, was sollte sie davon halten? Eigentlich war es nett, daß Ariane ihr diesen Brief geschrieben hatte. Aber ihr war auch ohne diese Zeilen klar gewesen, daß sie von Ingo Gerstendorf manipuliert worden war. Welch schrecklich, skrupelloser Mensch dieser Mann doch war. Für Geld verriet er sogar seine Liebe und brachte die Frau an seiner Seite in verfängliche Situationen.

Eigentlich sollte Ariane sich von diesem Menschen trennen, aber eigentlich ging sie das nichts an.

Bettina wollte den Brief in ihren Papierkorb werfen, aber dann erinnerte sie sich daran, daß er noch unten stand, sie hatte ihn, nachdem sie Papier entsorgt hatte, auf der Treppe stehen lassen.

Bettina legte den Brief auf ihren Schreibtisch zurück. Dann würde er eben bei nächster Gelegenheit im Müll landen.

Jetzt wollte sie aber hinüber zu Toni gehen, um zu sehen, wer bestellt hatte. Außerdem hatte sie schon wieder eine Bestellung von Linde erhalten, die diese Spirituosen, insbesondere die ›Früchtchen‹ erstaunlich gut in ihrem Gasthaus verkaufte.

Wenn es mit dem Spirituosenhandel weiter gut laufen würde, müßte Toni ganztägig im Geschäft arbeiten, und sie würden für die Arbeit auf dem Hof Ersatz finden müssen.

Das mußte sie unbedingt mit Leni und Arno besprechen.

Bettina war guter Dinge, denn alles wendete sich zum Guten für sie.

Und wenn dann auch noch Thomas hier sein würde, wäre sie wirklich die glücklichste Frau auf der Welt.

Sie summte vergnügt vor sich hin, als sie die zweihundert Meter zur Destille lief, die endlich auch ihre Bestimmung gefunden hatte, wenn auch nicht im eigentlichen Sinne, denn die Rezeptur für das Fahrenbach-Kräutergold war ja leider, leider verschwunden.

*

Neben dem üblichen Alltagstrott drehte sich in den nächsten Tagen eigentlich alles um den bevorstehenden Besuch von Holger und den Kindern. Insbesondere Leni war wegen der kleinen Merit völlig aus dem Häuschen. Sie kaufte eine neue Puppe für sie, nähte wie besessen kleine Kleidchen. Das ging so weit, daß sie sich, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, kaum Zeit nahm für die Zubereitung des Essens und nur das kochte, was schnellging.

Toni freute sich auf Niels. Aber die beiden waren ja auch gute Kumpel gewesen, und Toni war es gelungen, Niels aus seinem Gelangweiltsein herauszureißen.

Arno freute sich wohl auf beide Kinder. Er war kein Mann großer Worte.

Und Bettina freute sich auch. Sie mochte die Kinder ihrer Schwester gern, und sie brachten Leben auf den Hof.

Bettina freute sich auch, ihren Schwager Holger zu sehen, wenngleich ihr vor dem Zusammentreffen mit ihm auch ein wenig bang war, weil sie fürchtete, über ihre Schwester Grit nichts Gutes zu erfahren. Aber das schob sie erst einmal beiseite.

Wegen zweier großer Staus kamen die Drei am Freitag erst gegen Abend an. Holger war ziemlich genervt, und er sah sehr schlecht aus. Seit ihrem letzten Zusammentreffen hatte er auch ziemlich abgenommen.

Die Kinder begrüßten Bettina nur flüchtig, dann liefen sie zuerst kreischend auf Hektor zu, und dann gab es natürlich das große Staunen über Lady, die sich die offensichtliche Aufmerksamkeit sehr gefallen ließ.

Niels stürzte sich auf Toni.

»Ich hab mir diesmal Arbeitssachen mitgebracht«, rief er, »Papa hat mir eine billige Jeans gekauft. Und dann habe ich auch so ein kariertes Hemd, wie du es immer anhast. Die Sachen kann ich wenigstens schmutzig machen, und Mama kriegt nicht gleich einen Anfall, wenn etwas kaputt ist. Hast du wieder Arbeit für mich?«

Merit flog in Lenis ausgebreitete Arme, die sie zu sich hochhob und mit Tränen in den Augen herzte und küßte, was Merit hingebungsvoll erwiderte.

Bettina war ein wenig irritiert.

Warum hatte Leni Tränen in den Augen?

Sicherlich war es schön, die Kinder zu sehen. Aber eine solche Ergriffenheit? Eigentlich zeigte Leni ihre Gefühle doch sonst gar nicht so offensichtlich.

Bettina wandte sich ihrem Schwager zu.

»Wir zwei scheinen hier im Augenblick überflüssig zu sein, selbst die Hunde finden es da drüben interessanter. Komm, ich helfe dir, das Auto zu entladen. Und dann zeige ich dir eure Zimmer. Die Kinder habe ich wieder da untergebracht, wo sie das letzte Mal auch geschlafen habe. Das hat ihnen ja gefallen, und für dich habe ich ein Zimmer ganz am Ende des Flurs fertig machen lassen. Vielleicht hast du ja Lust, dich hier mal auszuschlafen, und dort hinten ist es sehr ruhig.«

»Danke, Bettina, aber das Gepäck bringe ich schon selbst hinauf.«

Davon wollte Bettina nichts wissen.

»Lieber Schwager, das kommt überhaupt nicht infrage. Ich bin nicht aus Zucker, wenn wir beide etwas tragen, dann müssen wir nur einmal gehen… Aber sag mal, kann ich dir vorher vielleicht etwas zu trinken anbieten? Das Gepäck läuft uns ja nicht davon.«

»Ja, das ist eine gute Idee, Bettina. Und wenn du hast, dann würde ich jetzt sogar gern ein gut gekühltes Bier trinken.«

»Hab ich, Holger«, lachte Bettina. »Setz dich hier auf die Bank, das ist einer meiner Lieblingsplätze, und ich hole dir das Bier.«

»Super, danke Bettina.«

Holger setzte sich auf die Bank, und Bettina ging dann hinein ins Haus.

Holger sah schlecht und niedergeschlagen aus, und daß das mit ihrer Schwester Grit zusammenhing, das zu wissen, dazu mußte man kein Hellseher sein.

Bettina beschloß, alles zu tun, ihren Schwager etwas aufzuheitern und die Kinder von ihm fernzuhalten, damit er sich wirklich ausruhen konnte. Aber die Kinder waren wohl auch gar nicht das Problem, die hatten ja sofort bei der Ankunft klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, mit wem sie ihre Zeit überwiegend verbringen würden.

Bettina holte für Holger das Bier aus dem Kühlschrank, wollte eigentlich für sich ein Mineralwasser mitnehmen, dann aber änderte sie ihre Meinung und nahm eine zweite Flasche Bier heraus.

Sie war eigentlich keine Biertrinkerin, aber in Gesellschaft oder wenn sie so richtig durstig war, dann schmeckte es ihr.

Als sie nach draußen kam, bemerkte sie, daß Holger die Augen geschlossen hatte. Schon wollte sie sich vorsichtig zurückziehen, um ihn nicht zu stören, als er sich ihr zuwandte.

»Ich schlafe nicht, Bettina«, sagte er. »Ich genieße hier nur diesen unglaublichen Frieden. Es ist ja so wunderschön hier, so friedvoll. Man kommt sich vor, wie im Paradies, ich hatte den Hof ganz anders in Erinnerung.«

»Es ist lange her, Holger, und du warst mit Grit ja auch nur einmal hier. Da kann man sich kein Urteil bilden. Aber es freut mich, daß es dir so gefällt. Ich bin auch sehr, sehr glücklich hier und kann es manches Mal noch gar nicht fassen, daß Papa mir Fahrenbach vererbt hat.«

Holger schaute seine Schwägerin nachdenklich an.

»Wem denn sonst, Bettina, wem hätte er von deinen Geschwistern Fahrenbach vererben sollen?«

»Ich war ja auch viele Jahre nicht hier, wenngleich aus anderen Gründen, denn geliebt habe ich Fahrenbach immer. Als ich von meinem Erbe erfuhr, war ich mir zunächst auch nicht sicher, was ich mit dem Hof und dem dazugehörigem Besitz machen sollte. Aber als ich dann hier ankam, war es mir sofort klar, daß ich hierher gehöre. Ich möchte hier niemals mehr weg, und ich werde alles, aber auch alles tun, um das Erbe, das seit fünf Generationen der Familie gehört, auch der Familie erhalten bleibt.«

»Siehst du, Bettina, und das hat dein Vater gewußt, und deswegen hat er dir alles vererbt. Deine Geschwister hätten sofort alles verkauft. Wenn du siehst…«

Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Merit und Niels kamen über den Hof gelaufen.

»Papa, ich möchte gern bei Leni und Arno schlafen«, schrie Merit.

»Und der Toni hat gesagt, daß es ihm nichts ausmacht, daß ich bei ihm wohne. Er freut sich, und die Hunde freuen sich auch.«

»Bei dir darf nur der Hektor schlafen. Die Lady schläft bei Leni im Haus. Sie ist ein Mädchen wie ich, und Mädchen müssen bei Mädchen bleiben.«

»Du spinnst ja, die Hunde müssen zusammenbleiben.«

»Kinder, streitet euch nicht«, mahnte Holger.

Bettina stellte das Bier auf einen kleinen Tisch, den sie mittlerweile neben der Bank aufgestellt hatte.

»Was für ein Glück, daß wir das Gepäck noch nicht nach oben geschafft haben, Holger«, lachte sie. Dann wandte sie sich den Kindern zu.

»Also, wenn Leni, Arno und Toni das so wollen. Dann bin ich auf jeden Fall einverstanden, und ich denke, euer Vater wird es auch sein.«

Merit fiel ihrem Vater in die Arme.

»Bitte sag ja, Papa, bitte.«

»Natürlich bin ich einverstanden, meine Kleine«, sagte Holger, »du kannst mich ja sowieso um den Finger wickeln.«

Nachdem die kleine Merit sich hinreichend bei ihrem Vater bedankt hatte, wandte sie sich an ihre Tante.

»Du mußt jetzt nicht böse sein, Tante Bettina, weil du mir jetzt in deinem Bett keine Geschichten erzählen kannst. Wenn ich das nächste Mal komme, schlafe ich wieder in deinem Haus.«

»Welch ein Glück, daß wir die Taschen noch nicht nach oben gebracht haben«, lachte Bettina.

Sie sah zu, wie Holger mit seinen Kindern zum Auto ging, ihnen ihre Reisetaschen gab.

Man sah, daß die Kinder an ihm hingen. Er ging aber auch sehr liebevoll mit ihnen um.

Und Grit, ihre Schwester, die Mutter der Kinder? Konnte man es sich wirklich so einfach machen, wie es Grit offensichtlich tat?

Sie hatte Mühe, sich ihren Zorn nicht anmerken zu lassen und wurde auch durch die Kinder abgelenkt, die schreiend mit ihren Taschen zu ihren derzeitigen Favoriten abzogen, Merit zu Leni und Arno und Niels zu Toni.

Und fröhlich kläffend rannten die beiden Hunde hinter den Kindern her.

*

Für den Samstag hatte Bettina eigentlich geplant, gemeinsam mit den Kindern und ihrem Schwager zu segeln. Aber davon wollten die Kinder nichts wissen. Merit klebte wie eine Klette an Leni, und Niels war von Toni nicht wegzubringen, der ihm zeigen wollte, wie man Fliesen verlegt.

Bettina hatte den Eindruck, daß es ihrem Schwager ganz recht war, ohne die Kinder zu sein. Und irgendwo fühlte sie, daß er lieber ganz allein sein wollte.

»Vielleicht möchtest du den Tag für dich haben, Holger«, schlug sie deswegen vor, »und allein heraussegeln oder mit dem Ruderboot auf den See gehen.«

»Das wäre eine wunderbare Idee«, ging er auch sofort auf ihr Angebot ein. »Ich habe noch über etwas nachzudenken…«

»Ja, super, dann soll Leni dir einen Picknickkorb zurechtmachen, und ich bringe dich zum See, und nimm dein Handy mit, wenn du abgeholt werden willst, rufst du einfach an.«

Eine halbe Stunde später fuhren sie los.

Holger entschied sich für das Ruderboot, und er war glücklich, auch das Bootshaus und den Steg nutzen zu können.

»Bettina, du bist zu beneiden. Hier zu wohnen ist ja wie jeden Tag Urlaub haben«, sagte er voller Begeisterung.

»Immer Urlaub wäre auf Dauer langweilig. Aber es ist schon ein Privileg, sein Leben in einer so schönen Gegend verbringen zu dürfen, allerdings muß man das auch mögen. Meine Geschwister fänden es grauenvoll.«

Sie hatten den See erreicht.

Holger nahm seinen Picknickkorb, in den Leni viele Köstlichkeiten gepackt hatte. Bettina zeigte ihm, wo der Schlüssel für das Haus deponiert war, dann gingen sie den Steg entlang zu den Booten.

Nachdem Bettina ihrem Schwager auch da alles erklärt hatte, lachte sie ihn an: »Und nun wünsche ich dir einen wunderschönen Tag, Holger. Genieße das Alleinsein, nutze die Zeit für dich. Den Kindern geht es gut, um die mußt du dich nicht sorgen. Ich schätze, sie werden dich nicht einmal vermissen. Und wenn du abgeholt werden möchtest, du weißt ja…, Anruf genügt.«

»Danke, Bettina, danke für alles. Ach, weißt du, ich wäre so glücklich, wenn Grit wenigstens ein bißchen, ein kleines bißchen von deinem Wesen hätte.«

Das hatte so unglücklich geklungen, daß Bettina lieber nichts dazu sagen wollte, um ihm das Herz nicht noch schwerer zu machen.

»Sie ist anders«, sagte sie nur, »und denke heute doch einfach nur einmal an dich, an sonst gar nichts. Weißt du, so etwas gelingt einem ganz gut, wenn man für sich allein ist, in einem Boot, auf den schaukelnden Wellen, im himmlischen Frieden. Das ist fast wie Meditation. Ich weiß, wovon ich spreche. Aber jetzt lasse ich dich wirklich allein. Wie gesagt, Holger, wenn du abgeholt werden willst, dann rufe mich bitte an. Und jetzt nochmals – ich wünsche dir einen wunderschönen Tag.«

Sie winkte ihm zu und wandte sich ab, um zum Auto zurückzugehen.

Holger war so unglücklich und wirkte so verloren, daß es einem so richtig ans Herz gehen konnte. Das konnte nicht nur damit zusammenhängen, daß Grit jetzt eine reiche Erbin war und sich für ein Jet-Set-Leben entschieden hatte. Nein, es mußte etwas vorgefallen sein, was seine Seele so sehr verletzt hatte.

Vielleicht würde Holger ja darüber sprechen wollen. Wenn nicht, sie würde ihn nicht bedrängen.

Holger war für sich, die Kinder waren versorgt. Das bedeutete daß sie keinerlei Verpflichtungen hatte.

Sie konnte frei über ihre Zeit verfügen.

Als erstes würde Bettina zum Grab ihres Vaters gehen. Und dann konnte sie eigentlich zu Linde fahren und mit ihr einen Kaffee trinken.

Bettina war so glücklich, daß sie sich durchgesetzt hatte, ihren Vater umbetten zu lassen. Unabhängig davon, daß er ohnehin hierher gehörte, besuchte sie sein Grab sehr oft. Manchmal nur, mit ihm zu reden, an ihn zu denken, aber manchmal setzte sie sich nur ganz still auf die alte, verwitterte Holzbank.

Bettina Fahrenbach Classic 5 – Liebesroman

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