Читать книгу Bettina Fahrenbach Classic 6 – Liebesroman - Michaela Dornberg - Страница 3

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Das Flugzeug nach Paris war nur halb besetzt, und so konnte Bettina Fahrenbach die Dreiersitzreihe für sich allein beanspruchen. Darüber freute sie sich. So konnte sie ihren Gedanken nachhängen.

Es war längere Zeit her, seit sie in einer Maschine nach Frankreich gesessen hatte. Damals hatte ihr Vater noch gelebt, und die letzte Reise zum Chateau Dorleac, dem im Familienbesitz befindlichen Weingut, hatte sie mit ihm gemacht.

Wie viel hatte sich inzwischen verändert. Ihr Vater war tot, und das Chateau gehörte ihrem Bruder Jörg, den sie nun zum ersten Mal besuchen wollte, seit es in seinem Besitz war.

Bettina schloss die Augen.

Sie freute sich, Jörg und seine Frau Doris wiederzusehen. Freute sie sich auch auf das Chateau?

Merkwürdig, dass sie darüber überhaupt nachdenken musste. Die meisten Leute würden es wahrscheinlich fabelhaft finden, auf einen solchen Besitz reisen zu dürfen.

Aber Gefühle der Euphorie hatte die Fahrt nach Frankreich niemals in ihr ausgelöst. Aufgeregt und glücklich war sie eigentlich immer nur gewesen, wenn sie nach Fahrenbach gefahren waren, auf den Hof, den »Stammsitz« der Fahrenbachs.

Chateau Dorleac?

Ihr Vater hatte es nur auf Betreiben ihrer Mutter gekauft, die sich wohl etwas davon versprochen hatte, Schlossherrin zu sein.

Aber das hatte sie sehr schnell gelangweilt, als sie gemerkt hatte, dass auf den Weingütern, ob sie nun Chateau oder Domaine genannt wurden, hart gearbeitet wurde und Repräsentation keine Rolle spielte.

Welche Wünsche ihrer Mutter auch immer erfüllt worden waren, es hatte nichts geholfen. Sie hatte wegen eines reichen Mannes ihren Vater doch verlassen, und der Ärmste hatte ein Weingut in Frankreich, das er ohne das Betreiben seiner Frau niemals gekauft hätte.

Ihr Vater hatte es auf seine gründliche Weise restauriert, renoviert und den Weinbau kultiviert, und so aus dem Chateau Dorleac ein florierendes Unternehmen gemacht, genauso wie er es mit dem Weinkontor geschafft hatte. Aber geliebt? Nein, da war Bettina sich sicher, geliebt hatte er es nicht. Es hatte ihn auch nicht stolz gemacht, es geschafft zu haben, aus einem maroden Anwesen ein Schmuckstück zu machen. Das Chateau gehörte zum Firmenbesitz, und da gehörte es sich einfach, es ordentlich und ertragreich zu führen.

Sie konnte sich noch genau erinnern, wie sie zum ersten Male nach Frankreich gefahren waren…

Bettina wurde durch die Stimme der Stewardess aus ihren Gedanken gerissen.

»Entschuldigung, Madame, was darf ich Ihnen anbieten? Kaffee oder Tee?«

Bettina öffnete die Augen, strich sich dann wie erwachend über die Stirn.

»Kaffee, bitte«, sagte sie und nahm den Kaffee und ein kleines Päckchen mit Kuchen entgegen.

Sie sah zu, wie der Kaffeeweißer sich in der heißen Flüssigkeit auflöste, rührte den Kaffee um, dann öffnete sie das Kuchenpäckchen.

Ein kleiner klebriger, extrem süßer Kuchen kam zum Vorschein, den sie nach einem ersten kleinen Biss sofort wieder zur Seite legte.

Nein, das musste sie sich nicht antun.

Sie trank einen kleinen Schluck ihres Kaffees. Der war auch keine Offenbarung. Aber das war halt in Flugzeugen so. Kullinarische Highlights durfte man nicht erwarten.

Bettina trank noch einen Schluck, dann stellte sie auch den Kaffee beiseite, ließ sich aber von der vorbeigehenden Stewardess ein Mineralwasser geben.

Dann lehnte sie sich wieder zurück und schloss die Augen.

Ihre Erinnerung wanderte zurück an die erste Reise zum Chateau. Sie war ungefähr sechs Jahre alt gewesen, vielleicht auch sieben, so genau konnte sie sich nicht mehr erinnern. Erinnern konnte sie sich allerdings an ihre Enttäuschung, als sie dort angekommen waren. In ihrer Phantasie hatte sie sich ein Schloss wie aus einem ihrer Märchenbücher vorgestellt, mit Türmchen und Zinnen, und dann war es nicht mehr als ein Haus, ein imposantes zwar, aber eben kein Schloss, wie sie es gern gehabt hätte.

Bettina seufzte.

Sie hatten mehrfach die Ferien auf dem Chateau verbracht, bis ihre Mutter es nicht mehr wollte, und schließlich war ihr Vater meistens allein dorthin gefahren, um seine Geschäfte zu erledigen. Sie hatte ihn manchmal begleitet. Frieder war kaum dorthin gefahren, ihre Schwester Grit auch nicht.

Jörg, ja, ihr Bruder Jörg hatte sich dafür interessiert, dort auch lange Zeit für ihren Vater gearbeitet. Und Jörg hatte schließlich auch das Chateau geerbt.

»Darf ich Ihnen noch ein Wasser bringen?« klang die Stimme der Stewardess in ihre Gedanken.

»Ja, bitte.«

Bettina goss sich etwas Wasser ein, sah, wie es im Glas kribbelte.

Eigentlich mochte sie kein Mineralwasser mit so viel Kohlensäure. Sie hatte versäumt, es der Stewardess zu sagen.

Wie würde es weitergehen mit dem Chateau?

Doris, ihre Schwägerin, fühlte sich nicht wohl. Sie hatte angefangen zu trinken oder, falls sie vorher auch schon getrunken hatte, ohne dass es aufgefallen war, sie hatte ihren Alkoholkonsum, seit sie in Frankreich lebte, ziemlich verstärkt.

Ein Weingut war ja für einen Alkoholiker auch ein El Dorado.

Und Jörg, ihr Bruder? Dessen erste Amtshandlung war es gewesen, ein gigantisches Musikfestival aufzuziehen, anstatt sich in die Belange des Weingutes einzuarbeiten und sich mit allem vertraut zu machen. Sie hatte man nicht eingeladen, was eigentlich ziemlich bitter war, zumal der Rest der Familie anwesend gewesen war.

Warum nur hatten ihre Geschwister, seit ihr Vater tot war, ein Problem mit ihr?

Ihr ältester Bruder Frieder war drauf und dran, das Weinkontor, ein alteingesessenes, etabliertes Unternehmen gegen die Wand zu fahren. Er redete nicht mehr mit ihr, weil sie ihm kein Seegrundstück abtrat.

Ihre Schwester Grit war so oberflächlich geworden, dass man mit ihr kaum noch reden konnte, und aus der fast biederen Hausfrau war eine botoxgespritzte Schicki-Micki-Maus geworden, die zu allem Unglück, ohne Rücksicht auf die Kinder, ihren Mann betrog.

Und Jörg?

Er wollte sie unbedingt sprechen, und Bettina war gespannt, was er ihr zu sagen hatte. Sie hatte nicht die geringste Ahnung.

Bettina war so sehr in ihre Erinnerungen versunken gewesen, dass sie ganz erstaunt war, als die Stimme der Stewardess erklang, die die Fluggäste aufforderte, sich für die Landung in Paris wieder anzuschnallen.

Der erste Teil der Reise war damit erstaunlich schnell geschafft.

Es war schon schade, dass es keine Direktflüge nach Bordeaux gab, sondern dass immer der Umweg über Paris genommen werden musste.

Und noch unangenehmer war es, dass man auf dem Flughafen Charles de Gaulle ankam, also im Osten der Stadt und dann von Roissy bis Orly fahren musste, also in den Südwesten, um nach Bordeaux weiterfliegen zu können.

Wenn es dann wenigstens etwas Interessantes zu sehen gäbe, nein, man bewegte sich in dichtem, teils zähem Verkehr auf dem Ring von Roissy nach Orly.

Bettina hasste das, und das war auch einer der Gründe, warum es ihr verleidet war, nach Dorleac zu fahren, für einen kurzen Trip war es einfach zu beschwerlich. Und eine Autofahrt von acht Stunden war auch zuviel für einen Wochenend-Trip.

Bettina packte ihre Sachen zusammen, trank den letzten Schluck ihres Wassers, reichte der vorbeilaufenden Stewardess Flasche und Glas, dann klappte sie das Servierbrett hoch.

Wer würde sie wohl abholen? Jörg oder Doris?

Sie wünschte sich, auch den zweiten Teil der Reise ohne einen Nachbarn absolvieren zu können.

Und dann waren sie gelandet, hatten ihre Position erreicht, ein allgemeines Aufklippen der Sicherheitsgurte erfolgte, und die Passagiere drängten nach vorn.

Bettina blieb zunächst sitzen.

Es war wirklich immer und überall das Gleiche – ein Gedrängel, und dann mussten die Leute vorn doch warten, ehe die Tür geöffnet wurde.

Als nur noch wenige Passagiere in der Maschine saßen, die es auch nicht so eilig hatten, erhob Bettina sich und ging nach vorn.

Die Stewardessen standen im Ausgangsbereich und verabschiedeten auf gewohnte und sich immer wiederholende Weise die Fluggäste.

»Auf Wiedersehen. Schön, dass Sie mit uns geflogen sind. Einen schönen Aufenthalt in Paris«, wünschten sie mit eingefrorenem Lächeln und im Inneren vermutlich froh, dass wieder ein Flug vorüber war.

Bettina sagte, ebenso freundlich lächelnd »Danke«, denn es war müßig, den Stewardessen zu erklären, dass es für sie nur ein Zwischenstop war.

*

Für die innerfranzösischen Flüge wurden nur kleinere Maschinen eingesetzt.

Die Maschine nach Bordeaux war ziemlich ausgebucht, und so erfüllte sich Bettinas Wunsch diesmal nicht, wieder die ganze Sitzreihe für sich allein zu haben.

Im letzten Moment wollte ein Herr mittleren Alters den Platz neben ihr einnehmen.

Da Bettina Gangplätze bevorzugte, stand sie auf, um dem Mann Platz zu machen.

»Pardon, Madame…«

»Merci, Madame…«

Ein Franzose.

Der Mann hatte sich kaum in die richtige Sitzposition gebracht, als er auch schon auf lebhafte Art mit ihr zu plaudern anfing.

Zuerst redete er über den Stau auf dem Ring, dass er fast sein Flugzeug verpasst hätte, ein sich wiederholendes Ärgernis, weil es eben immer diese Staus und diesen zähflüssigen Verkehr gab. Dann lächelte er sie an.

»Pardon, ich bin untröstlich, Sie mit solchen Banalitäten zu behelligen. Sie sind sicherlich auf dem Weg in einen wundervollen Urlaub?«

»Nur ein paar Tage Familienzusammentreffen, worauf ich mich schon sehr freue.«

»Sie bleiben in Bordeaux?«

Er war ganz schön neugierig, aber auch sehr nett, so dass Bettina kaum ein Problem damit hatte, ihm zu antworten.

»Nein, nicht direkt in Bordeaux, aber schon in der Gironde, auf einem Weingut.«

»Oh, und Ihre Familie macht dort auch Urlaub?«

Also, das ging jetzt doch ein wenig zu weit. Bettina mochte es nicht, dass Menschen, die sie kaum kannte, sofort einen Lebenslauf von ihr haben wollten.

Sie zögerte mit der Antwort, was er sofort bemerkte.

»Bitte entschuldigen Sie, Madame. Ich möchte nicht neugierig sein, ich stell diese Fragen nur um… nun, um mir etwas zusammenreimen zu können.«

Was sollte denn das nun schon wieder.

»Wie bitte?«

Er lachte, gestikulierte wild mit seinen Händen.

»Nun, Madame, Sie sprechen ein fast akzentfreies Französisch. Ich glaube, Französin sind Sie nicht…, ich dachte, wenn ich erfahre, ob Ihre Familie nur Urlaub auf einem Weingut macht oder ständig dort wohnt, kann ich vielleicht Rückschlüsse auf Ihre Nationalität ziehen.«

Nun musste Bettina herzhaft lachen.

»Ein wenig kompliziert, eine einzige Frage hätte Ihnen die Antwort gegeben. Ich bin Deutsche, und ich fahre auf das Chateau Dorleac.«

Er starrte sie an.

»Das glaube ich nicht, ich kenne das Gut, und ich kenne auch den Besitzer, Monsieur Hermann Fahrenbach. Ein sehr guter Geschäftsmann, ein schlauer Fuchs, der weiß, was er will.« Als er Bettinas erstaunten Blick bemerkte, fuhr er fort: »Ich bin Agent für Spirituosen und Weine und sehr oft in der Gegend von Bordeaux, wo es ja die exzellentesten Weine gibt. Ich kenne mich aber ebenso in den anderen großen Weinanbaugebieten hier unten aus, die Dordogne, Lot-et-Garonne, Landes et Pyrénées-Atlantiques…«, er schweifte ab, »ja, ja, Monsieur Fahrenbach. Ist er im Augenblick auf dem Chateau? Dann werde ich ihn besuchen. Wir haben uns lange nicht gesehen.«

»Mein Vater ist tot.«

»Oh, Madame, das tut mir ja so leid. Ich kann es nicht fassen, Monsieur…, ich meine, Ihr Vater war immer so vital.«

Bettina schluckte.

Sie merkte, dass es ihr immer noch schwer fiel, über ihren toten Vater zu sprechen.

»Es war auch für uns unfassbar.«

Bettina dachte an ihren Vater. Hatte er diesen lebhaften, neugierigen, aber irgendwie auch sympathischen Franzosen gemocht? Gekannt hatten sie sich auf jeden Fall, und der Mann hatte gut über ihren Vater gesprochen.

Nach einer ganzen Weile nahm der Mann das Gespräch wieder auf.

»Sie sprachen von einem Familientreffen… Wer leitet das Chateau jetzt?«

»Mein Bruder Jörg, und ihn und seine Frau will ich besuchen.«

Er nickte.

»Und Sie, Sie führen das Wein-Kontor Fahrenbach?«

Er kannte sich offensichtlich aus.

»Nein, das gehört meinem ältesten Bruder. Ich lebe auf dem Stammsitz der Fahrenbachs, einem wunderschönen, traditionsreichen Hof, den es seit fünf Generationen in der Familie gibt.«

»Und Sie betreiben Landwirtschaft?«

»Nein, die Felder und Wiesen sind größtenteils verpachtet, ich versuche mich mit anderen Dingen über Wasser zu halten. Ich baue gerade Ferienappartements und betreibe einen kleinen Handel mit Spirituosen, die mein Bruder im Wein-Kontor nicht mehr vertreiben will.«

Bettina wunderte sich über sich selbst. Sie wusste nicht, warum sie diesem Fremden gegenüber so redselig war.

»Und was sind das für Produkte?«, wollte er wissen.

Bettina erklärte es ihm.

»Das hört sich interessant an. Können Sie diese Produkte auch in Frankreich vertreiben?«

Seine Frage wunderte sie.

»Weltweit…«

»Das ist wunderbar, dann schicken Sie mir eine Probe.«

Er holte aus seiner Tasche eine Visitenkarte.

»Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich Ihnen nicht vorgestellt habe, ich bin André Humblet.«

»Bettina Fahrenbach«, stellte sie sich ihrerseits vor.

»Was meinen Sie, mit einer Probe schicken, Monsieur Humblet?«

Er lachte sie an.

»Ich muss das Produkt doch testen, ob es in mein Sortiment passt«, erklärte er, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Wenn ja, dann werde ich es in mein Programm aufnehmen, und Sie sichern mir für Frankreich das alleinige Vertriebsrecht zu.«

Bettina war erschlagen. Sie konnte es nicht fassen, dass sich aus einer banalen Plänkelei für sie vielleicht ein gutes Geschäft ergeben würde. Und das nur, weil sie zufällig neben diesem lebhaften kleinen Mann gesessen hatte und noch saß.

Aber vielleicht war es überhaupt kein Zufall. Vielleicht hatte es genauso kommen müssen.

»Warum…, warum tun Sie das, Monsieur Humblet?«

»Weil ich Sie sehr sympathisch finde, und weil ich Ihren Vater sehr geschätzt habe. Sie erinnern mich an ihn, und Geschäfte wollen wir doch alle machen. Ich denke, Sie sind eine gute Geschäftspartnerin.«

Bettina hatte überhaupt noch keine Visitenkarten, daran hatte sie wirklich nicht gedacht.

Also nahm sie ihren Kalender heraus, riss ein Blatt aus ihm und schrieb ihre Adresse und Telefonnummer darauf. Sie reichte dem Franzosen den Zettel.

»Entschuldigung, ich war auf geschäftliche Begegnungen nicht vorbereitet.«

Er faltete das Blatt ganz sorgsam zusammen, legte es in seine Tasche.

»Mein Büro ist immer besetzt, Sie können, wenn möglich, veranlassen, dass die Proben und Preislisten an mich gesandt werden, wenn alles passend ist, werden wir eine Provision für mich aushandeln. Ich hoffe, dass wir Geschäftspartner werden, Madame Fahrenbach.«

Bettina war wie benommen, sie hatte mit allem gerechnet, aber doch nicht mit einer solchen Möglichkeit.

Und dass dieser Mann ihren Vater auch noch kannte und vor allem schätzte.

Wenn sie es recht überlegte, waren alle ihre Geschäfte nur zustande gekommen, weil ihr Vater einen so guten Ruf hatte und ein so integerer Geschäftsmann gewesen war.

Sie schickte insgeheim ein Stoßgebet zum Himmel.

Sie war sich sicher, dass ihr Vater von dort oben ganz schön mitmischte, um ihr zu helfen.

Aber wenn das möglich war, warum griff er nicht bei Frieder ein, der drauf und dran war, sein Erbe zu ruinieren. Oder bei Grit, die wegen einer Liebesaffäre ihre Familie vernachlässigte?

Wie es bei Jörg aussah, das würde sie sehr schnell erfahren. Ein wirklich gutes Gefühl hatte sie nicht.

Sie bedankte sich bei André Humblet für das Vertrauen, das er in sie setzte, und dann plauderten sie über allgemeine Dinge, wozu ihnen allerdings nicht viel Zeit blieb, denn der Flug von Paris nach Bordeaux dauerte nicht mehr als eine Stunde. Aber es war ja auch alles gesagt.

Die Stewardess forderte zum Anschnallen auf für den Anflug auf Bordeaux, und kurze Zeit später hatten sie ihre Position erreicht, und das allgemeine Getümmel setzte wieder ein.

Sie verabschiedete sich von Monsieur Humblet, der es eilig hatte, weil ein wichtiger Geschäftspartner auf ihn wartete, mit dem er gleich per PKW weiterreisen wollte.

Wer wartete wohl auf sie?

*

Bettina war ziemlich aufgeregt, als sie, bewaffnet mit ihrer Reisetasche, in die Empfangshalle trat.

Von Jörg war nichts zu sehen, auch Doris sichtete sie nirgendwo.

Ob sie aufgehalten worden waren?

Bettina überlegte, ihren Bruder per Handy zu erreichen, dann aber entschloss sie sich, doch noch ein wenig zu warten.

Schließlich war sie ja gerade erst angekommen, und es kamen noch immer Passagiere heraus, die auf ihr Gepäck hatten warten müssen.

Sie setzte sich auf eine Bank, von der aus sie die Eingangstüren im Blick hatte.

Menschen gingen hinaus, kamen herein – von ihrem Bruder und ihrer Schwägerin keine Spur.

Sie zuckte zusammen, als eine Stimme in ihrem Rücken sagte: »Oh, hier finde ich Sie, Bettina, ich hatte schon Sorge, Sie zu verfehlen.«

Bettina wirbelte herum und starrte in das Gesicht von Marcel Clermond, der rechten Hand ihres Vaters. Welche Funktion Marcel bei Jörg hatte, wusste sie nicht. Er war eine großer, hagerer Mann, der nicht viele Worte machte. Bettina mochte ihn und begrüsste ihn entsprechend freundlich.

»Schön, dass Sie mich abholen, Marcel«, rief sie. »War Jörg verhindert?«

»Ja, er musste unvorhergesehen weg.«

»Und Doris?«

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Diese Frage hätte sie wohl besser nicht gestellt, denn er wusste offensichtlich nicht, wie er sie beantworten sollte.

»Sie…, sie…, nun, sie war unpässlich.«

Aus seiner Verlegenheit, seiner Stammelei konnte Bettina sofort erkennen, dass Marcel Bescheid wusste. Also nahm sie auch kein Blatt vor den Mund.

»Sie ist betrunken, nicht wahr?«

Erstaunt schaute er sie an, dann nickte er.

Bettina seufzte.

Dann schien es wohl eher zuzutreffen, dass Doris mehr betrunken als nüchtern war und sie bei ihrem letzten Telefonat mit ihr Glück gehabt hatte, sie nüchtern anzutreffen.

»Arme Doris.«

Marcel nahm ihre Tasche.

»Sie hat Probleme, sich in Frankreich einzuleben.«

»Aber sie wollte es doch, sie wollte es genauso wie Jörg.«

»Vielleicht hat sie sich etwas zusammengeträumt, im wahren Leben sieht alles anders aus. Bettina, es geht mich nichts an. Aber Ihre Schwägerin ist so sehr…, und das meine ich nicht abfällig…, sie ist so sehr deutsch, dass sie ja sogar ein Problem hat, ein französisches Gericht zu genießen.«

»Mit dem französischen Wein scheint sie das Problem aber nicht zu haben«, bemerkte Bettina. »Ich muss mit Jörg reden, damit ihr geholfen wird.«

Marcel antwortete nicht, sie hatten nun den Parkplatz erreicht. Er verstaute ihre Tasche sorgfältig, half ihr in den Wagen, dann fuhr er los.

Bettina blickte ihn verunsichert an. Er hatte nichts gesagt, aber irgend etwas sagte ihr, dass es mit Jörg offensichtlich auch ein Problem zu geben schien.

»Marcel…, ist etwas mit Jörg?«, erkundigte sie sich aus diesen Gedanken heraus.

Er blickte stur geradeaus, reagierte nicht, als habe er ihre Frage nicht verstanden. Und das bestärkte sie in ihrer Vermutung, dass es auch mit ihrem Bruder Probleme gab.

»Marcel, wenn etwas ist, dann sagen Sie es mir bitte. Sie können sich auf meine Loyalität verlassen, wenn Sie es möchten, werde ich nicht darüber sprechen, mit niemandem.«

Man sah ihm an, wie er mit sich rang.

»Es ist wegen des Festivals, nicht wahr?«, wagte sie einen Vorstoß. »Es hat viel gekostet und nichts eingebracht.«

»Hat Ihr Bruder das gesagt?«

»Nein, niemand, aber ein Mensch mit einem halbwegs funktionierenden Verstand kann sich das selber ausrechnen. Jörg hat doch überhaupt keine Ahnung von der Organisation eines Festes in diesem Umfang.«

»Warum waren Sie eigentlich nicht da, Bettina? Ich habe Sie vermisst.«

»Ach, Marcel«, ihre Stimme klang traurig. »Dann waren Sie wohl der Einzige. Ich war nicht eingeladen…, irgendwie scheinen all meine Geschwister ein Problem mit mir zu haben, seit Papa tot ist…, ich erinnere sie wohl zu sehr an Papa, der mit vielem nicht einverstanden wäre, was sie tun. Und ich bin es auch nicht.«

Marcel überholte ein langsam fahrendes Fahrzeug.

»Sie gleichem Ihrem Vater sehr, und es wäre wohl besser gewesen, er hätte Ihnen das Chateau überlassen…«, er brach, als habe er bereits zuviel gesagt, seinen Satz ab.

»So schlimm sieht es aus…, bitte, Marcel, sagen Sie mir, was passiert ist. Vielleicht kann ich doch noch etwas retten.«

Er schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht. Das ist zu spät. Ihr Bruder war mit der Ausrichtung seines Festivals so beschäftigt, dass er sich um überhaupt nichts gekümmert hat. Wir haben dadurch den größten Auftrag verloren, den wir je hatten. Boucherté France hatte einen Auftrag für alle Filialen placiert und eine gezielte Werbung gemacht…, wir haben zu spät geliefert. Die Ware wurde nicht mehr angenommen, und wir sind bei Boucherté von der Lieferantenliste gestrichen worden.«

Bettina hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Das war geradezu eine Katastrophe. Ihr Vater hatte Jahre gebraucht, um bei Boucherté gelistet zu werden. Und das verspielte Jörg so ohne Weiteres.

»Schrecklich, das ist ja ganz schrecklich«, murmelte sie.

Marcel nickte.

»Aber darüber zu reden bringt nichts mehr, es ist vorbei. Vielleicht hätte Ihr Vater es ja geschafft…«

»Bei meinem Vater wäre es überhaupt nicht dazu gekommen, Marcel.«

»Ja, das stimmt.«

Nach dieser Eröffnung war Bettina kaum in der Lage, etwas zu sagen, Marcels Stimme riss sie aus ihrem dumpfen Vor-sich-hin-Brüten.

»Bettina, bitte behalten Sie für sich, was ich Ihnen gesagt habe.«

Das versprach Bettina und lenkte das Gespräch auf ganz allgemeine Themen.

Inzwischen hatten sie auch die Hauptverkehrsstraßen hinter sich gelassen.

Diesen jetzt kommenden Teil der Strecke mochte Bettina, diese schnurgerade, von Nussbäumen gesäumte Straße, die wie stramme Soldaten in Reih und Glied standen.

Das Chateau lag inmitten der Weinberge, die sich teils hügelig, teils in sanften Wellen in die Landschaft schmiegten, und so führte ein Abzweig der Alleestraße auch durch die Rebenfelder, bis er in eine Zypressenauffahrt mündete.

Die Zufahrt endete direkt vor einer reichverzierten, in eine Mauer eingelassene Toreinfahrt, die das gesamte Anwesen großräumig umschloß.

Die Mauer war überwuchert von Moos, Efeu und wilden Rosen, denen ein betäubender Geruch entströmte und bei deren Anblick man sich in eine längst zurückliegende Zeit versetzt fühlte.

Durch den hinter der Mauer liegenden Park führte ein breiter, kiesbestreuter Weg zu einem vor dem Chateau liegenden großen, fast quadratischen Platz, in dessen Mitte munter ein Springbrunnen sprudelte.

Dahinter lag in seiner Behäbigkeit das Chateau.

Es war ein dreiflügeliger Bau, mit einem großen Mittelteil und zwei Seitenflügeln.

Das Haus war aus Steinen der Gegend gebaut, die im Laufe der Jahrzehnte verwittert waren und einen warmen, sanften graubeigen Ton angenommen hatten.

Die vielen schmalen, hohen Fenster nahmen dem Haus die Strenge und gaben ihm eine gewisse Leichtigkeit, etwas, was sich im oberen Geschoss noch verstärkte. Die rundbogenförmigen, bis auf den Boden reichenden Fenster waren doppelflügelig und in Granit eingefasst. Sie wurden begrenzt durch reichverzierte Eisenbrüstungen, in die wunderschöne Ornamente eingearbeitet waren.

Die ebenfalls doppelflügelige Eingangstür aus dunkelbraunem Eichenholz war mit alten, wunderschönen Beschlägen versehen. Man erreichte den Eingang über vier breite Steinstufen, auf denen das Alter seine Spuren hinterlassen hatte, was aber auch den besonderen Charme ausmachte. Links und rechts der Stufen standen, in sehr schönen alten Terracottatöpfen, zwei sorgsam zurechtgestutzte Buchsbäume.

Das Haus hatte einen ungeheuren Charme.

Dass es so schön war, hatte Bettina vollkommen vergessen oder es war ihr früher niemals bewusst geworden.

Marcel brachte ihre Tasche ins Haus, verabschiedete sich dann von ihr.

Bettina war allein in der großen, fast saalähnlichen Diele. Hier war überhaupt nichts verändert worden.

Es gab die wenigen behäbigen Möbel, die Ölgemälde, die längst schon altersdunkel geworden waren.

Aus dem linken Seitenflügel, in dem die Wirtschaftsräume untergebracht waren, drangen Geräusche zu ihr heraus, vermutlich aus der Küche, was Bettina daran erinnerte, dass sie seit dem Morgen nichts zu sich genommen hatte.

Im rechten Seitenflügel wohnte normalerweise der Hausherr. Diese Räume hatte ihr Vater genutzt, und Bettina vermutete, dass sie jetzt von Jörg und Doris bewohnt wurden.

Im Mitteltrakt waren Bibliothek, Esszimmer, Frühstücksraum und die Wohnräume untergebracht, die auf eine breite steinerne Terrasse hinausgingen.

Zwei geschwungene, dunkelbraune Eichenholztreppen führten hinauf zur oberen Etage, in der mehrere Gästezimmer untergebracht waren.

Das Chateau Dorleac war eines dieser typischen Häuser mit schlossähnlichem Charakter, die sich die reichen Weinbauern bauen ließen in Anlehnung an die Schlösser des Adels, aber nicht an die Schlösser der Loire, sondern die des regionalen Landadels.

Wer auf sich hielt, legte natürlich auch einen typisch französischen Garten an, und den gab es auch hier auf dem Chateau.

Er schloss sich an die große, den ganzen Mittelflügel umfassende steinerne Terrasse an und war über vier breite Steinstufen erreichbar.

Auf dem zunächst ebenen Teil gab es genau abgezirkelte Blumenrabatten, die begrenzt wurden durch eine sorgsam geschnittene Buchsbaumhecke und steinerne, schon etwas verwitterte Figuren, die auf bröckelnden Podesten standen.

Der eigentliche Garten lag höher. Er war terrassenförmig und reichte bis zur hinteren, überwucherten und bemoosten Mauer. Er bot wirklich alle Facetten eines französischen Gartens, wie man ihn sich vorstellte – ein Meisterwerk mit uraltem Baumbestand, kunstvoll gestutzten Buchsbäumen, in unglaublicher Geometrie geschnittene Zypressen, Eiben und Weißbuchen.

Wer auch immer hierher kam, war fasziniert und konnte sich nicht sattsehen.

Bettina war diese Art von Garten zu bilderbuchhaft, zu kunstvoll, zu konstruiert.

Sie liebte den in einem anderen Teil des Parks liegenden Rosengarten mit seiner Vielzahl von Rosensorten, die teilweise so alt waren, dass es sie kaum anderswo noch gab und die, eine mehr als die andere, einen süßen, betörenden Duft verströmten.

An den Rosengarten schloss sich der mit sehr alten und teils seltenen Bäumen bestandene Teil des Parks an.

Und mittendrin lag der Teich mit seinen Seerosen, Schwänen, Wildenten und quakenden Fröschen.

Hier und da placierte Bänke luden zum Verweilen ein, und es war schön, in eine Zauberwelt zu versinken, die man hier eigentlich überhaupt nicht vermutete.

Chateau Dorleac war wirklich prachtvoll mit seinem charmanten Ambiente und der ausgesprochen schönen Lage.

Ihr Vater hatte für die Restaurierung und Renovierung ein Vermögen ausgegeben und sehr genau darauf geachtet, dass es wieder so hergerichtet wurde, wie es ursprünglich ausgesehen hatte. Und das war ihm wirklich gelungen.

In so manchem exklusiven Wohn- und Gartenmagazin war das Chateau schon abgebildet worden.

Wussten Jörg und Doris eigentlich zu schätzen, welches Kleinod ihnen da geschenkt worden war? Jörg vielleicht, bei Doris hatte es allerdings den Anschein, und auch Marcel hatte es ja angedeutet, dass sie unglücklich war. Warum konnten Menschen eigentlich nur so schwer zufriedengestellt werden?

Bettina seufzte.

Sie stellte ihre Tasche neben eine der Treppen, dann verließ sie das Haus wieder.

Vielleicht war Jörg ja in der Firma. Der Winzereibetrieb lag rechts vom Chateau, in ungefähr zweihundert Meter Entfernung, und war durch eine breite Schotterstraße zu erreichen.

Der Betrieb war vom Chateau aus nicht zu sehen, weil er hinter dichten alten Nussbäumen versteckt war.

Bettina wollte gerade den Weg zum Betrieb einschlagen, als mit rasanter Geschwindigkeit ein Auto durch die Zypressenallee gerast kam. Unter den schweren Rädern des Jeeps knirschte der Kies und wurde aufgewirbelt.

Bettina blieb stehen.

In dem Jeep erkannte sie ihren Bruder Jörg. Er blieb mit quietschenden Reifen direkt neben ihr stehen, sprang aus dem Auto und wandte sich ihr zu.

»Bettina, wie schön, dich zu sehen. Herzlich willkommen und danke, dass du gekommen bist.«

Er nahm sie in seine Arme und drückte sie an sich. Seine Freude, sie zu sehen, war offensichtlich, und das tat Bettina gut. »Tut mir leid, dass ich dich nicht abholen konnte. Doch ich nehme an, Doris war eine würdige Vertretung, und Frauen haben sich ja ohnehin immer was zu sagen.« Er sah sich um. »Wo ist sie eigentlich? Seid Ihr gerade erst angekommen?«

»Ich habe Doris noch nicht gesehen… Marcel hat mich am Flughafen abgeholt.«

»Marcel? Aber wieso?«

Bettina zögerte, ehe sie schließlich sagte: »Er hat mich geholt, weil Doris…, unpässlich war.«

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich.

Natürlich wusste er sofort, weswegen Doris seine Schwester nicht abgeholt hatte.

Bettina wollte aber jetzt nicht darauf eingehen, das hatte noch Zeit.

»Dass Marcel mich abgeholt hat, war okay. Ich mag ihn.«

Jörg atmete auf. Er umfasste Bettinas Schultern.

»Schön, dass du da bist. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Du siehst gut aus.«

»Die Landluft von Fahrenbach bekommt mir eben«, lachte sie.

»Na, darüber sprechen wir noch, aber komm, lass uns ins Haus gehen. Ich habe dir wieder das Zimmer zurechtmachen lassen, in dem du früher auch gewohnt hast. Das mit dem Blick zu den Weinbergen.«

»Das ist wunderbar, danke.«

»Aber Bettina, du musst dich doch nicht bedanken. Irgendwie ist es doch auch dein Zuhause, auch wenn es mir jetzt gehört. Und du bist wirklich jederzeit willkommen. Ich war blöd, dass ich dich nicht eingeladen habe. Ich wollte es ja, aber Frieder und Grit haben es mir ausgeredet, weil sie eben der Meinung waren, dass du ohnehin nur – ich brauch jetzt mal ihre Worte – meckern würdest. Aber ich…«

»Vorbei ist vorbei, Jörg. Schwamm darüber«, unterbrach sie ihn. Irgendwie war sie glücklich, wenn Jörg auch gravierende Fehler machte und gemacht hatte, so war er aber nicht herzlos. Sein Angebot, das Chateau auch als ihr Zuhause zu betrachten, rührte sie.

»Ich bring dich jetzt zu deinem Zimmer«, sagte Jörg und griff nach Bettinas Tasche, nachdem sie ins Haus gekommen waren, »und dann sage ich Marie, dass sie eine Kleinigkeit für dich herrichten soll, und vielleicht auch einen Kaffee?«

»Das wäre wunderbar.«

»Marie freut sich schon wahnsinnig auf dich, für heute Abend kocht sie auch etwas ganz Besonderes, nur dir zu Ehren, Schwesterlein.«

Sie waren oben angekommen, und Jörg öffnete die Tür zu ihrem Zimmer, das direkt gegenüber der Ballustrade lag, die einen Blick nach unten auf die große Diele gewährte.

Bettina erinnerte sich daran, dass sie sich früher immer ganz weit über diese steinerne Brüstung gebeugt hatte, sehr zum Entsetzen ihres Vaters, der eine panische Angst davor gehabt hatte, sie könne herunterfallen.

Dieses Mutspielchen ließ sie erst bleiben, als er ihr gedroht hatte, sie müsse dann eben unten schlafen.

Jörg stellte ihre Tasche ab.

»Ich warte dann unten auf dich. Wir können zusammen Kaffee trinken. Treffen wir uns auf der Terrasse?«

»Ja, super. Das Wetter ist schön, ich brauche frische Luft.«

Jörg ging, Bettina packte rasch ihre Tasche aus, dann stellte sie das Bild von Thomas auf ihr Nachttischchen.

Wie schön wäre es, zusammen mit ihm hier zu sein. Er kannte das Chateau nur aus ihren Erzählungen. Bestimmt würde es ihm hier gefallen.

Sie nahm das Bild in die Hand, drückte einen Kuss darauf, ehe sie es zurück an seinen Platz stellte.

Thomas fehlte ihr so sehr.

Es gab nichts, was sie miteinander teilen konnten. Er war nicht hier, und er würde auch bei Lindes Hochzeit nicht an ihrer Seite sein.

Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken.

Sie öffnete die doppelflügeligen Fenstertüren und schaute nach draußen in das satte Grün der sich dahinschlängelnden Weinberge. Soweit das Auge reichte, bis die Berge irgendwo, ganz weit hinten, mit dem Horizont verschmolzen.

Schön war es hier, aber nicht so schön, und das musste sie sich immer wieder sagen, wie auf ihrem geliebten Fahrenbach-Hof.

Sie wandte sich ab und ging in das angrenzende kleine Badezimmer, in dem noch die alten Kacheln erhalten waren, cremefarbene kleine Rechtecke mit verblassten Blumenranken in blass-rosa.

Wegen dieser Fliesen hatte Bettina unbedingt in diesem Zimmer schlafen wollen, und auch wegen der alten verschnörkelten Badewanne, die auf, wie sie immer geglaubt hatte, vergoldeten Löwenpranken stand.

Lächelnd wandte sie sich ab, um hinunter zu Jörg zu gehen, und sie wünschte sich, dass Doris auch irgendwann auftauchen würde.

*

Im Gegensatz zu Frieder hatte Jörg das Personal nicht ausgetauscht, und so gab es zunächst ein allgemeines Begrüßen. Bettina kannte alle, und alle waren froh, Bettina wieder einmal zu sehen, zumal es keine Sprachbarriere gab, da Bettina perfekt Französisch sprach.

Marie hatte hervorragend gekocht, schmackhaft, aber auch sehr, sehr gehaltvoll, und natürlich auch mit viel, viel Wein. Aber war das ein Wunder, wenn man hier doch an der Quelle saß?

Als hors-d’oeuvre gab es moules bordelaises. Diese Muscheln auf Bordeaux-Art hatte Bettina schon als kleines Mädchen geradezu verschlungen, und das wusste Marie. Das Beste daran waren ja eigentlich nicht die Muscheln, sondern die sämige Sauce, die dazu serviert wurde und bei der man über die Kalorien, die in ihr steckten, überhaupt nicht nachdenken durfte.

Als Hauptgericht gab es ein cocq au vin mit gebackenen Kartoffeln und einem Ratatouille, und die Nachspeise war der absolute Knaller, obschon Bettina ja eigentlich Süßes nicht so liebte. Aber in die tarte aux abricots, die Aprikosentarte von Marie konnte man sich hineinlegen. Auch hier galt allerdings – essen, genießen, nicht darüber nachdenken, was man da in sich hineingeschaufelt hatte. Der Teig war nur ganz dünn, die halben Aprikosen gesund, aber die dicke Schicht dazwischen aus Vanillepudding und reichlich Schlagsahne, und hinterher auf die gebackene Tarte heißer Bestrich mit Himbeermarmelade und darauf gestreut Pistazien, darüber sollte man wohl besser nicht reden.

Dazu der edle Chateau-Wein.

Schade, dass Doris an diesem köstlichen Essen nicht teilgenommen hatte.

Aber Bettina hatte es genossen, und sich auch mit Jörg angeregt unterhalten, allerdings nur über ganz allgemeine Themen, das Essen, über Filme, Bücher, die allgemeine politische Lage in Frankreich und Deutschland.

Bettina Fahrenbach Classic 6 – Liebesroman

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