Читать книгу Der neue Sonnenwinkel 74 – Familienroman - Michaela Dornberg - Страница 3

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Almas merkwürdiges Verhalten, als sie den Besuch ankündigte. Roberta hatte keine Gelegenheit, es zu hinterfragen, denn der Besucher betrat direkt hinter Alma den Raum. Roberta konnte nur froh sein, dass sie saß, sonst wäre ihr gar vor lauter Überraschung die kleine Adrienne aus den Armen gefallen.

Max.

Sie hätte mit allem gerechnet, mit ihrem Exmann allerdings nicht. Sie hatte versucht, alles zu vergessen, was zwischen ihnen gewesen war, die guten und die schlechten Zeiten, von denen die schlechten Zeiten deutlich in der Überzahl gewesen waren.

Was wollte Max von ihr?

Roberta spürte, wie alle Alarmglocken in ihr angingen. Sie hatte vor ihm Ruhe gehabt, weil eine Frau die Kosten für sein aufwendiges Leben übernommen hatte. War das vorbei, und er hatte sich an sie erinnert und wollte nun versuchen, etwas aus ihr herauszuquetschen? Solche Gedanken waren nicht abwegig, denn Dr. Max Steinfeld hatte da überhaupt keine Skrupel.

Allerdings war auch er mehr als bloß überrascht, der blieb stehen, schaute sie voller Erstaunen an. Er war es allerdings, der sich zuerst fasste.

»Du hast ein Kind?«, quetschte er überrascht hervor, deutete auf die kleine Adrienne, die in Robertas Armen lag.

Sollte sie ihm erzählen, wie sie an das Baby gekommen war, dass es einfach vor ihrer Tür gelegen hatte?

Es schossen ihr viele Gedanken durch den Kopf, dann entschied sie, darauf nicht zu antworten, sondern ihn zu fragen, was er von ihr wolle, und das tat sie dann auch.

»Darf ich mich vielleicht erst mal setzen?«, erkundigte er sich. »Zwischen Tür und Angel lassen sich Gespräche nicht so gut führen, nicht wahr?« Er schaute sie an, und dann kam ihm ein Gedanke. Er grinste. »Roberta, wenn du jetzt Angst hast, ich sei gekommen, um dich anzupumpen: Vergiss es. Nein, das ist wirklich nicht der Grund. Ich hatte in der Nähe zu tun und dachte, dass ich dir hallo sagen könnte, zumal unsere letzte zufällige Begegnung doch ganz friedlich verlaufen ist.«

Ja, sie erinnerte sich, sie hatte ihn und seine neue Flamme getroffen. Ihr war schon ein bisschen peinlich, dass er ihre Gedanken erraten hatte. Ein Wunder war es allerdings nicht, schließlich waren sie miteinander verheiratet gewesen, und Geld von ihr wollte er immer schon haben, Max wusste von Geld nicht, wie man es verdiente, sondern nur, wie man es ausgeben konnte. Und das hatte er immer mit vollen Händen getan. Doch darum ging es jetzt nicht. Es war lange schon vorbei, und allmählich begann sie auch, sich von dieser Überraschung zu erholen, ihn plötzlich zu sehen. Er war schon ein guter Typ, der Max und ein richtiger Charmeur. Sie war nicht umsonst auf ihn hereingefallen. Auch heute war er elegant, vor allem teuer angezogen, wenngleich er in Robertas Augen verloren hatte. Er sah ein wenig verlebt aus, was allerdings auch überhaupt kein Wunder war. Max hatte nichts anbrennen lassen, und das hatte sich vermutlich bis heute nicht verändert, und eine solche Lebensweise schlug sich halt irgendwann auch im Äußeren eines Menschen nieder.

»Setz dich, Max«, sagte sie, »möchtest du einen Kaffee trinken oder sonst etwas?«

»Kaffee wäre wundervoll«, sagte er sofort und nahm Platz, sehr schnell, als habe er Angst, sie könne es sich anders überlegen.

Alma, die ratlos dabei gestanden hatte, war froh, jetzt eine Aufgabe zu haben. Sie nahm Roberta das Baby aus den Armen, legte es behutsam in den Stubenwagen, und dann zog sie den wortlos mit sich weg.

Was wollte der Exmann der Frau Doktor hier? Sie konnte schon beunruhigt sein, denn dieser Mann hatte die Frau Doktor gestalkt, hatte versucht, sie wegen angeblicher Arzneimittelkungelei zu verunglimpfen, und eingebrochen war er ebenfalls. Die Frau Doktor war einfach zu gut, sie hätte sich nicht darauf einlassen sollen, ihm sogar Kaffee anzubieten. Der führte nichts Gutes im Schilde, daran konnte man fühlen. Aber es ging sie nichts an, deswegen kochte sie, wenn auch mit Widerwillen, den Kaffee, und sie packte sogar ein paar Kekse in eine Silberschale. Sie wusste halt, was sich gehörte, der Gast war König, auch wenn er ein ungewünschter, ein unangenehmer war. Unangenehm, das konnte man leider auf den ersten Blick nicht sagen, irgendwie hatte er schon etwas, dieser Hallodri.

Was in Almas Kopf vor sich ging, davon ahnten die beiden Zurückgebliebenen nichts, außerdem hätte Max ohnehin nichts dazu sagen können.

Nachdem Alma gegangen war, blieb es für einen Augenblick still zwischen ihnen.

Roberta war noch immer beunruhigt wegen seines plötzlichen Auftauchens, sie wappnete sich gegen einen plötzlichen Angriff. Max würde nicht handgreiflich werden, er schätzte keine verbalen Auseinandersetzungen, ging ihnen aus dem Weg. Doch er konnte sehr beharrlich sein, sich auch in seiner Wortwahl vergreifen, wenn es darum ging, Geld herauszuschlagen. Alles zwischen ihnen war geklärt, sie war mehr als großzügig gewesen, hatte auf vieles verzichtet, sogar auf die große Praxis. Das allerdings hätte sie sich ersparen können, denn die hatte Max sehr schnell gegen die Wand gefahren. Es war auch geklärt gewesen, als er dennoch hergekommen war, um auf unschöne Weise an Geld zu gelangen.

Roberta hielt es nicht länger aus. »Max, weswegen bist du gekommen?«, erkundigte sie sich erneut. »Dass du geschäftlich hier in der Nähe zu tun hast, nehme ich dir nicht ab. Was sollte das denn sein?«

Er ging nicht sofort darauf ein, vertröstete sie auf später, nachdem sie Kaffee miteinander getrunken hatten, er blickte sie an. Früher war ihr ein derartiger Blick durch Mark und Bein gegangen, jetzt prallte es bei ihr ab. Max war wie ein Fremder für sie.

»Du siehst wunderschön aus«, säuselte er, »du bist schon etwas Besonderes, schade, dass ich das früher nicht zu schätzen gewusst habe, jetzt gibt es in deinem Leben einen neuen Mann, mit dem du sogar ein Kind bekommen hast. Freilich, Kinder wolltest du ja schon immer. Er scheint es richtig zu machen. Was für ein Mann ist es denn, der den ich früher hier mal ganz flüchtig gesehen habe?«

Es reichte Roberta.

»Max, was soll das? Du bist liiert.«

Er nickte. »Aber es ist nicht die Frau, mit der du mich damals auf dem Marktplatz gesehen hast. Das ist vorbei. Es gibt eine neue Partnerin.«

Roberta konnte es sich nicht verkneifen, ihm eine Frage zu stellen: »Hat sie mehr Geld?« Sie beantwortete sich die Frage selbst. »Aber ja, natürlich.«

Er grinste, es war ihm in keiner Weise unangenehm.

»Wie gut du mich kennst, ja, sie besitzt mehr Geld, und sie ist auch umgänglicher. Aber jetzt bist du dran, erzähle von ihm, dem Baby. Was ist es denn, ein Junge oder ein Mädchen?«

Sie kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn in diesem Augenblick betrat Alma das Zimmer, ohne Adrienne, aber beladen mit einem Tablett, das sie auf den Tisch stellte, und die Kekse entlockten Max ein: »Wie nett von Ihnen, wie aufmerksam, auch an Gebäck zu denken.«

Alma sagte nichts dazu, warf ihm einen unfreundlichen Blick zu, servierte alles, schenkte sogar noch den Kaffee ein, dann wandte sie sich an Roberta. »Wenn Sie noch etwas benötigen, Frau Doktor, Sie wissen, wo Sie mich und Adrienne finden.«

Ohne Max auch noch einen einzigen Blick zuzuwerfen, verließ sie hochaufgerichtet das Zimmer, was er mit der Bemerkung quittierte: »Ich glaube, sie kann mich nicht leiden.«

Das hätte Roberta jetzt bestätigen können, doch sie unterließ es. Sie hatte sich von ihrer ersten Überraschung erholt, sie konnte mit ihrem Ex umgehen, für den sie überhaupt keinerlei Gefühle mehr hegte, Liebe schon lange nicht, die war während ihrer Ehe gestorben, und die Verbitterung war einer Gleichgültigkeit gewichen. Max Steinfeld war ein Fremder für sie, ob er da war oder ob in China der berühmte Sack Reis umfiel, das war eines. Roberta wünschte sich nur noch, er möge gehen. Das allerdings konnte sie nur erreichen, indem sie alles ein wenig beschleunigte, seine Fragen beantwortete, denn Max konnte sehr beharrlich sein, er würde immer wieder davon anfangen. Also erzählte sie ihm, dass sie nicht verheiratet sei, keinen Partner habe, was ja auch zutraf, und dass die kleine Adrienne nur vorübergehend im Doktorhaus sei. Das traf zu, über das wie, was, warum musste sie ihm nichts erzählen. Es ging ihn nichts an.

Er gab sich mit ihrer Antwort zufrieden, fügte lediglich hinzu, dass er das sehr bedaure, dass er nicht begreife könne, dass eine Frau wie sie keinen Partner an ihrer Seite habe.

»Was sind das bloß für Männer, die nicht erkennen, was für ein Edelstein du doch bist, etwas ganz Besonderes.«

Das reichte!

»Max, hör auf, Süßholz zu raspeln, mir wird schlecht, wenn du Geld von mir haben möchtest, sag, wie viel und sag wofür.«

Er blickte sie an, als habe sie ihm gerade ein unmoralisches Angebot gemacht. Dabei war es doch immer so gelaufen.

»Roberta, ich bitte dich, wofür hältst du mich eigentlich?«, empörte er sich. »Ich will doch kein Geld von dir. Ich hatte einfach nur das Bedürfnis, dich zu sehen, wenn ich schon mal hier bin.«

»Max, red nicht länger um den heißen Brei herum, weswegen bist du hier? Ich nehme dir nicht ab, dass du die Natur genießen, um den Sternsee herumwandern möchtest.«

»Nein, ich habe mich in diesem Baugebiet umgesehen, da wird ja eine ganze Menge Werbung gemacht.«

Hatte sie sich da gerade verhört?

Waren diese Worte aus seinem Mund gekommen?

Max war kein Investor, niemand, der Objekte erwarb, um sie zu vermieten oder später irgendwann mit Gewinn zu verkaufen.

Max war Arzt, er hätte sogar ein guter sein können, wenn er sich nicht für ein High Life entschieden hätte, ein Leben ohne Arbeit, dafür mit Spaß und Frauen, davon hatte er nicht genug bekommen können. Er war hinter allen her, die nicht bei drei auf den Bäumen waren.

Es war schon merkwürdig, dass sie sich darüber nicht mehr aufregte, damit hatte er ihr das Leben sehr schwer gemacht. Sie registrierte es beinahe schon gelassen, dann erkundigte sie sich ein wenig belustigt: »Und nun möchtest du dir unterhalb der Felsenburg ein Haus oder eine Wohnung kaufen oder mieten? Du im Sonnenwinkel? Bitte, entschuldige, Max. Das ist wirklich etwas, worüber man nur lachen kann.«

Er nahm ihr diese Worte nicht übel, im Gegenteil, auch er war jetzt belustigt.

»Roberta, natürlich nicht, das hast du gut erkannt. Doch da wird ein Ärztehaus gebaut, in dem mehrere Arztpraxen untergebracht werden sollen. Das habe ich mir angesehen.«

Es wurde ja immer verrückter. Sie schaute ihn an, begann an seinem Verstand zu zweifeln.

»Entschuldige bitte, Max, habe ich das richtig verstanden? Du möchtest dich in diesem Ärztehaus niederlassen?«

Er blickte seine Exfrau ganz erstaunt an.

»Nein, natürlich nicht, Roberta, ich möchte unter Umständen das Ärztehaus kaufen.«

Sie wollte gerade etwas trinken, stellte die Tasse ab, etwas heftig, es schepperte, zum Glück ging nichts entzwei. Was hatte Max da gesagt?

Hatte sie richtig gehört? Er wollte das Ärztehaus kaufen, und das hatte er in einem Ton gesagt, als ginge es gerade mal darum, sich zu entscheiden, ob es ein weißes oder ein blaues Oberhemd sein sollte oder so etwas in der Art.

Roberta konnte dazu nichts sagen, sie kannte Max, er war ein bisschen größenwahnsinnig, er überschätzte sich ständig. Doch ein Ärztehaus, sie wusste noch nicht einmal, dass so etwas dort überhaupt entstehen sollte, das war einfach eine Nummer zu groß für ihn. Erst einmal bezahlte man ein solches Objekt nicht mit Kieselsteinen, und wollte er da wieder etwas gegen die Wand fahren, weil er es nicht einmal geschafft hatte, eine einzige gutgehende Praxis am Laufen zu halten?

»Max, du bist größenwahnsinnig«, etwas anderes konnte sie jetzt nicht sagen. »Du hast auf Arzt doch überhaupt keine Lust, und dann willst du dir das antun? Und ausgerechnet hier? Du, der die Stadt braucht wie die Luft zum atmen?«

Er war erst einmal überrascht, schaute sie irritiert an, doch dann begann er zu lachen. Und da erfuhr die staunende Roberta, dass seine Freundin, Geliebte, Lebensabschnittspartnerin oder was immer sie auch war, ihm das Ärztehaus schenken wollte, und das würde er natürlich nicht selbst nutzen, sondern vermieten und dann verwalten lassen.

»Aber weißt du was, eigentlich habe ich keinen Bock darauf. Wenn meine …, wenn Ruthchen unbedingt möchte, dass ich etwas Eigenes habe, kann sie mir das Geld, das sie auszugeben bereit ist, auf mein Konto zahlen.«

Was für eine Geschichte!

Ruthchen …

Es ging sie nichts an, aber Roberta konnte sich einfach die Frage nicht verkneifen: »Ruthchen irritiert mich ein wenig, ist die Dame jung?«

Er zögerte nicht mit der Antwort. »Taufrisch ist Ruthchen nicht mehr, sie ist einige Jahre älter als ich, aber sie ist sehr nett, vor allem ist sie sehr pflegeleicht.«

Es war bitter, Max ließ sich von einer älteren Frau aushalten. Das war an sich nicht unmoralisch, und warum sollte eine ältere Frau sich nicht einen jüngeren Mann leisten? Das wurde von der Gesellschaft immer ein wenig belächelt, man regte sich sogar darüber auf. Doch wenn ein älterer Mann sich eine Gespielin leistete, die gut seine Enkelin sein könnte, wurde es toleriert, nicht nur das, insgeheim bewunderte man den Mann, der es geschafft hatte, selbst nicht mehr ganz taufrisch, sich junges, jüngstes Blut an Land zu ziehen.

Stopp!

Sie wollte jetzt nicht moralisch werden. Sie und Max waren geschieden, es ging sie alles nichts mehr an.

»Roberta, Ruthchen ist wirklich sehr nett«, versuchte er sich zu rechtfertigen. »Und das mit dem Ärztehaus …, ehrlich mal, weil sie von der Idee derartig begeistert war, habe ich ihr den Gefallen getan und es mir angesehen. Es ist nichts für mich, Ärztehaus. Ausgerechnet mir so etwas, dabei habe ich Ruthchen erzählt, dass ich mir in diesem Gewerbe nicht gerade einen guten Abgang verschafft habe.« Er blickte sie an. »Roberta, glaub mir, ich würde sehr gern einiges von dem rückgängig machen, was zwischen uns vorgefallen ist. Ich schäme mich auch dafür, dass ich dich ausgequetscht habe wie eine Zitrone, dabei hättest du mich ohne einen Cent aus dem Tempel jagen können. Du warst es, die alles aufgebaut hat, und ich …«, er machte eine kleine Pause, seine Stimme wurde leiser: »ich habe es gegen die Wand gefahren. Sorry. Ich wollte, ich hätte mir einen besseren Abgang verschaffen können, es hätte überhaupt nicht dazu kommen dürfen. Es war dumm von mir. Doch wie sagt man so schön? Wenn es dem Esel zu wohl ist, dann geht er aufs Eis tanzen. Ich hätte dir das alles nicht antun dürfen. Es tut mir leid …, geschadet habe ich mir dadurch nur selbst, ich hätte mich anders verhalten müssen. Ich habe mein Glück, unser Gefühl mit Füßen getreten. Du bist wirklich eine ganz besondere Frau, wunderschön anzusehen, klug und eine begnadete Ärztin.«

Er bemerkte ihren Blick, winkte sofort ab.

»Oh nein, bitte bekomme das jetzt nicht in den falsche Hals. Ich will dich jetzt nicht anbaggern. Ja, wenn es ginge, würde ich gern alles rückgängig machen. Doch es ist einfach zu viel Porzellan zerschlagen worden. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass du niemals einen Neuanfang mit mir wagen würdest.«

Tastete er da vor?

»Es ist richtig, Max, es ist zu viel Porzellan zerbrochen worden. Kein Fluss fließt zurück. Aber es ist schön, dass du jetzt ehrlich genug bist zuzugeben, dass alles hätte anders laufen können.«

Er nickte.

»Das hätte es, Roberta, ganz gewiss. Und auch wenn ich mich jetzt wiederhole, ich muss es noch einmal sagen, entschuldige, und es tut mir leid.«

Sie hätte niemals für möglich gehalten, einmal derartige Worte aus seinem Mund zu hören. Es war angenehm, mehr nicht, und Gefühle regten sich bei ihr schon überhaupt nicht. Es war vorbei, der Zug war abgefahren. Nachdem das alles gesagt worden war, sollte er gehen. Doch Max machte keine Anstalten, und sie war höflich genug, ihn jetzt nicht hinauszuwerfen.

Erstaunlicherweise konnten sie sogar ganz vernünftig miteinander reden. Sie kannten sich halt. Es war nicht einmal unangenehm, und sie glaubte ihm, als er sich ­besorgt erkundigte: »Roberta, macht es dir angst, dass da ein Ärztehaus mit allen Schikanen entsteht?«

Darüber musste sie nicht nachdenken.

»Nein, Max. Auch wenn Patientinnen und Patienten von mir dorthin abwandern sollten, weil sie etwas Neues ausprobieren möchten, werde ich immer noch genug zu tun haben. Ausreichend. Es kann mir nicht schaden, ein wenig mehr Zeit für mich zu haben.«

»Und für das Kind«, fügte er hinzu. »Als ich den Raum betrat, konnte ich sehen, wie glücklich du das Baby angeschaut hast. Willst du mir nicht verraten, wer es ist?«

Was ihr zunächst undenkbar erschienen war, war plötzlich ganz einfach. Sie erzählte ihm von dem Wunder, wie Adrienne in ihr Leben gekommen war.

Er sagte zunächst nichts, dann kam ein leises: »Es ist kein Wunder, dich hat da jemand ausgeguckt, der wusste, was für ein wundervoller Mensch du bist. Wirst du das Baby adoptieren, Roberta?«

Sie nickte.

»Ich würde es gern, doch vermutlich wird es dazu nicht kommen. Man sucht noch immer nach der Kindesmutter, und ehrlich gesagt, wünsche ich mir, dass man sie findet. Auch wenn es schmerzlich für mich sein wird, Adrienne wieder abgeben zu müssen, gehören Mutter und Kind zusammen, und ich werde alles tun, sie in jeder Weise unterstützen.«

Er erhob sich unvermittelt, trat auf sie zu, ergriff ihre Hand, küsste sie. »Roberta, du bist wunderbar. Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du so was wie ein Himmel auf Erden bist? Zumindest stellt man sich ihn so vor …, ich bin sehr froh, gekommen zu sein. Ich danke dir sehr, dass du mich nicht achtkantig aus dem Haus geworfen hast, dazu hattest du allen Grund. Ich muss mich jetzt verabschieden, ich bin mit Ruthchen verabredet, die ­allerdings sehr enttäuscht sein wird, dass sie mir das Ärztehaus nicht schenken darf. Du glaubst überhaupt nicht, wie unendlich reich sie ist. Für sie ist ein solches Geschenk nicht mehr als ein Spielzeug.«

Sie erhob sich ebenfalls, wollte ihn zur Tür begleiten. Wenn man die beiden so nebeneinander sah, musste man neidlos zugeben, was für ein attraktives Paar sie waren. Das dachte auch Alma, die sich gerade erkundigen wollte, ob sie noch etwas tun könne. Ein bisschen Besorgnis und Neugier waren auch dabei, denn sie fragte sich schon, was die beiden so lange miteinander zu besprechen hatten, weswegen er überhaupt gekommen war.

An der Haustür standen Ro­berta und Max sich gegenüber, schauten sich an, nicht begehrlich, sondern eher vertraut.

»Danke, dass du mir nichts an den Kopf geworfen hast, ich meine, nicht nur verbal. Ich bin sehr froh, gekommen zu sein, pass auf dich auf, Roberta, god bless you.«

Er zögerte kurz, dann umarmte er sie spontan, und es fühlte sich nicht einmal unangenehm an, nein, vertraut. Wer hätte das gedacht.

»Schön, dass du da warst, Max, deine Entschuldigung für dein Verhalten löst viel Bitterkeit in mir. Pass auch du auf dich auf.«

Er zögerte noch einmal, dann küsste er sie auf die Stirn, ließ sie los, rannte durch den Vorgarten, und wenig später stieg er in seinen auffallenden Sportwagen, der bestimmt so viel gekostet hatte wie eine Eigentumswohnung in einer erstklassigen Wohnlage.

Er hupte kurz, dann brauste er mit aufheulendem Motor davon.

Ihr Exmann hatte sie besucht, das musste sie erst einmal verdauen, wenngleich es schön gewesen war. Natürlich war es vorbei, für sie auf jeden Fall und für ihn gewiss ebenfalls. Er führte das Leben, das das richtige für ihn war, sorglos, mit viel Geld, und wenn man das erst einmal hatte, konnte man auch Ruthchen mit in Kauf nehmen.

Stopp!

Roberta begann sofort, sich schlecht zu fühlen, weil es nicht ihre Art war, so zu denken. Vor allem kannte sie die Frau überhaupt nicht und bildete sich schon ein Urteil. Zudem ging es sie nichts an.

Sie verspürte in sich so etwas wie ein bisschen Frieden. Nun konnte sie unter ihre Vergangenheit einen endgültigen Schlussstrich ziehen und zulassen, dass nicht alles schlecht gewesen war. Wenn man enttäuscht und verletzt war, und das war sie weiß Gott gewesen, da konnte man die Welt nur tiefschwarz sehen.

Sie ging ins Haus zurück, Alma stand da, schaute sie besorgt an.

»Alles ist gut, Alma, Max wollte nichts von mir, und irgendwie scheint er zur Besinnung gekommen zu sein, er hat sogar so etwas wie Herz gezeigt. Aber vielleicht war es auch nur sein schlechtes Gewissen.«

Und dann erzählte sie Alma von dem Gespräch, so etwas war nicht außergewöhnlich. Wenn man so eng beieinander wohnte, vor allem so vertraut, wie es bei ihnen war, dann ging man sich nicht aus dem Weg, sondern war offen und ehrlich miteinander.

Alma atmete erleichtert auf.

»Was ist denn, Alma?«, wollte Roberta wissen, die das natürlich mitbekommen hatte.

»Ich bin einfach nur froh, Frau Doktor. Ich hatte solche Angst, dass er Sie wieder verletzen würde.«

Gewiss hätte sie noch mehr dazu gesagt, doch in diesem Augenblick begann nebenan Adri­enne zu weinen, erstaunlich laut, und beide Frauen waren wie elektrisiert, sie rannten los, als gelte es, einen Wettkampf zu gewinnen.

Roberta war großzügig, sie ließ Alma den Vortritt, dann näherte auch sie sich dem Stubenwagen.

Adrienne hatte aufgehört zu weinen. Sie war ganz friedlich, und etwas von diesem Frieden schwappte zu Roberta hinüber.

Das Schicksal ging wirklich seine eigenen Wege. Man konnte planen, sich Ziele setzen, und auf einmal war nichts mehr davon da, alles durcheinander. Und dann geschah etwas, was man niemals auch nur angedacht hätte, und es passierte. So wie das mit Adri­enne. Auch wenn sie wusste, dass es kein Glück von Dauer sein würde, so war es für den Augenblick ganz besonders, ein Geschenk. Und das Max so einsichtig gewesen war, eigentlich sogar nett, das war ebenfalls etwas, womit sie nie gerechnet hätte. Sie hätte jede Wette verloren. Aus welchem Grunde er in den Sonnenwinkel gekommen war, darüber dachte sie nicht eine Sekunde nach. Das Ärztehaus, das machte ihr keine Angst, auch wenn einige ihrer Patientinnen und Patienten gewiss dorthin abwandern würden.

Adrienne lächelte, und für sie und Alma ging die Sonne auf.

*

Inge Auerbach und Rosmarie Rückert waren nicht nur familiär miteinander verbandelt, sondern sie waren mittlerweile richtig gute Freundinnen geworden. Und das war mehr als nur angenehm. Sie waren ganz offen miteinander, und so war es auch überhaupt kein Wunder, dass Inge ihrer Freundin brühwarm alles erzählte, was sich ereignet hatte und auch das, was sich noch ereignen würde. Eigentlich hatte Inge das in aller Ruhe und Ausführlichkeit tun wollen, doch wenn das Herz übervoll war …

Der Wochenmarkt war nicht unbedingt der richtige Ort dafür.

Da sie sich zufällig getroffen hatten, bot es sich an. Und sie mussten ja nicht zwischen Rotkohl, Suppengrün und Petersilie miteinander reden, sondern konnten in das kleine Straßencafé gehen, was mittlerweile längst ein schöner Treffpunkt für viele Menschen war. Noch war es für die Bewohner hier etwas Besonderes, doch das würde nicht so bleiben. Im Neubaugebiet war auch ein Café vorgesehen. Es würde sich vieles verändern. Doch darüber dachten Inge und Rosmarie jetzt gewiss nicht nach. Sie waren einfach nur froh, sich getroffen zu haben. Und sie mochten diesen Platz, auch wenn alles sehr einfach, aber zweckmäßig war. Das musste es auch sein, denn schließlich hatte das Café keinen festen Platz im Sonnenwinkel, sondern musste immer wieder abgebaut werden, wie der gesamte Bauernmarkt. Was sollte es. Der Kaffee war hervorragend und der Kuchen schmeckte ausgesprochen lecker, das musste selbst Inge neidlos zugeben, und die konnte Kuchen backen wie eine Weltmeisterin.

Inge und Rosmarie saßen an einem der kleinen Tischchen auf Klappstühlen, und sie hatten ausgesprochenes Glück gehabt, weil gerade jemand aufgestanden war. Sonst hätte es trübe für sie ausgesehen. Sie hätten überhaupt keinen Platz ergattern können.

Inge bestellte einen normalen schwarzen Kaffee und dazu ein Stückchen Mohnkuchen, den man ja längst auch nicht mehr überall bekam. Rosmarie entschied sich für einen Cappuccino und dazu ein Stück Donauwelle. Auch das war etwas, was die Jugend kaum noch kannte, nichts damit anzufangen wusste, und so wurde auch die Donauwelle längst nicht mehr überall angeboten. Das war ebenfalls so schön hier, man bemühte sich, die Kuchen nach alten Rezepten zu ­backen. Inge und Rosmarie schwelgten in romantischen Erinnerungen.

Danach unterhielten die beiden Frauen sich ganz allgemein, sie hatten sich immer etwas zu sagen. Doch dann hielt Inge es nicht länger aus, sie erzählte von dem letztmaligen Kollegentreff von Werner. »Und diesmal und das zum ersten Male sind auch die Frauen mit dabei. Und stell dir bloß vor, wo das Treffen stattfinden wird, in New York. Da werden wir nicht nur in einem der allerbesten Hotels wohnen, sondern es gibt auch ein komplettes Kulturprogramm. Ach, Rosmarie, du glaubst überhaupt nicht, wie sehr ich mich darauf freue. Manchmal kann ich es noch immer nicht richtig fassen, was sich da gerade in meinem Leben ereignet. Ich habe Angst, irgendwann aus einem schönen Traum zu erwachen.«

»Es ist wunderbare Wirklichkeit, meine liebe Inge. Wenn du so willst, ist diese Reise nach New York praktisch das Tüpfelchen auf dem I. Werner hat sich verändert, und seit er da in der Jugendstrafanstalt mit den Jugendlichen arbeitet, ist er viel freier, viel umgänglicher geworden. Man merkt, welchen Spaß er dabei hat. Ich glaube auch, dass er es sehr genießt, nicht mehr vor Wissenschaftlern reden zu müssen, sondern vor so unterschiedlichen jungen Menschen, die wirklich nicht einfach sind, oftmals diese negative Einstellung zum Leben haben. Er hat sie für sich gewonnen, er bringt dir ohne Anlass Blumen mit und nun diese Reise, um die du wirklich zu beneiden bist.«

Sie trank etwas von ihrem Cappuccino.

»Inge, ich freue mich so sehr für dich. New York ist wirklich eine sehr faszinierende Stadt, und eigentlich stellt man sich so Amerika vor, nicht das, was beispielsweise in Nebraska, Wyoming oder Idaho geschieht. Wie du weißt, seid ihr für mich immer die beneidenswerte Vorzeigefamilie gewesen.«

Inge winkte ab. »Nur in deinen Vorstellungen, Rosmarie, du weißt, wie viel davon im Laufe der Zeit abgebröckelt ist. Eine ganze Weile konnte man eher dich und deinen Heinz beneiden. Nobody is perfect, und eine Beziehung funktioniert nur, wenn man daran arbeitet, wenn man offen und ehrlich zueinander ist und wenn man seine Bedürfnisse auch ausspricht. Wir Auerbachs waren halt immer die ›Unterdenteppichkehrer‹. Und irgendwann ist uns diese Haltung um die Ohren geflogen. Ach, Rosmarie, daran möchte ich nicht mehr denken. Es war ganz schrecklich. Und wenn du so willst, hat es auch Pamela aus dem Haus getrieben.«

Davon allerdings wollte Rosmarie nichts hören.

»Inge, ich bitte dich, zieh dir den Schuh nicht an. Pamela wäre irgendwann auch gegangen, wenn bei euch eitel Sonnenschein geherrscht hätte. Immer mehr junge Leute machen ein Auslandsschuljahr, was ja auch niemandem schadet. Und vergiss nicht, Pamela und Hannes sind ein Herz und eine Seele, die können gut, was sage ich, die können großartig miteinander. Das haben sie ja auch bewiesen während ihrer gemeinsamen Zeit in Australien.«

»Oh Gott, bitte erinnere mich nicht daran, das war die allerschlimmste Zeit meines Lebens. So etwas möchte ich niemals wieder erleben. Es hat mich beinahe zerrissen.«

»Inge, es ist vorbei, denk nicht mehr daran. Jetzt sieht alles wirklich sehr gut aus. Und dass Werner Hannes angerufen hat, um sich quasi bei ihm zu entschuldigen, das ist schon enorm. Meine Liebe, das kannst du dir im Kalender rot anstreichen. Inge, ihr werdet wieder die, die ich immer in euch gesehen habe. Und ihr seid schon etwas ganz Besonderes, ihr Auerbachs. Und du hast alles richtig gemacht, da muss man sich ja bloß Ricky ansehen. Die ist für mich die allerbeste Schwiegertochter von der ganzen Welt, wie die den Haushalt schmeißt. Ich werde niemals vergessen, dass Ricky niemals gegen mich war, sondern dass sie immer versucht hat, zwischen mir und Fabian zu vermitteln, was ihr ja auch gelungen ist. Und ich weiß selbst, wie peinlich ich mich damals benommen habe.«

Natürlich ging es bei Inge herunter wie Öl, wenn Rosmarie so über Ricky sprach. Aber es war schon fast unglaublich, wie prima die ihr Leben im Griff hatte, mit Ehemann und ihrer süßen Kinderschar war das ganz gewiss nicht so etwas wie ein Spaziergang durch einen Rosengarten.

»Zum Glück läuft es ja mit euch und Fabian richtig gut, ich bin überzeugt davon, dass er euch die Vergangenheit nicht mehr nachträgt. Und was Ricky betrifft, natürlich höre ich gern, wenn du derart lobende Worte für sie findest. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass alles eben deswegen so hervorragend funktioniert, weil Ricky und Fabian an einem Strang ziehen. Sie haben sich gesucht und gefunden. Es kam nicht von ungefähr, dass sie sich direkt am ersten Tag begegnet sind, als wir hierher gezogen sind. Das war Schicksal, Liebe auf den ersten Blick, ein Blitzschlag der Liebe, und wenn das der Fall ist, ich glaube, da kann man wirklich Hand in Hand durchs Leben gehen, da ist einem kein Berg zu hoch und kein Wasser zu tief.«

Rosmarie seufzte.

»Inge, das hast du ganz wundervoll gesagt. Ja, sie sind wirklich etwas Besonderes, unsere Kinder, und das färbt auf unsere Enkelinnen und Enkel halt sehr günstig ab. Es ist so schön …« Rosmarie brach ihren Satz ab, und Inge ahnte es nicht nur, nein, sie wusste es, dass Rosmarie in diesem Augenblick an Stella dachte, die auf eigenen Wunsch den Weg in die Anonymität gewählt hatte und die nun wie vom Erdboden verschwunden war. Rosmaries Tochter Stella …

Es war nicht so, dass Inge das gleichgültig war. Um Stella ging es ihr dabei nicht so sehr. Sie war zwar mit ihr als Schwiegertochter gut ausgekommen, doch mit Charlotte kam sie sehr viel besser aus, sie war die richtige Ehefrau für Inges Sohn Jörg. Nein, nicht nur Rosmarie jammerte wegen der Enkelkinder, das tat Inge ebenfalls. Stella hatte Eltern und Schwiegereltern die Enkelkinder genommen.

»Du dachtest gerade an Stella, nicht wahr, Rosmarie?«, erkundigte Inge sich leise, auch ein wenig verunsichert, denn Stella war etwas, worüber sie alle nur sehr selten sprachen, obwohl es sie zutiefst bewegte.

Und richtig, Rosmarie konnte zunächst einmal nur nicken, und es dauerte eine Weile, ehe sie Inges Frage beantworten konnte. Rosmarie war traurig und berührt zugleich, und Inge machte sich Vorwürfe, warum sie überhaupt von diesem Thema angefangen hatte.

»Ach, weißt du, Inge, es könnte alles so wundervoll sein. Mit Heinz und mir wird es immer schöner, inniger, mit Fabian sind wir ebenfalls auf einem wundervollen Weg. Ist es da nicht normal, dass es einen beinahe zerreißt, wenn man an sein anderes Kind denkt und vor allem auch an die Enkelkinder? Sosehr ich mir auch den Kopf zermartere, ich kann einfach nicht begreifen, was eigentlich in Stella gefahren ist, jeglichen Kontakt zu allen von uns abzubrechen. Überhaupt hat sie sich ja sehr verändert, niemand kann nachvollziehen, warum sie Jörg verlassen hat. Er hat Stella auf Händen getragen, und seine Familie war ihm gewissermaßen heilig. Mit dem anderen Mann hielt sie es ja nicht lange aus. Gut, man kann sich irren, und ob man die richtige Wahl getroffen hat, stellt sich spätestens nach den Werbewochen heraus. Aber warum, warum ist sie mit den Kindern einfach sang- und klanglos abgetaucht? Sie hätte doch wieder nach Deutschland kommen können oder wenigstens eine Adresse hinterlassen, wenn Aus­tralien jetzt das Land ihrer Träume ist. Was ist da bloß geschehen?«

»Rosmarie, das alles haben wir doch bereits mehr als nur einmal erörtert. Hör endlich auf, dich zu quälen und dir Vorwürfe zu machen. Es hat nichts mit dir und Heinz zu tun. Stella hat ja auch jeglichen Kontakt zu Fabian abgebrochen, und die beiden waren ja wohl immer ein Herz und eine Seele. Stella hat sich für einen Weg entschieden, in dem die Familie keinen Platz mehr hat, und das müssen wir akzeptieren. Wir können nur darauf hoffen, dass die Kinder, wenn sie volljährig sind, den Weg zu uns finden, ihren Großeltern, zu Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen.«

Rosmarie winkte ab.

»Die können sich irgendwann doch überhaupt nicht mehr an uns erinnern, außerdem weißt du nicht, was Stella ihnen über uns erzählt. Sie wird die Kinder gegen uns aufhetzen. Inge, wir haben sie verloren.«

Das wollte Inge so nicht akzeptieren, auch wenn das, was sie dazu sagte, ein wenig Augenwischerei war, wie ihr selbst bald bewusst wurde.

»Wenn es uns vorbestimmt ist, werden sie den Weg zu uns finden, und bis es so weit ist, müssen wir uns halt gedulden.«

»Glaubst du an Karma?«

Diese Frage musste Inge nicht mehr beantworten, denn ihre Mutter gesellte sich überraschend zu ihnen.

»Schön, dass ich euch hier treffe, dann muss ich meinen Kaffee nicht allein trinken. Ihr habt doch nichts dagegen, dass ich mich zu euch setze? Es ist ja nicht der Kaffee, der mich hierher zieht, sondern es gibt köstlichen Kuchen, der mich an meine Kindheit erinnert.«

Natürlich hatte niemand etwas dagegen, ganz besonders Rosmarie nicht, die Teresa von Roth glühend bewunderte.

»Wie kommt es, dass du nicht im Internat bist?«, wollte Inge wissen.

»Weil ich diesen Bauernmarkt liebe und gern hier einkaufe«, war die lakonische Antwort. Und als Inge sofort sagte, dass sie das doch für ihre Mutter tun könne, bemerkte Teresa: »Das ist etwas anderes. Es ist halt schön, herumzuschlendern, einzukaufen, hier und da ein Schwätzchen zu halten. Und diesen Stand hier, anders kann man es ja nicht nennen, auch wenn Tische und Stühle vorhanden sind, finde ich besonders schön. Es ist lobenswert, wenn alte Traditionen gepflegt werden. Früher war nicht alles schlecht. Doch wie kann die Jugend da mitreden, wenn sie nicht einmal weiß, worum es eigentlich geht?« Teresa brach in schallendes Gelächter aus.

Das war wieder ein Thema, über das man sich die Köpfe heiß reden konnte, und das taten die drei Damen denn auch. Selbstredend wurden aus einem Stückchen Kuchen zwei. Das musste einfach sein. Darin waren sich die drei Damen einig.

*

Ihre Ehe mit Max Steinfeld war lange schon vorbei, nur sein Name, den sie noch immer trug, erinnerte daran. Roberta wollte nicht mehr daran denken, was da alles gewesen war. Doch sie konnte nicht anders, seit Max plötzlich bei ihr im Sonnenwinkel aufgetaucht war, wurden immer mehr Erinnerungen hochgespült, schöne, weniger schöne, auch verletzende. Das machte ihr bewusst, dass sie längst noch nicht alles verarbeitet hatte, sondern, dass es nur sorgsam verhüllt unter der Oberfläche gewesen war. Vergangenes ließ sich nicht zurückholen, man konnte nichts ausbügeln. Auch nach der Scheidung hatte es sehr unschöne Begegnungen mit ihrem Exmann gegeben. Viel später war da diese unverhoffte Begegnung mit ihm gewesen, mit dieser Frau an seiner Seite, an die sie sich kaum noch erinnern konnte, auch nicht daran, ob er eigentlich mit ihr verheiratet gewesen war oder ob es sich wieder mal um eine seiner Lebensabschnittsgefährtinnen gehandelt hatte. Das spielte auch überhaupt keine Rolle. Damals war er nett gewesen, sehr nett, und ein wenig ihrer Bitterkeit hatte sich aufgelöst. Dieser Besuch jetzt, nachträglich gesehen, war heilend gewesen. Roberta hätte niemals für möglich gehalten, dass sie so etwas im Zusammenhang mit Max sagen würde. Doch es war so. Obwohl sie eine anerkannte, erfolgreiche Ärztin war, dazu auch noch eine mit mehreren Facharztabschlüssen, war sie sie mehr als nur einmal ziemlich minderwertig vorgekommen, hatte an sich als Frau gezweifelt, denn warum sonst war er ständig über die Dörfer gegangen?

Bei diesem letzten Besuch hatte sie nicht nur seine Wertschätzung gespürt, er hatte es auch ausgesprochen, und Max hatte sich sogar entschuldigt. Und das war gut so.

Roberta dachte nicht einen einzigen Moment daran, wie es wohl wäre, wenn Max und sie noch miteinander verheiratet wären. Auf so einen Gedanken würde sie niemals kommen, und das wäre auch so, hätte sie nicht die schönste Zeit ihres Lebens mit Lars Magnusson gehabt, ihrer großen, ihrer wahren Liebe.

Alma war mit der kleinen Adrienne unterwegs. Mit dem Baby klappte es mittlerweile ganz wunderbar, auch wenn es nach wie vor stressig war. Roberta musste immer wieder feststellen, dass es ein großer Unterschied war, ob man sich ein Baby wünschte oder ob man es hatte. Die Wirklichkeit hatte nichts mit Träumen zu tun. Und wenn ein so kleines Wesen mal eine Nacht unruhig war und immer wieder brüllte, was vorkam und Alltag war, da war man nach so einer Nacht nicht verzückt, sondern man war hundemüde, und wenn man dann sein Kind nicht als ein kleines Monster sah, so war es auf jeden Fall nicht der Traum aller Träume.

Sie hatten sich an die kleine Adrienne gewöhnt, und Roberta rührte an nichts, sie erkundigte sich nicht bei der Polizei, ob man die Kindesmutter bereits gefunden hatte, ob man weiterhin auf der Suche war. Und auch um das Jugendamt machte sie einen ganz großen Bogen.

Adrienne bereicherte ihr Leben, Roberta war sich vollkommen bewusst, dass es ein Glück auf Zeit war. Je länger die kleine Adrienne im Doktorhaus war, umso unvorstellbarer war der Gedanke daran, dass es irgendwann nicht mehr so sein würde. Sie wünschte sich ja, die leibliche Mutter der Kleinen würde sich darauf besinnen, dass es da noch etwas gab, was sie auf einer Treppe abgelegt hatte.

Roberta war sich absolut sicher, dass die Frau keinen Ausweg gewusst hatte, sonst hätte sie nicht so vorgesorgt, das Nötigste mitgegeben, und dann hätte sie auch nicht diesen Zettel mit dem Namen der Kleinen angeheftet. Adrienne.

Sie verdrängten alles und genossen jeden Augenblick. Alma war mit der Kleinen unterwegs, und Roberta saß über Krankenakten, in die sie noch einen ausführlichen Blick hineinwerfen musste. Sie war es gewohnt, Krankenakten von besonders schwierigen Patientinnen und Patienten mit in ihre Privatwohnung zu nehmen, um noch einmal einen ausführlichen Blick hineinzuwerfen. Doch sie musste sich leider eingestehen, dass sie diese Akten am nächsten Morgen wieder in die Praxis nahm, ohne hineingeschaut zu haben, weil es schöner war, Adrienne zu beobachten, wenn sie selig lächelte, oder wenn sie sie mit großen Augen anschaute.

Es war gut, dass sie nicht abgelenkt wurde!

Eine Akte hatte Roberta bereits bearbeitet, sie wollte sich gerade die zweite vornehmen, als ihr Telefon klingelte, da es ihr privates war, würde sie das Gespräch auf jeden Fall führen, und so schaute sie auch überhaupt nicht auf dem Display nach, wir da mit ihr sprechen wollte.

Es war jemand, den sie nicht auf dem Schirm gehabt hatte, doch sie hatte ihm auf seinen Wunsch hin ihre private Telefonnummer gegeben. Der Anrufer war Max, ihr Exmann!

Es war schon ein wenig merkwürdig, denn sie hatte vor nicht allzu langer Zeit noch an ihn gedacht. Mit seinem Anruf hatte sie nicht gerechnet, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie sich über diesen Anruf freuen sollte. Entsprechend kühl war ihre Stimme, als sie ihn begrüßte.

»Hallo, Max, soll das jetzt zur Gewohnheit werden?«, wollte sie wissen. »Möchtest du mir noch etwas sagen?«

Für einen Augenblick war er ein wenig verblüfft, denn Max Steinfeld war es nicht gewohnt, dass Frauen, die er anrief, nicht in extatische Schreie ausbrachen.

»Ich …, äh …«, er stammelte sogar ein wenig. »Ich hoffe, ich habe dich nicht bei etwas gestört?«

Sie sagte ihm, womit sie sich gerade beschäftigte, und seine Antwort war: »Du kannst es also noch immer nicht lassen, dich auch in der Zeit, in der du eigentlich deine Freizeit genießen solltest mit den Patienten zu beschäftigen.«

»Und den Patientinnen«, korrigierte sie ihn.

Er lachte.

»Meinetwegen, Roberta, doch mal ernsthaft, jeder Mensch braucht Freizeit.«

»Hast du mich deswegen jetzt angerufen, Max, um mir das zu sagen? Wenn ja, dann danke für deine Fürsorge. Doch Gewohnheiten, die legt man einfach nicht ab. Was willst du?«

»Eigentlich möchte ich dir nur sagen, dass ich auf keinen Fall in dieses Ärztehaus-Projekt einsteigen werde. Es ist einfach nicht mein Ding, und ich habe zwar Medizin studiert, doch der Titel, den ich mir dabei erworben habe, der reicht. Das Leben kann auch so sehr schön sein. Ehrlich mal, Roberta, ich mache mir ein wenig Sorgen. Das Einzugsgebiet ist nicht sehr groß, und wenn sich in diesem Ärztehaus Fachärzte ansiedeln mit den neuesten Apparaten, dann könnte es für dich ein wenig eng werden. Du willst ja jetzt unbedingt nur noch Hausärztin sein, um näher bei den Patienten und«, er machte eine kurze, bedeutsame Pause, »Patientinnen zu sein.«

Roberta musste unwillkürlich lächeln, er hatte seine Lektion gelernt, der gute Max. Was er wirklich von ihr wollte, wusste sie noch immer nicht, sie sagte jedoch nichts mehr, sondern wartete erst einmal ab.

»Roberta, es könnte ein wenig eng für dich werden«, seine Stimme klang ernst, als er das sagte. »Du wirst auf deine Reserven zurückgreifen müssen …, ich weiß ja, dass ich dich gerupft habe wie eine Weihnachtsgans und dass du, um dem bösen Spiel ein Ende zu bereiten, auf all meine Forderungen eingegangen bist …. Roberta, mir geht es finanziell richtig gut, ich habe sogar Kontovollmacht für die Konten meiner … Freundin, und die hat Kohle bis zum Abwinken. Ich würde dir sehr gern helfen …, für alle Fälle…«

Sie unterbrach ihn.

»Max, vergiss es, was du mir da machst, das ist ein unmoralisches Angebot. Glaubst du etwa, ich würde Geld von dir nehmen mit dem Wissen, dass du es vom Konto deiner Freundin nimmst?«

Eigentlich wollte sie jetzt auflegen, doch daran hinderte er sie sofort, weil er sie kannte und wusste, wie sie reagierte. »Nein, nein, das würde ich doch nicht tun. Aber du hast mir einen Großteil des Vermögens überlassen, obwohl du es eigentlich verdient hast, außerdem die Praxis, die einen großen Wert darstellte.«

Ehe er weiterreden konnte, sagte Roberta rasch: »Max, danke für das Angebot, doch erinnere dich bitte daran, dass du alles gegen die Wand gefahren hast, dass du kein eigenes Vermögen mehr besitzt. Du hast nichts mehr, was du verteilen kannst.«

Erst einmal sagte er nichts, und deswegen fuhr Roberta fort: »Max, mach dir mal um mich keine Sorgen, wie ich dir bei unserem letzten Treffen bereits sagte, sehe ich diesem Ärztehaus ganz gelassen entgegen. Ich komme zurecht. Das Haus ist bezahlt, ein paar Rücklagen habe ich ebenfalls noch: Und meine Alma sagt immer, dass man nicht mehr als ein Kotelett essen kann. Ist sonst noch etwas, Max?«

Max Steinfeld druckste herum. »Roberta, ich will dich nicht länger zumüllen, eines allerdings möchte ich noch loswerden. Du bist nicht nur eine sehr kluge, sondern eine wunderschöne Frau. Du besitzt Charme, bist großherzig, und ich …, ich bin ein Trottel, weil ich mein Glück, unser Glück, mit Füßen getreten habe. Es hätte gut gehen können.«

Solche Worte aus seinem Munde verwirrten Roberta sehr, und sie wusste nicht, was das jetzt alles sollte, deswegen sagte sie rasch: »Ist es aber nicht, Max. Danke noch mal dafür, dass du dir solche Sorgen um mich gemacht hast, doch das ist, wie gesagt, unnötig. Ich bin wirklich froh, dass wir jetzt einigermaßen normal miteinander umgehen können. Doch ehrlich mal, Max, das soll nicht zur Gewohnheit werden, du hast dein Leben, ich habe meines. Ich wünsche dir viel Glück, vor allem Gesundheit, und das ist ja etwas, was wir als Ärzte auch nicht automatisch gepachtet haben, nicht wahr?«

Er konnte und wollte nicht aufhören, und Roberta brachte es nicht übers Herz, ihren Exmann einfach abzuwürgen. Zum Glück wurde es bei ihm plötzlich laut, und er beendete das Gespräch mit den Worten: »Pass auf dich auf, Roberta.« Das hatte er beim letzten Male ebenfalls gesagt. »Es war schön, deine Stimme zu hören.«

Dann verabschiedete er sich hastig, und sie kam nicht dazu, sich zu fragen, was das alles sollte, weil das Telefon erneut klingelte. Doch diesmal sah sie nach, wer da etwas von ihr wollte. Es war ihre Freundin Nicki. Die rief gerade richtig an, denn Roberta brannte geradezu darauf, Nicki von diesem Anruf zu erzählen. Doch ehe es dazu kam, erkundigte ihre Freundin: »Sag mal, mit wem hast du denn da ein Dauergespräch geführt, Roberta.«

Nicki konnte maßlos übertreiben, sie hatte zwar mit Max telefoniert, doch als Dauergespräch konnte man das nicht bezeichnen. Sie gab keine Erklärung darüber ab, sondern antwortete einfach: »Mit Max.«

Stille am anderen Ende der Leitung, dann kamen Geräusche, die sich beinahe so wie eine Schnappatmung anhörten, und dann erkundigte Nicki sich ganz vorsichtig: »Max? Du meinst doch nicht etwa deinen Ex, oder?«

»Doch, Nicki, genau mit dem habe ich gesprochen.« Und dann erzählte Roberta ihr von dem Gespräch.

»Roberta, erst der Besuch«, natürlich hatte Roberta ihr davon erzählt, »und jetzt der Anruf. Muss ich mir da Sorgen machen? Es sieht doch ganz so aus, als wolle er dich wieder anbaggern, nun, verwunderlich wäre es nicht. So etwas wie dich findet er niemals wieder, und das muss wohl auch dem Schwerenöter Max Steinfeld mittlerweile in die Birne gegangen sein.«

»Nicki, er ist besorgt, dass mir dieses Ärztehaus Abbruch tun könnte.« Und dann erzählte sie Nicki von dem Angebot, ihr finanziell unter die Arme greifen zu wollen.

»Roberta, sag mir jetzt bitte, dass das nicht wahr ist. Gut, er kann ein schlechtes Gewissen haben, weil er dich gnadenlos über den Tisch gezogen hat. Doch von welchem Geld will er dir was abgeben? Er hat doch alles verbrezelt.«

Jetzt ereiferte Nicki sich erst einmal, Roberta ließ es zu, weil sie aus Erfahrung wusste, dass Nicki manchmal nicht zu bremsen war, dass man sie ausreden lassen musste, weil man ansonsten Gefahr lief, dass sie immer wieder davon anfangen würde.

Irgendwann hielt Nicki ganz erschöpft inne, und Roberta erkundigte sich: »Nicki, bist du jetzt in der Lage, mir zuzuhören?«

»Meinetwegen, ich muss mich eh erst einmal von dem erholen, was du mir da gesagt hast. Ganz traue ich dem Braten nämlich nicht, für Max würde ich keine Hand ins Feuer legen. Der führt doch was im Schilde, dass er Kreide gegessen hat, nehme ich ihm auch nicht ab.«

»Darf ich jetzt, Nicki?«, wollte Roberta wissen, und ehe ihre Freundin wieder einen Kommentar abgeben konnte, erzählte Roberta ihr, dass sie seine wahren Beweggründe nicht kannte, dass sie sich niemals mehr auf Max einlassen würde, dass sie eigentlich auch nicht glaube, dass er es wolle.

»Er hat ein schlechtes Gewissen, Nicki, und das kann er auch haben. Für mich fühlt es sich gut an, dass er sich entschuldigt hat, dass er seine Fehler einzusehen scheint, und er macht sich, glaube ich, wirklich Sorgen meinetwegen. Doch können wir jetzt aufhören, über Max zu sprechen? Der ist wirklich ein Never-Come-Back-Programm, und ich habe ihn auch gebeten, sich nicht mehr bei mir zu melden, ich habe ihm alles Gute für sein weiteres Leben gewünscht.«

»Was sehr, sehr lobenswert ist, meine liebe Freundin, ich hätte nicht so großherzig reagieren können. Doch du bist halt ein guter Mensch, und Max …«

Roberta stoppte sie.

»Nicki, kein Wort mehr über Max, sonst lege ich auf. Weswegen rufst du eigentlich an? Wir haben doch erst gestern Abend sehr lange miteinander telefoniert. Auch wenn dein Leben aufregender ist als mein Leben, kann doch über Nacht nicht so viel geschehen sein, dass du erneut zum Hörer greifen musst, oder?«

Der neue Sonnenwinkel 74 – Familienroman

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