Читать книгу Die junge Gräfin 25 – Adelsroman - Michaela Dornberg - Страница 3

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Wildzuckende grellgelbe Blitze zerrissen den nachtdunklen Himmel, krachend folgte unmittelbar danach der Donner.

Ein heftiges Gewitter tobte direkt über Schloss Waldenburg. Alexandra mochte Gewitter nicht. Sie hatte sie noch niemals gemocht, sich als kleines Mädchen sogar davor gefürchtet.

Früher war sie jedes Mal in das Bett ihrer Eltern geflüchtet, die sie beruhigend in die Arme genommen hatten.

Heute konnte sie nirgendwo hingehen. Ihre Eltern lebten in der Toskana, ihre Schwester Sabrina war verheiratet und glücklich mit ihren vier kleinen Töchtern.

Sabrina war fasziniert von den tobenden Unwettern gewesen und hatte Blitze und Donner gemocht.

Und Ingo?

Merkwürdig, dass Alexandra sich daran nicht mehr erinnern konnte.

Lag es daran, dass ihr Unterbewusstsein bemüht war, alle Gedanken an ihren Bruder Ingo auszuradieren, weil es keine guten Gedanken waren?

Früher hatte sie Ingo angebetet, ihren großen Bruder, und das würde sie sicherlich auch heute noch tun, obschon sie mittlerweile wusste, dass er nur ihr Halbbruder war, weil ihre Mutter ihn bereits unter ihrem Herzen getragen hatte, als Benno Graf Waldenburg und sie sich begegnet waren.

Am sechzigsten Geburtstag ihres Vaters war dieser gewaltige Riss durch die Familie gegangen, der noch immer wie eine klaffende Wunde war, die unglaublich schmerzte.

Dabei hatte alles so schön begonnen, war so harmonisch verlaufen. Alle waren sie glücklich gewesen, bis zu dem Moment, da ihr Vater vor allen verkündet hatte, dass seine jüngste Tochter Alexandra seine Nachfolgerin werden sollte, nicht, wie allgemein erwartet, Ingo, der Erstgeborene.

In diesem Sinne war Ingo erzogen worden, und auch die Tatsache, dass er kein echter Waldenburg war, hätte ihm den ersten Platz in der Nachfolge nicht streitig gemacht. Ingo war für Benno immer sein Sohn gewesen.

Nein, zum Glück war rechtzeitig ans Tageslicht gekommen, dass Ingo ein schändliches Spiel spielte und nach Antritt der Nachfolge alles verkauft hätte. Den gesamten Waldenburg’schen Besitz, einschließlich des Schlosses.

In dieser Nacht hatte Alexandra auch erfahren, dass Ingo nur ihr Halbbruder war.

Was danach passiert war, hätte sie am liebsten vergessen, ganz aus ihrem Leben gestrichen, doch es hatte sich tief und schmerzhaft in ihr eingegraben.

Ingo hatte mit der Familie gebrochen, unsinnige Forderungen gestellt, Konten abgeräumt, ein großes Waldstück illegal abholzen lassen, durch seine Anwälte unter Androhung von Strafe verbieten lassen, sich ihm zu nähern. Und dennoch hatte er die Familie in Anspruch genommen, als es darum gegangen war, Spielschulden von hunderttausend Euro zu begleichen. Auch wenn er nicht unmittelbar daran beteiligt gewesen war, sondern zur Aufklärung entscheidend beigetragen hatte, waren es doch seine alten Kumpanen gewesen, die Michelle, seine Tochter, entführt hatten. Welch ein Glück, dass es glimpflich ausgegangen war.

Die Leidtragende war sie, denn ihre Schwägerin Marion hatte danach sofort mit Michelle Waldenburg verlassen.

Ob Ingo wirklich eine Therapie gegen seine Spielsucht machte?

Sie hatte keine Ahnung, denn er hatte seine Wohnung verkauft, sogar mit Bildern, Silber und sonstigem Hausrat, der zum Waldenburg’schen Besitz gehörte und nicht veräußert werden durfte.

Vielleicht hatte Sabrina ja recht, dass sie mit Ingo gebrochen und ihn aus ihrem Leben gestrichen hatte.

Sie selbst konnte so radikal nicht sein, sie liebte ihren Bruder Ingo, trotz all dieser schmerzlichen Enttäuschungen, noch immer. Sie konnte die vielen schönen Jahre mit ihm nicht aus ihrem Leben streichen.

Wo er jetzt wohl war?

Hatte er den Dreh bekommen in Richtung eines normalen Lebens?

Oder hatte er das Geld für den Erlös der Wohnung, die ihr Vater für ihn gekauft hatte, mittlerweile verzockt? Wie es schien, hatte Ingo ja leider die Gene seines leiblichen Vaters geerbt, der zwar aus einem uralten Adelsgeschlecht stammte, aber sein ganzes Vermögen verspielt hatte und nun ein Sozialfall war, weil die Familie sich von ihm abgewandt hatte.

Alexandra seufzte und wandte sich vom Fenster ab.

Warum dachte sie jetzt eigentlich daran?

Warum holte sie all diese schmerzlichen Erinnerungen ausgerechnet jetzt wieder hervor?

Wollte sie auf das Elend, was in ihr war, das alles auch noch daraufpacken, um zu demonstrieren, dass ein Mensch unendlich viel ertragen konnte?

Nein!

Nicht die Vergangenheit!

Nicht Ingo, von dem sie vielleicht niemals mehr etwas hören würde. Selbst ihre Mutter hatte es aufgegeben, daran zu glauben, dass ihr geliebter Sohn in den Schoß der Familie zurückkehren würde.

Wenn sie ehrlich war, wollte sie ja auch nicht an Ingo denken und all den Ärger, den er ihnen gemacht hatte.

Im Grunde genommen wollte sie nur abgelenkt werden von dem Schmerz, der in ihr tobte, seit sie aus Greven zurückgekehrt war, dem Jagdschlösschen, in dem ihre Schwester Sabrina mit ihrer Familie wohnte.

Sie hätte sich niemals darauf einlassen sollen, Joe wiederzusehen, der eigentlich Graf Joachim Bechstein hieß und ihre große, hoffnungslose Liebe war.

Was hatte sie eigentlich gedacht, was dieses kurze Wiedersehen bringen würde? Dass Joe seinen Verlobungsring vom Finger streifen würde und mit fliegenden Fahnen zu ihr überwechseln würde?

Schön, sie wusste jetzt, dass sie ihm auch nicht gleichgültig war und dass, wenn nicht alles so dumm gelaufen, sie jetzt die Frau an seiner Seite wäre.

Sie wusste jetzt, wie unbeschreiblich schön es war, in seinen Armen zu liegen und von ihm geküsst zu werden.

Und was hatte sie davon?

Nichts, rein gar nichts.

Während sie noch nach ihm schmachtete, hatte er vermutlich diesen kleinen Zwischenfall längst vergessen und sie abgehakt und sich Benita von Ahnenfeld, seiner Verlobten, zugewandt. Was vollkommen legitim war. Sie wollte sich nicht zwischen ihn und Benita stellen. Sich in eine bestehende Partnerschaft zu drängen brachte kein Glück.

Ja, was wollte sie dann?

Ich will ihn, dachte sie voller Verzweiflung.

Alexandra zuckte zusammen, weil genau in diesem Moment Blitz und Donner beinahe gleichzeitig erfolgten.

War das ein Zeichen?

Sie lief zu einem ihrer kleinen Sessel, setzte sich mit hochgezogenen Beinen hinein und legte ihren Kopf auf ihre Knie.

Joe hatte ihr gesagt, durch die Situation überfordert zu sein, er hatte sie um Bedenkzeit gebeten.

Wie viel Zeit brauchte er eigentlich?

Plötzlich einsetzender Regen prasselte gegen die Scheiben. Hoffentlich hatte man überall die Fenster geschlossen, dachte Alexandra besorgt.

Schon wollte sie aufstehen um sich zu überzeugen, als ihr Telefon klingelte.

Ein wenig unsicher schaute sie zum Apparat.

Wie war das eigentlich? Durfte man bei einem derartigen Gewitter eigentlich telefonieren, oder war es nur ratsamer Fernseher auszuschalten?

Weil das Läuten nicht aufhörte, griff sie schließlich zum Hörer und meldete sich, zumal das Gewitter, so plötzlich und heftig es gekommen war, weitergezogen zu sein schien.

Die Anruferin war ihre Schwester Sabrina.

»Warum meldest du dich nicht, ich wollte schon wieder auflegen?«, beschwerte Sabrina sich.

»Weil über Schloss Waldenburg ein heftiges Gewitter tobt.« Sabrina lachte.

»Und du stirbst vor lauter Angst. Verflixt noch mal, Alexandra, du bist kein kleines Mädchen mehr. Betrachte ein Gewitter als ein grandioses Naturschauspiel.«

»Das werde ich niemals können«, erwiderte Alexandra, »ich bin halt nicht wie du.«

»Alexandra, Alexandra, ich werde dich niemals verstehen. Bei einem Gewitter würdest du dich am liebsten in einem Schneckenhaus verkriechen. Auf der anderen Seite hast du kein Problem damit, dich durchgehenden Pferden oder bissigen Hunden in den Weg zu stellen. Aber was soll’s. Es ist müßig, mit dir darüber zu reden, mein kleiner Hasenfuß, Gewitter-Hasenfuß. Ich rufe dich an, um dir zu berichten, dass ich gerade mit Joachim telefoniert habe.«

»Wer hat angerufen, er oder du?«, kam es wie aus der Pistole geschossen aus Alexandras Mund.

Ein wenig irritiert erkundigte Sabrina sich: »Welche Rolle spielt das? Aber schön, wenn du es genau wissen willst. Joachim hat mich angerufen. Er wollte wissen, wie er dich erreichen kann, und ich habe ihm alles durchgegeben, deine Adresse, sämtliche Telefonnummern, E-mail und so fort.«

Alexandra wurde abwechselnd rot und blass, ihre Hände wurden feucht, und sie spürte, wie ihr Herz dumpf und heftig gegen ihre Rippen schlug.

Endlich, dachte sie, laut bemerkte sie hastig: »Dann lass uns das Gespräch schnell beenden, falls er versuchen will, mich zu erreichen.«

»Hallo, gemach, gemach, entspann dich, Alexandra. Er wird dich nicht anrufen, weil er nämlich gleich mit einem seiner Scheichs zu einem Geschäftstermin muss. Wir können also ganz entspannt miteinander reden. Die Kinderfrau hat frei, und ich habe meinen Elmar dazu verdonnert, sich um die Kinder zu kümmern, die Großen, mein Sonnenscheinchen Elisabeth liegt hier neben mir auf dem Sofa und schläft. Sie sieht ja so süß aus, ganz wie unsere Mama, die ihre Namensgeberin ist … Ich glaube, Elisabethchen wird die Hübscheste von allen, wenngleich auch meine Großen wunderschöne Mädchen sind … Ach, ich kann einfach nicht genug von ihnen bekommen. Und eines steht auf jeden Fall fest, mit Elisabeth ist noch lange nicht Schluss. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als Mutter zu sein, zu beobachten, wie die Kinder heranwachsen, wie sie sich entwickeln, jedes zu einer eigenen kleinen Persönlichkeit.«

Alexandra liebte ihre vier Nichten über alles, und sie konnte nicht genug davon bekommen, etwas über sie zu hören oder über sie zu reden.

Aber jetzt war es nun ganz gewiss nicht der rechte Augenblick. Jetzt wollte sie mehr über Joe erfahren – was er gesagt, was er gefragt hatte.

»Sabrina, ich liebe deine Kinder ebenfalls, und ich kann deine Begeisterung durchaus verstehen, aber jetzt möchte ich mehr über das Gespräch mit Joe …, Joachim, wissen.«

»Alexandra, ich verstehe nicht ganz. Da gibt es nichts Spannendes zu berichten. Er hat gesagt, dass sein Rückflug über Zürich ganz schrecklich war, die Maschine hatte Verspätung, er hat gesagt, dass es unerträglich heiß ist, er viel zu tun hat, dass gerade ein neues, millionenschweres Projekt in Angriff genommen wird, und dann hat er gesagt, dass er wegen dieses Geschäftstermins in Eile ist. Ganz zum Schluss hat er nach deiner Adresse und Telefonnummer gefragt. Das habe ich dir doch schon erzählt. Ich habe ihm alles gesagt, und bestimmt wird er sich bald bei dir melden. Wenn das der Fall sein wird, sei locker und entspannt und vermassele dir nicht alles.«

Alexandra musste ihre Enttäuschung unterdrücken.

Das war alles gewesen?

Was hatte sie denn erwartet?

Sie konnte nichts sagen, was zur Folge hatte, dass Sabrina sich erkundigte: »Hallo, bist du noch da?«

Alexandra riss sich zusammen.

»Ja, ja«, sagte sie, und auch wenn es töricht war, weil Sabrina alles gesagt hatte, konnte sie es sich nicht verkneifen, doch noch eine Frage zu stellen. »Sag mal, Sabrina, und sonst hat er sich nicht nach mir erkundigt?«

»Nein, Alexandra, wenn es so gewesen wäre, dann hätte ich es dir schon gesagt … Im Übrigen ist Joachim kein Mensch, der das, was ihn in seinem Inneren bewegt, mit anderen bespricht.«

»Ich denke, ihr seid Freunde?«

»Das sind wir, dennoch sind gewisse Themen tabu … Wart’s doch einfach ab. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Er wird sich bei dir melden, und ich bin überzeugt davon, dass alles gut wird … Ach, bei der Gelegenheit was anderes …, du hast doch mit Hubertus gesprochen, hat er da irgendwie erwähnt, dass er sich bald zurückziehen und einen seiner Söhne bestimmen will, seine Nachfolge anzutreten?«

Sie hatten darüber gesprochen, aber sie hatte Hubertus versprochen, darüber Stillschweigen zu bewahren. Und auch wenn Sabrina ihre Schwester war und sie keine Geheimnisse voreinander hatten, würde sie keinen Vertrauensbruch begehen und darüber plaudern.

Sie beantwortete die Frage nicht direkt, sondern antwortete mit einer Gegenfrage: »Wie kommst du denn darauf?«

»Ich mein nur so, weil Hubertus ein paar merkwürdige Andeutungen gemacht hat. Ich reiß mich auf jeden Fall nicht darum, in den alten großen Kasten dort drüben einzuziehen. Hoffentlich geht der Kelch an uns vorüber. Ich fühle mich hier in meinem kleinen Jagdschlösschen pudelwohl und rundherum glücklich.«

»Auch Schloss Greven kann man wunderschön herrichten, Sabrina. Das beste Beispiel ist doch das Fernsehzimmer, das du neu gestaltet hast. Das ist dir ganz fantastisch gelungen, und Hubertus, der eigentlich mehr an allem Alten hängt, ist hellauf begeistert. Er hat mir verraten, dass er sich in diesem Raum am liebsten aufhält, und wir haben dort auch unseren Tee eingenommen.«

»Und er hat dir wirklich nicht gesagt, was er so plant? Dir gegenüber ist er sehr offen.«

Wieder antwortete sie nicht direkt.

»Sabrina, warum sollte er? Ich bin ein angeheiratetes Anhängsel. Gravierende Dinge wird Hubertus ganz bestimmt nicht mit mir, sondern mit seinen Söhnen und dir, als seiner Schwiegertochter, die er sehr gern mag, besprechen.«

Das Thema wurde ihr zu heiß, sie wollte Sabrina nicht anlügen, kannte aber deren Art, so lange zu bohren, bis man sich verplapperte.

»Ich finde, Hubertus ist wirklich ein sehr stattlicher Mann. Und sein Alter sieht man ihm nicht an. Das liegt bestimmt an all seinen sportlichen Aktivitäten … Er hat mir im Übrigen erzählt, dass Ariane ihn besuchen wird, zusammen mit ihrem amerikanischen Freund. Es scheint etwas Ernstes zu sein.«

»Ja, ich weiß, darüber hat er mit uns auch gesprochen, wenn sie diesen Ami heiratet, dann geht Hubertus’ Wunsch nicht in Erfüllung, sie irgendwann wieder auf Greven bei sich zu haben.«

»Hubertus ist ziemlich unglücklich darüber, dass er so wenig über Ariane weiß, dass er nichts von ihrer Kindheit, ihrer Jugend mitbekommen hat.«

»Das finde ich auch ziemlich traurig, und ehrlich mal, Alexandra, ich finde es von Arianes Mutter ein wenig unverantwortlich, ihrer Tochter nicht erzählt zu haben, wer ihr Vater ist, auch Hubertus hätte es erfahren müssen. Es hätte ihn glücklich gemacht, zusammen mit seiner großen Liebe ein Kind zu haben, und er hätte sich vor der Verantwortung nicht gedrückt.«

»Sabrina, ich kann Christine verstehen. Hubertus hat sie verlassen, weil seine Eltern wollten, dass er standesgemäß heiratet, und diesem Wunsch ist er nachgekommen, indem er Henriette geheiratet hat. Als sie sich Jahre später zufällig begegneten, war er verheiratet und Vater dreier Söhne. Jetzt, als Chef des Hauses Greven, hätte er seine Familie verlassen, aber das wollte Christine nicht, sie wollte seine Familie nicht zerstören und ihr Glück nicht auf dem Unglück einer anderen Frau aufbauen …, das finde ich sehr edel und nachvollziehbar, und Sabrina«, sie wechselte wieder das Thema, »das ist auch mein Problem … Ich liebe Joe …, Joachim, kann mir nichts Schöneres vorstellen, als den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen. Doch da ist noch Benita. Er hat ein Problem damit, sie zu verlassen, und ich habe es auch … Vielleicht …, nun, vielleicht hättest du ihm meine Telefonnummern, meine …«

Sie konnte ihren Satz nicht beenden, denn Sabrina fuhr barsch dazwischen: »Alexandra, hör bitte auf, nicht schon wieder diese alte Leier. Niemand auf der ganzen Welt muss aus lauter Edelmut mit jemandem zusammen sein …, zwischen Elmar und mir ist alles in Ordnung. Da könnte wer-weiß-nicht-wer kommen, niemand, ob Männlein oder Weiblein, könnte sich zwischen uns drängen, weil wir wissen, was wir aneinander haben. Das mit Benita und Joachim hatte von vornherein keine solide Grundlage … Er hat sich ihr zugewandt, weil er dich verloren hat, ehe ihr überhaupt zusammen sein konntet, und Benita hat sich an ihm festgekrallt, weil er standesgemäß und ein Supermann ist, sie sieht in ihm nicht einen Partner, sondern er ist für sie eine Trophäe, die sie stolz herumzeigen kann. Sie haben überhaupt keine gemeinsamen Interessen, wenn er von der Sonne spricht, spricht sie vom Mond.«

»Halt, stop mal, Sabrina«, wandte Alexandra ein. »Da muss schon mehr zwischen ihnen sein. Ein Außenstehender kann das eh nicht beurteilen. Der kann das nur subjektiv sehen. Aber du hast ja schon recht, es bringt nichts, jetzt alles zu zerreden …, ich hoffe ja noch immer, dass sie ihm den Laufpass geben wird.«

»Alexandra, träum weiter. Das Leben ist kein Honigtopf, in den man bei Bedarf hineinlangen kann. Papa hat dir Waldenburg anvertraut, du bist diejenige, die unser Haus in die nächste Generation führen darf. Du bist in geschäftlichen Dingen eine knallharte Partnerin, dir kann niemand etwas vormachen. Bitte, verrate mir mal, was da im emotionalen Bereich bei dir schiefgelaufen ist. Warum hast du diese spätpubertären Vorstellungen von Liebe und Moral?«

»Weil ich bedenkenlos in jeden Spiegel schauen möchte, ohne dabei Schuldgefühle haben zu müssen. Wir leben in einer Gesellschaft, die streckenweise keine hohen moralischen Ansprüche mehr hat an das, was das Leben wirklich ausmacht – und daran ist zum Teil die Werbung schuld. Aussprüche wie Geiz ist geil, ich bin doch nicht blöd, machen etwas mit den Menschen. Personen, von denen man eine Vorbildfunktion erwartet, an die man einen hohen moralischen Anspruch hat, versinken in einem Netz von Lügen, der Korruption … Sorry, Sabrina, ich kann mit so etwas nicht umgehen, und man kann die Gesellschaft nicht verändern, wenn man nicht bei sich selbst anfängt …, aber warum ereifere ich mich eigentlich wieder mal. Ich werde die Welt nicht verändern, und deswegen ist es auch müßig, darüber zu sprechen. Lange Rede kurzer Sinn, ich liebe Joachim von Bechstein, es ist über mich gekommen wie ein Blitzschlag, und ich weiß, dass es so etwas, wo Herz und Seele sich berühren, nicht andauernd vorkommt, aber …«

»Halt, hör auf, Alexandra. Ich kenne dich mein Leben lang, also lange genug um zu wissen, dass es überhaupt nichts bringt, mit dir jetzt weiterzureden. Kommt Zeit, kommt Rat. Der liebe Gott, das Schicksal, die Vorsehung oder wie immer du es auch nennen magst, wird dich auf den richtigen Weg bringen. Und wenn du auf dieser Spur bist, wird alles ganz einfach werden, dann gibt es keine Widerstände mehr, alles fügt sich, wie bei einem Puzzle, Steinchen um Steinchen zu einem fertigen Bild. Damit alles so eintreffen kann, darfst du dich nicht verweigern, sondern du musst dich dem Fluss des Lebens hingeben, und dann kannst du davon ausgehen«, sie stockte, stieß einen kleinen Schrei aus, der Alexandra veranlasste, sich besorgt zu erkundigen: »Sabrina, was ist los?«

»Elisabethchen ist wach geworden, und jetzt blickt sie mich aus ihren blauen Sternenaugen an und strahlt mich an …, wie schade, dass ich jetzt keinen Fotoapparat dabei habe.«

Mütter, dachte Alexandra, wenn sie so begeistert waren wie ihre Schwester, dann vergaßen sie alles, sogar ihre angefangenen Sätze zu beenden.

Kinder waren aber auch etwas so Schönes. Sie wünschte sich selber welche. Doch dazu fehlte ihr leider der entsprechende Ehemann.

Joe wäre ganz gewiss ein hingebungsvoller Vater. Er konnte gut mit Kindern umgehen, das hatte sie mehr als nur einmal bemerkt, und Kinder hatten einen sicheren Instinkt dafür, wer es ehrlich meinte und ihnen wirklich Gefühle ­entgegenbrachte und nicht nur so tat.

Ihre kleinen Nichten hingen mit abgöttischer Liebe an Joe.

»Dann kümmere dich jetzt um deine kleine Tochter mit den Sternenaugen«, sagte Alexandra. »Wir können morgen wieder miteinander telefonieren.«

»Gern, kleine Schwester«, antwortete Sabrina, »aber du musst mir versprechen, dass das Thema Joachim von Bechstein ein Tabu bleiben wird.«

Das war nun überhaupt nicht in Alexandras Sinn, und das konnte sie auch nicht versprechen. Mit wem sonst als mit Sabrina konnte sie über Joe reden? Ihre Freundin Liliane fiel ihr ein, und die würde sie gleich anrufen.

»Sabrina, ich bitte dich«, ließ sie sich ein Hintertürchen offen, »für ein Gespräch unter Schwestern müssen wir doch keine Tagesordnungspunkte festlegen … Gespräche entwickeln sich, haben eine Eigendynamik … Wenn es dich jedoch beruhigt, dann verspreche ich, von mir aus nicht mit dem Thema anzufangen.«

»Das sagst du so großherzig«, lachte Sabrina, »weil du insgeheim hoffst, dass ich davon anfangen werde … So, nun wirklich genug geplaudert, gleich wird mein Sonnenscheinchen anfangen zu schreien. Die Kleine muss nämlich gleich ihr Fläschchen kriegen, und wenn sie hungrig ist, da kann sie brüllen wie ein Löwe in seinem Käfig. Bis morgen dann, Alexandra, und denke daran …, alles wird gut.«

Alexandra hätte jetzt gern geantwortet – dein Wort in Gottes Ohr, doch das verkniff sie sich, weil sie es so oft gebraucht hatte, dass es mittlerweile abgedroschen klang.

»Bis morgen, Sabrina …, und danke für deinen Anruf …, und grüß Elmar von mir und knuddele die anderen drei Sonnenscheinchen auch von mir.«

Sie legte auf, dann erhob sie sich aus ihrem Sessel und trat erneut ans Fenster.

Das Gewitter hatte sich wirklich verzogen, nur der Regen prasselte unvermindert stark und klatschte, getrieben vom Wind, gegen die Scheiben.

Alexandra bemerkte, dass ein Blitz in einen der großen, alten Magnolienbäume eingeschlagen war und ihn gespaltet hatte.

Schade um den Baum, sie hatte ihn sehr gemocht, und sie würde seine Blütenpracht vermissen.

Alles war vergänglich …

Doch besser ein Einschlag in einem Baum, mochte er noch so prächtig sein, als im Schloss. Da wären die Folgen fataler gewesen.

Und so konnte man alles von zwei Seiten betrachten.

Doch ehe sie anfing darüber so philosophieren, ging sie zu ihrem Sessel zurück und griff erneut nach dem Telefon, um ihre Freundin Liliane anzurufen.

*

Liliane musste direkt neben dem Telefon gesessen haben, denn es hatte keine dreimal geklingelt, als sie sich meldete.

»Grüß dich, Lil, schön, dass ich dich sofort erreiche«, sagte Alexandra.

»Wer spricht da bitte?«, erkundigte Liliane sich. »Mit wem spreche ich?«

Was sollte das denn?

»Lil, was soll der Quatsch, du weißt doch, wer ich bin …, deine allerbeste Freundin Alexandra.«

»Alexandra?«, wiederholte Liliane gedehnt. »Ach so, ja, natürlich, irgendwann gab es in meinem Leben diese Freundin, aber das liegt Ewigkeiten zurück. Ich kann mich kaum noch erinnern.«

Alexandra war nicht in der Verfassung, jetzt Spielchen zu spielen, natürlich wusste sie, dass Lil sie aufziehen wollte, nur danach war ihr wirklich nicht zumute.

»Hallo, liebe Freundin, lässt dein Gedächtnis bereits so sehr nach? Wir haben erst vor ein paar Tagen miteinander telefoniert, und dass dieses Telefonat so kurz war, lag einzig und allein daran, dass du mit deinem Liebsten weggehen wolltest und keine Zeit für mich hattest … Wo steht übrigens geschrieben, dass immer ich diejenige sein muss, die anruft? Es gibt auch eine direkte Leitung von Kaimburg nach Waldenburg.«

Liliane lachte.

»Hör auf, Alex, jetzt bitte keine Schuldzuweisungen, wenn du willst, schütte ich Asche über mein Haupt …, hat bei euch das Gewitter auch so getobt? Hier hat es einige heftige Einschläge gegeben, die Feuerwehr war pausenlos im Einsatz … Mir haben ganz schön die Knie geschlottert, denn das Gewitter war direkt über uns, mannomanno. So was habe ich überhaupt noch nicht erlebt.«

»Ja, es war wirklich heftig, und ich hatte auch Angst …, oder Angst vielleicht nicht. Es war mir unheimlich, und ich hatte ebenfalls das Gefühl, dass es sich direkt über dem Schloss austobte …, so weit ich übersehen kann, ist nichts weiter passiert. Aber es hat den wunderschönen alten Magnolienbaum getroffen, den neben der Terrasse.«

»Also dicht beim Schloss …, sieh es mal so …, er hat sich geopfert, um größeren Schaden zu verhindern.«

Darauf wollte Alexandra nun nicht eingehen, denn das war wohl ein wenig bei den Haaren herbeigezogen, wenn man sich den Baum vorstellte und das große, imposante Schloss. Das wäre zu vergleichen mit einer Ameise, die einem Elefanten den Kampf ansagte.

»Wie sieht es mit deiner Zeit aus, Lil«, wechselte sie das Thema. »Wir könnten uns wirklich wieder mal treffen, entweder in Kaimburg oder hier bei mir auf Waldenburg. Wie du weißt, kocht Monika nicht schlechter als ihre Vorgängerinnen Gesa und Klara.«

»Eine gute Idee, natürlich ziehe ich den Komfort von Schloss Waldenburg jedem Restaurant in Kaimburg vor … Wir könnten ja auch mal wieder einen Mädchenabend machen. Irgendwie sind diese Treffen nach einigen Malen eingeschlafen, dabei war es doch mit Rita und Katrin immer recht lustig.«

»Ja, ich fand es auch immer schön. Aber Rita ist schwer verliebt und will ihre Freizeit nur noch mit diesem jungen Rechtsanwalt verbringen. Und Katrin krempelt den Brehme-Hof vollkommen auf Bio um, sie hat die Hände voll zu tun und ist vermutlich froh, wenn sie abends nach getaner Arbeit die Füße hochlegen kann. Sie muss sich ja auch noch um ihren Vater kümmern, der ganz schön abgebaut hat in der letzten Zeit.«

»Um Katrin mache ich mir Sorgen«, bemerkte Liliane.

»Sorgen? Wieso? Sie ist auf dem elterlichen Hof doch so richtig in ihrem Element.«

»Ja, ja, das ist sie. Aber die Durchführung ihrer Pläne kostet viel Geld. Ihre Reserven sind aufgebraucht, und der alte Bauer hat in den letzten Jahren so vor sich hingewerkelt, ohne Gewinne mit seiner Landwirtschaft zu erzielen. Katrin hat wohl versucht bei der Bank einen Kredit zu bekommen, aber die Herren haben natürlich abgewunken. Der Brehme-Hof mit den dazugehörenden Ländereien stellt zwar einen gewissen Wert dar, aber der lässt sich erst bei einem Verkauf realisieren, für Pläne, mögen sie noch so gut und fundiert sein, die zu erwartenden Erträge realisierbar, dafür geben dir diese grauen Anzüge von der Bank nichts. Die wollen positive Bilanzen sehen, nachweisbares Vermögen, das sich sofort verscherbeln lässt. Katrin hängt ganz schön am Fliegenfänger, ein Abend mit uns würde sie bestimmt aufheitern.«

Alexandra war ganz betroffen.

»Das wusste ich ja überhaupt nicht. Warum weißt du das alles? Warum redet sie nicht mit mir darüber? Ich bin doch auch ihre Freundin.«

»Das würde Katrin nicht tun, obschon ihr befreundet seid, bist du immerhin auch noch die Gräfin Waldenburg, und vor den Waldenburgs haben alle Leute ringsum Respekt. Zu denen geht man nicht, um sich auszuweinen. Außerdem hast du ja viel für die Brehmes getan. Du hast Hubert Brehme den Hof abgekauft, als er ihn an eine Baugesellschaft abgeben wollte, die auf dem Grundstück Einfamilienhäuser errichten wollte. Du hast es getan, um diesen traditionsreichen Hof in seiner Subs­tanz zu erhalten ohne zu wissen, was du damit anfangen sollst. Und du hast ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, zu den Konditionen zurückgegeben, als Katrin in die Heimat zurückgekommen ist, um den Hof ganz im Sinne der Tradition weiterzubewirtschaften. Sie hat deswegen noch immer ein schlechtes Gewissen.«

»So ein Quatsch, ich war froh, den Brehme-Hof wieder loszuwerden.«

»Alex, darum geht es nicht. Katrin fühlt sich schlecht, weil sie die Bitten ihres Vaters, nach Hause zu kommen, ignoriert hat, während du sofort gesehen hast, dass Not am Manne ist, dass Hubert Brehme nicht mehr kann … Wenn du den Hof nicht gerettet hättest, dann wäre er jetzt zerschlagen, ein Jahrhunderte altes Bauerngeschlecht gäbe es auf eigener Scholle nicht mehr.«

»Es ist gut gegangen, ich war zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich muss unbedingt mit Katrin reden, damit sie sich diese verqueren Gedanken aus dem Kopf schlägt … Also gut, ich bin einverstanden, wann sollen wir das Treffen veranstalten?«

»Morgen«, kam es sofort aus Lilianes Mund. »Das trifft sich sogar ganz wunderbar. Mein Liebster geht mit seinen Kumpels ein Bier trinken, vielleicht ziehen sie auch sonst noch ein wenig um die Häuser. Du weißt ja, Männer können manchmal wie Kinder sein.«

»Das weiß ich nicht, denn ich habe keinen so reichen Erfahrungsschatz wie du. Aber es wundert mich schon, wie gelassen du das jetzt siehst. Als du noch mit Dr. Dammer verlobt warst, hättest du geschäumt, wenn er es gewagt hätte, einen Abend ohne dich zu verbringen.«

»Ich könnte ja jetzt sagen, durch Schaden wird man klug. Aber das trifft nicht den Kern der Sache … Mit Lars war das wohl eher so was wie eine pubertäre Geschichte, wir haben beide geklammert, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Mit Mark ist es anders, wir begegnen uns auf Augenhöhe, und wir haben ein Urvertrauen zueinander. Ich bin bei ihm, er ist bei mir angekommen,

und das lassen wir uns durch Spielchen, Machtkämpfe, Eifersuchtsszenen oder ähnliches nicht kaputtmachen. Im nächsten Monat ist seine Scheidung durch, und dann werden wir, sobald es dem Gesetz nach möglich ist, heiraten. Er ist der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte, und da ich eine Ehe hinter mir habe und eine geplatzte Verlobung weiß ich, wovon ich rede. Mark weiß auch, was er an mir hat. Er würde mich für alles Geld, für alles Gold der Welt nicht mehr hergeben …, wir wissen, dass wir füreinander bestimmt sind. Wir haben wohl aufeinander gewartet.«

»Nur, liebe Lil, um dich zu bekommen, hat er sich von seiner Frau getrennt. Ich will dir nicht zu nahe treten, aber ein bisschen baust du dein Glück schon auf einem Scherbenhaufen auf.«

Lil seufzte.

»Wieso fängst du immer wieder davon an, Alex? Weil für dich die Ehe unauflöslich ist, weil man nach deinem Dafürhalten ein Leben lang auf Gedeih und Verderben zusammenbleiben muss? Schön, du hast leuchtende Vorbilder. Die Ehe deiner Eltern ist beispielhaft, die lieben sich wirklich, und auch Sabrina und Elmar haben anscheinend das große Los gezogen, aber die Ehe deines Bruders Ingo ist gescheitert, obwohl Marion für ihn so etwas wie ein Sechser im Lotto war. Und was Mark und seine Frau anbelangt …, die Ehe war schon lange kaputt, sie haben sich gegenseitig betrogen, sie hatte schon vor ihm einen neuen festen Freund. Nur das Geschäft hat sie noch zusammengehalten, sie waren sich aber immer im Klaren darüber, dass sie sich scheiden lassen würden, wenn einer von ihnen das will, um neu heiraten zu können. Sie haben sogar einen gemeinsamen Anwalt genommen, und sie haben keinen Rosenkrieg geführt, sondern wie es unter zwei Erwachsenen eigentlich üblich sein sollte, alles gerecht aufgeteilt. Sie können sich auch nach der Scheidung begegnen, ohne Groll aufeinander haben zu müssen, sondern mit angenehmen Erinnerungen an eine schöne, ­gemeinsame Zeit. Zum Glück haben sie nicht vor, hinterher Freunde ­bleiben zu wollen, so was halte ich persönlich für einen ausgemachten Unsinn. Denn jeder vernünftige Mensch fragt sich dann doch, warum sie sich überhaupt haben scheiden lassen, wenn sie es so gut miteinander können … Alex, liebste Freundin, ich habe mich in nichts gedrängt. Ich hätte die Königin von Saba sein können, wenn es zwischen Mark und seiner Frau gestimmt hätte, hätte er mich nicht einmal angesehen.«

Alexandra hatte eigentlich mit Liliane über Joe sprechen wollen, Lil kannte die ganze Geschichte, aber irgendetwas hielt sie zurück. Sie würde mit ihr darüber reden, aber heute nicht. Es sei denn, Lil käme auf das Thema.

Das war zum Glück nicht der Fall, sie begann unvermittelt über ihren Job zu sprechen, das, was Mark und sie noch alles planten, und dann erzählte sie, dass Dr. Lars Dammer, ihr Ex-Verlobter, sich wieder sehr um sie bemühte.

»Lil, meine Meinung dazu kennst du. Du bist in einer festen Beziehung, weißt, dass du mit Mark zusammenbleiben willst. Für mich bist du, entschuldige bitte, so etwas wie der Esel, der aufs Eis tanzen geht. Lars hat sich nicht gerade gentlemanlike benommen, ihr hattet eine Auf-und-Ab-Beziehung. Jetzt ist Ruhe in dein Leben eingekehrt. Warum setzt du alles aufs Spiel? Nur, weil seine Bewunderung deinem Ego guttut? Du willst ihn doch überhaupt nicht zurückhaben.«

»Halt, stop mal, liebe Alex. Ereifere dich nicht sofort, ich habe es längst begriffen, dazu hast du mir bereits viel zu sehr ins Gewissen geredet. Ich will ihn nicht, und ich habe ihm, deinem Rat folgend, all seine Briefe zurückgeschickt und ihm klargemacht, dass unser Weg zu Ende ist, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft mehr geben kann. Dennoch hat er es wieder versucht, und wenn du mich hättest ausreden lassen und nicht gleich vorgeprescht wärst mit deinen moralischen Bedenken, dann hätte ich dir gesagt, dass ich ihm verbeten habe, mich nochmals zu belästigen, ich habe ihm geschrieben, dass ich sehr bald heiraten werde, was ja auch stimmt, und an ihn appelliert, nicht die Erinnerungen an eine doch recht nette gemeinsame Zeit zu zerstören, die durchaus auch ihre Highlights hatte … Es war gemein, aber ich habe ihm deutlich gemacht, dass er das nächste Mal keine Post mehr von mir bekommen wird, sondern von meinem Rechtsanwalt … Ich denke, dass er es kapiert hat. Ich muss ja zugeben, dass es mir schon geschmeichelt hat, von ihm wieder so heiß begehrt zu werden, immerhin ist er ja nicht irgendein dahergelaufener Junge, sondern ein etablierte Arzt, der noch eine große Zukunft vor sich hat.«

»Der dennoch nicht einen Funken Anstand besaß, als du ihm nach Amerika nachgereist warst, um eure Beziehung zu retten …, er hat dich, wie eine lästige Bettlerin, einfach stehen lassen. Mein Stolz hätte mir verboten, danach auch nur ein einziges Wort mit ihm zu sprechen, und du weißt, meine liebe Lil, dass ich mich mit dem smarte Doktor immer sehr gut verstanden habe.«

Liliane kicherte.

»Und ob ich das weiß, Lars und du, ihr habt mich oft genug ins offene Messer laufen lassen, indem ihr euch gegen mich verbündet habt. Aber das ist großzügig vergessen und vergeben, denn ich weiß, dass ich mich streckenweise unmöglich benommen habe. Es ist aus und vorbei, und deswegen lass uns das Thema forever beenden, es ist für alle Zeiten perdu.«

Alexandra musste lachen.

»Lil, was ist los? Du schmeißt mit Fremdwörtern nur so um dich …, for­ever …, perdu …, mich musst du nicht beeindrucken, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir sowohl Englisch als auch Französisch in der Schule hatten, nicht daran allerdings, dass diese beiden Fächer zu deinen Favoriten zählten.«

Liliane fiel in das Lachen ihrer Freundin mit ein.

»Du hast recht, meine liebe Alex. Und ich kann auch heute noch nicht behaupten, dass sich daran etwas geändert hat. Mark und ich haben in den Zeiten der Globalisierung allerdings immer häufiger mit ausländischen Kunden zu tun, vieles spielt sich über Internet und andere Portale ab, und da ist die Umgangssprache in erster Linie Englisch. Doch da Mark sowohl Englisch als auch Französisch ganz hervorragend spricht, habe ich mich entschlossen, meine Sprachkenntnisse in beiden Sprachen wieder aufzufrischen. Meinen Liebsten habe ich dazu verdonnert, mindestens eine Stunde am Tag in diesen Sprachen mit mir zu reden, außerdem habe ich mich in einer Sprachenschule angemeldet … Ich will an seiner Seite doch nicht blöd dastehen und mich bei ihm erkundigen, was da gerade ein ausländischer Gesprächspartner oder Geschäftsfreund gesagt hat. Ich will da bleiben, wo wir jetzt schon sind, nämlich mit ihm auf Augenhöhe.«

»Das ist dir wichtig, Lil, nicht wahr? Nur …, hast du dich schon mal gefragt, wie es sein wird, wenn ihr einmal Kinder haben werdet? Dann kannst du zwar weiter mit ihm an einem Strang ziehen, aber nicht mehr beruflich …, wie sieht es dann mit deiner vielzitierten Augenhöhe aus?«

Liliane antwortete nicht sofort, doch die Antwort, die dann kam, hätte Alexandra niemals erwartet.

»Sorry, Alex, aber darum musst du dir keine Gedanken machen. In unserer Ehe wird es keine Kinder geben.«

Alexandra musste erst einmal schlucken.

»Keine …, keine Kinder?«, stammelte sie schließlich, weil ihr ein Leben ohne Kinder einfach undenkbar schien. Und Liliane und sie hatten nicht ausdrücklich darüber gesprochen, sie hatten sich nicht ausgemalt, wie sie als Mütter sein, was sie mit ihren Kindern unternehmen würden. Doch sie wusste schon, dass Lil sich niemals gegen ein Leben ohne Kinder ausgesprochen hatte.

»Keine Kinder.«

Interpretierte sie da etwas hinein, oder klang Lils Stimme in diesem Augenblick traurig?

Wieder konnte Alexandra nicht sofort etwas sagen, das musste sie auch nicht, denn Liliane fuhr fort: »Ehe du mich mit weiteren Fragen löcherst wie einen Schweizer Käse …, wir können keine Kinder bekommen, weil Mark zeugungsunfähig ist. Das haben wir jetzt definitiv schwarz auf weiß. Deswegen ist auch seine erste Ehe kinderlos geblieben. Es lag also nicht daran, dass seine Frau nicht unbedingt Kinder haben wollte, sondern es wäre, hätte sie irgendwann einmal den Wunsch verspürt, auch überhaupt nicht gegangen.«

»Und du? Ich mein, wo du in ihm deine wahre Liebe gefunden hast. Ist es dann nicht selbstverständlich, dass der Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit erwacht? Und was könnte das Größeres, Schöneres sein als gemeinsame Kinder, die die Krönung der Liebe bedeuten.«

»Hört sich nach Romantik pur an, Alex. Aber die Realität sieht leider anders aus, und das ist sogar statistisch bewiesen. Bei einem Großteil der Neugeborenen handelt es sich nicht um Wunschkinder, und statt der überschäumenden Glückseligkeit herrschen dort Frustration, Zorn wegen des gescheiterten Lebensplans, Krach und was weiß ich nicht noch vor.

Die junge Gräfin 25 – Adelsroman

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