Читать книгу Der neue Sonnenwinkel Staffel 6 – Familienroman - Michaela Dornberg - Страница 9

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Roberta wusste, dass es unmöglich war, dass es überhaupt nicht sein konnte. Dennoch begann ihr Herz stürmisch zu klopfen. Realität und Wunschdenken vermischten sich mit­einander. Staunen und Sehnsucht machten sich in ihr breit.

Lars …

Geblendet vom Sonnenlicht sah sie nur die Konturen des Mannes, der auf sie zugelaufen kam. Nur wenig später holte sie die Gegenwart wieder ein. Wellen der Enttäuschung durchfluteten sie, sie konnte nichts dafür, obwohl sie wusste, dass es nicht sein konnte. Natürlich war es nicht Lars, doch mit Konstantin von Cleven, der jetzt vor ihr stand, hatte sie auch überhaupt nicht gerechnet.

Zum Glück bekam Konstantin nichts von ihrer Verwirrung mit. Er umfasste ihre Schultern, freute sich: »Roberta, wie schön. Erst sehen wir uns jahrelang nicht, und nun treffen wir in so kurzer Zeit zum zweiten Mal aufeinander, und wieder am See. Zu verstehen ist es. Der See übt auf einen eine geradezu magische Anziehungskraft aus. Und wo ich gerade herkomme, dieser Platz ist beinahe mystisch, hat eine unglaubliche positive Energie. Ich fühlte mich angezogen, konnte an dieser Stelle überhaupt nicht vorübergehen.«

Sie hätte ihm jetzt erzählen können, dass dort das Haus gestanden hatte, das ihr sehr vertraut gewesen war. Jetzt war nicht der Augenblick, vielleicht würde sie, wenn überhaupt, später darüber reden. Augenblicklich hatte sie Mühe, sich von dem, was da gerade gewesen war, zu erholen. Es war ein Zeichen dafür gewesen, dass ihre Gefühle in ihr noch immer tobten und dass der Verstand längst noch nicht die Oberhand gewonnen hatte, sonst hätte sie diese Vision nicht haben können.

»Ich hoffe, dass du an diesem magischen Ort auch die richtigen Erkenntnisse gewonnen hast. Weswegen bist du eigentlich hier, Konstantin?«

Er erklärte Roberta, dass man nun endlich eine Entscheidung von ihm haben wollte, weil man im Falle seiner Absage auf einen anderen Bewerber zurückgreifen wollte.

»Ich bin ihre erste Wahl, was schmeichelhaft für mich ist, ich kann auch verstehen, dass man auf meine Antwort wartet. Ich hatte heute einen weiteren Termin, habe mir ein paar Stunden Zeit ausbedungen, und die habe ich genutzt, an den See zu kommen, den ich in allerbester Erinnerung hatte«, er strahlte sie an, »in erster Linie natürlich, weil wir uns hier begegnet sind, meine Liebe.«

Ihr war nicht nach Komplimenten zumuten, weil sie nicht einfach den Schalter umlegen konnte. Diese Vision würde sie verfolgen, denn sie hatte wirklich geglaubt, Lars zu sehen.

»Und hast du eine Entscheidung treffen können, Konstantin?« Roberta blickte ihn fragend an, und dabei wurde ihr bewusst, dass er ein wirklich sehr attraktiver Mann war. Nicht nur das, er war, und das wusste sie ja von früher, ein sympathischer Mann, auf den man sich verlassen konnte. Nicht zu vergessen, er hatte sich als Professor der Kardiologie einen Namen gemacht, das hatte sie natürlich alles sofort nachgelesen nach ihrer ersten schönen Begegnung. »Du solltest es dir genau überlegen, denn eine solche Chance bekommt man nicht so schnell wieder geboten. Es soll wirklich ›das‹ Zentrum werden, und wenn man dir überlässt, wie du es gestaltest, was du an medizinischen Geräten haben möchtest. Besser geht es nicht.«

Er nickte. Es gefiel ihm, dass Roberta das jetzt gesagt hatte, den auf ihr Urteil legte er großen Wert. Es war eine Bestätigung für das, wofür er sich entschieden hatte.

»Ich werde zusagen.«

Sie nickte.

»Glaub mir, Konstantin, das ist eine gute Entscheidung, ich bin mir sicher, dass du das nie bereuen wirst. Gut, Hohenborn ist nicht mein geliebter Sonnenwinkel. Doch auch da wohnt man gut. Ich denke, dass du umziehen wirst, oder?«

Das bestätigte er.

»Vom Sonnenwinkel bis Hohenborn, das ist ja nur ein Katzensprung. Ich glaube, dass ich wegen des Sees hier in Erlenried wohnen werde, so heißt der Sonnenwinkel ja offiziell, das habe ich schon erfahren.«

Sie wollte ihm seine Illusionen nicht rauben.

»Konstantin, ich denke, dass es einfacher sein wird, eine Wohnung in Hohenborn zu finden. Hier bei uns ist der Wohnraum knapp, die Leute ziehen nur selten weg, und wenn, dann gehen die Objekte unter der Hand weg, kommen überhaupt nicht erst auf den Wohnungsmarkt.«

Dem widersprach Konstantin.

»Oh, da habe ich andere Informationen, wenn ich zusage, dann kann ich schon im Sonnenwinkel wohnen, das wurde mir zumindest gesagt, und warum sollte ich Fehlinformationen erhalten.«

Das musste der Fall sein. Roberta war zwar nicht ständig unterwegs, aber durch die Patientinnen und Patienten erfuhr sie eigentlich immer, was sich im Sonnenwinkel alles ereignete, und von freien Wohnungen oder Häusern hätte sie gewiss erfahren.

»Und hat mir dir auch gesagt, wo das sein soll?«

»Aber ja, eines der Häuser kann man mieten, ungefähr in einem Monat, das andere soll zum Verkauf stehen, das allerdings ist noch nicht ganz sicher.«

Nun wurde Roberta neugierig, obwohl das eine Eigenschaft war, die man ihr normalerweise nicht zuschreiben konnte. »Und wo soll das sein?«

»Mieten kann man ein Haus auf einem Finkenweg, und kaufen eines auf dem Seeweg. Dieses Haus soll gerade erst komplett umgebaut worden sein, man hat es noch nicht bezogen.«

Zu einem Haus auf dem Finkenweg konnte Roberta nichts sagen. Sie wusste, dass man da sehr angenehm wohnte, doch das ließ sich über alle Straßen im Sonnenwinkel sagen. Es war etwas Besonderes. Aber auf dem Seeweg gab es nur ein einziges Haus, das umgebaut worden war. Und dieses Haus kannte sie nicht nur, sondern sie wusste auch, wer es beziehen würde. Und deswegen konnte das, was Konstantin da gerade gesagt hatte, überhaupt nicht stimmen.

Und das sagte sie ihm auch. »Konstantin, da musst du dich wirklich verhört haben.«

Er tat es ab.

»Ehrlich mal, Roberta, das Haus interessiert mich auch überhaupt nicht, denn kaufen möchte ich derzeit nichts. Ich weiß noch nicht, wohin meine Reise gehen wird, und da bindet man sich keinen Klotz ans Bein, ich lebe allein, und …« Er beendete seinen Satz nicht, doch der Blick, den er ihr dabei zuwarf, irritierte sie ein wenig. Konstantin machte sich doch wohl keine Hoffnungen?

»Nun, nimm erst einmal den Job an, dann kannst du dich um ein Haus oder eine Wohnung kümmern. Ich bin überzeugt davon, dass man noch weitere Optionen für dich in der Tasche haben wird. In der Nähe der Klinik gibt es übrigens sehr schöne Personalwohnungen, die …«

Er winkte ab, ließ sie ihren Satz nicht beenden.

»Roberta, bitte hör auf. So etwas wäre die allerletzte Option für mich. Dann würde ich lieber ins Hotel ziehen. Aber du hast recht, das ist jetzt nicht das, worüber ich mir den Kopf zerbrechen muss.«

Er blickte auf seine Armbanduhr.

»Ich muss zurück nach Hohenborn«, sagte er, »schade, sonst wäre ich gern mit dir in dieses großartige Restaurant gegangen.«

»Das können wir immer noch tun, und wenn du magst, ein Gästezimmer ist frei für dich.«

Roberta war großzügig, und er hätte das Angebot auch sehr gern angenommen, doch er musste noch heute zurück, wenn er sich mit der Klinikleitung und dem Bauträger für das Zentrum geeinigt hatte.

Er erklärte ihr, warum das nicht ging, und Roberta war ein bisschen enttäuscht. Konstantin war ein angenehmer Gesellschafter, sie war allein. Alma hatte mit ihrem Gospelchor einen Auftritt, und Pia hatte sie begleitet. Seit Alma mit ihr zu diesem Verkehrsübungsplatz ging, folgte Pia Alma wie ein kleines Hündchen, treu und ergeben. Es freute Roberta, dass es Alma gelungen war, das Vertrauen des Mädchens ganz zu gewinnen und dass Pia immer zutraulicher wurde.

Roberta und Konstantin gingen den Weg zusammen zurück, und sie unterhielten sich, was bei zwei Medizinern nicht verwunderlich war, über das neue Projekt. Roberta hatte da noch ein paar zusätzliche sehr gute Argumente, die er vorbringen musste.

Sie waren bei den ersten Häusern angekommen, Konstantin parkte dort, Roberta begleitete ihn, und dann verabschiedeten sie sich voneinander.

Er umarmte sie ein wenig zu lange, doch das war überhaupt nicht unangenehm. Bei ihm konnte man sich sicher sein, dass Konstantin niemals Grenzen überschreiten würde.

»Ich drück dir die Daumen, Konstantin, und bitte ruf mich an, wie es gelaufen ist.«

»Du wirst es als Erste erfahren, liebe Roberta«, versprach er. »Aber es kann nichts schiefgehen, die Entscheidung liegt bei mir, und wenn da nicht in letzter Sekunde Hürden auftauchen, werde ich bald ganz in deiner Nähe leben. Und weißt du was? Darauf freue ich mich …, sehr sogar.«

Eine letzte Umarmung, dann stieg er in sein Auto, fuhr los, Roberta winkte ihm nach, bis sein Auto um die Ecke gebogen war und nicht mehr zu sehen war.

Ein wenig nachdenklich machte sie sich auf den Heimweg. Und jetzt allein, gingen ihre Gedanken zurück zum See, zu dem Moment, da sie wirklich geglaubt hatte, Lars zu sehen. Mehr noch, sie hatte es gespürt. Was war bloß los mit ihr gewesen?

Mit ihrer Freundin Nicki musste sie überhaupt nicht darüber reden, denn deren Antwort glaubte sie zu kennen. Die würde ihr sagen, dass es ein Zeichen war, dass sie und Konstantin immer wieder aufeinander trafen, Nicki würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass Konstantin die Nachfolge von Lars antreten sollte.

Nein!

In diese Richtung durften sich ihre Gedanken überhaupt nicht verlieren. Sie mochte Konstantin, sie freute sich wirklich, dass sie sich nach so vielen Jahren ausgerechnet am See getroffen hatten, dass er nun sogar ganz in ihrer Nähe arbeiten würde. Aber mehr war da nicht, und mehr würde es auch nicht werden. Roberta gehörte nicht zu den Menschen, die da anknüpften, wo sie einmal aufgehört hatten. Und zwischen ihr und Konstantin war nicht einmal richtig etwas gewesen, sie hatten scheue Küsse und Umarmungen getauscht, nichts, was mit Leidenschaft zu tun hatte. Roberta fühlte sich in seiner Nähe einfach nur wohl, sie waren vertraut miteinander, sie verbanden schöne Erinnerungen, wenn man es bildhaft betrachten wollte, war es wie ein schöner, warmer Sommertag, den man unbeschwert genießen konnte.

So, und jetzt genug davon. Wegen Konstantin wollte sie sich keine weiteren Gedanken mehr machen.

Roberta beschleunigte ihre Schritte, weil sie wieder ganz schnell in ihr gemütliches Haus wollte, das sie über alles liebte, in dem sie angekommen war und das sie, solange sie lebte, niemals mehr verlassen wollte. Da war sie sich ziemlich sicher, wenngleich man niemals nie sagen sollte. Das Schicksal ging oftmals die seltsamsten Wege und es geschah plötzlich etwas, womit man nie gerechnet hätte.

Ob sie es wollte oder nicht, ihre Gedanken gingen zu dem Zwischenfall oder wie man es auch nennen wollte, da am See zurück. Wenn sie nur daran dachte, passierte bereits etwas mit ihr, ihren Gefühlen.

Sie wurde allerdings aus ihren Gedanken herausgerissen, weil sie jemanden angerempelt hatte. Das war allerdings etwas, womit man im verträumten Sonnenwinkel nicht rechnen musste, hier war schließlich nicht die Fifth Avenue in New York, wo die Menschen durcheinanderwuselten wie Ameisen. Wo man aufpassen musste, wohin man ging.

Sie blickte auf, wollte sich entschuldigen.

Das konnte jetzt nicht wahr sein!

Es war ausgerechnet Angela von Bergen, die sie angerempelt hatte.

»Frau Doktor, so in Gedanken?«, wollte Angela wissen.

Roberta warf ihr einen Blick zu, registrierte, und das tat man als Ärztin wohl ganz automatisch, dass Angela ziemlich blass war, dass sie schlecht aussah.

»Es tut mir leid, ich war wirklich ganz in meine Gedanken versunken und habe nicht auf den Weg geachtet.«

Angela von Bergen gab zu, dass auch sie in Gedanken gewesen war, weil sie sonst ausgewichen wäre. Damit hätte jetzt alles gut sein können, beide Frauen hätten ihrer Wege gehen können. Sie blieben stehen, als warteten sie darauf, dass noch etwas gesagt werden musste. Und Roberta tat etwas, was sie außerhalb der Sprechstunde, wo es angebracht war, niemals tat, sie stellte Fragen.

»Sind Sie auf dem Weg zu ihrem wunderschönen Haus? Ihre Mutter erzählte mir voller Stolz, dass Sie dort bald einziehen werden. Ich freue mich sehr für Sie.«

Und das tat Roberta wirklich.

Angela wurde verlegen, und Roberta hätte sich jetzt am liebsten die Zunge abgebissen. Was war denn in sie gefahren? »Ich …, äh …, nein …«

Da stimmte etwas nicht, Roberta war es peinlich, diese nette Frau in eine derartige Situation gebracht zu haben. Sie erzählte ihr, was sie von Konstantin erfahren hatte. Eigentlich hätte sie jetzt überhaupt nichts mehr sagen sollen, es machte alles nur noch schlimmer.

»Frau von Bergen, am Seeweg gibt es ja nur dieses eine Haus, das umgebaut worden ist, und das ist das, in welches Sie einziehen werden. Ich weiß nicht, wer da dieses dumme Gerücht in die Welt gesetzt hat. Das sollten Sie mal herausfinden. Es wird schnell aus einer Mücke ein Elefant gemacht. Jemandem ist die Fantasie durchgegangen, und das ist als scheinbare Wahrheit irgendwo gelandet.«

Angela schluckte.

Sie blickte die Frau Doktor an, der sie vertraute, die ihrer Mutter so großartig geholfen hatte und auch ihr, als sie von dieser schmerzhaften Gürtelrose geplagt gewesen war. Sie hätte es jetzt leichthin abtun können, es war nicht ihre Art, deswegen sagte sie nach einiger Überwindung, weil niemand gern ein Scheitern zugab: »Es sind keine Gerüchte. Ich weiß allerdings nicht, wieso bereits darüber geredet wird. Vielleicht war es der Architekt, der seinen Mund nicht halten konnte.«

Wie schade, dass es hier keine Bank gab, auf die man sich setzen konnte, doch eine Gartenmauer schon, und auf die setzte Roberta sich erst einmal. Was hatte Angela von Bergen da gesagt?

Angela setzte sich neben Roberta, und die vereinzelten Fußgänger warfen den beiden Frauen erstaunte Blicke zu, doch das registrierten sie kaum.

»Berthold und ich haben beschlossen, nicht in das Haus einzuziehen. Er wollte es mir zwar schenken, doch das möchte ich nicht. Ich wohne gut bei meiner Mutter, und in diesem Haus am See müsste ich immer an Berthold denken und daran, dass wir die geplante gemeinsame Reise abbrechen mussten. Gerade noch rechtzeitig, ehe es zu einem Crash gekommen wäre.«

Roberta war eine kluge Frau, doch jetzt verstand sie überhaupt nichts mehr. Alle hatten sich über Angelas Glück mit diesem Mann gefreut, der an Angelas Seite wieder Lebensmut gefasst hatte. Und der Kauf des Hauses, der Umbau nach den eigenen Wünschen war perfekt gewesen, denn dann hätte Angela immer in der Nähe ihrer Mutter bleiben können. Es war wirklich perfekt gewesen, nicht allein wegen des Hauses, sondern weil sich da zwei Menschen gefunden hatten, beide vom Leben gebeutelt, der eine mehr, der andere weniger.

Roberta konnte zunächst einmal überhaupt nichts sagen. Was hatte Angela von Bergen da für eine Andeutung gemacht? Beide Frauen schwiegen, hingen ihren Gedanken nach.

Es war schon eine sehr merkwürdige Situation. Zwei schweigende Frauen auf einer Gartenmauer, beide betroffen wirkend. Für Gespräche dieser Art gäbe es wahrhaftig einen besseren Platz, zumal sie beide ganz in der Nähe in wunderschönen Häusern wohnten. Aber so war es halt im Leben, manches ergab sich einfach, ungeplant und unvorbereitet.

Und warum wunderte Roberta das jetzt eigentlich? Es war ein Tag der denkwürdigen Begebenheiten, und es passte.

»Frau von Bergen«, durchbrach Roberta das Schweigen, »möchten Sie darüber reden?«

Fast machte es den Eindruck, als habe Angela auf diese Aufforderung gewartet. Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Sie erzählte Roberta von dieser Beziehung, die von Anfang an schwierig gewesen sei.

Sie blickte Roberta an, in ihren Augen standen Tränen, ihre Traurigkeit war nicht zu übersehen.

»Berthold und ich waren von der ersten Sekunde an voneinander fasziniert, haben uns ineinander verliebt. Doch auch mit allen Gefühlen dieser Welt lässt sich nicht alles überbrücken. Vielleicht sind wir uns zu früh begegnet, vielleicht hätte noch mehr Zeit ins Land gehen müssen.

Wie auch immer. Ich habe es mir nicht leicht gemacht, ich habe Berthold verlassen.«

Das konnte Roberta nicht glauben. Sie erinnerte sich an die Gespräche, die sie mit Angela, mit deren Mutter geführt hatte, auch Teresa von Roth hatte darüber gesprochen, was für ein wundervolles Paar Angela von Bergen und Berthold von Ahnefeld doch waren, wie sehr sie sich liebten.

Hatte sie das gerade richtig verstanden? Angela von Bergen hatte den Mann, den sie liebte, mit dem sie eine gemeinsame Zukunft geplant hatte, verlassen?

Das berührte Roberta so sehr, dass sie dazu erst einmal überhaupt nichts sagen konnte. Das wollte sie auch nicht, denn es ging sie nichts an. Wenn jemand über seine Gefühle sprach, dann fragte man auch nicht nach, es sei denn, man wurde darum gebeten. Ansonsten war es eine Sache zwischen den beiden Menschen, die es betraf.

Angela von Bergen und Berthold von Ahnefeld waren kein Paar mehr!

Es schien fast so, als sei Angela froh, endlich mal mit einem Menschen über das sprechen zu können, was sie so sehr bewegte. Häufig war das jemand, der nicht in alles involviert war, wie beispielsweise Sophia, Angelas Mutter. Wie glücklich war die gewesen, einen Schwiegersohn wie Berthold zu bekommen. Es war nach dem Mann, mit dem Angela verheiratet gewesen war, sehr zu verstehen.

Und nun das Aus!

Erst einmal hörte Roberta Angela zu, und fast schien es, dass es kein Zufall gewesen war, dass sie sich getroffen hatten. Allmählich erfuhr Roberta, was zu der Trennung geführt hatte, warum diese Liebe zerbrochen war.

»Berthold kam einfach nicht von seiner Vergangenheit los. Ich weiß, dass er mich liebt, dass er ein neues Leben mit mir anfangen wollte, und gewiss hätte ich an seiner Seite auch ein schönes Leben gehabt, weil er ein ganz wunderbarer, ein einfühlsamer Mann ist. Aber das reicht nicht, ich habe niemanden gesucht, der mir ein sorgenfreies Leben bietet. Ich wollte einen Platz in seinem Herzen.« Sie blickte Roberta traurig an. »Dort war es überfüllt. Für mich gab es nur eine ganz kleine Ecke, und das …, das reicht mir nicht. Ich habe eine schreckliche Ehe hinter mir, in der ich nur draufgezahlt habe, in jeder Hinsicht. Das wäre mir zwar bei Berthold nicht so ergangen, aber ich möchte gleichberechtigt neben ihm stehen, und vor allem möchte ich seine Liebe, nicht nur ein bisschen Liebe …, wenn etwas fehlt, dann kann man es auf Dauer nicht überbrücken. Jetzt respektieren wir uns, sind noch in Liebe und Respekt verbunden bleiben. Und ich werde Berthold und die Zeit mit ihm als etwas Schönes, als etwas Besonderes im Herzen behalten. Ich wünsche ihm, dass er diesen Schmerz, den er in sich trägt, irgendwann loslassen kann und dass es dann jemanden gibt, der ihn auffängt. Ich kann es nicht sein, denn ich wäre, sollte es dazu kommen, viel zu zermürbt. Wir haben uns sehr geliebt, hatten Wünsche und Träume, auch Pläne …, der Alltag hat uns eingeholt.« Sie stand auf. »Das Haus ist wunderschön, Berthold kann es mit Gewinn verkaufen. Die Auerbachs sind ja gute Freunde von ihm. Es ist durchaus möglich, dass er sie hin und wieder besuchen wird.«

Roberta erhob sich ebenfalls.

»Und haben Sie keine Angst vor diesen Begegnungen?«, wollte sie wissen, sie war sehr berührt von dem, was Angela ihr da anvertraut hatte.

Angela schüttelte den Kopf.

»Nein, wir sind ja nicht miteinander verfeindet, wir haben uns nichts vorzuwerfen. Ein wenig Angst habe ich nur davor, dass wir Fremde sind, wenn wir uns begegnen. Aber noch ist es nicht so weit. Und wer weiß, vielleicht kommt Berthold auch nicht mehr her. Ich wünsche ihm so sehr, dass der Schmerz ihn nicht auffrisst, dass er irgendwann einmal begreift, dass es auch ein Leben danach gibt, dass man loslassen muss, um wieder frei zu sein, dass Neues nur erwächst, wenn man sich von dem Alten trennt.« Jetzt erschien ein kleines Lächeln auf Angelas schönem Gesicht. »Danke, dass Sie mir zugehört haben, Frau Doktor.«

Roberta umarmte Angela spontan.

»Danke für das Vertrauen, das Sie mir entgegengebracht haben. Ich wünsche Ihnen ganz viel Kraft, und wenn Sie wieder einmal reden möchten, Frau von Bergen …, ich bin jederzeit für Sie da, und das ist nicht nur so dahergesagt.«

»Das weiß ich, Frau Doktor, noch mal danke.«

Nach diesen Worten drehte Angela sich abrupt um, lief los. Es war nicht die Richtung, die sie zuvor eingeschlagen hatte. Das machte nichts, sie hatte ihre Gründe dafür. Roberta wusste, wohin sie gehen wollte. In ihr Haus, das sie über alles liebte. Ihr fiel ein, was die Engländer sagten: »My home is my castle«, es war ein schöner Spruch, ihr Haus war ebenfalls ihr Schloss, ihre Burg, in der sie sich geborgen fühlte.

Die Worte von Angela von Bergen hatten sie sehr traurig gemacht. Es machte einen immer traurig, wenn man erfuhr, dass eine Verbindung zerbrochen war, die so hoffnungsvoll begonnen hatte.

Roberta konnte Angela verstehen. In einer Partnerschaft konnte nicht nur einer geben, und es reichte nicht, wenn man nur ein kleines Stückchen vom ganzen Kuchen bekam. Da verlangte es einen immer nach mehr, weil es auch ein bisschen Liebe nicht gab.

Was für ein Tag, dachte sie, als sie endlich die Haustür aufschloss, eintrat in die behagliche Wärme.

Durch das Gespräch mit Angela von Bergen hatte sie für einen Augenblick vergessen, was da am See geschehen war, was sie glaubte, gesehen zu haben. Auch wenn es Konstantin von Cleven gewesen war, beruhigte sie es nicht.

Ihre Gefühlswelt war wieder in Unordnung geraten, es reichte nicht, wenn man sich vornahm, stark zu sein. Es brauchte Zeit.

Sie griff nach einem der Fotos von Lars, das sie besonders gern mochte. Es zeigte ihn strahlend, lachend, unbeschwert. Es war erst kurz vor seinem Verschwinden gemacht worden, zu einer Zeit, in der noch niemand ahnen konnte, was das Schicksal für ihn bereithielt.

Roberta presste das Foto ganz fest an sich, setzte sich in einen Sessel, verlor sich in Träume, die auch zu dem Stern führten, den es irgendwo am Himmel gab, und der ihrer beider Namen trug. Es gab viele Anker, an denen sie sich festhalten konnte. Sie stand auf, holte das Buch ›Sternenstaub‹ aus dem Regal, sie begann, darin zu blättern, und sich in die Bilder und die poesievollen Texte zu verlieren.

Lars …

Warum hatte der liebe Gott das zugelassen?

Das war eine Frage, auf die sie niemals eine Antwort bekommen würde.

Sie begann sich allmählich zu beruhigen. Und hatte sie Angela von Bergen nicht gerade gepredigt, dass man seine Vergangenheit loslassen musste, um neu anfangen zu können? Oder war es umgekehrt gewesen? Sie wusste es nicht, es war auch überhaupt nicht wichtig.

Was sie wusste war, dass sie sich noch immer mitten in dem Leben mit Lars befand.

Ihr Telefon klingelte, sie schreckte zusammen. Als ihr bewusst wurde, dass es das Praxistelefon war, überlegte sie einen ganz kurzen Moment, nicht dranzugehen. Sie hatte heute keinen Notdienst. Aber sie war Ärztin aus Leidenschaft, und deswegen meldete sie sich.

Es war eine ihrer Patientinnen, die allein lebte, niemanden hatte und die sich oftmals allein fühlte.

»Frau Doktor, es geht mir nicht gut …, haben Sie …, würden Sie …, könnten Sie mal nach mir sehen?«

Es bestand keine Notwendigkeit, denn die Patientin kurierte nur die Folgen einer Knöchelverletzung aus und war deswegen ein wenig immobil. Außerdem war heute ein anderer Kollege zuständig.

Im Grunde genommen war Roberta über die Ablenkung froh, das brachte sie von ihren Gedanken weg, denn wenn sie ihren Job machte, da konnte sie alles andere ausschalten.

»Frau Gerber, ich komme«, sagte sie.

Die alte Dame atmete erleichtert auf, und Roberta glaubte, das bis ins Doktorhaus zu hören. »Vielen Dank, Frau Doktor …, darf ich Ihnen, wenn Sie kommen vielleicht einen Kaffee oder Tee anbieten?«, erkundigte sie sich.

Das ging ein wenig zu weit. Sie würde zu Frau Gerber fahren, sich deren Sorgen und Nöte anhören, versuchen, sie ein wenig aufzumuntern. Doch zum Kaffeeklatsch fuhr sie nicht hin, denn, das wusste sie aus Erfahrung, wenn sie dem schon mal zugestimmt hatte, würde viel Zeit in Anspruch nehmen.

Nein, sie wollte von ihren Gedanken loskommen, und daheim angekommen, würde sie versuchen, ihre Freundin Nicki zu erreichen. Sie hatte ein paar Tage nichts von ihr gehört, und das konnte ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein. Es bedeutete auf jeden Fall, dass sich bei Nicki etwas zusammenbraute.

Nun, sie würde es herausfinden.

Erst einmal kam die Patientin dran.

»Frau Gerber, das ist ganz lieb von Ihnen, aber danke, so viel Zeit habe ich leider nicht. Bis gleich dann.«

Sie legte auf, nachdem sie sich die Entschuldigung der alten Dame angehört hatte, wie egoistisch sie doch sei.

Roberta verließ das Haus, ihren Arztkoffer hatte sie im Auto, sie stieg ein und fuhr los.

Der Besuch bei Frau Gerber war ihre rein private Angelegenheit, die sie mit keiner Krankenkasse dieser Welt abrechnen konnte, es auch nicht wollte.

Roberta hatte es längst aufgegeben, sich mit den Krankenkassen herumzuschlagen. Das hatte zur Folge, dass sie vieles tat, was nicht bezahlt wurde. Zum Glück zog Claire da mit ihr an einem Strang. Sie liebte nicht nur ihren Beruf, sondern auch ihre Patientinnen und Patienten.

Tja, wie es weitergehen würde mit Claire und ihrer Arbeit in der Praxis. Roberta hatte da ein ungutes Gefühl, und sie war fest überzeugt davon, dass sie über kurz oder lang Claire verlieren würde.

Piet van Beveren lebte nicht hier, würde niemals hier leben, das hatte er nicht nur einmal erklärt. Und wenn Claire ihn heiraten würde …

Ach was, wie hieß es doch so schön? Erst wenn man vor dem Fluss stand, musste man darüber nachdenken, wie man darüber kam.

Noch arbeitete Claire bei ihr, und ihr Arbeitseifer hatte in keiner Weise nachgelassen.

Roberta freute sich einfach mit Claire, dass sie ganz offensichtlich den Mann fürs Leben gefunden hatte.

Sie war in Piet van Beveren über beide Ohren verliebt, und das war etwas, woran Roberta nie gedacht hätte.

Claire und Piet waren grundverschieden, er war kleiner als sie, passte überhaupt nicht in deren sogenanntes Beuteschema.

Auf Claire und auf Piet van Beveren traf das mit dem Gegensätzen, die sich anzogen, zu. Und Alma sagte immer, dass sich für jeden Topf ein Deckel fand. Das bezweifelte sie, aber an der Liebe von Claire und Piet konnte man sich erfreuen.

Sie hatten sich beide verändert, und das war ganz besonders an Piet zu sehen. Er war viel umgänglicher und weicher geworden, und es war nicht zu übersehen, wie sehr er Claire vergötterte.

Er betete sie richtig an.

Claire hatte, neben der Hingabe für ihren Beruf, sehr viel Freude daran, sich sozial zu engagieren. Und da würde sie an der Seite von Piet sehr viel Gutes tun können.

Alles hatte seinen Sinn, sie mussten sich begegnen, denn sie ergänzten sich sehr, trotz aller Unterschiedlichkeit. Vor allem liebten sie sich, und das war es, worauf es ankam.

Als Roberta das kleine Reihenhäuschen von Frau Gerber in einem der Nachbarorte erreichte, stand die schon vor der Haustür, um Roberta zu empfangen, ihre Ärztin, für die sie durchs Feuer gehen würde.

»Tausend Dank, Frau Doktor, dass Sie so schnell gekommen sind«, rief Frau Berger, und es fehlte nicht viel, da wäre sie Roberta um den Hals gefallen.

»Hallo, Frau Gerber.«

Sie folgte der alten Dame ins Haus, das Frau Gerber allein bewohnte nach dem Tode ihres Ehemannes. Kinder hatte sie keine, auch sonst keine Familie, die sich um sie kümmern konnte.

Wie wichtig es war, eine Familie zu haben, das bemerkte man erst, wenn man alt war oder krank und auf Hilfe angewiesen.

Eigentlich konnte Frau Gerber froh sein, dass sie, abgesehen mal von ihrem derzeitigem Handikap, noch allein für sich sorgen konnte. Einmal in der Woche kam eine Reinmachefrau, und eine Nachbarin ging ihr jetzt ein wenig zur Hand. Auch fuhr sie noch selbst mit ihrem Auto, was augenblicklich jedoch nicht ging, und es konnte durchaus sein, dass Frau Gerber das zu schaffen machte. Und ja, die Abende konnten sehr lang sein, wenn man allein war.

Roberta mochte ihre Patientin, sie würde sich ein wenig mit ihr unterhalten, und vielleicht würde sie doch etwas mit ihr trinken. Doch zuerst einmal wollte sie sich die Knöchelverletzung ansehen.

*

Manchmal änderten sich Pläne viel schneller als der Wind sich drehte, diese Erfahrung machte Inge Auerbach derzeit.

Nichts war mehr so wie es war, und alle Pläne hatten sich aufgelöst wie Eis in der Sonne.

Traurig war Inge deswegen allerdings nicht, denn Werner und sie hatten sich versöhnt, und das war schöner als alles andere sonst auf der Welt.

Und diesmal schien Werner es wirklich ernst zu meinen, denn er hatte tatsächlich all seine Reisen abgesagt, die Einladungen storniert.

Es fühlte sich gut an, denn sie hatte während der zwischen ihnen herrschenden Eiszeit sehr gelitten. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie harmoniesüchtig war, sondern in erster Linie damit, dass sie ihren Mann liebte, und daran würde sich niemals etwas ändern.

Es war notwendig gewesen, diesmal konsequent zu sein, und nur so hatte Inge schließlich auch etwas erreicht. Vorerst. Bei Werner wusste man nie.

Es war schon ein wenig merkwürdig, dass ihr Seminar abgesagt worden war, denn sonst wäre mit ihr und Werner noch immer alles in der Schwebe. Und sie wäre auch nicht daheim gewesen und hätte deswegen auch ihren Hannes nicht gesehen.

Aber … Sie konnte jetzt auch unmöglich mit ihrem Sohn nach Cornwall fliegen, die Reise, zu der sie sich spontan entschlossen hatte, nicht antreten.

Und genau das hatte sie Hannes gerade erklärt. Und es war schon sehr erstaunlich, wie gelassen und cool er das nahm.

Pamela beispielsweise hätte jetzt vor lauter Enttäuschung angefangen zu weinen. Pamela hatte ihre vorgefassten Pläne, und wenn die scheiterten, brach für sie eine Welt zusammen. Und das war auch so, wenn ein geplanter Einkaufsbummel nach Hohenborn, den man wirklich jederzeit nachholen konnte, nicht stattfand.

»Mama, ich bitte dich«, rief Hannes, »du musst dich dafür doch jetzt nicht entschuldigen. Du kommst halt ein andermal, und wer weiß, vielleicht kommst du ja auch zusammen mit Pamela und mit Papa. Das wäre gar nicht so verkehrt, dann kann er sich nämlich davon überzeugen, dass ich einen Beruf erlerne, der höchst achtbar ist und dass Brenlarrick eine Künstlerkolonie ist, in der sehr erfolgreiche Menschen leben.«

Er lächelte seine Mutter an, und für Inge ging die Sonne auf, er war wirklich ein Sonnenschein, und manchmal fragte Inge sich allen Ernstes, ob etwas Wahres dran war, dass an einem Sonntag geborene Menschen ganz besonders waren. Auf Hannes traf es zu, und er war ein Sonntagskind.

»Mama, du machst dir immer zu viele Gedanken um alles. Denk doch ganz einfach auch mal an dich. Wir sind alle erwachsen, du bist für niemanden von uns mehr verantwortlich, und wenn wir mal was gegen die Wand fahren, so sind wir allein dafür verantwortlich.«

Inge wäre nicht Inge, wenn sie da nicht gleich wieder etwas wittern würde. Sie blickte Hannes an, erkundigte sich besorgt, wie konnte es auch anders sein: »Hannes, gibt es da etwas, was dich bedrückt, was du mir nicht gesagt hast?«

Hannes verdrehte die Augen, stand auf, ging um den großen Familientisch herum, umarmte seine Mutter, presste sein Gesicht gegen ihres.

»Mama, bei mir ist alles in Ordnung, es könnte nicht besser laufen.«

»Und warum hast du das mit dem gegen die Wand fahren gesagt, Hannes?«

»Weil es passiert. Gut, Ricky und Fabian, die sind wohl ausgenommen, die schweben über den Wolken, aber nimm Jörg, dessen Ehe ist gescheitert, da kann man sagen, gegen die Wand gefahren, nicht wahr?«

»Es war nicht seine Schuld«, verteidigte Inge prompt ihren Ältesten.

»Mama, darum geht es nicht …, gut, ein weiteres, aber wirklich ein letztes Beispiel. Papa und du, ihr habt es versäumt, Pamela zu sagen, dass sie keine echte Auerbach ist, dass ihr sie adoptiert habt. Welche Folgen das nicht nur für Pamela, sondern für alle hatte, darüber müssen wir jetzt ja wohl nicht sprechen.«

Inge zuckte zusammen. An dieses düstere Kapitel in ihrem Leben wollte sie nicht mehr erinnert werden, das war sehr schrecklich gewesen, und wenn Hannes nicht der Retter gewesen wäre …

Nein, daran wollte sie nicht mehr denken.

»Hannes, bitte, höre auf davon«, bat Inge gequält. Sie machte sich aus seiner Umarmung, die eher eine Umklammerung war, frei. Nicht, weil es ihr missfiel, sondern weil sie Hannes ansehen wollte. In erster Linie wohl, um seine Reaktion auf ihre Worte zu erfahren.

»Kein Problem, Mama«, war seine prompte Antwort. »Ich habe übrigens mit dieser Spökenkiekerei nicht angefangen, das nur am Rande. Ich werde kein Wort mehr über das dunkelste Kapitel im Leben der Auerbachs verlieren, und du höre bitte auf, immer alles schwarz zu sehen. Mama, du bist wirklich die allerbeste Mutter von der ganzen Welt. Wir können uns glücklich schätzen, deine Kinder zu sein. Doch manchmal, und das muss ich dir jetzt leider sagen, kannst du ganz schön nerven.« Er beugte sich noch einmal zu seiner Mutter hinunter, drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf die Stirn, ehe er rief: »So, und nun schnappe ich mir die beiden Hunde und laufe ein wenig am See entlang, ehe ich dann weg muss. Hier zu leben, wäre für mich unmöglich, doch der See, der hat wirklich was.«

Er wollte das Zimmer verlassen, drehte sich an der Tür noch mal um. »Ach, Mama, kann ich etwas von diesem göttlichen Käsekuchen mitnehmen und auch von den Keksen? Wenn du alles ordentlich verpackst, dann kann unterwegs nichts passieren.«

Er warf ihr eine Kusshand zu, dann riss er die Terrassentür auf, weil er die Hunde beinahe vergessen hätte und ohne die gegangen wäre.

»Luna, Sam, wenn ihr Lust auf einen Spaziergang habt, dann schmeißt eure Beine und kommt.«

Die beiden Labradore ließen sich das natürlich nicht zweimal sagen, sie kamen angehechelt, sprangen freudig an Hannes hoch, und Inge hatte gerade noch Zeit, ihrem Sohn ein paar Leckerli zuzustecken als Belohnung für unterwegs, das musste einfach sein, gehörte dazu.

Es war nicht schlecht, Hund im Hause Auerbach zu sein.

Hannes und die Hunde verließen das Haus, laut und mit Getöse, Inge blieb allein zurück.

Jetzt brauchte sie erst mal einen Kaffee …

*

Hannes wollte überhaupt nicht erst wissen, ob es verboten war, die Hunde nicht angeleint am See laufen zu lassen. Für ihn war es undenkbar, die Tiere ausgerechnet an einem Ort, an dem es so viel zu schnüffeln gab, an der Leine zu führen.

Luna und Sam stoben davon, Hannes blieb für einen Moment stehen, um auf das Wasser zu blicken, das sich sanft kräuselte und alle Schattierungen der Farbe blau aufwies, angefangen von einem tiefdunklen Ton bis hin zu einem leuchtenden Smaragd.

Die Schatten der Bäume spiegelten sich im Wasser, ein einsamer Ruderer schoss zügig dahin.

Es war schön, es war wirklich schön, er erinnerte sich daran, wie viele schöne Stunden er mit seinen Freunden hier verbracht hatte, eigentlich fast immer im Schlepp mit Pamela, die ihm nicht von der Seite gewichen war.

Es waren herrliche Jahre gewesen, doch alles hatte seine Zeit, und eines stand für Hannes fest, und daran würde sich niemals etwas ändern. Für immer in den Sonnenwinkel zurück? Nein, nein und abermals nein. Hier und da eine Stippvisite, aber das nur wegen der Eltern und Großeltern, natürlich auch wegen Pamela und zwischendurch wegen seiner alten Kumpel aus der Schulzeit, wenn es ein Treffen mit denen gab. Es war schon erstaunlich, dass die meisten doch am Ort ihrer Kindheit oder in der Nähe geblieben waren. Nur die, die studierten, waren weggezogen. Warum es seiner kleinen Schwester so gut im Sonnenwinkel gefiel, darauf hatte Hannes keine Antwort. Er wollte sich deswegen allerdings auch nicht den Kopf zerbrechen. Es konnte sich noch vieles ändern. Pamela sollte erst einmal mit der Schule fertig werden. Er hoffte nur inständig, dass sie nach dem Abitur ihren eigenen Weg gehen würde und nicht den Einflüsterungen ihres Vaters erlag. Was der wollte, das wusste man. Und daran würde sich auch niemals etwas ändern …, eine akademische Laufbahn für seine Kinder. Bislang hatte es nicht geklappt, doch immerhin hatte er noch eine Chance bei Pamela. Doch die eine etablierte Professorin? Richtig vorstellen konnte Hannes sich das nicht. Ricky hatte sich für Mann und Kinder entschieden, und das machte sie ganz großartig und war dafür zu bewundern. Ein Studium als verheiratete Frau und Mutter dieser Kinderschar aufzunehmen, das hatte nicht geklappt, weil sich Studium, Ehemann und Kinder nicht unter einen Hut bringen ließen. Und jetzt hatten sie noch den Sonnenschein Teresa, da war an ein Studium eh nicht zu denken. Jörg hatte die Erwartungshaltung erfüllt, hatte immerhin mit Erfolg ein Studium abgeschlossen, doch danach hatte er den Weg in die Wirtschaft bevorzugt, war Manager geworden. Immerhin.

Und dass er, Hannes, sein Glück als Kunsttischler machen wollte, der besondere Möbel herstellte, das würde für den Herrn Professor bis in alle Ewigkeit ein rotes Tuch bleiben.

Hannes liebte seinen Vater, aber natürlich längst nicht so sehr wie seine Mutter. Wenn er ganz ehrlich war, dann freute es ihn, ihn nicht anzutreffen, wenn er in den Sonnenwinkel kam. Er hatte von diesen ewigen Auseinandersetzungen genug.

Hannes bückte sich, ließ Steine über das Wasser tanzten und freute sich, wenn einer der Steine besonders weit hüpfte. Und wenn nicht, dann war es halt so. Außerdem war die Wasseroberfläche nicht spiegelglatt, da war es überhaupt ein Wunder, wenn ihm da etwas gelang. Und genau das war typisch für Hannes, er versuchte, aus allem das Beste zu machen.

Die Hunde kamen aus einem Gebüsch hervorgehechelt, blieben vor ihm stehen, blickten ihn erwartungsvoll an.

Hannes wusste genau, was die wollten und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Jetzt nicht«, sagte er, »wofür soll ich euch denn jetzt belohnen? Wenn überhaupt, dann müsstet ihr das tun, weil ich euch alle Freiheiten lasse.«

Die Hunde waren beleidigt, rannten los, doch diesmal blieben sie wenigstens auf dem Weg, auf dem er bislang niemandem begegnet war. Und das wunderte ihn, alle Wege am See waren gut besucht, und die Leute kamen sogar von außerhalb her. Gut, das mochte jetzt daran liegen, dass es noch ziemlich früh war.

Er blickte auf seine Armbanduhr, ein Stückchen würde er noch gehen, dann war es an der Zeit umzukehren.

Er bog um die Ecke, dann sah er auf der Lehne einer Bank eine Gestalt hocken.

Er blieb unwillkürlich stehen, und er tat etwas, was sonst nicht seine Art war, weil er die Privatsphäre der Menschen respektierte.

Er holte sein Handy aus der Tasche, machte ein Foto.

Er war berührt und entzückt zugleich. Das Mädchen war sehr schön und wirkte doch irgendwie verloren, traurig. Er fand nicht die richtigen Worte, aber er spürte, wie dieser Anblick etwas mit ihm machte.

Er war in seine Gedanken versunken in den Anblick des Mädchens, als er plötzlich zusammenzuckte, denn Luna und Sam stürzten sich auf das Mädchen, das von der Bank herunterglitt, sich über die Hunde bückte, sie streichelte, was denen durchaus zu gefallen schien. Er atmete auf, weil er schon befürchtet hatte, dass das Mädchen schreiend davonlaufen würde.

Er beeilte sich zu der Bank zu kommen, das allerdings, nachdem er ein weiteres Foto gemacht hatte, diesmal eines, auf dem das Mädchen von vorne zu sehen war. Kurze braune Haare umrahmten ein schmales Gesicht, aus dem große Augen blickten. Das Mädchen streichelte sanft die Hunde, und denen schien das ausnehmend gut zu gefallen.

Sagte man nicht immer, dass man immer jemanden kennenlernte, wenn man Hunde dabei hatte? Nun, das wollte er jetzt mal überprüfen.

Er gesellte sich zu dem Trio, rief: »Hi.«

Das Mädchen blickte hoch.

War da Erkennen in ihrem Gesicht abzulesen? Nein, das konnte überhaupt nicht sein. Er kannte das Mädchen nicht.

Sie richtete sich auf, Luna und Sam hatten etwas entdeckt, rannten davon.

Hannes und das Mädchen waren allein, sahen sich an, und noch ehe er etwas sagen konnte, rannte sie davon, als sei der Leibhaftige hinter ihr her.

Hannes war nicht auf den Mund gefallen.

»Hey, warum läufst du davon?«, wollten er wissen. »Ich tue dir schon nichts, wollte nur ein bisschen mit dir reden, außerdem scheinst du Luna und Sam doch zu kennen. Wer …«

Er brach seinen Satz ab, war irritiert. Und das hatte bei Hannes schon etwas zu bedeuten.

Er rief die Hunde, und da die gut erzogen waren, kamen sie auch sofort, was mit einem Leckerli belohnt wurde. Danach nahm Hannes die Tiere an die Leine, begann zu rennen. Er wollte das Mädchen unbedingt erreichen, außerdem musste er eh zurück. Er hatte schließlich noch einen sehr wichtigen Termin.

Hannes war wirklich fit, war schnell, doch von dem Mädchen war nichts mehr zu sehen, es schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

Warum war sie davongelaufen?

Das wüsste er zu gern, Hannes war enttäuscht. Daheim angekommen, lieferte er die Hunde ab, nahm dankbar die Proviantdosen von seiner Mutter entgegen, stopfte sie in seine Tasche. Und er war drauf und dran, seiner Mutter die Fotos zu zeigen, doch dann ließ er es bleiben. Seine Mutter war eine korrekte Frau, die ihm direkt Vorhaltungen wegen der illegal gemachten Fotos machen würde. Und darauf hatte er jetzt keine Lust.

Warum hatte dieses Mädchen so sehr sein Herz berührt?

Er konnte nicht darüber nachdenken, griff nach seiner Tasche, umarmte seine Mutter.

»Es war schön wie immer, Mama, doch leider wieder zu kurz. Ich verspreche, bald wieder zu kommen.«

Er erschrak selbst über dieses Versprechen, doch er wusste, warum er das jetzt gesagt hatte. Er wollte unbedingt das Mädchen wieder treffen. Es war schade, dass Pamela in der Schule war, die hätte er fragen können, und Hannes war sich sicher, dass die das Mädchen kannte, Luna und Sam hatten sie auf jeden Fall freudig begrüßt.

Wer war sie?

»Mama, ich …«

Nein, er durfte seine Mutter jetzt nicht fragen, das war verrückt, und er musste sich das Mädchen auch aus dem Kopf schlagen.

Was war denn los mit ihm? Seit seiner Trennung von Joy, damals in Australien, hatte ihn niemals mehr ein Mädchen so sehr interessiert.

Seine Mutter blickte ihn erwartungsvoll an, und ihm wurde bewusst, dass er seinen Satz nicht beendet hatte.

»Ich habe dich lieb«, das war nicht gelogen, es gab einen flüchtigen Kuss, eine stürmische Umarmung, dann stob Hannes davon. Inge winkte ihm nach, bis von seinem Mietwagen nichts mehr zu sehen war, dann ging sie ins Haus zurück.

Ihr Hannes …

Für ihn konnte sie ja augenblicklich nichts mehr tun, und weil Luna und Sam sie bettelnd anschauten, bekamen die ein paar Leckerli. Ausnahmsweise.

Inge blieb konsequent, auch wenn es sehr, sehr schwer war, diesen bettelnden Augen zu widerstehen.

*

Pia hatte diese Bank am See zu ihrem Lieblingsplatz erkoren, und dorthin ging sie, wenn das Wetter mitspielte, wenn sie lernen musste oder wenn sie einfach nur nachdenken wollte.

Heute hatte sie keinen Unterricht, weil die Lehrer und die Erzieher ein letztes Meeting miteinander hatten, ehe die Schüler in das Internat einziehen konnte und ehe in einem Test festgestellt wurde, wer in welche normale Klasse eingegliedert werden konnte.

Darum machte Pia sich keine Sorgen, sie war klug, und sie war sehr ehrgeizig. Sie wollte es schaffen und vor allem so schnell wie nur möglich ihr Abitur machen. Und danach? Eigentlich hatte sie immer davon geträumt, doch nie daran zu denken gewagt, einmal zu studieren. Doch die Frau Doktor hatte sie motiviert und ihr zugesichert, sie zu unterstützen, und Pia wusste, dass sie sich fest darauf verlassen konnte. Und Alma, die Gute, die würde für sie ihr letztes Hemd hergeben.

Es ging ihr gut!

Pia hätte niemals für möglich gehalten, dass sich für sie das Blatt noch einmal wenden würde. Sie musste dankbar sein, das war sie ja auch. Sie konnte nichts für die Traurigkeit, von der sie immer wieder einmal befallen wurde.

Und heute, das war wieder so ein Tag.

Im Grunde genommen war sie froh, dass sie heute nicht zum Unterricht musste, sie wäre keine aufmerksame Schülerin gewesen. Heute war der Todestag ihrer Mama!

Den würde Pia niemals vergessen und vor allem auch nicht das Bild, das sich ihr geboten hatte, das Bild ihrer toten Mama, kalt und starr. Man sagte ja immer, dass das Gesicht eines toten Menschen schön und friedlich war. Das hatte sie bei ihrer Mama nicht feststellen können, es hatte müde und traurig ausgesehen wie zu den Lebzeiten.

Warum hatte sie das getan?

Niemand würde ihr diese Frage beantworten.

Die Schuldgefühle, die sie hatte, weil sie nicht genug auf ihre Mama aufgepasst hatte, waren ihr von der Frau Doktor und Alma in langen Gesprächen genommen worden. Sie konnte nichts dafür. Das hatte sie begriffen, doch das traurige Bild würde immer bleiben, und daran erinnerte Pia sich nicht nur am Todestag ihrer Mutter. Das war einfach da. Sie und ihre Mama hatten sich so sehr geliebt, und dennoch hatte Mama sie allein gelassen.

An ihren Vater dachte Pia nie. Es waren keine schönen Erinnerungen, die sie an ihn hatte, an diesen groben, prügelnden, trinkenden Mann. Wenn man von Schuld sprechen konnte, dann war er es gewesen, der seine Frau, ihre Mutter, auf dem Gewissen hatte. Sie war an seiner Seite verkümmert, hatte resigniert und keinen Ausweg mehr gewusst, als dieses trostlose, hoffnungslose Leben zu beenden.

Pia hoffte, diesen Mann niemals mehr in ihrem Leben sehen zu müssen, und sie konnte nur froh sein, dass er ihr nichts mehr konnte, weil sie volljährig war. Sie hatte lieber auf der Straße gelebt als in seiner Nähe. Und das waren wirklich ganz schlimme Zeiten gewesen, in denen sie Angst hatte, sich entwürdigt gefühlt hatte.

Mittlerweile wusste sie, dass das nicht hätte sein müssen, weil es Stellen gab, an denen einem geholfen wurde. Auf der Straße musste niemand leben. Damals war es für sie der einzige Ausweg gewesen.

Wäre Alma nicht der rettende Engel gewesen, der sie von der Straße geholt hatte, würde sie noch immer dort leben? Vielleicht jetzt sogar als Alkoholikerin, als Drogenabhängige, das war doch der Strudel, in den man hineingezogen wurde, wenn man den Boden unter den Füßen verloren hatte und auf sich allein angewiesen war.

Nein, daran wollte Pia nicht mehr denken, sie wollte auch nicht traurig sein, das Leben lag vor ihr, und es gab mehr als nur eine helfende Hand.

Sie wischte sich die Tränen weg, blickte hinaus auf den See und dachte an die schönen Momente, die sie mit ihrer Mama hatte, und die gab es auch.

Sie fehlte ihr so sehr, denn eine Mutter konnte niemand ersetzen.

Pia wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie freudiges Hundegebell vernahm. Sie hatte keine Angst vor Hunden, vielleicht früher mal. Doch seit sie ins Tierheim ging von Frau Dr. Fischer, die Leiterin, ihr erzählte, wie man mit Tieren richtig umgehen musste, war es vorbei.

Außerdem kannte sie die beiden schönen Tiere. Sie sprang von der Bank herunter, beugte sich hinunter, streichelte die Labradore, von denen einer schöner war als der andere, obwohl das kaum möglich war. Labradore waren ganz besondere Tiere, und wenn sie sich mal ein Tier erlauben konnte, dann würde es ein Labrador sein, das wusste Pia jetzt schon, nur ob der Hund schwarz, weiß, braun sein sollte oder eine der Mischfarben haben, darüber dachte sie nicht nach. Auf die Fellfarbe kam es ja nun wirklich nicht an.

»Luna, Sam, ihr seid hoffentlich nicht davongelaufen?«, erkundigte sie sich besorgt, weil die Tiere nicht an der Leine waren.

Als sie hochblickte, entdeckte sie den jungen Mann, und sie sprang hoch. Ihr Herz begann zu klopfen. Sie wusste, wer er war. Sie hatte nicht nur viele Fotos von ihm gesehen, sondern von Pamela auch eine ganze Menge erfahren.

Hannes Auerbach …

In Wirklichkeit sah er viel, viel besser aus, irre, was für eine coole Frisur er hatte, die allerdings gut zu ihm passte, und wie er angezogen war. Sie hätte es nicht gewusst, doch von Pamela wusste sie, dass er von Dan Vox, dieser stylischen Klamottenfirma, vermarktet wurde, weil sein Gesicht bekannt war durch die Werbung zuvor für das Surfbrett, weil Typen gefragt waren, die cool, lässig wirkten, und deren Gesicht und Aussehen einen großen Wiedererkennungswert besaßen. Das war wie mit den Sängerinnen und Sängern, die man an ihrer Stimme erkannte, die aus allem herausragte.

Was machte er hier?

Pamela hatte ihr überhaupt nichts vom Besuch ihres Bruders erzählt. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Es spielte auch überhaupt keine Rolle. Er war da, blickte sie an, sie schaute zurück, ihre Blicke verloren sich ineinander. Es war ein magischer Augenblick, der durch nichts gestört wurde, auch nicht durch die Hunde, die irgendetwas entdeckt hatten und davongerast waren, vielleicht ein Kaninchen, ein anderes Tier.

Hannes Auerbach …

Ihr wurde bewusst, wer er war, wer sie war. Und das machte sie panisch. Zwischen ihnen lagen Welten.

Ohne nachzudenken, rannte sie davon, hörte seine Stimme, wollte sie nicht hören. Nichts wie weg!

Das war jetzt etwas gewesen, was sie gefürchtet hatte. Ihre Vergangenheit holte sie ein, und das genau in dem Moment, in dem etwas Unglaubliches geschehen war, was sich mit Worten nicht beschreiben ließ.

Zwischen ihr und Hannes Auerbach lagen Welten. Er durfte nicht erfahren, wer sie war, wo sie gelebt hatte.

Sie hatte heute bereits wegen ihrer Mutter geweint, jetzt tat sie es erneut, weil es so schade war, dass sie ihn nicht kennenlernen durfte. Sie hatte ihm gefallen, das hatte sie gespürt, und er …

Nein, sie wollte nicht darüber nachdenken, was sein Anblick bei ihr ausgelöst hatte.

Sie rannte zum Doktorhaus, Alma wollte gerade zu ihrem Auto gehen, um zum Einkauf zu fahren. Sie merkte sofort, wie aufgelöst Pia war. Doch aus Erfahrung wusste Alma, dass es überhaupt keinen Sinn machte, Pia jetzt zu fragen, weswegen sie so sehr neben der Spur war. Also tat sie so, als habe sie nichts von dem desolaten Zustand des Mädchens mitbekommen und erkundigte sich leichthin: »Kommst du mit, Pia? Ich muss einkaufen, und wenn das erledigt ist, können wir zum Verkehrsübungsplatz fahren. Zeit genug haben wir, um rechtzeitig danach daheim zu sein und dafür zu sorgen, dass das Mittagessen pünktlich auf den Tisch gebracht wird.«

Verkehrsübungsplatz …

Normalerweise bekam Pia dann glänzende Augen, wäre sofort darauf angesprungen, weil sie davon nicht genug bekommen konnte, am Lenkrad eines Autos zu sitzen und selbst fahren zu dürfen. Heute war das nicht der Fall, und das machte Alma Sorgen. Was war los?

Pia schüttelte den Kopf. »Nö, danke, ich …«

Sie brach ihren Satz ab, denn eines konnte Pia nicht, jemanden belügen und Alma schon überhaupt nicht. Sie zögerte, dann warf sie sich in Almas Arme und begann zu weinen.

Alma hielt sie fest, streichelte über den schmalen Rücken des Mädchens. Aber sie sagte noch immer nichts, aus Erfahrung wurde man halt klug, das war kein einfach so dahergesagter Satz. Doch ihre Gedanken überschlugen sich. Und wieder stellte sie sich die Frage, was wohl geschehen war. Es konnte nicht mit dem Todestag ihrer Mutter zusammenhängen. Davon hatte Pia gewusst, ehe sie zum See gegangen war, und da hatte sie sich ganz normal darüber unterhalten, traurig, voller Bedauern, aber gefasst.

Alma mochte Pia viel zu sehr, um jetzt ihren Verstand sprechen zu lassen, der ihr sagte, den Mund zu halten. Sie hörte auf ihr Herz, und das floss über vor Liebe und Sorge um das Mädchen, das sie liebte wie ihre eigene Tochter, die ihr leider verwehrt geblieben war.

»Pia, bitte erzähl mir, was geschehen ist, warum dich etwas so durcheinandergebracht hat.«

Das Weinen verstummte, ging in ein Schluchzen über. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Pia etwas sagen konnte. Sie blickte Alma betrübt an.

»Ach, Alma, wenn man mal auf der Straße gelebt hat, dann ist man gezeichnet für das ganze Leben, es holt einen immer wieder ein, es wird einem bewusst, dass man nicht dazugehört zu der Gesellschaft.«

Was redete Pia da?

Was war am See geschehen, was sie so durcheinandergebracht hatte?

Alma glaubte nicht, dass sie jemanden getroffen hatte, den sie aus der Zeit kannte, als sie auf der Straße gelebt hatte.

Erst einmal kamen die Leute nicht an den See, in den Sonnenwinkel, und Pia war eine Einzelkämpferin gewesen, hatte mit den anderen nichts zu tun gehabt.

Das Mädchen ließ sie gar nicht erst ausreden.

»Alma, bitte sei nicht böse, dass ich nicht darüber sprechen will und auch nicht, weil ich nicht mitkommen möchte. Ich will jetzt allein sein. Außerdem muss ich lernen. Wenn ich so richtig gut bin, etwas vorzuweisen habe, fragt vielleicht niemand nach meiner Vergangenheit. Aber jetzt …, ich habe nicht einmal einen Schulabschluss vorzuweisen, eine eigene Wohnung auch nicht, ich bin …, ich kann …«

Pia war vollkommen aufgelöst. Alma wusste, dass es jetzt überhaupt keinen Sinn machte, weitere Fragen zu stellen. Aber etwas sagen musste sie noch.

»Pia, mein Mädchen, du brauchst dich für nichts, was in deinem Leben geschehen ist, zu schämen. Du lügst nicht, du betrügst nicht, du trinkst und rauchst nicht, nimmst keine Drogen. Du bist ein sehr wertvoller, ein ganz wunderbarer Mensch. Ich danke dem lieben Gott jeden Tag dafür, dass ich dich kennenlernen durfte. Du machst mein Leben unendlich reich.«

Pia schluckte, sie starrte Alma an. Dann umarmte sie die verdutzte Frau so heftig, dass die sich festhalten musste. Es hatte den Anschein, als wolle Pia etwas sagen, doch dann besann sie sich, drehte sich um und lief ins Haus.

Alma fiel es jetzt sehr schwer, Pia nicht hinterherzulaufen. Das lag daran, dass sie sehr besorgt war. Alma konnte nur darauf hoffen, dass Pia es ihr irgendwann erzählen würde, was passiert war. Sie hatten ein sehr enges, vertrauensvolles Verhältnis zueinander. Und wenn nicht, dann musste sie, was sie ohnehin unermüdlich tat, weiter daran arbeiten, dass Pias Selbstwertgefühl gestärkt wurde und dass die Schatten der Vergangenheit sich verflüchtigen würden.

Es tat Alma so unendlich leid, mehr noch, es tat ihr weh, wie sehr Pia unter ihren Stimmungsschwankungen litt, wie schnell ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Sie war unsicher, nahm alles zu persönlich, fühlte sich schlecht.

Es lag noch ein langer, dornenreicher Weg vor Pia. Zorn überkam Alma, wenn sie daran dachte, wem Pia das zu verdanken hatte.

Es musste ihr endlich bewusst werden, wie stark sie war. Stark und klug, einfach wunderbar …

*

Teresa von Roth war immer recht gut darüber informiert, was im Sonnenwinkel alles geschah, und meist, ehe andere Leute es erfuhren. Das lag daran, dass man zu ihr Vertrauen hatte und wusste, dass sie nicht an jeder Ecke herumstand um zu klatschen. Nein, das war wirklich nicht ihr Ding.

Heute hatte sie eine ganz wundervolle Nachricht, die sie gleich ihrer Freundin Sophia von Bergen überbringen wollte, und Sophia würde vielleicht staunen.

Als Teresa am Haus der Rückerts vorbeiging, bedauerte sie es ein wenig, dass Rosmarie und ihr Mann abgereist waren und so schnell nicht wiederkommen würden. Sie mochte Rosmarie, und das nicht nur, weil die bei der Organisation von Events eine große Unterstützung war, nicht nur das, Rosmarie war die Seele solcher Veranstaltungen, da kam niemand mit ihr mit. Wer hätte gedacht, dass Rosmarie Rückert und sie wirklich so was wie Freundinnen geworden waren. An Rosmarie konnte man sehen, dass es nie zu spät war, etwas in seinem Leben, sich zu verändern.

Teresa ging schneller, grüßte hier und da, und dann hatte sie das Haus von Sophia erreicht, in dem diese und im Moment noch Angela lebten.

Teresa war noch ganz schnell bei ihrer Tochter vorbeigegangen, um ihr etwas von dem leckeren Bienenstich abzuschwatzen, den Inge besonders gut backen konnte und der köstlich schmeckte. Inge hatte sie großzügig bedacht, und Teresa freute sich darauf, die Köstlichkeit zusammen mit Sophia gleich bei einem Kaffee oder einem Tee zu verspeisen, und dann würde sie mit ihrer Neuigkeit herausplatzen.

Vorher hatte es keinen Sinn, dann wäre Sophia zu aufgeregt, würde den Kuchen nicht genießen können. Teresa kannte ihre Pappenheimer.

Im Moment lief alles so richtig gut, da konnte man auch verschmerzen, dass das Fest zur Rettung des Tierheims verschoben werden musste. Es gab da andere Möglichkeiten, doch darüber würde sie gleich mit Sophia sprechen.

Sie hatte das hübsche Haus erreicht, lief durch den Vorgarten, klingelte an der Haustür Sturm. Wenig später wurde ihr geöffnet. Normalerweise war Sophia die Freude anzusehen, Besuch zu bekommen. Doch heute machte sie einen bedrückten Eindruck. Sophia geriet leicht aus der Spur, und das war so merkwürdig, auf der einen Seite war sie stark, eine richtige Kämpferin. Das hatte man daran sehen können, wie sie mit dieser Krankheit fertig geworden war, da hatte niemand auch nur einen Pfifferling um sie gegeben, doch Sophia hatte es allen gezeigt. Und ein andermal war sie verzagt, traute sie sich nicht an die kleinsten Dinge heran. Aber was sollte es, man musste jeden Menschen nehmen wie er war. Sie selbst hatte auch so ihre Ecken und Kanten, kein Mensch war perfekt.

»Sophia, meine Liebe, ich hoffe Kaffee oder Tee stehen bereit, ich habe frischen Bienenstich mitgebracht, den ich Inge aus dem Kreuz geleiert habe.«

Normalerweise hätte Sophia jetzt etwas gesagt, sie mochte Bienenstich für ihr Leben gern.

»Schön«, war die einzige Antwort, die sie dazu gab.

»Und ich habe wundervolle Neuigkeiten«, bemerkte Teresa, als sie nebeneinander in das sonnendurchflutete Wohnzimmer gingen. Dazu sagte Sophia nichts, und jetzt begann Teresa, sich wirklich Sorgen um ihre Freundin zu machen.

Sie verkniff es sich, Fragen zu stellen, sondern packte den Kuchen aus, legte ihn auf eine schöne Kuchenplatte, Sophia deckte den Tisch, und wenig später saßen sie sich bei Kaffee, dem leckeren Kuchen, am Tisch. Es war eine Situation, die die beiden feinen, adeligen Damen normalerweise sehr genossen.

Heute war es anders, und das lag daran, wie unentspannt Sophia heute war. Das dämpfte Teresas Freude, mit ihrer Neuigkeit herauszuplatzen. Aber deswegen war sie schließlich hergekommen, und für sich behalten wollte sie es nicht.

Gerade wollte sie ansetzen, es Sophia zu erzählen, als die mit etwas herausplatzte, das durch nichts zu überbieten war. »Angela und Berthold haben sich getrennt.«

Teresa war so überrascht, dass ihr die Kuchengabel aus der Hand fiel. Was hatte Sophia da gesagt? Das konnte überhaupt nicht wahr sein. Angela und Berthold hatten sich gesucht und gefunden, sie waren ein wundervolles Paar.

Teresa von Roth war wortgewandt, wusste auf alles eine Antwort. Jetzt war sie erst einmal verstummt, konnte ihre Freundin nur ansehen, als habe die gerade in einer unverständlichen Sprache etwas gesagt.

Und weil das so war, weil Sophia das auch wusste, war die erst einmal irritiert. Teresa hatte alles daran gesetzt, dass aus Angela und Berthold ein Paar wurde, auch wenn es ohne deren Zutun geschehen war. Und jetzt sagte sie nichts dazu?

Sophia trank etwas, aß ein Stückchen von dem wirklich wunderbaren Kuchen, den Teresa glücklicherweise mitgebracht hatte. Teresa sagte noch immer nichts.

»Sie werden in das Haus auf dem Seeweg nicht einziehen, er wollte es Angela schenken, doch die hat es abgelehnt, dabei wäre es doch gut für sie gewesen, denn Angela hat ja, wie du weißt, überhaupt keine Altersversorgung, und wenn …«

»Sophia, ich bitte dich, hör auf. Natürlich musste Angela das Angebot ablehnen. Leben kann sie in dem Haus nicht, in dem sie die Erinnerungen an das, was hätte sein können, anfallen würden wie wilde Tiere. Und das Haus verkaufen, ja, dafür würde sie einen guten Batzen Geld ­bekommen. Doch du kennst ­deine Tochter, sie konnte überhaupt nicht anders handeln. Aber sag bitte, Sophia, warum haben Sie sich getrennt? Sie waren glücklich miteinander, taten sich gut. Und beide gehören nicht zu den streitsüchtigen Menschen. Ich …, ich verstehe es nicht, bitte erklär es mir.«

Sophia blickte ihre Freundin traurig an, denn auch ihr tat es sehr weh, was sich da ereignet und womit sie niemals gerechnet hätte.

»Teresa, die Schatten seiner Vergangenheit haben Angela erdrückt. Berthold hat sich zu sehr von ihr beherrschen lassen. Wenn man eine neue Verbindung eingeht, dann darf man sich nicht von negativen Emotionen beherrschen lassen, dann muss das neue Pflänzchen gepflegt werden, sonst geht es ein. Sie wollten es beide, Teresa, doch es hat nicht gereicht. Berthold hatte Firmenanteile verkauft, sie hatten unendlich viel Freude daran, das Haus hier so umzubauen, wie es ihren Vorstellungen betraf. Angela war mit ihm in Afrika, gemeinsam haben sie den Ort dieses entsetzlichen Geschehens besucht. Sie war für ihn da, hat ihn aufgefangen, aber irgendwann muss was zurückkommen …, und da war nicht viel. Seine Vergangenheit war stärker, die Bilder seiner Frau, die seiner Kinder waren noch zu tief in seinem Herzen.«

Das alles erschütterte Teresa sehr, doch sie war eine kluge Frau, und es ging nur was ging.

»Es ist schade, Sophia, die Zeit war wohl noch nicht reif für einen Neubeginn für Berthold. Wer weiß, vielleicht wird sie niemals kommen. Doch darauf kann deine Angela nicht warten. Eine Liebe ist sehr schnell aufgebraucht, wenn nichts zurückkommt. Am liebsten würde ich Berthold anrufen, um ihm zu sagen, dass er sein Glück nicht mit Füßen treten, dass er um Angela kämpfen soll. Besser noch, ich sollte ihn treffen, schütteln, damit er zur Besinnung kommt.«

»Teresa«, rief Sophia entsetzt, »bitte, tu das nicht.«

Es war eine ernste Situation, es war sehr traurig. Dennoch konnte Teresa sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

»Sophia, entspann dich. Natürlich werde ich nichts davon tun, das ist wirklich eine Sache, die nur Angela und Berthold etwas angeht. Und gerade deine Angela ist niemand, der aus einer Laune heraus etwas tut. Sie wird sich ihre Gedanken gemacht haben, und jetzt muss man ihre Entscheidung respektieren. Ehrlich mal, auch wenn es sehr, sehr bedauerlich ist, ich würde ebenfalls nicht anders handeln. Was denkt sich der liebe Gott eigentlich dabei, zwei wunderbare Menschen zusammenzubringen, wenn er doch weiß, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen ist?«

Sophia hatte darauf keine Antwort. Eigentlich war sie froh, dass Teresa es so gelassen nahm. Denn für sie waren Berthold und Angela das Traumpaar schlechthin gewesen. Nun ja, für sie ebenfalls.

Eigentlich war für Teresa jetzt die Luft raus, aber sie war hergekommen, um Sophia etwas zu erzählen. Das wollte sie noch immer, doch nach dem, was sie da gerade vernommen hatte, würde die erhoffte Wirkung ausbleiben, Sophia hatte gerade ganz andere Gedanken im Kopf.

»Wenn du willst, meine Liebe, dann haben wir in der ehemaligen Rückert-Villa in Hohenborn ein gemeinsames Büro.«

Was redete Teresa da. Ja, sie wusste, dass ihre Freundin dort für Piet van Beveren so etwas wie eine Grande Dame sein würde. Doch was hatte sie damit zu tun?

Diese Frage beantworte Teresa ihr direkt, und nun kam sie doch noch zu ihrem Aha-Erlebnis.

Teresa erzählte Sophia, dass Piet nicht nur das Tierheim unterstützen wollte, sondern auch noch andere Projekte im Umkreis, auch Familie, Kinder, Bibliotheken, Schulen, halt alles, was eine Unterstützung verdiente. Und da er wusste, wie gut sie bereits einiges auf die Beine gestellt hatten, war sein Vorschlag gewesen, ein kleines Büro im künftigen Internat dafür vorzusehen, die Projekte dort zu betreuen, und dabei …

Teresa strahlte Sophia an.

»Sophia, du wirst es nicht glauben, doch dabei hat er an uns beiden alten Mädchen gedacht. Piet, dieser großartige Mann, gehört zu den Menschen, die wissen, dass nicht nur Wissen entscheidend ist, sondern das eine große Lebenserfahrung sehr wichtig ist.«

Sie trank rasch einen kleinen Schluck, dann fuhr sie fort: »Sophia, wir können frei entscheiden. Natürlich ist es ehrenamtlich, aber unsere Kosten sind selbstverständlich gedeckt, und eine großzügige Aufwandsentschädigung gibt es ebenfalls, darauf besteht Piet. Und, was sagst du?«

Sophia atmete tief durch.

»Was soll ich dazu sagen, ja, ja und abermals ja natürlich.«

Sie stand auf, ging auf Teresa zu, umarmte sie, und beinahe hätte sie angefangen zu weinen.

»Alles habe ich natürlich dir zu verdanken, denn an dir hat Piet van Beveren einen Narren gefressen. Aber wie auch immer, ich freue mich so sehr, ich, wir werden gebraucht, und das für einen guten Zweck. Danke, Teresa, dass du mich mit ins Boot gebracht hast. Mit mir hätte er so was nicht gestartet.«

Teresa widersprach sofort.

»Piet findet dich sehr sympathisch, du bist klug, hast Stil, einen guten Namen, das zählt für so was. Außerdem kannst du organisieren, was nicht unbedingt meine Stärke ist. Rosmarie wird vielleicht staunen, aber sie wird sich für uns freuen, und das Tierheimfest läuft ja nebenher, und wie ich Rosmarie kenne, wird sie einen großen Ehrgeiz entwickeln und noch mehr auf die Beine stellen, um uns zu beweisen, dass sie gleichziehen oder uns überholen kann. Weißt du, Sophia, ich spiele ja in der Regel gern die erste Geige, aber in so einem Fall würde ich sogar in die zweite, die dritte oder ganz in den Hintergrund treten, weil es um eine gute Sache geht.« Und dann hatte Teresa eine Idee. »Sag mal, Sophia, jetzt, da Angela wieder ungebunden ist, frei, findest du nicht, dass ich mal mit Piet reden sollte? Der hat gewiss eine Anstellung für Angela, und die Übersetzungen, die kann sie ja immer noch machen. Ich weiß beispielsweise, dass Piet sich von der Verwaltungschefin für das Internat getrennt hat, noch ehe sie die Stelle angetreten hat. Da gab es Differenzen. Wäre das nichts für Angela? Um einen Job in der Schönheitsklinik würde ich ihn nicht bitten, und auch dieses Hotel für die Schönen und Reichen ist nichts für Angela. Aber mit Jugendlichen kann sie es, auch wenn sie mit denen vermutlich nicht so viel zu tun hätte, ach, ich weiß nicht, ich kenne mich auf dem Arbeitsmarkt nicht aus. Aber Piet, der weiß, was er tut.«

Jetzt musste Sophia lachen.

»Also, wenn du deinen Magnus nicht hättest, wenn Piet van Beveren nicht viel jünger wäre, da würde ich sagen, dass du in ihn verknallt bist.«

Das machte Teresa nun in keiner Weise verlegen.

»Ich habe meinen Magnus, den ich für nichts auf der Welt aufgeben würde, weil ich ihn über alles liebe, aber ja, wäre ich jünger und ungebunden, könnte Piet mir schon gefallen. Doch darum müssen wir uns überhaupt keine Gedanken mehr machen, denn er hat die Frau Dr. Müller. Dass dieses Paar sich gefunden hat, freut mich unglaublich. Es wird einem ganz warm ums Herz, wenn man sieht, wie zärtlich und liebevoll sie miteinander umgehen. Ganz besonders der an sich doch so spröde Piet trägt seine Claire auf Händen, und …«

Teresa brach ihren Satz ab.

»Bitte entschuldige, Sophia. Es war jetzt wirklich sehr unsensibel von mir, dir vom großen Liebesglück eines anderen Paares vorzuschwärmen, während das Glück von Angela und Berthold gerade den Bach heruntergegangen ist. Manchmal habe ich wirklich das Gemüt eines Fleischerhundes, und mein Mund plappert etwas, was im Gehirn nicht angekommen ist.«

Sophia sah das lockerer.

»Terersa, ich bitte dich. Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen. Das ist der Lauf der Dinge, des Lebens. Lachen und Weinen, Glück und Unglück, Freude und Schmerz …, es liegt alles dicht beieinander. Man muss es hinnehmen wie es kommt, mal steht man im Schatten, mal auf der Sonnenseite. Niemand hat einen Einfluss darauf.«

Das sah Teresa ein bisschen anders. Doch deswegen wollte sie jetzt mit Sophia keine Grundsatzdiskussion beginnen. Diese Einstellung zum Leben unterschied sie ein bisschen voneinander, auch wenn sie ansonsten sehr viele Gemeinsamkeiten hatten, beispielsweise ihr fester Glaube an Werte, an Tradition, was allerdings kein Wunder war, hatten sie doch ähnliche Wurzeln. Ansonsten war Teresas Devise eher, aus allem das Beste zu machen.

Teresa wollte ablenken, und deswegen erkundigte sie sich rasch: »Sag mal, Sophia, hast du vielleicht zufällig in deinem Kühlschrank ein kleines Pikkolöchen, das wir uns teilen können? Wir haben doch allen Grund dazu, ein Schlückchen darauf zu trinken, was man uns alten Mädchen noch zutraut, nicht wahr?«

Damit war Sophia durchaus einverstanden. Und ja, sie hatte für alle Fälle ein kleines Fläschchen Champagner in ihrem Kühlschrank.

Wenig später perlte der Champagner in den kostbaren Kristallgläsern. Teresa hatte ja immerzu Erfolge, gleichgültig, welcher Art. Doch dass sie jetzt mit im Boot saß. Auf Sophias Gesicht erschien ein kleines, sehr zufriedenes und glückliches Lächeln, und das, ehe sie von dem Champagner getrunken hatte.

»Auf unser Wohl, Teresa, auf das, was wir ankurbeln dürfen, und lass uns vor allem auf unsere Freundschaft trinken, die so fest ist, dass sie alle Stürme überstehen kann.«

Darauf trank Teresa gern.

Freundschaft war ein hohes Gut, doch erst wenn man in der Not war, zeigten sich die wahren Freunde. Und da gab es zwischen den von Roths und den von Bergens ein starkes Band, das niemand zerreißen konnte. Es war beruhigend, das zu wissen.

*

Roberta war überglücklich, dass Nicki im Sonnenwinkel nicht nur mal vorbeigerauscht kommen würde, sondern übers Wochenende bleiben wollte. Und sie kam diesmal nicht einfach hereingeplatzt, was sie meistens tat, wenn es bei ihr irgendwo brannte, sondern sie hatte sich angemeldet.

Roberta war es im Grunde genommen egal, ob angemeldet oder unangemeldet, die Hauptsache war doch, dass Nicki kam. Roberta war glücklich im Sonnenwinkel, war angekommen. Einen kleinen Wehmutstropfen gab es doch. Und der war, dass sie nicht mehr in einer Stadt wohnten und eben mal vorbeikommen konnten. Das vermisste Roberta schon, denn Nicki war ihre allerbeste Freundin.

Sie wussten, was sie aneinander hatten und waren stets gemeinsam durch dick und dünn gegangen, wie bei der schrecklichen Scheidung von dem Schwerenöter Max, an den Roberta niemals mehr erinnert werden wollte, dann das Baby, das Nicki verloren hatte, und Nicki war für sie da gewesen, als Lars …

Nein!

Roberta wollte nicht daran denken, nicht jetzt, sie wollte sich einfach nur auf Nicki freuen.

Alma hatte alles gekocht, was Nicki besonders gern mochte, und nun war sie mit Pia übers Wochenende verreist. Es schien, als wolle Alma jeden Augenblick genießen, in dem Pia noch nicht aus dem Doktorhaus ausgezogen war.

Sie und Nicki würden allein sein, das hatte auch etwas für sich.

Roberta schaute auf ihre Uhr, eigentlich hätte Nicki längst hier sein müssen. Wahrscheinlich war ihr wieder irgendetwas dazwischen gekommen. Doch das kannte sie von Nicki. Es war schon ein wenig merkwürdig, Trödelei, Zuspätkommen, das war nicht Nickis Naturell, denn wenn es um Geschäftliches ging, dann konnte man nach Nicki die Uhr stellen. Egal, wohin sie auch musste, sie war pünktlich wie ein Maurer. Das sagte man ja so, Roberta wusste nicht, woher das kam, sie hatte es von Nicki übernommen, ohne es zu hinterfragen. Nun, privat war auf Nicki nicht unbedingt Verlass. Aber eine Macke hatte schließlich jeder, und das Zuspätkommen konnte man Nicki nachsehen. Sie war eine liebenswerte Frau mit einem großen Herzen. Roberta war überglücklich, Nicki in ihrem Leben zu haben.

Roberta hatte sich gerade einen frischen Kaffee gekocht und wollte sich gemütlich hinsetzen, als es an der Haustür Sturm klingelte. Nicki. Die besaß zwar einen Schlüssel für das Doktorhaus, doch wenn sie ihn brauchte, hatte sie ihn niemals dabei.

Roberta stellte ihre Tasse ab, rannte zur Tür, und dann fiel ihr Nicki auch schon stürmisch um den Hals.

»Tut mir leid, liebste Freundin, ich wollte pünktlich sein, doch dann hielt Jens mich auf und hat mir noch eine Frikadelle ans Knie geredet. Er wollte einfach nicht aufhören, und ich wollte ihn nicht unterbrechen. Ich weiß doch, was für ein Mimöschen er ist. Und dann habe ich mir auch gesagt, dass ich keinen Zug oder Flieger verpasse, und du kennst mich.«

Sie ließ Roberta los.

»Du glaubst überhaupt nicht, wie ich mich freue, dich endlich mal wieder zu sehen.« Sie schnupperte. »Hm, Kaffee, auf den hätte ich jetzt Lust.« Sie rannte zum Tisch, schnappte sich die Tasse, trank genüsslich. »Lecker, den habe ich jetzt gebraucht. Hat den die gute Alma noch gekocht?«

Die Frage war nicht unberechtigt.

»Nein, Nicki, das war ich. Du wirst es nicht glauben, Kaffeekochen, das kann ich mittlerweile und auch noch ein bisschen mehr. Aber ansonsten hat Alma für unser leibliches Wohl gesorgt, wenn wir nicht wollen, müssen wir nicht einen einzigen Schritt vor die Tür setzen. Wenngleich ein Spaziergang um den See nicht verkehrt wäre. Das Wetter soll stabil bleiben.«

Nicki trank erneut.

»Keinen Schritt vor die Tür ist mir lieber, Roberta, du weißt doch, was für eine Couchpotato ich bin. Ich muss dir unbedingt etwas erzählen«, fügte sie hinzu. Doch da stoppte Roberta sie erst mal. »Gleich, du trinkst nämlich gerade meinen Kaffee, ich hole mir rasch einen neuen Kaffee, oder besser noch, ich bringe direkt die ganze Kanne mit.«

Nicki nickte.

»Eine kluge Entscheidung, und wenn du dann ebenfalls noch etwas Süßes mitbringen könntest, liebste Freundin, dann wäre das geradezu göttlich.«

Roberta lachte, so war sie, die Nicki. Sie verschwand und kam wenig später nicht nur mit dem Kaffee zurück, sondern auch einer sehr schönen Silberschale, die voller Kekse war. Und über die machte Nicki sich sogleich her, als habe sie gerade eine Hungersnot überstanden.

Roberta konnte wieder einmal nur staunen, und sie fragte sich unwillkürlich, wie man so viele Kekse in einer so unglaublichen Geschwindigkeit in sich hineinstopfen und dabei auch noch reden konnte. Nicki schaffte das.

Irgendwann lehnte Nicki sich zufrieden zurück, lobte Almas Backkunst, bedauerte, sie diesmal nicht sehen zu können. Das war aufrichtig, denn Alma und Nicki mochten sich sehr. Für Alma kam Nicki direkt hinter Pia, die Nicki vom ersten Platz in Almas Gunst verdrängt hatte. Doch Roberta war sich sicher, dass Nicki damit durchaus leben konnte. Sie freute sich ja für Pia, die auf dem Weg war, ins Leben zurückzufinden.

Fast machte es den Eindruck, als überlege Nicki, ob sie auch noch die letzten drei Kekse in sich hineinstopfen sollte, die ein wenig verträumt auf der Silberschale lagen.

Sie besann sich anders, und das war auch gut so.

»Roberta, gewiss fragst du dich, warum ich gekommen bin, vor allem, warum ich sogar übers ganze Wochenende im Sonnenwinkel bleiben möchte.«

Prompt antwortete Roberta: »Vermutlich, weil du mich sehen willst, oder?«

Das bestätigte Nicki, doch dann sagte sie mit ungewöhnlich ernster Stimme, dass das nicht der einzige Grund sei, und das machte Roberta neugierig. Ein wenig war sie auch besorgt, denn Nicki war für jede Überraschung gut. Und manchmal tat sie etwas, was nicht unbedingt gut für sie war. Freilich hatte das immer mehr nachgelassen, und seit sie ihr Baby verloren hatte, war Nicki ernsthafter, überlegter geworden.

»Roberta, eigentlich hatte ich es für heute Abend aufheben wollen, doch ich erzähle es dir lieber jetzt, denn dann können wir später ganz entspannt einen richtigen Mädelsabend machen wie in alten Zeiten.«

Insgeheim atmete Roberta auf. Dann konnte es nichts Schlimmes sein, was Nicki zu berichten hatte. »Einverstanden, Nicki, also, schieß los, was ist es, was ich erfahren muss?«

»Ich werde nach Japan fliegen«, platzte es ganz stolz aus Nicki heraus, »das ist ein wundervoller Ersatz für die abgesagte Reise mit Jens, auch wenn der ein wenig pikiert ist. Doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Du weißt ja, dass es immer im Spiel war, seit ich den ›Sternenstaub‹ von Lars ins Japanische übersetze. Jetzt ist es mehr, man ist an einer ständigen Zusammenarbeit mit mir interessiert, und dabei eher an Übersetzungen vom Japanischen ins Deutsche.«

»Nicki, das freut mich. Du hast doch immer herumgejammert, dass du für Japanisch zu wenige Aufträge bekommst, dass du das Land kaum kennst.«

Nicki zog ihre Beine hoch, presste ihr Gesicht auf die Knie, blickte Roberta an.

»Ist es nicht verrückt, dass Lars, obwohl er da doch bereits verschwunden war, mir mit diesem großartigen Buch ganz neue Tore geöffnet hat? Ich bin Lars unendlich dankbar dafür, und ich wünsche so sehr, dass es ihm gut geht, wo immer er auch sein mag.«

Roberta freute sich für Nicki, für die sich nicht nur eine ganz große Chance ergab, sondern vor allem etwas, was sie mit Freude machte. Und was sie über Lars gesagt hatte, es ging Roberta ans Herz, doch sie wollte da jetzt nicht reingehen, denn es würde sie wieder sehr traurig machen.

»Sternenstaub ist ein großartiges Buch«, sagte sie stattdessen leise, »ich finde daran Halt, und ich bin Lars ganz nahe, wenn ich darin blättere. Von Solveig weiß ich, dass es in vielen Ländern erscheinen wird …, wenn Lars das wüsste. Ich weiß, wie sehr es ihn freuen würde.« Nun war sie doch drin und hatte mit ihren Tränen zu kämpfen.

Nicki sprang auf, setzte sich neben Roberta, nahm sie ganz fest in den Arm.

»Roberta, ich bin mir sicher, dass er es weiß. Er weiß alles, was geschieht, und er würde nicht wollen, dass du traurig bist, wirklich nicht.«

Roberta lehnte ihren Kopf gegen Nickis Schulter, verharrte dort so einen Augenblick, als sie sich wieder aufrichtete, sagte sie: »Ich weiß es, Nicki, denn manchmal bin ich Lars so nahe, als säße er neben mir.«

Nicki nickte.

»Weißt du, Roberta, so erging es mir mit meinem Baby. Obwohl das nicht einmal das Licht der Welt erblicken durfte, ich es nicht in meine Arme nehmen konnte, spürte ich oft eine sehr große Nähe.«

»Und das ist jetzt vorbei?«, wollte Roberta wissen, die sich sehr gut an das Babydrama erinnern konnte. Das Baby, auf das sie sich beide wie verrückt gefreut hatten, von dem sie Patentante werden sollte, für das sie eingekauft hatten, als sei nicht ein Kind unterwegs, sondern ein Dutzend. Doch Roberta erinnerte sich auch daran, dass Nicki panisch gewesen war, kein Kind haben wollte, denn der Kindesvater, eine flüchtige Liebschaft, war als Straßenmusikant längst weitergezogen. Eine Abtreibung wäre für Nicki allerdings nie infrage gekommen. Und irgendwann hatte sie sich nur noch auf das Kind gefreut, das sie unter ihrem Herzen trug. Sie konnte die Geburt kaum erwarten, und dann hatte Nicki ihr Baby verloren, einfach so. Die Ärmste war vor Schmerz und Enttäuschung beinahe verrückt gewesen, und dann hatte es ja auch noch die Schuldgefühle gegeben. Nicki hatte sich eingeredet, dafür bestraft worden zu sein, weil sie nicht vom ersten Moment an hinter ihrer Schwangerschaft gestanden hatte.

»Es ist anders geworden, Roberta«, antwortete Nicki nach kurzem Nachdenken. »Ich kann jetzt besser damit umgehen, weil ich überzeugt davon bin, dass der liebe Gott andere Pläne mit mir hat. Sieh mal, mit Baby hätte ich nicht einmal im Traum daran denken können, derart anspruchsvolle Übersetzungen zu machen, die Japanreise wäre ins Wasser gefallen, man hätte sie mir ja nicht einmal angeboten. Ich hätte Übersetzungen vor Ort machen müssen, schlecht bezahlt. Und bei aller Liebe zum Kind gibt es einen Alltag, der für eine allein erziehende Mutter sehr schwer ist, doch davon wollen die meisten Menschen nichts wissen. Ich sag es dir ganz ehrlich, ich habe mit meinem Schicksal, mit dem lieben Gott, meinen Frieden gemacht.«

Lieber Gott …

Das waren ganz neue Worte aus dem Mund von Nicki. Sie war kein ungläubiger Mensch, aber so geredet hatte Nicki bislang noch nie. Doch das wollte sie nicht hinterfragen, jeder Mensch hatte seine höchtspersönliche Einstellung zu Gott, zu seinem Glauben.

Aus diesem Grunde ging Roberta jetzt auch nicht auf Nickis letzte Worte ein, sondern auf das, was Nicki zuvor voller Stolz und Freude erzählt hatte. »Nicki, ich freue mich so unglaublich für dich, doch es macht mich andererseits auch ein wenig traurig, dass du dann erst einmal weg sein wirst. Oder wird es nur ein kurzer Trip?«

»Oh nein, vier Wochen werden es schon werden, weil ja eine ganze Menge zu besprechen sein wird, außerdem möchte man mich auch ein wenig kennenlernen. Stell dir vor, der Verlag übernimmt sämtliche Kosten, auch die des teuren Fluges, und ich darf sogar Business fliegen. Ich hatte die Wahl, Hotel oder Gästehaus, habe mich für das Gästehaus entschieden, weil man dort näher an den Menschen ist und nicht eine Zimmernummer. Es ist eine unglaubliche Chance, und manchmal kann ich es noch nicht glauben. Übrigens, ich werde eine recht große Wohnung bewohnen, und so spricht nichts dagegen, dass du mich dort besuchen kannst, wenn du willst.«

Es war verlockend, doch nach Japan zu reisen, das war kein Wochenendausflug, und hier war noch einiges zu regeln. Da war zuerst einmal Pias Auszug aus dem Doktorhaus. Gut, damit wurde Alma allein fertig, und das würde die sich auch nicht nehmen lassen. Da war allerdings auch noch Claire … Roberta freute sich aus tiefstem Herzen über deren Glück, aber sie konnte nicht die Augen davor verschließen, dass Claire über kurz oder lang, spätestens, wenn sie und Piet heiraten würden, in der Praxis aufhören würde. Das stellte Claire augenblicklich in Abrede, und davon war sie auch überzeugt, aber es ging überhaupt nicht anders.

Piet war hier geschäftlich involviert, nach Beendigung des Projekts, und die Tage bis zur Fertigstellung waren gezählt, würde er den Sonnenwinkel verlassen. Bei all seiner Liebe zu Claire war es nicht denkbar, dass er sich hier niederlassen wollte. Ja, und dann lag eine Entscheidung an, doch darüber wollte sie sich jetzt wirklich nicht den Kopf zerbrechen.

»Japan«, Robertas Stimme bekam beinahe einen sehnsuchtsvollen Glanz, weil Land und Leute sie interessierten, »Nicki, ich würde dich dort gern besuchen. Es geht allerdings derzeit überhaupt nicht.«

Nicki wollte direkt etwas einwenden, weil es bei Roberta immer Gründe dafür gab, eine spontane Reise nicht zu machen. Ihre Freundin war mit ihrer Praxis verheiratet, das war nun mal so.

Roberta kam Nicki zuvor. »Sag jetzt bitte nichts, Nicki, es gibt wirklich einen wichtigen Grund.«

Nicki verdrehte die Augen, fragte sich insgeheim, was für eine Geschichte Roberta ihr diesmal auftischen würde, doch dann konnte sie nur noch staunen. Roberta erzählte ihrer Freundin, was sich im verträumten Sonnenwinkel ereignet hatte, nämlich, dass Piet van Beveren und Claire ein Liebespaar geworden waren.

»Das glaube ich jetzt nicht«, war Nickis spontane Antwort. »Claire und dieser Macho, das geht überhaupt nicht. Sie ist eine so tolle Frau, und sie soll sich bloß nicht von ihm verscheißern lassen. Einer wie der will doch bloß seinen Spaß haben, und wenn er genug hat, wird er sie ausmustern wie all die anderen Frauen, die er zuvor gewiss reihenweise hatte. Wenn ein Mann mit dieser unglaublichen Kohle noch nicht verheiratet ist, dann kann man daran fühlen, dass er wie ein Schmetterling lieber von einer Blume zur nächsten fliegt und hier und da mal nascht, unverbindlich. Dummerweise fallen viele Frauen auf so was herein, aber Claire …«

Roberta unterbrach ihre Freundin, obwohl sie so etwas normalerweise hasste.

»Halt bitte ein, Nicki. Du bist doch immer gegen Pauschalurteile, doch jetzt lässt du etwas vom Stapel, für das du nicht den geringsten Beweis hast. Piet gehört nicht zu dieser Kategorie von Männern. Er ist ganz anders, hatte einfach nicht die Zeit und Gelegenheit, eine Frau richtig kennenzulernen, geschweige denn, sich in eine zu verlieben. Und dann lernte er zufällig Claire kennen, und da war es um ihn geschehen. Es war auf beiden Seiten Liebe auf den ersten Blick. Claire und Piete wussten überhaupt nichts voneinander. Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass sie Ärztin ist, und sie hielt ihn, weil er so oft unterwegs ist, für einen Handelsvertreter, der mühevoll seine Brötchen verdient. Sie sahen nur sich, alles andere war unwichtig …, es ist keine Liebelei, sie haben sich verlobt, und sie werden heiraten. Es ist schön, zu sehen, wie glücklich sie sind.«

Jetzt war Nicki ein wenig beschämt. Sie hatte sich wirklich ein ganz anderes Bild von Piet van Beveren gemacht, ohne viel über ihn zu wissen. Für sie war er bislang ein Macho, ein Macher, der sein Ding machte und darauf pfiff, was man über ihn dachte.

Nicki entschuldigte sich. »Tut mir leid, es war wirklich blöd von mir.« Dann allerdings interessierte sie etwas viel mehr. »Wie fühlt es sich für dich an, Roberta? Ein Glück vorgelebt zu bekommen, das für dich zerbrochen ist, und das dann auch noch auf eine so tragische Weise. Vor allem, was wird in der Praxis passieren, die Claire ja über kurz oder lang verlassen wird. Ihr arbeitet fabelhaft zusammen, vor allem wurdest du endlich entlastet, und damit wird es dann vorbei sein, aus dir wird wieder eine Einzelkämpferin, die kaum noch Luft zum Atmen hat.«

Jetzt konnte Roberta nicht anders, sie musste lächeln, ihre Freundin Nicki liebte es einfach, etwas zu dramatisieren.

»Ach, weißt du, Nicki, irgendwie geht es immer weiter. Noch ist Claire da, und die Zusammenarbeit mit ihr ist wundervoll. Und dann …, ich mache es jetzt einfach so, wie du es gerade sagtest, ich warte ab, was der liebe Gott für mich plant.«

»Roberta, so einfach ist es nicht …«

Was für ein Glück, dass sie einander so gut kannten, denn Roberta wusste, dass es jetzt eine lange Diskussion geben würde, und darauf hatte sie keine Lust. Also wechselte sie rasch das Thema, begann über Konstantin zu sprechen. Und darauf sprang Nicki sofort an.

»Roberta, ich finde es ganz großartig, dass er die Stelle in Hohenborn annimmt, schade, dass ich ihn noch nicht kennenlernen durfte, aber alles, was du über diesen Mann erzählst, hört sich positiv an. Und dass ihr euch nach all diesen Jahren wiedergetroffen habt, das kann kein Zufall sein. Ihr musstet euch einfach begegnen.«

Nicki bekam glänzende Augen, und Roberta ahnte, was in deren Kopf jetzt vorging. Dem musste sie direkt einen Riegel vorschieben.

»Nick, ich mag Konstantin, ich mag ihn sogar sehr, doch aus ihm wird ganz gewiss kein Nachfolger für Lars, wenn du solche Gedanken haben solltest, dann schlage sie dir bitte aus deinem hübschen Köpfchen.«

»Aber früher, da …«

Roberta ließ sie nicht aussprechen.

»Jetzt gebrauche ich mal deine Worte, früher hatten wir auch einen Kaiser. Oder wie heißt es doch auch bei dir bei jeder sich bietenden Gelegenheit? Kein Fluss fließt zurück.« Roberta wurde wieder ernst. »Nicki, als ganz junge Studenten waren Konstantin und ich ineinander verliebt, zusammen waren wir nicht. Und dann studierte er in Amerika, ich in Deutschland weiter, wir haben beide unabhängig voneinander unser Leben gelebt, und weder er hat sich nach mir verzehrt noch ich mich nach ihm …. Konstantin ist ein Freund für mich, nicht mehr und nicht weniger. Und ganz gewiss wird er nicht der Nachfolger von Lars, das betone ich noch einmal, und dann hören wir bitte davon auf. Den Platz in meinem Herzen hat Lars, sonst keiner, und daran wird sich niemals etwas ändern. Möchtest du noch einen Kaffee, Nicki?«

Die traute sich jetzt nicht zu sagen, dass jemand wie Roberta nicht allein bleiben durfte. Sie sprachen offen über alles, doch es gab auch Grenzen, die keine von ihnen überschritt. Roberta durfte nicht wissen, dass Nicki sie jeden Abend in ihr Gebet mit einschloss, auch um einen neuen Mann an ihrer Seite bat, und wer weiß, vielleicht war es ja auch schon Konstantin von Cleven. Es musste nicht immer die Liebe auf den ersten Blick sein, oftmals war die auf den zweiten Blick haltbarer, außerdem konnten Roberta und dieser Konstantin an ihrer Vergangenheit anknüpfen. Sie würde es freuen, jemand wie Roberta durfte einfach nicht allein bleiben. Sie war schön, klug, jung genug, um sich ihren Traum von Familie und Kindern noch zu erfüllen.

Ja, sie wollte noch einen Kaffee, und die drei Kekse auf dem Teller lachten sie an, sie steckte sie sich vorsichtshalber in den Mund. Dadurch bekam sie nämlich eine Chance, dass Roberta die Schale mit sich nahm und erneut füllte.

Bingo!

Was für ein Glück, dass sie sich auch ohne Worte so gut verstanden, Roberta nahm die Schale mit, und das gewiss nicht nur, um sie abzustellen. Roberta würde sie erneut füllen, und Nicki nahm sich vor, dann ganz manierlich den einen oder anderen Keks noch zu essen, weil die diesmal besonders lecker waren.

Während Roberta draußen war, lehnte Nicki sich zurück. Es war schön im Doktorhaus, gemütlich, sie fühlte sich unendlich wohl. Schade, schade war nur, dass sich dieses wunderschöne Haus im Sonnenwinkel befand, in dieser Bilderbuchidylle, die einfach nichts für einen Stadtmenschen war, und dennoch wäre auch sie beinahe hier gelandet, als sie kurz überzeugt davon gewesen war, es nicht nur mit dem Sonnenwinkel aufnehmen zu können, sondern auch nur mit einem Mann und dessen beiden pubertierenden Kindern.

Wie wäre es wohl, wenn?

Nein, weg mit diesen Gedanken, ein Fluss floss wirklich nicht zurück. Peter Bredenbrock und die Kinder, sie dachte gern an sie zurück, manchmal sogar mit ein wenig Wehmut, Nicki war sich nicht sicher, wie sie heute handeln würde.

Roberta kam mit dem Kaffee zurück, von der Silberschale keine Spur.

»Und wo sind die Kekse, Roberta?«

»Nicki, ich will dich nur davor bewahren, hinterher herumzujammern. Denk bitte daran, dass die gute Alma ein opulentes Mahl für uns vorbereitet hat. Und das willst du doch ganz gewiss genießen, oder? Es sei denn«, sie machte eine kurze Pause, »du entschließt dich, mit mir ein Stück um den See zu laufen, das Wetter ist schön, und der See …«

Sie wurde von Nicki unterbrochen: »Dann lieber keine Kekse, liebste Freundin, auf dem Sofa ist es gerade so richtig gemütlich.«

Dagegen konnte Roberta nichts sagen. Sie setzte sich ebenfalls, und wenig später waren die beiden Freundinnen erneut in ein Gespräch vertieft.

Und das genossen sie beide …

*

Julia Herzog hatte gezögert, sich noch einmal an den Koch zu wenden. Doch die Arbeit im ›Seeblick‹ wurde immer mehr, und sie merkte, dass sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kam. Es war wirklich wie verrückt, immer mehr Gäste kamen, auch welche von auswärts, und sie musste oftmals auf ihren freien Tag verzichten, um Firmenfeierlichkeiten oder andere Events ausrichten zu können. Davon hatte sie geträumt, doch mittlerweile wusste Julia, dass sie dringend Unterstützung brauchte, nicht einfach personell, da klappte es. Nein, sie brauchte jemanden, auf den sie sich verlassen konnte, der mit ihr an einem Strang zog, der Maßstäbe anlegte wie sie, sie brauchte halt einen Souskoch oder eine Sousköchin. Und da war der Markt nicht so groß, wer wirklich gut war, der machte sich selbstständig über kurz oder lang.

Dieser Tim Richter …

Julia bekam diesen Mann nicht aus ihrem Kopf, weil der genau das zu sein schien, was sie wollte.

Sie hatte überhaupt keine andere Wahl, als über ihren Schatten zu springen und kleine Brötchen zu backen. Und Tim Richter schien unkompliziert zu sein, er hatte versprochen, zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch zu kommen.

Und nun wartete Julia auf ihn. Dafür hatte sie sogar abgesagt, eine große Geburtstagsfeier auszurichten, für die sie sonst ihren freien Tag geopfert hätte. Es hätte einen guten Verdienst gebracht, und so etwas war immer gut, denn in der Gastronomie kam viel Geld herein, wenn es gut lief, es ging aber auch viel Geld heraus.

Das Gespräch war jetzt wichtiger als alles andere, je näher die Zeit kam, umso aufgeregter war Julia. Und das war zu verstehen. Papier war geduldig, gute Zeugnisse waren wichtig, doch bei einer engen Zusammenarbeit musste die Chemie stimmen. Tim hatte seiner Bewerbung kein Foto hinzugefügt. Hatte er einen Grund dafür, denn heutzutage konnte man sich nicht mehr damit herausreden, keines zur Verfügung zu haben, in wenigen Sekunden war eines mit dem Handy gemacht. Er war zwei Jahre älter als sie, was sein Äußeres betraf, war es für Julia beinahe so wie bei einem Blind Date. So etwas hatte sie bereits hinter sich, ihr früherer Chef hatte sie mit jemandem verkuppeln wollen, und das war das reinste Fiasko gewesen.

Der Vergleich hinkte, sie wollte nichts von diesem Mann, er musste gut kochen können und teamfähig sein, denn das war in der Gastronomie wichtig, und er durfte sich nicht in der Küche verwirklichen wollen, die Richtlinien bestimmte sie, was allerdings nicht bedeutete, dass sie guten Vorschlägen gegenüber nicht offen war.

Julia zuckte zusammen, als gegen die Eingangstür geklopft wurde, laut und energisch.

Er war nicht nur pünktlich, sondern überpünktlich. Sie erhob sich, warf, ehe sie zur Tür ging, rasch noch einen Blick in den Spiegel, an ihrem Äußeren war nichts auszusetzen. Außerdem, sie musste sich nicht für ein Rendezvous aufhübschen.

Ehe sie öffnete, atmete sie tief durch, dann machte sie neugierig die Tür auf. Und jetzt war sie mehr als nur erstaunt. Natürlich hatte sie sich von diesem Mann die eine oder andere Vorstellung gemacht, in diese Richtung hatte sie allerdings nicht gedacht. Auf den ersten Blick erinnerte Tim Richter sie an den jungen Hannes Auerbach, cool, schlank, sportlich, lange, im Nacken lässig zusammengebundene Haare, blaue Augen. Ja, tatsächlich so etwas wie Hannes, den sie sehr mochte, nur ein paar Jahre älter.

Ehe sich bei ihr Verlegenheit breit machen konnte, streckte er ihr seine Rechte entgegen. »Tim Richter, ich bin ein wenig zu früh, das macht Ihnen hoffentlich nichts aus?«

Machte es nicht, sie bat ihn herein, schloss vorsichtshalber wieder ab, man konnte nie wissen, und jetzt wollte sie wirklich nicht gestört werden.

Sie sah, wie er sich neugierig umschaute, und das verschaffte ihr die Gelegenheit, sich wieder zu sammeln. Und das war sehr nötig.

Tim Richter gefiel ihr!

Sehr sogar!

Das konnte ja heiter werden, sie suchte einen Koch, keinen Mann an ihrer Seite. Sie setzten sich, Julia bot ihm einen Kaffee an, was er dankend annahm, dann unterhielten sie sich eine Weile, sie konnte es kaum fassen, Tim Richter schwamm wirklich auf ihrer Wellenlänge, auch er liebte die vegane und vegetarische Küche, auch er hatte erfahren müssen, dass sich das allein nicht gut vermarkten ließ, denn er hatte in einem der größten, bekanntesten vegetarischen Restaurants gearbeitet, sie hatten Preise gewonnen, und dennoch hatten sie es nicht geschafft.

»Ich kann nur froh sein, dass ich mich nicht an diesem Restaurant beteiligt habe, sonst hätte ich die erste Pleite hinter mir, und so etwas macht sich nicht gut in einem Lebenslauf.«

»Niederlagen gehören zum Leben«, bemerkte sie, was er auch bestätigte: »Doch das wird verachtet, totgeschwiegen, die Leute wollen Sieger sehen. Für meinen damaligen Chef tut es mir leid. Wenn man so etwas hinter sich hat, kommt man niemals mehr auf die Beine, denn keine Bank gibt einem einen Kredit, wie gut man auch ist, und Preise …, die kann man sich in die Haare schmieren, nichts zählt mehr. Niemand fährt seinen Betrieb doch freiwillig gegen die Wand.«

»Ich kann auch ein Lied davon singen«, bestätigte Roberta. Er schaute sie ungläubig an.

»Sie? Das soll ja wohl ein Witz sein, Sie haben es geschafft. Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe mich schon ein wenig über Sie und Ihren Betrieb informiert, wie Sie wissen, gibt es in unserer Branche die Guten und die, die eine Pleite nach der anderen machen, die verschuldet sind, Gläubiger im Regen stehen lassen. Aber wem sage ich das.«

Julia erzählte ihm, wie sie angefangen hatte, voller Freude, voller Ideen.

»Das Restaurant wurde einfach nicht angenommen, ich wusste kaum noch, wie ich meine Rechnungen bezahlen sollte, vermutlich hätte es auch mit mir ein böses Ende genommen, wäre ich nicht auf die Idee von einer Dame eingegangen, eine große Feier im ›Seeblick‹ zu veranstalten, allerdings unter der Voraussetzung, dass nicht nur veganes und vegetarisches Essen serviert wurde. Es hat mich große Überwindung gekostet, meinen Traum zu verraten, doch wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, da macht man noch etwas ganz anderes …, die Gäste waren begeistert, und seitdem gibt es halt diesen Mix bei uns, und wissen Sie was?« Sie schaute ihn an, hätte das besser nicht getan, denn sie spürte, wie sie Herzklopfen bekam.

Sie schluckte, musste sich zusammenreißen.

»Mittlerweile ist es so, dass wir streckenweise mehr von den Essen verkaufen, die die Gäste vorher nicht haben wollten.«

Er erkundigte sich: »Sie sprechen immer von wir …, gibt es einen Herrn Herzog, dem das Restaurant auch gehört?«

Für einen Augenblick war Julia verwirrt. »Nein, natürlich nicht, ich bin …«, es tat eigentlich nichts zur Sache, doch manchmal machte man Sachen, für die man hinterher keine Erklärung wusste, »nicht verheiratet.«

»Und das wir?«, wiederholte er, und jetzt begriff sie, begann zu lachen. »Oh, damit meine ich das Team …, will man erfolgreich sein, so schafft man es nicht allein, da muss es so etwas wie eine gut funktionierende Maschine sein. Nur gemeinsam sind wir stark.«

Er lachte, zeigte prachtvolle Zähne.

»Das gefällt mir.«

Und danach wollte er mehr über den Arbeitsplatz hören, und vor allem wollte er die Küche sehen, in der er, sollten sie sich einigen, wirken sollte.

Auf ihre Küche war Julia stolz, für die hatte sie ein kleines Vermögen ausgegeben, und das war richtig gewesen, das wurde ihr jeden Tag klar. Es machte sie stolz, als sie bemerkte, wie beeindruckt er war.

»Da bekommt man direkt Lust zu kochen«, bemerkte er, und sie sagte ohne zu überlegen: »Tun Sie Ihren Gefühlen keinen Zwang an.«

Julia hätte nicht geglaubt, dass er sie jetzt beim Wort nehmen würde.

»Okay, im Vorratsraum und in der Kühlkammer habe ich alles gesehen, was ich brauche. Wenn Sie wirklich einverstanden sind, dann zaubere ich uns ein Essen. Dann können Sie auch gleich feststellen, ob ich in Ihr Team passe und meine Kochkünste Ihren Ansprüchen genügen.«

Mit welcher Selbstverständlichkeit er das sagte, und mit welcher Selbstverständlichkeit er sich in der Küche und den dazugehörenden Räumen bewegte. Ehrlich gesagt, machte das Julia ein wenig sprachlos, weil sie so etwas noch nie zuvor erlebt hatte. Dabei wirkte er keinesfalls selbstherrlich. Er kam völlig authentisch herüber, und sein Verhalten zeigte ihr ebenfalls, dass er interessiert und konzentriert war, denn sonst hätte er sich bei diesem ersten flüchtigen Durchgang nicht alles merken können.

Natürlich durfte er!

Julia lehnte sich ein wenig unschlüssig an einen Tisch. Es interessierte sie sehr, ihm zuzusehen, und sie war sehr gespannt darauf, was er gleich zaubern würde. Aber dumm herumstehen? Nein, das wollte sie jetzt nicht, außerdem war sie Köchin aus Leidenschaft, sie liebte ihren Beruf über alles, und es war überhaupt nicht verkehrt, einmal zu sehen, ob und wie sie einander zuarbeiten konnten. Das war keine Selbstverständlichkeit, jeder Koch oder jede Köchin versuchten zunächst einmal, ihr eigenes Ding zu machen. Sie waren Individualisten, und je besser sie die ganze Materie beherrschten, umso schwieriger wurde es mit den meisten als Team zu arbeiten.

»Ich kann eine Vorspeise und einen Nachtisch zubereiten«, bot sie an, »dann können wir ein komplettes Menü essen und uns dabei unterhalten.«

Damit war Tim nicht nur einverstanden, sondern es gefiel ihm ausnehmend gut. Doch selbst wenn es nicht so wäre, hätte er nichts machen können. Sie war in diesem Restaurant der Boss und hatte das Sagen. Glücklicherweise hatte Tim keinerlei Autoritätsprobleme, die hatte man nicht, wenn man ein gesundes Selbstwertgefühl besaß. In beruflicher Hinsicht gab es für ihn zwischen Mann und Frau überhaupt keine Unterschiede. Die Chemie musste stimmen und vor allem das Konzept. Wenn man sich da einig war, klappte es auch. Und natürlich musste es ein Miteinander geben, kein Gegeneinander, wie man es häufig in den Betrieben erlebte.

Tim war sehr angenehm überrascht. Der ›Seeblick‹ war ein großartiger Betrieb, und seine Erwartungen wurden voll übertroffen. Klar, wenn man wusste, dass das Restaurant einer Sterneköchin gehörte, hatte man schon eine gewisse Erwartungshaltung. Doch das hier übertraf alles, angefangen von dem schönen Ambiente des Restaurants bis zu der Küche, wie er sie bislang noch nie zuvor in einer solchen Perfektion gesehen hatte. Da war an nichts gespart worden, alles war durchdacht. Jetzt war Tim froh, zu diesem Vorstellungsgespräch doch gekommen zu sein. Er kannte Julia Herzog von Fotos, denn natürlich hatte er sich über sie informiert. Die Wirklichkeit übertraf die Bilder, vor allem war sie eine Frau mit einer unglaublichen Ausstrahlung, das konnte man auf keinem Foto der Welt sehen. Es war doch so, dass man aufgrund eines Fotos Vorstellungen hatte und dann bitter enttäuscht war, wenn man die Person kennenlernte, weil sich hinter der hübschen Fassade nichts verbarg.

Aber das war augenblicklich nicht wichtig.

Julia gab ihm eine Kochschürze, zog selbst eine an, dann sagte sie: »Ich freue mich, dass Sie gekommen sind, Herr Richter.« Das war nicht gelogen, das tat sie wirklich. Und es war das erste Mal, seit Daniel sie verlassen hatte, dass sie eine männliche Person auch als Mann wahrnahm.

Vielleicht sollte sie das besser lieber nicht, denn sie brauchte, wie gesagt, einen Souskoch, keinen Mann an ihrer Seite. Sympathie musste, wenn man ständig miteinander arbeitete, eine Rolle spielen, und mehr wollte sie doch nicht. Ein wenig belog Julia sich jetzt selbst, weil sie spürte, dass es mehr als Sympathie war, und vielleicht sollte sie alles einfach abblasen, ehe es zu Komplikationen gab. Davon hatte sie genug gehabt, das brauchte sie jetzt nicht mehr.

Zum Glück hatte sie sehr schnell keine Zeit mehr, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Es ging jetzt einzig und allein darum, ihr Können unter Beweis zu stellen, und da wollte sie ihm beweisen, was sie drauf hatte.

Sie hatten sich in keiner Weise miteinander abgesprochen, doch eigentlich war klar, dass keiner von ihnen etwas servieren würde, was man kannte, was einfach auf verschiedene Weise individuell nachgekocht wurde. Nein, wenn schon, denn schon. Sie entschieden sich für eigene Kreationen.

Sie wussten nicht, wer da was zauberte, doch eines spürten sie beide. Sie arbeiteten unglaublich harmonisch miteinander. Es machte Spaß, weil sie beide nicht verkniffen waren, sondern hier und da ein Späßchen machten, einander von dem, was fertig war, kosten ließen, begannen, fachzusimpeln.

Julia wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah. Doch eines wusste sie, sie musste alles daransetzen, ihn für den ›Seeblick‹ zu gewinnen, und das nicht, weil er ihr als Mann gefiel, sondern weil er für den Betrieb eine große Bereicherung war, das sah sie sofort. Er hatte es drauf, fachlich und menschlich. Julia musste es überhaupt nicht erst testen, sie wusste, dass er sich mit dem übrigen Personal gut verstehen würde.

Sie war mit ihren Gerichten früher fertig, also ging sie schon mal ins Restaurant, um den Tisch zu decken. Es machte große Freude, und so stellte sie auch noch Blumen auf den Tisch, die sie extra aus dem Garten holte. Frische Blumen für die Gäste würde es erst morgen geben, die würde sie vom Blumengroßmarkt mitbringen.

Julia betrachtete zufrieden ihr Werk. Damals, als sie den ›Seeblick‹ übernommen hatte, hatte sie lange gezögert, das teure Porzellan zu kaufen, heute bereute sie es nicht eine Sekunde. Es wirkte kostbar und edel und ließ das darauf servierte Essen noch appetitlicher erscheinen. Auch die Gläser waren sehr schön, und die Gäste waren jedes Mal sehr entzückt, wenn sie sahen, dass es hier Stoffservietten gab.

Sie ging in die Küche zurück, nachdem sie ihre Schürze ausgezogen hatte.

»Es kann serviert werden«, lachte sie. »Wie lange brauchst du noch?«

Sie duzten sich mittlerweile, doch das war keine Besonderheit, das war nicht nur hier üblich, sondern ganz allgemein.

»Wenn wir deine Vorspeise, auf die ich sehr gespannt bin, gegessen haben, können wir zum Hauptgang schreiten«, lachte er, zog seine Schürze aus, und gemeinsam trugen sie die Vorspeisen, Julia hatte nicht nur eine gemacht, an den Tisch.

Er staunte.

»Hast du jetzt für mich so toll eingedeckt?«, erkundigte Tim sich.

»Nein, das ist im ›Seeblick‹ Standard. Und es hat sich bewährt, es so handzuhaben.«

Sie setzten sich, er war sehr aufmerksam, bediente sie, und das tat er mit einer Selbstverständlichkeit, an der nichts aufgesetzt wirkte.

Und dann aßen sie. Sie mochten einander, das war nicht zu übersehen, doch das spielte in diesem Augenblick überhaupt keine Rolle. Jetzt ging es nur um das Essen, schließlich waren sie beide Profis. Und auch wenn man noch so gut war, lernen voneinander, das konnte man immer.

Dank ihres Vorgängers wurde Julia mit allerbestem Wein versorgt, den sonst niemand weit und breit hatte. Natürlich konnte Julia damit auch immer punkten.

Das Problem mit dem Alkohol hatten sie gelöst, denn Tim würde sein Auto auf dem Parkplatz vor dem Restaurant stehen lassen und mit einem Taxi in eine Pension ganz in der Nähe fahren.

Und dort hatte er, unabhängig vom Ausgang ihres Gesprächs, bereits ein Zimmer gebucht, weil er sich, wenn er schon mal in der Nähe war, den Sternsee ansehen und einen Blick auf die sagenumwobene Felsenburg werfen wollte.

»Du denkst wirklich an alles«, staunte Julia.

»Nun, ich habe nicht nur in internationalen Hotels gearbeitet mit einer bekannten Küche, sondern ich war weltweit unterwegs, um auch mal zu sehen, was jenseits der Sternenküche so gekocht wird. Man kann sich auch in einer schlichten Garküche mitten in China etwas abgucken oder Impulse bekommen. Auf jeden Fall musste man für alles gerüstet sein, denn irgendwo etwas kaufen, was fehlte, das ging nicht. Aus Erfahrung wird man klug.«

Es schmeckte köstlich, und sein Lob freute Julia sehr, weil es wirklich etwas ganz Neues war, was sie da gerade kreiert hatte.

Sie unterhielten sich großartig, und sie staunte nicht schlecht, was er alles schon erlebt hatte und wo er gewesen war. Auch jetzt war nichts Angeberisches an seinen Worten, alles klang selbstverständlich.

Er war großartig!

Julia konnte nicht anders, sie warf ihm einen hingerissenen Blick zu, und dann wollte sie etwas wissen.

»Tim, ich bin jetzt ein wenig verwirrt, und ich bitte dich, mir eine ganz ehrliche Antwort zu geben. Du hast die ganze Welt gesehen, hast an Orten gearbeitet, die einen in Ehrfurcht versinken lassen …, warum bist du nach Deutschland heimgekehrt, und was mich am meisten interessiert, wieso willst du hier in meinem verträumten ›Seeblick‹ arbeiten?«

Er stellte sein Glas ab, nachdem er etwas getrunken hatte.

»So zu leben, wie ich gelebt habe, hört sich spannender an als es ist. Du machst zwar beruflich Karriere, doch dein Privatleben bleibt auf der Strecke. All meine Beziehungen sind zerbrochen, weil jemand, der nicht selbst aus dem Fach ist, sich nicht vorstellen kann, dass ich einen Beruf habe, in dem man keine regelmäßigen Arbeitszeiten kennt, und wenn man dann auch nicht für das, was man tut, brennt, hat man keine Chancen, man wird nicht verstanden, jede Beziehung zerbricht.«

Am liebsten hätte Julia gerufen, dass sie das kannte und hinter sich hatte, doch sie wollte ihn nicht unterbrechen.

Er pickte etwas von seinem Teller, bemerkte nochmals, wie köstlich es doch war, ehe er sagte: »Mein letzter Job ist ja, wie gesagt, in einem Fiasko geendet, für mich allerdings nur, indem ich meinen Job verloren habe. Es wäre übler gewesen, hätte ich all meine Ersparnisse in den Sand gesetzt. Nun, ich glaube, es ist an der Zeit, einmal entspannt über mein Leben nachzudenken, mich zu fragen, was ich eigentlich möchte …, ehrlich gesagt, fände ich es schon schön, verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Doch ich weiß, dass es nur geht, wenn da entweder eine ganz große Toleranzgrenze vorhanden ist oder wenn ich jemanden finde, der auch aus der Gastronomie kommt, mit dem ich vielleicht einen eigenen Laden eröffne. Doch das ist Zukunftsmusik, darüber mache ich mich keine Gedanken. Wenn es an der Zeit ist, wird es sich zeigen. Ich möchte es einfach langsam angehen lassen, was mein Privatleben betrifft, wenn wir uns einig werden, dann werde ich die Ruhe genießen, wieder anfangen zu rudern, den See ergründen, auf dem Wasser und an Land. Ich habe gelesen, dass es einen tollen Rundweg gibt, auf dem man laufen oder mit dem Fahrrad fahren kann.«

Er hielt inne.

»Wenn du ein einigermaßen brauchbares Essen serviert bekommen willst, müssen wir unsere sehr angenehme Unterhaltung unterbrechen, und ich muss in die Küche eilen.«

Er erhob sich, Julia wollte ihm helfen, doch das lehnte er ab.

»Sei ganz entspannt, Julia. Ich schaffe das allein.«

Natürlich blieb sie sitzen. Sie war eine Einzelkämpferin, konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann jemand sie bedient hatte, und das mit Daniel lag lange zurück. Es war schon interessant, dass auch er mit Partnerinnen diese Erfahrungen gemacht hatte wie sie, ganz besonders mit Daniel, den sie wirklich geliebt hatte und mit dem sie gern auf eine gemeinsame Lebensreise gegangen wäre. Es hat nicht sollen sein, außerdem war es nun zu spät. Daniel hatte eine andere Frau an seiner Seite, die er sogar heiraten würde. Nein! Sie wollte jetzt nicht an das denken, was gewesen war.

Tim Richter …

Julia trank etwas von dem köstlichen Wein, dachte an den Mann, der da in ihr Leben hereingeschneit war, ein Glücksfall. Doch Julia fragte sich unwillkürlich, was ihr lieber wäre. In Tim einen großartigen Koch für den ›Seeblick‹ zu bekommen oder einen Mann, der ihr Herz erwärmte, einem Mann, an dessen Seite plötzlich alles leicht war, mit dem man reden und lachen konnte.

Insgeheim war Julia froh, dass sie sich das jetzt nicht beantworten musste, denn Tim kam mit seinem Hauptgang herein, und Julia musste wenig später neidlos zugeben, dass sie es besser nicht hätte machen können, mehr noch, dass sie niemals darauf gekommen wäre, diese verschiedenen Geschmacksrichtungen unter einen Hut zu bringen. Bei aller Fantasie, bei aller Kreativität, auf so was kam man nur, wenn man es erlebt hatte. Dann gelang es einem, es für sich abzuwandeln.

Erst einmal sagte Julia überhaupt nichts, sie musste einfach nicht nur genießen, sondern sie versuchte herauszufinden, aus welchen Zutaten er dieses unglaubliche Gericht gezaubert hatte.

Sie konnte es nur teilweise ergründen, und das bedeutete wirklich etwas.

Julia war ehrlich genug, es ihm zu sagen, ihn zu fragen, und er gab bereitwillig Antwort.

Sie genoss das Essen, blickte ihn an und sagte ganz hingerissen, und das war jetzt wirklich nicht seinetwegen, sondern einzig und allein wegen des Essens: »Tim, ich bin hingerissen, ich kann mich nicht daran erinnern, schon einmal so köstlich gegessen zu haben.«

Sie wollte mehr hinzufügen, doch dann klingelte das Telefon.

Manche Leute würden wohl niemals begreifen, dass der Mittwoch der Ruhetag der Woche war. Vor allem war das jetzt ein Gast, der von Anfang an zu ihr kam.

»Frau Herzog, ich weiß, dass heute Ihr Ruhetag ist, und ich bin sehr, sehr froh, dass ich Sie dennoch erreiche. Sie müssen mir aus der Patsche helfen, denn sonst bin ich verloren. Der Caterer, der heute das Essen bringen sollte, weil Sie ja zu haben, ist abgetaucht, besser gesagt, hat das Weite gesucht. Und in ein paar Stunden kommen meine Gäste, alles Geschäftsleute, von denen ich etwas erwarte. Ich kann denen und deren Ehefrauen oder Begleiterinnen nicht einmal belegte Brote bieten, weil ich nicht genug davon im Hause habe.«

Das Telefon war noch auf laut, das machte Julia immer, wenn sie allein war und Anrufe nicht verpassen wollte. Sie hatte vergessen, es auf leise zu stellen. Auf jeden Fall bekam Tim das ganze Gespräch mit, und dann geschah etwas ganz Unglaubliches. Er gab ihr Zeichen, sie bat beim Anrufer um eine kurze Unterbrechung, und dann sagte Tim: »Das können wir doch machen. Es sind genug Waren im Haus, Sie helfen Ihrem Gast aus der Bredouille, und er wird Ihnen ewig dankbar sein.«

Sie hätte dem Gast abgesagt, doch nun taten sich vollkommen neue Perspektiven auf. Dieser Tim war unglaublich. Wenn das jetzt keine Herausforderung war.

»Also gut, einverstanden.« Sie blickte auf ihre Uhr, »es ist von der Zeit her zu schaffen.«

Sie schaltete sich in das Telefonat wieder ein und rief: »Also gut, Herr Dr. Ahlers. Ich kann es nicht übers Herz bringen, Sie jetzt allein zu lassen. Ich öffne das Restaurant für Sie. Wann sollen denn Ihre Gäste kommen?«

Er sagte es ihr.

»Okay, dann überlassen Sie bitte alles mir, ich werde rasch noch ein paar Mitarbeiter anrufen, und wir sehen uns später.«

Der Gast wollte überhaupt nicht aufhören, sich zu bedanken, doch so schön es auch war, Dankeshymnen zu hören: Es passte nicht, wenn man unter Zeitdruck stand.

»Herr Dr. Ahlers, ich muss jetzt wirklich Schluss machen, Sie möchten doch, dass ihre Gäste etwas Gutes vorgesetzt bekommen, oder?«

Natürlich wollte der gute Mann das, der jetzt unendlich erleichtert war.

Das Gespräch war beendet, Julia wandte sich Tim zu.

»Da haben Sie uns etwas Schönes eingebrockt, nun müssen wir sehen, wie wir das wuppen. Und aus unserem Nachtisch wird nun natürlich nichts.«

Er lachte.

»Den werde ich probieren, während ich für die Gäste heute Abend den Kochlöffel schwinge.«

Julia musste zwei Servierkräfte, eine Hilfskraft anrufen, doch zum Glück hatte sie auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sie anrufen konnte, die sich außer der Reihe gern etwas hinzuverdienen wollten.

Während sie ihre Anrufe tätigte, verschwand Tim schon mal in der Küche. So ganz richtig verinnerlichte Julia noch nicht, was sich gerade abspielte. Sie hatte so etwas oder ähnliches noch nie zuvor erlebt. Eines allerdings wusste sie jetzt, Tim Richter war unglaublich flexibel. Und das musste man in diesem Beruf einfach sein.

Nachdem Julia das mit dem Personal perfekt gemacht hatte, gesellte sie sich zu Tim in die Küche, und der hatte mittlerweile die Vorräte genau inspiziert und konnte ihr Vorschläge machen. Dagegen war nichts einzuwenden, es hörte sich richtig gut an. Und wieder einmal musste Julia zugeben, dass sie von sich aus nicht darauf geklommen wäre.

Jetzt konnte es nur noch eine Überraschung geben, und die konnte sein, wie Tim es aus dem Stegreif schaffen würde, unvorbereitet für eine größere Personenzahl zu kochen. Dass es schmeckte, was er auf den Tisch brachte, hatte sie vorhin gerade erst erfahren und war begeistert gewesen.

Es war verrückt!

War das jetzt ein gutes Zeichen, dass Tim Richter schon während des Vorstellungsgesprächs eine Feuertaufe zu bestehen hatte? Es war seine Idee gewesen.

Auf jeden Fall würde Julia alles dransetzen, ihn für die Arbeit im ›Seeblick‹ zu gewinnen, und wenn sie sein Gehalt, das schon ziemlich üppig bemessen war, erhöhen musste.

»Sind das alle Möhren, die noch vorhanden sind?«, drang seine Stimme in ihre Gedanken hinein, und das brachte Julia jetzt in die Wirklichkeit zurück.

»Nö, im zweiten Vorratsraum befinden sich noch welche. Soll ich die holen?«

Sie war die Chefin, doch das spielte augenblicklich überhaupt keine Rolle. Sie war gut drauf, und sie hatte auf einen Blick festgestellt, dass er nicht nur ein Dinner for two zaubern konnte, sondern dass es ihm auch überhaupt keine Mühe machte, aus dem Stegreif für eine größere Gesellschaft zu kochen.

Tim Richter …

Julia musste an sich halten, ihn jetzt aus lauter Dankbarkeit nicht zu umarmen, und sie musste sich abgewöhnen, ihn als Mann zu sehen. Sie suchte einen Souskoch, sie suchte einen Souskoch, sie suchte einen Souskoch …

Wie oft würde sie sich das wohl noch sagen müssen, ehe sie es verinnerlicht hatte?

Darüber nachzudenken, dazu war glücklicherweise jetzt keine Zeit. Sie arbeiteten Hand in Hand, und das bei bester Laune, sie konnten sogar lachen, und das war schön, sehr schön sogar.

Tim tat nichts eigenhändig, er sagte ihr, was er sich dachte, und er agierte erst nach ihrem Okay. Wieder einmal war Julia ganz fasziniert davon, dass er keine Grenzen überschritt, und dass er so ruhig bei allem blieb, das war fabelhaft. Es war genau ihre Arbeitsweise. Sie konnte mit Chaoten, mit Hektikern am Herd einfach nicht umgehen.

Ihre Laune wurde immer besser, und das, noch ehe das Personal und die Gäste eingetroffen waren.

Dieser Tim Richter war ein ­Geschenk des Himmels, und je mehr Zeit verging, umso sicherer wurde Julia, dass er den Job bei ihr annehmen würde.

*

Hätte man Julia vorhergesagt, was an ihrem freien Mittwoch geschehen würde, hätte sie es nicht geglaubt, wäre das für sie eine Geschichte aus dem Reich der Fantasie gewesen. Es hatte nur dieses Vorstellungsgespräch stattfinden sollen.

Und nun?

Nun war der letzte Gast gegangen, Herr Dr. Ahlers, der vor lauter Glück Tränen in den Augen hatte, und das nicht nur, weil Julia ihm aus der Patsche geholfen hatte, sondern weil er im ›Seeblick‹ noch nie so gut gegessen hatte.

»Herr Dr. Ahlers, es freut mich, dass alles nach ihren Wünschen war. Es wäre nicht möglich gewesen, hätte ich in der Küche keine so kompetente Unterstützung gehabt.«

Er gab Julia einen dankbaren Handkuss.

»Wer immer Sie unterstützt hat, halten Sie ihn oder sie, es ist für den ›Seeblick‹ eine Bereicherung.«

Nach diesen Worten ging er, auch das Personal war weg, Julia und Tim waren wieder allein.

Sie standen sich gegenüber, erhitzt, erschöpft. Sie strahlten sich an, ihre Blicke versanken ineinander, und dann lagen sie sich urplötzlich in den Armen.

Es war ohne jeden Hintergedanken, es geschah aus Freude und Erleichterung. Sie waren ein großartiges Team, das hatten sie an diesem Abend unter Beweis gestellt, als sie improvisieren mussten und alles begeistert von den Gästen aufgenommen worden war.

Köchinnen und Köche waren auch nur Menschen, und deswegen konnten auch sie sich über alle Maßen freuen.

Er fasste sich zuerst, ließ sie los, trat einen kleinen Schritt zurück: »Entschuldigung.«

Nun gut, sie würde seine Chefin werden, denn danach sah es aus, und die umarmte man nicht einfach ganz spontan.

Julia musste zugeben, dass sie sich in seinen Armen unendlich geborgen gefühlt hatte. Jetzt war sie ein wenig irritiert und ernüchtert zugleich.

»Ist alles okay«, bemerkte sie leichthin, dabei stimmte das überhaupt nicht, ein Blick aus seinen Augen, und sie schmolz dahin. Sie musste sich mehr unter Kontrolle bringen, denn sonst …

Nein, sie wollte nicht darüber nachdenken, wo es enden würde. Sie wollte diesen Tag, den gelungenen Abend, jetzt nicht zerdenken.

Sie bedankte sich bei Tim für seine spontane Hilfe, für die großartige Arbeit, die er geleistet hatte.

»Tim, ich finde, wir zwei sind ein großartiges Team. Sollen wir das in Zukunft öfters unter Beweis stellen? Hast du Lust, im ›Seeblick‹ anzufangen?«

Er blickte sie an, und sie hoffte, jetzt nicht verlegen zu werden.

Wieder versanken ihre Blicke ineinander, verschmolzen, es war ein unbeschreiblicher Augenblick, den man nicht kommentieren, sondern den man einfach nur fühlen musste.

Wieder war er es, der sich zuerst fing. Er nickte. »Ja, von Herzen gern, wir arbeiten gut zusammen, und ich glaube, wir können beide voneinander lernen. Gut, ich mehr von dir als du von mir, du hast schließlich die Sterne erkocht, und wenn du …«

Sie unterbrach ihn einfach.

»Tim, was ist das jetzt? Fishing for compliments? Du warst großartig, und Herr Dr. Ahlers und seine Gäste waren in erster Linie von dem begeistert, was du kreiert hast. Ist auch kein Wunder bei deinen internationalen Erfahrungen. Aber komm, lass uns davon aufhören. Wir wissen beide, dass wir gut sind und müssen uns nicht gegenseitig beweihräuchern. Es ist zwar schon sehr spät, doch was ist, sollen wir noch einen kleinen Absacker miteinander trinken? Außerdem müssen wir darüber sprechen, was du für deine spontane Hilfe bekommst. Das war schließlich so nicht geplant.«

»Ja, einen Absacker finde ich großartig, ich bin direkt dabei, und das mit der Bezahlung, liebe Julia, das vergiss bitte wieder ganz schnell. Ich bin der Meinung, dass man mit Taten viel mehr beweisen kann als mit Worten. Wenn man so will, kam dieser Anruf des Gastes im rechten Augenblick. Es hat uns viel gebracht, beiden, denn ich konnte erst mal unter Beweis stellen, dass ich spontan für mehrere Gäste kochen kann, und wir beide haben festgestellt, was für ein wundervolles Team wir doch sind, mit dir an der Seite zu arbeiten, das ist ein Vergnügen. Und … Julia, danke für dein Vertrauen …, wann soll ich anfangen?«

Es war gut!

Er hatte ja gesagt!

Sie strahlte ihn an.

»Tim, wann immer du möchtest.«

Insgeheim fügte sie hinzu hoffentlich bald.

Er würde noch ein paar Tage brauchen, seine Angelegenheiten zu regeln, vor allem, eine Wohnung zu finden, und da wünschte Julia sich, dass der Himmel wieder auf ihrer Seite sein würde, damit er schnell eine Wohnung fand. Das war im Sonnenwinkel leider nicht einfach. Sie nahm sich vor, direkt morgen bei ihren Gästen deswegen nachzufragen. Im Sonnenwinkel gingen Häuser und Wohnungen unter der Hand weg.

Das konnte warten, jetzt war der Absacker an der Reihe, sie setzten sich, und dann blieb es nicht nur bei diesem einen Absacker. Es hätte des Alkohols nicht bedurft um festzustellen, wie sehr die Chemie zwischen ihnen stimmte.

Es war schon sehr spät, als Julia ihn schließlich zur Tür begleitete, weil das bestellte Taxi gekommen war.

Es war unglaublich, wie vertraut sie miteinander waren, ohne sich kaum zu kennen. Ehe er ins Taxi stieg, standen sie sich für einen Augenblick gegenüber, sehr nahe, jeder konnte den Atem des anderen spüren. Zwischen ihnen herrschte eine nicht zu beschreibende Vertrautheit. Und es war eine Kulisse, die so schön war, dass sie beinahe unwirklich wirkte. Ein nachtdunkler Himmel voller Sterne, ein zunehmender kalter Mond.

Es war Magie … Wer weiß, wozu es noch gekommen wäre. Zu einer Umarmung? Zu einem Kuss?

Sie waren sich so nahe …

Die Stimme des Taxifahrers brachte sie in die Wirklichkeit zurück.

»Meine Herrschaften, ich möchte jetzt nur einmal daran erinnern, dass die Uhr läuft. Doch unabhängig davon, will ich meine Schicht endlich beenden, das ist nämlich meine letzte Tour für heute. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«

Der Mann war ungehalten, und das war verständlich.

Die Realität hatte sie wieder. Julia und Tim fuhren auseinander wie zwei ertappte Kinder bei etwas Verbotenem.

»Wir telefonieren«, sagte Tim rasch, winkte ihr kurz zu, als er in das Taxi stieg, und das fuhr dann auch sofort los. Von wegen fahren, es raste. Der Fahrer hatte es wirklich sehr eilig, nach Hause zu kommen.

Julia blieb noch stehen, obwohl vom Taxi längst nichts mehr zu sehen war.

Was für ein Tag!

Das musste sie erneut denken, und ihre Gedanken wirbelten durcheinander, und sie war einfach nicht in der Lage, die jetzt zu sortieren.

Tim Richter …

So ganz richtig wusste Julia nicht, wo und wie sie ihn einordnen sollte. Er sah gut aus, war gut drauf, konnte kochen wie ein Weltmeister, hatte in der Küche alles im Griff, behielt die Ruhe. In der Küche tickte er ähnlich wie sie, und wie gut sie einander zuarbeiten konnten, dabei kannten sie sich doch überhaupt nicht.

Julia war durcheinander, eigentlich konnte das, was geschehen war, überhaupt nicht wahr sein. Sie ging langsam ins Haus zurück, und dabei ging ihr nur eine Frage durch den Kopf, und die lautete: Wo war der Haken?

Dass dieser Mann auf ihren Weg gekommen war, das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Tim war wirklich in jeder Hinsicht perfekt. Oder wollte sie es ein wenig verklärt sehen, weil sie sich in den Mann ein wenig verguckt hatte?

Oh nein, da musste sie sofort einen Riegel vorschieben oder es erst überhaupt nicht zu einer Zusammenarbeit kommen lassen.

Sie brauchte keinen Mann fürs Herz, oder nein, das war nicht richtig, den brauchte, den wollte eigentlich jede Frau. Sie musste jetzt einfach Prioritäten setzen, was sie brauchte, war ein Souschef, und das schien Tim Richter in Perfektion zu sein.

Julia war keine Alkoholikerin, doch jetzt hatte sie das Gefühl, einen Grappa trinken zu müssen. Und den genehmigte sie sich auch, setzte sich hin.

Was immer Tim bei ihr auch bewirkt hatte, zum ersten Male seit der Trennung konnte Julia an Daniel denken, ohne dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Und sie konnte das, was mit ihnen gewesen war, realistisch sehen. Daniel war ein wundervoller Mann, und sie wollte die mit ihm verbrachte Zeit nicht missen. Sie durfte ihm aber keine Vorwürfe mehr machen und sich selbst ebenfalls nicht. Es hatte mit ihnen nicht gepasst, bei aller Liebe nicht. Sie hatten einfach nicht darüber nachgedacht, dass man keine gemeinsame Lebensreise antreten konnte, wenn man unterschiedliche Ziele hatte.

Natürlich tat ein Verlust, ein Scheitern, immer weh. Doch auch Tim hatte die Erfahrung gemacht, dass man eine Beziehung nicht passend machen konnte, dass die Grundvoraussetzungen stimmen mussten. Sie und Tim …

Oh nein, in solche Gedanken wollte sie sich überhaupt nicht erst verlieren, auch wenn sie verführerisch waren. Sie war jung, hatte jetzt eine ganze Weile allein gelebt, so etwas erweckte Sehnsüchte, besonders, wenn ein Mann ihren Idealvorstellungen entsprach, und Tim Richter …

Sie sprang auf, stellte ihr Glas weg, blickte sich um, dann verließ sie das Restaurant, löschte überall das Licht.

Als sie die Treppe hinaufstieg, die zu ihrer Wohnung führte, hatte sie alle Sehnsüchte verbannt.

Sie war Geschäftsfrau, die Chefin vom ›Seeblick‹, und sie würde mit Tim sehr gut arbeiten, und das allein war es, was zählte.

Es war nicht einfach, den Schalter umzudrehen, besonders dann nicht, wenn man ein sehnsuchtsvolles Herz hatte.

*

Pamela Auerbach kam in letzter Sekunde angehechelt, und sie hätte, wäre der Fahrer nicht so nett, den Bus nicht mehr bekommen. Der Bus war ziemlich voll, weil praktisch ringsum alle Schülerinnen und Schüler eingesammelt wurden, die das Hohenborner Gymnasium besuchten.

Normalerweise setzte Pamela sich neben Pia, wenn es passte und die gleichfalls um diese Zeit zu ihrem Unterricht musste.

Pamela warf Pia einen flüchtigen Blick zu, dann drehte sie sich zur Seite und vermied es, in Pias Richtung zu blicken.

Pia war am Boden zerstört. Ihr Selbstwertgefühl war eh nicht sehr stabil, und so was jetzt riss ihr den Boden unter den Füßen weg.

Was war mit Pamela los?

Sie hatten sich in den letzten Tagen nicht gesehen, nicht einmal im Tierheim. Doch das lag in erster Linie daran, dass Pamela für Klausuren lernen musste und Pia jede Möglichkeit wahrnahm, so schnell wie nur möglich ihr Ziel zu erreichen. Sie wollte in den normalen Unterricht!

Pia war verwirrt, zumal sie seit Tagen auch ein Geschenk für Pamela mit sich herumschleppte, das sie ihr so gern geben wollte.

Pia zermarterte sich ihr Hirn, aber es fiel ihr nichts ein, womit sie Pamela verärgert haben könnte. Jetzt fiel ihr allerdings auf, dass Pamela sich auch telefonisch nicht bei ihr gemeldet hatte.

Da stimmte etwas nicht!

Pia bekam Herzklopfen, sie mochte Pamela, und sie waren mittlerweile doch auch bereits Freundinnen geworden.

Bis Hohenborn war es nicht weit, doch die Fahrt kam Pia unendlich lange vor, und noch ehe sie ihr Ziel erreichten, sprang sie auf, weil sie fürchtete, Pamela könnte zuerst aussteigen und dann davonlaufen. Das ging überhaupt nicht, denn sie würde sich, ohne nicht zuvor mit Pamela geredet zu haben, nicht auf den Unterricht konzentrieren können.

Der Bus hielt, Pamela wollte entwischen, Pia blieb an ihrer Seite, hielt sie am Ärmel fest. »Pamela, bist du sauer auf mich?« Pamela blieb stehen.

»Ja, das bin ich.«

»Und warum?«

»Weil ich da etwas nicht verstehen kann, du bist ja manchmal komisch, doch das kriege ich jetzt nicht auf die Reihe, und wenn du …«

Ein Mädchen aus Pamelas Klasse platzte dazwischen, sprach auf Pamela ein, weil da noch etwas wegen einer Matheklausur geklärt werden musste.

Wenigstens ließ Pamela sie jetzt nicht stehen, sondern erkundigte sich, wie lange sie Unterricht hatte, Pia sagte es ihr, und weil es auch für sie passte, sagte Pamela: »Gut, dann treffen wir uns an der Bushaltestelle, oder besser noch, wir gehen zu Calamini.«

Pia schluckte. Das Eiscafé war bei allen Schülerinnen und Schülern beliebt, sie verbrachten ihre Freistunden dort oder trafen sich nach der Schule, vor der Schule. Das war wirklich toll, und das Eis, die Flips und Shakes waren zum Niederknien, aber …

Pia bekam von Alma und der Frau Doktor ein großzügiges Taschengeld, auch, weil sie immer half. Und das hielt sie zusammen, sie brachte es einfach nicht übers Herz, es für Eis auszugeben, auch wenn das superlecker war.

»Lieber die Bushaltestelle«, rief Pia, und Pamela wusste, warum sie das jetzt sagte. Doch da war das letzte Wort noch nicht gesprochen, sie würde Pia einfach einladen, auch wenn das dann ziemlicher Redekunst bedurfte.

Da ihre Klassenkameradin unentwegt auf Pamela einredete, konnte Pamela jetzt nichts mehr dazu sagen, doch das musste sie auch nicht, die Verabredung stand, und da musste wirklich etwas geklärt werden.

Pias Unterricht fand in einem Seitengebäude des Gymnasiums statt, also trennten sich ihre Wege. Sie rief vorsichtshalber: »Pamela, bis später«, und hoffte, dass die das mitbekommen hatte.

Pia seufzte.

Sie überlegte, es fiel ihr nichts ein, womit sie Pamela erzürnt haben könnte, aber immerhin redete sie noch mit ihr, und das war gut.

Jetzt musste sie einen Schritt zulegen, weil sie auf keinen Fall zu spät zum Unterricht kommen wollte. Das sahen allerdings die meisten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler nicht so eng. Ordnung in alles würde vermutlich erst hineinkommen, wenn das Internat die Pforten geöffnet hatte. Dann würden sie alle einziehen, alles Jugendliche, deren Leben aus den unterschiedlichsten Gründen aus der Spur geraten war. Das Leben im Doktorhaus war großartig, ganz besonders Alma liebte sie über alles. Doch sie wurde einfach das Gefühl nicht los, dort ein Störenfried zu sein, auch wenn niemand sie so etwas glauben oder spüren ließ. Und im Internat würde sie, so hoffte sie, nicht das Gefühl haben, sich immerfort für ihre Vergangenheit rechtfertigen zu müssen, im Internat würden Jugendliche leben, von denen welche sogar schon im Gefängnis gesessen, welche, die eine Drogenkarriere hinter sich hatten.

Sie wünschte sich so sehr ein Leben, auf das sie stolz sein konnte, für das sie sich nicht rechtfertigen musste. Sie wollte so gern jemand sein!

Hier beim Förderunterricht gab es keine Klingelzeichen, aber dennoch war Pia froh, auf ihrem Platz zu sitzen, ehe die Lehrerin das Zimmer betrat, bei der sie gleich Englischunterricht haben würden. Englisch war eines von Pias Lieblingsfächern, da war sie richtig gut, und das lag daran, dass sie das vorher nicht nur in der Schule gelernt hatte, sondern dass sie Englisch auch mit ihrer Mama gesprochen hatte.

Wenn Pia an ihre Mutter dachte, wurde sie jedes Mal richtig traurig, sie war eine so kluge, belesene Frau gewesen und hatte ihr Leben dennoch einfach nicht in den Griff bekommen. Sie wollte nicht so enden wie ihre Mutter, vielleicht war sie deswegen jetzt besonders ehrgeizig und legte für sich Maßstäbe an, die eigentlich viel zu hoch waren.

Sie wollte es!

Und sie würde es allen beweisen!

Sie wurde von ihren Gedanken abgelenkt, weil die Lehrerin eine Frage stellte, die nur sie beantworten konnte. Das Lob der Lehrerin ging ihr herunter wie Öl. Zwei ihrer Mitschüler applaudierten, das war ein wenig übertrieben. Aber Pia war schon froh, dass man sie nicht für eine Streberin hielt, sondern anerkannte, dass sie gut war.

Sie beteiligte sich am Unterricht, und der machte ihr richtig Spaß, sie war voll bei der Sache, im Moment gab es keine traurigen Gedanken an ihre Mama und auch keine an Pamela.

*

Als Roberta sah, welche Patientin ihr Behandlungszimmer betrat, bekam sie so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Es war Liliane Anders, genannt Lilli, und sie war die Frau des Arztes, den sie ursprünglich einstellen wollte. Doch dann hatte es sich zum Glück ja mit Claire ergeben, und als Mark Anders sich entschlossen hatte, war es zu spät gewesen. Ehrlich gesagt, hatte Roberta das niemals bedauert, Claire war auf jeden Fall die bessere Lösung, und wenn die über kurz oder lang gehen würde, wäre Dr. Anders, das wusste Roberta mittlerweile, keine Alternative.

Lilli Anders war ihre Patientin, doch weil die seitdem nicht mehr in der Praxis gewesen war, hatte Roberta geglaubt, dass sie aus irgendeinem Grund verschnupft sei.

Danach sah es derzeit allerdings nicht aus, Lilli Anders war freundlich und nett, ganz so, wie Roberta sie kannte, und Lilli sprudelte auch sofort los: »Entschuldigen Sie bitte, Frau Doktor, dass ich nicht mehr zu Ihnen gekommen bin, nicht einmal, um mir die Untersuchungsergebnisse persönlich abzuholen, doch es ist eine ganze Menge passiert.«

Roberta war erleichtert, bat die Patientin, sich erst einmal zu setzen, dann erkundigte sie sich nach deren Befinden.

»Ach, wissen Sie, Frau Doktor, eigentlich geht es mir gut, abgesehen einmal von dem ganzen Stress, den ich derzeit habe. Doch ich möchte mich noch einmal von Ihnen ganz gründlich untersuchen lassen, ehe ich meine Zelte hier abbreche. Ich vertraue Ihnen, und wenn Sie mir sagen, dass alles okay bei mir ist, kann ich mir in aller Ruhe einen anderen Arzt oder eine andere Ärztin suchen, wenngleich ich nicht glaube, dass ich noch jemanden wie Sie finden werde.«

Was redete die Frau da?

Zelte abbrechen, neuen Arzt suchen …

Sie blickte Lilli Anders ein wenig verwirrt an, stellte dabei dennoch fest, welch attraktive Frau sie doch war mit ihren kurzen braunen Haaren, ihrer schlanken, sportlichen Figur, was allerdings bei einer Lehrerin für Sport auch nicht verwunderlich war.

Lilli bemerkte die Verwirrtheit ihrer Ärztin.

»Ich rede mal wieder alles durcheinander, weil ich alles auf einmal will, zum Glück kann mein Mann deswegen nicht die Augen verdrehen, wir haben uns nämlich getrennt.«

Uff!

Roberta hätte mit allem gerechnet, damit allerdings nicht, allerdings gab es kein Paar, das unterschiedlicher sein konnte als diese quirlige Lehrerin und der eher etwas zurückhaltende Arzt, der in Hohenborn im Krankenhaus arbeitete.

Sie konnte zunächst einmal nichts sagen, und fragen wollte sie nicht. Das tat sie wirklich nur, wenn es sich um ärztliche Belange handelte, dann gehörte es dazu. Allerdings musste sie sich deswegen auch überhaupt keine Sorgen machen. Lilli gehörte zu den Menschen, die ihr Herz auf der Zunge trugen. Das machte sie nicht unsympathisch. Sie war keine Klatschbase, sondern sie sprach aus, was sie dachte. Ihre Offenheit, ihre Empathie machten sie allerdings beliebt, vor allem bei ihren Schülerinnen und Schülern, das wusste Roberta von Patienten, deren Kinder von Lilli Anders unterrichtet wurden.

Lilli war ihre letzte Patientin an diesem Vormittag, doch Lilli redete und redete, war nicht zu stoppen und kam jetzt vom Hölzchen aufs Stöckchen.

Roberta hatte nicht alle Zeit der Welt, also erkundigte sie sich doch: »Frau Anders, Sie und Ihr Gatte wirkten auf mich so harmonisch, ich kann nicht glauben, was Sie mir da gerade gesagt haben. Wieso die Trennung?«

Lilli entschuldigte sich.

»Es tut mir leid, dass ich wieder mal bei Adam und Eva angefangen habe und Ihre Zeit unnötig in Anspruch nehme. Wissen Sie, Frau Doktor, es musste einfach so kommen. Mark und ich passen einfach nicht zusammen. Aber da ist die erste Verliebtheit, da glaubt man, sich für den Partner ändern zu können oder ihn sich zurechtzubiegen, das ist ein Trugschluss, spätestens dann, wenn der Alltag einen einholt, erkennt man die Unüberbrückbarkeit. Menschen werden durch ihre Vergangenheit, durch das Leben, das sie geführt haben, geprägt. Das schmeißt man nicht einfach über Bord, das würde ja bedeuten, dass man plötzlich beginnen wollte, das Leben eines anderen zu führen.« Sie seufzte, machte eine kurze Pause, blickte Roberta traurig an. »Wir wollten es beide nicht wahrhaben. In vielen Dingen verstanden wir uns ja gut, verstehen uns noch immer, doch insgesamt stimmt es nicht. Wir hätten schon früher die Reißleine ziehen müssen. Wir zogen stattdessen um, hierher. Wie töricht zu glauben, dass dadurch alles anders wird. Man nimmt seine Probleme mit, man wird kein anderer Mensch, nur weil sich die äußeren Umstände geändert haben. In der ersten Zeit funktioniert es, weil man von sich abgelenkt ist. Man muss sich einrichten, die Umgebung kennenlernen. Aber dann …« Wieder seufzte sie, machte erneut eine kurze Pause.

Ihr war anzusehen, dass sie mit der Entwicklung, die ihr ­Leben genommen hatte, nicht glücklich war.

»Wissen Sie, Frau Doktor. Mark ist ein wundervoller Mensch, er ist ein großartiger Arzt. Doch seine Zögerlichkeit, sein sich nicht entscheiden können, damit kann und will ich einfach nicht mehr umgehen. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel, die Stelle hier bei Ihnen. Das war genau das, was er wollte, sich immer gewünscht hat, dennoch wollte er den Job im Krankenhaus nicht aufgeben. Er hat mich verrückt gemacht mit dem ewigen Hin und Her. Und als er sich endlich entschieden hatte, da war es zu spät. So ist es immer, selbst bei einem blöden Kinobesuch überlegt er, als müsse er seine Doktorarbeit abgeben. Wenn er es dann will, ist es zu spät, denn dann hat der Film längst angefangen.«

Sie winkte ab.

»Frau Doktor, ich will Sie jetzt mit meinem Privatleben nicht langweilen, Sie haben anderes zu tun. Ich bedauere wirklich sehr, nicht mehr Ihre Patientin sein zu können.«

»Und was werden Sie tun?«

»Ich werde in den Norden ziehen, habe eine Stelle als Sport- und Deutschlehrerin an einer Realschule angenommen, von der aus es nicht weit ist bis zum Meer. Darauf freue ich mich. Es ist eine neue Herausforderung, lässt mich das Scheitern unserer Ehe vergessen. Es wird eine Weile dauern, das zu verarbeiten, doch wir können nur von Glück reden, keine Kinder zu haben. Die sind in solchen Fällen immer die Leidtragenden und haben daran zu knapsen, dass es ihre Welt mit Vater und Mutter nicht mehr gibt, eine Welt, in der sie sich geborgen fühlen.«

»Und Ihr Mann?« Diese Frage konnte Roberta sich jetzt nicht verkneifen.

Wieder kam von Lilli Anders ein Achselzucken. »Ich weiß es nicht, Frau Doktor. Und deswegen muss ich mir auch keine Gedanken machen. Vorerst wird er hierbleiben, weiter in Hohenborn in der Klinik arbeiten, obwohl er dort mit seinem Chef nicht richtig klarkommt. Wir haben uns gütlich geeinigt, es wird keine Schlammschlacht geben. Mit mein und dein gibt es ehe keine Probleme, und das unser haben wir fair geteilt. Es ist ein Abschied voller Trauer, aber es gibt kein böses Blut.«

Weil Robertas Zeit wirklich drängte, kamen sie jetzt zum Wesentlichen und besprachen die weitere Vorgehensweise. Und wenig später verabschiedeten sie sich voneinander, und Lilli bedankte sich bei Roberta, weil die ihr zugehört hatte.

Roberta verließ ebenfalls die Praxis, in Gedanken war sie noch immer bei Lilli Anders und was sie von der gerade gehört hatte. Eine Trennung dieser beiden Menschen hätte sie niemals für möglich gehalten. Da sah man mal wieder, wie sehr man sich irren konnte und dass es nicht ausreichte, einem Menschen nur vor den Kopf zu sehen.

Mark Anders war wirklich ein sehr guter Arzt, deswegen hätte sie schließlich auch keine Überlegungen angestellt, ihn in die Praxis zu holen. Mit seiner Zögerlichkeit stand er sich gewiss oftmals im Weg. Für sie war es gut gewesen, unabhängig von dem glücklichen Zusammentreffen mit Claire zur rechten Zeit.

Wenn man miteinander arbeitete, kam es nur auf die fachliche Kompetenz, sondern auch im Privatbereich musste die Chemie stimmen. Schließlich waren sie Menschen aus Fleisch und Blut und keine Computer, die man nur in Gang setzen musste, und sie funktionierten. Wenn man in einem überschaubaren Betrieb wie in einer Arztpraxis wie dieser hier arbeitete, dann blieb es überhaupt nicht aus, dass man sich auch privat unterhielt. Roberta hatte, als sie Dr. Mark Anders bei sich arbeiten lassen wollte, eigentlich nur an seine Fähigkeiten als Arzt gedacht, und da war nichts auszusetzen. Doch Fähigkeiten und Zusammenarbeit unterschieden sich voneinander. Es wäre mit ihnen nicht gut gegangen, nachdem sie das jetzt alles von Lilli Anders erfahren hatte. Sie waren wirklich grundverschieden. Auch wenn Roberta nicht das übersprudelnde Naturell von Lilli besaß, traf sie spontane Entscheidungen. Das musste sie als Ärztin, weil man in ihrem Beruf beinahe täglich in Situationen kam, die so etwas erforderlich machten.

Aber darüber musste sie sich jetzt wirklich nicht mehr den Kopf zerbrechen. Der Kelch war an ihr vorübergegangen. Beinahe schämte Roberta sich für diesen Gedanken.

Es ging ja auch überhaupt nicht mehr darum. Privat konnten einem beide Menschen leidtun. Trennungen waren immer bitter, weil nicht nur Illusionen dabei starben. Davon konnte auch sie ein Lied singen. Allerdings befanden Mark und Lilli sich in einer besseren Situation, wenn man das so überhaupt nennen konnte. Bei ihnen gab es keine Schlammschlacht, wie sie es hinter sich hatte. Das war etwas, was man seinem größten Feind nicht wünschte. So etwas war entwürdigend und zerstörte noch den letzten Rest des Schönen, das einmal gewesen war.

Stopp!

An ihre Vergangenheit wollte Roberta jetzt wirklich nicht denken, nicht mehr an Max, der zum Glück, und das hoffentlich für immer, aus ihrem Leben verschwunden war.

*

Pia wartete bereits an der Bushaltestelle, als Pamela sich zu ihr gesellte.

»Schön, dass du bereits da bist, ich muss mit dir reden«, begann Pamela ohne Umschweife. »Und da finde ich einen Ort wie diesen nicht geeignet. Hier kommen dauernd Leute her, die aus- oder einsteigen, und ich finde, es geht überhaupt niemanden etwas an, worüber wir uns unterhalten. Außerdem finde ich es nicht gerade gemütlich, und deswegen schlage ich vor, dass wir einfach ins Calamini gehen.« Das klang eher nicht wie ein Vorschlag, sondern wie eine Feststellung, und Pia wagte nicht zu widersprechen, denn ihr lag unendlich viel daran, mit Pamela zu klären, was da zwischen ihnen stand. Dann musste sie halt in den sauren Apfel beißen und ihr sorgsam gehütetes Geld ausgeben. Vielleicht fand sie ja etwas, was nicht so teuer war.

Pamela schien Pias Gedanken erraten zu haben, denn sie sagte ganz selbstverständlich: »Natürlich bist du von mir eingeladen, und widersprich mir jetzt bitte nicht. Ich habe nämlich Geld von meiner Omi bekommen, und die hat ausdrücklich gesagt, dass wir zwei davon mal ein Eis essen sollen. Meine Omi kann dich nämlich ziemlich gut leiden. Also gehen wir?«

Pamela setzte sich in Bewegung, wartete eine Antwort überhaupt nicht ab, und Pia hatte keine andere Wahl, sie trottete neben Pamela her. Von Pamelas Selbstbewusstsein hätte Pia wirklich gern wenigstens ein bisschen. Dabei war Pamela jünger als sie, doch wenn man sie nebeneinander erlebte, schien es eher andersherum zu sein.

Je näher sie dem Eiscafé kamen, umso unbehaglicher fühlte Pia sich, nicht, weil sie eingeladen wurde, sondern weil sie ein wenig Angst vor dem hatte, was gleich kommen würde.

Sie konnte sich den Kopf zermartern, alles durchspielen, was sich in letzter Zeit ereignet hatte, sie kam auf nichts, was zwischen ihnen sein könnte.

Das ›Calamini‹ war immer gut besucht. Es waren nicht nur die Jugendlichen, die hier gern abhingen, sondern auch Erwachsene, weil es köstliches Eis und vor allem hervorragenden Kaffee in allen Variationen gab. Und irgendwie war Calamini Kult.

Dennoch fanden sie einen Tisch, ein wenig abseits, und das war auch gut so. Es musste wirklich niemand mitbekommen, was sie sprachen.

Eine freundliche Bedienung trat wenig später an ihren Tisch heran, erkundigte sich nach ihren Wünschen, dabei hatten sie sich noch nicht einmal die auf dem Tisch stehenden Karten angesehen, doch Pamela wusste ganz offensichtlich, was sie wollte, denn sie sagte: »Bitte zwei Becher Surprise.«

Die Bedienung entfernte sich, ehe Pia einwenden konnte, dass dieser Überraschungsbecher der teuerste Eisbecher war, der auf der Karte stand, bemerkte Pamela: »Surprise ist göttlich, und ich finde, wenn schon, denn schon.«

Dann blickte sie Pia an.

»Pia, du weißt, dass ich dich richtig gut leiden kann, ich bin wirklich sehr froh, dich zu kennen. Doch manchmal verstehe ich dich nicht. Du hast am See meinen Bruder Hannes kennengelernt, und du bist vor ihm abgehauen, als sei er ein Mörder, der dich gleich um die Ecke bringen will.«

Pia lief puterrot an. Woher wusste Pamela das? Sie hatte mit niemandem über diese Begegnung am See gesprochen, obwohl es ein für sie tiefgreifendes Erlebnis gewesen war.

Weil Pia nichts sagte, fuhr Pamela fort: »Du fragst dich jetzt vermutlich, woher ich das weiß. Nun, Hannes und ich sind ganz dick miteinander, wir haben keine Geheimnisse voreinander. Er hat mir von dieser flüchtigen Begegnung erzählt. Mehr noch, er hat mir ein Foto von dir geschickt und wollte wissen, ob ich dich kenne, wer du bist.«

Nun verstand Pia überhaupt nichts mehr.

Was für ein Foto?

Wieder war es Pamela, die sprach. »Du hast auf der Lehne dieser Bank gesessen, und Hannes war so fasziniert von deinem Anblick, dass er auf den Auslöser drückte. Klar darf man das nicht, doch er wollte es dir erzählen, dich fragen, aber dazu kam er ja nicht, denn du warst sofort auf der Flucht. Und da hat er mich halt gefragt.«

Die Eisbecher wurden gebracht, und schon allein bei deren Anblick konnte einem das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Auch wenn sie gerade ein sehr wichtiges Gespräch führten, wenn vieles geklärt werden musste. Das geriet erst einmal ins Hintertreffen, ›Surprise‹ konnte man einfach nicht widerstehen. Die beiden Mädchen machten sich erst einmal über ihre Eisbecher her. Auf einen Schlag konnte man so etwas nicht essen, und deswegen machte Pamela erst einmal eine Pause. »Pia, ich habe dir so viel über Hannes erzählt, dir Bilder gezeigt. Er war mit Luna und Sam unterwegs. Du wusstest, wer er war, warum bist du davongelaufen? Bitte sage es mir, damit ich es verstehen kann.«

Pia fühlte sich in die Enge gedrängt. Natürlich konnte sie über ihre Beweggründe sprechen, doch das war mehr als peinlich. Außerdem war sie verwirrt. Dieses Erlebnis am See hatte sie aus der Spur gebracht, doch jetzt zu hören, dass Hannes ein Foto von ihr gemacht hatte …

Sie beantwortete Pamelas Frage nicht, sondern erkundigte sich: »Warum hat Hannes ein Foto von mir gemacht?«

Pamela verdrehte die Augen.

»Vielleicht, weil du ihm gefallen hast? Er ist ein junger Mann, du bist eine junge Frau, verdammte Hacke, da können schon mal Gefühle entstehen, oder? Doch ehe ich darüber mit dir rede, möchte ich endlich wissen, warum du abgehauen bist.«

Sie konnte nicht länger herumeiern, also erzählte sie Pamela, und da war sie jetzt ganz ehrlich, wie toll sie Hannes fand, schon vorher aus den Erzählungen und den Fotos, doch als sie ihn dann gesehen hatte, unverhofft, sei sie hin und weg gewesen.

Nun verstand Pamela überhaupt nichts mehr.

»Und warum bist du nicht geblieben und hast die Gelegenheit beim Schopf gefasst?«

Als Pia jetzt ihre Freundin anschaute, hatte sie Tränen in den Augen.

»Weil es nicht geht.«

Eigentlich konnte Pamela Pia gut verstehen, doch jetzt redete die irgendwie in Rätseln, da passte überhaupt nichts zusammen.

Also wandte sie sich erst einmal wieder ihrem Eis zu, ehe es schmolz, Pia tat es ihr gleich.

»Warum geht es nicht? Was geht nicht?«, wollte Pamela wissen, nachdem sie ihren Eisbecher erst wieder einmal zur Seite geschoben hatte.

»Hannes ist ein Supertyp, und ich …, ich bin niemand, eine, die auf der Straße gelebt, deren Mutter sich umgebracht hat und deren Vater ein Schläger und Säufer ist. Ich wäre im Boden versunken, wenn ich ihm das hätte erzählen müssen und spätestens dann wäre er es doch gewesen, der Reißaus genommen hätte. So habe ich es halt getan.«

Pamela spielte mit ihrem Eislöffel.

»Du hast ganz schön einen an der Waffel«, sagte sie schließlich. »Hannes weiß alles über dich, er wusste nur nicht, wie du aussiehst, dass du das Mädchen bist. Aber soll ich dir was sagen? Hannes war zutiefst beeindruckt, dass du dich nicht in dein Schicksal ergeben hast, dass du auf der Straße du geblieben bist. Ach, Pia, ich dachte eigentlich, dir ein richtiges Bild von Hannes gezeichnet zu haben. Hannes ist frei von Vorurteilen, von der Meinung anderer Leute. Als er mir das Bild schickte und mich fragte, wer du bist, habe ich ihm gesagt, dass du das Mädchen bist, über das wir geredet haben … Hannes möchte unbedingt in Kontakt mit dir treten, du gefällst ihm, sogar sehr.«

Nach diesen Worten war es still, die Mädchen löffelten erst einmal ihr Eis, weil das wirklich mittlerweile zu schmelzen begann. Pia glaubte zwar, nichts essen zu können, doch dafür war das Eis einfach zu lecker.

Pamela aß genüsslich, für sie war alles klar, sie wusste nun, weswegen Pia davongerannt war.

Pia schossen tausend Gedanken durch den Kopf, einer blieb haften … Hannes Auerbach mochte sie, wollte mit ihr in Verbindung treten, kannte ihre Vergangenheit, und es machte ihm nichts aus.

Was sollte sie davon halten?

Sie wusste es nicht, und sie konnte auch nicht darüber reden, obwohl ihr Herz übervoll war.

Als von dem Eis nichts mehr übrig war, die Mädchen hatten sogar die Waffel gegessen, fiel Pia ein, dass sie ja für Pamela noch ein Geschenk hatte. Und ihr das jetzt zu geben, das passte, nicht nur, weil sie ihr das von Hannes erzählt hatte, sondern weil sie sich dann auch gleich für die Einladung revanchieren konnte.

Das Eis war wirklich köstlich gewesen, und selbst hätte sie sich das nie gekauft.

Sie kramte in ihrer Tasche herum, beförderte ein Päckchen heraus, das schob sie über den Tisch.

Es war eine sehr schön bemalte Schachtel, die Pamela direkt neugierig öffnete. Dann zog sie etwas heraus, starrte auf das Geschenk, dann zu Pia.

»Bist du verrückt? Du kannst mir nicht so etwas Kostbares schenken, das ist zwar eine wunderschöne Kette, doch sie ist viel zu teuer. Nicht einmal zum Geburtstag schenkt man so etwas.«

Pamela durchlebte ein Wechselbad der Gefühle. Eine so schöne Kette hatte sie noch nie zuvor gesehen. Sie war kunstvoll aus Silber gefertigt, in der Mitte befand sich, sehr schön gefasst, ein blauer Stein. Genau in der Farbe, die sie über alles liebte.

Ein schrecklicher Gedanke schoss Pamela durch den Kopf, den sie gar nicht erst zu Ende denken wollte … Pia hatte das Schmuckstück doch nicht geklaut? Nein, oh nein, so durfte sie nicht denken. Aber andererseits, eine Kette wie diese fand man nicht auf dem Trödelmarkt oder in einem Billigshop.

Pia freute sich, dass Pamela die Kette gefiel, dann sagte sie leise: »Pamela, das ist nichts Besonderes. Ich habe die Schachtel und die Kette selbst gemacht. So etwas macht mir großen Spaß.«

Pamela hatte mit allem gerechnet, an eine solche Möglichkeit nicht einmal im Traum. Pia konnte einen immer wieder überraschen, sie war schon ein ganz besonderes Mädchen.

»Pia, ich weiß überhaupt nicht, wie ich dir danken soll, es gibt gar keine Worte, die das ausdrücken können, was ich augenblicklich empfinde. Diese Kette ist ein Traum. Du bist eine richtige Künstlerin. So besonderen Schmuck habe ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen. Woher kannst du das?«

Pia wurde verlegen. Natürlich freute sie sich über das Lob, mehr noch freute sie sich darüber, dass sie mit dieser Kette für Pamela ins Schwarze getroffen hatte.

Sie erzählte, dass ihre Mutter ihr das alles beigebracht hatte, als sie noch ein ganz kleines Mädchen gewesen war, und dass sie viele Stunden damit verbracht hatten, Schmuckstücke, kleine Gegenstände anzufertigen.

»Meine Mama war eine wirkliche Künstlerin, doch sie hat nie etwas aus ihrem Talent gemacht, und später dann, als sie in ihre Depressionen verstrickt gewesen war, hat sie überhaupt nichts mehr gemacht.«

Pamela wusste, wie traurig es Pia immer machte, wenn sie über ihre geliebte Mutter sprach. Doch das jetzt war nicht der Moment, traurig zu sein, jetzt musste man sich freuen, natürlich ganz besonders sie. Du lieber Himmel, was würden sie alle staunen, wenn sie diese Kette trug, und das würde sie, und das nicht nur einmal.

»Pia, sei froh und dankbar, dass deine Mama dir dieses Talent ererbt hat, so lebt sie in dir weiter. Und ich könnte darauf wetten, dass mal aus dir eine ganz große Schmuckdesignerin wird, der sie alles aus den Händen reißen.«

Pia war gerührt.

»Pamela, ich bitte dich …«

Pia wusste nicht, wie ihr geschah. Die Freude und das Lob von Pamela, und dass sie Hannes, ausgerechnet dem, der ihr so gut gefiel. Das war eigentlich mehr, als man verkraften konnte. Pia schluckte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, doch das übernahm Pamela für sie, die jetzt einfach nur froh war, dass es für alles eine Erklärung gab. Pia hatte am See nicht einfach nur herumgezickt, sie hatte Schiss gehabt. Natürlich war es blöd gewesen, wenn man davonrannte, löste man keine Probleme. Das sagte ihre Omi immer, und Pamela hatte es verinnerlicht, seit sie damals selbst …

Nein, um ihre Befindlichkeit ging es jetzt wahrhaftig nicht. Es ging um Pia, na ja, ein wenig auch um Hannes, der sie kennenlernen wollte. Und irgendwie wurde Pamela das Gefühl nicht los, dass die beiden sich wohl begegnen mussten. Hannes war ein kreativer Mensch, der seinen Weg unbeeinflusst von anderen Leuten ging. Und seit sie dieses wunderschöne Schmuckstück nicht nur gesehen, sondern es auch noch geschenkt bekommen hatte, war Pamela klar, wie kreativ auch Pia war.

Hannes und Pia mussten in Kontakt treten, und deswegen erkundigte sie sich aus diesen Gedanken heraus auch: »Pia, ich darf Hannes doch deine Telefonnummer geben, nachdem alles geklärt ist, du dich wegen deiner Vergangenheit nicht mehr verrenken musst, oder?«

Pia schluckte erneut.

»Und du …, dir macht es nichts aus? Immerhin ist Hannes dein Lieblingsbruder.«

Das konnte jetzt nicht wahr sein!

»Pia, Hannes ist mein Lieblingsbruder, ganz recht, aber er ist nicht mein Eigentum. Und wenn ich ihm jetzt, wenn du einverstanden bist, deine Nummer gebe, bedeutet das nicht, einen Vertrag auf Lebenszeit abzuschließen.«

Die Bedienung trat an ihren Tisch, erkundigte sich freundlich nach weiteren Wünschen.

Pia blickte auf ihre Uhr.

»Oh, so spät ist es schon? Alma will mit mir auf den Verkehrsübungsplatz fahren, und ich lasse sie, statt dankbar zu sein, warten.«

»Danke, ich möchte gern zahlen«, bemerkte Pamela, und nachdem das geschehen war, wandte sie sich Pia zu. »Ich finde es großartig, dass die Frau Hermann, deine Alma, das tut. Sie gehört zu den richtig Netten. Aber sie wird dir schon nicht den Kopf abreißen. Schließlich wartet sie nicht in Schnee und Eis auf dich.«

Diese Pamela.

Pia bedankte sich, und ehe sie gingen, stellte Pamela fest: »Ich gebe Hannes also deine Nummer.«

Pia wurde rot, doch sie nickte. Und die Freude war nicht zu übersehen, die der Gedanke in ihr auslöste, vielleicht bald von Hannes Auerbach zu hören, der nichts gegen ihre Vergangenheit hatte.

»Und ich erzähle ihm auch, was für eine Künstlerin du bist, natürlich bekommt er sofort ein Foto von dieser unglaublich schönen Kette.«

Sie fiel Pia spontan um den Hals.

»Danke noch mal, du glaubst überhaupt nicht, was für eine Freude du mir mit dieser Kette gemacht hast.«

Pamela hätte gewiss noch weiter geredet, doch dann sahen die Mädchen den Bus um die Ecke biegen und rannten los, um den noch zu erreichen.

Das Leben war schön …

Ja, das war es, sie und Pamela sprachen wieder miteinander, und dann Hannes Auerbach …, am liebsten würde Pia sich jetzt kneifen, um sich davon zu überzeugen, dass sie nicht träumte.

*

Claire hatte sich so sehr darauf gefreut, Piet zu treffen, und nun kam lediglich ein Anruf. Aber daran würde sie sich gewöhnen müssen, solange sie noch kein gemeinsames Leben hatten, von dem Claire nicht die geringste Ahnung hatte, wie das wohl aussehen würde.

Der derzeitige Status war, dass er seinen Geschäften nachging, sie weiter in der Praxis ihre Arbeit verrichtete, und ansonsten versuchten sie, wenn sie sich schon nicht sahen, auf alle nur mögliche Art in Verbindung zu treten, und die gab es glücklicherweise heutzutage.

»Mein Liebes, ich hätte dich auch so gern getroffen, das musst du mir glauben. Ohne dich erscheint mir mein Leben leer. Dich treffen zu dürfen, ist wirklich ein Geschenk des Himmels, vermutlich musste ich deswegen das Projekt unterhalb der Felsenburg durchziehen, um dir begegnen zu dürfen. Und weißt du was, es hat sich gelohnt. Ich weiß, dass du für mich bestimmt bist, dass ich auf dich warten musste. Ich liebe dich unendlich, mein Herz.«

Es waren wunderschöne Worte, die ans Herz gingen, und doch war da ein Unterton, den Claire da heraushörte und der ihr nicht gefiel.

»Piet, stimmt etwas mit dem Projekt nicht?«, erkundigte Claire sich, und er war ganz erstaunt, dass sie das sagte, warum sie danach fragte, wollte er wissen.

»Piet, ich habe es aus deiner Stimme gehört.«

Das machte ihn für einen Moment sprachlos, weil es ihm zeigte, wie eng sie miteinander waren.

»Es gab ja immer wieder Ärger, weil es viele Leute einfach störte, was da gebaut wurde. Im Laufe der Bauzeit wurde es besser, weil selbst Skeptiker merkten, dass ich Unternehmen aus der Umgebung beschäftige, dass ich Arbeitsplätze schaffe, dass nachhaltig gebaut wird. Jetzt, kurz vor der Eröffnungsfeier, da kocht es wieder hoch. Manche Leute können es halt nicht lassen, immer Randale zu machen. Vielleicht sind sie auch nur sauer, weil ich nicht alle Einwohner des Sonnenwinkels zu diesem Event einlade, und sie haben nicht kapiert, dass das bei Eröffnungen von Geschäftsobjekten nicht üblich ist.«

»Aber ein paar Leute hast du schon eingeladen, mein Lieber, Roberta, die Auerbachs, die von Roth, die beiden Damen von Bergen, um nur ein paar Namen zu nennen.«

»Ja, das sind auch alles Menschen, die ich mag, ganz besonders Teresa von Roth. Das ist eine unglaubliche Frau.«

Claire lachte.

»Was für ein Glück, dass das eine so alte Dame ist, sonst müsste ich jetzt eifersüchtig werden.«

»Musst du niemals, Claire«, sagte er ernst. »Auf nichts und niemanden, und müsste ich mich entscheiden, dann würde ich es immer für dich tun. Aber bitte, lass uns nicht mehr über das Projekt sprechen. Irgendwann werden auch die letzten Skeptiker einsehen, wie gut es für die Gegend ist. Und es wird doch auch überhaupt niemand gestört, wenn du so willst, ist es eine Welt für sich dank des großen Grundstückes. Ich freue mich auf jeden Fall, dich dann bei der Eröffnung als meine Frau an meiner Seite präsentieren zu dürfen. Das bist du längst, auch wenn dafür noch das amtliche Siegel fehlt. Ich freue mich so sehr darauf, alle werden staunen. Mach dich hübsch«, Piet korrigierte sich sofort, »ach, was rede ich denn da. Du bist immer hübsch, nein, du bist wunderschön und siehst selbst in deinen Trainingsklamotten umwerfend aus.«

Viel konnte er nicht mehr sagen, denn er wurde abgerufen, Claire vergaß, was er über die Baustelle gesagt hatte, die Worte, die er für sie gefunden hatte, waren so viel, viel schöner gewesen. Dass sie hier ihr Glück gefunden hatte, ausgerechnet im verträumten Sonnenwinkel, und dann einen solchen Mann wie Piet. Das grenzte an ein Wunder. Wenn man so wollte, hatte sie die Nadel im Heuhaufen gefunden, obwohl das eigentlich unmöglich war.

Claire van Beveren …

Das klang ja wohl ganz anders als das Claire Müller, unter dem sie immer gelitten hatte. Darauf kam es ja nicht an, sondern in erster Linie musste die Chemie zwischen zwei Menschen stimmen, die Gefühle füreinander, und dann war ein schöner Name praktisch so etwas wie eine Zugabe.

So, und jetzt genug davon, das waren Jungmädchenträumereien, und aus diesem Alter war sie wirklich schon eine ganze Weile heraus.

Aber an etwas hatte sie bislang nicht gedacht, dass bei dieser Eröffnung das ›kleine Schwarze‹, das sie für alle besonderen Anlässe im Schrank hatte, nicht ausreichte.

Also musste etwas Neues her. Sie hatte frei, da war es wohl jetzt die beste Gelegenheit, sich mal umzusehen. Und wo konnte sie das am besten tun? Natürlich im ›Outfit‹, das war der Laden, der das führte, was sie gern trug. Und wer weiß, vielleicht traf sie dann auch gleich Astrid Keppler. Ein wenig hatte Claire ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht noch einmal nachgefragt hatte. Doch auch ihr Tag hatte nur vierundzwanzig Stunden, und da gab es für sie andere Möglichkeiten, die zu nutzen.

Sie griff nach ihrer Tasche, verließ die Wohnung, gerade, als sie aus der Haustür treten wollte, sah sie, wie Achim Hellenbrink die Wohnung seiner Ex-Schwiegermutter verließ, um die er sich wirklich ganz rührend kümmerte. Er war ein netter, ein warmherziger Mann, und sie fand es sehr bedauerlich, dass sie nicht Freunde, Sportskameraden sein konnten, dass er mehr von ihr wollte, was sie ihm nicht geben konnte. Und das war schließlich auch schon so gewesen, ehe sie Piet kennengelernt hatte. Liebe konnte man weder erzwingen noch in sich einpflanzen. Achim wusste, dass sie Piet van Beveren heiraten würde. Es hatte den Anschein gehabt, als nehme er das sportlich, doch das war nicht so, denn sie liefen seitdem keinen Marathon mehr zusammen. Und auch zwischen ihr und Hulda Lingen hatte sich etwas verändert. Sie gingen freundlich und nett miteinander um, Claire besorgte Hulda auch verschiedene Sachen weiterhin, wie beispielsweise das besondere Mühlenbrot. Huldas Enttäuschung war nicht zu übersehen, in ihren Träumen und Gedanken hatte sie Achim und Claire bereits als ein Paar gesehen. Das war ein wenig erstaunlich, doch wenn man eine so schreckliche Tochter hatte wie Hulda, dann war es nachvollziehbar.

Nachdem Claire eine Weile gewartet hatte, öffnete sie vorsichtig ihre Haustür. Die Luft war rein, sie schloss ab, dann rannte sie zu ihrem Auto als würde sie zu einem akuten Notfall gerufen.

Dann fuhr sie los. Noch mal Glück gehabt, doch auf Dauer war das auch keine Lösung. Ändern würde sich allerdings eh alles, denn es war wirklich nicht vorstellbar, dass Piet bei ihr einziehen würde. Doch wenn sie solche Gedanken hatte, war es unumgänglich, an die Praxis zu denken. Und das wollte sie jetzt nicht.

Dass sie irgendwann nicht mehr Seite an Seite mit Roberta arbeiten würde, war der einzige Wermutstropfen, den ihre Liebe zu Piet mit sich brachte.

Schnell umdenken. Was für ein Kleid sollte sie sich kaufen?

*

Claire hatte Glück, als sie das ›Outfit‹ betraf, verabschiedete Astrid gerade eine Kundin und dann begann sie zu strahlen, als sie Claire erblickte.

»Frau Doktor, was für eine wundervolle Überraschung«, sagte sie. »Ich habe schon ein richtig schlechtes Gewissen, weil ich Sie noch nicht angerufen oder Ihnen wenigstens ein paar Blumen für Ihre Hilfe geschickt habe.«

Insgeheim atmete Claire erleichtert auf, Astrid war ihr nicht böse. »Ich kenne das, man nimmt sich etwas vor, und immer kommt etwas dazwischen.« Sie blickte Astrid an. »Sie sehen gut aus.« Astrid nickte.

»Es geht mir auch wieder gut, oder sagen wir eher, es geht mir viel besser. Allmählich beginnt der Albtraum sich aufzulösen, und der Schmerz darüber, was da geschehen ist, wird weniger. Ich glaube, allein hätte ich nicht durch diese Hölle gehen können. Grete Wolfram ist eine so großartige Hilfe für uns, sie ist für Amelie und mich wie eine liebevolle Mutter und Großmutter. Ohne Grete hätte ich nichts auf die Beine gestellt, sondern wäre in meinem Kummer versunken. Sie hat uns da herausgeholt, vor allem ist sie für Amelie da. Ich könnte sonst nicht arbeiten. Mir wird von Tag zu Tag bewusster, was für ein großes Glück ich bei allem Unglück hatte. Was machen die allein erziehenden Mütter, die eine solche Unterstützung nicht haben? Mir wird immer bewusster, dass alles unterstützt wird, diese Frauen haben keine Lobby, und da müsste dringend etwas geändert werden. Ohne Grete wäre ich jetzt ein Sozialfall, nicht, weil ich das möchte, sondern weil ich keine andere Wahl hätte. Aber entschuldigen Sie bitte, Frau Doktor, dass ich Sie mit allem zumülle. Deswegen sind Sie nicht gekommen. Was kann ich für Sie tun?«

Claire nickte.

»Das können Sie in der Tat, doch vorher möchte ich schon sehr gern noch etwas wissen. Wurde dieser Mann mittlerweile verhaftet?« Ein bitteres Lächeln umspielte Astrids Lippen.

»Nein, der hat sich abgesetzt und wird vermutlich irgendwo unter einem weiteren falschen Namen leben. Die Konten seiner ersten Frau hat er ja reichlich abgeräumt, und, wie Sie wissen, hat er nicht nur dort Schmuck und Wertgegenstände ausgeräumt, sondern hat es auch bei mir getan, als ich noch im Haus im Sonnenwinkel wohnte. Das ist zum Glück weg, Regina hat sich darum gekümmert, die eine so großartige Frau ist. Unter anderen Umständen wäre ich gern mit ihr befreundet. Aber so haben wir beide entschieden, dieses Kapitel zu beenden, zu vergessen. Anders würde die Vergangenheit immer wieder heraufbeschworen. Wir müssen auch keine Einigkeit gegen … diesen Mann demonstrieren, alles, was zu tun ist, erledigen Reginas Anwälte, die sie bezahlt. Das mit der Namensänderung läuft ebenfalls, bald werde ich diesen verhassten, verlogenen Namen nicht mehr tragen müssen. Ich muss mir nur noch eine plausible Erklärung für Amelie ausdenken. Dass ihr Papa für lange Zeit weg ist, das erwähnt sie kaum noch. Ihr neues Leben ist viel aufregender.«

Claire bemerkte, wie Doreen von Senk, die Geschäftsinhaberin zu ihnen blickte, und das erinnerte Claire daran, weswegen sie in erster Linie gekommen war. Sie erzählte es Astrid, und die führte sie zu den Elementen, auf denen die festlichen, die eleganteren Kleidungsstücke hingen.

Unschlüssig blickte Claire auf alles, was Astrid ihr zeigte. Gewiss, es war alles schön, wunderschön sogar, doch sie sah sich in keinem der Kleider, Ensemble. Sie wollte an der Seite von ihrem Piet richtig gut aussehen, aber sie wollte sich nicht verkleiden.

Allmählich begann es ihr peinlich zu werden, alles abzulehnen, was Astrid ihr zeigte. Sie hatte einfach keine Lust, etwas davon zu probieren.

»Wissen Sie was … Astrid«, sie hatten sich darauf geeinigt, dass Claire sie beim Vornamen nennen würde, um das verhasste und falsche Keppler zu vermeiden. »Ich habe Ihnen zwar gesagt, kein schwarzes Kleid tragen zu wollen. Doch je mehr Sie mir zeigen, umso vorstellbarer ist es für mich, ein besonderes schwarzes Kleid anzuziehen, damit macht man niemals etwas kaputt.«

Astrid stimmte zu, und ehrlich gesagt, war sie jetzt auch froh, denn allmählich wäre sie mit ihrem Latein am Ende gewesen, und sie wollte die Frau Doktor doch nicht enttäuschen. Das eine oder andere Kleid wäre perfekt für sie gewesen, doch wenn sie nicht wollte, war nichts zu machen. Schließlich konnte sie die Frau Doktor nicht in etwas hineinzwängen.

»Wir haben gerade schwarze Kleider eines jungen Designers aus Frankreich bekommen, und da sind ausnehmend schöne Stücke dabei, aber ansonsten haben wir gerade an schwarzen Kleidern eine sehr gute Auswahl. Schwarz ist eine Farbe, die eigentlich jeder tragen kann, und wenn Material und Schnitt stimmen, sind die Outfits immer besonders.«

Sie wollte kein schwarzes Kleid haben, und vielleicht war es einfallslos und langweilig, doch Claire bekam sofort ein ganz anderes Gefühl, als sie sich den schwarzen Kleidern, Rücken, Blusen, Jacken, Hosen näherten. Eine Hose wäre für Claire durchaus vorstellbar, doch da sie wusste, sie gern Piet sie in Kleidern und Röcken sah, entschied sie sich dagegen.

Die Outfits des französischen Designers waren schön, gewiss, doch dann entdeckte Claire ein Kleid, das ihr auf Anhieb gefiel. Es war raffiniert geschnitten, schlicht und war aus einem sehr hochwertigen und sehr edlem weich fließenden Material gefertigt.

»Astrid, haben Sie das Kleid in meiner Größe?«, erkundigte sie sich interessiert und aufgeregt zugleich.

Astrid blickte auf das Etikett.

»Frau Doktor, es ist Ihre Größe.«

»Dann probiere ich es an.«

Sie hätten sich alles andere ersparen können, Claire spürte schon, dass es ihr Kleid war, als sie hineinschlüpfte. Es saß wie angegossen, und sie fühlte sich unglaublich wohl. In diesem Kleid würde sie den Abend überstehen.

Sie trat aus der Kabine.

»Frau Doktor, Sie sehen hinreißend aus«, rief Astrid ganz begeistert.

Von den anderen Verkäuferinnen wurden Claire begeisterte Blicke zugeworfen, und die Chefin gesellte sich zu ihnen und rief: »Das Kleid ist wie für Sie gemacht, gnädige Frau.«

Das war kein dahergesagtes Kompliment, das war ehrlich, und als Claire sich im Spiegel betrachtete, war sie begeistert. Und das hatte etwas zu bedeuten. Ihr Aussehen und das, was sie sich an Bekleidungsstücken kaufte, nahmen nicht den ersten Platz in ihrem Leben ein. Umso erstaunter war sie jetzt. Sie sah wirklich sehr gut aus, ganz anders als sonst. Jetzt musste nur noch mit ihrer Frisur etwas passieren. Der Pferdeschwanz, ihre übliche Frisur, passte nicht zu dem Kleid, und es reichte auch nicht, die Haare einfach glatt zu brüsten, da musste ein neuer Schnitt her. Abschneiden lassen würde sie ihre Haare nicht, aber ein wenig Form in ihren dunkelblonden Haaren konnte nicht schaden. Das würde sie gleich noch machen, es gab in Hohenborn mehr als nur einen Friseur, und sie würde gleich mal die Chefin fragen, ob sie da eine Empfehlung hatte.

»Ich nehme das Kleid«, sagte sie spontan. Erst als sie die Kabine betrat, um es wieder auszuziehen, blickte sie auf das Preisschild, und dann musste sie erst einmal schlucken. Sie gab normalerweise für alles, was sie sich für eine Saison kaufte, nicht das aus, was dieses Kleid kostete. Das war verrückt, dieser Preis für ein Kleid.

Dann dachte sie an den Anlass, bei dem sie es tragen würde, an das neue Leben an Piets Seite musste sie sich erst noch gewöhnen, daran, für einen Fummel ein Vermögen auszugeben, ebenfalls.

Sie zögerte, doch dann sprang Claire über ihren Schatten. Sie würde an anderer Stelle sparen, und eines stand auf jeden Fall fest, ihr Piet würde glänzende Augen bekommen.

Sie gab sich einen Ruck, in ihren eigenen Sachen, mit dem teuren Kleid überm Arm, trat sie aus der Kabine und erkundigte sich: »Wer hat eigentlich dieses Kleid kreiert?« Über den Preis verlor sie kein einziges Wort.

Ehe Astrid etwas sagen konnte, begann die Chefin diese junge Designerin über den grünen Klee zu loben, eine Frau, die ­klare und schlichte Schnitte bevorzugte und kostbare Materialien.

Ob das diesen hohen Preis rechtfertigte, hinterfragte Claire nicht, sie wollte deswegen auch keinen Gedanken mehr verschwenden. Das Kleid gefiel ihr, basta.

Sie erkundigte sich nach einem Friseur, und da konnte Frau von Senk ihr nicht nur helfen, sondern sie rief für Claire sogar bei diesem Friseur an, um ihr einen Termin zu machen, was in der Regel nicht einfach war.

»Tiziano erwartet Sie, Frau Doktor, und eines dürfen Sie mir glauben, bei ihm sind Sie in den allerbesten Händen.«

Claire bedankte sich, bezahlte das Kleid, dann brachte Astrid sie zur Tür, nachdem sie das edle Stück sorgsam eingepackt hatte.

»Frau Doktor, Sie werden die Schönste sein«, sagte sie, »das Kleid hat auf Sie gewartet.«

»Danke für Ihre Mühe, Astrid.« Dann hatte sie eine Idee.

»Haben Sie keine Lust, zu der Eröffnungsfeier zu kommen?«, erkundigte sie sich. Piet würde gewiss nichts dagegen haben, dass es eine Person mehr sein würde.

Astrid freute sich über das Angebot, doch sie lehnte dankend ab.

»Aus verständlichen Gründen möchte ich erst einmal nicht in den Sonnenwinkel zurückkehren, es sei denn, ich benötige ärztliche Hilfe, dann muss es sein. Außerdem käme ich mir zwischen all den Reichen und Schönen, den wichtigen Gäste, die sonst noch kommen werden, ein wenig deplatziert vor. Mein Leben läuft längst noch nicht rund. Doch Ihnen wünsche ich viel Spaß, ehrlich, Frau Doktor, Sie werden sie alle überstrahlen. Und wenn Sie jetzt zum Friseur gehen, lassen Sie sich bloß nicht diese wunderschönen Haare abschneiden. Friseure neigen ja schnell dazu, mit der Schere übers Ziel zu schießen und schneiden ungebremst, bis man kaum noch Haare auf dem Kopf hat.«

Claire musste lachen, als sie sich dieses Szenario vorstellte, sie erklärte Astrid, dass ihr das ganz gewiss nicht geschehen würde.

Eine Kundin kam, die offensichtlich von Astrid bedient werden wollte, und so verabschiedeten sie sich endgültig. Claire brachte rasch ihre Errungenschaft zum Auto, dann machte sie sich auf den Weg zum Friseur. Eine seltsame Aufgeregtheit überfiel sie, und das war etwas, was sie an sich überhaupt nicht kannte, eine richtige Freude wegen eines Kleides und wegen eines Friseurs. Ähnliche Gefühle hatte sie bislang allenfalls gehabt, wenn sie bei einem Marathonlauf eine gute Zeit hatte, und natürlich war da ihr Beruf, doch alle Emotionen, wenn überhaupt, waren da eine Selbstverständlichkeit. Denn sie war Ärztin geworden, um voll und ganz für ihre Patientinnen und Patienten da zu sein.

Es war ja nicht so, dass sie zum ersten Male verliebt war, und mit Fabio Belani, ihrem heißblütigen Italiener, da war ganz schön die Post abgegangen. Jetzt wusste sie, dass es nicht mehr als blinde Leidenschaft gewesen war, und wenn dazu nicht Liebe als Grundbasis kam, fuhr man so etwas sehr schnell gegen die Wand. Es war wie mit einem Feuer, das auch loderte, aber, wenn man nicht nachlegte, in sich zusammenfiel, und zum Schluss blieb nur noch ein Häufchen Asche.

Auf dem Weg zu diesem Tiziano kam sie an der Kirche vorbei, und obgleich das jetzt wirklich nicht passte, weil der Friseur auf sie wartete, wurde Claire von der Kirche geradezu angezogen. Sie hatte das Gefühl, sich dafür bedanken zu müssen, dass der liebe Gott ihr Piet auf den Weg geschickt hatte. Von Alma wusste Claire, dass die ständig in die Kirche ging, um Kerzen anzuzünden und sich für etwas zu bedanken. Sie hatte darüber gelächelt, doch jetzt wollte sie es ebenfalls tun.

Sie war lange schon nicht in einer Kirche gewesen, obwohl sie ein gläubiger Mensch war und ihre Eltern sie christlich erzogen hatten.

In der Kirche empfing sie eine wohltuende Atmosphäre, vielleicht lag das auch ein wenig daran, dass jemand auf der Orgel spielte und bereits viele Kerzen brannten, die Menschen angezündet hatten, um sich für etwas zu bedanken oder etwas zu erhoffen.

Claire nahm eine der Kerzen, gab dafür mehr als gewünscht war, dann zündete sie die Kerze an, setzte sich hin, dachte an Piet, der so überhaupt nicht ihrem Beuteschema entsprach, wenn man überhaupt davon sprechen konnte, der kleiner war als sie. Nichts davon zählte mehr, wenn Liebe sich ins Herz geschlichen hatte. In ihr war neben ganz viel Liebe auch Ruhe. Man empfand so etwas vermutlich auch nur, wenn man angekommen war.

Freude machte sich in ihr breit, Freude darauf, dass sie bald schon immer an seiner Seite sein würde. Und das war mehr als erstaunlich. Bislang war es der Beruf als Ärztin gewesen, der immer den ersten Platz in ihrem Leben eingenommen hatte. Sie war noch immer Ärztin aus Leidenschaft, und daran würde sich nichts ändern. Doch augenblicklich beobachtete sie voller Staunen, was die Liebe aus ihr machte, mit ihr. Es war schön, wunderschön, es fühlte sich so gut an.

Jetzt betete Claire doch, und sie bedauerte es, gehen zu müssen, weil der Friseur auf sie wartete. Es war so friedlich und still, und dann die Orgelmusik …

Es wunderte sie überhaupt nicht, dass hier und da auf den Bänken Menschen verweilten, andächtig, still, in ihre Gedanken oder in ein Gebet versunken. Und es wurden Kerzen angezündet. Sie erhob sich und ging. Sie fühlte sich gut.

*

Alma bemerkte eine Veränderung an der jungen Pia, und als sie von einer Stunde kamen, die sie auf dem Verkehrsübungsplatz verbracht hatten, erkundigte sie sich: »Pia, du siehst beinahe …, glücklich aus. Magst du darüber reden?«

Pia hatte selbst schon mit sich gekämpft, ob sie es Alma erzählen sollte. Es war gut, dass Alma jetzt fragte.

Dann erzählte sie ihr, was sie von Pamela erfahren, wie die sich über die Kette gefreut hatte.

»Alma, und stell dir bloß vor, Hannes Auerbach hat mich angerufen, wir haben lange miteinander geredet. Er wird sich wieder melden, hat aber auch gesagt, dass ich es ebenfalls tun kann, doch das geht überhaupt nicht. Ich habe keine Flat Rate, und ein Auslandsgespräch ist viel zu teuer.«

Alma fuhr rechts an den Straßenrand, stellte den Motor ab und schaute Pia an.

»Die Telefongebühren sollen kein Hinderungsgrund sein, darum kümmere ich mich. Und der Hannes, das ist ein ganz besonderer junger Mann, so besonders, wie du es bist. Und von daher finde ich es richtig gut, dass ihr in Kontakt miteinander getreten seid. Und was die Kette betrifft, Pia, du hast ein unglaubliches Talent, und du solltest wirklich mal darüber nachdenken, ob Schmuckdesignerin nicht ein Beruf für dich ist.«

Pia zögerte mit der Antwort, sie hatte auch schon darüber nachgedacht, doch es ganz schnell wieder verworfen.

»Spaß machen würde es mir schon, auch eine fundierte Ausbildung. Aber ist das ein sicherer Beruf?«

»Wenn du so willst, mein Mädchen, nichts ist sicher, niemand bekommt einen Freifahrtschein für ein ruhiges und schönes Leben. Und du hast doch am eigenen Leib erfahren, wie schnell man aus der Bahn geworfen wird. Es ist wichtig, an sich zu glauben und an das, was man kann. Und da kannst du dir ruhig ein Beispiel an Hannes Auerbach nehmen. Der hat ein Superabi gemacht, ein Stipendium in Amerika wartete auf ihn. Und seine Eltern, besonders der Herr Professor, erwarteten von ihm eine akademische Laufbahn. Das war nicht sein Ding, mit einem Kumpel hatte er in Australien diese Surf- und Tauchschule, er war das Gesicht eines international bekannten Surfbretts, hat an der zweiten Version ordentlich verdient. Und dann kam der Unfall auf dem Highway, und er musste all seine Pläne begraben. Hannes ist ein Kämpfer, er hat sich nicht unterkriegen lassen. Nun macht er diese Ausbildung zum Kunsttischler, hat sogar, obwohl er erst Lehrling ist, einen Nachwuchs-Förderpreis gewonnen. Und er verdient zusätzlich Geld, indem er sich für diese angesagte Modemarke fotografieren lässt. Wirklich, Pia, an ihm solltest du dir ein Beispiel nehmen. Du bist ein so wundervoller Mensch, hast besondere Begabungen, lass es nicht am Rande liegen, mach etwas daraus.«

Wenn Pia so etwas hörte, keimte tief in ihr ein Hoffnungsschimmer auf, der allerdings sehr schnell wieder erlosch, weil ihr Selbstwertgefühl im Keller war, und es bedurfte wohl noch einiger positiver Erlebnisse und Erfahrungen, um sie dort wieder herauszuholen. »Danke, Alma«, sagte sie leise. »Du glaubst an mich, nicht wahr?«

Alma warf diesem hübschen jungen Ding einen beinahe zärtlichen Blick zu. »Und wie, Pia, doch nicht nur das, ich liebe dich über alles, und ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass du das niemals vergisst und immer zu mir kommen wirst, wenn etwas in deinem Leben außer Kontrolle gerät, wenn du Probleme hast oder wenn du traurig bist …, es wäre schön, wenn du mir das versprechen könntest, mein Kind.«

Pia hatte Tränen in den Augen.

»Ich verspreche es, Alma, ich habe dich doch auch so doll von ganzem Herzen lieb. Du bist wie meine Mama …«

Wenn Pia anfing, von ihrer Mutter zu sprechen, dann sank ihre Stimmung auf den Nullpunkt. Also sagte Alma rasch: »Ich finde, unser Gespräch solltet nicht länger in einem Auto am Straßenrand stattfinden. Ich habe eine Idee, lass uns nach Hohenborn fahren. Dort gehen wir zu ›Calamini‹ und bestellen uns den Eisbecher, von dem du mir vorgeschwärmt hast. Und dann habe ich auch noch eine Überraschung.«

»Eine Überraschung?«, erkundigte Pia sich hoffnungsfroh, ihre trübe Stimmung verschwand, weil Überraschungen einen immer aufmunterten.

»Ja, aber es wird jetzt nichts verraten«, Alma startete, dann fädelte sie sich mit ihrem Auto in den Verkehr ein und sie fuhren gen Hohenborn. Das mit der Überraschung war Alma ganz spontan gekommen, und, wie es schien, war es ein Volltreffer.

Das Mädchen Pia war ein so wundervoller Mensch, sehr hübsch, klug, künstlerisch hochbegabt, sie hatte ein so schönes Herz. Was konnte man bloß tun, damit Pia endlich anfing, an sich zu glauben?

Pias Handy klingelte, sie meldete sich, und dann ging ein Strahlen über ihr Gesicht.

»Hannes«, rief sie glücklich, »schön, dass du anrufst.«

Er sagte etwas, worauf er wohl eine Antwort erwartete, die nicht für fremde Ohren bestimmt war, denn Pia errötete und sagte leise: »Ich sitze gerade mit Alma, du weißt schon, die Alma Hermann von der Frau Doktor, im Auto. Wir fahren nach Hohenborn, und gerade waren wir beim Verkehrsübungsplatz, ich konnte sogar schon rückwärts in die Parklücke fahren.«

Er sagte etwas, was Pia erfreute, denn sie errötete ganz allerliebst, hörte zu, nickte, rief: »Bis später dann, Hannes.«

Danach legte sie ihr Handy weg, blickte zur Seite und sagte unnötigerweise: »Das war Hannes.«

Wie sie seinen Namen aussprach, merkte sogar jemand, der nicht so schnell etwas begriff, dass Pia bis über beide Ohren in Hannes verliebt war. Alma freute sich unbeschreiblich, und sie wünschte von ganzem Herzen, dass sich zwischen diesem netten jungen Mann und Pia etwas anbahnen würde, was Bestand hatte. Mit Hannes an ihrer Seite konnte Pia nichts passieren. Er war stark, das hatte er bewiesen, als er damals, wie lange das schon wieder zurücklag, einfach seine Schwester Pamela, damals noch Bambi genannt, zu sich nach Australien geholt hatte.

»Ich habe es mitgekriegt«, schmunzelte Alma, »meinetwegen hättest du mit ihm reden können.«

»Ich weiß, Alma, aber er wird wieder anrufen, und darauf freue ich mich sehr. Ich muss nur seine Stimme hören, und schon geht es mir gut. Ich bin ja so froh, dass Hannes überhaupt kein Problem damit hat, dass ich mal auf der Straße gelebt habe.«

Alma seufzte.

»Pia, mein Mädchen, doch ich werde bald ein Problem damit bekommen, wenn du es immer wieder erwähnst und nicht endlich damit aufhörst. Die Vergangenheit ist vorbei, konzentriere dich auf die Gegenwart, und die ist doch wirklich nicht so schlecht, nicht wahr?«

Das konnte Pia nur bestätigen, besonders, seit sie Hannes in ihrem Leben hatte.

Sie hatten Hohenborn erreicht, als sie ausstiegen, erkundigte Alma sich: »Du, mein Kind, du kannst entscheiden, was möchtest du zuerst? Den Eisbecher essen, oder ist die Überraschung dran?«

Wenn Pia an das Eis dachte, lief ihr das Wasser im Munde zusammen, aber andererseits …

»Wenn ich es entscheiden darf, Alma, dann wähle ich die Überraschung«, rief Pia aufgeregt, und es fühlte sich beinahe so an wie Weihnachten oder der Geburtstag. Wenn sie allerdings an Weihnachten, den Geburtstag, auch Ostern von früher dachte, dann war sie eigentlich immer nur froh gewesen, wenn ihr Vater keine Randale gemacht hatte.

Stopp!

Alma hatte gesagt, dass sie endlich aufhören sollte, an ihre Vergangenheit zu denken. Sie musste es beherzigen, und wenn nicht jetzt, wann dann?

Pias Entscheidung war ganz in Almas Sinn, sie freute sich, hakte sich bei Pia ein, und dann gingen sie über den Marktplatz, auf dem sich, weil auch gerade Markttag war, viele Menschen tummelten. Hohenborn hatte einen schönen Markt, doch der war nichts gegen den Bauernmarkt vom Sonnenwinkel, und deswegen blieben sie auch nirgendwo stehen.

Nachdem sie den Markt überquert hatten, blieb Alma vor einem der Geschäfte stehen, die ringsum aufgereiht waren wie Perlen.

»So, Pia, und da gehen wir jetzt hinein, und du kannst nicht nur nach Herzenslust stöbern, sondern dir alles aussuchen, was du haben möchtest.«

Es war ein Künstlerbedarfsgeschäft, an dessen Schaufenstern Pia sich die Nase schon mehr als nur einmal plattgedrückt hatte, und auch drinnen war sie ehrfurchtsvoll herumgelaufen und hatte schließlich dann ganz sparsam gekauft, was sie benötigte, um die Ideen, die ihr gekommen waren, umsetzen zu können.

Und nun das.

Sie konnte nicht glauben, was Alma da gerade gesagt hatte. »Alma, ich habe doch überhaupt keinen Geburtstag.«

»Nein, es muss keinen Anlass geben, um jemandem etwas zu schenken. Und mach dir bitte jetzt auch kein schlechtes Gewissen, die Frau Doktor ist an der Aktion beteiligt. Sie ist nämlich auch ganz begeistert von deinen Kreationen.« Pia wollte etwas sagen, dazu ließ Alma es nicht kommen. »Keine Widerrede, am Anfang ihrer Karriere sind alle Künstler dankbar, Sponsoren zu finden, die an sie glauben. Und das, mein liebes Kind, das tun wir, das tun wir aus vollem Herzen. Und jetzt, denke ich, sollten wir in den Laden reingehen, sonst wird es noch für das Eis zu spät, weil wir so herumtrödeln.«

Pia fiel Alma um den Hals, und sie wurde nicht einmal verlegen, als sie die wohlgefälligen Blicke bemerkte, die man ihnen gerade zuwarf.

In ihrem kleinen Leben geschah gerade eine ganze Menge.

Pamelas Begeisterung für den Schmuck, den sie ihr geschenkt hatte, und dass sie jetzt hier einkaufen durfte, dass Alma so unglaublich lieb war, und die Frau Doktor, die war es ebenfalls. Und dass Hannes es nichts ausmachte, wer sie war, woher sie kam …, wirklich, schöner ging es nicht!

*

Eigentlich hatte Julia damit gerechnet, dass Tim Richter sich direkt bei ihr melden würde, um ihr zu sagen, wann er anfangen wollte. Er tat es nicht, und sie saß wie auf heißen Kohlen, obwohl eigentlich dazu kein Anlass bestand. Sie hatten keine Verabredung getroffen. Es lag einzig und allein an ihr, weil sie alles so schnell wie möglich in trockenen Tüchern haben wollte. Das mit der Zusammenarbeit hatte großartig geklappt, und an seinen Kochkünsten war nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil, sie konnte sich von ihm noch einiges abgucken.

War alles nur ein Strohfeuer gewesen?

Wollte der Himmel sie davor bewahren, in einen Konflikt zu geraten? Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie sich eingestehen, und daran hatte sich nichts geändert, dass er ihr auch als Mann gefiel. Und Chefin und Angestellter, ging das, wenn mindestens ein Herz in Brand geraten war?

Zum Glück konnte Julia sich deswegen nicht den Kopf zerbrechen, denn der Alltag hatte sie wieder, und der begann in der halben Nacht mit einer Fahrt zum Großmarkt, dann hatte sie in der Küche einen Großteil zu erledigen, und wenn die ersten Gäste kamen, dann erwarteten die von ihr, dass sie die persönlich begrüßte. Das musste sein.

Sie hatte wenig geschlafen, weil ihr so vieles durch den Kopf gegangen war, doch darauf nahm niemand Rücksicht, und sie kannte eigentlich auch diesen Zustand der Überforderung, obwohl die Frau Doktor, obwohl Roberta ihr abgeraten hatte, sie sollte stattdessen lieber an sich und ihre Gesundheit denken. Nun ja, Rom wurde auch nicht an einem einzigen Tag erbaut, und deswegen hatte sie sich ja auch um Verstärkung bemüht.

Und schon war sie mit ihren Gedanken wieder bei Tim!

Das allerdings nicht lange, denn es kamen noch ein paar verspätete Gäste ins Restaurant, die unbedingt noch essen wollten, und als sei das nicht genug, rief ein Stammgast an, ob er mit seiner Männerclique noch kommen dürfe, sie hätten Lust, den Abend mit einem köstlichen Essen im ›Seeblick‹ ausklingen zu lassen.

Normalerweise war das alles kein Problem, doch ausgerechnet heute hatte Julia den Großteil des Personals nach Haus geschickt, weil sie praktisch mit allem durch gewesen waren. Und nun das. Sie befand sich in der Zwickmühle, doch absagen konnte sie auf keinen Fall. Leider funktionierte alles nicht mit Zauberei, aber irgendwie musste und würde es gehen.

Sie hatte gerade den Telefonhörer aufgelegt, die Bedienung war an den Tisch der neuen Gäste getreten, als die Tür zum Restaurant sich öffnete. Wer auch immer es war, diesen Gast würde Julia abweisen, das nahm sie sich ganz fest vor. Doch dann staunte sie nicht schlecht. Es war kein Gast, es war Tim Richter, der hereingeschneit kam und ihr sagte, dass sie doch um diese Zeit gewiss einen Augenblick für ihn habe, damit sie die letzten Modalitäten miteinander besprechen konnten.

Am liebsten hätte sie ihn jetzt umarmt.

»Tim, es soll nicht zur Gewohnheit werden, doch du kommst wie gerufen.« Dann erzählte sie ihm von den Gästen, die gerade gekommen waren und die gleich noch kommen würden.

Wieder nahm er das mit dieser unglaublichen Gelassenheit.

»Okay, ich verstehe, dann wird das jetzt kein gemütliches Beisammensein, sondern die Arbeit ruft. Was für ein Glück, dass ich mich in deiner Küche bereits ein wenig auskenne.«

Diesmal war es ein wenig anders, da wurde nicht improvisiert, sondern es mussten die Wünsche der Gäste erfüllt werden.

Julia wunderte sich, wie ruhig sie dennoch blieb. Gemeinsam begaben sie sich in die Küche, denn sie würden es auch gemeinsam bewältigen müssen. Es war kein Problem, die gerade angekommenen Gäste hatte sie begrüßt, ansonsten konnte sie diese ihrer Bedienung überlassen, und wenn die sich telefonisch angemeldeten Gäste einfanden, musste sie nur kurz hinaus, und das ging auch mit der Kochschürze.

Wieder arbeiteten sie Hand in Hand, als die Bestellungen hereinkamen. Beruhigt stellte Julia fest, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Seine Zubereitung war eine andere, warum nicht?

Die Hauptsache war doch, dass es schmeckte.

Sie fanden sogar Zeit, sich zu unterhalten, und so erfuhr Julia, dass Tim, wenn sie es wollte, sofort anfangen konnte.

»Ich habe mit der Wirtin meiner Pension gesprochen, die ist hocherfreut, einen Dauermieter zu haben und macht mir einen sehr guten Preis. Es ist nicht weit von hier, und dann können wir sehen, ob wir wirklich gut miteinander arbeiten können, wenn die erste Euphorie verflogen ist. Sollte das zutreffen, werde ich meine alte Wohnung aufgeben und mir hier etwas suchen. Ich habe übrigens für meine Wohnung eine Untermieterin gefunden, und von meiner Wirtin weiß ich, dass in Kürze im Sonnenwinkel Wohnungen und Häuser frei werden. Wenn es an der Zeit ist, wird sich schon etwas Passendes finden.«

Julia war mit dieser Lösung sehr zufrieden, vor allem freute es sie, dass er direkt anfangen konnte und dass er erst mal in der Pension wohnen würde …, wer weiß, welche Möglichkeiten sich noch ergeben konnten. Solche Gedanken erschreckten sie, denn sie hatte dabei gedacht, dass er in ihr Haus einziehen könnte.

»Haben wir noch Petersilie?«, drang seine Stimme in ihre Gedanken herein, und Julia beeilte sich, ihm diese zu holen.

Als die angekündigten Gäste eintrafen, eine fröhliche, leicht angeheiterte Männerrunde, konnte Julia Tim ganz beruhigt allein lassen und sich diesen Gästen widmen, worauf die ­übrigens auch bestanden. Er brauchte sie nicht, und das, was er gekocht hatte, schmeckte allen, und die neuen Gäste bekamen vorab einen Gruß aus der Küche, eine Kreation von ihm, und damit hatte er bereits gewonnen. Sie waren begeistert, und vermutlich könnte er den nächsten Gang anbrennen lassen, niemand würde es ihm nachtragen.

Es war weit nach Mitternacht, als die letzten Gäste gingen, sie hatten eine ordentliche Zeche gemacht, und die Bedienung bekam ein fürstliches Trinkgeld und zog glücklich davon.

Julia und Tim waren allein.

Sie bedankte sich bei ihm, und es war ihr schon wieder peinlich, dass er erneut ablehnte, sich bezahlen zu lassen.

»Dann iss wenigstens etwas«, bot sie ihm an.

»Keine Sorge, das habe ich zwischendurch getan, es war ja Zeit genug.«

Wie er das geschafft hatte, wusste sie nicht, sie tranken noch etwas. Er erkundigte sich, ob es üblich sei, dass so spät noch Gäste kämen. Das konnte Julia verneinen, weil es ja wirklich nicht die Regel war.

»Die meisten Gäste halten sich an die normalen Öffnungszeiten. Ich weiß nicht, was das heute sollte.«

»Vielleicht ahnten die Gäste, dass ich kommen würde und wollten sich ein von mir gekochtes Essen nicht entgehen lassen.«

Sie lachte, es war ein glückliches, ein befreites Lachen, denn es hätte eine ganze Menge aus dem Ruder laufen können, und das wäre fatal gewesen. Wenn man so wollte, hatte sie ihm eine ganze Menge Vertrauen geschenkt, und er scheute keine Herausforderung. Sie waren nicht nur ein Team, nein, sie waren ein Superteam!

Das sagte sie ihm nicht, sondern warf in den Raum: »Eingebildet bist du überhaupt nicht, oder?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nö, aber ich weiß, was ich kann.« Nach diesen Worten wurde er ernst. »Julia, ich freue mich auf die Herausforderung, hier bei dir arbeiten zu können. Es hat alles so unglaublich gut und harmonisch angefangen. Das kann überhaupt kein Zufall sein, das musste so kommen.«

Dass er das ebenfalls sagte!

Sie nickte nur, bestätigte es nicht, weil sie fürchtete, er könne an ihrer Stimme erkennen, dass sie es für eine Vorbestimmung hielt.

Er trank etwas von seinem Mineralwasser, was er trinken wollte, dann erkundigte er sich: »Wie fängt dein Tag an? Vermutlich mit dem Einkauf im Großmarkt.«

Das bestätigte sie.

»Und dann sind es noch ein paar Biobauern, bei denen ich mich eindecke, doch dahin kann man zwischendurch fahren, vieles wird auch gebracht.«

»Zum Großmarkt würde ich gern mitfahren«, sagte er, »bist du damit einverstanden? Wenn ich mich auskenne, können wir uns auch abwechseln, für einen allein ist es mörderisch, das täglich auf sich zu nehmen.«

Das klang gut. Dennoch wandte Julia ein: »Großmarkt bedeutet, morgens um drei Uhr früh im Auto sitzen und hinfahren.«

Er zuckte die Achseln.

»Ich weiß, leider ist es nun mal so. Wann soll ich dann morgen früh bei dir auf der Matte stehen? Halb drei?«

Er wollte es wirklich durchziehen.

»Wenn du magst, kannst du vorher hier einen Kaffee trinken, weil ich vermute, dass du den zu einer so nachtschlafenden Zeit in deiner Pension nicht bekommen wirst.«

Er nickte.

»Ein Kaffee wäre gut, aber den kann ich unterwegs trinken, diese Coffee to go sind schließlich hochaktuell.«

Wieder erstaunte Julia, wie locker er alles nahm, und sie hätte sich gern noch mit ihm ein wenig unterhalten, doch er wollte gehen, um wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen. Sie begleitete ihn zur Tür, weil sie eh abschließen musste. Als sie sich verabschiedeten, waren sie sich für einen Moment ganz nahe, und dieser Moment war magisch und wurde nur durch seine ­Worte unterbrochen: »Dann bis morgen früh.«

»Bis morgen früh.«

Er ging zu seinem Auto, und sie blickte ihm verträumt nach.

*

Teresa von Roth hatte sich lange im Tierheim aufgehalten, um Frau Dr. Fischer Spenden zu bringen, die nötig gebraucht wurden. Hinterher hatten sie in einem italienischen Restaurant etwas gegessen, sich angenehm unterhalten. Es war ziemlich spät geworden. Teresa hätte jetzt auf dem kürzesten Weg zu ihrem Auto gehen können, sie brachte es nicht übers Herz. Sie musste an der Villa vorbeigehen, dort einen Augenblick verharren. Das Internat stand kurz vor der Eröffnung, war weitgehend eingerichtet, auch die Räume fürs Personal. Sogar das kleine Büro für sie und Sophia war fix und fertig, sah wunderschön aus. Sie konnten es kaum erwarten, dort zu arbeiten, und sie waren Piet van Beveren unendlich dankbar für seine Großzügigkeit. Sie stand einfach nur da, blickte auf die prächtige Fassade, als sie etwas entdeckte, was ihr Herz stocken ließ …

Der neue Sonnenwinkel Staffel 6 – Familienroman

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