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Erster Teil

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MIJO PEŠA

DER KAMPF UMS GLÜCK

Inhaltsverzeichnis

Titel

ERSTER TEIL

ZWEITER TEIL

DRITTER TEIL

VIERTER TEIL

FÜNFTER TEIL

WIDMUNG

Für meine liebe, verstorbene Mutter Rozina

und meine lieben Kinder Mišel und

Monija. Euch sei dieses Buch gewidmet!

1

August 1950. Im Herzen von Bosnien befand sich das Dorf Čukle, das sich aus vielzähligen Weilern zusammensetzte. Der Weiler Bare war einer davon. Im Zentrum von Bare befand sich das Haus von Niko Pery und seiner Ehefrau Jage. Das war ein klassisches Zweizimmerlehmhaus dieser Zeit und Gegend. Die Schindeln, mit denen es bedeckt wurde, waren verzogen und so gut wie verfault. Das Ehepaar hatte fünf Söhne und eine Tochter, die bereits verheiratet war. Ihr jüngster Sohn Gabriel war erst fünf Monate alt. Die Familie Pery war ansonsten sehr entgegenkommend und gastfreundlich. In ihr Heim kamen sehr gerne alle Durchreisenden und Nachbarn vorbei. Der 50-jährige Niko war groß, füllig und ein sehr starker Mann. Sein Haar war ganz grau. Er hatte große, schwarze Augen und ein strenges Aussehen. Niko war der einzige Bewohner des Weilers, der sein Brot in hiesigem Bergwerk verdiente. Also war er Bergarbeiter. Obwohl er wenig verdiente, war er der Ansicht, dass dieses Gehalt seiner Familie, die er sehr liebte, Lebenssicherheit garantiert. Er war sehr gutmütig und entschlossen. Seine schwarzhaarige Ehefrau war ebenfalls groß, jedoch war sie zu dünn und auf irgendwelche Weise zu zart. Sie war eine 48-jährige Hausfrau, die eigentlich ein Schatten war, der blind seinem Gebieter folgte. Ihre Stimme erhob sie nur, wenn es sich um ihre Söhne handelte. Jage war eine besonnene und kluge Frau. Deshalb wurde sie von allen Bewohnern des Dorfes und des Weilers geachtet und geliebt. Sie saß am Tisch im Blumengarten und nickte nachdenklich. Ihr Mann setzte sich neben sie, küsste sie auf die Wange und fragte: >>Was quält dich, Jage?<<

>>Ja, Niko, obwohl ich weiß, dass es sehr viel Geld kosten wird, und wir sonst nicht so viel haben, müssen wir trotzdem ein neues Haus bauen.<< Mit der Handoberfläche wischte sich Jage den Schweiß von der Stirn.

>>Du hast recht, Jage. Es geht um viel Geld und Entbehrungen, aber es hat Priorität. Wir müssen sogar ein großes Haus bauen. Unsere Söhne wachsen langsam. Bald wird jeder von ihnen ein eigenes Zimmer brauchen. Markan ist schon achtzehn Jahre alt. Falls er zufälligerweise heiraten sollte, muss er mit seiner Frau ein eigenes Zimmer haben.<<

>>Wir müssen auch Betten und eine Couch kaufen. Hm? Vielleicht auch Teppiche und neues Geschirr.<<

>>All das machen wir. Es ist an der Zeit, dass wir uns von diesem alten Haus und den Strohsäcken verabschieden und mit unseren Kindern ein neues Leben anfangen. Glaub mir, manchmal schäme ich mich, wenn Gäste zu uns kommen und sehen, wo wir leben.<<

Das Ehepaar schaute den schwarzhaarigen, schlanken und schön angekleideten Mann an, der direkt auf sie zuging. Er war mittlerer Figur und hatte einen weißen Teint. Man konnte sehen, dass er intelligent und belesen ist. Beim Gehen betrachtete er mit seinen schwarzen, durchdringenden Augen Niko, Jage und ihr heruntergekommenes Haus. Es war der 40-jährige Rudolf Pery, ein enger Verwandter der Familie. Rudolf hatte die Mittelschule und eine höhere Schule abgeschlossen und wurde Kommunist. Er lebte in Travnik, wo er als Kommunist viele wichtige politische Funktionen in der Gemeinde ausübte. Das wussten alle Bewohner des Dorfes und deshalb waren sie stolz auf ihn. Vor einem Jahr kam es zum Konflikt mit seinen politischen Kollegen, die ihn einen Verräter nannten und ihn einfach aus der Gemeinde und aus deren kommunistische Partei warfen. Darüber sprachen alle, aber niemand kannte die ganze Wahrheit. Dieses Ereignis wirkte sich schockierend auf all seine Bekannten und vor allem auf seine Familienangehörigen aus. Rudolf hielt nicht viel von ihrer Meinung, da er genau wusste, wie viel sie wussten, was sie sahen und wie sie darüber dachten. Darüber hinaus liebte er dieses Land und diese Menschen.

>>Willkommen zu Hause, mein lieber Verwandter<<, begrüßte ihn Niko.

>>Danke für den Empfang.<< Rudolf setzte sich auf die Bank. >>Nirgendwo erholten sich meine Seele und meine Augen so gut wie hier. Hier ist alles, was meinem Herzen nahe ist. Aber Niko, sag mir, wie es dir geht und wie es mit der Arbeit läuft.<<

>>Alles in allem ist es nicht schlecht. Heute hatten wir eine Versammlung, die von unserem Chef geleitet wurde. Diskutiert wurde über unsere Firma, über die Zukunft, über unseren neuen, großen Staat Jugoslawien und den Sozialismus. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich begeistert bin. In unserer Firma werden wir alles selber entscheiden können, weil sie in unseren Händen sein wird. Dieses Jahr hat für uns eine besondere Bedeutung, da sie uns Selbstverwaltung gebracht hat. Das freut mich über alles.<<

Rudolf runzelte die Stirn. >>Ja, ja. Sehr schöne Vorstellung.<<

>>Was ist, mein lieber Verwandter? Passt dir etwas nicht?<<

>>Wenn dir in dieser kommunistischen Gesellschaft und in deiner Firma alles passt, passt es mir auch. Dennoch interessiert mich, ob dein Lohn zumindest annähernd deinen Bedürfnissen entspricht.<<

>>Das geht nicht so schnell. Wir sind erst am Anfang. Unser Staat und der Sozialismus müssen sich zuerst weiter entwickeln. Und doch, wenn wir schon bei meinem Verdienst sind, gebe ich freimütig zu, dass ich unzufrieden bin. Bereits im nächsten Jahr plane ich den Betrieb zu wechseln. Ich hoffe, dass ich in einem Bergwerk in Zenica eine Beschäftigung finden werde, wo ich fast doppelt so viel verdienen könnte. So werde ich all meine finanziellen Probleme lösen können. Unser Haus ist vollkommen abgenutzt. Ich will für meine Familie ein neues, großes Haus bauen. Du weißt doch, dass meine Familie und ich nicht nur von meinem Verdienst leben, sondern auch von meinem fruchtbaren Ackerland. Es gibt eine Chance. Unser Land braucht schwarzes Gold, und ich brauche Geld. Das ist alles.<<

>>Von diesem schwarzen Gold wirst du nur Staub bekommen, und alles andere werden die Anderen einstecken.<<

>>Wer sind die Anderen? An wen denkst du?<<

>>Das sind der Präsident und seine Mitarbeiter, die Kommunisten.<<

>>Ich respektiere den Präsidenten, seine Mitarbeiter und all das, was sie für uns und unseren Staat gemacht haben.<< Niko war beleidigt. Ihm passte es nicht, wie Rudolf über den Präsident und seine Mitarbeiter dachte und sprach, da er auf sie stolz war.

>>Du kannst respektieren wen du willst. Aber mein lieber Verwandter, ich sage dir ganz ehrlich, alle Kommunisten sind Brüder. Sie belügen sich selbst und uns alle. Verstehst du? Die kommunistische Partei, der sie angehören, ist ihre Partei. In ihr sind die Programme, denen sie folgen, da sie sie zu ihren Zielen führen. Euch alle haben sie in einen 'Topf' geworfen, sodass ihr nicht wisst, wer und was ihr seid und was mit euch sein wird, wenn der 'Topf`' zerbricht.<<

>>Du sprichst aus Empörung<<, fiel Niko Rudolf ins Wort. >>Du bist im Grunde frustriert, da sie dich aus der Gemeinde und der kommunistischen Partei geworfen haben. Das ist die Wahrheit.<<

>>Sie haben mich aus der Partei rausgeworfen, weil ich mit ihnen, ihrem Werk und ihren Zielen nicht einverstanden war. Ich bin auch nicht damit einverstanden, wie sie arbeiten. Sie haben die komplette Wirtschaft so aufgestellt und organisiert, dass sie eines Tages auseinanderfallen wird, und ihr glaubt, dass sie eine Maschine geschaffen haben, die ewig laufen und für euch Milch und Honig produzieren wird. Mein lieber Verwandter, was unseren neuen Staat anbelangt, haben sie vollkommen bewusst statt einem realistischen Staat ein Kartenhaus aufgebaut, aber leider seht ihr das nicht.<<

>>Ach, du und deine Philosophie!<<

>>Genug damit!<<, ordnete Jage an. >>Sag uns, Rudolf, ob die jetzige Regierung hier etwas zu bauen plant.<<

>>Von einem Freund habe ich gehört, dass eine große und moderne Grundschule in unserem Dorf gebaut werden soll.<<

>>Ja, ja. Das ist mehr als schön. Erlaubt ihr mir jetzt etwas über meinen Markan zu sagen, da ich gemerkt habe, dass bei ihm etwas nicht stimmt. Ständig denkt er über irgendetwas nach. Manchmal rufe ich ihn dreimal, aber er hört mich nicht. Ich weiß wirklich nicht, was mit meinem Sohn los ist.<<

>>Vielleicht ist er verliebt, Jage.<<

>>Ich habe einige Dinge gehört… An und für sich erzählen die Leute, dass er sich oft mit der schönen Tochter von Nikola Babi trifft, mit seiner Rozina, die eine echte Schönheit verkörpert.<<

>>Ich weiß es nicht, meine liebe Frau.<< Niko lächelte. >>Dieses Mädchen ist zu hübsch und reich. Ich glaube nicht, dass unser Markan bei ihr irgendeine Chance hat. Er würde ein großer Held sein, wenn er ein so reiches und hübsches Mädchen heiraten würde.<<

>>Alles ist möglich, wenn Liebe im Spiel ist<<, sagte Rudolf. >>Ich kenne dieses Mädchen. Sie ist wirklich traumhaft, sehr attraktiv und reich, aber Markan ist auch ein toller und verführerischer Kerl.<<

>>Das wäre wunderschön. Mein Sohn und Rozina… Hm? Natürlich wäre ich glücklich. Aber ich habe gehört, dass junge Männer aus Zenica, also aus einer schönen Stadt, zu ihr kommen und sie darum bitten, ihre Frau zu werden. Ich glaube nicht, dass sie widerstehen wird, eine städtische Dame zu werden.<<

>>Ich bin der Ansicht, dass Frieden und Liebe in der dörflichen Armut besser sind, als Unruhe und Unglück im urbanen Reichtum. Und die Liebe ist eine komische Sache, Niko. Gott weiß, was morgen bereits geschehen kann.<<

Markan war ein ziemlich dünner und hochgewachsener 18-jähriger junger Bursche. Sein Haar war dunkel, die Augen grünlich. Er hatte ein ovales Gesicht und eine lange, spitze Nase. Er war bescheiden und nachgiebig und er sah etwas zu ernst und zu erwachsen für sein Alter aus. Die Lebensbedingungen, in denen er aufgewachsen war und gelebt hatte, hatten sich erheblich auf seine äußerst objektive und einfache Lebenseinstellung ausgewirkt. Er sah sich in einem Gebiet, in dem nur der Kampf um das Überleben sicher war und er wusste, dass seine Wünsche, wie Vergnügen, Kino, Schule, Theater usw. für immer unwirklich bleiben würden. Er mutmaßte, dass seine Arbeitszeit in einem der hiesigen Bergwerke beginnen würde, da alles, was besser war, für diejenigen reserviert sein würde, die die Grundschule und irgendeine Mittelschule beendet hatten. Seine Beziehung mit seiner Altersgenossin Rozina Babi dauerte bereits lange an. Er liebte Rozina, dennoch war er sich der Tatsache bewusst, dass sie das hübscheste und reichste Mädchen in der Pfarrei war. Sie zu heiraten bedeutete für ihn, sich selbst und jeden ungläubigen Thomas zu besiegen, welcher ihm nicht einmal die geringste Chance bei Rozina zurechnete. Er verliebte sich immer mehr und immer häufiger ging er zu ihr in ihr Geburtsdorf. Jedoch, die Zauberfrage: Rozina, willst du mich heiraten?, kam ihm immer noch nicht über die Lippen.

Niko und seine Frau Jage waren fast besessen von der schönen Rozina. Sie wollten einfach die schönste Schwiegertochter im Dorf haben. Von Tag zu Tag hatten sie immer mehr über sie nachgedacht, aber sie sprachen miteinander niemals über sie. Als ihr Sohn das Wohnzimmer betrat, schauten sie ihn beide mit einem Lächeln im Gesicht an. Markan bemerkte, dass sie etwas erwarteten, deswegen setzte er sich an den Tisch und fragte in die Runde: >>Was ist los? Was erwartet ihr?<<

>>Wir erwarten Rozina.<< Niko schmunzelte herzlich. >>Wir wollen glücklich sein. Ausgerechnet von ihr erzählst du uns nichts, obwohl du weißt, wie sehr uns das interessiert. Willst du sie endlich heiraten und uns glücklich machen?<<

>>Ich liebe sie und ich arbeite daran, sie zu heiraten, aber so einfach geht es nicht. Seid geduldig! Vielleicht ereignet sich etwas. Auf der anderen Seite weiß ich, dass die Heirat für mich die beste Lösung ist.<<

>>Hast du sie das gefragt?<<

>>Noch nicht. Aber das werde ich bei der ersten Gelegenheit machen. Ich verspreche es euch.<<

>>Mein Sohn<<, meldete sich Jage zu Wort, >>wir wissen, dass wir als auch du nichts gewaltsam herbeiführen können. Aber du weißt doch, dass eine Schwiegertochter eine große Hilfe für mich wäre.<<

>>Ich weiß es, Mutter.<< Markan nickte. >>Und ich hoffe, dass Rozina meine und eure Herzenswünsche erfühlen wird.<<

Drei Wochen vor Weihnachten bereitete Niko seinem Sohn eine grandiose Überraschung. Markan war geradezu begeistert, da ihm sein Vater einen blauen Anzug, schwarze Lederstiefel und einen schwarzen Wintermantel kaufte. Mit richtiger Begeisterung wartete Markan den Sonntag ab, zog seine Lederstiefel und seinen neuen Wintermantel an und ging überglücklich in die Kirche, die voll war. Markan suchte mit seinem Blick nach Rozina, doch sah er sie nicht. Langsam aber sicher erschien ihm, dass die heilige Messe zu lange dauern würde, da er seine Rozina fragen wollte, ob sie ihn heiraten will. Aufgrund dieser Absichten war er ziemlich nervös. Und als die heilige Messe zu Ende war, ging Markan nach draußen. Seine Rozina stand bereits im Kirchenhof. Sie war mittelgroß, hatte einen weißen Teint, schwarze, fröhliche Augen, schwarze, lange Haare und volle Lippen. Sie war auf einem Dorfgutshof, in einer sehr religiösen und reichen Familie aufgewachsen, sodass sie selbstbewusst und in allem entschlossen und hartnäckig war. >>Wow! Du hast einen neuen, modernen Wintermantel und neue Lederstiefel<<, neckte Rozina ihn. >>Hast du vielleicht etwas Spezielles geplant?<<

>>Nein, nein! Im Grunde weiß ich nicht… Vielleicht…<< Ihm war anzusehen, dass er etwas Wichtiges zu sagen hatte, jedoch zögerte er nervös und ängstlich.

>>Was ist? Warum bist du so verwirrt? Sag, was in deinem schönen Kopf vorgeht! Du weißt, wie viel Verständnis ich für dich und deine Sorgen habe.<<

>>Willst du mich heiraten?<< Markan zog den Kopf zwischen den Schultern ein.

Rozinas Gesicht war weiß, aber als sie seine Frage hörte, wurde sie auf einmal rot. Sie war überrascht, da sie, obwohl sie ihn mehr als gern hatte, niemals über die Heirat nachdachte. >>Markan, ich denke, dass wir noch eine Weile abwarten sollten. Wir sind doch noch viel zu jung. Hm? Ich weiß es nicht.<<

>>Aber Rozina, wir haben nichts zu verlieren. Wir leben nicht in einer großen Stadt, in der es viel Spaß gibt. Du wirst glücklich sein. Ich liebe dich! Ich denke, dass wir mit unserer Warterei Zeit, Zufriedenheit und Leben verschwenden. Letztendlich bin ich mir sicher, dass unsere Eltern nichts gegen unsere Heirat hätten.<<

Rozina dachte kurz nach. >>Ja, Markan, du hast völlig recht. Wir können das Leben genießen. Deswegen sag deinen Eltern, dass du das schönste Mädchen aus unserer Pfarrei, Rozina Babi, heiraten wirst.<<

Er war dermaßen geschockt und glücklich, dass er kein einziges Wort hervorbringen konnte. Als er wieder ein wenig zu sich kam, schaute er liebevoll in ihre fröhlichen Augen und sagte: >>Ich erwarte es kaum, mit dir zu sein und dich küssen. Deshalb ist mein echter Wunsch, dass wir gleich nach Neujahr heiraten.<<

>>Wenn es so ist, habe ich gar nichts dagegen. Ich bin eine Frau.<<

>>Rozina, ich bin mehr als glücklich. Und du sollst wissen, dass ich dich glücklich machen werde.<<

2

Einige Tage nach Neujahr heiratete Markan Rozina. Seine ganze Familie war glücklich und stolz auf ihn. Sein Vater zog nach Zenica um, da er tatsächlich eine Arbeitsstelle in einem Bergwerk bekam. Nur am Wochenende oder an den Feiertagen konnte Niko nach Hause kommen. Deswegen war seine ganze Familie ziemlich traurig. Was Rozina anbelangte, hatte sie sich dank der angeborenen Bescheidenheit schnell an diese Armut und dieses Leben gewöhnt. Aber als der Frühling kam und der Schnee schmolz, war Rozina enttäuscht. Egal wohin sie sich bewegte, sie musste durch Matsch laufen. Dennoch tüftelte Rozina einen Plan aus und wartete ungeduldig darauf, dass ihr Schwiegervater nach Hause kommt. Und als Niko kam, setzte er sich an den Tisch und schaute seine Schwiegertochter behutsam an. Eigentlich erkannte er sofort, dass sie etwas bedrückte. >>Beschäftigt dich etwas, Rozina?<<

>>Dieser Matsch geht mir auf die Nerven. Ich kann weder in den Stall noch vor dem Haus umher gehen. Wir müssten den kompletten Hof beschichten, wie auch den Weg zum Stall...<<

>>Du forderst zu viel, Rozina!<<, unterbrach Markan seine Ehefrau.

>>Lass sie weiter sprechen!<<, befahl Niko seinem Sohn.

Rozina fuhr fort: >>Und wir müssen so schnell wie möglich ein neues Haus bauen. Ich will mit meinem Mann ein eigenes Zimmer haben. Wir müssen mehr Geld sparen und langsam Baumaterial für das neue Haus vorbereiten.<<

>>Du hast recht, Rozina. Das Baumaterial können wir wirklich vorbereiten. Vor allem Sand und die Steine für die Kellerwände. Das Geld spare ich schon.<<

>>Eine große Menge davon kann schon gemacht werden<<, bestätigte der 15-jährige Pero, der blond und etwas fülliger als Markan war.

>>Ich stimme in Allem mit Rozina überein<<, sagte der 13-jährige Branko, der dunklere Haare und grüne Augen hatte. >>Der Matsch ist tatsächlich grauenvoll. Und unser Haus ist ekelhaft.<<

>>Wir müssen mehr arbeiten<<, meinte Rozina ernsthaft. >>Wir dürfen nicht einfach zuschauen und darauf warten, dass uns jemand anders unseren Hof in Stand bringt und unser neues Haus baut. Ich bin mir sicher, dass wir viele Sachen auch ohne Geld für uns und unsere Zukunft machen können.<<

>>Richtig so<<, stimmte Niko zu. >>Zu langsam legen wir alte Gewohnheiten ab und denken nicht richtig.<<

>>Und? Was ist zu tun?<<, fragte Markan.

>>Das ist sehr einfach, mein Sohn. Macht ihr all das, was jetzt möglich ist. Fahren wir weiter!<<

Niko musste jeden Samstag arbeiten, sodass er einen ganzen Monat lang nicht nach Hause kam. Aber als er kam, war er mehr als zufrieden. >>Was sehe ich, Jage? Ist es möglich? So ein großer Stein- und Sandhaufen für unser neues Haus. Kaum zu glauben. Und unser beschichtete Hof sieht vollkommen anders aus. Ich frage mich, warum wir ihn nicht früher so hergerichtet haben.<<

>>Wir hatten keine Schwiegertochter. Ich bin stolz auf sie und unsere Söhne, die vom Morgen- bis zum Abendgrauen gearbeitet haben. Rozina hat uns und unser Heim neu aufleben lassen. Es geht uns immer besser. Und da wäre noch etwas sehr schönes, Niko…, sie ist schwanger.<<

>>Wow! Das freut mich besonders. Hast du mit ihr darüber gesprochen?<<

>>Nein, noch immer nicht. Sie schämt sich und versteckt die Schwangerschaft.<<

>>Ach so! Wann müsste sie das Kind bekommen?<<

>>Ich weiß nicht genau. Ich glaube, dass sie schnell schwanger geworden ist, und das bedeutet, dass sie Ende September oder Anfang Oktober das Kind zur Welt bringen müsste.<<

>>Ja, ja. Sag zu Markan, er soll mit seinen Brüdern noch mehr Sand und Steine vorbereiten. Pass auf Rozina auf! Verstehst du? Sag ihr, sie soll langsam die Babykleidung vorbereiten und nichts Schweres heben.<<

>>Bis zum September ist es noch lange hin. Auf jeden Fall werde ich sie im Auge behalten. Mach dir um sie und die Arbeit keine Sorgen.<<

So kam die zweite Oktoberwoche. Jage wusste, dass die erste Geburt sehr anstrengend und langwierig sein konnte, deswegen war sie ständig bekümmert. Rozina fühlte sich sehr gut. Sogar die Sommerhitze ertrug sie mit Leichtigkeit, obwohl ihr Bauch ziemlich groß war. Aber einige Sachen quälten sie. >>Mutter, ich habe Angst<<, sagte Rozina während sie und Jage am Tisch im Wohnzimmer saßen und Tee tranken.

>>Wovor hast du Angst?<<

>>Ich weiß nicht genau. Aber hier gibt es weder einen Arzt noch eine Hebamme. Die Stadt ist zu weit entfernt. Ich kann nicht laufen. Ich kann das Pferd nicht reiten. Was wird mit mir geschehen, sollte die Fruchtblase platzen oder wenn es eine schwere Geburt werden sollte?<<

>>Sei unbesorgt, mein liebes Kind. Sechs Kinder habe ich in diesem Weiler geboren, und wie du siehst, ich bin am Leben und gesund. Ich habe viele Dorffrauen erfolgreich entbunden. Ab heute darfst du weder nach draußen noch arbeiten. Ich werde dir im Schlafzimmer einen Strohsack vorbereiten. Langsam wirst du Babykleidung nähen und wenn du genug davon hast, dann leg dich hin und schlafe. Du darfst dir keine Sorgen machen. Hast du Schmerzen?<<

>>Ein wenig, aber keine unerträglichen.<<

>>Bestimmt wirst du bald gebären.<<

Rozina bereitete die Kleidung für ihr Kind vor und wartete ungeduldig auf die Geburt. In Jages Kopf drehte sich alles nur um Rozina, da sie sich sicher war, dass sie jeden Moment das Kind bekommen könnte. Auch Markan war besorgt. >>Mama, ich bitte dich, wenn es notwendig sein sollte, musst du Rozina irgendwie bei der Geburt helfen.<<

>>Die Geburt ist ein Prozess, der eine bestimmte Reihenfolge hat. Ich kann und darf nichts dagegen tun. Wir müssen einfach geduldig warten<<, erklärte Jage und ging zu Rozina. Aber ihr Sohn ging auch ins Schlafzimmer.

>>Mutter<<, rief Rozina auf einmal, >>jetzt habe ich grauenhafte Schmerzen bekommen! Hilf mir!<<

>>Mama, mach etwas!<< Markan pustete und schüttelte den Kopf.

>>Langsam, Kinder! Es geht um zwei Leben. Wir dürfen nichts Unüberlegtes tun. Die geringste Verletzung kann sehr gefährlich sein, da sie einen Blutausfluss hervorrufen kann. Wir müssen extrem vorsichtig sein.<<

>>Mutter, ich halte das nicht mehr lange aus! Unternimm etwas!<<, schrie Rozina, die Enden des Strohsackes zusammendrückend.

>>In Ordnung. Vielleicht ist der richtige Zeitpunkt gekommen. Wir werden es versuchen.<< Jage kniete sich vor Rozinas Beine. >>Markan, knie dich neben sie, nimm das Tuch und wischt ihr den Schweiß vom Gesicht und von der Stirn! Und du Rozina, wenn ich es dir sage, musst du pressen und die Zähne zusammenbeißen. Von deiner Konzentration und Kraft hängt unser Erfolg ab. Seid ihr bereit?<<

>>Schon<<, antworteten beide.

>>Los jetzt! Rozina, drück mit der ganzen Kraft deiner Seele und deines Körpers das Baby nach draußen! Markan, mach dein's! Los, los! Ich habe den Kopf! Weiter machen! Hier ist es! Ich halte es in meinen Händen!<<, schrie die glückliche Oma. Kurz danach war das Weinen des Neugeborenen zu hören.

>>Markan, ich höre unser Kind weinen!<<, rief die erschöpfte, aber überglückliche Rozina.

>>Ich bin stolz auf dich!<<

>>Meine lieben Kinder, ihr habt einen wunderschönen Sohn bekommen!<<, verkündete Jage, während sie ihr erstes Enkelkind ansah. >>Ich gratuliere euch von ganzem Herzen!<<

>>Mein erster Sohn. Er wird unser Stolz sein<<, sagte Rozina.

>>In Ordnung, Kinder. Ende gut, alles gut. Markan, geh jetzt nach draußen! Hier gibt es nur noch Frauenarbeit.<<

Er küsste seine Ehefrau und ging ins Wohnzimmer. Jage brauchte lange um das Neugeborene und die Schwiegertochter zu versorgen. Als sie all das erledigte und ihren Enkel neben seine Mutter legte, ging sie aus dem Schlafzimmer raus. >>Wie geht es ihr?<<, fragte der glückliche Sohn seine Mutter.

>>Sie ist vollkommen erschöpft. Das Baby schläft bereits. Und sie wird sehr wahrscheinlich auch sofort einschlafen.<<

Jage und Markan saßen am Tisch und tranken Kaffee, als Niko ins Wohnzimmer trat. Er sah gleich, dass sie frohgelaunt sind. >>Was ist los mit euch? Wer oder was hat euer Glück hervorgerufen?<<

>>Ein neues Familienmitglied.<< Markan ging auf seinen Vater zu und küsste ihn. >>Vater, du bist Opa. Ich gratuliere dir aus ganzem Herzen!<<

>>Endlich!<<, rief der Opa. >>Ein besseres und schöneres Geschenk könnt ihr nirgendwo finden und mir schenken.<<

Jage gratulierte ihrem Mann und sagte: >>Dieser glückliche Fall passierte vor drei Stunden. Gehen wir leise ins Schlafzimmer. Wenn sie immer noch schlafen, kommen wir gleich zurück.<<

Rozina war schon munter. Als sie sie sah, schrie sie vor Freude: >>Vater, du hast einen wunderbaren Enkel bekommen!<<

>>Das freut mich sehr. Aber du hast sicher viel gelitten. Es tut mir leid.<<

>>Als ich ihn küsste, habe ich alles vergessen. Mein Sohn ist bei mir. Schaut, wie süß er ist.<<

>>Er wird sicherlich ein großer Mann.<<

>>Er wird so groß wie sein Großvater<<, merkte Jage an und lächelte.

>>Schau ihn dir an, Jage, das ist Größe!<<

>>Sei still, Niko! Jemand wird denken, du hättest einen Forscher oder Künstler bekommen. Solche werden bei uns nicht geboren.<<

>>Jage, ich bitte dich, einmal muss bei uns auch solch ein großer Mann geboren werden<<, sagte Niko. Dann wandte sich er seine Schwiegertochter zu. >>Du hast mir einen so schönen Enkel geschenkt, aber ich habe auch für dich und für alle andere Familienmitglieder ein großes Geschenk vorbereitet.<<

>>Sicherlich ein großes Haus.<< Rozina lachte lauthals.

>>Eben, Rozina. Du hast mich glücklich gemacht. Auf meinem Sparbuch habe ich ziemlich viel Geld, aber ich muss noch einige Zeit sparen. Unser neues Haus muss das größte, beste und schönste Haus in unserem Dorf sein. Alle Dorfbewohner werden kommen, um es zu sehen.<<

>>Wow!<<

>>Aber ich habe noch etwas geplant. Für unsere jetzige und zukünftige Nachwuchs werden wir einen großen Kinderspielplatz bauen. Du und Markan bekommen ein großes Zimmer. Und ich kaufe euch neue und modernste Möbel.<<

>>Danke, Vater. Wir werden alle sehr glücklich sein. Und ich bitte euch noch etwas... Ich will, dass mein Sohn Marco heißt und wünsche mir, dass er Pfarrer oder etwas noch höheres wird. Vielleicht sogar ein Erzbischof. Warum nicht?<<

>>Wir werden alle zu Gott beten, dass er deinen Wunsch erhört.<< Niko schmunzelte, und Jage und Markan lachten. Das Kind wurde anschließend auf den Namen Marco getauft.

3

Die junge Mutter erholte sich schnell. Ihr Sohn war sehr fortschrittlich. Er war gesund und aufgeweckt. Mit elf Monaten fing er zu laufen an und wurde zu einer wahren Attraktion für alle Familienmitglieder. Seine Mutter liebte ihn von Tag zu Tag immer mehr. Im September hatte Marcos Großvater Urlaub und war ungewöhnlich gut gelaunt. Mit Begeisterung beobachtete er seinen zweieinhalb-jährigen Sohn Gabriel und seinen Enkel Marco, die auf der ausgebreiteten Decke neben dem Blumengarten spielten.

>>Niko, du brauchst noch einen Urlaub, um die Spiele deines Sohnes und Enkels genießen zu können<<, sagte Jage.

>>Ich brauche Pension, Jage.<< Niko lachte fröhlich. Dann wandte er sich an seine Familie. >>Meine liebe Familie, ich liebe euch über alles und ich habe für euch sehr schöne und gute Nachrichten. Ich war bei der Bank und sie sagten mir, dass ich einen günstigen Kredit für den Hausbau bekommen kann.<<

>>Bravo, Vater!<<, rief Rozina. >>Endlich werden wir ein großes Haus bauen!<<

Markan schaute seiner Frau an. >>Im Grunde dürfen wir nicht mehr lange warten, da unser Haus jeden Augenblick in sich zusammenfallen kann.<<

>>Es ist mir jetzt egal.<< Niko winkte ab. >>Sobald der Frühling kommt, bauen wir ein neues Haus. Ich werde bereits diesen Monat daran arbeiten, den Kredit zu bekommen, sodass wir all das, was wir kaufen müssen, kaufen können. Markan, du und deine Brüder haben genug Sand und auch Steine für die Kellerwände vorbereitet. Aber jetzt müsst ihr, bis der Frühling beginnt, all das, was wir für Dach und Boden brauchen, vorbereiten. Die Ziegel für die Mauern und die Dachziegel werden wir später kaufen. Ich werde einen Handwerker, der die Baustelle vermessen wird, finden, sodass ihr langsam auch die Grundkanäle graben könnt.<<

>>Wir schaffen das<<, sagte Rozina bestimmend und mit der Faust demonstrierte sie ihre Durchsetzungsfähigkeit. >>Wichtig ist, dass wir endlich diese Aktion in Angriff nehmen. Das wird wie am Schnürchen laufen.<<

>>So ist es, Rozina! Aber ich wollte ihnen jetzt noch etwas sagen.<< Niko seufzte auf. >>Ihr dürft niemals vergessen, dass ich ein Bergarbeiter bin und dass mein Leben immer in Gefahr ist.<<

>>Ach, Vater, solche Geschichten wollen wir nicht hören!<<, wies Rozina ihren Schwiegervater zurecht.

>>Das Leben ist ziemlich kompliziert und unvorhersehbar. Ich wünsche mir, dass ihr jeden Tag immer selbständiger werdet. Das ist wichtig für euch. Ich weiß jedoch nicht, was mir morgen bereits zustoßen kann. Ein Bergwerk ist ein Bergwerk.<<

Zehn Tage später saß die ganze Familie am Tisch im Blumengarten, als Anna, die Frau von Nikos verstorbenem Bruder, zu ihnen kam. Mit ihrem Sohn lebte sie in einer Hälfte des Hauses, das ihr Nikos verstorbener Bruder hinterließ, und in der anderen Hälfte des Hauses lebte ihr Stiefsohn. Anna war eine 50-jährige Frau, die klein, ziemlich dick und dunkelhaarig war. Sie war unglaublich streng und ernst.

>>Willkommen, Anna!<<, begrüßte sie Jage.

>>Ich weiß wirklich nicht, ob ich willkommen bin.<< Anna setzte sich hin. >>Ich bin zu euch gekommen, um euch zu sagen, dass ich mit meinem Sohn nach Srijem ziehen werde. Ich will hier nicht mehr leben.<<

>>Glaubst du, dass es hier keine Zukunft gibt?<<

>>Um ehrlich zu sein, ich sehe keine. Mir gefällt solch ein Leben nicht. Eigentlich wollte ich euch sagen, dass ich das ganze Land, welches mir und meinem Sohn gehört, verkaufen werde.<<

>>Du weißt ganz genau, was dein Land für uns bedeutet. Ob wir wollen oder nicht, müssen wir dein ganzes Land kaufen. Wie viel wird es kosten?<<

>>Das werdet ihr in den nächsten Tagen erfahren. Auf Wiedersehen!<<

In diesem Moment erschien Petar Gruby, Nikos Arbeitskollege. Er war ein 55-jähriger Mann, der eine mittlere Statur hatte. Dank dem großen Ackerland, das er besaß, und dem Viehverkauf, war er der reichste Mann in der Pfarrei geworden. Rozina und Markan schauten sich an und schüttelten die Köpfen, da ihnen etwas komisch vorkam. In Wahrheit war ihnen klar, dass Petar nicht zufällig zu ihnen gekommen ist. >>Geht es meinem Niko gut?<<, fragte Jage Petar gleich, da ihr auch etwas komisch vorkam.

>>Ja, ja.<< Petar lachte gekünstelt und setzte sich hin.

>>Ihr Gesichtsausdruck verrät uns, dass nicht alles in Ordnung ist<<, merkte Markan an. >>Hat mein Vater zufälligerweise einen Unfall gehabt?<<

>>Wisst ihr..., es ist mir etwas unangenehm...<< Petar verstummte und senkte den Kopf. >>Leider ist es in unserem Bergwerk zu einem schweren Unfall gekommen...<<

>>Was ist passiert, um Gottes willen!?<<

>>Es tut mir wirklich leid. Niko ist ums Leben gekommen. Mein Beileid.<<

>>Nein, nein! Das darf nicht wahr sein!<<, schrie Markan. Für Rozina war es eine schockierende Nachricht. Sie überkreuzte die Finger, tat sie an das Kinn und fing an zu schwanken. Dann tat sie schnell die rechte Hand auf die linke Brust, weil sie im Herzen auf einmal extrem starke Schmerzen fühlte.

Jage griff sich ins Gesicht. >>Er wollte das Doppelte verdienen und uns ein großes und schönes Haus bauen. Hm? Das kostete ihn das Leben.<<

>>Nur das hat uns noch gefehlt. Es wird höllisch schwer ohne ihn sein.<< Markan pustete heftig.

Der siebzehn Monate alte Marco und sein 3-jähriger Onkel liefen auf dem Hof herum und lachten. Markan schaute sie sorgenvoll an, seufzte und ging ins Haus.

>>Lass nicht zu, dass dich die Sorgen auffressen, mein Sohn<<, mahnte ihn seine Mutter.

>>Wir haben es nicht leicht.<< Markan setzte sich neben seine Frau. >>Es sind fast sieben Monate vergangen, seitdem Vater ums Leben gekommen ist. Fast ganzes Geld, das Vater für das neue Haus erspart hatte, müssten wir Anna für ihr Land geben. Auch den ganzen Geldrestbestand, den Mama mit der ersten Rente bekommen hat, haben wir schon ausgeben. Jetzt müssen wir von Mamas kleiner Rente leben. Aber aus unserer Haut können wir nicht. Das Schlimmste, das wisst ihr alle, ist, ich muss zum Bundesheer gehen. Bis dahin können wir keine neuen Pläne machen. Was unser neues Haus betrifft, müssen wir geduldig auf bessere Zeiten warten.<<

>>Ihr müsst alle den Frieden und die Würde bewahren. Wenn ihr das verliert, verliert ihr alles. Und ihr müsst bescheiden bleiben, da Bescheidenheit die Tugend kluger Menschen ist.<<

4

Nachdem Markan die Vorladung ins Bundesheer bekam, waren alle beklommen. Rozina und Markan gingen spazieren, sie schwiegen nur. Der nervöse Markan beschleunigte sein Tempo und ging vor seiner Ehefrau, deshalb sah er nicht, dass sie stehen blieb und sich an die linke Brust griff. Ihr Blick erstarrte. Sie öffnete den Mund weit auf und hockte sich hin. Markan drehte sich zufällig um und sah seine zusammengekrümmte Frau am Boden knien. Er verdrehte die Augen, lief zu ihr hin, hockte sich vor sie und umarmte sie. >>Rozina, was ist los? Kann ich dir helfen?<<

Aber sie antwortete nicht, sondern sie krampfte sich weiterhin zusammen und versuchte an Luft zu kommen. Mit der rechten Hand massierte sie die linke Brust. Irgendwie schnappte Rozina im Moment nach Luft und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. >>Mein Herz.<<

>>In Gottes Namen, Rozina, ich weiß nicht, ob ich im Leben jemals so erschrocken bin. Oh Gott, was ist passiert?<<

>>Seit dein Vater ums leben gekommen ist, fühle ich Schmerzen im Herzen, allerdings habe ich dem keine größere Beachtung geschenkt. Ich dachte, dass es ungefährlich sei. In letzter Zeit treten diese Schmerzen immer häufiger auf…<<

>>Warum hast du mir nichts gesagt?<<, unterbrach er sie.

>>Wir müssen nicht beide leiden.<<

Er pustete stark. >>Diese Schmerzen erschweren dir das Atmen und deswegen bekommst du keine Luft, oder?<<

>>So in etwa. Ich fühle einen Druck in der Brust und Schmerzen in der linken Hand. Ich bekomme keine Luft und merke, dass ich langsam das Bewusstsein verliere. Mich wundert, dass ich jetzt nicht in Ohnmacht gefallen bin. Es war grauenhaft.<<

>>Du hast einen Schock erlitten. Das war wahrscheinlich ein Herzanfall. Du musst sofort zum Arzt gehen. Ich habe große Angst um deine Gesundheit und dein Leben.<<

>>Markan, dein Vater ist nicht mehr da. Ich will, dass wir selbstständig leben. Von meinem Vater bekomme ich viel Geld. Anna ist schon weg. Bevor du aus der Armee zurückkommst, kann ich an Anna einen Brief schreiben und sie fragen, ob sie uns ihren Hausteil vermieten will. Wenn sie uns das erlaubt, werde ich von meinem Vater Geld nehmen, sodass wir die Miete zahlen und leben können, bis du eine Arbeit findest. Dann kannst du einen Kredit für den Hausbau nehmen, und ich nehme von meinem Vater das Restliche, das mir gehört. So könnten wir gleich ein Haus für uns bauen. Ich bitte dich, Markan. Ich will mich dir und Marco widmen. Ich will, dass Marco Pfarrer wird. Mein Herz wird voll und ganz gesund, wenn ich ihn eines Tages vor dem Altar in priesterlicher Kleidung sehe. Deswegen will ich ihn auf meine Weise erziehen. Du liebst mich und ihn, deshalb musst du an mein Leben und meine Gesundheit denken, sowie auch an unseren Sohn.<<

Markan lachte. >>Ja, Rozina, mein Leben ohne euch wäre wertlos. Natürlich lebe ich für dich und unseren Sohn. Mit meinen Gedanken bin ich immer bei euch. Und ich hoffe, dass alles gut werden wird, bis ich wieder zurück bin.<<

>>Es wird alles in Ordnung sein. Ich werde all das, was in meiner Macht steht, für unseren Sohn tun. Ich werde für ihn und seine Zukunft kämpfen.<<

>>Ok, Rozina. Die Zeit vergeht sehr schnell.<< Er umarmte und küsste sie.

Alle Familienmitglieder waren beunruhigt, nachdem Rozina ihnen erzählte, dass sie einen Herzanfall hatte. Sie ging zum Arzt und bekam Nitroglyzerin Tabletten, die sie unter ihre Zunge tun musste, wenn sie Schmerzen im Herzen spürte. Einige Monate nach Markans Abreise in die Armee, merkte Jage, dass der Bauch ihrer Schwiegertochter größer wurde. >>Ist da vielleicht ein neues Baby drinnen?<<

Rozina hörte auf den Boden zu kehren und richtete sich auf. >>Ja, Mutter, ich bin wieder schwanger.<<

>>Ihr habt nur ein Kind. Das ist zu wenig. Es freut mich sehr, dass du wieder schwanger bist.<<

>>Aber ich habe jetzt schon Angst.<<

>>Hab keine Angst! Nur die erste Geburt ist schwierig. Jetzt wird das viel einfacher und schneller verlaufen. Glaub mir.<<

Ohne irgendwelche Schwierigkeiten bekam Rozina ihre erste Tochter. Sie gaben ihr den Namen Doris. Rozina machte überwiegend die Hausarbeit und kümmerte sich um ihre Kinder und um Gabriel. Ihre Tochter fing an zu laufen, aber sie blieb vollkommen ihrem Sohn, der ein unglaublich verständnisvolles und intelligentes Kind war, zugeneigt. Ihr Wunsch, dass ihr Sohn Pfarrer werden würde, hatte sie nie verlassen. Jeden Sonntag ging der 4-jährige Marco mit ihr in die Kirche und sie erklärte ihm jedes Detail und jedes Wort. Auch die Kardinalzahlen und Buchstaben musste er jeden Tag lernen. Dann schrieb Rozina geheim einen Brief und schickte ihn an Anna. In diesem Brief bat sie sie, ihr vorübergehend ihren Hausteil zu vermieten. Kurz danach kam die Antwort, welche Rozina Freude bereitete, da Anna ihr antwortete, dass sie in ihren Hausteil einziehen könnten. Rozina war frohgemut. Einige Monate vor Markans Ankunft nahm sie Geld von ihrem Vater, schrieb einen Brief und schickte ihn an ihren Mann. In diesem Brief schrieb sie ihm über ihren Gesundheitszustand und all das, was sie vorbereitet hatte. Sie war ziemlich furchtsam, da sie sich nicht sicher war, ob Markan positiv oder negativ reagieren würde. Als endlich der Brief kam, lief sie sofort ins Schlafzimmer, um ihn zu lesen. Sie las und lächelte, da Markan auf ihrer Seite war. Gerade als sie mit dem Lesen fertig war, kam ihr Sohn ins Schlafzimmer. >>Mama, was machst du da?<<

>>Ich habe den Brief deines Vaters gelesen.<< Sie setzte ihren Sohn neben sich und gab ihm einen Kuss auf sein dunkles Haar.

>>Wann kommt mein Vater zurück?<<

>>In zwanzig Tagen wird er wieder mit uns sein. Sag mir, was du werden wirst, wenn du groß bist. Wirst du Pfarrer?<<

>>Ist das der Mann, der vor dem Altar steht und spricht?<<

>>Hervorragend gemerkt. Und? Wirst du das tun, was er macht?<<

>>Ja, Mama, er ist so schön angezogen.<<

>>In Ordnung, mein Sohn. Ab heute musst du jeden Tag zwei volle Stunden die Zahlen und Buchstaben üben. Du musst ein ausgezeichneter Schüler werden. Ist dir das klar?<<

>>Ganz klar, Mama. Ich werde brav sein.<<

Jage zögerte ziemlich lange, bis sie mit ihrer Schwiegertochter sprach. Eigentlich hat sie gemerkt, dass sie ziemlich neurotisch ist. >>Was quält dich, Rozina? Normalerweise solltest du glücklich sein. In einigen Tagen kommt Markan zurück.<<

>>Mutter, du weißt, dass mein Gesundheitszustand nicht gut ist. Ich fürchte...<<

>>Ich weiß, was du sagen willst. Du willst mit deiner Familie selbstständig leben, nicht war?<<

>>Ja. Das ist mein Wunsch.<<

Jage seufzte. >>Glaub mir, ich habe über dich und Markan lange nachgedacht. Ich habe Angst, dass meine Söhne streiten und einander hassen könnten. Vielleicht ist es für alle die beste Lösung. Trotzdem warten wir bis Markan wieder da ist.<<

5

Nachdem Markan zurückkam, redete er mit seiner Mutter und seinen Brüdern über ihn, seine Familie und deren Zukunft. Zu seinem Glück hatten sie für ihn und seine Familie volles Verständnis. So zog er mit seiner Frau und den Kindern in das gemietete Heim. Für ihn und seine Frau begann ein neues Leben. >>Rozina, wir müssen uns so schnell wie möglich ein eigenes Zuhause bauen<<, sagte Markan, während sie und ihr Sohn Marco im Wohnzimmer beim Tisch saßen.

>>Das sollte kein Problem für uns sein. Verstehst du mich? Von meinem Vater kann ich gleich Geld bekommen, sodass du all das, was wir brauchen, kaufen kannst. Plane und besorge alles!<<

Sie nahm das Geld von ihrem Vater und gab es ihrem Mann, der unweit vom Zentrum des Weilers den Hausbau plante und das Baumaterial vorbereitete. Leider bekam Markan erst nach fünf Monaten eine Arbeit im Bergwerk Alte Grube in Zenica. Unter ihrem Herzen trug Rozina das dritte Kind. Ihre Schwangerschaft war ein zusätzlicher Grund für Markan, um das Haus zu bauen. Er engagierte seine Brüder und dank ihrer Hilfe schaffte er fast alles, was er für den bevorstehenden Hausbau vorbereiten musste. Seine Frau gebar das dritte Kind, die Tochter Bela. Nach dieser Geburt verschlechterte sich Rozinas Gesundheitszustand. Die Herzanfälle wurden immer häufiger und dauerten immer länger an. Markan hatte Angst um sie und um ihr Leben. Ihr Liebling war immer bis auf den Tod verängstigt, da er seiner Mutter sehr nahestand. Zu seinem Glück bekam Markan einen Kredit. Der Bau von Markans neuem Heim hatte feierlich begonnen. Er forcierte die Bauarbeiten, da er so schnell wie möglich in sein neues Haus einziehen wollte. Obwohl der Hausbau länger als erwartet dauerte, war das Ehepaar glücklich und zufrieden nachdem das Vierzimmerhaus zur Gänze fertig und bescheiden eingerichtet war. Der 26-jährige Markan und seine gleichaltrige Frau, die unter ihrem Herzen das vierte Kind trug, zogen mit ihren Kindern ihn ihr neues Haus. So erwarteten sie den Tag, an dem Rozinas Sohn in die Schule gehen musste. Sie war sehr aufgeregt. >>Sei brav, mein Sohn. Du bist unsere große Hoffnung. Du musst ein artiger Schüler sein. Hör dem Lehrer zu und merk dir alles.<< Sie zog ihm die Schultasche über den Rücken. >>Hast du mich verstanden?<<

>>Keine Sorge, Mama.<< Er küsste seine Mutter und lief nach draußen.

So befand sich Marco im Klassenzimmer der baufälligen Schule. Seine Lehrerin war eine 25-jährige, schlanke, schwarzhaarige Frau mit dem Namen Ksenija. Sie hatte eine mittlere Figur, einen dunklen Teint und weiße Zähne. Sie war sportlich angezogen und sah äußerst progressiv aus. >>Meine lieben Schüler und Schülerinnen, ich heiße Ksenija. Zunächst möchte ich euch alle kennenlernen<<, wandte sich die Lehrerin an ihre Schüler, ging von Einem zum Anderen und sprach eine Weile mit jedem einzelnen. Als sie zu Marco kam, fragte ihn sie: >>Wie heißt du?<<

>>Marco Pery.<< Er stand auf. >>Kann ich Sie etwas fragen, Frau Lehrerin?<<

>>Selbstverständlich. Nur zu, Marco.<<

>>Warum haben wir uns nicht bekreuzigt und zu Gott gebetet?<<

>>Eine überaus gute Frage. Dir und allen anderen Schülern möchte ich sagen, dass wir in einer kommunistischen Gesellschaft leben. Der Glaube ist nicht verboten, aber er ist vom Staat getrennt, besser gesagt, von der Politik. Der Glaube und die Gläubigen existieren selbständig.<<

>>Was ist eine kommunistische Gesellschaft?<<

>>Du bist ein überaus neugieriges Kind. Eine kommunistische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der alles allen gehört, und das bedeutet, dass es in unserer Gesellschaft keine privaten Unternehmen und Institutionen gibt. Alles gehört dem Volk. Verstehst du mich?<<

>>Ach so! Und die Kommunisten?<<

>>Das sind Menschen, die nicht an Gott und an Gottes Ordnung glauben.<<

>>Sind Sie eine Kommunistin?<<

>>Ja, ich bin Kommunistin und Atheistin. Ich glaube nicht an Gott, da ich ihn noch nie gesehen habe.<<

>>Meine Mutter hat Gott auch noch nie gesehen, trotzdem glaubt sie an ihn.<<

>>Deine Mutter hat ihre Meinung und ich meine. Wir alle haben das Recht zu glauben oder nicht zu glauben. Marco, du kannst dich schon hervorragend ausdrücken. Kannst du schreiben?<<

>>Klar<<, erwiderte er selbstbewusst und stolz.

>>Los! Zeig uns jetzt, was du kannst! Komm!<< Die Lehrerin nahm ihn an der Hand und brachte ihn zur Tafel. >>Hier ist Kreide. Hier ist die Tafel. Bitteschön, Marco!<<

Er schrieb alle Nummern auf und sprach sie währenddessen laut aus. Danach schrieb er fast alle Buchstaben des Alphabets auf und sprach sie richtig aus. Unter die Buchstaben schrieb er: MAMA, PAPA, BRUDER, SCHWESTER und Marco Pery. Mit offenem Mund und Augen starrte die Lehrerin ihren Schüler an, dann streichelte sie ihm übers Haar. >>Wer hat dir das beigebracht?<<

>>Meine Mutter.<<

>>Ich bin sehr stolz auf deine Mutter und auf dich. Danke dir. Jetzt geh wieder auf deinen Platz!<< Sie wandte sich den anderen Schülern zu: >>Wer etwas schreiben kann, soll vortreten und auf die Tafel schreiben.<< Kein Kind meldete sich.

Nachdem der Unterricht zu Ende war, eilte Marco nach Hause. Einige Dinge waren ihm nicht klar und er wollte diese mit seiner Mama erörtern. Mit einem Lächeln im Gesicht wartete Rozina vor dem Haus auf ihren Sohn. Als er zu ihr kam, küsste sie ihn und führte ihn ins Wohnzimmer. >>Wie war dein erster Schultag, mein Sohn?<<

>>Mama, unsere Lehrerin heißt Ksenija. Sie ist nicht so schön wie du, aber sie ist schön. Wenn du dich so anziehen und die Frisur so herrichten würdest wie sie, wärst du die hübscheste Frau auf der Welt.<<

>>Dankeschön. Aber ich bin der Ansicht, dass geistige Schönheit und Verstand wichtiger sind, als äußere Schönheit. Erzähl mir jetzt, was ihr gelernt habt.<<

Ganz langsam erzählte Marco ihr alles und am Ende fragte er: >>Gibt es einen Gott, Mama?<<

>>Natürlich, mein Sohn. Du musst deiner Mutter nur glauben. Jetzt zieh dich um! Mama wird dir etwas zum essen geben. Nach dem Essen musst du zwei Stunden das Schulbuch lesen. Anschließend kannst du nach draußen gehen und spielen.<<

Verdammt! Wird diese Lehrerin mir mein gutes Kind verderben? Sie und ihr Atheismus, dachte sich Rozina. Sie war sauer und besorgt. Ihr war überhaupt nicht recht, dass die Lehrerin mit ihrem Sohn über Kommunismus, Atheismus, Kommunisten und Atheisten diskutierte. Die ganze Zeit, während ihr Sohn aß, konnte sie nur daran denken. Neben der Schwangerschaft war dies für sie eine weitere Belastung.

Im Februar bekam Rozina ihren Sohn Mario. Jedoch konnte sie die Lehrerin nicht vergessen. Ihr Sohn sollte die erste Klasse der Grundschule beenden, sodass die fürsorgliche Mutter zur Elternversammlung gehen musste. Sie war bereits zwei Mal dort gewesen, jedoch sprach sie nicht mit der Lehrerin über das Problem, welches sie bedrückte. Die Lobeshymnen der Lehrerin über ihren Sohn hatten sie jedes Mal entwaffnet. Dieses Mal war Rozina fest entschlossen, die Lehrerin wegen des Kommunismus und Atheismus zur Rede zu stellen.

Die Lehrerin fing an die Noten der Schüler vorzulesen und kurz mit den Eltern zu sprechen. Als sie zu Marco kam, schaute sie Rozina an und lächelte. >>Frau Rozina, ihr Sohn hat eine besondere Begabung. Ich bin glücklich, dass ich solch ein Kind in meiner Klasse habe und wäre noch glücklicher, wenn alle so wären wie er. Er ist ordentlich, fleißig und ein ausgezeichneter Schüler. Ihr Sohn wird das erste Grundschuljahr mit der Note ausgezeichnet beenden. Von ganzem Herzen gratuliere ich ihm und Ihnen.<<

>>Vielen Dank. Ich würde mit Ihnen gerne noch etwas unter vier Augen besprechen.<<

>>Kein Problem. In ein paar Minuten bin ich fertig.<< Die Lehrerin beendete das Vorlesen der Noten und wandte sich an Rozina: >>Liebe Frau Rozina, sagen Sie mir jetzt, worum es geht. Ich bin wirklich sehr neugierig.<<

>>Na ja, es ist mir ein wenig unangenehm, darüber zu sprechen…<<

>>Bitte, nur zu.<<

>>Wissen Sie..., wir sind Christen und respektieren unseren Glauben. Seitdem mein Sohn geboren ist, träume ich, dass er eines Tages Pfarrer wird. Ich will ihn eines Tages in priesterlicher Kleidung vor dem Altar sehen. Sie haben mit ihm über Kommunismus und Atheismus diskutiert. Hm. Das gefällt mir nicht.<<

>>Habe ich etwas Schlechtes gesagt oder etwa gelogen?<<

>>Nein, aber ich wünsche, dass sie gar nicht mit meinem Sohn über solche Dinge reden, da sich das negativ auf ihn auswirken kann.<<

>>Liebe Frau Rozina, wir leben in einer kommunistischen Gesellschaft. Das ist die Realität. Unser Staat wird von Kommunisten geführt, die ebenso Atheisten sind. Menschen, die zu Recht oder auch nicht, nicht an Gott und Gottes Ordnung glauben. Marco weiß, wer der Präsident unseres Landes ist. In einigen Jahren wird er in der Schule alles über unsere Regierungsform und die gesellschaftspolitische Bewegung unseres Landes lernen. Jetzt ist noch schwer zu sagen, welchen Weg Ihr intelligenter Sohn eines Tages einschlagen wird. Es ist durchaus möglich, dass er Pfarrer wird, dennoch können Sie nicht davon ausgehen. Damit müssen Sie rechnen.<<

>>Ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich, damit rechne ich überhaupt nicht. Auf Wiedersehen.<<

>>Auf Wiedersehen, Frau Rozina.<< Die Lehrerin zog den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus.

Auch die zweite Klasse der Grundschule schloss Marco mit ausgezeichnetem Erfolg ab und beglückte somit seine Mutter. Er ging regelmäßig zum Religionsunterricht, da er die Erstkommunion und Firmung empfangen sollte. Auf Befehl seiner Mutter musste er jeden Tag die Bibel und die Evangelien lesen. Eines Tages merkte der bereits 10-jährige Marco, dass seine Mutter wieder schwanger war. Das nervte ihn und ihr Gesundheitszustand bereitete ihm Sorgen, aber er sagte ihr nichts darüber. Die schöne Rozina brachte ihre Tochter Marija zur Welt. Sie erholte sich sehr schnell und widmete sich ihrer Familie. Marco, der schon in die vierte Klasse ging, saß lesend auf dem Stuhl vor dem Haus. Rozina kam zur Eingangstür: >>Marco, hast du gelernt, was du zu lernen hattest?<<, fragte sie ihn.

>>Nicht so gut.<<

>>Beeil dich! Du musst in die Kirche zum Religionsunterricht.<<

>>Mach dir keine Sorgen, Mama. Gabriel wird mich holen. Außerdem kann ich Religion.<<

>>In Ordnung, mein Sohn.<<

Marco machte sich mit Gabriel und noch einer Gruppe von Gleichaltrigen auf den Weg Richtung Kirche. Aber wie oftmals zuvor ging er zu den Jungs, die Fußball auf einer größeren Wiese spielten.

>>Marco, wo gehst du hin? Du musst in die Kirche gehen!<<, sagte Gabriel.

>>Ich werde nicht mehr in die Kirche gehen. All das ist mir zu langweilig geworden. Außerdem kenne ich den ganzen Religionsunterricht.<<

>>Weißt du, was du da sagst?<<

>>Geh mit uns, Marco, du bist kein Kommunist<<, sagte ein dunkelhaariger Junge.

>>Du bist auch kein Atheist<<, fügte ein blondes Mädchen hinzu.

>>Alle Leute, die nicht in die Kirche gehen, sind im Grunde Kommunisten oder Atheisten<<, fügte ein fülliger blonder Junge hinzu und dann brach er in Gelächter aus.

>>Marco, was ist mit dir los, um Himmels willen?<<, fragte Gabriel etwas leiser, da er nicht wollte, dass die anderen Kinder ihn hören. >>Was sagst du da vor ihnen? Du weißt, dass sie alles ihren Eltern erzählen, werden und die werden es Markan und Rozina weitererzählen. Markan wird dich umbringen, wenn er das herausfindet. Auf der anderen Seite ist es nicht das erste Mal, dass du nicht zum Religionsunterricht gehst. Ich kann den Pfarrer nicht jedes Mal anlügen.<<

>>Mir ist das alles egal. Nein! Ich gehe nicht zur Kirche. Ciao.<< Er ging zu den anderen Jungs, die Fußball spielten.

Der brünette 50-jährige Pfarrer bekreuzigte sich, schaute ganz aufmerksam ob jemand fehlt und schüttelte den Kopf. >>Gabriel, was ist mit Marco? Wo ist er schon wieder?<<

>>Er ist krank.<<

>>Er ist zu oft krank. Da stimmt etwas nicht.<<

>>Gabriel lügt wieder<<, sagte das blonde Mädchen sofort. >>Marco hat gesagt, dass er nicht in die Kirche gehen will.<<

>>Er ist Kommunist geworden<<, fügte der dunkelhaarige Junge zu Wort.

>>Alle Leute, die nicht in die Kirche gehen, sind Kommunisten oder Atheisten<<, wiederholte der füllige, blonde Junge schnell und laut. Alle Kinder lachten lauthals.

Der Pfarrer hörte sich mit Skepsis diese Kommentare an. >>Marco ist weder Kommunist noch Atheist. Er ist ein richtiger Gläubiger. Und das sind keine netten Witze. Ah! Am Sonntag werde ich mit Rozina sprechen.<<

Nur Krankheit konnte Rozina davon abbringen sonntags in die Kirche zu gehen. Wie immer hörte sie sich mit Liebe die Heilige Messe an und betete mit den anderen Gläubigen. Als die Heilige Messe zu Ende war, ging Rozina nach draußen. Zehn Minuten später, während sie mit einer ihren Cousinen sprach, kam der Pfarrer zu ihnen. Ihre Cousine entfernte sich gleich. Und Rozina kam etwas komisch vor. >>Ich hoffe, dass mein Sohn nichts Schlechtes getan hat<<, sagte sie zu Pfarrer.

>>Ach, ich weiß nicht, aber er war gestern nicht beim Religionsunterricht.<<

>>Das ist unmöglich! Er ist mit den anderen Kindern von zu Hause losgegangen.<<

>>Aber er war nicht in der Kirche. Er hat bereits viele Male nicht am Religionsunterricht teilgenommen.<<

>>Viele Male!?<<

>>Ja, leider.<<

>>Ich habe keine Ahnung, wo er war. Er geht immer mit den anderen Kindern und kommt mit ihnen zurück.<<

>>Ein Mädchen hat gesagt, dass er nicht in die Kirche gehen möchte. Das bereitet mir Sorgen.<<

>>Ich kann Ihnen nichts sagen, bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe.<<

>>Mach dir keine großen Sorgen! Er wird die heilige Kommunion empfangen, da er den Religionsstoff kann. Aber wenn er wirklich nicht in die Kirche will… Hm? Das ist ein Problem. Wir leben in dieser verdammten kommunistischen Gesellschaft.<<

>>Ich verstehe Sie. Auf Wiedersehen.<< Die aufgewühlte Rozina machte sich auf den Heimweg. Mein Sohn muss ein vorbildliches, christliches Kind sein. Er soll Pfarrer werden, dachte sie sich beim Gehen. Marco saß am Tisch und machte seine Hausaufgaben. Rozina war mehr als sauer. >>Wo warst du gestern, Marco?<<

>>Ich habe Fußball gespielt.<<

>>Hättest du beim Religionsunterricht sein sollen oder nicht?<<

>>Ja, aber ich kann den Stoff vom Unterricht schon.<<

>>Nichtsdestotrotz musst du jedes Mal beim Religionsunterricht anwesend sein! Und das Schlimmste ist, dass ein Mädchen vor allen Kindern gesagt hat, dass du nicht in die Kirche gehen willst. Weißt du, was das bedeutet?<<

>>Diese Kinder haben keine Ahnung! Sie reden Blödsinn!<<

>>Aber diese Kinder haben Eltern und sie können reden. Sie werden ihren Eltern alles erzählen, und das bedeutet, dass alle Einwohner in der Pfarrei wissen werden, dass du nicht in die Kirche gehen willst. Auch Markan wird das erfahren. In Gottes Namen, Kind, er wird uns beide umbringen. Du bist jung und verstehst viele Sachen nicht. Die Einheimischen mögen es zu lästern. Wenn diese Kinder ihren Eltern sagen, dass du nicht in die Kirche gehen willst, werden sie dem noch vieles, was richtig und nicht richtig ist, hinzufügen, nur um dich schlecht zu machen.<<

>>Mama, ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir sehr leid.<<

>>Liebst du deine Mutter?<<

>>Selbstverständlich, Mama, ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.<<

>>Dann wirst du auf deine Mutter hören und den Religionsunterricht nicht mehr schwänzen.<<

>>Ich werde auf dich hören. Ich werde nie wieder vom Religionsunterricht fernbleiben.<< Er ging zu seiner Mutter und gab ihr einen Kuss.

Die Grundschule wurde neuerbaut. Marco besuchte nun die fünfte Klasse. Seine Mutter war wieder schwanger, weshalb er sehr enttäuscht war. Mit ihr sprach er nur das Nötigste. Rozina wusste, worum es ging. >>Sag mir, was dich bedrückt, Marco.<<

>>Nichts, Mama. Gar nichts. Es ist alles in Ordnung.<<

>>Du willst mir nichts sagen. Aber ich weiß, dass dir meine Schwangerschaft Sorgen macht. Liebling, unter meinem Herzen lebt dein Bruder oder deine Schwester. Soll ich deinen Bruder oder deine Schwester töten?<<

>>Nein, Mama. Deine Gesundheit und dein Leben stehen auf dem Spiel. Das musst du ein für alle Male verstehen.<<

>>Hab keine Angst, mein Sohn! Mir wird nichts passieren. In unserem Dorf gibt es viele Frauen, die zehn oder zwölf Kinder haben. Verstehst du das oder nicht, mein Sohn?<<

>>Aber die sind ganz gesund.<<

>>Ich bin auch gesund. Sei ohne Sorge! Und deine wichtigste Aufgabe ist es zu lernen, und nicht auf meinen Bauch zu schauen. Du musst die Grundschule erfolgreich beenden. All meine Lebenswünsche sind von dir abhängig. Ich will dich vor dem Altar in priesterlicher Kleidung sehen. Auch dein Vater träumt davon.<<

>>Alles klar, Mama.<< Marco seufzte und schüttelte fassungslos den Kopf.

Rozina brachte ihr sechstes Kind zur Welt, ihre Tochter Kristina. Sobald sie sich erholt hatte, machte sie sich auf den Weg in Richtung Busstation, da sie nach Zenica fahren musste, um Lebensmittel zu kaufen. Es war ein milder Morgen im Mai, sodass sie den Fußmarsch genoss. Rozina stieg in den Bus und setzte sich sofort. Kurz danach kamen Jakov und Eva Gruby in den Bus. Sie waren um zwei Jahre älter als Rozina. Jakov war der einzige Sohn des reichen Petar Gruby. Eva war seine Ehefrau. Sie hatten zwei Söhne und zwei Töchter. Die beiden waren sehr religiös. Jakov war ein kleiner und dicker Mann. Er hatte schwarzes Haar, ein rundes Gesicht und eine Stupsnase. Er war Bergarbeiter und seine Frau Eva war Hausfrau. Eva war eine große und kräftige Frau. Sie hatte dünnes langes braunes Haar, ein straffes Gesicht, schmale Lippen, ein hervorspringendes Kinn und einen dunklen Teint. Bereits ihr Aussehen ließ sie als strenge, sogar auf eine Art gefährliche Frau erscheinen. Sie war eine eigenwillige und heimtückische Frau. Jakov und Eva kannten Markan und Rozina sehr gut. Das Ehepaar setzte sich auf die Plätze vor Rozina. Jakov drehte sich um und nickte. >>Rozina, geht es deinem Herzen besser?<<

>>Alles in allem schaut es nicht so schlecht aus.<<

>>Gibt es noch was Neues bei euch?<<, fragte Eva, die sich erst jetzt zu Rozina drehte.

>>Nichts Besonderes<<, erklärte Rozina kurz, die diese Familie sehr gut kannte. Besonders kannte sie Eva und alle ihre psychologischen Dimensionen.

>>Ja, ja, aber sag mir, was mit deinem ältesten Sohn los ist.<<

Evas Frage überraschte Rozina und brachte sie zum Zweifeln. Sie zuckte ratlos mit der rechten Schulter und dachte nach. Eigentlich wusste sie, um was es geht. Aber sie wusste nicht, was die verschlagene Eva bereits vorbereitet hatte. Diese Situation war sehr unangenehm für sie. >>Nein, nein, ich kann dir nicht folgen.<<

>>Ach, Rozina, alle Pfarreismitglieder reden über deinen Sohn.<< Eva war geheimnisvoll.

>>Wovon redest du, Eva? Was willst du eigentlich von mir?<< Rozina schaute sie eindringlich an.

>>Verzeih mir, falls dich das beleidigen sollte, aber ich muss dir als vorbildliche Mutter und Christin etwas sagen. Die Leute erzählen, dass dein Marco Atheist geworden ist und…<<

>>Du redest Blödsinn!<<, unterbrach Rozina sie scharf. Die Reisenden lauschten aufmerksam dem Gespräch.

>>Nein, nein, das ist kein Blödsinn. Dein Marco will nicht in die Kirche gehen. Er verhöhnt Gott und den Glauben.<<

>>Das ist nicht wahr! Das sind Erfindungen niederträchtiger Männern und Frauen!<<

>>Liebe Rozina, die Leute sagen, es gibt keinen Rauch ohne Flamme. Er ist erst dreizehn Jahre alt und bereits ungläubig geworden. Da stimmt was nicht.<<

>>Mein Sohn ist kein Ungläubiger!<< Rozina fühlte sich beschämt.

>>Schone deine Nerven! Ich bin der Ansicht, dass ich mit dir darüber reden muss. Du weißt ja, dass wir vier Kinder haben, und weißt, wie wir sie erziehen. Mein Sohn Radovan und meine Tochter Magdalena gehen zum Religionsunterricht mit deinem Sohn. Mir ist das nicht recht. Ich will dir offen sagen, dass ich nicht möchte, dass meine Kinder mit deinem ältesten Sohn verkehren.<<

>>Rozina<<, meldete sich jetzt Jakov zu Wort, >>das ist wahrhaftig ein ernstes Problem. Unsere und alle anderen Kinder erzählen, dass dein Sohn Atheist geworden ist, und das bedeutet, dass er unseren Glauben und Gott auslacht.<<

>>Ihr und eure Bedeutungen! Das ist unmöglich! Das sind Lügen!<<, widersprach Rozina ihren unbegründeten Behauptungen.

>>Das sind keine Lügen<<, entgegnete Eva. >>Dein ältester Sohn befindet sich in teuflischen Händen!<<

>>Lass meinen Sohn in Ruhe! Du befindest dich in teuflischen Händen! Ich kenne dich ganz gut! Das weißt du doch!<< Rozina war außer sich.

>>Ich werde mit Markan reden und...<<, begann Jakov zu sprechen.

>>Lass mich in Ruhe!<<, unterbrach Rozina ihn schroff.

Rozina war völlig angespannt und zornig. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Sohn zusehen und mit ihm abzurechnen. Als sie nach Hause zurückkam, saß Marco am Tisch im Wohnzimmer. >>Warum bist du so böse, Mama? Worum geht's?<<

>>Es geht um dich! Deine Freunde erzählen nur das Schlechteste über dich!<<

>>Die Kinder?<<

>>Ja, die Kinder!<<

>>Ach, Mama, es kann doch nicht sein, dass du diesen Kindern glaubst!<<

>>Marco, du verstehst nichts. Es geht nicht um diese Kinder, sondern um ihre Eltern.<<

>>Was habe ich gemacht!?<<

>>Ich weiß es nicht genau. Ich traf Jakov und Eva Gruby und sie erzählten mir, du seist Atheist geworden, dass du unseren Gott und den Glauben verhöhnen würdest.<<

>>Mama, ich bitte dich! Das ist ein ungeheuer Quatsch! Ich habe nie etwas gegen Gott und den Glauben gesagt!<< Marco fing an zu weinen. In diesem Augenblick erschien Gabriel an der Tür. Er war 15 Jahre alt und ein ausgezeichneter Schüler.

>>Komm her, Gabriel!<<, befahl Rozina. >>Und sag mir gleich, was in der Kirche geschah, als Marco das letzte Mal vom Religionsunterricht fernblieb, als er Fußball spielte?<<

>>Nichts.<< Gabriel setzte sich neben Marco.

>>Gabriel, du musst mir die Wahrheit sagen! Marco und ich befinden uns in einer gefährlichen Situation! Verstehst du das!?<<

>>Nichts Besonderes. Die Kinder scherzten, sie sagten, dass Marco ein Kommunist und Atheist sei und sie lachten ihn aus.<<

>>Aber warum, in Gottes Namen!? Warum!?<<

>>Er hat in Wahrheit nur gesagt, dass er nicht in die Kirche gehen will, da er Religion schon kann. Dann erfanden und sagten einige Kinder diesen kommunistischen und atheistischen Humbug.<<

>>Das ist es. Diese Scherze und Erfindungen verwandelten sich in Realität. Ihre Eltern konnten es kaum erwarten, von ihren Kindern so etwas zu hören. Sie ergötzen sich jetzt daran.<<

>>Mama, du musst mir glauben!<<, rief Marco.

Als hätte sie ihren Sohn überhaupt nicht gehört, wandte sie sich Gabriel zu. >>Hat Marco irgendeinmal etwas Schlechtes über den Glauben, Gott und die Kirche gesagt?<<

>>Nein, niemals. Da bin ich mir sicher. Er hat niemals geflucht, die anderen Kinder fluchten oft.<<

>>Mein Sohn, diese Scherze können dich und mich den Kopf kosten. Du bist jung und unerfahren, deswegen weißt du nicht, dass unser Volk aus einer Mücke einen Elefanten macht. Ich glaube dir, aber das hilft uns keineswegs. Jakov hat mir gesagt, dass er mit Markan reden wird. Und dann…? Wie wird er reagieren?<<, redete Rozina mehr zu sich selbst als zu ihrem Sohn.

Marco nickte. >>Mama, du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde mit Vater alles regeln.<<

>>Ich hoffe, mein Sohn.<< Rozina stand auf und verließ das Zimmer.

>>Was habe ich dir damals gesagt, Marco?<<, fragte Gabriel sofort als Rozina rausging. >>Ich wusste, dass alles rauskommt und dass alles aufgebauscht wird.<<

>>Es tut mir um Mama leid. Ich habe Angst um ihr Leben. Mir ist es ganz egal, was mit mir sein wird.<<

6

Marco ging schon in die siebte Klasse. Rozinas Bauch wuchs zum siebten Mal. Für sie und ihren Ehemann war das etwas vollkommen Natürliches, aber für ihren ältesten Sohn war das ein echter Schock. Marco spielte mit Gabriel und den anderen Kindern Fußball und kam erschöpft nach Hause. >>Mama, um Gottes willen, warum bist du wieder schwanger?<<

Rozina lachte und schüttelte den Kopf. >>Ich möchte noch ein Geschwisterchen für dich auf die Welt bringen.<<

>>Mama, meine Schulkameraden tragen Adidas-Turnschuhe, und ich Riemenschuhe oder Gummistiefel. Verstehst du das?<<

>>Hab Geduld, mein Sohn! Eines Tages wirst du alles haben.<<

>>Wir brauchen dich. Dir darf nichts passieren. Ohne dich sind wir verlorene Kinder.<<

>>Mein lieber Sohn, du fantasierst zu viel. Lass es! Sei beruhigt und genieße das Leben. Lerne jetzt! Es ist bereits das Ende des Schuljahres. Lerne, merke und verstehe! Es ist überaus wichtig zu verstehen!<<

Markan war in der Frühschicht. Das frühe Aufstehen ging ihm immer mehr auf die Nerven. Sein einziger Trost waren das schöne Wetter und der trockene Weg. Als er unweit von dem Weiler Nover war, sah er Jakov Gruby, der in einem anderen Bergwerk arbeitete. Er beeilte sich, um ihn einzuholen. Jakov spürte, dass jemand hinter ihm war. Er drehte sich um und sagte: >>Was glaubst du, Markan, wann wird unsere Straße asphaltiert?<<

>>Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir viel länger schlafen könnten, wenn die Busse direkt zu unserer Kreuzung fahren würden.<<

>>Auch das wird eines Tages geschehen. Übrigens, schon lange zögere ich, dir etwas zu sagen, da mir das irgendwie unangenehm ist.<<

Markan lachte dumpf. >>Wenn es dir so unangenehm ist, dann kann ich mir denken, wie unangenehm es für mich sein wird.<<

>>Es geht um deinen ältesten Sohn. Er ist Atheist geworden oder, wie wir sagen würden, ein Ungläubiger. Er will nicht in die Kirche gehen.<<

>>Bestimmt hast du gestern Nacht zu viel Pflaumenschnaps getrunken und hattest keine Zeit nüchtern zu werden.<<

>>Zu deinem Unglück ist das die Wahrheit, Markan. Mein Sohn Radovan und meine Tochter Magdalena gehen mit deinem Sohn zum Religionsunterricht. Sie haben uns gesagt, dass dein Sohn Atheist geworden ist. Außerdem wissen das alle Einwohner in unserer Pfarrei.<<

>>Aber ich nicht.<<

>>Du hättest das irgendwann erfahren. Deswegen befand ich, dass es besser ist, dir das jetzt zu sagen, als es zu erfahren, wenn es zu spät ist. Es geht nicht nur um seinen Atheismus, sondern um noch schlimmere Dinge. Er verhöhnt Gott, den Glauben, unsere Heiligtümer und wer weiß noch was. Ich denke, du verstehst mich.<<

>>Ich verstehe nichts. Mein Sohn hat noch nie geflucht. Ich habe sogar niemals gehört, dass er sich unangemessen ausgedrückt hat. Und jetzt sag mir, was du mit 'zu spät' meinst.<<

>>Du musst agieren, Markan. Du musst dein eigenes Kind retten. Dein Sohn befindet sich in teuflischen Händen.<<

>>Pass auf, was du sagst, Jakov!<<, mahnte Markan streng an. >>Mein Sohn hat mit dem Teufel nichts gemeinsam. Ich muss dir sagen, dass ich kein einziges Wort von all dem glaube, was du mir gesagt hast.<<

>>Aber ich muss dir auch sagen, dass ich nicht will, dass meine Kinder mit deinem ältesten Sohn verkehren.<<

>>Das ist dein Problem. Verbiete es ihnen!<<

>>Damit du weißt, ich werde es ihnen verbieten.<<

Markan war völlig unkonzentriert, nichts ging ihm von der Hand. Er meldete sich bei seinem Schichtführer, verließ die Grube und eilte zum Mittagsbus. Während der Fahrt sprach er mit den anderen Leuten kein einziges Wort. Obwohl er Jakov nicht geglaubt hatte, quälte ihn all das. Rozina stand neben dem Herd. Als sie ihren Mann in das Wohnzimmer gehen sah, war sie überrascht. Sie sah gleich, dass er sehr wütend war. >>Wo kommst du her, Markan? Und warum bist du so böse? Was ist passiert?<<

>>Frag mich nicht. Wo ist Marco?<<, fragte er anstatt zu antworten.

>>Er ist gerade aus der Schule gekommen. Was willst du von ihm?<<

>>Alle Einwohner der Pfarrei reden davon, dass unser Sohn Marco, der Pfarrer werden soll, bereits ein Ungläubiger geworden ist! Verstehst du das? Gehe jetzt! Finde ihn und bring ihn zu mir! Ich muss mit ihm reden.<<

Rozina zitterte und ihr Herz schlug schneller. Im Grunde wurde ihr alles klar. Sie schaute ihren aufgebrausten Ehemann an, ging nach draußen, sah ihren Sohn und gab ihm ein Handzeichen zu ihr kommen.

>>Bitteschön, Mama<<, sagte Marco zu ihr kommend. >>Was ist los? Warum bist du so blass?<<

Rozina massierte ihre linke Brust. >>Markan ist sehr sauer. Sehr wahrscheinlich hat ihm Jakov all die Lügen erzählt. Möglicherweise hat er, weiß Gott was, hinzugefügt. Sei tapfer und sei vor allem ruhig.<<

>>Mama, mach dir keine Sorgen bitte! Sei völlig unbesorgt und unabhängig davon was zwischen mir und Vater geschehen sollte. Du bist schwanger, Mama. Und dein Herz funktioniert nicht gut. Wenn Vater mich zufälligerweise schlagen sollte, dann schau nur zu. Das ist nichts Schlimmes. Ich werde das aushalten.<<

>>Gut, mein Sohn, aber erwidere ihm nichts. Wiederhole nur, dass das Lügen sind und dass du unschuldig bist. Lass uns jetzt reingehen!<<

Markan saß auf der Couch. >>Gehst du in die Kirche, Marco?<<

>>Selbstverständlich.<<

>>Warum verhöhnst du Gott, den Glauben und unsere Heiligtümer?<<

>>All das sind Intrigen von Eva Gruby! Diese Frau ist ein lebendes Unheil! Das weißt du auch!<<, brauste Rozina fast giftig auf.

>>Rozina, ich bitte dich. Sei ganz ruhig! Dich habe ich nichts gefragt!<<

Marco war schon böse, da ihn diese Lügen beleidigten. >>Ich habe niemals Gott, unseren Glauben und unsere Heiligtümer verhöhnt!<<

Sehr hörbar pustete Markan. >>Ich sage dir ganz ehrlich, mein Sohn, in meinem Haus will ich keinen Atheist sehen! Es wird erzählt, dass du dich in teuflischen Händen befindest!<<

>>Das konnte dir nur Jakov sagen! Denn eigentlich befindet sich seine Frau in teuflischen Händen, und nicht mein Sohn! Sie ist eine echte Schlange<<, brüllte Rozina, da sie die Nerven verlor. Dann auf einmal ging sie in die Hocke und fiel bewusstlos zu Boden.

>>Mama!<< Marco hob den Kopf seiner Mutter, nahm schnell eine Tablette aus ihrer Tasche und schob sie ihr unter die Zunge. >>Wach auf, Mama! Wach schon auf! Komm!<<

Nach einigen Minuten öffnete Rozina die Augen. Markan stand reglos da und schaute seine Frau und seinen Sohn an. >>Es tut mir sehr leid.<<

>>Vater, du darfst dich vor Mutter nie wieder so unkontrolliert benehmen! Du weißt doch, dass sie schwer krank ist!<<, schrie Marco.

>>Verzeiht mir.<<

>>Und damit du es weißt, alles, was Jakov dir gesagt hat, ist gelogen. Meine Mutter hätte deswegen das Leben verlieren können.<<

Marcos Mütterchen gebar das siebte Kind, Sohn Kristian. Sie erholte sich wie immer sehr schnell und widmete sich ihrer großen Familie und ihrem Heim. Tag für Tag näherte sich ihr Liebling dem Schulabschluss. Mit Erfolg schloss er die Grundschule ab, bekam sein Zeugnis und eilte zu seinen Eltern.

>>Mama, das Zeugnis ist da!<<, rief Marco und setzte sich neben seine Mutter.

>>Du warst und bleibst meine große Hoffnung.<< Rozina packte ihn und drückte ihn an sich. Ihr Gesicht strahlte. >>Aber jetzt geht es um Sein oder Nichtsein. Marco, wirst du Pfarrer?<<

>>Mama, ich bitte dich um Verständnis...<<

>>Rozina, ich bitte dich auch<<, meldete sich Markan zu Wort. >>Er kann auch auf eine andere Weise unsere Träume erfüllen. Es ist noch nichts verloren. Er ist nicht nur ein guter Schüler, sondern auch fleißig, strebsam, hartnäckig und verantwortungsbewusst. Er schafft alles. Lassen wir ihn seinen eigenen Lebensweg gehen. So kann er alles von sich geben und glücklich sein.<<

Marco wandte sich an seine Mutter. >>Mama, für so was habe ich keinen Willen. Auf der anderen Seite ist es uns viel zu viel. Nur Vater arbeitet. Ich will die Mittelschule beenden, eine Arbeit finden und euch helfen.<<

>>Nein, Marco, das kommt nicht in Betracht. Wenn du kein Pfarrer wirst, musst du die Mittelschule beenden und dann studieren!<<

>>Das kostet zu viel Geld.<<

>>Es ist egal wie viel es kostet<<, meldete sich Markan zu Wort. >>Wir werden dich bis zum Ende deiner Ausbildung finanzieren, selbst wenn wir alle nur trockenes Brot essen müssen.<<

>>Ich bin stolz auf dich, Markan.<< Rozina seufzte erleichtert.

>>Das freut mich, Rozina. Aber mich sorgt etwas anderes... Eigentlich sorgt mich sein Lernfortschritt. Hier hat er keinerlei Voraussetzungen zum Lernen. Die Kinder sind da. Das Haus ist zu klein. Der Fußmarsch ist zu lang. Im Winter sind Schnee und Kälte da, und im Frühjahr und Herbst Matsch und Regen.<<

>>Du hast recht, Markan, aber daran können wir eben nichts ändern. Er wird sich quälen und trotzdem lernen müssen.<<

>>Nein, nein! Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Am besten wäre es, wenn wir ihm irgendein Zimmer in Zenica mieten würden, denn nur so könnte er in Ruhe leben und lernen.<<

>>Vater, diese Idee ist mehr als ausgezeichnet, sollte sie umsetzbar sein<<, sagte Marco. >>Ich meine, dass es am besten für mich wäre, mich in die elektrotechnische höhere Schule einzuschreiben.<<

Rozina küsste ihn. >>Passt! Melde dich für diese Schule an. Die gefällt mir. Später kannst du Elektrotechnik studieren und ein bekannter Elektroingenieur werden.<<

>>In Ordnung, Mama. Für euch mache ich alles. Ich bin stolz auf euch.<<

>>Jetzt haben wir alles vereinbart<<, sagte Markan und nickte zufrieden. >>Bereite du die Unterlagen vor, geh nach Zenica und schreib dich in die Schule ein. Ich werde für dich, bis die Schule anfängt, ein möbliertes Zimmer finden. Zusätzlich, mein Sohn, schenke ich dir meine Armbanduhr.<< Der glückliche Vater zog seine Armbanduhr von seiner Hand und gab sie seinem Sohn.

>>Oh vielen Dank, Vater!<< Marco zog die Uhr auf seine Hand, schaute sie an und lachte von Herzen. Danach umarmte er seinen Vater und gab ihm einen Kuss.

DER KAMPF UMS GLÜCK

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