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Die Wanderheuschrecken

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Irgendwo zwischen Bielefeld und Paderborn, in jedem Fall weit hinter Hannover, saß ich an diesem Morgen frischgewaschen in einem Konferenzraum eines übergroßen Konferenzhotels mitten in der Pampa. Am Vorabend hatte ich erst in der Lobby, später an der Hotelbar, ein Kennenlernen mit einem Mann, der seine Kolonne von Stadt zu Stadt jagte. Auf dem Bartresen breitete er eine Landkarte von Norddeutschland aus und lies seine Finger von Ort zu Ort wandern, von links nach rechts, von Westen nach Osten. Fruchtbarer Boden, wohin man auch blickt, waren seine Worte, während seine Augen dabei zu glänzen begannen. Sein Stoßtrupp hatte sich von westlicher Seite einem Ort zu nähern, brachte sich auf einem Parkplatz am Ortseingangsschild in Position, sollte überfallartig einfallen, von Haus zu Haus sich vorkämpfen und nach drei Tagen wäre eine Kleinstadt durchkämmt. Der Mann, der mir das erzählte, trug zwar keine militärische Kluft, aber was er von sich gab, klang nach purem Einsatzkommando und Häuserkampf. Mitten im zweiten Bier an der Bar stupste er mich an und forderte mich auf, ihm nach draußen zu folgen. Wir nahmen unsere Biere mit auf den Weg und schlenderten zum Hotelparkplatz. Warum auch nicht, dieser Sommerabend war genau richtig, um sich zwischen parkenden Karren weiter zu betrinken. Wir stoppten vor einem dunkelgrünen Jaguar E-Type, der sich quer über zwei Parkbuchten langmachte. Ich war kurz davor, das außerordentlich gut gepflegte englische Springpferd zu berühren, als er mahnend seinen Finger erhob: „Fassen Sie ihn nicht an, und passen Sie mit ihrem Bier auf!“

Er stellte sich so neben seinem Gefährt auf, als ob er darauf wartete, von mir fotografiert zu werden. Seine Sonnenbrille schob er aus seinem Haar zurück ins Gesicht und stützte sich ganz leicht auf den vorderen Kotflügel. Und griente mich an. Und nun? Eine Bemerkung von mir, wie gut er sich an seinem Automobil aus den 60ern macht? Etwas Applaus mit der freien Hand, an die, die das Bierglas hielt?

„Warum sind wir jetzt hier, hier an meinem Jaguar E-Type Luschke, Idee?“

„Ich denke, Sie wollen mir zeigen, dass Sie es sehr weit in ihrem Leben gebracht haben. Jetzt, stehend an der Seite dieses, sicherlich nicht gerade billigen Automobils.“

„Luschke, ich bitte Sie, nicht gerade billig. Mann, nicht viele können sich so etwas leisten. Aber Sie denken in die richtige Richtung. Meine Leute bekommen, für den Fall, dass sie nichts oder wenig verkaufen, so wenig Geld, dass sie nicht mal ihre Mieten bezahlen können. Machen sie allerdings einen sehr guten Job und verkaufen wie Hölle, liegt genau das hier drin.“

Seine offenen Handflächen ließ er dabei andächtig über die Motorhaube seines Jaguars wandern, und ich dachte, er würde seine kleine Vorführung mit einem „Voilà!“ abschließen wollen, so wie ich es mal bei einem Autoverkäufer sah, der mir einmal inbrünstig ein schnittiges Coupé zeigte, obwohl ich mich dort im Ausstellungsraum nur aufwärmen wollte, da es mir zu kalt an der nahe gelegenen Haltestelle wurde.

„Meine Besten machen richtig Asche Luschke, richtig Asche. Kommen Sie, wir gehen wieder rein.“ Während ich ihm zurück an die Hotelbar folgte, fiel mir erst auf, wie er mich ansprach. Nicht etwas „Herr Luschke“, oder „Herr Ronny Luschke“, er sagte ausschließlich und immer wieder nur – „Luschke“. Vielleicht war es die Gepflogenheit in dieser Firma, eine spürbar herablassende Merkwürdigkeit, die ich zwar mit jedem weiteren „Luschke“ mehr und mehr zum Kotzen fand, mich jedoch keineswegs davon abhielt, mich auf ihn einzulassen. Wieder einmal siegte meine Neugier auf alles, was das Leben mir präsentieren würde. Ich selbst beließ es bei „Herr Kaportzke“. Herr Kaportzke, der aussah wie jemand, der es mochte, sich einen ganzen sonnigen Tag an seinen Sportwagen zu stellen, um weltmännisch in die Luft zu grinsen. Mitte vierzig, höchstens, tiefengebräunt und poliert von oben bis unten, genau wie sein stolzes Gefährt. Zurück an der Bar und wieder in eine angenehme Trinkposition gebracht, erklärte ich Herrn Kaportzke die Situation mit meinem Abschluss, also mit meinem fehlenden Abschluss. Könnte ich schon bald nachholen, und dann, Schwupps, wäre meine Aktenlage sauber. Kaportzke – ich strich gedanklich ab sofort das „Herr“ – zeigte sich sehr irritiert über das, was ich sagte. Niemand, aber auch wirklich niemand aus seinem Trupp, nicht einmal er selbst, besitze so etwas wie einen Hochschulabschluss. „Luschke ...“ – da war es wieder – „Luschke, ich brauche hier keine hoch qualifizierten Theoretiker, keine Zahlendreher, keine Typen, die irgendwelche Lehrbücher nachplappern können. Kommen Sie mir nicht mit Studium und solchem Gedöns. Ich brauche Leute, die echte Verkäuferschweine sind, die sich durchbeißen können, die auf Teufel komm raus, jeden Scheiß an die Leute bringen, davon rede ich, verstanden?“

Ich verstand und drehte nunmehr meinen kleinen Einwurf in die richtige Richtung. “Herr Kaportzke, ich ein erfolgreicher Hochschulabsolvent? Sehe ich so aus? Nicht im Geringsten, wo denken Sie hin. Seien Sie beruhigt, allenfalls habe ich mich als untalentierter Bongospieler in Bahnhofstunneln durchgeschlagen. Ein Zahlendreher? Wie soll ich etwas drehen, was ich kaum kenne? Ich versichere Ihnen, ich bin durch und durch keine große Leuchte.“

Kaportzkes Gesichtszüge entspannten sich. Große Leuchten waren einfach nicht bei ihm gefragt. Eine weitere Bierlänge gab es für mich nun einiges aus Kaportzkes Welt zu hören, wobei er weniger über sich sprach, vielmehr beschrieb er den Ablauf eines typischen Tages seiner „Jungs“. Jetzt wusste ich, wie der Hase lief. Der Hase ist ein fletschendes Kampfkarnickel in Gestalt eines Verkäuferschweines, welches wie vom Wahn gepackt durch die Vorgärten seine Haken schlägt, um sich dann solange am Opfer zu verbeißen, bis es aufgibt und den Auftrag unterschreibt. Oder jämmerlich verblutet, jedoch nicht ohne, dass das Kampfestier vorher noch die Tinte des Opfers zur Unterschrift führt.

Ronny, bist du eigentlich noch ganz bei Trost? Du wanderst hier direkt in eine Drückerkolonne hinein. Entweder du wirst ein Drücker, der seine Miete nicht zahlen kann, oder, wie Kaportzke es formulierte, eben eines der Verkäuferschweine allererster Güte, skrupellos, durchtrieben und mit einem ausgeprägten Hang zu Goldschmuck und tosendem Motorengeheule. Kaum gedacht, wurde ich von Kaportzke leicht in die Rippen gestoßen. Auch so ein merkwürdiges Ritual.

„Luschke, ich muss los, muss noch wohin, trinken Sie ruhig noch was, aber nicht zu viel, morgen müssen Sie fit sein. Die nächsten zwei Tage werden spannend für Sie. Schnuppern Sie bei uns erst einmal rein und denken Sie daran, ihre Biere zu zahlen.“

Kaportzke lud mich nicht ein. Kaportzke rechnete seine Biere heraus, zahlte seinen Teil und verschwand. Wir waren beide in einer fremden Stadt, wo musste Kaportzke also hin? Ich war mir sicher, er wollte noch einen kurzen oder längeren Abstecher in den hiesigen Kleinstadtpuff machen. Ein wenig war mir auch nach Kleinstadtpuff, doch hatte ich wenig Lust wieder auf Kaportzke zu treffen, außerdem reichte mein Geld sowieso nur noch für zwei letzte Biere an diesem Abend. Mir kam der Gedanke, vom Barhocker aufzustehen, Bier und Zimmer zu zahlen, um ganz unbemerkt das Weite zu suchen. Weg von Kolonnenführer Kaportzke. Mein Gott Kaportzke, was für ein Name und so, wie er hieß, so war er auch. Ein rüder, arroganter Typ, für den seine Kolonne nur aus „Verkäuferschweinen“ bestand. Warum überhaupt diese Höflichkeit? Warum nicht nur „Schweine“? Komm Ronny, bleib sitzen, nimm nicht den Nachtzug nach irgendwo. Was wäre, wenn du schneller mit Kaportzkes Welt warm wirst, als du denkst, und vielleicht bist du in einem Jahr selbst Kolonnenführer. Ich? Ausgerechnet ich?

Ich blieb am Tresen sitzen, fragte den Barmann nach einem gewissen Etablissement im Ort, bekam prompt den Tipp, die „Lido-Bar“, dort, am Ende der Straße, sehr nette Damen dort, angemessene Preise dort. Dort, am Ende der Straße. Ich blieb sitzen und trank mein letztes Bier.

Am Morgen danach war ich der erste im Konferenzraum. Ein Dutzend Tischreihen mit Dutzenden Stühlen. Ausreichend Platz für eine kleine Drückerarmee. Letzte Reihe in Nähe zum Ausgang war wie immer Ronny Luschkes Platz. Angestammt. Das war in den wenigen Besuchen in Auditorien niemals anders. Kaffeepausen sind nicht nur zum Kaffeetrinken da, sondern zum schnellen Abgang wie gemacht. Kaportzke hatte seine Leute im Griff, um Schlag neun war jeder Platz besetzt, keiner war verspätet, dafür viele verkatert oder in noch schlechterem Zustand. Es roch nach schalem Bier, kaltem Rauch und direkt neben mir nach Schnaps. Wonach roch ich? Keine Ahnung, doch die halbe Kanne Kaffee, die ich mir vor Minuten gab, übertünchte wenigstens sämtliche Reste von Modrigkeit im Mund, die ich nur allzu gut kannte. Kaportzke trug jetzt einen dunklen Anzug, nicht mehr seine Lederjacke vom Vorabend. Ansonsten ließ er sich nichts anmerken, auch nicht als einer seiner Leute ihn auf irgendeine Sache in der Lido-Bar ansprach. Der Bursche bekam kurzerhand einen verbalen Tritt in den Arsch, worauf er sich an seinen Platz kuschte. Es mussten wohl einige die Nacht in der Lido-Bar verbracht haben, es war anfangs Thema Nummer eins. Der Letzte, der reinkam, nahm neben mir am einzig verbliebenen freien Stuhl Platz. Der Typ trug ein Hawaiihemd, kurzärmelig, seine roten Unterarme waren übersät mit Einritzungen und kleinen Tätowierungen, und trotz meiner Schätzung von nicht mal dreißig, war sein Gebiss kaum als solches auszumachen. Er roch wie eine menschliche, offene Whiskeyflasche. Als er sich zu mir drehte, sah ich auf seiner rechten Wange eine alte Narbe, die vom Ohr bis zum Mund reichte. Eine schwere Kampfeswunde aus vergangenen Zeiten, sicherlich nicht von einem Gefecht mit einem widerspenstigen Kunden davongetragen, eher vermutete ich eine Hinterhof-Messerstecherei. Ronny, ein bisschen auf die Wortwahl aufpassen, nichts, was ihn leicht provozieren könnte. Am besten sage erst mal gar nichts, nur könnte das Narbengesicht womöglich gerade dein Schweigen als Provokation auffassen, also sprich doch, stelle dich freundlich vor und sage etwas Nettes über ihn. Ein Kompliment, nicht der Narbe wegen, nein, besser vielleicht für seine von Einkerbungen malträtierten Arme, oder doch für das orangerotgelb leuchtende Hawaiihemd? Sein Haar war zerzaust wie die eines Straßenköters und ich konnte aus seinem erwartungsvollen Blick spüren … ja, er wartete auf irgendetwas. Sicher auf ein paar höfliche Willkommensworte von mir.

„Ich bin Ronny, Ronny Luschke.“ Daran war nun wirklich nichts provozierend.

„Ich bin Kreische, alle sagen nur Kreische zu mir.“

Ich traf vorher noch nie einen Menschen bei dem der Name so sehr zur Stimmlage passte. Kreisches Stimmbänder mussten über eine sehr lange Zeit richtig in die Mangel genommen worden sein. Er sprach nicht, er krächzte jedes Wort fast wie unter Qualen heraus. Möglich, dass das Messer seines damaligen Kontrahenten nicht nur sein Gesicht, sondern auch gleich seine Stimmbänder der Länge nach mit aufschnitt. Den Rest erledigte sicher Hochprozentiges. Ich stellte mir kurz vor, wie es sein würde, wenn Kreische auf Kunden treffen sollte, was ihm ja jeden Tag passierte. Wählen die Leute heimlich die 110 oder flüchten sie über den Balkon ins Freie? Und was macht dann der zurückgelassene Kreische? Bedient er sich an der Hausbar und trinkt die gefundene Flasche Doppelkorn leer? Nicht dass ich total verkehrt lag und in wenigen Minuten wird Kreische zum Verkäufer des Monats ausgerufen und mit gefalteten Händen eine krächzende Dankesrede halten.

„Kreische, es ist mein erster Tag, ich mache erst einmal nur zur Probe hier mit. Heute die Konferenz, oder was das hier sein soll, und morgen mit einem von euch mit rausfahren. Vielleicht ja mit dir, Kreische?“

Kreisches Augen weiteten sich schlagartig, als hätte jemand ihm eine Ladung Valium verpasst. Als seine Pupillen sich wieder auf Normalgröße schrumpften, krächzte er mir ein „niemals, bei mir fährt keiner mit“ zu. Die Absurdität meiner Frage schoss ihm so massiv durch den Körper, dass er mich noch sekundenlang anstierte, wodurch mein Blick ebenfalls an seinen rotglasigen Augen haften blieb. Es ist wie mit Hunden, die in keiner guten Grundstimmung sind. Ein allzu langer Blick direkt in die Hundeaugen kann für den Zweibeiner schlimme Aggressionen des Tieres nach sich ziehen. Ich begann, meinen Kuli auseinanderzunehmen, die Mine zu prüfen, setzte ihn wieder zusammen, sortierte mein Schreibpapier von links nach rechts, dann zurück, dies alles nur, um Kreische zu zeigen, dass ich verstanden hatte und nicht auf Ärger aus war. Alles war vergebens. Aus dem rechten Augenwinkel konnte ich erkennen, wie sein Blick an mir kleben blieb. Ich gab mich so beschäftigt, wie es nur ging und schrieb „Heute erste große Konferenz“ auf ein Stück Papier, doch alles war umsonst. Auch wenn es lediglich eine vage Idee war, mit Kreische mitzufahren, doch nicht mehr als das, schien sein Gehirn unaufhörlich ihm eine Meldung wie „wenn der Typ es noch einmal wagen sollte, dann wird er die Kaffeepause nicht lebend überstehen“ zu signalisieren. Erst als Kaportzke die Bühne betrat – ich schrieb auf mein Papier „Kaportzke betritt die Bühne“ –, ließ er endlich von mir ab. Kaportzke krempelte sich die Hemdsärmel hoch und schlug einigen aus der ersten Reihe kumpelhaft auf die Schultern. Einem drückte er sogar seine Pranke derart in den Nacken, dass der junge Kerl mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Katzenbuckel machen musste. Der Katzenbucklige drehte sich nach Sekunden der Peinigung aus Kaportzkes festem Griff heraus und rieb sich den malträtierten Hals, bevor er wieder seine internatshafte aufrechte Sitzposition einnahm. Kaportzke lachte lauthals kurz auf, als er sah, dass sein Griff nicht ohne Wirkung blieb. Alles Vorgeplänkel, alles nur Teil seines Vorspiels. Kaportzkes Auftritt begann mit feinem Ausrichten einer Folie auf dem Overheadprojektor. Nur die Überschrift war zu sehen, der Rest war mit einem Papier abgedeckt. Ich las dort „Verkäuferhitparade“ und ich schrieb „Verkäuferhitparade“, was Kreische jedoch nicht entging. Ein kurzer, flüchtiger Blick in sein Gesicht. Wieder schaute ich in ein von Valium aufgepumptes Augenpaar, und sein unverändert aggressives Reibeisen stieß „… schreib dir die Scheiße doch nicht auf, du Idiot!“ heraus. Kaportzke ließ ein lautes „Schnauze an alle!“ folgen, was außerordentlich gut funktionierte. Ab diesem Moment herrschte Ruhe. Geschlossene Schnauzen soweit ich sehen und hören konnte. Dann zog Kaportzke das Papier von der Folie und legte nicht nur viele Namen und Verkaufszahlen der letzten Woche frei, sondern er auch richtig los.

„Warum sehe ich immer wieder nur dieselben Namen ganz oben? Meine Top-Verkäufer!“, schrie Kaportzke mit süffisantem Unterton in die Menge. “Und immer wieder dieselben Namen ganz unten? Meine Top-Pfeifen! Warum schaffen es meine Top-Pfeifen nicht einmal bis ins hintere Mittelfeld? Haben sie möglicherweise immer noch nicht begriffen, worum es mir geht? Haben sie tatsächlich nicht begriffen, wie man Geld verdient?“

Dass Kaportzke nicht zu den Leuten gehörte, die Gedanken daran verlieren, um den heißen Brei herumzureden, hatte ich mir schon gedacht, sein Auftakt war jedoch brachialer, als ich mir vorstellen konnte. Er war klar auf Angriff gepolt. Kaportzke stellte noch weitere fünf, rein rhetorische Fragen und bekam, wenig überraschend, keine Antworten. Warum auch, ich war mir sicher, Kaportzke hätte seine süffisanten Fragen jederzeit selbst beantworten können, was er dann auch tat. Kurz und bündig beendete er seine Ouvertüre mit – einfach nicht begriffen, diese Idioten!

Die letzten fünf der „Verkäuferhitparade“, allesamt waren sie ohne jeglichen Verkaufsabschluss, wurden von Kaportzke unisono zu Komplettversagern erklärt. Sie mussten sich auf sein Kommando von ihren Stühlen erheben und wurden zu Kaportzkes persönlicher Beleidigungsarie freigegeben. Auf der Hitparade – ich dachte einen Moment an die echte Hitparade, dort, wo auch die schlimmste Schnulze noch frenetischen Beifall bekommt – gab es zwei Meiers. Der eine ganz oben, der andere war einer von den fünf Pfeifen. Kaportzke nannte letzteren nur Versager-Meier. Genüsslich, abwertend und immer wieder aufs Neue.

„Versager-Meier, warum schadest du nicht nur dir, sondern auch mir? Warum willst du, dass ich diesen Monat nicht eine goldene Rolex bekomme, die ich bekommen könnte, wenn du daran denken würdest, mit dem Verkauf zu beginnen? Wie lange soll ich noch auf dich warten, Versager-Meier, sage es mir, wie lange? Wann trittst du dir selbst in den Arsch und lieferst mir endlich mal ein paar Abschlüsse? Oder wartest du darauf, bis ich dir mal richtig in den Arsch trete? Aber das kann ich dir nicht empfehlen, denn dann würde sich die Spitze meiner Stiefelette tief in deinen Versagerarsch bohren, klar?“

Versager-Meier sagte nichts und nickte nur unentwegt unter dem Reigen an Beleidigungen, die auf ihn niederprasselten. Während Kaportzke sich die anderen vier aus der Riege der Abschlusslosen vorknöpfte, suchte ich Kreische auf der Hitliste. Ich fand ihn im hinteren Mittelfeld. Immerhin. Und sein Name war Tobias Kreischke. Jetzt weiteten sich allerdings meine Pupillen. Kreischke ohne - K - war Kreische. Luschke ohne - K - weckte Kindheitserinnerungen in mir. Ich konnte mir zwar zu diesem Zeitpunkt kaum noch vorstellen, Kaportzkes Club der Erniedrigungen beizutreten, und sollte es doch geschehen, bangte ich darum, mich nicht in den unteren Regionen zu Versager-Meier gesellen zu müssen, was bedeuten könnte, wieder als Luschke ohne - K - gebrandmarkt zu werden. Womöglich der alles entscheidende Grund, in der ersten Kaffeepause nun doch das Weite zu suchen. Das eine „Ich“ drängte mich ständig zur Flucht im passenden Moment, das andere „Ich“ sah es allerdings deutlich gelassener, da dieses „Ich“ mir einhämmerte, ich wäre doch nichts anderes als nur ein Gast in diesem absurden Schauspiel. Ein Zuschauer in hinterster Reihe, dem nichts passieren könne.

Nachdem Kaportzke die letzten fünf der Hitliste ausreichend rundgemacht hatte, wandte er sich seinen Lieblingen zu, seinen Besten. Den Top Drei. Kaportzke winkte alle drei mit hektischen Handbewegungen zu ihm nach vorn. Natürlich saßen sie in der ersten Reihe, trugen allesamt feinen Zwirn, einer strich sich sogar mehrmals über sein Jackett, als er sich erhob, ein anderer machte triumphierend zwei Fäuste, die er uns entgegenhielt, der dritte im Bunde schien mir wie ein Dauergast unter den Besten zu sein, er war der Freude wohl längst überdrüssig und blickte nur verächtlich über die Tische. Wir durften nun applaudieren. Wir mussten nun applaudieren. Ich klatschte lange und war der Letzte, der mit Applaus aufhörte. Kreische schoss wieder Blut in seine eh getrübten Rotlinsen. Während alle ihren Applaus gaben, drehte sich Kreische eine Kippe für die erste Pause. Ich wusste, er verachtete mich schon allein meines Applauses wegen. Vielleicht am Abend an der Hotelbar mit Kreische ein paar Biere trinken und Biere machen Menschen warm untereinander. Wo gibt es schon Liebe auf den ersten Blick, schon gar nicht in einer Herde von Drückern, Ronny. Die ersten drei bekamen dann ihre Preise überreicht. Sehr merkwürdige Preise. Der Beste bekam ein Wochenende in einem Mietwagen geschenkt. Keinen schrumpeligen Kleinwagen, sondern offen und sportiv, um mit der Freundin in Dauerschleife schnittig um die Blocks brausen zu können. Will ich nicht, dachte ich mir. Der zweite einen Gutschein vom Elektrohandel, will ich auch nicht, und der dritte im Bunde einen CD-Spieler, gähn, hau mir bloß ab damit, Kaportzke. Wenn schon kein Bargeld, dann wenigstens dreißig Flaschen Rotwein, oder eine kleine Beteiligung an einer Brauerei, kam mir in den Sinn. Die Gewinner spielten ein wenig Freude und Überraschung vor, und der Rest wurde erneut zum Applaudieren aufgefordert. Dieses Mal machte ich es wie Kreische, keinen einzigen Klatscher, nur zweimal dumpfes Klopfen auf den Tisch.

„Scheiße Prämien hier in der Firma, alles für ‘n Arsch. Ein Wochenende frei innen Puff und frei Saufen, okay, oder richtig Asche auf die Kralle, aber nicht so“, raunzte mir Kreische zu. Und mir fiel auf, Kreische und ich, wir wurden langsam warm, auch ganz ohne Bier.

Nach der feierlichen Preisvergabe holte Kaportzke zu einer ausufernden Rede aus, zu der er sich vorab ein Mikrofon geben ließ, und sich somit die Lautstärke seiner Worte mindestens verdoppelte. Doch das war noch nicht alles. Kaportzke ließ sich von einem seiner Jünger aus der ersten Reihe einen Tritt reichen, der einsatzbereit neben der Bühne gestanden haben musste, um sich sodann auf diesem zweistufigen Tritt hinter einem Stehpult in eine erhöhte Rednerstellung zu bringen. Die vorderen Reihen blickten nun nach oben wie zu Gott. Oder hinauf zu Kaportzke. Kreische und ich blickte geradeaus wie immer, auch ein Vorteil der letzten Reihe. Kaportzke war nun zweieinhalb Meter groß. Wer so etwas tut, von dem kann man ruhigen Gewissens auch etwas Großes, ein unglaubliches Spektakel, eine Show sondergleichen erwarten. Kaportzkes Stimme war bei normaler Lautstärke, ohne jegliche Verstärkung, schon durchdringend genug, dass selbst die Damen und Herren der weit entlegenen Hotelrezeption seiner Stimmgewalt folgen konnten. Doch nun, als er seine ersten Worte in das Mikrofon sprach, war es – nach ein, zwei schweren Rückkoppelungen mit zwangsweise logischem Fiepen – so, als ob Kaportzke urgewaltig das Ende der Menschheit abwenden wollte. Diejenigen, die ganz klar wie Schwerstabhängige nur so nach seinen Worten lechzten, und das war die absolute Mehrheit, wurden zu Willenlosen, der Rest sollte mürbe gemacht werden.

„Und noch einmal für alle, insbesondere für diejenigen unter euch, die zu oft leere Netze von ihren Fangzügen mitbringen. Regel Nummer eins: Wir wollen niemanden langwierig überzeugen. Wir beherrschen die Kunst der Überredung, des Aufschwatzens, der Nötigung. Wir setzen unter Druck und wir zeigen Konsequenzen auf, sollten sie nicht unterschreiben. Haben wir eine Methode, eine Technik, um an Aufträge ranzukommen? Versager-Meier, brauchst du etwa neue Verkaufstechniken, um endlich mal ein paar Geschäfte machen zu können? Ich sage es dir und allen anderen auch: Nein, brauchst du nicht, du brauchst nur die Technik der Überrumpelung. Regel Nummer zwei: Seid gierig und schnell. Verzettelt euch nicht in ellenlange Produktpräsentationen, alles Humbug. Regel Nummer drei: Macht ihnen ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht unterschreiben wollen, das funktioniert immer. Baut Druck auf und bedrängt sie, dann sehen sie keinen anderen Ausweg, als zu unterschreiben. Die Erlösung ist die Unterschrift!“

Kaportzkes Regeln waren zehn an der Zahl. Wie die zehn Gebote von Moses. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass Kaportzkes Regeln die Ausgeburt der Hölle waren. Jede einzelne Regel triefte nur so vor Hass und Niedertracht. Spätestens jetzt war mir klar: Jeder in diesem Saal war nichts anderes als ein kleiner mieser Drücker und Kaportzke der Anführer dieser Horde. Mit nichts anderem hatte ich es hier zu tun. Ich war kaum drei Schritte von der Tür zur Hotellobby entfernt, ein Sprung, dann nur noch Laufen, irgendwann die Hotelrechnung bezahlen. Doch unser Einpeitscher war schon dermaßen von allen guten Geistern verlassen, er hätte mich wohl wild entschlossen wieder einfangen lassen. Dann ballte Kaportzke eine Faust, hob sie zur Decke empor, so als ob er direkten Kontakt zum Teufel aufnehmen wollte, obwohl ich die Hölle genau dort nicht vermutete, und sprach: „Nicht die Vorteile für den Kunden interessieren uns, nicht das Produkt interessiert uns, nur wir sind von Interesse. Es geht nur um unsere Vorteile und um unser Geld. Und denkt daran, wir fallen unbarmherzig in die Städte ein wie Wanderheuschrecken! Wir durchfressen uns von Süd nach Nord, von West nach Ost, wir zernagen und zerkauen unsere Kunden und unter unserer Chitinschicht sammeln wir Aufträge, bis unsere Panzerungen zu platzen drohen!“

Dann brüllte er fragend in die Menge: „Was sind wir?“

Die Kolonne hauchte in zartem Ton zurück: „Wanderheuschrecken!“

„So wie ihr es von euch gebt, seid ihr keine Wanderheuschrecken, sondern nur lächerliche Stubenfliegen. Also, was seid ihr?“

„Waaaanderheuschreeecken!“

So ist gut, Männer, genau das seid ihr! Und wie machen wir unseren Job? Wie beim … ? Wie beim … ?“

Nichts rührte sich, Kaportzke musste selbst nachlegen und einmal mehr seine eigene Frage beantworten.

„Wie beim Katzenficken! Mensch, ihr Idioten, wie oft muss ich euch das denn immer wieder an den Latz knallen! Schnell müsst ihr sein, so schnell wie beim Katzenficken, verdammte Scheiße!“

Mal abgesehen davon, dass ich „Wanderheuschrecken“ weder hauchte noch schrie, stellte ich mir drei Fragen: Erstens, Kaportzke sprach vom Zernagen. Nagen Wanderheuschrecken? Ist es nicht eher ein Abfressen, wie das Abfressen von beispielsweise Weizenhalmen? Zweitens, wie viele Aufträge mögen unter einer Panzerung Platz finden? Nehmen wir beispielsweise einmal Kreisches angeblichen Panzer, der, kaum sichtbar, längst das Weite in seinem Knochengerüst gesucht und gefunden haben musste. Folglich konnte seine dürre Gestalt wenig Raum für das Sammeln von Aufträgen bieten. Drittens, und das war meine eigentliche geistige Irrfahrt: Katzenficken? Brachte Kaportzke hier nicht ein weiteres Mal etwas aus der Tierwelt durcheinander? Ich hatte vorher nie, nach dieser obskuren Veranstaltung allerdings auch nicht, kopulierende Katzen beobachtet, ging aber davon aus, dass Kaportzke von Hasen sprechen musste, vom allseits bekannten wilden Rammler. Ich wusste, wovon ich sprach, hatte mir doch vor Jahren in Berlin eine reichlich korpulente Studentin beim Kopulieren den Vorwurf gemacht, ich würde mich bewegen wie ein durchgeknallter Rammler. Da ich damals dachte, alles richtig gemacht zu haben, bedankte ich mich sogar für diesen Vergleich. Aber Katzenficken? Ich drehte mich kurz zu Kreische und fragte: „Katzenficken?“ „Ja, alles schnell.“ Dabei schlug er mit der Handinnenfläche dreimal ganz schnell gegen die andere Hand, mit der er Daumen und Zeigefinger kreisrund zu einem Loch formte. Ach so. Ach so geht das hier. Keine weiteren Fragen. Doch eine noch, die ich mir, nicht ihm, stellte. Warum sehe ich hier keine einzige Frau? Nicht einmal eine Frau war unter den sicherlich fünfzig Drückern auszumachen. Möglich, dass vor mir mal eine, so wie ich, hier reinschnupperte, nur um schon vor der ersten Kaffeepause von diesem Ort des Irrsinns zu flüchten. Der Irrsinn war nichts anderes als Kaportzkes persönlicher Höllenritt vor seiner Bande von traumatisierten, ausweglosen Vagabunden. Die Maske eines über seinen Schädel gezogenen, feuerspeienden Totenkopfes hätte seinen Auftritt sicher stilistisch einwandfrei abrunden können. Ein kleiner Inszenierungsmakel. Eigentlich schade. Zum wortgewaltigen, krönenden Abschluss streckte sich Kaportzke auf sagenhafte zwei Meter fünfundsiebzig empor, um dann mit weitgeöffneten Armen seine wahre Prophezeiung in den Raum zu speien. „Schon Morgen werdet ihr, wie nie zuvor, mir zeigen, dass ihr die besten katzenfickenden Wanderheuschrecken seid, die diese Firma je gesehen hat. Ihr werdet Aufträge einheimsen, als würde es kein Übermorgen geben. Und Übermorgen werdet ihr euch von den Erfolgen des ersten Tages noch hungriger durch die Stadt fressen, als gäbe es kein Überübermorgen. Und am Abend des dritten und letzten Tages werdet ihr mit Stolz in eure Aktenkoffer blicken, reichlich Beute zählen und unser Raubzug wird bis zum Morgengrauen des vierten Tages in einer Orgie der Überschwänglichkeit gebührend gefeiert. Dankt mir! Dankt mir dafür, dass ich euch dahin bringen werde. Die Stadt gehört nun euch!“

Ahmen, Herr Kaportzke. Dann fing Kaportzke an zu applaudieren und alle anderen äfften ihm nach. Außer Kreische und mir. Als die Meute sich wie vollends Benommene sogar dazu hinreißen ließ, im Stehen weiter sich die Hände wund zu klatschen, verzogen Kreische und ich uns an die Hotelbar. Wir verbrachten geschlagene sechs Stunden dort an der Bar, und immer wieder schnarrte mir Kreische ins Ohr, dass er in den nächsten drei Tagen zwanzig Aufträge machen werde. Ganz sicher zwanzig, wenn nicht sogar fünfundzwanzig oder dreißig, mal sehen. Mal sehen, wie es läuft und wie er drauf sein wird. Kreisches Problem war, wie er mir auch ohne Umschweife erzählte, dass er nur den Vormittag gut durchstehen kann. Am Vormittag wirke der Restalkohol noch, ab Mittag nicht mehr, wie er erklärte. Deshalb muss er mittags immer einen Kiosk oder einen Laden anfahren, um seinen Pegel wieder zu korrigieren, anzupassen, aufzuladen. Tut er es nicht, würden ihm am Nachmittag beim Kundengespräch die Augen zufallen. Ich verstand.

Gegen Mitternacht machten sich Kreische, Kaportzke und ein paar andere auf den Weg in die Lido-Bar. Da mir nicht danach war, Kaportzke und auch nicht Kreische, in Handtüchern um die Lenden gewickelt, durch die Lido-Bar umherwandern zu sehen, blieb ich an der Bar zurück und trank einen letzten irgendwas und dachte an den privaten Kaportzke. Ohne Höllenritt und dem arg vermissten Totenschädel. Er war sicherlich ein treusorgender Familienvater, der mit seinen Kindern im Vorschulalter Bauklotztürme baut und bei den ersten Gehversuchen im Lesen sich nützlich und pädagogisch liebevoll einzubringen weiß. Seine geliebte Gattin verwöhnt er an den Wochenenden mit zärtlichen Liebkosungen und nachts schläft er mit ihr regelmäßig ordentlich, ohne auch nur einen Moment an Katzenfickerei zu denken, oder das ein solch schnelles Kopulieren ihn übermannen könnte. Doch da war noch der andere Kaportzke. Der animalische Sektenführer, die selbst ernannte Oberheuschrecke. Ich war mir sicher, seine Frau hatte keine Ahnung von seinem zweiten Ich. Sollte sie ihn jemals posaunend vor seiner Kolonne erleben dürfen oder müssen, sie würde wohl die Kinder vor ihm wegsperren. Und sich selbst auch. Und was die Lido-Bar angeht – klingt doch eigentlich ganz harmlos nach einer Strandbar in Rimini –, jede Stadt hat eine Lido-Bar, mindestens eine, und Kaportzke kannte bestimmt alle. Doppelleben. Er hatte eines und somit zwei Leben. Hat nicht jeder, kann nicht jeder. Ich hatte ein solches nicht vorzuweisen. Ich überlegte, was das zweite Leben in meinem Fall für eines sein könnte. Tagsüber ein Nichts, nachts ein Doppelnichts? Tagsüber Bier, nachts Rotwein? Meine Kreativität ließ weiter nach und ich verzog mich auf Zimmer 102. Dann ging ich die Treppe hoch zu Zimmer 201. Mein Zimmer war 201. Ein kleiner Fall von Doppelleben, Ronny?

Am nächsten Morgen im Frühstücksraum, inmitten vieler aus der Kolonne, war die Welt wie ausgetauscht, wie eine ganz andere. Sämtliche Kolonnenmitglieder verhielten sich so, als wären sie dem Tode nahe, und egal, zu welchem Tisch ich meinen Blick schweifen ließ, von fressenden Wanderheuschrecken waren diese ausgelaugten Gestalten so immens weit entfernt, dass ich mir kaum vorstellen konnte, nur einer dieser tauben Tröpfe könne einen einzigen Auftrag an Land ziehen. Einige waren derart zittrig, dass sie nicht einmal ihr Frühstücksei vernünftig köpfen konnten. Einer schlug dreimal daneben, um dann schließlich aufzugeben und das Ei beiseitezuschieben. Der Einzige, der gut bei der Sache war, war Kreische. Der Restalkohol durchspülte in bester Stunde zur Frühstückszeit Kreisches Körper und Geist mit einer ungestümen Wildheit, die ihn pausenlos in unüberhörbare Selbstgespräche verstrickte. Mal waren seine Gedanken und Auswürfe in der Lido-Bar, mal schleuderte er seine persönliche Meinung über Kaportzke durch den Raum, was er lieber sein gelassen hätte, denn während seiner Arien nahm Kaportzke direkt am Tisch hinter uns Platz. Natürlich bekam er alles mit, wie alle im Umkreis von zehn Metern, doch Kaportzke ließ sich nichts anmerken und blieb ruhig. So ist das eben, wenn das Gehirn, wie in dieser Situation bei Kreische, nicht in Gehirnflüssigkeit, sondern noch in Rum schwimmt. Die meisten waren entweder an seinen unüberlegten Beschimpfungen längst gewöhnt oder zu stark mitgenommen, oder beides. Sie waren damit beschäftigt ihre Köpfe aufrechtzuhalten und nicht auf die geschmierten Marmeladenbrötchenhälften fallen zu lassen. Ich war gespannt auf den Tag, auf meine praktische Übung. Auf das Mitfahren bei einem der Wanderheuschrecken.

Als ich den Raum verlassen wollte und Kaportzkes Tisch streifte, griff er kurz zu. Er zog mich ganz nah fest an sich ran, sicherlich war sein Handgriff auch seinem Restalkohol geschuldet, und ich roch, dass er in der Früh wohl in Rasier- oder Toilettenwasser gebadet haben musste. Kaportzke roch, als wäre er sprungbereit für einen neuerlichen Besuch in der Lido-Bar.

„Luschke, du brauchst noch einen, bei dem du mitfahren kannst. Ich such dir einen aus, warte …“ Kaportzke ging ein paar Tische weiter zu einem Typen, der mir bisher nicht sonderlich auffiel. Ich konnte sehen, wie er mit ihm sprach und mit dem Finger auf mich zeigte. Dann kam er zu mir zurück.

„Du fährst mit Manfred mit. Luschke, hat dir einer schon mal gesagt, was rauskommt, wenn man Luschke ohne - K - ausspricht?“

„Nein, keine Ahnung Herr Kaportzke.“

„Na, Luschke, ist doch nicht schwierig, na, was ist es dann, na?“

„Ich habe keine Ahnung Herr Kaportzke, wirklich nicht.“ Dann wurde er richtig laut, damit es auch jeder im Frühstücksraum hören konnte.

„Mensch Luschke, Luschke ohne - K - ist Lusche! Komm, ist doch nur ein kleiner Spaß unter uns.“

„Ja, Herr Kaportzke, ein ausgesprochen guter Spaß, danke sehr.“ Einige der Heuschrecken lachten herzhaft, halt ein typisches Witzchen vom Chef.

„Und auch wichtig Luschke, bei den Kunden sind Sie einer vom Innendienst, sagen wir mal aus dem Controlling, der nur mal so mitfährt, um zu erleben, wie es draußen an der Front ist, klar?“

„Klar, Herr Kaportzke, Controlling, natürlich.“

Auf dem Hotelparkplatz wartete Manfred bereits auf mich. Er war dabei, sein Verdeck nach hinten umzuklappen, die Sonne schien, es war morgens schon warm und dem Manfred war nach offen fahren. Ich war mir nicht sicher, dachte jedoch, Manfreds erster Fehler war, mit einem offenen, tiefergelegten, breiten Wagen, Spoiler hier und dort, auf Kundenfang gehen zu wollen. Manfreds zweiter Fehler war seine Sonnenbrille. Keine für die Augen, eine für die komplette obere Kopfhälfte. Es war ihm sofort anzusehen, wie wenig stilsicher Manfred im Umgang mit Sonnenbrillen war. Die dritte Merkwürdigkeit, die ich an ihm erkannte war seine Krawatte. Eine dünne, ungemein lange rote Lederkrawatte, die in Manfreds kauernder Position hinter dem Lenkrad, sogar soweit hinab reichte, dass sie beulenartig über dem Reißverschluss seiner ebenfalls roten Stoffhose lag. Seine Krawatte verstand es, sich auf seiner Hose fast unsichtbar zu machen. Wie der Kopf einer roten Natter lag die Krawattenspitze über seinem Hosenschlitz, so als ob sie sich ihren Weg ins Innere suchen wollte. Ich war mir nicht sicher, ob diese Art Krawatte nun der letzte Schrei zwischen Paderborn und Bielefeld war oder einfach nur auf eine Fehlleitung des Trägers zurückzuführen war. Letztlich war es sein persönliches, sehr eigenes Entree. Ich hoffte nur, dass er wusste was er tat, doch er wusste es nicht. Er war sich die Wirkung seines belämmerten Auftritts überhaupt nicht im Klaren. Sein Ausdruck war streng und zugleich dumm und ich dachte, für manche sicherlich auch stark angsteinflößend. Wenn er wenigstens gegrinst hätte, als er mich durch seine Skibrille anschaute, dann hätte ich den Spaß verstanden, doch Manfred blieb währenddessen totsterbensernst. Er meinte es so und war sich sicher, alles richtig zu machen. Für mich wirkte es alles in allem ziemlich billig, doch Manfred kommentierte seinen Aufzug nur mit: „Wegen der Seriosität.“

Acht Stunden später war mir klar, dies war längst nicht die einzig unpassende Auffälligkeit von Manfred. Rückblendend betrachtet war dieser Tag mit den schrägsten Erlebnissen gespickt, die ich in meinem Leben durchstehen musste. Bevor wir losgurkten, übergab mir Manfred eine kleine Hartplastikbox, in der sich fünfzig Kärtchen befanden. Auf jedem Kärtchen waren ein Name, eine Adresse sowie eine Uhrzeit niedergeschrieben. Name, Adresse und Uhrzeit ergaben zusammen einen Termin. Wir fuhren folglich nicht einfach so ins Blaue an irgendwelche Mietsblöcke heran, wir hatten feste Termine, die der Innendienst vorher für die Wanderheuschrecken vereinbarte. Wir wurden also erwartet. Irgendjemand wartete auf uns. Herr Gott, wenn die wüssten!

An der ersten Ampel fragte ich Manfred, was es mit dem immer wiederkehrenden Song aus dem Kassettenrecorder auf sich habe. Bis zu diesem Zeitpunkt hörte ich dreimal „Eye of the Tiger“. Rocky lies grüßen. Manfred antwortete mir kurz und bündig: „Um mich auf Touren zu bringen.“ Ansonsten blieb Manfred ausgesprochen stumm und ich hatte meine Mühe zu erkennen, dass der Song, so oft er auch gedudelt wurde, irgendeine Reaktion bei ihm hervorrief, geschweige denn ihn auf irgendwelche Touren brachte. Die Wirkung von „Eye of the Tiger“ musste von sehr subtiler Art bei ihm gewesen sein.

Auf dem Rücksitz lag sein Aktenkoffer. Mir war längst klar, dass ich mich mit Fragen über Wasser halten musste, ansonsten wären wir stumm wie zwei Auftragskiller durch die Stadt gefahren. Auf meine zweite Frage hin, ob ich mir einmal den Katalog anschauen dürfe, griff Manfred während eines Gangwechsels mit der rechten Hand hinter seinen Sitz und schleuderte seinen Aktenkoffer zu uns nach vorn, wobei zuerst mein Hinterkopf, im weiteren Flug das scharfkantige Teil fast noch „Eye of the Tiger“ im Kassettenschacht traf. Der Song hatte offensichtlich mehr in Manfred ausgelöst, als mir lieb war, nur irgendwie sehr abrupt, wie eine große Eruption aus dem Nichts. Sein Koffer lag auf meinem Schoß und Manfred – nicht etwa ich – öffnete ihn, klappte ihn nach vorn, und kramte in seinen Unterlagen rum. Hin und wieder blickte er über das Armaturenbrett, kurze Gegenlenkmanöver, alles in allem blieben wir jedoch stets in unserer Fahrspur. Da Manfred nicht zu seiner Zufriedenheit alles fand, wonach er kramte, beugte er sich an der nächsten Ampel erneut tief mit dem Kopf in seinen Koffer hinein. Nur was ich wusste, war der, rechts neben mir stehenden, älteren Dame im Kleinwagen keineswegs klar. Als sie bemerkte, wie sich Manfreds Kopf aus meinem Schoss in ihr Blickfeld schob, wechselte ihr anfänglich freundlicher Blick in einen sehr irritierten. Natürlich, für sie war es sonniger Oralverkehr während eine Rotlichtphase, ich hätte es an ihrer Stelle auch gedacht, es sah schon danach aus. Manfred wurde schließlich fündig, wedelte mit dem Hausprospekt in der warmen Morgenluft, nach dem ich griff, als Manfred seine Doppelauspuffanlage wieder übermäßig losdröhnen ließ.

Guru Kaportzke sprach am Vortag an die Heuschrecken kein Wort über das, was die Kolonne den Leuten anzudrehen hatte. Natürlich nicht, jeder wusste Bescheid und wie ich Kaportzke verstand, war ihm das Produkt sowieso vollkommen egal. Am Abend zuvor, als Kaportzke und ich zu unserem Zweiergespräch in der Lobby zusammensaßen, erzählte er mir die Geschichte von einem neuartigen Lexikon, verpackt und hineinverschlüsselt auf eine kleine Diskette, welche sich die Leute in ihre Computer stecken können. Kaportzke sprach von etwas revolutionärem, etwas, was die Welt vorher noch nie zu Gesicht bekam. Niemand braucht mehr ein zwei Meter großes Bücherregal, um von A bis Z alles unterzubringen, nur diese kleine Scheibe war der Schlüssel zur Allgemeinbildung von Menschen, die etwas auf Allgemeinbildung setzen. Während er das sagte, drehte er die kleine, bei Licht in Regenbogenfarben schimmernde Scheibe im mittigen Loch immer wieder um den Zeigefinger, sowie man es mit einem hölzernen Spielzeug machen würde.

Meine kleine Ausfahrt fand am 09. Mai 1992 statt und an diesem Tag, wie auch an den Tagen zuvor und danach, wusste ich nicht allzu viel von Computern. Was ich wusste, war, die NASA hatte einen, auch der israelische Geheimdienst, mein ehemaliger Professor an der Uni, der mich durchrasseln ließ, und einen sah ich mal in einem Kopiershop in Berlin. Ein Mitstudent aus Berliner Zeiten sagte mir kurz vor meinem Verlassen der Stadt, schon in zehn Jahren werden die Computer über die Menschen herrschen, hörst du Ronny? Ich hörte und pulte mir unterdessen in dem Lokal, in dem wir saßen, den Strandsand vom Wannsee aus den Zehenzwischenräumen. Sollten die Computer tatsächlich – und nun waren es nur noch acht, nicht mehr zehn Jahre – die Herrschaft des Planeten Erde an sich reißen, würden sie bestimmt Gehirnwäschen mäßig oder sensorimplantierend mit Manfred beginnen. Sozusagen als ersten Testlauf, nur um zu schauen, ob, angefangen bei einem einfachen Exemplar unserer Spezies, alles glatt läuft.

Ich blätterte während der weiteren Fahrt durch den Prospekt und versuchte krampfhaft den pädagogisch wertvollen Beitrag des Produktes, speziell gemünzt für Familien, deren Kinder und Kindeskinder, mit dem neben mir fahrenden Manfred in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Die Frage, die letzten Endes vollkommen unbeantwortet blieb: Warum ausgerechnet Manfred? War er tatsächlich derjenige, der auserkoren war, das Gut der Allgemeinbildung derer dort draußen, mit pädagogischem Feingefühl und strotzend vor Wissen, auf ein neues Niveau zu bugsieren? Warum sitzt kein Lehrerehepaar hinter dem Steuer, was ich für um einiges angebrachter hielt. Die jedoch größten Probleme hatte ich damit, mir Kreisches geistigen Zugang zu diesem, sagen wir mal, Bildungsprodukt vorzustellen. Doch vielleicht lag ich auch komplett falsch und Manfred würde sich schon während unseres ersten Besuchs als wandelndes Lexikon entpuppen, fernab jeglicher persönlicher Geldgier und stets um das Wohl eines jeden Käufers besorgt. Doch warum sollte er sich so entwickeln, war Manfred doch einer von Kaportzkes Drückern und ich hörte Kaportzkes Worte nur zu oft in meinem Ohr.

Zirka fünf Minuten später forderte Manfred mich auf, die erste Karte laut vorzulesen, was ich auch tat. Wir standen bereits vor einem Häuserblock, nur zweistöckig, dafür aber ganz massiv in die Länge gebaut, dieses Mietshaus.

„Rita Perlheimer, Adresse …na wir stehen ja schon hier, wir haben´s ja gefunden.“

„Alles laut vorlesen, Luschke!“

„Okay, Manfred, Rita Perlheimer, Leipziger Straße 45, … und hier steht noch, Großmutter, Witwe und alleinstehend, eine Tochter und zwei Enkelkinder.“

Es gab einen kurzen Moment der Stille im Wagen, sicher war es eine Denkpause Manfreds, gefolgt von einer Bestätigung seinerseits: „Verstanden!“ Er sprach das „Verstanden“ so aus, als hätte er eine überlebenswichtige Information erhalten. „Manfred, wir möchten, dass du das zweite Triebwerk erst nach Wiedereintritt in die Atmosphäre zündest.“ „Verstanden!“ Wahrscheinlich war seine Denkpause überhaupt keine Denkpause, er tat nur so, um mir das Gefühl zu geben, er würde sich über die Informationen von Frau Perlheimer Gedanken machen. Was sagte noch Kaportzke? Sollten nicht alle Drücker einen Scheiß auf diejenigen geben, die wir zu besuchen hatten? Nachdem ich mich aus dem tiefkauernden Cabriolet herausgezogen hatte und einen Moment am Wagen stand, zog Manfred ausgesprochen beeindruckend mit nur einem Arm, einen langen Bogen machend, das Verdeck zu. Ich war erstaunt der kleinen Vorführung, was ihm nicht entging und dazu veranlasste, die ganze, auch wenn kurze Präsentation, nochmals für mich zu zelebrieren. Mein Gott, wenn die Computer wüssten, auf wen sie sich hier als Testobjekt einlassen würden.

Ich fragte Manfred, ob ich an der Tür läuten darf. Ich durfte. Die vielen Sekunden, die vergingen, bis sich Ritas Tür öffnete, verbrachte ich damit zu verstehen, warum der Typ neben mir seine Skibrille nicht absetzen wollte. Wäre ich an Frau Perlheimers Stelle gewesen, ich hätte beim ersten Blick auf Manfred auf dem Hacken kehrtgemacht, die schwere Schublade der Wäschekommode aufgeschoben, den geladenen Trommelrevolver herausgenommen, zurück zur Tür gegangen, die Waffe in Richtung Skibrille gehalten und nur gesagt: „Sie verschwinden sofort!“

Die Haustür öffnete sich und Rita Perlheimer lächelte uns an. Ich lächelte zurück, legte freundlich meinen Kopf etwas zur Seite und reichte ihr zur Begrüßung meine Hand in die offene Tür hinein. Fehlende Abstimmung zwischen Manfred und mir führte nun dazu, dass er, noch immer wie eine Gestalt aus einer fremden Galaxie hinter seiner verspiegelten, großflächigen Fassade versteckt, einen Schritt nach vorn machte, sich die in meiner Hand sanft schlummernden Hand von Frau Perlheimer griff und ein paarmal an dieser zog und schüttelte. Er tat es so unhöflich und rüde, als wollte er von Beginn an uns, der guten Frau Perlheimer und mir, demonstrieren, wer hier der Platzhirsch in unserem Trio ist. „Frau Perlheimer, wir sind ihr Termin, lassen Sie uns beginnen.“ Stimmlage und Emotionslosigkeit erinnerten mich nun an einen dieser Spezialagenten, die unangemeldet vor deiner Haustür stehen, weil du eine merkwürdige Erscheinung am Himmel gesehen hast. Nur in einer derartigen Situation hätte sein Aufzug mit der Skibrille Sinn gemacht, die sich hinter Frau Perlheimer in der gläsernen Flurtür spiegelte. Er wäre um einiges glaubwürdiger gewesen, hätte er unseren Termin entweder als Auftakt einer feindlichen Übernahme durch eine fremde Lebensform angekündigt, oder andersrum, uns als genau eine solche Spezialeinheit vorgestellt, die auf der Suche nach fremden Lebensformen war. Doch so wirkte sein Spiegelbild nur absurd und tatsächlich beängstigend zugleich. Und in dieser Kleinstadt war Frau Perlheimer an diesem Morgen die erste auf unserer Tour, die leider dran war. Erst als Manfred nach Betreten ihrer Wohnung merkte, dass dort die Sonne nicht ganz so geißelnd schien wie draußen auf den Straßen, reagierte er und schob sich sein Monstrum aus dem Gesicht. Einige Male blinzelte er mit den Augen kräftig durch, musste sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen, verständlich, sah er doch die Welt an diesem Morgen bisher in einem anderen Licht.

Frau Perlheimer war eine überaus freundliche, zuvorkommende und adrette Person, ich tippte auf zwischen siebzig und achtzig Jahren, weißhaarig und großzügig gelockt, dazu dezent geschminkt und im modernen blauen Hosenanzug wippte sie voran in ihre Wohnstube. Sie war nicht eine von diesen älteren Damen, die in Kittelschürze und Wollsocken mit einem Schrubber bewaffnet vor einem stehen. Ihre Ausdrucksweise war galant, höflich und aus bestem Hause: „Mögen die Herren etwas trinken? Ein wenig Wasser, Kaffee oder einen Schluck Limonade?“ Manfred winkte mit den Worten „…nee, lassen Sie mal, sind für Geschäfte hier …“ ab. Ich bestellte Kaffee, worauf Frau Perlheimer kurz in die Küche ging, sich eine Thermoskanne mit heißem frischen griff, welchen wir beide anschließend mit etwas Trockengebäck und freundlich zugewandten Blicken genossen. Unterdessen schob Manfred seinen Aktenkoffer auf dem Esstisch in die richtige Position, ließ die Verschlüsse aufspringen und holte all die wichtigen Dinge hervor, die er benötigte, um Frau Perlheimer so richtig über den Tisch ziehen zu können. Sodann begann sein Verhör.

„Frau Perlheimer, wie wir wissen, haben Sie zwei Enkel und es gibt für Sie bestimmt nichts Wichtigeres, als das diese Kinder, ich sage mal, allgemeinbildungsmäßig nicht hinten runter rutschen sollten, und genau dafür haben wir das passende … Teil … Instrument … Ding. Ein vollkommen neues Lexikon hier auf dieser kleinen Scheibe, da ist alles drauf, da können die Kleinen ganz schnell alles finden und sind ganz schnell nicht mehr die Deppen in der Schule.“ Er ließ nun vor unseren erstaunten Augen die kleine Diskette in seinen Fingern kreisen, so, wie er es von Kaportzke gelernt hatte. Er zelebrierte es noch besser, wie ein Zauberkünstler, der im nächsten Moment ein kleines Küchentuch darüberlegen würde, um dann Schwupps und von Manfreds magischer Hand, das Teil verschwinden zu lassen.

„Nun mein Herr, ganz so ist es nicht. Meine Enkel sind keineswegs die, wie sie es ausdrücken, Deppen in der Schule. Sie besitzen durchaus eine gute Allgemeinbildung. Es wäre schön, wenn Sie von solchen Unterstellungen Abstand nehmen würden. Für mich stellt sich die Frage, was ihre kleine Scheibe denn zusätzlich an Möglichkeiten bieten würde, um, wie sie richtigerweise sagen, schnell an Antworten auf Fragen sämtlicher Themen auf dieser Welt zu kommen. Ich nenne es mal einen Wissenstransfer schnell und unkompliziert gemacht. Sehe ich das richtig?“

Während ihrer präzisen Ausführungen bekam Frau Perlheimer von mir immerzu ein zustimmendes Kopfnicken und damit war für sie und mich bereits klar, auf welche Seite ich mich schon nach den ersten Minuten geschlagen hatte. Manfred haderte mit ihren Kommentaren und sein Nicken, gepaart mit beginnendem leichten Zucken seiner Oberlippe, sprach eine ganz andere Sprache: Wenn die mir so kommen will, dann kann sie es haben!

„Ja, Frau Perlheimer, schnell an Wissen rankommen, darum geht`s hier. Die Diskette wird nur schnell in den Computer geschoben und los geht’s. T wie Tierversuche, nur eingeben und schon kommt´s raus, K wie krumme Dinger drehen genauso, und so weiter. Klasse, ne? Ich an ihrer Stelle würde nicht lang fackeln und gleich unter-schreiben, das Ding geht nämlich weg wie warme Semmeln, nicht mehr viel da, also wenn nicht jetzt, dann kann es schon zu spät sein.“

Wir waren erst zehn Minuten zusammen und ich dachte mir: Läuft hier etwas nur schief oder doch total verkehrt? Wie kann der Kerl nur so ungelenk versuchen der Frau Perlheimer beizukommen? Er war ihr haushoch geistig unterlegen, was ihn aber nur weiter anspornte, sie auf billigste Art und Weise zu bearbeiten.

„Frau Perlheimer, wollen Sie allen Ernstes, dass ihre Enkel aufgrund mangelnder Allgemeinbildung für immer durch den Rost fallen und als Obdachlose enden? Als Bettler? Nur weil Sie heut und hier nicht den Vertrag unterschrieben haben? Ich glaub es nicht, was ist hier denn los?“

Manfred hatte nun gänzlich die Kontrolle über sein Rest-Hirn verloren, ganz eindeutig. Frau Perlheimer saß mit offenem Mund da und rang um Fassung und ich überlegte, einzuschreiten oder auch nicht. Ich tat es nicht. Ich wollte sehen wie es weitergehen, wie es richtig zu eskalieren beginnen würde. Letzten Endes könnten Frau Perlheimer und ich ihm immer noch eine Porzellanschüssel über den Kopf ziehen, sozusagen als unsere letzte Rettung.

„Sie entschuldigen mich bitte, meine Herren!“ Frau Perlheimer verließ das Wohnzimmer. Kopfschüttelnd und wankend vor Entsetzung. Von ihrem wippenden Gang war nichts mehr zu sehen. Ich dachte an 110 und Manfred sagte, als sie aus unserem Blickfeld entschwand, dass sie echt einen an der Waffel haben muss. Es war mir ein Rätsel, wie dieser Typ bisher überhaupt an Aufträge rankam. Aber es gab sie, also hatte er des Öfteren einfaches Spiel mit seinen kleinen, dämlichen Überrumpelungen gehabt. Nach Momenten des gemeinsamen Anschweigens am Tisch, kam Frau Perlheimer zurück zu uns und Manfred baute sich auf. Er zog sich an der Tischkante hoch und ging in eine neuerliche Angriffsposition.

„Und nun sage ich Ihnen was, Frau …, Frau …, ich gebe Ihnen bei sofortiger Unterschrift zehn Prozent Rabatt auf die Diskette, das ist ne ganze Menge, mach ich sonst ganz selten, nein, eigentlich nie, aber dafür schreiben Sie mir jetzt schön ihren Namen hier über diesen Strich.“

Frau Perlheimer, kaum dass sie saß, stand wieder auf und verschwand erneut. Dieses Mal war ich mir sicher, sie würde telefonieren, einen Hilferuf absetzen, ihren Schwiegersohn im Büro anrufen, oder tatsächlich die 110. Manfred hatte es komplett versaut. „Luschke, ich gebe der sogar fünfzehn Prozent! Mann, wenn´s hart wird, dann sogar zwanzig! Du wirst sehen, wenn sie zurückkommt, gibt´s eine letzte Massage und dann unterschreibt sie.“

Ich konnte diesem massivem Idioten des ausgehenden 20sten Jahrhunderts nicht mehr reden hören, verließ ebenfalls den Raum und ließ Manfred einfach allein am Tisch zurück. Ich stand einen Moment im Flur vor der Badezimmertür, da hörte ich genau von dort Geräusche, auch die Klospülung vernahm ich, vielleicht musste sie sich schon übergeben. Frau Perlheimer. Wer sonst. Ich zog einen Stift und ein Blatt Papier aus meinem Jackett und begann zu schreiben. Ich schrieb: „Frau Perlheimer, ich bin´s, unterschreiben Sie diesem Kerl bloß nichts!“

Ich schob den Zettel unter der Tür ins Badezimmer durch. Und wartete. Ich riskierte einen kleinen Blick, am Wandvorsprung vorbei, hinüber zum Esstisch, doch Manfred drehte nur gelangweilt an seiner schimmernden Scheibe. Gut so. Dann sah ich, wie der Zettel unter der Tür wieder zurückkam. Darauf stand: „Sind Sie der Nette, der mit mir Kaffee trank?“ Ich schrieb: „Ja das bin ich! Sie haben was zum Schreiben im Badezimmer?“ Und retour zu Frau Perlheimer und etwas später wieder zurück zu mir. „Ich schreibe doch mit meinem Kajalstift! Ich werde natürlich nichts unterschreiben, nicht bei diesem ungehobelten Kerl!“ Unsere stille Postkommunikation nahm ihren Lauf und kam in Fahrt. „Gut so! Was machen wir jetzt? Schreiben Sie auf der Rückseite bitte weiter. Und betätigen Sie bitte noch einmal die Spülung, nur zur Sicherheit!“ Frau Perlheimer spülte kräftig durch, was aber auch den Nachteil hatte, dass ich Manfred nicht mehr hörte. Er hätte sich womöglich auf leisen Sohlen annähern können. Sei auf der Hut Ronny, und komm zu Potte, verdammt. Der Zettel kam zurück. Auf der Rückseite stand: „Gehen Sie in die Küche, nehmen Sie den Besenstiel und erschlagen Sie bitte den Kerl, nein, nur Spaß, sagen Sie ihm, mir ist schlecht geworden, was ja auch stimmt, und verschwinden Sie beide dann bitte. Ich bleibe hier drin!“ Meine letzte Antwort war – es gab kaum noch Platz auf dem Stück Papier –: „So machen wir das, machen Sie es gut Frau Perlheimer.“

Ich ging zurück zu Manfred, der mittlerweile nervös um den Esstisch kreiste.

„Mann, wo bist du denn gewesen und wo in aller Welt ist diese Frau? Ich brauch meinen ersten Auftrag. Jetzt! Hier!“

„Manfred, das wird wohl nichts, der Frau Perlheimer geht es schlecht, sie ist im Badezimmer und hat sich wohl auch schon übergeben, was Schlechtes gegessen vermutlich. Konnte es auf dem Weg zur Gästetoilette hören.“

„Scheiße Mann, der Tag geht nicht gut los, las uns abhauen, nicht das die Oma uns noch dafür noch verantwortlich macht, dass sie kotzen muss.“

Als wir am Badezimmer vorbei zur Haustür gingen, rief ich noch ein „Alles Gute Frau Perlheimer“ gegen die Tür, hinter der sie möglicherweise schon ihren Kajalstift für seinen eigentlichen Zweck nutzte und sich die Augen machte.

Auf der Fahrt zum nächsten Kunden sprachen Manfred und ich zum ersten Mal übers Geschäft. Über sein Geschäft. Er war merklich in Rage, auch äußerst nervös und vergaß sogar sein Verdeck zu öffnen und sich seine Skibrille aufzusetzen.

„Luschke, ich brauch ab jetzt verdammt noch mal Aufträge, so was darf uns heute nicht noch mal passieren. Aber denk dran, du hast die Fresse zu halten, klar? Kaportzke dreht mir den Hals um, wenn ich nichts an Land ziehe, kapiert?“

„Alles kapiert und ich halte schön meine Fresse, kein Problem.“

„Mann Luschke, das ist hier reines Rein-Raus-Geschäft. Rein, Auftrag, raus, so muss die Chose laufen, für alles andere haben wir keine Zeit. Du kennst doch Rein-Raus, oder?“

„Natürlich Manfred, wie du schon sagt: Rein-Raus.“

Soweit zum geschäftlichen Teil unserer Unterhaltung. Wie ich im Laufe des Tages feststellen durfte, gab es eine gewisse kleine mathematische Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, wie viel Besuche nötig waren, um einen Auftrag zu bekommen, rein theoretisch wohlgemerkt. Das war allerdings noch nicht alles. Erschwerend war, dass auf einen tatsächlichen Besuch, immer zwei bis drei folgten, die gar keine waren. Wir standen vor verschlossenen Türen und die Leute ließen einfach den Termin platzen. Manfred wusste dies, ein Umstand, der ihm mehr und mehr zusetzte. Der Druck auf Manfred wurde mit jeder Stunde immer größer, mit der logischen Folge, dass seine Nervosität ins Unermessliche zu steigen schien. Nur, auf der anderen Seite, schon nach unserem ersten Besuch bei Frau Perlheimer hatte ich ausgesprochen großes Verständnis dafür, wenn die Leute vor uns Reißaus nahmen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Sie hatten sicherlich eine Vorahnung, dass nicht irgendwer, sondern eine schräge, einfach gestrickte Wanderheuschrecke zusammen mit einem gewissen Ronny Luschke als stumme Begleitperson, vor ihren Türen aufkreuzen würden, um sodann zum Schlüsselbund zu hechten und so schnell es ging aus ihren Wohnungen zu laufen.

Auf der vierten Karte – die Personen hinter den Karten Nummer zwei und drei waren ausgeflogen – las ich: „Frau Judith Krämer, Mitte Dreißig, Mutter von zwei Kindern“. Vermutlich hatte sich die Judith gesagt, lieber warte ich den ganzen Morgen im Auto vor dem Kindergarten, als dass ich mich mit diesem Typen an einen Tisch setze. Mit diesem vierten Kärtchen hatten wir wieder Glück, wobei sich unser Glück nur auf die Anwesenheit von Judith Krämer bezog. Judith war von attraktiver, schlanker Gestalt mit herbem Kurzhaarschnitt und hatte einen cleveren Trick, uns während unserer Besuchszeit bei ihr zu umgehen. Judith Krämer ließ uns geschickt ins Leere laufen. Sie kochte und sie tat dies unentwegt. Während wir am Küchentisch saßen und Manfred ständig versuchte, mit ihrem Hinterkopf Kontakt aufzunehmen, fuchtelte sie mit den Töpfen und Pfannen hin und her, dass einem schwindelig wurde. Als ich dachte, das Gericht wäre fertig zubereitet, kochte sie einfach weiter. Etwas Neues. Jetzt sollte gedünsteter Fisch mit gedünstetem Gemüse folgen. Und wenn uns das nicht in die Knie zwingen würde, käme noch ein Wackel-Pudding mit Vanillesoße hinterher. Alles nur, um geschickt ihr Desinteresse und uns dabei ihr Hinterteil zu zeigen.

Ihre Taktik ging vollends auf. Als sie begann den Brokkoli zu putzen, drehte sie sich kurz zu uns um und fragte mit einem Augenaufschlag, der mir wunderbar gespielte Naivität zeigte: „Was haben Sie gesagt? Ich glaube, ich habe kaum etwas mitbekommen, von dem, was Sie erzählten. Also, was wollen Sie?“ Manfred blickte kurz zu mir rüber: „Komm Luschke, las uns hier abhauen, hier läuft nichts.“ Wir hatten Judith eine geschlagene halbe Stunde bei ihrer Koch-Show zugesehen, was bitte schön hätte da laufen sollen? Hatte Manfred noch auf eine Stripshow gewartet? Er hatte sich abblitzen lassen, hatte Judith nichts entgegenzusetzen, sammelte letztendlich seine kleinen Scheiben, leere Auftragsformulare und bunte Prospekte vom Tisch wieder ein und stampfte mit abfälligen Bemerkungen aus der Wohnung. Ich hinterher, nicht ohne noch ein Kompliment für Judiths Kochkünste zu hinterlassen.

Es wurde Mittag und ich hungrig. Manfred durstig. Wir fuhren einen Schnellimbiss an, verdrückten ein paar Currywürste im Stehen und Manfred orderte danach für sich noch ein Bier. Ein Bier sollte ihn runterbringen, dachte und hoffte ich. Im Auto kramte er dann nach Kaugummi, fand nichts und so stieg er wieder aus und ging zurück zum Imbiss. Was er für sich mitbrachte, waren, neben Kaugummistreifen, eine Dose Cola und zwei kleine Fläschchen Wodka. Das Kaugummi schmiss er in das Handschuhfach. Er nahm ein paar Schlucke aus der Cola-Dose und füllte sie dann mit Wodka auf. Er trank wieder dreimal kräftig, füllte wieder nach und atmete tief mehrmals durch. Wie ein komplett Erschöpfter. Wie eine erschöpfte Wanderheuschrecke, die ermattet am Wegesrand den anderen Heuschrecken nur noch nachschauen kann.

„Okay, Luschke, der Nachmittag wird´s rausreißen, jetzt gebe ich alles!“

„Nur Manfred, wenn meine Berechnungen stimmen, wären jetzt wieder mindestens zwei Leerfahrten dran, was ich natürlich nicht hoffe. Ganz im Gegenteil, auch ich wünsche mir nichts mehr, als ein paar Aufträge auf unserer Nachmittagstour.“

Die Heuschrecken mussten ganz nebenbei für Kaportzke immer auch ein Tagesprotokoll schreiben. Während wir noch vor dem Imbiss parkten, begann Manfred zu schreiben. Ein Schluck Cola-Wodka, ein Blick in den Himmel, dann eine Notiz. Hinter jedem Namen unserer Tagestour musste etwas stehen und Manfred schrieb hinter jedem einen ganz speziellen Kommentar: „Bin nah dran“, auch dort, wo wir niemanden antrafen. Ich hatte meine Zweifel, ob ein Kaportzke sich mit einem lapidaren „Bin nah dran“ zufriedengeben würde, aber das war nicht mein Bier. Manfreds Bier. Bei Betrachtung unseres bisherigen Besuchsrhythmus waren gemäß der mathematischen Gesetzmäßigkeiten also wieder Leerfahrten dran. Ausflüge ins Nichts. Um Manfred jedoch nicht noch tiefer in einen Strudel endloser Demotivation zu ziehen, behielt ich meine kleine rechnerische Abfolge von Erfolg und Misserfolg für mich. Nur den Fuß in eine fremde Wohnung zu setzen, wertete ich ab diesem Moment bereits als einen großen Bim-Bam. Erfolg auf ganzer Linie, immer gezuckert mit einem „Bin nah dran“, so fest niedergeschrieben, als ob es wirklich so gewesen wäre. Für Manfred war alles nah dran. Bei jeder Leerfahrt, sogar bei jedem Schluck Cola-Wodka schien er mir nah dran zu sein.

Nach einer weiteren Stunde Fahrt durch die Stadt – das kurze, erfolglose Bimmeln an zwei Haustüren war währenddessen kaum der Rede wert –, hielt ich den Moment für gekommen, dass uns die hohe Mathematik dieses Mal wieder einen echten Besuch bereithalten würde. Doch ich lernte, dass auch die hohe Wahrscheinlichkeitsrechnung mal Fehler machen konnte. Wir mussten zwei weitere Klingelmanöver an Haustüren durchstehen, die wieder im Nichts verendeten. Der Nachmittag ging für Manfred denkbar schlecht los und genauso schlecht weiter. Wir kamen jetzt auf vier Leerfahrten und ich dachte einen kurzen Moment, Manfred würde am Steuer zu Weinen beginnen. „Herr Schlüter, Mitte Sechzig, Großvater“, las ich und was mich verwunderte, auf dem Zettel stand noch der Hinweis „Gehfehler, kann nicht richtig laufen“. Was die Leute doch am Telefon alles über sich erzählen. Oder aber die Anrufer der Firma fragen Dinge wie: „Gibt es bei Ihnen irgendwelche Besonderheiten, die wir wissen sollten?“

Manfred läutete bei Herrn Schlüter im Zehnsekundentakt, ohne das sich was rührte und erklärte mir unterdessen: „Wenn der Mann nicht richtig laufen kann, dauert es halt, bis er sich zur Tür schleppt.“ Dann folgte, er war schon nervlich ziemlich durchgeschüttelt, von ihm echtes Sturmklingeln. Als das nichts half, schlug er gegen die Eingangstür des Wohnblockes. Wie ein Irrer.

„Ich muss mit Herrn Schlüter reden, ich muss von Schlüter einen Auftrag bekommen, jetzt!“, schrie Manfred gegen die geschlossene Eingangstür. Es war ein letztes Aufbäumen, dann legte er seinen Kopf gegen die Tür und war in sich gekehrt. Verstummt im Angesicht der erneuten Niederlage. Er drehte ab und gab auf. Ich fühlte mich dabei ziemlich schlecht, dachte kurz an aufbauende Bemerkungen wie „beim Nächsten reißen wir es wirklich“, doch war ich mir unsicher, wie jemand, der derart massiv auf der Verliererstraße fährt, reagieren könnte. Im Wagen angekommen, schrieb er wieder für alle neuen Fehlversuche: „Bin nah dran!“ Mittlerweile konnte ich „Bin nah dran“ nur noch in „Bin nah dran am Rauswurf“ übersetzen. Auf der nächsten Karte stand: älteres Akademiker-Ehepaar, Töchter, Söhne und mehrere Enkel. Er Hochschulprofessor, sie Grundschullehrerin. Na dann viel Spaß Manfred.

Wir mussten raus aus der Stadt und fuhren in ein Wohngebiet, gespickt mit Einfamilienhäusern in naturnaher Umgebung. Großzügige Villen mit altem, viele Meter hohem Baumbestand. Alles wirkte nach einer willkommenen Abwechslung. Statt Mietskasernen, Villenviertel. Du bist nah dran, Manfred, bist nah dran. Ich sprach zu mir selbst und gönnte ihm von Herzen wenigstens einen Auftrag an diesem Tag. Oder nur wirklich ganz nah dran zu sein. Die Auffahrt war mit Limousinen zugeparkt, und so stellten wir uns in eine kleine Seitenstraße. Noch angeschnallt, zeigte ich kurz direkt auf seine Skibrille und er verstand diesmal sofort. Bevor wir läuteten, strich sich Manfred vor der Haustür mehrere Male über seine dünne rote, schlangenartige Krawatte. Die Tür war eher ein Tor, welches wie ein Halbmond aus tiefdunklem Holz geschnitzt aussah, als würde man sich nach Betreten in einem südländischen Museum wiederfinden.

„Manfred, warte, läute noch nicht! Mach dein Jackett bitte zu!“ Ich war zwar alles andere als eine modische Leuchte, aber die ganz absurden Sachen sah ich schon. Aus seinem Jackett guckte nun unten ein roter Schlangenkopf hervor. “Mach es wieder auf!“

Geöffnet und ihm direkt gegenüber stehend war es noch schlimmer. Um ehrlich zu sein, er sah aus wie jemand, den man problemlos an seiner Schlange durch die Straßen hätte hinterherziehen können, oder sogar müssen. Wir hatten nun fast einen ganzen Tag miteinander verbracht und mittlerweile hatte ich keine Probleme mehr damit gehabt, ihn lange und intensiv einfach zu beäugen. Zum Gelderwerb hätte ich mich mit ihm auch in einer Fußgängerzone vor einem Kaufhaus stellen und die Passanten fragen können: “Wollen Sie mal für eine Mark an der Krawatte von diesem Mann ziehen?“

Doch nun dachte ich an das ältere Akademiker-Ehepaar hinter dem hölzernen Halbmond, der Mann in Pullunder und Golf-Hose, seine Frau in keine Ahnung was, was Schickes halt für den Nachmittagstee. Wäre dies der Fall, Welten würden zwischen uns liegen. Und dies nur optisch.

Ich überließ Manfred das Läuten an der Tür. Es war ein tiefes Ding-Dong mit einem langen Nachhall, der noch immer zu hören war, als sich der hölzerne Halbmond öffnete. Ich blickte mit gesenktem Kopf in das Gesicht einer alten, asiatischen, sehr kleinen und krummen Frau, die uns freundlich hineinbat, um sodann in gebückter Haltung auf filzigen Pantoffeln in das Innere des Hauses voran zu tapsen. Nach Überschreiten der Türschwelle in den Wohnraum, überkam mich das Gefühl, Teil eines Gemäldes zu sein. Mittig im Raum stand ein Paar im gesetzten Alter, kerzengerade und stocksteif und beide waren außergewöhnlich große Menschen. Die anwesenden Herrschaften wirkten so, als ob sie auf dem Sprung ins Theater oder noch bedeutender, sich für einen Empfang im Kreise von irgendwelchen lokalen Politikgrößen herausgeputzt hatten. Der Herr Professor trug einen Frack mit einem dezent blauen, gestülpten Tuch am Hals und ein weiteres guckte spitz aus der oberen Brusttasche hervor. Seiner Gattin fiel vom Hals bis zu den Knien ein Kostüm herab, welches ich wirklich auch als Kostüm wahrnahm und sie steckte in einer pfirsichfarbenen Strumpfhose, alles sozusagen Ton in Ton. In ihren Händen hielt sie eine Tasse Tee oder Kaffee, die eine Hand an der Untertasse, die andere die Obertasse haltend, alles sehr anmutig mit abgespreizten Fingern. Dass die Hausherrin überhaupt lebte, vernahm ich erst, als sie die Tasse galant an ihren Mund führte. Damit war zwar das Stillleben, was sich mir bot, durchbrochen, aber allzu lang hätte ich diese Situation der absoluten Regungslosigkeit auch nicht mehr durchstehen können. Ihrem Gatten fehlte irgendetwas in seiner Gesamterscheinung. Das Bild des Professors war irgendwie nicht vollkommen. Der Künstler des Gemäldes hätte ihm einen Zylinder verpassen müssen, was er jedoch vergaß. Ich trat in Gedanken einen kleinen Moment weg und sah, wie der Herr Professor einen Schritt auf mich zu machte, dabei seinen Zylinder – einen solchen, wie man ihn von Zirkusdirektoren her kennt – zu mir herabschwingen würde, und aus dem Zylinder sah ich ein weißes Kaninchen hervorkrabbeln. Um den plüschigen Hals des rotäugigen Putzig blickte ich auf ein Band, in dem ein Fünfhundert-Mark-Schein eingewickelt war. „Herr Luschke, ein kleines Willkommensgeschenk für Sie, damit Sie morgen ihre Hotelrechnung begleichen können.“ Der Herr Professor machte tatsächlich einen Schritt zu mir und begrüßte mich mit festem Händedruck, nur von seinem Zylinder und dem Kaninchen war weit und breit nichts mehr zu sehen. Was die Realität doch alles anrichten kann.

Der Wohnraum um das Ehepaar herum, hatte von Beginn an eine einzige traumatische Wirkung auf mich. Es war nicht nur die unglaubliche Größe, alles wirkte wie in einem nostalgischen Herrenhaus von Kolonialisten irgendwo in Afrika vor hundert Jahren. Das Mobiliar war aus schwerem tiefdunklem Holz, sämtliche Tür- und Schubladengriffe waren aus poliertem Messing oder Gold, und der Salon – ich stand in nichts anderem als in einem Salon – war mit Antiquitäten, eisern oder hölzern, bis an den Rand des Erträglichen gefüllt. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie an einem solchen Ort, sonntäglich, eine Gruppe von europäischen Farmern zu gutem Whisky zusammenkamen. Einige würden auf der dunkelgrünen, ledrigen Couch und in den Sesseln whiskyglasschwenkend sitzen, andere würden mit einer Hand leicht auf den Rücklehnen gestützt aristokratisch genau dort stehen, wo es bestens ins Bild passen würde. Ich konnte förmlich ihren Gesprächen lauschen.

„Wenn es nicht bald zu regnen beginnt, werde ich dieses Jahr in ernste Schwierigkeiten mit meiner Ernte geraten.“ „Wir hoffen alle, mein lieber Mortimer. Bei mir haben letzte Nacht die Löwen wieder einige meiner Ziegen gerissen.“

Ja ja, die armen Ziegen, ja ja, der wunderschöne Salon, in dem ich stand. Mit einer anmutigen kleinen Handgeste des Hausherrn durften Manfred und ich auf der tiefgrünen Ledergarnitur Platz nehmen. Das ohne Zweifel tonnenschwere Möbelstück war derart hoch, dass ich bei normaler Sitzposition nur mit meinen Zehenspitzen den geölten Holzboden berühren konnte. Die Rollläden waren halb heruntergelassen, aber noch porig offen, sodass viele kleinste Lichtstreifen in den Salon fielen und von den mir gegenübersitzenden Eheleuten, durch viele ihrer Körperstellen, wie gemalt und auf wundersamste Art und Weise gebrochen wurden. Es hätte jemand rauchen sollen, eine stark qualmende Pfeife, alles andere wäre nur ein Frevel an diesem stilvollen Ambiente gewesen.

„Mein Name ist Professor Dr. Gustav Landinger. Meine Frau …“, er öffnete kurz seine Hand in Richtung seiner neben ihm sitzenden Salzsäule, „… und ich begrüßen Sie bei uns zu ihrer Präsentation ihres neuartigen Produktes aus der Bildungsbranche, so wie ich es hoffentlich doch richtig verstanden habe. Mögen Sie Tee? Vielleicht auch ein stilles Wasser?“

Der gute Gustav Landringer wartete nicht nur auf eine Antwort seiner Offerte, sondern auch auf eine Vorstellung unserer kleinen Besuchsdelegation. Ich schaute zu dem neben mir sitzenden Delegationsleiter, der sich bereits in weit vorgebeugter Kampfeshaltung in Position gebracht hatte.

„Neben mir, das ist der Luschke vom Innendienst, will sich mal den harten Verkaufsalltag anschauen.“ Dann lachte er kurz aus sich heraus, da er dachte, einen Knaller gelandet zu haben. Nur, alle Anwesenden, begriffsstutzig oder aus einer anderen Welt, hatten Mühe zu verstehen und zu folgen. Was Frau und Herr Landinger in Perfektion beherrschten, war, in Sekundenschnelle ihre Gesichtszüge von freundlichem Lächeln in verachtungsvoller Ernsthaftigkeit zu wechseln. Und nun folgte der erste Moment an diesem Tag, in dem ich zum ersten Mal während eines Besuches in Manfreds Anwesenheit sprach: „Mein Name ist Ronny Luschke, und ich freue mich, heute erstmalig bei einem Verkaufsgespräch von einem unserer Profis mit dabei sein zu dürfen. Ich übergebe jetzt wieder an unsere Verkaufskanone, die uns durch den weiteren Nachmittag führen wird und werde gespannt zuhören.“

Der Verkaufskanone gefiel ganz und gar nicht, was ich von mir gab. Da ihm passende Worte nicht einfielen, fuchtelte er nur mit seinem Schreiber in der Luft und ließ dann seinen Aktenkoffer aufspringen. Klack. Klack. Ich mochte diesen Sound, Manfred ganz offensichtlich auch, was ich an seinem zufriedenen Gesichtsausdruck sah. Die Show konnte beginnen. „Lady and Gentleman, I proudly present, the best Wanderheuschrecke ever! The unbelievable Manfred! I am sure, you will never forget the upcoming hour!“ Ich hatte nach meiner zirkusreifen Ankündigung im Kopf meine Mühe, mir das Lachen zu verkneifen und rang um gespielte Ernsthaftigkeit. The best Wanderheuschrecke ever übergab beiden jeweils einen Prospekt, doch dem Paar war nicht danach, in einem Prospekt zu blättern. Sie legten fast synchron das dünne Hochglanzpapier zurück auf ihren afrikanischen Holztisch. Der intellektuelle Anspruch der Eheleute Landinger gab sich offenbar weder mit intensivem noch mit flüchtigem Lesen zufrieden, so wie man es beispielsweise mit Postwurfsendungen macht.

Manfred stutzte etwas mürrisch, legte diesen ersten Akt seiner Vorführung unerledigt geistig zurück in seinen Koffer und ging zum zweiten Teil der Prozedur über. Er steckte seinen Zeigefinger in das Loch der kleinen Scheibe, die wunderschön im einfallenden Licht regenbogenfarbig schimmerte, und begann wortlos, jedoch sich einer gewissen dramaturgischen Wirkung dieser Nummer sicher, mit dem Zeigefinger an der Scheibe zu drehen. Mit kindlich staunenden Augen betrachteten die Eheleute Landinger und ein gewisser Ronny Luschke die zaubernden Hände des weltberühmten Zweihandscheibendrehers Manfred und warteten nur darauf, bis sich das runde Etwas wie ein Miniaturraumschiff von seinem Finger lösen würde, um mit reichlich Schwung erst durch den Salon, dann in den Flur, um letztlich – die asiatische Haushälterin wäre bereits zum Halbmond gelaufen und hätte das Tor geöffnet – zurück zum Heimatplaneten zu fliegen. Mein Gott, was für ein Nachmittag, was für ein unglaublicher Moment, den ich mir vorstellte.

Wir drei Zuschauer stierten wie zur besten Hypnose auf die Scheibe, die jedoch leider ihre Mühe hatte richtig Fahrt aufzunehmen, um sich auch nur etwas von seinem Finger empor schwingen zu können. Manfred stoppte schließlich den Anschub und so blieb die fliegende Untertasse am Boden. Kein Start. Vielleicht ein anderes Mal. Der zweite Teil seiner Vorführung fand ein jähes Ende und erzeugte doch eine sichtliche Enttäuschung in den Gesichtern der Zuschauer. Der Herr Professor tippte mit einem Finger kurz nachdenklich an seinem Mund. Hatte er etwas nicht verstanden? War da etwa etwas was Manfred tat, weit außerhalb seiner Vorstellungskraft, ohne jeglichen Zugang, diese Vorführung auch nur für einen Moment in seiner Tragweite erfassen zu können?

Dass Manfred während seiner Darbietung stumm blieb und auch die von mir erwarteten vollmundigen Ankündigungen, gepaart mit einem spannungstreibenden Anpeitschen – wie es die großen Zampanos beherrschen – ausblieben, war die eigentliche Enttäuschung seiner Showeinlage. Jedoch dreht sich im Zirkusgeschäft die Welt immer weiter, und so war ich gespannt auf die nächste Vorführung von meiner Wanderheuschrecke. Doch nun übernahmen Frau und Herr Landinger die Regie. Weitere Enttäuschungen wollten sich beide wohl ersparen. Ich dagegen, hätte mir von Manfred sehr gern noch einen nächsten phänomenalen Auftritt gewünscht.

„Meine Herren ...“, Herr Landinger übernahm nach einem kurzen Sichtkontakt zu seiner Frau das Gespräch, „… meine Herren, am Telefon wurde mir gesagt, wir würden heute von Ihnen eine Präsentation und detaillierte Informationen zu einer neuen, elektronischen Enzyklopädie erhalten. Bitte seien Sie so freundlich und erklären uns nun bitte schön, worum es geht.“

Ich glaube, es war das Wort Enzyklopädie, welches Manfred nunmehr aus der Bahn warf. Es war ihm anzusehen, dass ihm dieser Begriff nicht sonderlich viel sagte. Ich bangte, er würde nichts Falsches von sich geben. Nicht, dass er schnell das Weite suchen will, nur weil er ein Lexikon feilbot und das Paar von einer Enzyklopädie sprach. Eine schweigende, vollkommen unsichere Wanderheuschrecke neben sich sitzen zu haben, ist nicht das Beste was einem passieren kann, ist man bei den Landingers auf Geschäftstermin. Doch dann sprach er. Himmel, er sprach doch.

„Auf dieser hochmodernen CD-ROM ist das komplette Lexikon drauf, alles, was sie wissen wollen, können sie hier abrufen. Nur in den Computer schieben und los geht’s, alles von A bis Z.“

„Wenn Sie von allem reden, kann ich dann davon ausgehen, dass es sich eine umfassende, allgemeine Enzyklopädie sämtlicher Wissensgebiete handelt?“

„Es ist ein Lexikon, mit allem drauf, ja, alles drauf, meine Hand drauf.“

„Dann kann ich es sozusagen als eine Welt-Enzyklopädie verstehen?“

„Ich sagte doch, es ist ein Lexikon und alles drauf auf dieser Scheibe, ja, die ganze Welt auch.“

„Interessant. Was ist mit Anhängen wie Bibliografien, Landkarten, Ortsverzeichnissen, Illustrationen, einem umfassenden Index, sowie Listen von Abkürzungen?“

Es war die Dame des Hauses, die das Schwert der Fragen schwang und Manfred mit jeder tiefe Wunden zufügte. Manfreds Oberlippe begann zu beben. Wenn jemand mit derartigen Fragen in die Enge gedrängt wird, dann ist es nicht schwer zu erahnen, was passieren könnte. Manfred verstand nichts, versuchte sich aber, zu konzentrieren und schob leicht grimmig guckend seine Augenbrauen nach vorn. „Alles was Sie sagen, ist drauf, vom Ersten bis zum Letzten. Alles. Hand drauf!“

Soweit, so gut. Soweit, so schlecht und Herr und Frau Landinger waren nicht mehr einfach nur enttäuscht, ich konnte bei ihnen erste Anzeichen von Unruhe und Anflüge von Erbostheit erkennen. Da das Paar schon eine halbe Stunde mit uns verplempert hatte, rechnete ich mit einem abrupten Ende unserer kleinen Sitzung. Dann folgte sozusagen der Knock-Out für Manfred. Ob Schwert oder doch afrikanische Lanze, ich wusste, jetzt würde der finale Stoß folgen. Frau Landinger rutschte in ihrem Sessel etwas nach vorn, brachte sich in ihre persönliche Kampfposition und sprach: “Ich möchte gern ein paar themenspezifische Dinge von Ihnen wissen. Von Ihnen, als Verkäufer von Enzyklopädien.“

Jedes Mal, wenn dieses Wort fiel, drehte sich Manfred nervös auf der Couch hin und her. „Ich gehe davon aus …“, fuhr Frau Landinger fort, „nun, Sie müssten doch auch selbst mit einem außergewöhnlichen Allgemeinwissen ausgestattet sein. Sagen Sie mir erst einmal, wie aktuell ihre Enzyklopädie ist. Ist beispielsweise das Thema Wiedervereinigung detailliert und mit allen wichtigen Hintergrundinformationen integriert?“

„Hören Sie, ich hatte Ihnen schon mehrmals gesagt, wir reden hier von einem Lexikon, nicht mehr und nicht weniger. Und Wiedervereinigung? Klar ist die drin, die war doch schon, oder nicht?“

Frau Landinger schüttelte wort- und fassungslos nur ihren Kopf. Doch sie gab nicht auf, sie biss sich förmlich an Manfred fest. Sie wollte ihn als ungebildeten Idioten bloßstellen.

„Anderes Thema. Menschheitsevolution. Sind die neusten Erkenntnisse zur Menschheitsevolution berücksichtigt? Sagt Ihnen der Begriff Homo sapiens denn irgendetwas?“ Frau Landinger wurde jetzt merklich ungehalten und verschärfte ihren Ton. Etwas Unwissenheit hätte sie womöglich noch durchgehen lassen, aber Manfred übertrieb es etwas. Da er nicht antwortete, war Manfred für Frau Landinger ein ausgemachter Depp sondergleichen und eben dieser Depp fühlte sich jetzt vollends angegriffen. Es folgte sein persönlicher Offenbarungseid, der alle Anwesenden nur noch erstarren ließ.

„Was soll das denn jetzt? Ich hab eine Freundin. Ich bin kein Homo. Geht´s noch? Aber egal, ich gebe Ihnen, wenn sie jetzt unterschreiben, zehn Prozent auf den normalen Preis, was sagen Sie jetzt? Das mach ich nur ganz selten, und auch wenn Sie sagen ich bin ein Homo, ich mach`s trotzdem.“

Das war´s. Hier trafen zwei Welten aufeinander, die einfach nicht zusammenpassten. Herr Landinger faltete seine Hände und schämte sich, so wie er sich wohl noch nie schämte. Seine Frau schnappte mehrmals nach Luft. Dann drehte sie sich zu ihrem Mann, ihre Gesichtszüge verhärteten sich und sagte fordernd in echter Sprache: „Gustav, schmeiß diese beiden Idioten sofort raus!“ Herr Landinger beugte sich nach vorn und übersetzte dies zurück in seine Sprache: „Ich möchte Sie jetzt bitten, unser Haus zu verlassen. Es war sehr interessant, ihren Ausführungen zuzuhören, und wir möchten es uns noch einmal in Ruhe überlegen. Bitte!“ Mit einer galanten Handbewegung zeigte er uns den Weg zur Tür und übergab uns der Haushälterin, die uns zum Halbmond führte.

Das Erste was Manfred im Wagen machte, war, und es ist schon fast überflüssig es überhaupt zu erwähnen, er vermerkte diesen Besuch mit: „Bin nah dran!“ Auf der Fahrt zum Hotel ließ sich Manfred ausgiebig über die Landingers aus. Als er vollkommen aufgelöst herausschrie, warum diese Schweine nicht bei ihm unterschrieben haben, dies trotz seiner zehn Prozent, dachte ich kurz wieder an den Trommelrevolver in der Wäschekommode.

Am Abend blieb ich im Hotelzimmer und bestellte mir vom Room-Service ein Sandwich. Schon um halb fünf am nächsten Morgen stand ich an der Rezeption, checkte aus, zahlte und verschwand. Ich hoffte nie Schlimmstes für die Menschen, doch mit Manfred war es anders. Möge Kaportzke dieser Ausgeburt an Dämlichkeit einen saftigen Tritt in den Arsch geben. Möge Manfred als Losverkäufer auf einer Kirmes enden. Während er die Lostrommel unermüdlich drehen würde, hörte ich ihn schon in die Menge rufen: „Zehn Prozent auf drei Lose, satte zehn Prozent auf drei Lose, ihr verdammten Schweine.“

Tschapka

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