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Außenbezirk von Rheinbach
Gut Tomberg
Montag, 24. Oktober, 8:37 Uhr
»Susanna, Till, beeilt euch ein bisschen! Der Bus ist bestimmt gleich hier. Habt ihr jetzt alles?« Janna Berg eilte zwischen einem Haufen Reisegepäck und dem Proviantkorb in der Küche hin und her. Rasch packte sie noch ein paar Päckchen Orangensaft in den Korb.
»Janna, ich kann meinen Teddy nicht finden!«, jammerte die achtjährige Susanna und polterte die Treppe herunter. »Ohne meinen Teddy fahre ich nicht ins Pfadfinderlager.«
»Baby!«, hänselte ihr Zwillingsbruder, der ihr auf dem Fuß gefolgt war.
»Blödian!«, schrie das Mädchen und schubste ihn.
»Ziege!«, zankte er zurück und zog sie an ihrem blonden Zopf.
»Lass mich! Janna, Till hat mich an den Haaren gezogen. Ich will meinen Teddy. Bestimmt hat Till ihn versteckt, um mich zu ärgern.«
»Hab ich gar nicht, du dumme Nuss. Kann ich was dafür, wenn du den Teddy verschluderst? Ich brauch jedenfalls keinen. Bin ja kein Baaaaby mehr.«
»Ich bin kein Baby!«
»Bist du wohl.«
Kurz schloss Janna die Augen und zählte langsam bis fünf, bevor sie zurück in den Flur ging, wo ihre beiden Pflegekinder mittlerweile heftig miteinander rangen. »Schluss jetzt, ihr beiden«, sagte sie und setzte eine strenge Miene auf, die sie sich für solche Situationen zugelegt hatte. »Wenn ihr den Quatsch nicht sofort bleibenlasst, sage ich eurem Betreuer, dass ihr nicht mit ins Lager fahrt, weil ihr euch nicht benehmen könnt.«
Sogleich ließen die beiden Streithähne voneinander ab.
Janna griff nach Susannas signalrotem Rucksack und zog den Reißverschluss auf. »Hier ist dein Teddy. Du hast ihn doch gestern Abend schon eingepackt.«
»Oh.« Verlegen, aber erleichtert griff das Mädchen nach dem Rucksack und zog sorgfältig den Reißverschluss wieder zu.
»Entschuldige dich bei Till dafür, dass du ihn einen Blödian genannt hast.«
»Aber ...«
»Ätsch!« Till grinste breit.
Janna bedachte ihn mit einem scharfen Blick. »Und Till, du entschuldigst dich dafür, dass du Susanna ein Baby und eine dumme Nuss genannt hast.«
»Menno.«
Abwartend stemmte Janna die Hände in die Hüften. »Wird’s bald? Ich höre den Bus gerade vorfahren. Es dauert nur einen Augenblick, Bernd Bescheid zu sagen, dass ihr hierbleibt.«
Die Zwillinge maßen einander mit genervten Blicken.
»Entschuldigung, Till.« – »Entschuldigung, Susanna«, sagten sie gleichzeitig und schüttelten einander halbherzig die Hände.
»Okay, noch mal Glück gehabt. Und nun schnappt euch euer Gepäck, damit der Busfahrer nicht so lange warten muss.«
Während die Kinder mit lautem Gejohle zur Haustür hinausstürmten, holte Janna den Proviantkorb. Vor dem Haus traf sie auf ihre Eltern Linda und Bernhard, die sich von den Kindern verabschieden wollten.
»Habt ihr auch an alles gedacht?«, fragte Linda besorgt und strich sich ihr kupferrotes, kinnlanges Haar hinters Ohr, während sie sich zu den Zwillingen hinabbeugte. Beide drückte sie kurz an sich. »Nichts Wichtiges vergessen? Zahnbürste? Schlafanzug? Teddybär?«
»Nee, alles da«, zwitscherte Susanna. »Ich hab gedacht, Till hätte meinen Teddy versteckt, dabei hatte ich ihn schon längst in den Rucksack gepackt. Janna hat ihn gefunden.«
»Na, so ein Glück.«
»Und wie. Ohne meinen Teddy kann ich doch nicht wegfahren. Janna?« Das Mädchen hob die Arme, und Janna zog sie fest an sich. »Ja, mein Schatz?«
»Das Lager wird bestimmt ganz ganz schön. Aber am Donnerstag kommen wir schon zurück.«
»Ich weiß.«
»Und am Freitag haben wir Geburtstag.«
»Tatsächlich?«
»Das weißt du doch!«
Janna lachte. »Klar weiß ich das.«
»Backst du uns einen Kuchen?«
»Das hatte ich vor.«
»Und am Samstag fahren wir mit unseren Freunden ins Schwimmbad.«
»So ist es geplant.«
»Janna?«
»Ja?«
»Ich freu mich schon ganz doll. Wir werden neun!«
»Ein biblisches Alter.« Zärtlich strich Janna ihrer Pflegetochter übers Haar.
»Mensch, Susanna, komm endlich. Sonst fahren wir ohne dich!«, rief Till durch die offene Bustür.
»Habt ihr auch wirklich nichts vergessen?« Janna richtete sich auf und blickte zu ihrem Vater. »Papa, guckst du sicherheitshalber noch mal nach, ob alle Gepäckstücke, die im Flur lagen, im Bus sind?«
»Bin schon unterwegs.« Bernhard Berg zwinkerte ihr zu und begab sich in das kleine ehemalige Gesindehaus, das links neben dem alten Gutshaus stand, in dem Jannas Eltern wohnten. Noch wohnten, um genau zu sein, denn zum Jahresende würden sie die Wohnungen tauschen, damit Janna und die Kinder mehr Platz hatten.
Janna reichte einem der Betreuer, die den Pfadfinderausflug beaufsichtigten, den Proviantkorb. »Hier, ein bisschen Wegzehrung für euch. Wie versprochen Kekse und Muffins für die ganze Truppe. Und für Till und Susanna hab ich noch ein bisschen O-Saft dazugepackt.«
»Danke, du bist ein Schatz.« Bernd nahm den Korb strahlend entgegen. »Schade, dass du diesmal nicht mitfahren kannst.«
»Ja, lässt sich leider nicht ändern. Wir stecken derart in der Renovierung, dass ich kaum weiß, wo mir der Kopf steht. Und arbeiten muss ich ja auch noch, also ...«
»Vielleicht klappt es beim nächsten Mal. Lena würde sich sehr freuen.«
»Ja, ich auch. Grüß deine Frau von mir. Ist sie schon im Lager?«
»Ja, sie ist schon um sechs Uhr früh vorgefahren, um mit Alex und Pfarrer Heitmann alles vorzubereiten.«
»Viel Spaß euch allen.« Janna blickte sich suchend um. »Till? Wo steckst du? Hast du nicht etwas vergessen?«
Der Junge sprang noch einmal aus dem Bus. »Tschüss, Janna!« Er umarmte sie kurz, aber heftig und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Macht’s gut, ihr beiden. Viel Spaß!« Janna sah zu, wie der Busfahrer den Gepäckraum schloss, nachdem Bernhard versichert hatte, dass sämtliche Gepäckstücke der Zwillinge verstaut seien. Sie blieb in der Auffahrt stehen, bis der Bus sich in Bewegung setzte, und winkte den Kindern noch einmal zu, bevor sie sich seufzend abwandte. »Puh!«
Ihr Vater lachte und legte ihr seinen rechten Arm um die Schultern. »Ganz schön anstrengend, die beiden.«
»Das kannst du laut sagen. Waren wir auch so schlimm, wenn wir auf Pfadfinderfahrt gegangen sind?«
»Soll ich ehrlich sein?« Bernhard lachte. »Fast noch schlimmer. Und ihr wart zu dritt. Obwohl, na ja, bis Feli so weit war, dass sie mitfahren konnte, wart ihr ja schon Teenager, da ging es dann allmählich.«
»Ich glaube, ich werde jetzt erst mal rasch das Chaos beseitigen, das sie im Bad und in ihrem Zimmer hinterlassen haben.«
»Tu das. Ich muss noch mal kurz in die Kanzlei, bin aber am frühen Nachmittag wieder zurück. Später kommt dann noch der Fliesenleger wegen der neuen Fliesen in den Bädern.«
»Gut, bis dahin müsste ich mit meiner Arbeit fertig sein.«
»Soll ich dir bei irgendwas helfen?«, fragte Jannas Mutter prompt.
Doch Janna winkte ab. »Danke, nicht nötig, Mama. Bis nachher dann.« Eilig kehrte sie ins Haus zurück und machte sich daran, die herumliegenden Kleidungsstücke und Spielsachen im Kinderzimmer aus dem Weg zu schaffen, damit sie wenigstens kurz staubsaugen konnte. Den Rest würden die Zwillinge nach ihrer Rückkehr selbst aufräumen müssen.
In dem Moment, als sie den Staubsauger wieder abschaltete, vernahm sie das Klingeln des Telefons. Hektisch sah sie sich um. »Mist! Wo ...?« Sie folgte dem Schrillen, bis sie das mobile Endgerät auf dem Küchentisch unter einer Zeitung fand. »Janna Berg?«, meldete sie sich etwas außer Atem.
»Sagen Sie mal, stimmt etwas mit Ihrem Handy nicht? Ich versuche schon seit einer Ewigkeit, Sie zu erreichen.«
Als sie die Stimme des Geheimagenten vernahm, mit dem sie seit Juli bereits mehrfach in aufregende und nicht gerade ungefährliche Abenteuer verwickelt gewesen war, machte ihr Herz einen unvermittelten Satz. Vor Überraschung natürlich, denn mit einem Anruf von ihm hatte sie absolut nicht gerechnet. Zuletzt hatte sie ihn vor drei Wochen gesehen, als sie ihren Bericht zu den Ereignissen um die Verhaftung des Terroristen Burayd im Institut abgeliefert hatte. Seitdem hatten weder er noch sein Vorgesetzter, Herr Bernstein, sich bei ihr gemeldet.
Überhaupt fußte ihre gesamte Verbindung zu Markus und dem Institut lediglich auf einer zufälligen Begebenheit. Wenn Markus ihr an jenem Morgen im Juli nicht auf dem Flughafen Köln-Bonn diesen Umschlag mit der DVD aufgedrängt hätte, damit die darauf befindlichen Daten nicht in die Hände von Extremisten gelangten, wüsste sie bis heute nicht einmal um die Existenz jenes Geheimdienstes. So aber hatte sie in einem spontanen und, wie sie inzwischen fand, vielleicht doch etwas unvernünftigen Entschluss zugestimmt, sich in die Liste der zivilen Hilfspersonen dieser geheimen Sicherheitsbehörde eintragen zu lassen, die unter dem Deckmantel eines Meinungsforschungsinstituts agierte.
Doch ob nun unvernünftig oder nicht, die Zusammenarbeit mit Markus Neumann war spannend und interessant, wenn auch ziemlich riskant und voller Gefahren, wie Janna bereits am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte. All das schoss ihr beim Klang seiner Stimme durch den Kopf, aber sie ließ sich nichts anmerken. Stattdessen erwiderte sie kühl: »Zunächst einmal wünsche ich Ihnen einen guten Morgen. Ich kann nur vermuten, dass Sie es sind, Markus, denn offenbar hat man Ihnen nicht beigebracht, sich am Telefon höflich vorzustellen und wenigstens die Tageszeit zu wünschen.« Ihr Herz klopfte noch immer eine Spur zu schnell. Sie schob es auf ihren Unwillen gegenüber unhöflichem Benehmen allgemein. Vielleicht reagierte sie ein wenig zu harsch, aber andererseits – wie man in den Wald hineinrief ...
»Guten Morgen, Janna.« Markus Stimme klang erheitert. »Was ist denn nun mit Ihrem Handy? Haben Sie es ausgeschaltet? Auf diese Weise machen Sie es uns nicht gerade leicht, Sie zu erreichen. Vor allem, wenn Sie auch nicht an Ihr Festnetztelefon gehen.«
»Ich hatte den Staubsauger an und konnte deshalb das Klingeln nicht hören. Aber mein Handy habe ich nicht ausgeschaltet. Moment mal.« Janna ging zur Garderobe und griff nach ihrer Handtasche. Sie klemmte sich den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter, zog das Smartphone aus der Tasche und räusperte sich verlegen. »Ähm, ja, Entschuldigung. Der Akku ist leer. Ich lade ihn am besten gleich wieder auf.«
»Das würde ich Ihnen empfehlen.«
»Gibt es einen Grund für Ihren Anruf?« Während sie sprach, eilte Janna zurück in die Küche, zog das Ladekabel für das Smartphone aus einer Schublade und schloss das Gerät an einer der Steckdosen über der Anrichte an.
»Den gibt es in der Tat.« Das charmante Lächeln auf seinen Lippen erkannte sie an seiner Stimme und sah es auch prompt vor sich. »Wir möchten Sie um einen Gefallen bitten.«
»Was für einen Gefallen?«, fragte sie misstrauisch.
»Nur eine Kleinigkeit. Nichts Gefährliches oder so.«
»Mhm, das hab ich doch irgendwo schon mal gehört. Und kurz darauf hielt mir dann jemand eine geladene Pistole vor die Nase.«
»Keine Sorge, so etwas ist es wirklich nicht«, beruhigte er sie. »Es ist nur eine ganz einfache Sache. Im Grunde müssen Sie so gut wie gar nichts tun.«
»Janna? Bist du in der Küche?«, schallte in diesem Moment Lindas Stimme durchs Haus. »Hier ist ein Paketbote, der etwas für dich abgeben möchte. Er hat versehentlich zuerst bei mir geklingelt.«
»Ein Paketbote?« Verwundert runzelte Janna die Stirn. »Ich habe doch gar nichts bestellt.«
»Oh, oh, sie sind mir zuvorgekommen«, drang wieder Markus’ Stimme aus dem Hörer.
»Was soll das denn heißen?« Irritiert runzelte Janna die Stirn.
»Das Paket kommt vom Institut. Nehmen Sie es einfach an, aber öffnen Sie es nicht. Stellen Sie es irgendwo unter, wo niemand es sehen kann. Ich hole es morgen früh um neun Uhr bei Ihnen ab.«
»Das ist alles?«, vergewisserte sich Janna, während sie ihrer Mutter nach draußen folgte. Mitten im Hof parkte ein Lieferwagen mit dem blauen Schriftzug Parcels International; der Fahrer kam mit einem rechteckigen Päckchen auf sie zu und zückte seinen Scanner, als er ihr direkt gegenüberstand. »Janna Berg?«
Sie nickte.
»Ihren Ausweis bitte.«
»Oh, Moment, den muss ich drinnen holen.«
Das Telefon am Ohr eilte sie wieder ins Haus und kramte ihr Portemonnaie und daraus ihren Personalausweis hervor. »Was ist das für ein Päckchen?«, zischte sie ins Telefon.
»Nichts, was Sie beunruhigen müsste«, antwortete Markus freundlich. »Bewahren Sie es einfach irgendwo unauffällig auf, bis ich es abhole.«
»Es enthält doch wohl hoffentlich keine Bombe oder so?«
»Sie schauen sich zu viele Krimis im Fernsehen an«, erwiderte er.
»Es ist also wirklich harmlos?«
»Sagen wir, es handelt sich um ein hochsensibles Gut, das Ihnen aber in keiner Weise gefährlich werden kann. Zwei Agenten aus Kellermanns Team werden Ihr Haus heute und über Nacht aus sicherer Entfernung im Auge behalten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!«
Das Knacken in der Leitung signalisierte ihr, dass er die Verbindung unterbrochen hatte. Kopfschüttelnd schob sie das Telefon in die Tasche ihrer Jeans und eilte mit ihrem Ausweis zurück nach draußen. »Entschuldigen Sie, ich musste nur rasch das Gespräch beenden. Hier ist mein Ausweis.«
Der Paketbote prüfte das Dokument, gab die Ausweisnummer in seinen Scanner ein und reichte ihr dann den Plastikstift, der an dem Gerät befestigt war. »Bitte unterschreiben Sie hier noch.«
Augenblicke später rollte der Lieferwagen wieder vom Hof. Janna beäugte neugierig das Päckchen, das etwa die Größe eines Schuhkartons besaß.
»Was ist denn da drin?« Linda trat neugierig neben sie und musterte das Paket ebenfalls. »Man muss doch sonst nie den Ausweis vorzeigen, wenn man ein Paket bekommt. Außer, na ja, es enthält einen Inhalt für, du weißt schon, Erwachsene.«
»Mama!« Mit einer Mischung aus Empörung und Erheiterung schüttelte Janna den Kopf. »Das ist ein ... Weißt du, ich bewahre das nur für einen Bekannten auf. Es ist wohl ein Geschenk, von dem der Empfänger noch nichts wissen soll ... oder so«, fügte sie rasch an. Sie hasste es, ihre Mutter anschwindeln zu müssen, also bemühte sie sich, ihre Antwort so vage wie möglich zu formulieren.
»Das ist aber nett von dir. Aber mit Ausweiskontrolle? Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«
Janna zuckte die Achseln. »So ist er halt manchmal.«
»Kenne ich diesen Bekannten?« In Lindas Augen flackerte Neugier auf.
»Ähm, nein, ich glaube nicht. Ist auch nicht so wichtig. Ich kenne ihn auch nur ... über die Arbeit.«
»Na dann.« Ein wenig wirkte Linda enttäuscht, doch sie fing sich rasch wieder. »Denkst du daran, dass der Fliesenleger nachher kommt?«
»Aber ja, ich komme später zu euch rüber.« Um möglichen weiteren Fragen ihrer Mutter aus dem Weg zu gehen, begab sie sich rasch wieder ins Haus und stellte das Päckchen erst einmal auf dem Küchentisch ab.