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Kapitel 1

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»Hallo? Drew? Bist du noch dran? Kindchen, ich hab nicht ewig Zeit.«

Am liebsten hätte ich mit Nein geantwortet, doch ich wusste, dass es zu nichts führen würde. Ich kannte diese lästigen Debatten und ich war mir dessen durchaus bewusst, dass ich nicht als Sieger daraus hervorgehen würde. Was brachte es also, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen?

»Was ist denn nun? Drew, ich erwarte, dass du dich zu Wort meldest«, schallte es erneut durch den Hörer.

»Estelle, ich bin auf der Arbeit. Können dich denn nicht Ashley oder Madison holen?«, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.

»Ach, wir wissen doch beide, dass du keiner richtigen Arbeit nachgehst. Außerdem weißt du genau, dass deine Stiefschwestern eine sehr verantwortungsvolle Position innehaben – im Gegensatz zu dir.« Verächtlich schnalzte sie mit der Zunge.

23, 24, 25… zählte ich gebetsmühlenartig auf, während ich tief ausatmete. Ganz ruhig. Lass dich nicht von ihr provozieren. Das kennst du bereits zur Genüge, ermahnte ich mich und stieß dabei immer wieder leicht mit dem Kopf gegen die Wand hinter meinem Schreibtisch.

»Also beweg deinen Hintern endlich hierher und hol mich von diesem schrecklichen Ort ab! Ich halte es hier keine Sekunde länger aus.«

Wenn man sie so reden hörte, konnte man fast meinen, sie säße in einem der schlechteren Viertel der Stadt fest oder, noch schlimmer, bei Bloomingdales im Schlussverkauf. Estelle hasste es, wenn sich das einfache Volk unter ihresgleichen mischte.

»Okay, ich mach mich gleich auf den Weg.« Es hatte keinen Sinn, mit Estelle zu diskutieren. Als meine Stiefmutter vor über zwanzig Jahren in unserem Haus eingezogen war, hatte sie neben ihren Töchtern den herrischen Befehlston gleich mitgebracht.

Nur gut, dass ich heute weiter an der Konzeption des Projekts ›Kinder haben Spaß im Museum‹ arbeiten und mir damit die Zeit frei einteilen konnte. Ganz anders sähe es aus, wenn ich eine Führung gehabt hätte, dann wäre es mir nicht möglich gewesen, Estelle abzuholen. Wobei sie dieser Umstand sicherlich wenig gekümmert hätte.

»Wird aber auch langsam Zeit, dass du zur Vernunft kommst. Schließlich warte ich hier schon eine halbe Ewigkeit.«

Ich schloss die Augen, kniff sie fest zusammen und schüttelte leicht den Kopf. Warum nahm sie sich kein Taxi? Warum musste sie sich in solchen Fällen immer an mich wenden? Stand auf meiner Stirn geschrieben: Hey, mein Name ist Drew. Ich lasse mich gerne herumkommandieren und ausnutzen? Musste so sein. Spätestens nach meiner letzten Beziehung war ich davon überzeugt.

Chris machte mir im Namen der Liebe glaubhaft, dass es besser sei, nur das zu tun, was er mir erlaubte. Außerdem bediente er sich nach Lust und Laune an meiner Haushaltskasse, um mir eine Freude machen zu können. Das hatte er zumindest behauptet. Von den vermeintlichen Geschenken hatte ich nie eines zu Gesicht bekommen, aber das war eine andere Geschichte.

Wenn ich ehrlich war, wusste ich ganz genau, warum Estelle sich mit all den unliebsamen Dingen immer vertrauensvoll an mich wandte. Ohne es je offen ausgesprochen zu haben, musste ich mir eingestehen, dass sie mich in der Hand hatte.

Nicht wegen der Vermögenswerte oder des Geldes, das mein Vater in seinem letzten Willen durch sie treuhänderisch verwalten ließ, bis ich verheiratet war. Nein, vielmehr verwahrte sie unter all dem Prunk, den sie in ihrem Haus hortete, meinen ganz eigenen Schatz, den sie mir einfach nicht aushändigen wollte. Was ich auch tat, sie ließ einfach nicht locker. Doch die Hoffnung starb schließlich zuletzt und aufgeben konnte ich einfach nicht. Zu kostbar war das kleine Sammelsurium für mich.

»Wo genau finde ich dich denn am Flughafen?« Ich versuchte weiterhin nett und gelassen zu wirken, wobei mir mein zuckendes Auge verriet, dass ich kurz davor stand zu explodieren.

»Doofe Frage, ich bin natürlich in der Ankunftshalle. Wo auch sonst? Sag mal, isst du etwa, während ich mit dir rede?«

Erschrocken bemerkte ich, dass ich begonnen hatte, mit meinen Zähnen zu knirschen, und antwortete schnell: »Nein, nein, bin jetzt unterwegs. Bis gleich«, und legte den Hörer ohne ein Wort des Abschieds einfach auf. Oh Backe, das würde sicherlich auch wieder eine Schimpftirade nach sich ziehen.

Keine Ahnung, wie Estelle das immer machte. Aber allein ihre Stimme am Telefon verwandelte mich in das eingeschüchterte kleine Mädchen zurück, das während ihrer gesamten Jugend peinlich darauf bedacht war, ihrer Stiefmutter möglichst aus dem Weg zu gehen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte mich Stacy, die gerade vom Kopierer zurückkam, besorgt. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Ist alles in Ordnung bei dir?«

»Alles gut. Muss nur eben schnell zum Flughafen und Estelle abholen. Kannst du hier allein die Stellung halten?«, lenkte ich eilig ab, während ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass mich das vorangegangene Gespräch sehr wohl aufgewühlt hatte.

»Hast du etwa schon wieder nachgegeben? Dieser alten Giftschlange solltest du keinen Gefallen mehr tun. Warum holen ihre Töchter sie nicht ab?«

Stacy hatte gut reden. Sie war mit Mitch seit einem Jahr glücklich verheiratet, hatte wundervolle Schwiegereltern, die die Vollwaise rührend in ihrer Familie willkommen hießen und erwartete als Krönung des Ganzen das erste gemeinsame Kind.

Ich verbot es mir, neidisch auf meine Freundin zu sein, und schob die Gedanken beiseite. Auch Stacy hatte eine schlimme Zeit des Hoffens und Bangens hinter sich. Mitchs Exfreundin hatte den beiden ihre Liebe nicht gegönnt und so lange dazwischen gefunkt, bis es fast zu spät war.

»Nein, nein, ich hab es vergessen. Sie hat mich bereits vor ihrer Reise darum gebeten«, log ich in der Hoffnung, einer längeren Auseinandersetzung mit ihr aus dem Weg zu gehen.

Stacy schien den Braten gerochen zu haben, hakte allerdings nicht weiter nach, wofür ich ihr sehr dankbar war. Dennoch wagte ich es nicht, ihr in die Augen zu sehen. Mit gesenktem Blick schmiss ich achtlos mein Handy in die Handtasche und verfluchte mich innerlich dafür, dass ich mal wieder klein beigegeben hatte.

Jetzt fing ich auch schon an, meine Stiefmutter und ihr Verhalten in Schutz zu nehmen, und belog deshalb sogar die Frau, die ich seit fast zwei Jahren sehr ins Herz geschlossen hatte. Die Zeit war reif. Ich musste dringend etwas an meinem Leben ändern.

Was das genau sein würde, konnte ich mir während der Autofahrt zum Flughafen überlegen. Schließlich würde ich dank Estelle ausgiebig Zeit dafür finden, da sie mich mitten in der Rushhour einmal quer durch die Stadt jagte.

***

Unmotiviert sichtete er die eingegangen Emails auf seinem Handy. Der Flug hatte gerade mal drei Stunden gedauert und dennoch hatte man ihn deutlich spüren lassen, wie unabkömmlich er doch war.

Er hob den Kopf und hielt Ausschau nach seinem Koffer. Zu seiner Verwunderung musste er allerdings feststellen, dass sich das Kofferband noch nicht mal in Bewegung gesetzt hatte. Bevor er sich jedoch erneut seinem Smartphone zuwenden konnte, fiel sein Blick auf eine ältere, hagere Dame im Pelzmantel, die eine sehr viel jüngere Frau schroff zurechtwies und ihr unmissverständlich klarmachte, dass man sie nicht warten ließ.

Trotz des Altersunterschieds zwischen der Dame und seiner Mandantin, zog er unweigerlich einige Parallelen und erinnerte sich an die Situation vor zwei Tagen, die ihn gezwungen hatte, Boston für einige Zeit den Rücken zu kehren.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Graham. Ich war all die Jahre eine treusorgende Ehefrau. Meinem Mann hat es nie an etwas gemangelt, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Dabei hatte sie ihm verführerisch zugezwinkert und sich lasziv über die leicht geöffneten Lippen geleckt. »Im Grunde haben wir uns auseinandergelebt. Sie wissen schon: Unüberbrückbare Differenzen. Früher oder später trifft es doch die beste Beziehung. Ich kann so nicht weiterleben und möchte Sie nun bitten, mich bei der Scheidung vor Gericht zu vertreten«, hatte sie schließlich den Grund ihres Erscheinens offenbart.

»Mrs. Cooper, gab es einen Ehevertrag?« Noch ehe er geendet hatte, mokierte sich die gerade noch so beherrschte und aufreizende Person über eine derart unsensible Frage. Kleinlaut hatte sie am Rande eines sich abzeichnenden hollywoodreifen Schwächeanfalls zugegeben, eine solche Abmachung unterzeichnet zu haben.

»Mr. Graham, es ist nun Ihre Aufgabe, für mich das bestmögliche Ergebnis herauszuholen. Schließlich war ich mit diesem alten Sack beinahe fünf Jahre verheiratet. Ich habe ihm meine Jugend geschenkt. Das muss doch in irgendeiner Form in Geld aufgewogen werden. Sehen Sie mich an. In diesem Zustand werde ich sicher so schnell keinen geeigneten Heiratskandidaten mehr finden. Ich muss versorgt sein. Das ist er mir schuldig.«

Während sie sprach, hatte er das aufpolierte Gesicht etwas näher betrachtet. Nase, Kinn und Lippen waren sicherlich gemacht worden. Ohne Zweifel. Leider traf er diese Art von Frau mindestens einmal die Woche in seiner Kanzlei und, wie jedes Mal zuvor, hatte er sich eben in diesem Moment gefragt, warum er sich mit diesen Fällen abgab.

Sein Blick war tiefer geglitten und er war sicher, dass auch ihre Brüste nicht mehr ganz dem entsprachen, was Mutter Natur ihr auf den Weg mitgegeben hatte. Diese Frau war eine einzige Mogelpackung gewesen und mitnichten konnte man davon sprechen, dass sie verbraucht oder gar unvermittelbar aussah.

Die wasserstoffgefärbte blonde Barbiepuppe würde sich bald den nächsten Junggesellen jenseits der Fünfzig unter den Nagel reißen. Er wusste nur zu gut, dass Mrs. Cooper nicht die Wahrheit gesprochen hatte. Mit Sicherheit nicht.

Diese Frauen hatten einen besseren Fisch an der Angel mit noch mehr Geld und Ferienhäusern auf Hawaii und wollten dringend ihre Altlasten abschütteln. Dies allerdings nicht, ohne den möglichst größten Profit aus der entbehrungsreichen Zeit der noch bestehenden Ehe zu schlagen.

Immer wieder das Gleiche. Brian hatte diese Abgeklärtheit einfach nicht mehr ertragen. Am Anfang war es regelrecht tröstlich gewesen zu sehen, wie gefühlskalt diese Welt wirklich war. Diese Distanz ermöglichte es ihm, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Gefühle waren nicht wichtig. Umso besser man lernte, diese im Zaum zu halten, desto leichter war es.

Dennoch hatte er an diesem Tag einen leichten Stich an der Stelle verspürt, wo sich sein Herz befand. Vielleicht war es an der Zeit gewesen, etwas Abstand von seinem Alltag zu gewinnen. Dr. Bennett riet ihm seit langem zu einem Tapetenwechsel, um mal auf andere Gedanken zu kommen.

Nachdem Mrs. Cooper endlich gegangen war, hatte er auf die Sprechanlage in seinem Büro gedrückt und seine Sekretärin gebeten, ihm ein Flugticket nach Chicago zu buchen.

Mit einem Ruck hob er seinen Koffer von dem Band, das inzwischen seine Runden drehte. Dabei blickte er noch einmal in das Gesicht der jungen Frau, die noch immer stoisch die Standpauke über sich ergehen ließ. Ihre Augen glichen dem Blau des Himmels und ihre Haut erinnerte ihn stark an das gute, weiße Porzellan, das bei seiner Großmutter nur zu bestimmten Anlässen herausgeholt wurde. Ohne Vorwarnung regte sich bei ihrem Anblick etwas tief in ihm. Vielleicht war es die Hoffnung, irgendwann wieder die schönen Seiten des Lebens spüren zu können. Wer weiß …

***

Vom Glück geküsst

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