Читать книгу Date to go - (K)ein Mann zum mitnehmen - Mira Schwarz - Страница 5

Kapitel 1 - Auf zu neuen Ufern!

Оглавление

Zwei Monate zuvor

„Ach, komm schon, Isi“, stöhnte meine beste Freundin Lena. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Ich kenne wirklich niemanden, der immer wieder auf die gleiche Art von Aprilscherzen hereinfällt.“

„Ich hatte nicht auf den Kalender gesehen“, verteidigte ich mich. „Mir war doch nicht klar, dass heute der erste April ist.“ Wir saßen auf unseren Spinning-Rädern im Fitness-Studio und traten gemächlich in die Pedalen.

Sehr gemächlich.

„Was haben diese Idioten denn nun genau gesagt?“, fragte Lena und hörte auf zu treten. Sie holte ein Haargummi aus der Tasche ihrer trendigen Sporthose und band sich ihre dunklen Haare zusammen. Obwohl sie mich mitleidig ansah, blitzten auch Spott und Neugier in ihren Augen.

Die Idioten waren Tobias und Maik. Ich teilte mir mit ihnen ein Büro bei Berthold & Fechtner, der größten Architekturfirma in Deutschland. Sie arbeiteten wie ich in der Zweigstelle des Unternehmens in Hamburg und ließen nichts unversucht, um mir das Leben schwer zu machen.

Obwohl wir seit fast zwei Jahren ein Büro teilten, hatten meine Kollegen es bisher geschafft, mich aus all ihren privaten Unternehmungen auszuschließen. Nicht, das ich wild darauf gewesen wäre, mit ihnen zu irgendwelchen Sportveranstaltungen oder in dubiose Nachtclubs zu gehen. Aber es war wirklich unverschämt, wie sehr sie sich immer gegenseitig unterstützten und mich gleichzeitig bekämpften.

Ich seufzte theatralisch. „Sie haben mir gesagt, dass der alte Fechtner uns aufgefordert hätte, unsere Ideen für einen Stripclub im Las Vegas-Stil zusammenzutragen.“ Ich konnte sehen, dass Lena alle Mühe hatte, sich das Lachen zu verbeißen. Ich warf ihr einen warnenden Blick zu, während ich weiter redete. „Also habe ich mich den ganzen Vormittag damit beschäftigt, mir solche Clubs im Internet anzusehen. Ab und zu sind diese Lackaffen an meinen Platz gekommen und haben mir über die Schulter gesehen und mir aufmunternd zugenickt.“ Ich musste schlucken. „Weißt du, was das Erbärmlichste ist? Ich habe es richtig genossen, mich mit ihnen auszutauschen. Ich dachte, sie hätten mich endlich akzeptiert.“ Ich schloss einen Moment die Augen. „Ich bin so bescheuert! Das Gemeine war ja, dass wir wirklich ein Meeting mit dem Chef hatten. Er hatte angekündigt, uns am Nachmittag über ein neues Projekt zu informieren. Es hat alles zusammen gepasst.“

Lena hatte wieder angefangen, in die Pedalen zu treten.

Sie sah mich nachdenklich an. „Das ist wahrscheinlich dein eigentliches Problem. Das du immer noch dazugehören willst.“

Ich seufzte. „Es war wirklich schrecklich. Ich kam da mit diesen ganzen Bildern von nackten Frauen in die Besprechung. Diese Scheißkerle haben sich weggeschmissen. Sie konnten kaum das April, April rausbringen, so haben sie gelacht.“ Jetzt kochte ich wieder vor Wut. „Und weißt du, was die Oberfrechheit war? Tobias hatte die Dreistigkeit zu behaupten, sie hätten mir doch nur einen Gefallen getan. Er meinte, es hätte mir doch sicher Spaß gemacht, die Stripperinnen anzusehen.“

Ich musste schlucken, um die Tränen zurückzudrängen.

„Ach, komm.“ Lena boxte mich leicht. „Die sind halt immer noch beleidigt, weil sie bei dir nicht landen konnten.“

Wir radelten eine Weile schweigend vor uns hin. Jetzt, wo ich Lena alles erzählt hatte, kam mir die Sache schon gar nicht mehr so schlimm vor. Vielleicht konnte ich diese Geschichte wirklich mit etwas mehr Humor sehen und als lustige Anekdote abhaken.

„Dein Chef hat davon aber nichts mitgekriegt, oder?“, erkundigte sich Lena nach einer Weile besorgt.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er kam wie immer eine Viertelstunde zu spät und hatte es verdammt eilig.“

„Und um was für ein Projekt geht es wirklich?“

„Wir sollen dem Chef bei der Vorbereitung für eine Ausschreibung zuarbeiten.“ Ich merkte, dass mein Herz bei dem Gedanken ein wenig schneller klopfte. „Es geht um eine Ferienanlage im Harz. Eine Mischung aus Wellness-Oase und Urlaubsdorf. Ist für einen Investor aus Japan.“

„Wahnsinn!“ Lena sah mich beeindruckt an. „Das wäre mal was anderes als die ganzen Bürohäuser, mit denen du dich bis jetzt herumschlagen musstest.“

Ich nickte. „Aber die Sache hat einen Haken. Wir müssen alle am nächsten Freitag mit dem Investor Essen gehen.“

„Hast du seit Neuestem etwas gegen Essen in Nobelrestaurants?“ Lena zog eine Augenbraue hoch. Sie wusste genau, dass ich eine Schwäche für teure Restaurants hatte.

„Ums Essen geht es nicht“, erwiderte ich. „Es ist nur dieser blöde Familienterror, den der alte Fechtner immer abzieht. Er nimmt zu jedem Geschäftsessen seine Frau mit. Und wir sollen auch unsere Partner mitbringen“, seufzte ich. „Ich sehe die beiden Idioten schon vor mir. Jeder mit einer Barbiepuppe im Arm. Sie werden einen dummen Spruch nach dem anderen reißen, weil ich mal wieder alleine zu so einem Essen komme.“

„Dann geh halt nicht alleine hin“, sagte Lena leichthin.

„Ich weiß nicht, ob es dir entgangen ist“, sagte ich und verdrehte die Augen. „Aber ich habe keinen Freund.“

„Nimm einfach irgendeinen Kerl mit“, schlug Lena ungerührt vor.

Ich ging kurz die Männer durch, die ich gut kannte. Die Liste war extrem kurz. Mein guter Freund Basti war so offensichtlich schwul, dass ich mich sofort zum Gespött machen würde, wenn ich ihn als meinen Freund ausgab. Liste beendet.

„Ich weiß aber keinen“, seufzte ich. „Ich lebe ja erst seit zwei Jahren in Hamburg“, fügte ich erklärend hinzu, als ich Lenas Blick auffing. „Da kenne ich natürlich noch nicht so viele Leute.“

„Klar“, sagte Lena sarkastisch. „Zwei Jahre sind ja auch echt zu kurz, um sich ein paar Freunde zu suchen.“ Sie trat energischer in die Pedalen. „Vielleicht liegt es aber auch daran, dass du außer deiner Karriere weder Zeit noch Energie für irgendetwas anderes hast? Du bist fixiert darauf, in dieser dummen Firma aufzusteigen, dass du manchmal aus den Augen verlierst, dass Erfolg nicht alles ist.“

Ich sah sie verletzt an. „Siehst du das wirklich so?“

Sie zögerte kurz, dann grinste sie mich an. „Ja, aber weil du meine beste Freundin bist, behalte ich es normalerweise für mich.“

„Das ist echt rücksichtsvoll von dir“, gab ich scherzhaft zurück. „Ich verspreche dir hoch und heilig, meine Prioritäten im Leben zu überdenken. Aber egal, was ich anstelle: am nächsten Freitag werde ich trotzdem ziemlich sicher noch Single sein.“ Ich versuchte es mit einem übertriebenen Hundeblick. „Bitte, Lena. Denk nach. Ich will da nicht alleine hingehen. Ich habe das schon so oft aushalten müssen. Ich will nicht!“

„Ich verstehe dich ja.“ Lena nickte grübelnd. Dann erhellten sich ihre Gesichtszüge. „Ich habe auch schon eine Idee. Ich habe neulich so einen Beitrag über einen Begleitservice gemacht.“ Lena arbeitete bei einem Radiosender als Reporterin. Es gab so gut wie kein Thema, zu dem sie noch keinen Bericht gemacht hatte.

Ich sah sie entnervt an. „Willst du mir jetzt ein Escort-Mädchen aufschwatzen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Du bist so konservativ! Die vermitteln natürlich auch Männer. Das war der Aufhänger für meinen Bericht. Immer mehr Frauen lassen sich bei Geschäftsterminen von solchen Typen begleiten. Das hat auch überhaupt nichts Anrüchiges.“

Ich schnaubte. „Ich soll mit einem Callboy zu einem offiziellen Firmenessen gehen?“

„So ein Quatsch.“

Lena verzog das Gesicht und ich merkte, dass ich sie wirklich verärgert hatte.

Ich war auch wirklich unmöglich. Sie zerbrach sich den Kopf und ich machte ihre Idee einfach runter.

Sofort lenkte ich ein. „Tut mir leid. Ich weiß, du versuchst nur, mir zu helfen.“ Ich fiepte bittend wie ein kleiner Hund. „Nicht böse sein. Ich weiß, ich kann manchmal echt nervig sein.“

Sie musste lachen. „Das stimmt.“

Sie sah schon nicht mehr beleidigt aus. Lena war nie nachtragend. Das war nur eine der vielen Eigenschaften, die ich so an ihr mochte. Wir kannten uns schon fast unser ganzes Leben lang und sie schaffte es normalerweise mühelos, mir einen ganzen Freundeskreis zu ersetzen. Nur einen Kerl konnte sie mir leider nicht herzaubern.

Obwohl – hatte sie nicht genau das gerade versucht?

„Ich denk mal über deinen Vorschlag nach.“ Ich war jetzt beim Spinning-Endspurt und mein Atem ging beim Sprechen stockend. „Auch wenn sich das Ganze schräg anhört, deine Ideen sind eigentlich immer gut. Vielleicht kannst du mir ja mal die Adresse von diesem Begleitservice geben“, setzte ich noch hinzu, um sie von meinem ehrlichen Interesse zu überzeugen.

Sie sah gleich noch versöhnter aus. „Klar, mache ich.“

„Ich meine, nur, damit ich mal gucken kann.“ Sie sollte wissen, dass ich die Idee ernst nahm. Aber auf der anderen Seite auch nicht denken, dass ich wild darauf war, mir diese Katalogmänner anzusehen.

„Klar.“ Lena grinste.

Aber ein bisschen neugierig war ich schon. Was für Kerle lebten davon, sich von Frauen für ihre Begleitung bezahlen zu lassen? „Ich will nur mal gucken. Ich will da nicht wirklich jemanden suchen.“

„Sicher.“

Wir schwiegen und begannen, uns wieder auf unseren Sport zu konzentrieren. Aber ich bekam den Gedanken an die Männeragentur irgendwie nicht mehr aus dem Kopf. Wie es wohl wäre, wenn ich mit so einem gutaussehenden Kerl zum Firmenessen kommen würde?

Ich könnte diesen Mistkerlen mit ihren blöden Witzen endlich mal das Maul stopfen. Vielleicht waren ja sogar Models dabei. Oder Männer, die wie Models aussahen …

Nach einer Weile sah mich Lena an und nickte wissend. „Du stellst sie dir gerade vor, stimmt's?“

Ich tat so, als würde ich sie nicht verstehen. „Häh? Keine Ahnung, was du meinst.“

„Die Katalog-Männer. Du stellst sie dir gerade vor.“ Sie legte die Finger an die Schläfen, als würde sie meine Gedanken lesen. „Channing Tatum? Ashton Kutcher?“

Ich musste lachen. „Erwischt. Aber ich dachte eher an Bradley Cooper“, gab ich zu. „Aber das heißt noch lange nicht, dass ich so etwas wirklich machen würde“, beharrte ich.

„Ich habe ja gar nichts gesagt.“

Wir radelten noch ein bisschen weiter und Lena erzählte mir von ihrem Tag beim Radio. Sie war seit einer Weile in einen ihrer Kollegen vernarrt und hielt mich über jedes noch so kleine Gespräch zwischen den beiden auf dem Laufenden. Ihr Schwarm hieß Nikolas und wenn sie nicht komplett übertrieb, war er so etwas wie die Perfektion in Männergestalt. Ihre Augen leuchteten, als sie mir erzählte, dass er ihr heute einen Kaffee an ihren Schreibtisch gebracht hatte.

Ich war fast ein bisschen neidisch. Nicht nur, weil es in Lenas Leben jemanden gab, für den sie sich interessierte. Nein, es war vor allem ihre Begeisterung. Mir fiel es schwer, mich in so etwas so hineinzusteigern. Manchmal fragte ich mich, ob ich überhaupt schon mal richtig verliebt gewesen war.

Nach einer Weile näherte sich Jasmin, unsere Trainerin. „Hey, ihr Süßen“, begrüßte sie uns mit aufgeregter Stimme. „Ich muss euch was sagen.“ Sie beugte sich vertraulich zu uns. „Eigentlich sollte ich nicht darüber reden, aber nachher geben Coldplay hier ein Privatkonzert. Keine Ahnung warum, aber wir dürfen jeder zwei Gäste einladen. Da habe ich gleich an euch gedacht.“

Mir stockte der Atem. Ich liebte Coldplay! Sofort schmiss ich Bradley Cooper aus meinen Phantasien und ersetzte ihn durch Chris Martin, den Sänger der Band. Der hatte sich doch gerade erst von Gwyneth Paltrow getrennt. Was wäre, wenn ich ihn persönlich kennenlernen würde und ihn dann nächste Woche mit zu diesem Essen bringen könnte? Das würde meine bescheuerten Kollegen umhauen!

Ich strahlte Jasmin an. „Das ist ja der Wahnsinn! Ich liebe Coldplay!“

Sie sah mich erstaunt an. „Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht.“

Lena hatte noch gar nichts gesagt. Jetzt schüttelte sie fassungslos den Kopf und griff nach meinem Arm. „Isabel, hör zu und lerne.“ Sie drehte sich zu Jasmin. Sie sprach laut und akzentuiert. „Das ist ein wirklich guter Aprilscherz, Jasmin. Aber wir fallen nicht darauf rein.“

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht. Wie blöd konnte ich eigentlich sein? Als ich durch meine Finger blinzelte, sah ich, dass sich Jasmin vor Lachen ausschüttete.

„Du bist die erste, die heute auf einen Aprilscherz reingefallen ist“, erklärte sie mir fröhlich und ging zurück zum Tresen.

Verdammt.

„Wann ist dieser blöde Tag bloß endlich zu Ende?“, jammerte ich. Aber dann musste ich doch lachen. „Ich frage mich nur, woher Jasmin wusste, dass ich auf Coldplay stehe“, überlegte ich laut.

Lena schloss für einen Moment die Augen und schüttelte fassungslos den Kopf. Dann zeigte sie auf mein schwarzes T-Shirt, auf dem in weißen Buchstaben der Name der Band prangte.

„Komm, ich hab genug Sport gehabt“, sagte sie und sprang von ihrem Rad. „Gehen wir was Trinken.“

„Das ist der beste Vorschlag des Tages“, seufzte ich.

***

Als ich später in meinem Bett lag, ging mir das Gespräch mit Lena nicht aus dem Kopf.

Die Vorstellung, mit einem charmanten, gutaussehenden Mann bei dem Geschäftsessen aufzutauchen, war wirklich verlockend.

Auf der anderen Seite: wie sollte das gehen? Jeder würde doch sofort merken, dass ich nicht meinen Freund, sondern einen bezahlten Mann an meiner Seite hatte.

Ich verwarf den Gedanken und dachte lieber über die Ferienanlage nach. Ich hatte mir schon immer gewünscht, eine ganze Anlage gestalten zu dürfen. Ich sah kleine Häuser in bunten Farben vor mir. Dazwischen Bäche und Seen, mit kleinen Holzbrücken. Ich träumte von bestem Holz, fortschrittlichen Energie-Konzepten, von Brunnen für die Wasserversorgung und einem Naturteich. Darüber schlief ich ein.

Am nächsten Tag klingelte mein Wecker wie immer um halb sieben und ich hätte mir am liebsten die Decke über den Kopf gezogen. Ich musste sofort wieder daran denken, dass ich den gestrigen Tag damit verschwendet hatte, mir Stripclubs im Internet anzuschauen. Die feixenden Gesichter dieser Idioten würde ich so schnell nicht vergessen.

Als ich im Büro ankam, sah ich sofort wieder das anzügliche Grinsen von Tobias, dem ich schon im Fahrstuhl in die Arme lief.

„Hey, Chica“, begrüßte er mich.

Ich verstand nicht, warum es ihm nicht langsam langweilig wurde, mich zu ärgern. Ich setzte ein möglichst unbekümmertes Gesicht auf.

„Guten Morgen, Tobias“, wünschte ich ihm mit undurchdringlicher Miene. Ich würde mich nicht auf sein Niveau herablassen und auf seine dummen Spielchen einsteigen.

„Und? Wen bringst du zu dem großen Essen mit?“, legte er auch sofort wieder den Finger in die Wunde.

Ich sah seine nach hinten gegelten Haare und roch sein aufdringliches Aftershave.

Echt, sein Verhalten war so daneben.

Als wir beide damals in der Firma angefangen hatten, war Tobias ein paar Monate lang der reinste Charmebolzen gewesen. Er hatte mit mir geflirtet, was das Zeug hielt, brachte mir Kaffee mit, hielt mir die Türen auf. Wir hatten sogar ein paar wirklich interessante Gespräche, bei denen wir uns lange in den Pausen unterhielten und auch oft noch nach Feierabend.

Und nur, weil ich nicht auf seine Anmache eingegangen war, tat er jetzt so, als wäre ich eine alte Jungfer. Oder lesbisch. Oder eine lesbische, alte Jungfer.

Mir war klar, dass verletzter Stolz bei Männern schmerzen kann. Aber es so zu zeigen, war ebenfalls keine Art.

Ich zuckte mit den Schultern und wollte ihn wortlos stehen lassen, aber er ließ sich nicht so leicht abschütteln.

„Weißt du“, sagte er mit vertraulich gesenkter Stimme, „der Alte ist ein totaler Familienmensch. Er hat mal gesagt, wer nicht liebt, der hat auch keine Kreativität. Er hasst es, wenn man zu diesen Terminen alleine kommt.“

Ich schluckte.

War das schon wieder eine Lüge? Merkwürdigerweise glaubte ich ihm. Aber ich fiel ja auch auf jeden noch so dummen Aprilscherz herein. „Na, dann wirst du ihm ja sicher bald eine Verlobte präsentieren“, sagte ich sarkastisch.

Er grinste selbstgefällig. „Wo du es gerade erwähnst: ich spiele gerade tatsächlich mit dem Gedanken, Sophia einen Antrag zu machen.“

Verdammt. Da hatte ich wohl ein Eigentor geschossen. Ich hatte Tobias Freundin auf der letzten Weihnachtsfeier kennengelernt. Sie war wirklich hübsch und nicht mal besonders dumm. „Herzlichen Glückwunsch und richte ihr bitte mein Beileid aus.“

Wir hatten fast unser Gemeinschaftsbüro erreicht, aber er ließ einfach nicht locker. „Also, kommst du wieder alleine?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich bringe meinen Freund mit“, hörte ich mich dann sagen, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.

„Ja, sicher“, nickte Tobias ironisch. „Als ob du einen Freund hättest.“

„Ich habe einen Freund und es tut mir jetzt schon leid für ihn, dass er einen ganzen Abend mit einem Idioten wie dir verbringen muss“, schoss ich zurück. Dann stolzierte ich in unser Büro.

Als ich meinen Rechner hochfuhr, tobte ich innerlich immer noch. Ich wusste nicht, ob ich mich mehr über Tobias oder über mich selbst ärgerte. Auf jeden Fall war mir die Situation gehörig außer Kontrolle geraten. Ich konnte mir schon vorstellen, wie Tobias und Maik feixen würden, wenn ich jetzt doch allein zu dem Essen auftauchen würde.

Ich verbannte alle Gedanken an mein unbefriedigendes Privatleben aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf meine Arbeit. Ich fing an, ein paar Skizzen für ein Feriendorf zu machen. Dann suchte ich nach vergleichbaren Objekten, sah mir ein paar Baumaterialien im Netz an und begann, Zeit und Kosten zu kalkulieren.

Als ich wieder von meinem Rechner aufsah, war der Tag fast vergangen und ich fühlte mich nach der Arbeit schon viel besser. Ich hatte mitbekommen, dass Tobias und Maik sich wie immer zusammentaten, um sich gegenseitig bei ihren Entwürfen zu unterstützten.

Sollten sie doch.

Wir würden ja doch nur die Vorarbeiten machen und dann würde einer von den namhaften Architekten aus der Firma die Federführung für das Projekt übernehmen.

***

Auf dem Weg nach Hause fragte ich mich, warum ich mich von Tobias so aus der Ruhe bringen ließ. Die Antwort war so einfach wie fürchterlich: weil er Recht hatte.

Ich wusste, dass mein Chef die fixe Idee hatte, dass man einen Lebenspartner haben musste.

Morgen in einer Woche würden wir uns in einem Nobelrestaurant am Hafen treffen: mein Chef mit seiner Frau, Tobias und Maik mit ihren Freundinnen und der japanische Investor Masuda. Auch er würde sicher in Begleitung erscheinen. Der Gedanke, innerhalb einer Woche einen offiziellen Freund auftreiben zu müssen, machte mich fast wahnsinnig.

Noch viel schlimmer war aber die Vorstellung, alleine bei dem Essen aufzukreuzen.

Es war schon acht, als ich endlich in meiner Wohnung in Eimsbüttel ankam. Ich hatte mir auf dem Rückweg noch etwas vom Japan-Imbiss mitgenommen und war mir der Ironie völlig bewusst, dass ich während einer japanischen Mahlzeit schon wieder alleine essen sollte.

Ich warf meine Schlüssel auf die Kommode und zog Schuhe und Mantel aus. Vor meinem Balkon ging gerade die Sonne unter. Ein winziger orangener Streifen war gerade noch zu sehen. Ich blieb eine Weile vor der Terrassentür stehen und beobachtete, wie es dunkel wurde. Dann zog ich die Vorhänge zu und machte mich auf den Weg in die Küche. Abschließend setzte ich Teewasser auf und schaltete mein Notebook ein.

Während ich die gebratenen Nudeln mit Hühnchen und Gemüse direkt aus der Schachtel aß, sah ich mir noch ein paar Feriendörfer an. Aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Immer wieder wanderte mein Blick zu meiner Trainingsjacke, die ich gestern Abend über einen Stuhl in der Küche geworfen hatte. In der Innentasche steckte der Zettel, auf den Lena die Internetadresse der Begleitagentur geschrieben hatte.

Irgendwie hatte ich Hemmungen, mir die Seite im Netz anzusehen. Ich kam mir vor wie ein Perverser, der sich Pornoseiten reinzieht. In Zeiten der NSA-Affären war privates Surfen schließlich nichts, was man als selbstverständlich voraussetzte.

Egal, sagte ich mir. Ich war mit meinem Arbeitscomputer gestern stundenlang auf den Seiten von diversen Stripclubs gewesen. Da war doch eine seriöse Begleitagentur gar nichts dagegen!

Bevor ich meine Meinung ändern konnte, fischte ich schnell den Zettel aus der Tasche und tippte die Internetadresse ab. Ich hielt den Atem an und erwartete instinktiv Bilder von spärlich bekleideten Menschen in aufreizenden Dessous.

Gott sei Dank sah die Seite wirklich seriös aus.

Da hatten die NSA-Agenten keinen Grund für spöttische Bemerkungen, wenn sie mir jetzt virtuell über die Schulter schauten. Man sah nur einen Tisch mit einem weißen Tischtuch. Darauf standen Wein, ein Brotkorb und zwei Pasta-Gerichte.

Ich überflog aufgeregt den Text. Man musste sich nur mit seiner E-Mail-Adresse und einem Passwort einloggen, schon konnte man hier an die sogenannten Sedcards der Begleiterinnen und Begleiter herankommen. Eine Gebühr wurde erst fällig, wenn man die Kontaktdaten anforderte. Es fühlte sich kein bisschen verrufen an. Also registrierte ich mich, gab meine Postleitzahl ein und schon konnte es losgehen.

Ich vertiefe mich in die Suchmaske, doch dann halte ich inne.

War ich eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Wie krank war das denn, wenn man sich einen Mann von einer Agentur aussuchte? Eine Welle von Selbstmitleid überflutete mich. Was hatte ich bloß falsch gemacht? Warum hatte ich zwar einen erstklassigen Job, war aber nicht in der Lage, einen Freund zu finden?

Ich hatte mir mein Leben so anders vorgestellt. Klar, ich hatte immer Erfolg im Beruf gewollt. Aber ich hatte gedacht, dass ich spätestens mit dreißig Jahren der Liebe meines Lebens über den Weg gelaufen sein würde. Meine Lebensplanung war klar gewesen: mit dreißig heiraten, mit Mitte dreißig zwei Kinder.

Bis zur Uni war auch noch alles nach Plan verlaufen. Ich hatte mich mit vielen Jungs verabredet, hatte ein paar kurze Beziehungen gehabt. Dann hatte ich meinen Abschluss in der Tasche gehabt und bekam dieses unglaubliche Jobangebot von Berthold & Fechtner.

Das Beste daran war, dass ich wieder mit Lena in einer Stadt leben konnte.

Lena und ich waren beste Freundinnen, solange ich denken konnte. Wir waren zusammen in einem schleswig-holsteinischen Kuhdorf mitten im Nirgendwo aufgewachsen. Während ich in Berlin und München studiert hatte, war Lena direkt nach dem Abitur nach Hamburg gezogen. Ich hatte sie während des Studiums manchmal mehr vermisst als meine eigene Familie.

Alles hatte sich für mich nach der Uni so perfekt gefügt. Der tolle Job, die süße Wohnung, Lena ganz in der Nähe. Aber komischerweise war dann alles schwieriger geworden. Ich hatte plötzlich unter einem enormen Erfolgsdruck gestanden. Siebzig-Stunden-Wochen im Büro waren für mich zum Alltag geworden. Ich hatte immer weniger Freizeit gehabt und ohne es zu merken, hatte ich mich in einen Workoholic verwandelt. Ich hatte immer weniger unternommen. Und ich hatte aufgehört, mich mit Männern zu verabreden.

Ich griff zum Telefon und wählte Lenas Nummer. „Bin ich der armseligste Mensch der Welt?“, fiel ich direkt mit der Tür ins Haus, als Lena den Hörer abhob.

„Nein“, antwortete sie mit ernster Stimme. „Du kennst doch diesen Timo aus meinem Haus? Du weißt schon, der seinen Job verloren hat und nur noch in Jogginghosen herumläuft. Der ist noch ein bisschen schlimmer dran. Und natürlich die Leute im Dschungelcamp“, sagte sie trocken. „Aber danach kommst gleich du.“

„Du bist mir wie immer eine große Hilfe.“ Ich seufzte. „Ich bin übrigens gerade auf dieser Homepage. Du weißt schon. Von dieser Begleit-Agentur.“

Durchs Telefon hörte ich Lenas Stimme, die eine eigenwillige Version von It's raining man zum Besten gab.

„Jetzt sei doch mal kurz Ernst, Lena“, bat ich sie. „Sag mal ehrlich: Hast du mir die Adresse gegeben, weil du das an meiner Stelle wirklich tun würdest? Oder war das ein Witz?“

Sie hörte auf zu singen und dachte eine Weile nach. „Keine Ahnung“ erwiderte sie. „Ich glaube, es sollte eher ein Witz sein. Aber wenn du das wirklich machen willst, finde ich es ehrlich gut. Ich meine, es ist doch letztlich so wie Online-Dating. Nur dass du dafür bezahlst. Das machen Männer andauernd.“

„Hmm.“ Ich biss mir auf die Lippe. „Ich würde ja gern. Aber ich trau mich einfach nicht.“

Ich hörte, dass Lena tief durchatmete. „Isi, du musst endlich mal was riskieren. Du sitzt da den ganzen Tag in deinem Büro, machst brav deine Arbeit und lässt dich von diesen schmierigen Angebern verarschen. Dann gehst du nach Hause und arbeitest weiter. Du schläfst ein paar Stunden und der Wahnsinn geht von vorne los.“ Sie seufzte. „Wenn du wirklich in einem Büro wie dem von Berthold und Fechtner Erfolg haben willst, dann wird es Zeit, die Sache in die Hand zu nehmen. Du bist tausend Mal besser in deinem Job als Tobias und Maik. Aber wenn du dich weiter so unauffällig und still verhältst, dann sind die beiden längst Partner, während du immer noch viereckige Bürokästen nach den Anweisungen deiner Vorgesetzten zeichnest. Wenn du sicher bist, dass ein Date bei diesem Essen deiner Karriere helfen wird, dann würde ich nicht zögern.“

„Wow.“ Ich schluckte. „Das war ja eine richtige Ansprache.“

„Du hast so viel Elan gehabt, damals an der Uni. Jetzt ist es so, als hättest du dein inneres Licht ausgeknipst. Hab doch bloß nicht solche Angst. Was soll schon passieren? Geh mit dem Flow.“

„Und mit dem Flow gehen heißt, für diesen Abend einen Mann buchen?“

„Ich weiß nicht. Sag du es mir.“

Ich nickte, plötzlich entschlossen. „Ja, ich habe das Gefühl, genau das heißt es.“

***

Um Mitternacht hatte ich meine Suche auf zwei Kandidaten eingeschränkt.

Da war einerseits Sascha, blond und knapp vierzig Jahre alt. Er hatte ein freches Lächeln und beherrschte angeblich drei Fremdsprachen. Auf der anderen Seite war Daniel. Er sah zwar fast genauso geschniegelt aus wie die Lackaffen im Büro. Seine braunen Haare waren kurz und ordentlich geschnitten, er trug einen Anzug und eine Krawatte.

Aber irgendwas gefiel mir an seinen Augen. Er sah so aus, als würde er gerne lachen. Außerdem war er eher in meinem Alter – zweiunddreißig.

Ich hatte das Gefühl, die Sache jetzt und hier abschließen zu müssen. Wenn ich noch eine Nacht darüber schlafen würde, würde mich der Mut bestimmt wieder verlassen. Also entschied ich mich für Daniel, gab meine Kreditkarte für die Vermittlungsgebühr an und erhielt kurze Zeit später per Mail seine Kontaktdaten. Ich schrieb ihm sofort eine kurze Mail, in der ich mein Anliegen erklärte und ein Treffen für nächsten Montag vorschlug. Ich drückte auf Senden und fuhr dann den Computer so schnell herunter, als könnte dieser ominöse Daniel mich durch meine Webcam beobachten.

Mein Herz klopfte, als ich ins Badezimmer ging, um mir die Zähne zu putzen. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben etwas wirklich Unvernünftiges gemacht zu haben.

Es fühlte sich toll an.

Date to go - (K)ein Mann zum mitnehmen

Подняться наверх