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Genese des Zauberlehrlings

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Unsere Realität steht Kopf. Die Worte des Therapeuten rauschen in unseren Ohrmuscheln, das Mehr ruft nach uns. Das Gespräch ist bereits einige Tage her; nichtsdestotrotz glühen die Sätze nach wie vor in unserer Lagerstätte. Ihre Funken stieben auf, haben ein Feuer entzündet, das unsere Inspiration auflodern lässt, unseren Stift in Flammen setzt. Das Papier beginnt zu kokeln, Ruß schwärzt die Seiten. Aschfarbene Zeichen brennen sich in den Schnee. Wir mischen die Zutaten, rühren etwas Sauerstoff unter, tauchen unseren Zauberstab in den köchelnden Sud: Die Pinselspitze tropft wie Blut, in unserem Augenlicht glitzert das Leben. Wir wispern die Formel, Zauber liegt den Silben inne, die unsere Zunge zu Sprüchen formt.

Unsere Finger gleiten liebevoll über den Werkstoff. Das Papier flüstert schnurrend seine Geheimnisse in unser lauschendes Ohr. Während wir Welt beschreiben, entfremden wir uns, nichts wirkt real. Alles fällt um uns auseinander.

Wir lösen uns auf im Rausch der Fantasie.

Warum? Wieso? Wer sind wir? Wir, wir wollen uns erkennen, im Spiegel der Sprache wollen wir einen Blick auf uns erhaschen. Wir spielen Verstecken, doch finden uns nicht mehr, der Wald aus Worten ist zu hoch gewachsen. Ich halte inne, fokussiere.

Langsam wird meine Sicht wieder schärfer: Da draußen wächst ein Baum. Ich sitze an einem Tisch. Im Hintergrund unterhalten sich Menschen über das Verliebtsein. An den Ästen des Baumes hängen Schnüre herunter, mit bunten Splittern. Der Tisch ist noch ein bisschen verkrümelt vom Abendessen. Jemand beginnt Klavier zu spielen. Dieser Mensch zeichnet mit Sätzen seine Umgebung nach, nimmt Geräusche auf, registriert Stimmungsschwankungen. Dieser Mensch verzerrt die Welt um sich herum, entwirft sie neu, fügt ein paar Striche hinzu und schraffiert vielleicht die Schatten nach. Durch das Fenster fällt Licht auf unseren Skizzenblock. Ein Mädchen beobachtet den Musizierenden. Andere gesellen sich ihm hinzu.

„Singen, wir wollen singen!“

Ja, wo bin ich eigentlich? An was für einen Ort habe ich mich hier hineingeschrieben? Ja, Welt hat mich inspiriert und nun…nun werde ich mitgerissen, Assoziationen überspülen mich, sie rauschen zusammen zu meinem Selbst, setzen mich unter Strom, verpassen mir eine Gehirnwäsche, bis ich schließlich endgültig überschnappe und das Ventil öffne, vollständig öffne. Und die Schöpfung beginnt zu tanzen!

Elemente paaren sich und sprengen die Grenzen, werden überschwemmt von der Kraft des Lebens in mir. Sie versammeln sich zu einer Schneewüste und feuern mich an. Die Tänzer schmelzen mit jedem Schritt Löcher in das Eis, die Musik steigert sich in fiebrige Erregung, unser Körper regt sich auf. Gletscher von Eiswasser tropfen aus unseren Augen, und dann beginnen wir langsam, wach zu werden. Welt wird langsam sichtbar. Ich werde langsam sichtbar. Meine Augen tauen auf.

Das Spiel von Welt.

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