Читать книгу Verrückte Geschichten,von Menschen und Tieren - Mirko Krumbach - Страница 3
Du armer Hund!
ОглавлениеAuf dieser Welt gibt es unendlich viele Tierbesitzer – und bestimmt zahlreiche Wege, wie diese zu ihren Tieren gekommen sind!
Wahrscheinlich führen einen überzeugten Hundebesitzer zwei Wege an sein Ziel!
Dieser Zeitgenosse, der seine Familie um einen lebhaften Vierbeiner ergänzen möchte, fährt alsbald zu einem seriösen Züchter, oder schaut sich im Tierheim nach einer passenden “Feuchtnase“ um.
Der unentschlossene Mitmensch, ebenfalls ein Hundeliebhaber, hadert noch eine geraume Zeit mit sich, weil diese tierische Anschaffung einige unerwartete Nachteile haben kann. Doch früher, oder etwas später, wischt er die Bedenken beiseite und erliegt dem ganz eigenen Charme eines hechelnden Familienmitglieds!
Doch, was wäre das Schicksal, wenn es nicht gelegentlich sein eigenes, launisches Spiel mit Menschen und Tieren treiben würde?!
Was wäre wenn der Zeitgenosse zwar ein Tierfreund ist, jedoch gar kein Tier bei sich zu Hause aufnehmen möchte; aber die Vorsehung ihm eines wiederholt hartnäckig präsentiert?!
Was geschehen kann, wenn dieser Zeitgenosse und ein verirrter Vierbeiner aufeinandertreffen!?
Dann braucht es etwas Zeit und starke Nerven, bevor Hund und neues Herrchen zueinander gefunden haben.
Für meine bescheidenen Lebensverhältnisse war es heute Mal wirklich spät geworden!
Ein Überraschungsbesuch bei meinen Bekannten, zog sich um einiges länger und ausgiebiger in die Nacht, als ursprünglich geplant. Ich hätte es wissen können, denn meine Freunde waren als “Nachteulen“ berühmt! Ohnehin machte es der laue Sommerabend schwer, zeitig „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Wer gibt sich gerne die Blöße und offenbart seinem engsten Kreis von Gefährten, dass er mindestens acht Stunden Schlaf benötigt!? Zudem verrann die Zeit, in dieser ungezwungener Atmosphäre, bei jeder Menge Fröhlichkeit rasend schnell. Natürlich verweilt man an solchen Orten gerne etwas länger; aber irgendwann war es Zeit zu gehen!
Trotz aller Frotzelei der feucht-fröhlichen Gesellen, trat ich gegen Mitternacht entschlossen meinen Heimweg an. Gottlob war es nicht besonders weit bis nach Hause. Benebelt von dem ungewohnten Konsum alkoholischer Getränke, zog ich durch die leeren Straßen des Ortes. Einige Gedanken zum Thema Glück, der Zufall, die Freude, das Leben und die liebe Gerechtigkeit sausten wild durch meinen benebelten Kopf. Sie begleiteten mich auch hartnäckig, als ich den Parkplatz einer angrenzenden Mehrzwecksportstätte überquerte. Auf der schmucklosen und schwach ausgeleuchteten Anlage huschten am Rand einige Papierfetzen auf. Hier und da zerrte ein leichter Windhauch an einer geleerten Getränkedose und trieb sie auf dem Asphalt spielerisch umher.
Einen kurzen Moment blieb ich unsicher stehen. Zwischen diesem Schauspiel von achtlos weggeworfenem Unrat, tippelte ein kleines Geschöpf auf allen Vieren über den Platz und hockte sich schließlich auf sein Hinterteil. Sofort dachte ich an ein wildes Tier, wie einen herumstreunenden Fuchs oder Marder, die nächtens ihr Unwesen treiben. Doch es rührte sich nicht mehr, sondern schaute neugierig in meine Richtung. Mir war gar nicht wohl in meiner Haut. Der rotierende Alkohol in meinem Körper vervielfachte die Panik vor einem folgenschweren Tierbiss. Wilde Vorstellungen spukten in meinem Kopf herum. In einem Szenario erlag ich dann anschließend einer unzulänglich behandelten Tollwut. Hirngespinste dieser Art lähmten das bisschen klaren Verstand, den ich in diesem Augenblick noch besaß.
Doch es führte kein Weg drum herum. Es sei denn, ich hätte den Rückweg angetreten.
Mit weichen Knien und im Magen ein mulmiges Gefühl, schritt ich entschlossen auf das Geschöpf zu. Das gutmütige Licht einer Straßenleuchte präsentierte mir dann einen gewöhnlichen, völlig verängstigten kleinen Hund. Dennoch, es war eine sehr überraschende Begegnung – besonders zu dieser fortgeschrittenen Uhrzeit. Meine rastlosen Blicke schweiften sofort in der Umgebung umher. Wähnte ich doch zu dieser Stunde, in der ungastlichen Umgebung, den Besitzer diese Tieres in unmittelbarer Nähe. Doch keine Menschenseele war zu sehen! Da stand ich nun vollkommen unschlüssig und hilflos an diesem Ort – zudem in einer unbequemen Situation. Wut stieg in mir hoch, je länger ich untätig dastand und absolut nichts geschah.
„Eigentlich sollte ich schon längst im Bett liegen“, maßregelte ich mich in erzieherischem, strengem Tonfall selber! Ich war hundemüde und jetzt wurde auch noch, zu allem Überfluss, mein Mund vom übermäßigen Alkohol unheimlich trocken. Die laue Sommerabendluft machte die Lage keineswegs erträglicher!
Der kleine Geselle, eine Etage tiefer, fühlte sich scheinbar genauso unwohl, in seinem dünnen Fell. Mitleid erregend wimmerte er in einem zarten Pfeifton vor sich hin. Dazu blickten erwartungsvoll große, traurige Augen zu mir herauf. Auf seinen spindeldürren Beinchen tippelte er, leicht ungeduldig, hin und her.
Ich schmunzelte leicht. Von oben betrachtet war es eine drollige Feuchtnase – eine ganz besonderer Art. Wahrlich keine Schönheit, mit hervorstehenden, dunklen Augen, kleinem aber markantem Kopf und ein schmaler Rumpf auf diesen dünnen Beinchen. Das ganze gehüllt in einem schmutzigen, weißen Kurzhaarpelz. Einige Sprenkel schwarzer Tupfen im Fell, gaben diesem Tier ein unverwechselbares Erscheinungsbild. Die kleinen Öhrchen gespitzt und die dünne Rute, wedelte wie ein Weidenzweig im Wind, hin und her. Der kleine Hund hätte mir ein freundliches Lachen auf mein Gesicht gezaubert, wären wir uns bei Tage begegnet. Doch wegen der vorangeschrittenen Zeit und meiner quälenden Müdigkeit, war mir nach ausgelassener Heiterkeit nicht zumute. So blieb es bei einem verlegenen Schmunzler.
Das Wimmern des kleinen Kerlchens nahm, je mehr Zeit sinnlos verstrich, deutlich zu – und desto unruhiger wurde ich. Also musste umgehend gehandelt werden, wenn etwas entscheidendes vor Sonnenaufgang geschehen sollte!
Auf einem der zahlreichen Fußwege, die um den Platz herum angelegt waren, kam ein Passant in hastigen Schritten auf uns beide zu gelaufen. Der hektisch wirkende Mitmensch fuchtelte mit beiden Armen übertrieben in der Luft herum.
„Nehmen sie ihren Hund endlich an die Leine“, rief er mir, in forschem Tonfall entgegen, Doch bevor ich ihn über meine ungewöhnliche Situation vollends aufklären konnte, stand er schon keuchend neben mir und rang um Atemluft. Unter seine unregelmäßige Atmung mischten sich, von Ferne hinter dem Parkplatz, diffuse Stimmen und ein unfreundliches Gebell von Hunden.
Hernach überschlugen sich unerwartet die Ereignisse. Ich wusste nicht mehr, wie mir geschah. Innerhalb von 10 Minuten sah ich mich von einer unübersichtlichen Menschenmasse umgeben. Aus ihr heraus starrten zahllose Augen bedrohlich auf uns ein. Nach meiner Vermutung waren plötzlich alle Spaziergänger und “Gassigänger“ des gesamten Ortes vollzählig versammelt.
Beherzt hielt ich eine kurze Ansprache. Mit ziemlich müdem Gesichtsausdruck und hängender Aussprache klärte ich die Situation, in der ich und mein kleiner Begleiter waren, ohne Umwege auf.
Hernach prasselten ungefiltert zahllose Kommentare und Vorschläge auf mich ein. Eine Frau sah sich sogar genötigt, den Hund persönlich zu befragen.
„Na, du armer Hund, wo gehörst du denn hin“? Der Vierbeiner tat zwei bedächtige Schritte rückwärts. Gab aber keine Antwort. Ob es an seinem sprachlichen Unvermögen lag, oder ob er die Frage zu lächerlich fand, hat er nicht verraten!?
Eine weitere Person machte allen Anwesenden Hoffnung, denn sie schien den Hund wiederzuerkennen. Aber leider konnte sie sich nicht an die genaue Adresse entsinnen; noch schien sie in der Lage zu sein den Namen des Halters zu nennen. Sie begnügte sich letztlich damit, grob die Himmelsrichtung anzuzeigen. Gut!
Mittlerweile war es weit nach Mitternacht geworden. Immer mehr Menschen strömten neugierig zum Parkplatz. Bei einigen Anwesenden konnte man den Eindruck gewinnen, sie seien aus den Nachbarorten herbeigeeilt. Die zuletzt Eingetroffenen mussten sich, aus reiner Platznot, mit den hinteren Rängen zufrieden geben. Somit drangen nur spärliche und arg verfremdete Information, aus dem Zentrum des Geschehens zu ihnen durch. Im wilden Gemurmel und sinnlosem Durcheinander machten alsbald die wildesten Gerüchte die Runde.
Nach einer Weile verschaffte sich ein bärbeißiger Mann Zutritt in die Mitte dieser unfreiwilligen Versammlung. Dabei raunte er feindselig:
„Wo ist dieser elende Tierquäler“?! An seiner Seite hechelte ein alter, müde wirkender Schäferhund. Seine Erscheinung wirkte aber verwegen, wie die seines Besitzers.
Sofort wich die Menge um mich und den kleinen Hund ängstlich zurück. Zorn, fast hasserfüllte Blicke hielten mich gefangen. Doch bevor der militante Tierschützer seine ungezügelten Muskelkräfte gegen mich einsetzten konnte, versuchte ich wortgewaltig die bösen Gerüchte zu entkräften. Zeitweise bekam ich den Eindruck, dass der Schäferhund mich besser verstand, als der durchtrainierte Bursche.
Die Situation wurde letztlich gewaltlos und mit Vernunft gelöst, weil der kleine, herrenlose Kerl neben mir erneut heftig zu wimmern anfing und sich an mein Bein fest anschmiegte – so wie es Katzen für gewöhnlich tun. Einen nicht unerheblichen Teil, zur friedlichen Entwicklung trug auch das plötzliche Erscheinen einer motorisierten Polizeistreife bei. Ihre pure Anwesenheit, sowie der Respekt der Passanten vor der Uniform verfehlte gottlob seine Wirkung nicht. Die Beamten konnten sich, auf dem Weg zum Brennpunkt des Geschehens, von dem umher stehenden Volk erste Auskünfte einholen. So unterrichtet drangen die Polizisten nach einer Weile endlich zu mir vor. Unmissverständlich gaben mir die Ordnungshüter zu verstehen, dass ich bitteschön meinen Hund nehmen und den Parkplatz räumen solle. Schließlich störe ich die Nachtruhe der angrenzenden Bewohner. Erste Beschwerden und Anrufe seien bereits, von besorgten Anwohnern, bei ihrer Dienststelle eingegangen. Sollte ich diesem Aufruf nicht Folge leisten, drohe mir eine Verwarnung mit empfindlicher Geldstrafe.
Die würdevolle, strenge Haltung des Schutzmanns, mit einem kompromisslosen Gesichtsausdruck, ließ keinen Zweifel bei mir aufkommen, was von mir erwartet wurde. Vor lauter Angst und Respekt war mir völlig entfallen, dass dieses kleine Kerlchen gar nicht mein Hund war!
Also gab ich mich vollkommen geläutert und wollte jetzt weiteren Unannehmlichkeiten aus dem Wege gehen. Ich hatte schließlich getrunken, war müde und meine miese Stimmung hätte mir nur schlimme Peinlichkeiten eingebracht.
Ich bedankte mich für den netten Hinweis, bückte mich galant und hob den zitternden Hund auf den Arm, so als wäre es mein eigener Vierbeiner. Ohne ein weiteres Wort trottete ich von dannen.
„Hätte ich dich einfach da sitzen lassen, läge ich schon schnarchend in meinem Bett“, brabbelte ich verärgert vor mich hin. Aber selbst mit meinem alkoholisierten Gemüt war mir klar, diesen Vierbeiner seinem Schicksal zu überlassen wäre unverantwortlich gewesen – wäre er doch leichte Beute für herumstreunende Wildtieren geworden.
Für meinen vierbeinigen Gast und mich, als zweibeinigen Gastgeber, wurde es eine sehr kurze und keineswegs erholsame Nacht. Der Hund kämpfte natürlich mit der vollkommen unbekannten Umgebung. Fremdartige Gerüche fluteten ständig seine kleine Nase und lösten Angst und ein tiefes Unbehagen aus. Ab und an war ein leises Winseln und Wimmern zu hören. Obendrein lief er verunsichert im Flur auf und ab. Aber im Morgengrauen ereilte ihn die Müdigkeit und erschöpft zog es den Vierbeiner auf die alte Wolldecke, die ich ihm ins Wohnzimmer gelegt hatte.
Auch ich musste mich ebenfalls von den Eindrücken der mitternächtlichen Stunden erholen. Eine seltsame Hilflosigkeit zerrte immer wieder an meinen Nerven. Das ungewöhnliche Ereignis nüchtern in meinem Kopf zu ordnen, glich einem wahren Kraftakt. Es war unmöglich über diese Gedanken hinweg einzuschlafen. Ich drehte mich von einer Seite auf die andere. Dabei begann ein weiterer, aussichtsloser Kampf mit den Begleiterscheinungen meines übermäßigen Alkoholgenusses.
Trotz aller Widrigkeiten der vergangenen Nacht; am folgenden Morgen sollte die Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer dieses possierlichen Tierchens beginnen. Und ich hatte keinen Zweifel daran, dass das Unternehmen erfolgreich sein würde. Außerdem, eine weitere Nacht mit diesem ängstlichen Hund wäre meiner Gesundheit schlecht bekommen. Zudem sind meine beruflichen Verpflichtungen mit diesem tierischen Untermieter schlechterdings unmöglich. Bei meinen Bekannten hatte ich indes keinerlei Bedenken – dort würde der Hund wunderbar hinpassen!
Das erforderliche Gassigehen wurde von dem Hund ganz von selber erledigt. Ich musste, glücklicherweise keinen Finger rühren. Die frische Morgenluft tat mir gut; ich hatte noch immer einen mächtigen Brummschädel und einen unangenehmen “Kater“, zu dem kleinen Hund dazu bekommen. Bei der Runde durch die Grünanlagen und Plätze der Stadt wurden einige Nachbarn, sowie Bekannte aufgesucht. Sogar fremde Personen sprach ich auf den Hund an. Doch niemandem sei der Hund aufgefallen, noch hatte ihn jemand als vermisst gemeldet. Keine Menschenseele schien den kleinen Kerl zu kennen. Diese Unkenntnis überraschte mich nicht. Selbst meine Wenigkeit hätte den Hund im Alltag übersehen! Diese unerwartete Ahnungslosigkeit meiner Mitmenschen brachte allerdings den Zeitplan für meine weiteren Termine vollauf durcheinander.
Die Befragung der restlichen Bekannten schob ich einstweilen auf. Es war zu vermuten, dass sie weder wach, noch ganz nüchtern und ansprechbar waren! Emsig fertigte ich Flugblätter mit dem Bild des Hundes an; verteilte die Nachricht an jeder Laterne und an allen öffentlichen Plätzen.
Nach getaner Arbeit wollte ich jedoch nicht untätig herumsitzen. Eine innere Stimme, das schlechte Gewissen plagte mich!
„Was wäre, wenn die Familie zu Hause sitzt und sich Gedanken macht, wo ihr kleiner Schützling abgeblieben sei? Vielleicht sitzt das kleine Töchterchen weinend in der Ecke und verweigert jegliche Nahrung, bis ihr geliebter Vierbeiner wieder bei ihr ist“!
Diese Gedanken trieben mich erneut aus dem Haus. Und eine weiter Überlegung ließ mir keine Ruhe:
„Was ist, wenn ich in den nächsten Tagen diesen Hund als Pensionsgast bewirten muss“?!
Bei dieser Gelegenheit stellte ich mit einigem Unbehagen fest, dass ich auf vierbeinige Pensionsgäste unzureichend eingestellt war. Wasser hatte ich zu Genüge. Aber nur ein paar Streifen “Leckerlies“! Das würde wahrscheinlich nicht sehr lange reichen! Auch bei der kleinen Portion an Hund. musste ich also für Nachschub sorgen. Auch etwas Abwechslung bei den Geschmacksrichtungen auf der Tierspeisekarte, konnte bestimmt nicht schaden.
Der kleine Kerl lag auf der Decke und sah mich mit seinen großen Augen verwundert an. Die Öhrchen gespitzt, als würde jeden Moment ein Befehl zum Aufbruch ertönen. Die Zeit verging rasend schnell, während ich aufmerksam beobachtete, wie er sich spielerisch in der Decke verkrochen hatte und sich um die eigene Achse drehte. Es war ein Anblick der einem sämtliche Sorgen und Nöte kurzerhand vergessen ließ. Wie war es nur möglich, dass dieses Tier mich so derart ablenken konnte und ich darüber hinaus alles um mich herum vergaß – selbst die Versorgung meines unfreiwilligen Gastes?!
Doch bald darauf hatte mich die Wirklichkeit wieder. Denn leider erledigen sich viele Dinge nicht von selber. Mit wenigen Handgriffen und meinem handwerklichen Geschick, bastelte ich aus den Resten eines Rollladengurts eine ganz ansehnliche Hundeleine. Damit konnte mich der Fifi auf meinen Einkäufen und weiteren Besorgungen begleiten.
Der Weg zum Supermarkt führte uns beide durch das Neubaugebiet einer Einfamilienhaussiedlung. Hier reihten sich schmucke Häuser und prächtige Villen nahtlos aneinander. Es war eine gepflegte und ruhige Gegend. Während ich so dahinschlenderte und die prächtigen Baustile bewunderte, fühlte ich in meiner Jackentasche noch ein gefaltetes Flugblatt. Ein geeigneter Laternenmast zum befestigen war auch schon gefunden.
In diesem Moment trafen Glück, Zufall und meine unermüdlichen Anstrengungen günstig aufeinander. Zielstrebig näherte ich mich dem Lichtmast und zog den Zettel aus der Tasche. Um ihn aber sicher befestigen zu können, fehlte mir die zweite Hand. Somit ließ ich, für einen Moment, dem kleinen “Hündchen“ seine Freiheit und legte den Gurt auf den Boden.
Wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen überquerte der Freigänger die Straße und huschte, wie selbstverständlich auf das nächste Grundstück in den Garten hinein. Meine Blicke konnten kaum folgen, so schnell war der Kleine in der Einfahrt verschwunden. Hinter der Ecke des Hauses verschwand er ganz und war nicht mehr zu sehen. Nur ein Jaulen und zaghaftes Kläffen vernahmen meine Ohren noch. In Panik steckte ich den Zettel zurück in meine Jackentasche und stürmte kopflos auf das fremde Grundstück – fürchtete ich doch ein schreckliches Unglück.
Es war alles in bester Ordnung. Meine Furcht völlig unbegründet. Auf der Terrasse saß eine ältere Frau in einem Gartenstuhl die von dem Hund freudig begrüßt wurde. Ihre Freude hingegen schien sich in engen Grenzen zu halten. Als sie mich näher kommen sah, streichelte sie dem Tier über das Fell und rief mit aufgesetzter Freundlichkeit:
„Da bist du ja wieder, Moppel“!
„Moppel, dachte ich, bei diesem kleinen, schmalen Hündchen“!? Mein unerwartetes Erscheinen, sowie mein erstaunter Gesichtsausdruck, wurde der Dame sichtlich unangenehm. Sie begann verlegen an dem Rollladengurt herum zuziehen. Unbeherrscht zupfte sie an der unzulänglichen Seilkonstruktion – ohne Erfolg. Ich eilte ohne Zögern zur Hilfe und befreite das Tier von meiner einfachen, handwerklichen Meisterleistung.
„Ist das ihr Hund“, wollte ich wissen. Dabei rollten meine Hände den Gurt langsam auf. Die Frau nickte leicht, schien mir gegenüber aber immer noch misstrauisch zu sein. Ich entschuldigte mich sofort für das überfallartige Erscheinen und gab einen kurzen Bericht über das turbulente Geschehen der letzten Nacht.
„...Natürlich wurden die unglaublichen Ereignisse durch das ziellose Umherirren ihres Hundes ausgelöst“, fügte ich am Ende meines Berichts leicht vorwurfsvoll an. Meine gefühlsbetonte Schilderung war dieser Frau vollkommen gleichgültig. Sie verzog keine Mine; noch zeigte sie das kleinste Anzeichen der Bestürzung, noch Angst um ihren Hund. Als ich meinen gemüts- bewegenden Bericht beendet hatte, schüttelte sie nur ungläubig den Kopf und ließ eine laxe Bemerkung fallen.
„Mäxchen, was machst du bloß für Sachen“!?
„Mäxchen? Ich dachte der Hund heißt Moppel“?!
Auf meinem Gesicht stand eine tiefe Verwunderung geschrieben. Nun bedurfte es etwas mehr als ein paar seltsamer Wortfetzen, um die mysteriöse Situation aufzuklären. Jetzt gab sich die Dame richtig viel Mühe. Durch ihre genauen Schilderungen erfuhr ich, dass dieses Tier vollkommen taub war! Der Name, der gerufen wird, war also reine Nebensache. Ihr gefiel, aus sentimentalen Gründen, Moppel am besten. Ihr erster Hund – ein ach so liebes Tier wurde schon so gerufen. Die anderen Familienmitglieder indes nennen ihn wie sie gerade wollen – aber meistens Mäxchen!
Wie es dazu kommen konnte, dass der kleine Kerl alleine durch die Straßen zieht?! Hierzu gab eine spärliche Auskunft der Dame des Hauses Aufschluss. Demnach befand sich der Hund, bei schönem Wetter, im Garten und spielte ohne Aufsicht. Im Eifer der Aktion hatte er sich vermutlich von seiner Leine befreit und sei dabei verschreckt davongelaufen. Da über den Tag niemand nach dem Tier sieht, fiel sein Verschwinden erst gar nicht auf.
Warum sie, oder einer der übrigen Familienmitglieder, den Hund heute Morgen nicht suchen ließen, blieb das Geheimnis dieser alten, recht sonderbaren Lady und ihrem familiären Anhang.
Trotz einiger Unklarheiten und der tiefen Verwunderung, die regungslos in mir verharrte, war meine Anwesenheit jetzt nicht mehr von Nöten! Die Pflicht gegenüber diesem Hund und seinen nachlässigen Besitzern war erfüllt.
Damit konnte ich mich zufrieden geben. Dennoch wurde es mir auf einmal ziemlich eigenartig zumute. Weder eine herzliche, überschwängliche Dankesrede, noch eine pauschale Aufwandsentschädigung hatte ich erwartet, dafür waren meine Umgangsformen zu schlicht! Aber ein freundliches Wort, sowie ein herzlicher Gruß zum Abschied, mit der Anmerkung in Zukunft aufmerksamer mit dem Tier zu sein, schienen mir für diesen Anlass durchaus angemessen. Aber ich konnte auch ohne ein Dankeschön bequem weiterleben. Besonders, und das war mir wichtig, weil ich mit meinem Gewissen im Reinen war!
So verabschiedete ich mich kurzerhand, unter einem Vorwand dringende Besorgungen erledigen zu müssen und überließ Hund und Frauchen mit erleichtertem Herzen sich selbst.
Nunmehr entspannt, doch noch den vermeintlichen Besitzer gefunden zu haben, schritt ich lässig nach Hause. Hatte mich diese glückliche Fügung doch von einigen Besorgungen und Botengänge entbunden. Die Zettel meiner Suchanfrage, die ich zuvor in der Stadt verteilt hatte, ließ ich aus schierer Bequemlichkeit hängen. Hundefutter musste ich auch keines mehr kaufen.
Auch die Wolldecke wurde nun nicht mehr gebraucht!
Als ich dieses alte zerfranste Stück Stoff zusammenrollte, übermannten mich ungekannte Gefühle und eine nachdenkliche Stimmung entfaltete sich in voller Wucht. Vor meinem geistigen Auge stieg die Szene dieses heiter und ausgelassen tollenden Hundes auf. Es war ein flüchtiger Moment innere Zufriedenheit, die ich in dieser Form lange nicht mehr erfahren hatte. Es war mir zuerst nicht bewusst gewesen, aber ich habe diesen Augenblick sehr genossen!
Meine Freund waren mittlerweile erwacht und zudem nüchtern! In meinem grenzenlosen Eifer hatte ich morgens auf ihre Anrufbeantworter gesprochen. Zugegeben, meine Stimme klang sorgenvoll und hilflos zu dieser Zeit. In Anbetracht meiner Situation, hoffte ich auf schnelle Hilfe. Aber durch die vorangegangenen Ereignisse hatte sich ihre Hilfe natürlich vollkommen erübrigt. Jetzt folgten nach und nach ihre Rückrufe!
„Alle sei wieder in Ordnung gekommen“, berichtete ich einem nach dem anderen Anrufer stolz. Aber irgendetwas stichelte mich unentwegt, tief im Innersten. Heftige Zweifel rüttelten an meinem Gemüt ob diese Person, der ich so leichtgläubig den kleinen Hund überlassen hatte, wirklich die Besitzerin war? Gegen meine Bedenken tröstete sich mein schlichtes Gemüt mit dem Glauben:
„ Der Hund weiß schon, wo er hingehört und wer sein Herrchen, oder Frauchen war“!
Mäxchen-Moppel, oder wie der Hund auch immer genannt wurde, war zwar taub. Aber seine restlichen Sinne, vor allem der Instinkt, dürften einwandfrei funktioniert haben! Und so kümmerte ich mich wieder um Sorgen und allerlei Nöte, die meinen persönlichen Alltag betrafen. Alsbald war das gesamte Ereignis, das wirklich sehr befremdlich, fast abenteuerlich abgelaufen war, aus meinem Blickfeld entschwunden. Hin und wider dachte ich noch an den kleinen Kerl, der mir, auch wenn ich keine eigenen Tiere besaß, in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen war. Er war auf seine eigene Art sympathisch – drollig wegen seines Aussehens. Keinesfalls empfand ich seine Gegenwart aufdringlich. Ein Hund mit einfachem Wesen, der durch seine schlichte Anwesenheit in mir Aufmerksamkeit weckte. Für seine weitere Zukunft wünschte ich dem quirligen Kerlchen nur das Beste. Doch zuallererst hoffte ich natürlich, ihm nur noch in Begleitung seiner Besitzer zu begegnen!
Leider erfüllte sich diese Vorstellung nicht!
Keine vier Wochen später kreuzten sich erneut unsere Wege. Es war früher Nachmittag. Die Luft war noch herrlich frisch und angenehm warm. Eine Besprechung im Büro hatte leider wieder etwas länger gedauert als, zuerst vorgesehen. Nun war große Eile geboten, wenn ich den Termin im Fitnessstudio noch rechtzeitig wahrnehmen wollte! Meine umfangreiche Einweisung an den neuesten Kraftmaschinen sollte unbedingt heute abgeschlossen werden. Mit geschärften Blicken eilte ich den Gehweg entlang und ärgerte mich etwas. Bei diesem Wetter hätte ich mich lieber im Freien aufgehalten, statt gleich im Kraftraum schwitzen zu müssen. Der Park rechter Hand war gut besucht. Es war wirklich schönstes Wetter und die Leute wollten jeden Sonnenstrahl in einer grünen Umgebung auskosten.
Für einen Lidschlag lang streifte etwas Schwarzweißes mein Gesichtsfeld. Verwundert hielt ich inne und kramte wild in meinen Erinnerungen. Mit Verblüffung folgten derweil meine Augen einem Geschöpf, das täuschende Ähnlichkeit mit Mäxchen-Moppel hatte. Der drollige Kerl huschte flink über die Straße, direkt in den kleinen Park hinein und legte sich gemütlich ins Gras. Als ich mich umsah und keinen erwachsenen Begleiter bemerkte, schwante mir erneut böses. Niemand weit und breit zu sehen, der mit dem Hund spazieren ging, oder ihn bei seinem Ausflug begleitete!
Unbeschreiblicher Zorn stieg in mir auf. Doch zuerst nahm ich mir die Zeit den kleinen Kerl zu beobachten, wie er sich in dem frisch gemähten Gras genussvoll hin und her wälzte. Keinen Zweifel, es war der derselbe Hund!
Was es doch für unverantwortliche Menschen gibt! Besonders nach dem nächtlichen Vorfall, wenige Wochen zuvor. Ich schüttelte angewidert den Kopf – war sprachlos und entsetzt von dem Verhalten der Besitzer. Dieser Hund, der taub war und dadurch keine herannahende Gefahr wahr nehmen konnte, lief ohne Begleitung durch die belebten Straßen des Ortes. Es lag mir fern voreiligen Schlüsse zu ziehen. Zu Unrecht beschuldigen lag mir noch fern. Erst wollte ich mir sorgfältig Gewissheit verschaffen. Mit Sorge betrat ich den Rasen und näherte mich vorsichtig dem Hund. Dieser fläzte sich im Gras und spielte mit einem größeren Klumpen Grünschnitt herum. Die Grashalme blieben überall an seinem Körper kleben. Als er mich sah, drehte er geschickt um und stand, fertig zum Abtransport, auf den Beinchen. Ob er mich erkannt hatte, vermochte ich nicht genau zu sagen. Seine Art war zutraulich und lieb, fast schon familiär. Er war es wirklich, der Streuner von neulich Nacht!
Ein flüchtiger Blick auf meine Uhr und somit war jetzt klar:
„Der Termin zur Einweisung auf den neuesten Trainingsmaschinen war nun nicht mehr zu halten“!
Also nahm ich mir wieder die Zeit und sammelte den Hund behutsam ein. Doch zuerst befreite ich ihn sorgfältig von allerlei störenden Grashalmen. Winselnd machte er es sich danach auf meinem Arm gemütlich. Sodann trieb mich mein Verantwortungsbewusstsein zu der wohlbekannten Adresse.
An selber Stelle, auf der Terrasse, begrüßte mich ein junger Mann mit festem Händedruck und einem angenehmen Lächeln auf den Lippen. Er bot mir einen Sitzplatz an und reichte sogleich eine Erfrischung dazu. Seine Gastfreundschaft und die Offenheit überraschte mich schon sehr. Ich lehnte das Getränk dankend ab und kam sofort zu dem Grund meines erneuten Erscheinens.
Als ich von meinen Erlebnissen mit dem freiheitsliebenden Vierbeiner berichtete, wirkt das blanke Entsetzten auf dem runden Gesicht des Jünglings. Womöglich war seine Besorgnis gespielt gewesen; meine Befürchtungen, was die Sicherheit des Hundes betraf, teilte er jedenfalls nicht.
Ich blickte neugierig von der Terrasse in den Wohnbereich hinein, da sich der junge Mann für eine Minute mit dem Hund eingehender beschäftigte. Sehr ordentlich und sauber wirkte der Bereich – nicht zuletzt, weil der Fußboden weiß gefliest war und die Möbel in hellem Holzton wie unberührt dastanden.
„Kein Paradies für einen Hund, der sich gerne im Grünschnitt wälzt“, dachte ich.
Von der älteren Frau, die den Hund bei meinem ersten Besuch entgegennahm, war heute nichts zu sehen. Der junge Mann kümmerte sich weiterhin um den Hund und schien in seinem Verhalten größere Achtsamkeit zu besitzen.
„Was machst du bloß für Sachen, Mäxchen“. Dabei schüttelte er ungläubig den Kopf und fing an zu grinsen. Das Verhalten eines pflichtbewussten Besitzers stellte ich mir aber anders vor!
Einen Grund ernsthaft daran zu zweifeln, dass dieses Tier wirklich zur Familie gehört, hatte ich aber nicht. Im übrigen waren mir die Gefühle einzelner Familienmitglieder einerlei. Dieser erneute Besuch war schon Anstrengung genug. Somit hatte ich ein besonderes Interesse daran, dass es mein letztes Erscheinen ist. Da sich der Hund offenbar mit dem Mann verstand, hatte ich keine ernsthaften Bedenken ihn dort, in seiner Obhut zu lassen.
Durch meinen verpassten Termin im Studio und die erneute Nachlässigkeit der Besitzer, war ich dennoch angespannt. Folglich war meine Aussprache im Verlauf des Besuchs etwas rüde und mein Verhalten leicht gereizt. Am Ende mahnte ich an, etwas umsichtiger zu sein. Schließlich, so ließ ich erkennen, habe ich nicht immer Zeit den Hund hier persönlich vorbeizubringen. Ich könnte nicht überall sein und hätte noch andere Sachen zu erledigen. Zustimmendes Nicken mit einem freundlichen Lächeln überzeugte mich, dass zukünftig keine weiteren Besuche und Hilfeleistungen meinerseits mehr nötig wären. Die Besitzer sind ab sofort umsichtiger mit ihrem kleinen, nach Freiheit drängenden Liebling!
Ich empfahl mich der restlichen Familie und trottete, mit einem Pfadfinder - Gedanken im Kopf: „Jeden Tag eine gute Tat“, ab nach Hause. Für die nächsten Wochen, so meine Vorstellung, hätte ich wohl einen erheblichen Kredit auf meinem Pfadfinder Konto angesammelt!
„Aller guten Dinge sind drei“, sagt ein Sprichwort!
Scheinbar gilt es nur für die unangenehmen und schweißtreibenden Dinge im Leben! Ich bin zu der festen Überzeugung gelangt, dass angenehme Situationen und Lottogewinne sich nicht so häufig wiederholen! Aber das nur nebenbei.
Wenige Wochen nach der zweiten Begegnung, lief mir das Tier erneut in einer misslichen Lage in die Arme. Hierbei trieb er sich herrenlos an der Straße herum. Erneut war es sein Herzenswunsch den kleinen Park, mit seinem satten Grün zu erreichen. Doch hierbei musste ich als Retter wirklich ohne zu Zögern herbeieilen!
Während Mäxchen-Moppel nur noch Augen und Instinkte für die Grünfläche des Naherholungsgebiets hatte, ging die Welt des Straßenverkehrs, mit all ihren Gefahren und ohne Nachsicht weiter. Eine Kolonne von Autos näherte sich bedrohlich in seine Richtung. Der Hund ließ die Verkehrsregeln und seine eigene Sicherheit, beim sorglosen Überqueren der belebten Straße, völlig außer Acht. Es war wie in einem Albtraum und einem Actionfilm zugleich. Getrieben von dem Wunsch das Leben diese Hundes zu retten, brachte ich mein eigenes Leben und das der restlichen Verkehrsteilnehmer leichtfertig in Gefahr. Ich trat mit einem Bein auf die Straße und hielt den nächsten Wagen mit hektischen Handzeichen an. Das spontane, unerwartete Verhalten nötigte die nachfolgenden Fahrzeuge zu einer heftigen Vollbremsung. Die erzürnten Fahrerinnen und Fahrer trieb die verständliche Wut aus ihren Autos und diese begannen sogleich mich heftig zu beschimpfen. Die Schimpfworte prasselten ohne Unterlass auf mich ein. Ich stand da wie ein unvorsichtiger Schuljunge, der bei einem dummen Streich erwischt wurde. Ein Fahrer, der sich als professioneller Hundehalter erklärte, fing an mir gute Ratschläge zu geben.
„Eine Leine für das zarte Hündchen und eine erhöhte Achtsamkeit im fließenden Straßenverkehr“, legten er mir als Halter ernsthaft nahe. Meine vergeblichen Versuche mich als Retter darzustellen, gingen in den ausufernden, nicht enden wollenden Zornausbrüchen kläglich unter. Das ich nicht der Besitzer war, wollte keiner der Beteiligten mir wirklich glauben – in dem allgemeinen Wortgemetzel interessierte es auch niemanden.
Einige der aufgebrachten Verkehrsteilnehmer bereiteten sich lieber sorgfältig darauf vor, mich ausgiebig körperlich zu züchtigen. Jedoch abgeklärte Anwesende konnten diesen marodierenden Mob gerade noch von ihrem mittelalterlichen Strafvollzug abbringen. Als sich die Fahrer beruhigt in ihre fahrbaren Untersätze zurückgezogen hatten, zitterte ich am ganzen Leib. Mir war unwohl und Übelkeit regte sich in der Magengegend. Ich nahm kaum noch wahr, wie die wild hupende, mit aufheulenden Motoren, ewig lange Autokolonne an mir vorbeizog. Es war fast wie ein Karnevalsumzug – nur ohne Süßzeug. Dabei hielt ich den Hund krampfhaft fest, damit er nicht bei diesem Lärm das Weite sucht. In der Aufregung war mir jedoch entfallen, dass er gar nichts hört – sein großes Glück!
Ich lief wie in Trance hinüber in den Park und versuchte, auf einer hölzernen Sitzgelegenheit erst einmal meine innere Balance wiederzufinden. Den Hund ließ ich frei laufen. Die letzten Sonnenstrahlen wirkten beruhigend auf meiner Haut. Ich genoss ihre angenehme Wärme, als wären es meine letzten gewesen. Mäxchen-Moppel spielte ausgelassen, als hätte sich vor wenigen Minuten nichts ungewöhnliches, gar dramatisches ereignet. Dabei blieb er brav in meiner Nähe. Sobald ich mich wieder gefangen hatte und nervlich in ausgeglichener Verfassung war, wollte ich den Hund bei seinen Besitzern erneut vorbeibringen.
Jedoch riet ein innere Stimme von diesem Vorhaben einstweilen ab!
Eine falsche Geste des Besitzers hätte vielleicht unangenehme Folgen gehabt. Ich war immer noch sehr aufgewühlt und dadurch leicht aus der Fassung zu bringen. Kein Richter, hätte im Fall der Fälle für mein überzogenes Verhalten allzu großes Verständnis gezeigt! So blieb ich unschlüssig sitzen und haderte mit dem weiteren Vorgehen.
Es ist schön, wenn man über einen Vertrauten verfügt, den man in solchen Fragen hilfreich zu Rate ziehen kann. Ich verfüge zwar über einen weiten und gut durchstrukturierten Bekanntenkreis. Jedoch findet sich unter denselben keiner, der auch nur in Ansätzen die soziale Ader und meine Einstellung zu Lebewesen teilt. Mit einem lapidaren:
„Dann geh zur Polizei, oder überlass den Hund seinem Schicksal. Was kümmert es dich“!? Mit solchen Äußerungen kann ich leider wenig anfangen und sie hätten mich in diesem Fall nicht weiter gebracht. So blieb ich auf mich alleine gestellt, und das ist wohl bei den meisten Problemen im Leben so. Die Entscheidung trifft man letztlich immer alleine! Denn bei den Konsequenzen ist man ebenfalls alleine!
Ach was haben wir doch für Probleme?! Wir martern uns den Kopf und wälzen Sorgen hin und her; wägen ab und das Leben verrinnt, wie ein Flusslauf tief in der Wüste. Aber beim Anblick des kleinen Hundes, der ausgelassen auf dem Grün herumtobte und mit enormer Beharrlichkeit in der Erde wühlte, vergaß ich alle Bedenken – wurde gelassener und wesentlich ruhiger.
Dennoch war ich hin und her gerissen, wollte ich den Hund nicht noch einmal bei mir, in meiner privaten Umgebung, nächtigen lassen. So entschloss ich mich letztlich, das Tier wieder einmal in treue Hände an seine rechtmäßigen, wenn auch nachlässigen Besitzer zu übergeben. Erneut steuerte meine Wenigkeit, mit Hündchen auf dem Arm, zu dessen Heim.
Die Terrasse war völlig verwaist, als ich am Haus ankam. Die Sonne verschwand gerade hinter einem Baum; keine angenehm Umgebung mehr um draußen zu verweilen. Zudem fegte ein mäßiger, aber unangenehmer Wind die restliche Gemütlichkeit hinfort.
Ich hatte nicht vor, den Hund, ohne ein klärendes Wort mit dem Herrchen einfach auf der Terrasse unbeaufsichtigt zurücklassen. Dafür war der vorangegangene Zwischenfall an der Straße zu gefährlich gewesen. Ich schritt beherzt zur Haustür und schellte ein paar mal ungeduldig. Ein junges Mädchen öffnete und ihre Blicke verrieten eine große, echte Freude. Ihre Augen leuchteten, als sie das Tier auf meinem Arm sah. Auch der Herzschlag des Tieres war höher, aber er rührte sich nicht. Doch ich fühlte, seine Begeisterung war ebenso echt. Ohne ein Wort entriss sie mir den Hund und herzte ihn mit großer Inbrunst. Wie ein liebes altes Stofftier schaukelte sie ihn auf ihrem Arm hin und her. Diesen Umgang empfand ich als zu plump. Doch dieses Kind hatte keine Ahnung, dass sie ihren Hund nur durch einen großen Zufall noch so in die Arme schließen konnte. Erneut zog innerlich der Zorn auf. Die Möglichkeit meine Gefühle angemessen zu offenbaren, fand sich in dem Augenblick nicht – schon gar nicht vor diesem ahnungslosen Kind. Mit einigen bedeutungslosen Worten des Unverständnisses blieb ich in der Tür stehen und wollte den Grund erfahren, weshalb dieser Hund so häufig herrenlos die Stadt erkundet. Und dabei nicht nur sich sondern auch andere Lebewesen einer großen Gefahr aussetzt?
Das Kind reagierte nicht, sondern sah mich frech und fragend an. Meine ungewöhnliche Art, war unterdessen den Anwesenden im angrenzenden Wohnbereich keineswegs entgangen. Einen Wimpernschlag nach meiner Ansprache trat ein bulliger Mann aus den hinteren Gemächern hervor und baute sich, an der Eingangstür, auf. Dieses Muskelpaket musterte mich zuerst mürrisch und blickte anschließend dem Hund gelangweilt nach. Das Mädchen hatte ihn nun auf den Boden laufen lassen. Erneut machte ich meinem Unmut, über die zurückliegenden Ereignisse, mit leichtem Nachdruck Luft.
Jedoch blieb meine Wortwahl diplomatisch. In Anwesenheit dieser derben Muskelberge blieb mir keine andere Wahl. Teilnahmslos blickten mich die Augen aus seinem speckigen, verkniffenen Gesicht an. Zu der von mir beherzt vorgetragenen Angelegenheit hatte er eine sehr oberflächliche Einstellung. Da er merkte, dass ich durch die zurückliegenden Ereignisse aufgebracht war, gab er sich verständnisvoll. Mich in Sicherheit wiegend bemerkte er dann knapp, dass der Hund in Zukunft besser beaufsichtigt werden würde. Dadurch gäbe es, ab jetzt für mich, keinen zwingenden Grund mehr hier her zu kommen und die Familienruhe zu stören. Nebenbei bemerkt, würde der Hund machen was er will und die Familie des Mannes habe nicht die Zeit und die nötige Geduld hinter dem Tier herzulaufen!
In den Äußerungen, dieses unangenehmen Herren, klang eine gewisse Abneigung und Fahrlässigkeit, gegenüber seinem Haustier mit. Seine anschließende Pose an der Haustür wirkte schon sehr bedrohlich, ja feindselig auf mich. Eine treffende Bemerkung hierzu unterließ ich aber vorsichtshalber!
Um weiteren Ärger zu vermeiden empfahl ich mich für den Abend und wünschte dem Hund alles gute; drehte mich um und ging, vollkommen bestürzt über dieses Verhalten, zurück nach Hause.
In mir herrschte ein Gefühl der vollkommenen Ohnmacht gegenüber dem Unverstand und der Rücksichtslosigkeit des Hundehalters. Doch ich tadelte mich selbst. Sofort begann ich mir große Vorwürfe zu machen, mich zu tief in fremde Angelegenheiten eingemischt zu haben.
„Das hast du nun davon“, raunte eine Stimme aus dem Unbekannten meiner Seele. Nun lag meine einzige Hoffnung darin, das mir der Hund niemals wieder begegnen würde. Doch als ich mir die Mitglieder der Familie noch einmal einzeln ins Gedächtnis holte, verlor ich den Glauben daran, dass dieser Hund zukünftig besser beaufsichtigt würde.
Ehrlich ausgesprochen, war mir bei dieser Situation nicht besonders wohl. Erneut plagte mich mein Gewissen, ein so liebes Geschöpf in den Händen solcher gleichgültigen Zeitgenossen gelassen zu haben. Blieb mir denn eine andere Wahl?!
Nachts wachte ich auf und machte mir wegen meiner fragwürdigen Haltung schlimme Vorwürfe. Ich war halt eine zart besaitet Person! Einige Male hoffte ich meinen Fehler wieder gut machen zu dürfen und bat den Lenker der universellen Geschicke und des Schicksals um eine erneute Chance. Doch dieser tat mir den Gefallen keineswegs. Der Verantwortliche hatte sich wohl dieses mal gedacht:
„ Nein, so ein stures Erdenwesen! Eine erneute Gelegenheiten wird ihm jetzt nicht mehr gewährt“! Wie widersprüchlich und unerbittlich das eigene Schicksal in solchen Situationen erscheinen kann. Und das eigen Verhalten?!
Tag für Tag werden Millionen Tiere getötet, vertrieben, gequält und vernachlässigt! Einen ernsthaften, gar besorgten Gedanken deswegen, habe ich zu keiner Zeit an diese erbarmungswürdigen Kreaturen verschwendet. Eine fürsorgliche, gar aufopfernde Hilfe habe ich ihnen niemals zuteil werden lassen. Aber gerade dieser Hund, dieses Geschöpf hatte unter Abermillionen anderer Tiere derzeit meine ungeteilte Aufmerksamkeit erhalten. Seinem Wohl galt jetzt meine gesamte Sorge!
Meine Gedanken hierzu waren einfach lächerlich. Noch vor Wochen hätte mich dieser Hund nicht interessiert, auch wenn er mir auf dem Bürgersteig entgegengekommen wäre. Höchst wahrscheinlich hätte ich mich von dieser kleinen “Töle“ hysterisch und frech ankläffen lassen müssen.
Doch nichts half mir angenehm über die Zeit der Gewissensbisse hinweg. Alles Beten und Bitten half nichts. Es ergab sich kein weiteres Treffen mehr.
Trost fand ich zeitweise in dem Gedanken, dass die Familie nun besser auf das Tier aufpassen würde. Vielleicht war es wirklich nur jedes mal ein unglücklicher Zufall gewesen! Denn die Leute freuten sich ja doch, wenn sie das Tier sahen.
Aber mit der Hoffnung kamen auch die Zweifel. Wenn sie das Tier nun umgebracht hatten!? Daraufhin spukten tagelang die wildesten Vorstellungen ungefiltert in meinem Kopf herum. Und erneut begann das Karussell der üblen Gedanken seine irre Rundfahrt.
Bei einem Rundgang durch den Park bekam ich sogar unvorbereitet einen gehörigen Schreck. In einem Gebüsch nahe der Straße schaute etwas schwarz weißes aus der grünen, sehr dicht bewachsenen Hecke.
Vorsichtig näherte ich mich, in der Gewissheit den kleinen Hund leblos aufzufinden, dem ich nun dreimal das Leben gerettet hatte. Sollte alle Mühe meinerseits, bis hierher umsonst gewesen sein!? Musste die Geschichte hier nun so tragisch enden?! Sorgenvoll drückte ich das Geäst beiseite.
Nein! Gottlob, bei nähere Betrachtung stellte ich erleichtert fest, dass es der Rest eines achtlos weggeworfenen Stofftiers war.
Mir wurde warm; ich fing an zu schwitzen und erschöpft ließ ich mich auf der nächsten Sitzgelegenheit im Park nieder. Es herrschte reges Treiben auf der Wiese, auch wenn der Tag wolkig und etwas trübe wirkte. Auf dem angrenzenden Spielplatz tobten Kindern, nach Herzenslust eifrig herum. Ich schloss meine Augen und träumte vor mich hin.
Die Stimme eines Mädchens erklang völlig unerwartet hinter meinem Rücken. Als ich mich umdrehte, schauten mich zwei strahlend blaue Augen an. Ein überaus freundlicher Gruß holte mich aus meiner bedrückten Stimmung. Ich war mir gewiss, dieses Mädel hatte ich schon einmal gesehen. Aber mir fiel vor lauter Aufregung nicht ein, wohin ich das junge Geschöpf stecken sollte. Die Überraschung war perfekt, da sie sich als Besitzerin des kleinen schwarz- weißen Ausreißers zu erkennen gab.
Sie schaute mir tief in die Auge, ohne etwas zu sagen. Dieser Blick aus ihren Augen war mir unangenehm. Ich fühlte mich, ohne verständlichen Grund, so als hätte ich etwas Unrechtes getan.
„Es hat etwas gedauert, bis ich sie endlich gefunden habe“, fing sie an mit liebevoller Stimme zu erzählen. „Sie haben völlig Recht, was sie an der Tür zu uns gesagt haben“, fuhr sie besorgt fort. Ich war nicht ganz sicher, ob es eine List war, aber ich hörte weiter zu.
„Der Hund hat es nicht gut bei uns, deshalb läuft er auch immer fort. Ich denke, er mag sie. Und ich glaube, er hat es besser bei ihnen, als bei uns“.
Ich brachte kein Wort heraus. Es dauerte einige Zeit bis ich genau verstand worauf sie hinaus wollte. Gespannt folgte ich jedem ihrer Worte, bis sie mir ihren Vorschlag unterbreitete. Mir blieb die Spucke weg. Das so ein kleines Kind mehr Verstand, Mitgefühl und Verantwortung gegenüber einem Lebewesen besaß, als erwachsene Menschen, trieb mir fast die Tränen in die Augen. Sie mag vielleicht zehn Jahre alt gewesen sein, aber planen konnte sie wie eine erwachsene Frau.
Trotz ihrer genialen Idee, hatte ich einige Bedenken.
„Was ist, wenn deine Familie den Hund wieder haben will, oder als gestohlen meldet“? Sie schaute besorgt in meine Gesicht und meinte: „Niemand aus meiner Familie wird dieses Tier vermissen...Vielleicht ich...Sonst niemand“!
Nach kurzer Überlegung stimmte ich ihrer Idee zu. Nicht zuletzt erkannte ich die einmalige Chance, für mich und den Hund. Der Schöpfer dieser Natur hatte mit einem unbedeutenden Erdenbewohner, wie mir, wohl großes Mitleid und letztlich ein Einsehen gehabt.
Das verabredete Ereignis rückte zügig näher. Die Tage wurden kürzer und die Luft schon merklich kühler; zudem unangenehm feucht. Bei diesen meteorologischen Gegebenheiten im Freien etwas zu unternehmen, oder sich länger aufzuhalten war etwas für Abenteurer und abgehärtete Naturburschen. In dieser Atmosphäre trafen wir beide, die verlorenen Wesen des Schicksals, erneut auf einander.
Ich musste, ganz zufällig bei meinen Freunden etwas erledigen! Zu festgelegter Zeit war ich auf dem Weg zu mir nach Hause. Neben einer Laterne, auf dem vertrauten Parkplatz, bemerkte ich ein kleines Geschöpf auf dem Asphalt kauern. Vorsichtig kam ich diesem Vierbeiner, in Größe einer Handtasche, immer näher. In einigem Abstand kniete ich erleichtert nieder und sah diesem winselnden Fellknäuel in seine großen Augen. Er kam auf mich zu und zog gleich seine Hundeleine hinter sich her. Ohne Probleme ließ er sich von mir auf den Arm nehmen. Ich spürte eine große Erleichterung bei diesem kleinen Hund. Meine Wenigkeit war auf jeden Fall erleichtert.
An der Ecke eines Hauses schob sich ein niedriger Schatten vorsichtig heran, und verschwand sogleich wieder. Ich hätte schwören können dort ein kleines Mädchen gesehen zu haben. Aber zu so später Stunde wird wohl kein Kind mehr auf der Straße sein?!
Nun die Geschichte hatte ein gutes Ende gefunden. Ich nahm den kleinen Ausreißer mit zu mir und integrierte ihn in meine übersichtliche Familie.
Ich druckte noch einmal Flugblätter und Photos! Verteilte sie ordentlich im Ort! Auch an der mir bekannten Adresse, wo das kleine Mädchen wohnte und der Hund eigentlich hingehörte. So hatte ich es mit Maria, wie die kleine smarte Dame hieß, vereinbart. Es sollte wie ein Zufall wirken, um keinen weiteren Verdacht aufkommen zu lassen. Doch nach 2 Monaten meldete sich niemand bei mir und ich behielt den Hund als Haustier bei mir. Fortan bereicherte dieser kleine Kerl nachhaltig mein Leben. Und obwohl er nichts hörte, nahm er rege, ungeheuer vorwitzig und immer gut gelaunt an meinem Leben teil. Er interessierte sich sogar für meine Arbeit und begleitete mich häufig an meinen Arbeitsplatz, im Büro.
Er blieb an jedem Tag, ohne Ausnahme bis zu seinem seligen Ende, ein treuer Freund und aufmerksamer Gefährte für mich.
- Dafür, einen herzlichen Dank -
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