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5. Nächtlicher Besuch.

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Als ihm vor Müdigkeit die Augen zufielen, wünschte er ihm noch eine gute Nacht, bevor er endgültig einschlief. Jim wollte wieder in den Rosengarten zurück, wo er mit dem Jungen gespielt hat, doch sein Vorhaben wollte nicht so recht gelingen. Stattdessen irrte er durch dunkle Gänge und suchte nach einem Ausgang. Irgendwann landete er in einem gräulich gemauerten Raum und als er sich umdrehte, stellte er fest, dass er komplett von Mauern umgeben war. Er hämmerte gegen die Steine, bekam Panik und schrie man solle ihn rauslassen. Er schwitzte und bekam immer weniger Luft. Er konnte schon die blutigen Abdrücke seiner zur Faust geballten Hände an der Wand erkennen und dennoch schlug er immer stärker darauf ein, bis der erste Stein krachend nachgab und die ganze Mauer vor ihm einstürzte. Er lief nach draußen, wo wie in einem Kriegsfilm alles rauchte und durch eine nach verbrannter Erde riechende Trümmerlandschaft. Er lief an eingestürzten Ruinen vorbei und landete schließlich an einer großen, verwitterten Mauer, die er seitlich entlang lief, bis er an ein schmiedeeisernes Tor kam. Durch seine Gitterstäbe hindurch erkannte er dahinter den Rosengarten. Er war in einem schrecklichen Zustand. Die Rosen waren schwarz und ihre Köpfe hingen zu Boden. Das Gras war kaum noch grün, und die Engel grau und verwittert. Er stolperte mehr hinein als das er lief. Ganz nebenbei stellte er fest, dass es stark regnete, als er überall nach dem Jungen suchte, um den er sich mittlerweile große Sorgen machte. Er kam sich vor wie in einem Labyrinth aus Büschen und Rosen und als er auf eine etwas freiere Fläche kam, fing auf einmal die Erde an zu beben. Er fiel der Länge nach hin und plötzlich kippte der ganze Boden in einem neunzig Grad Winkel nach unten. Er krallte sich mit seinen Händen ins feuchte Gras, um nicht abzurutschen, doch der Regen, der immer stärker wurde, ließ das Wasser nur so an ihm vorbei fließen, bis es ihn wie ein reißender Fluss umspülte und er schließlich den Halt verlor. Er schlitterte die glitschige Wiese hinab und an verschiedenen Rosenbüschen vorbei. Als er dabei nach unten sah, bemerkte er, dass er auf einen schwarzen, bodenlosen Abgrund zuraste. Als hätte man die Welt wie einen Keks auseinander gebrochen, endete die Wiese im Nichts. Er konnte sich gerade noch an einem Ast festhalten, als seine Beine bereits ins Leere schossen. Ein explodierender Schmerz machte sich in seinen Armen breit und durchzog seine Schultergelenke, während seine Beine hilflos über dem Abgrund baumelten, wo sich das Wasser in die Unendlichkeit ergoss. Er spürte immer mehr, wie er am glitschigen Ast an Halt verlor, rutschte schließlich ganz ab, und krallte sich noch einmal panisch am Rand fest, an dem sich senkrecht unter ihm, nur getrennt durch eine dünne Schicht Erde das Weltall befand, mit seinen unzähligen Sternen. Er hätte schreien können, als er sich nicht mehr halten konnte und los ließ, doch wer sollte ihn hier schon hören. Niemand hört dich. Vernahm Jim eine traurige Stimme. Niemand…Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heide.

Als Jim aufwachte, hatte er immer noch diese traurige Stimme im Kopf, aber immerhin war er sicher in seinem Bett gelandet. Er rieb sich die Schläfen und starrte verwundert an die Decke. Wie hell sie leuchtete. Er schaute aus dem Fenster, doch es war immer noch dunkel. Sein Blick wanderte hinüber zu seinem Nachttisch mit dem Totenkopf und weiter nach unten zu seinem Schreibtisch, wo er mit erstaunlicher Ruhe zur Kenntnis nahm, dass dort ein Geist saß. Der Zustand dauerte ungefähr eine Sekunde, dann saß er kerzengerade im Bett. In einem Film hätte jetzt irgendjemand laut geschrien, doch Jim hätte noch nicht einmal ein Keuchen herausgebracht. Starr und gebannt starrte er auf den kleinen Jungen der am Schreibtisch saß. Er bestand eher aus weißlich, bläulichem Licht, und dennoch waren seine Konturen so deutlich zu erkennen, als würde ein echter Junge dort sitzen. Er trug ein dünnes T Shirt, kurze Hosen und einfache, schlichte Schuhe. Jim fand, er hatte das Gesicht eines Engels. Er lag etwas Trauriges darin, doch auch gleichzeitig etwas schwer zu beschreibendes, überirdisch Schönes. Selbst wenn Jim jetzt etwas hätte sagen wollen, seine Kehle war wie zugeschnürt. Mit einer auffallend langsamen Bewegung, zeigte der Junge auf den Totenkopf und dann wieder auf sich. Jims feine Nackenhärchen richteten sich auf und gleichzeitig hatte er das Gefühl, ein riesiger Eiswürfel würde seinem Rücken hinunter gleiten. Es kam ihm Ewig vor, bevor er etwas sagen konnte. „Bist das du?“ Kaum hatte er es ausgesprochen, kam ihm seine Frage auch schon unglaublich dämlich vor, aber irgendetwas musste er ja sagen. Erneut hatte Jim den Eindruck, als würde sich der Junge in Zeitlupe bewegen und die Zeit für ihn langsamer ablaufen als für den Rest der Welt, als er nickte. Als würde er sich in einem anderen Universum befinden, in dem die Gesetze unserer Natur nichts gelten, oder er sich erst langsam wieder daran anpassen müsste. Jim versuchte einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen, doch seine überschäumenden Gefühle, blockierten nahezu jede rationale Überlegung seines Geistes. Als würde er das Ende eines Regenbogens suchen und es wäre verschwunden, sobald er dort ankam. Schließlich, als würde es nicht reichen, gesellte sich auch noch ein immenses Schuldgefühl hinzu, als hätte er einen heiligen Tempel entweiht und noch schlimmer; beraubt, und das führte schließlich zu seiner nächsten Frage. „Soll ich ihn zurückbringen?“ Der Junge schien zu überlegen, doch dann schüttelte er ganz langsam den Kopf. Er stand auf, ging zur Tür und machte mit der Hand eine Geste, ihm zu folgen. Zuerst wusste Jim nicht was er tun sollte, doch dann stand er auf, lief zur Tür und sah wie der Junge einfach durch sie hindurch ging. Nach kurzer Überlegung öffnete er die Tür und sah den Jungen die Treppe hinunterlaufen. Als hätte die Schwerkraft für ihn keine Bedeutung, lief er auch hier wesentlich langsamer, als es eigentlich möglich gewesen wäre. Jim folgte ihm nach unten, wo der Junge ohne zurück zu blicken durch den Flur und die Haustür lief. Jim überlegte, ob er zurücklaufen sollte und sich wenigstens Schuhe anziehen, aber dann ließ er es bleiben und folgte ihm nach draußen. Der Geisterjunge lief nicht wie Jim annahm in Richtung des Hügels, sondern ums Haus herum, in Richtung des dahinter liegenden Waldes. Je mehr sich Jim von seinem Haus entfernte, desto unheimlicher wurde ihm zumute. Hier draußen, nur bekleidet mit seinem Schlafanzug, fühlte er sich schutzlos. Und die zunehmende Dunkelheit, zusammen mit seinem leuchtenden Begleiter, half nicht gerade dabei, seine angespannten Nerven zu beruhigen. Während er stehen blieb, lief der Junge unbeirrt weiter. „Wo willst du denn hin?“ Rief er ihm hinterher. Der Junge hielt an und deutete in Richtung des Waldes. Jim schüttelte den Kopf. Er war bestimmt kein Feigling, doch das überstieg eindeutig die Grenze des machbaren. „Es tut mir leid, sagte er schließlich, aber ich kann da nicht mit dir hinlaufen. Nicht mitten in der Nacht.“ Der Junge sah ihn an und schüttelte traurig den Kopf. Es lag eine so tiefe Traurigkeit darin, dass es Jim schier das Herz zerriss. Während er Jim noch ansah, schien seine Leuchtkraft stetig abzunehmen, seine Gestalt immer mehr zu verblassen. Jim hatte das Gefühl, das er irgendetwas tun müsste. Irgendetwas um ihn zurückzuhalten, ihm Trost zu schenken, Hoffnung zu geben, aber er wusste beim besten Willen nicht was er sagen sollte. Bevor er ganz verschwand rief er ihm zu, „komm wieder!“ Er dachte dabei gleichzeitig an die darauf folgende Nacht, wie auch daran, dass er jetzt wiederkommen sollte. Doch es half alles nichts. Der Junge verschwand vor seinen Augen und alles was zurückblieb, war der Wind der durch seine Haare strich und das Gefühl versagt zu haben.

Jim saß zuhause auf seinem Bett und verstand gar nichts mehr. Ein Blick auf die Uhr ergab, dass es kurz vor zwei war, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf. Was um alles in der Welt wollte ihm der Junge in dem Wald zeigen? Wieso bestand er nicht darauf, dass er den Kopf zurückbringt? Und das, was ihm am meisten verunsicherte, - er kannte den Jungen. Er hätte bei allem was ihm heilig ist (und das war genau genommen nicht viel) schwören können, dass es der gleiche Junge war, wie der in seinem Traum. Der, mit dem er dieses Spiel spielte. Das mit den Kugeln. Das wiederum führte ihn zu einem anderen Gedanken. War vielleicht alles ganz anders? Vielleicht gab es keinen Geist und er war nur einen Einbildung in seinem Kopf? Eine Fantasie seines krankhaften Geistes? Es wäre fast schon beruhigend, wenn es so einfach wäre, aber möglich wäre es durchaus. Vielleicht waren ja giftigen Dämpfe in der Höhle, oder irgendwelche Pilzsporen wie bei ägyptischen Ausgrabungen. Ja… das würde auch seinen Alptraum erklären. Er beschloss den Schädel sicherheitshalber in einen Karton zu verstauen. Es war gar nicht so leicht, um zwei Uhr nachts in seinem Haus unauffällig nach einem Karton zu suchen, der zusätzlich auch noch die passende Größe hatte. Aber schließlich fand er einen geeigneten und umwickelt mit einer großen Plastiktüte, verstaute er das Paket auf dem Schrank. So, jetzt fühlte er sich schon halbwegs sicher, falls seine Theorie stimmen sollte. Da gab’s natürlich noch die andere Möglichkeit und der Geist war echt, aber um das herauszufinden, müsste er Henry einweihen. Weiter überlegte er, was er tun soll, wenn der Geist wiederkommt und ihn bittet mit in den Wald zu gehen. Ihn noch einmal so traurig zu sehen, brächte er nicht übers Herz. Ihm schnürte sich ja jetzt schon alles zusammen, wenn er nur daran dachte. Er würde ihm folgen müssen, doch auch das wäre nur machbar, wenn Henry da wäre und mitgehen würde. Er könnte ja Henry einfach nur so anbieten, bei ihm zu übernachten und falls der Geist auftauchen sollte, den Überraschten spielen. Kaum hatte er den Gedanken gedacht, schämte er sich dafür. Das wäre ja so, wie Henry in eine Falle laufen zu lassen. Nein, es half alles nichts, er musste es ihm sagen und das würde bestimmt nicht leicht werden.

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