Читать книгу Der Geruch von Heimat - Mona Checinski - Страница 5
Um was es geht
ОглавлениеIch bin am 10. Oktober 1966 in Remscheid geboren und habe meine Lebensreise bereits als sechs Wochen alter Säugling mit einer dreijährigen „Voll-Pension“ gestartet. Seinerzeit waren dies gut gebuchte Säuglingsheime, die in ganz Deutschland sowie angrenzenden Ländern (Schweiz, Österreich, DDR) Orte der Wahl waren, in denen man Kinder wie mich unterbrachte. Kinder ohne Vater oder mit Vater (aber Ausländer) oder schlicht gesellschaftlich aus irgendeinem anderen irrelevanten Grunde untragbare Erdenbürger. Allein zu damaliger Zeit gab es in Deutschland über 300 solcher Heime. Die allerdings konnten den seinerzeit gut 250 000 Babyinsassen allerdings niemals Heimat sein.
Nach drei Jahren Heimaufenthalt ging die Reise für zwei Jahre zu einer Tagesmutter und mit fließendem Übergang in eine Patchworkfamilie. Wie man das heute so schön nennt, aber eine mit deutschem Stiefdaddy. Ein Vater musste her, meinte meine Mutter, die das Gequatsche der Leute Leid war. Nach knapp 15 Jahren siedelte ich fast nahtlos über in (m)eine italienische Schwieger-Familie. Der Familie meines italienischen Mannes von dem ich drei Kinder bekam. Hier lernte ich zunächst Familie und Nestgefühl kennen, schnell aber auch Kleingeistigkeit, kulturelle Zwänge und klassisches Gastarbeiterdenken.
Mein werter Gatte gönnte sich schon vor der Geburt unseres dritten Kindes eine 19jährige Freundin. Und so folgte Trennung und Scheidung. Nach dem ersten Jahr der Trennung zog ich mit meinen drei Kindern, mittlerweile im Alter von 1 ½, 10 und 12 Jahren, aus der noch im gemeinsamen Besitz befindlichen Wohnung. Wie sich schnell herausstellte war es allerdings wenig sinnvoll, im gleichen Ort zu bleiben. Letztlich nur einen Steinwurf von der ehemaligen Wohnung entfernt. Ich tat es der Kinder wegen.
Es folgten fast fünf sehr bewegte aber auch freie Jahre mit meinen drei Kindern. Diese Jahre waren bunt wie das Leben und oft sehr, sehr anstrengend. Ich hatte selbst mit mir noch zu kämpfen, ähnlich jemanden, der aus den Klauen einer Sekte entfliehen konnte. Absolut unfrei, sich ständig für alles und jeden erklärend, von meinen eigenen Kindern meist genauso respektlos behandelt wie von ihrem Vater und mit einem desolaten Selbstwertgefühl.
Da der Druck und die Kontrollmaßnahmen meines Ex-Mannes auch zu jener Zeit statt nachzulassen immer unerträglicher wurden, entschloss ich mich nach Jahren, nochmals weiter zu ziehen und wenigstens 80 km zwischen ihn und mir kommen zu lassen. Diesen Entschluss konnten meine beiden Größeren nicht folgen, die ohnehin lange schon sehr vaterbezogen waren und für die ihre Mutter immer noch ein gefälligst zu funktionierendes Etwas war. So zog ich also „alleine“ mit meinem Jüngsten, damals fünfjährigen Sohn gen Süden an den Bodensee. Es war mir zu derzeit unmöglich, die Stimme zu erheben, durchzugreifen und meine beiden Großen zum Mitziehen zu zwingen. Bitten meinerseits wurden ignoriert. Es war eine sehr, sehr schwere Entscheidung. Allerdings ließen mir die damaligen Zustände keinen anderen Weg mehr offen. Ich war nervlich mit meinen drei Kindern, deren Ablehnungen und Auflehnungen und dem nicht nachlassenden Psychostress seitens meines Ex-Mannes, irgendwann völlig am Ende. Jahre brauchte es dann auch in der Ferne bis ich das Gefühl der Freiheit mit dem kasteienden Gefühl, als Mutter versagt zu haben, zusammenbringen und daraus endlich ein neues Lebensgefühl erwachsen konnte.
Heute, rückblickend betrachtet, jedoch die beste Entscheidung. Mein Herz und vor allem meine Seele blühten auf – auch wenn ich nach kurzer Zeit für 1 ½ Jahre Kunde des Job-Centers wurde. Eine sehr einprägsame Zeit. Harz IV Kunde zu sein stand der Unterdrückung und Kontrolle meiner italienischen Familie in nichts nach.
Mich wieder zu finden, als Mensch und vor allem als Frau, nahm gut zehn Jahre in Anspruch. Eine Zeit im Freiflug. Es gab keinen familiären Heimathafen mütterlicherseits und auch väterlicherseits nicht. Beide waren regelrecht nicht existent. Das Warum erkläre ich später ausführlicher. Es gab keinen Heimatort zu dem ich hätte zurückziehen können oder wollen. Es gab nach der Scheidung auch keinen Mädchennamen, den man hätte wieder annehmen können. Denn Nomen est Omen und ich wollte den Namen meines Stief- und später Adoptiv-Vaters keinesfalls wieder annehmen. Dieser nämlich galt leider nach meiner Adoption im zarten Alter von 10 Jahren gesetzlich als so genannter „Mädchenname“.
Was blieb also? Wer bin ich? Wo ist Heimat?
Ich wünsche eine bewegte und vergnügliche Lesezeit mit meinen Erinnerungen, einer Mischung aus interkulturellen Geschichten, humoristische Lebenseinlagen, kritischen und persönlichen Ansichten. Sie nehmen teil an der Zeitgeschichte in Deutschland zwischen 1966 bis heute; geschrieben von einem Kriegsenkel, um den von Frau Susanne Bode(*1) geprägten Begriff zu nutzen. Es ist meine Reise auf der Suche nach dem Geruch von Heimat.
(*1) Autorin u.a. von „Kriegskinder“ sowie „Kriegsenkel“, www.sabine-bode-koeln.de