Читать книгу Nick aus der Flasche - Monica Davis - Страница 4
So endete der letzte Teil:
ОглавлениеIn Julies Kopf drehte sich alles. Sie fühlte sich leicht und beschwipst, obwohl sie nur Limonade getrunken hatte, außerdem zu allen Schandtaten bereit. Niemals zuvor hatte sie so viel Mut besessen, das musste sie ausnutzen!
Der Kuss hatte sie jedoch überrascht und wie Sekt in ihrem Magen gekribbelt. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie wollte Josh ärgern, ja, aber dass sie gleich so rangehen würde … Sie gluckste. Josh schaute wie ein Kampfgockel zu ihnen. Er war ja so eifersüchtig, wie geil! Er beobachtete sie aus wenigen Metern Entfernung und hatte zuvor schon mit schlechter Laune reagiert, als Nick Gitarre gespielt hatte und alle Mädchenaugen auf ihn gerichtet waren. Jetzt hatte sie es Josh so richtig heimgezahlt. Ob sie zu ihm sollte?
Sie wollte sich von Nick losmachen, aber der hielt sie eisern fest. »Wir gehen jetzt.«
Ihre ehemals beste Freundin Lisa hielt ihren Daumen nach oben. War sie froh, dass Julie von Josh abgelassen hatte oder gratulierte sie ihr zum neuen Fang? Bei Lisa wusste sie nie, woran sie war. Doch selbst das war Julie egal, sie fühlte sich schwerelos!
»Lass mich zu Josh, Dschinnie.« Ihre Stimme klang so witzig, quietschig und hoch. Hatte Nick sie in Mini-Julie verwandelt? Sie kicherte. Ui, das wäre lustig, dann könnte sie Nick im Puppenhaus besuchen.
»Sei still«, zischte er und zog sie weiter, weg von der Party. »Warum hast du mich geküsst?«
Wieso wollte er ihr denn jetzt alles vermasseln? »Na, um Josh eins auszuwischen, was denkst du denn?«
Sein Gesicht verdüsterte sich. »Du hattest ihn doch eh schon am Haken!«
»Er soll ruhig sehen, dass ich auch andere Kerle haben kann.« Oh ja, im Moment könnte sie alle haben, vielleicht sogar Martin, der mit Nicks Gitarre hinter ihnen herdackelte. »Emma hatte recht, du bist der heißeste Typ aller Zeiten. Und du gehörst mir.«
»Emma hat hübscheste gesagt«, erwiderte er angesäuert.
Was hatte er denn? So eine Spaßbremse.
Julie grinste. »Egal. Josh war ziemlich beleidigt, als du ihm die Show gestohlen hast, das fand ich klasse. Dafür bekommst du noch einen Kuss.«
Er drehte den Kopf weg.
»Hey, warum willst du keinen Kuss?«
»Weil du nicht du selbst bist.« Er klang nicht mehr ganz so böse, dafür atemlos. »Hör bitte auf damit.«
»Woher willst du wissen, wer ich bin? Du kennst mich doch noch keine zwei Tage.« Immerhin schien ihm der Kuss gefallen zu haben, so wie er ihn erwiderte hatte. Oh, er war ein guter Küsser. »Hast du viel mit Emma geübt?«
»Was?« Seine Brauen hoben sich.
»Hattet ihr Sex?« Wow, die Worte kamen so einfach über ihre Lippen. Grinsend drehte sie sich um. »Martin, hattest du schon mal Sex?«
»Mann, bring sie bloß weg hier«, sagte der, während sie tiefer in den Wald gingen.
Jetzt hatte ihr Kumpel auch schon miese Laune. Was war denn mit den beiden los?
Die Musik wurde leiser und die Düsternis der Bäume umfing sie. Hey, sie wollte zurück!
»Wenn ich ein Mensch wäre, würdest du dann mal mit mir ausgehen?«, fragte Nick überraschend.
»Die Frage stellt sich nicht, denn du bist ein Geist.«
»Nicht so laut«, zischte er und schaute über die Schulter. Julie tat es ihm nach und grinste Martin erneut an, doch er zeigte keinerlei Reaktion. Er nahm ihre Aussage wohl nicht ernst. Ob sie Martin einweihen sollte? Immerhin war er ihr bester Freund. Sie teilte all ihre Geheimnisse mit ihm.
»Ich finde das fies von dir, mich für deine Zwecke zu missbrauchen.« Abrupt blieb Nick stehen. Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Brust. Er hatte eine schöne Brust. Nicht so muskulös wie die von Josh, aber dennoch breit und sehr ansehnlich.
»Julie, hörst du mir überhaupt zu?«
»Hm«, brummte sie, während sie mit der Hand über seinen Oberkörper strich.
»Ich habe auch Gefühle, und ich mag es nicht, wenn du mich ausnutzt«, sagte er leise.
»Du bist mein Flaschengeist und musst tun, was ich will.« Warum stellte er sich so an?
»Martin!«, rief Nick. »Hilfst du mir, sie nach Hause zu bringen? Sie redet nur noch wirres Zeug.«
Ihr Freund eilte zu ihnen. »Total high. Was hat sie denn genommen?«
»Ich habe gehört, dass Josh den Mädchen irgendwas in die Limonade getan hat, was sich Happys nennt.«
»Der Schweinekerl.«
Happy, Happy … Julie kicherte, machte sich von Nick los und drehte sich im Kreis. Dabei lachte sie ausgelassen. Die Bäume drehten sich, ihr war so schwindelig. Nick und Martin gab es doppelt, dreifach, vierfach … und hinter ihnen tauchte plötzlich Josh auf.
Als Nick sie an den Schultern packte und sie abrupt stehen blieb, ließ sie sich taumelnd an seine Schulter sinken.
»Jetzt werde endlich wieder normal!«
Sie hörte ein Schnippen, dann fühlte es sich an, als würde eine Blase in ihrem Kopf platzen. Die gute Laune verflog schlagartig. Zurück blieb leichtes Kopfweh und die Erkenntnis, wie sie sich aufgeführt hatte.
Lieber Gott, sie hatte Nick geküsst!
Langsam machte sie sich von ihm los. »E-es tut mir so l…«
Plötzlich wurde Nick von ihr weggerissen.
»Josh!«
Mit voller Wucht schubste er Nick mit dem Rücken gegen einen Baum. »Ich hab die älteren Rechte, Tate, also verpiss dich endlich!«
Nick keuchte auf und blieb wie erstarrt an den Stamm gelehnt stehen, die Augen aufgerissen. Dann schnappte er nach Luft und sah an sich herunter.
Julie folgte seinem Blick – und schrie auf. Blut lief unter seinem T-Shirt hervor und versickerte in der Hose.
Sofort war sie bei ihm. »Verdammt, Josh, was hast du getan?« Vorsichtig hob sie das Shirt an und traute ihren Augen nicht: Auf Nicks rechter Seite ragte ein fingerdicker Ast neben seinem Bauchnabel heraus!
»Nein, bitte nicht«, wisperte sie und trat hinter ihn. Ihre Sicht verschwamm, doch nicht, weil es düster im Wald war, sondern von ihren Tränen und dem Grauen, das sich ihr offenbarte. Der abgebrochene Ast hatte sich von hinten durch Nicks Körper gebohrt!
Josh und Martin traten zu ihr.
»Scheiße«, fluchte Josh, fuhr sich durchs Haar und lief davon. Er verschwand im düsteren Wald und ließ sie einfach so zurück. Unfassbar!
»Martin!« Hilflos schaute sie ihren Freund an.
Der schulterte Nicks Gitarre und versuchte, mit zitternden Fingern sein Handy aus der Hosentasche zu bekommen. »Wichtig ist, dass er genau so stehen bleibt, damit er nicht noch mehr Blut verliert«, sagte er mit einer Stimme, die noch panischer klang als ihre.
Julie stellte sich sofort vor Nick, um ihn zu stützen, und er legte die Arme auf ihren Schultern ab. Er atmete stockend und stöhnte dabei. Er musste furchtbare Schmerzen haben.
Hektisch tippte Martin auf dem Handy herum. »Ich ruf einen Krankenwagen!«
»Nein«, krächzte Nick. »Flasche.«
»Deine Flasche?« Hatte sie richtig gehört?
»Darin kann ich heilen«, flüsterte er, wobei er den Kopf zurücklehnte. Sein Gesicht war käseweiß, Schweiß glänzte auf seiner Stirn und er sah aus, als würde er gleich ohnmächtig werden.
»Aber … die Striemen!« Schlagartig erinnerte sie sich an die Male auf seinem Rücken. Die hätten doch auch geheilt sein müssen? Oder waren die Verletzungen sehr tief gegangen?
»Verzauberter Riemen, damit ich länger Schmerzen habe und schlecht heilt«, erwiderte er stockend.
Selbst in diesem Moment wünschte sie Mr. Solomon die Pest an den Hals. Sollten ihm die Maden im Grab die Augen herausfressen! »Halte durch, Nick, ich hole deine Flasche!« Sie überlegte, zu ihrem Fahrrad zu laufen, das nur wenige Meter entfernt stand, aber dann müsste sie Nick loslassen.
»Seid ihr bescheuert?« Martins Stimme überschlug sich. »Er muss sofort operiert werden!«
»Er kann in kein Krankenhaus.« Dort würden sie herausfinden, dass er kein Mensch war. Doch Martin hatte Recht, es musste augenblicklich etwas geschehen. Bis sie mit der Flasche zurückkam, könnte es zu spät sein. »Vertrau uns Martin, Bitte! Nick ist … ein Flaschengeist.«
»Komm mal von deinem Trip runter!«, rief er. »Hier geht’s um Leben und Tod!«
Julie hatte jetzt keinen Nerv, das auszudiskutieren. »Mach ein Foto von ihm. Du wirst ihn darauf nicht sehen!« Verdammt, die Zeit lief ihnen davon!
Erneut wandte sie sich an Nick. »Du hast doch gesagt, du spürst, wo deine Flasche ist, kannst du dich nicht auflösen und hinfliegen?«
»Zu schwach, zu weit weg. Weiß nicht, ob ich das überhaupt kann«, stieß er hervor.
Schwarze Schlieren waberten vor ihren Augen, sie wankte. Bitte, das durfte doch nicht wahr sein. Er war ein Geist, die starben nicht! »Ich rufe Connor an!« Sie holte ihr Smartphone aus der Umhängetasche und tippte hastig auf die eingespeicherte Nummer ihres Bruders.
Der ging auch gleich ran, klang jedoch mürrisch. »Was gibt’s?«
»Con, du musst mir sofort meine Flasche bringen, oder Nick stirbt! Wir sind im Park, am nördlichen Ausgang!«
Schweigen am anderen Ende.
»Bitte, leg nicht auf! Frag Martin, der kann dir das bestätigen.«
»Was bestätigen?«
»Verdammte Scheiße, ich glaub’s ja nicht«, murmelte Martin, wobei er abwechselnd von Nick auf sein Handy schaute. Dann trat er zu Julie und sagte atemlos in ihr Smartphone: »Nick ist ein Geist!«
»Habt ihr was getrunken? Wenn Dad das rausbekommt …«
»Connor, bitte, das ist kein Witz!«
»Wohl eher ein mieser Versuch, um an die Flasche zu kommen. Vergiss es!«
Julie weinte. Ihre Verzweiflung brannte wie Säure in ihrer Seele. »Bitte, Connor, Nick stirbt! Du kannst ein Leben retten!«
Wieder Zögern. Hatte sie endlich seinen Nerv getroffen? Connor wusste, dass sie keine Witze machte, wenn sie auf den Tod seiner Mutter anspielte.
»Ich hole dich nach Hause, aber nur, weil du total hysterisch klingst. Wo bist du noch mal?«
»Am nördlichen Ausgang des Wolfe’s Pond Park. Und denk an die Flasche!«
Erleichtert legte sie auf. »Martin, kannst du am Eingang auf Con warten und ihn herbringen?« Sonst würde er sie im Wald nie finden.
Er legte die Gitarre ab und machte sich sofort auf den Weg, obwohl er reichlich verwirrt aussah.
Nun stand sie allein mit Nick im düsteren Wald. Seine Atmung verlangsamte sich und zum Glück verlor er nicht zu viel Blut. Der Ast in der Wunde wirkte wie ein Stöpsel. Doch es schien, als wäre er kaum noch am Leben.
Während sie dicht bei ihm stand, damit er sich an ihr abstützen konnte, streichelte sie über sein Gesicht. »Halte durch, Con ist gleich da.«
Zitternd öffneten sich seine Lider. »Julie … Du bist die beste Herrin, die sich ein Dschinn wünschen kann.«
»Hör auf so zu tun, als würdest du gleich …« Sie schluchzte auf und schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals. Sie spürte seine Wärme, fühlte schwach den Puls an ihre Wange klopfen. Er war groß und stark – er würde durchhalten!
Bitte, Con, mach schnell …
Als ihr Bruder eine Unendlichkeit später angelaufen kam und sie hörte, wie Martin ihm den Unfallhergang erklärte, atmete Nick kaum noch. Julie zwickte in seinen Oberarm, weil sie sich nicht traute, ihn zu rütteln.
Schwerfällig öffnete er die Lider, sein Blick wirkte entrückt.
»Sie sind da.« Julie wandte den Kopf zu ihrem Bruder. Es war noch dunkler geworden, trotzdem bemerkte sie sofort, dass er die Flasche nicht dabei hatte. Ihre Erleichterung wandelte sich in grenzenlose Panik. »Wo hast du die Flasche?!«, schrie sie, ohne von Nick zu weichen.
Abrupt riss Con die Augen auf, als er den Ast in Nicks Körper stecken sah. »Scheiße! Ihr lasst ihn sterben, nur um an die Flasche zu kommen? Wie stoned seid ihr denn?«
»Denkst du immer noch, das ist ein Erpressungsversuch?« Ihre Stimme schrillte in ihren Ohren. »Jetzt wird er deinetwegen sterben!«
Con versuchte offensichtlich, Ruhe zu bewahren, denn er atmete tief durch, besah sich Nicks Wunde und zog anschließend sein Handy hervor. Julie schlug es ihm aus der Hand.
»Du bist total krank!« Con hob das Telefon auf und ging auf Abstand.
Julie hatte nur noch Augen für Nick. Er würde sterben. Es war entschieden.
Sie hätten doch einen Krankenwagen rufen sollen, verflucht!
Sie stand kurz davor, einen hysterischen Anfall zu bekommen. »Ich wünsche mir deine Flasche herbei, hörst du, Nick!«, brüllte sie in sein Gesicht, da sich seine Augen ständig schlossen. »Das ist ein Befehl, ein Wunsch! Du musst ihn mir erfüllen!« Verdammt, warum hatte sie nicht eher daran gedacht? Weil er zu schwach war, sich aufzulösen?
»Ein Wunsch?«, flüsterte er.
»Ja, verdammt, ein Wunsch! Ich habe noch zwei frei, vorher erlaube ich dir nicht zu sterben!« Sie streckte eine Hand neben seinem Kopf aus. »Die Flasche! Sofort!«
Connor redete am Telefon mit jemandem und Martin heulte, aber das nahm sie kaum wahr. Dafür hörte sie etwas anderes, das Brechen von Ästen, ein surrendes Geräusch … und plötzlich landete die Flasche mit voller Wucht in ihrer Hand.
Vor Überraschung ließ Julie sie beinahe fallen.
»Scheiße!« Connor hatte sein Handy losgelassen. Rasch hob er es auf, entschuldigte sich bei dem Gesprächspartner, sagte dass alles in Ordnung wäre, und legte auf.
»Nick, es hat geklappt!« Lächelnd hielt sie ihm die Flasche vor die Nase und öffnete den Verschluss.
»Kann nicht mehr …« Sein Kopf sank nach unten, sein Körper fiel nach vorne und Julie konnte ihn kaum halten. Der Ast glitt aus ihm und mehr Blut strömte nach.
»Helft mir doch!«, rief sie, woraufhin Connor sofort zu ihr kam und Nick auf den Boden legte.
Julie kniete sich neben ihn und streichelte sein Gesicht, während Connor die Hände auf die Wunde drückte.
Hatte ihr Wunsch ihm die letzten Kräfte geraubt? Bitte nicht, sie waren so kurz vor dem Ziel! Julie vermochte kaum zu sprechen, so sehr schluchzte sie. »Denk an Emma! Du musst ihr noch einen Brief schreiben. Willst du diese Welt verlassen, ohne ihr die Wahrheit zu sagen?«
Flatternd hoben sich seine Lider. »Nur für Emma?«, wisperte er.
»Und für mich«, erwiderte sie unter Tränen.
Ein Lächeln huschte über sein schmerzverzerrtes Gesicht, bevor er sich auflöste. Julie hielt die Flasche in Bodennähe, und die blaue Rauchsäule kroch langsam hinein. Als der letzte Hauch im Gefäß verschwunden war, setzte sie hastig den Stöpsel drauf. Es war geschafft.
Aufatmend ließ sie sich rückwärts ins Gras sinken, die Flasche an ihre Brust gepresst, und starrte zwischen den Baumwipfeln hinauf in den Abendhimmel, auf dem sich erste Sterne zeigten.
Martin und Connor waren sehr still geworden und schauten sie einfach nur an. Sie würde den beiden einiges erklären müssen, doch das war ihr egal. Nick war in der Flasche, nur das zählte.