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Advent

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Adventlicher Dialog

Mutti, warum putzt du so viel?

Du kriechst ja mit dem Lappen in alle Ecken.

Ja, Karoline, du weißt doch,

dass bald das Christkind kommt.

Mutti, das weiß ich schon aus dem Kindergarten.

Und jetzt putzt du auch noch die Lampen blank.

Mutti, es ist so ungemütlich bei dir.

Du wolltest aber mit mir Sterne basteln,

das hast du mir versprochen.

Aber, liebe Karoline, wenn das Christkind kommt,

dann muss doch alles sauber und schön sein.

Das verstehe ich nicht, Mutti.

Das Christkind ist aber doch

in einem Stall geboren.

Und in einem Stall stinkt es.

Das rieche ich immer,

wenn ich bei meiner Freundin Sophia bin

und wir beide zur Melkzeit

mit ihrer Mutter, der Bäuerin,

mit in den Stall dürfen.


Ein Päckchen im Advent

Flotten Schrittes nähert sich die Frau in der Dunkelheit ihrer vertrauten Haustür. Den passenden Schlüssel hält sie schon in ihrer rechten Hand. Doch da hört sie das Summen des Türöffners. Jemand muss die Heimkommende also beobachtet haben. Ihre aufmerksame Nachbarin in der Parterrewohnung steht schon in der geöffneten Wohnungstür. „Sie haben ein Päckchen, liebe Frau Dresel. Ich habe es für Sie angenommen.“ Mit einem zarten Streicheln über die Wange der alten kranken Frau bedankt sie sich auf ihre ganz persönliche Art.

Die Neugierde lässt sie die Treppenstufen noch schneller als sonst hinaufspringen. Noch in ihre schon etwas abgetragene grüne Wanderjacke eingehüllt steht sie schon am Küchentisch mit der Schere in der Hand. Eine plötzliche Freude des Nichtvergessenseins lässt ihr keine Zeit, den Bindfaden aufzuknoten. Flink entfernt sie die Papierumhüllung und befreit den Karton von dem zusammen haltenden Klebeband. Da purzelt der Frau so viel Freude entgegen. Nur von Briefkontakten kennt sie Absenderin. Sie wickelt ein selbst genähtes Kirschkernkissen aus der Umhüllung. In den Backofen oder die Mikrowelle soll sie es legen, dann spendet es länger Wärme, als früher die mit heißem Wasser gefüllten Gummiwärmflaschen es konnten. Eine verzierte Blechdose, gefüllt mit weihnachtlichem Tee und ein kleines Früchtebrot gut verpackt, hält sie in ihren Händen vorsichtig und zart, wie man wertvolle Kostbarkeiten behandelt. Auf dem Boden des Kartons findet die von Nächstenliebe Berührte noch zwei tiefsinnige Spruchkarten und einen langen Brief. Die Schreiberin drückt ihre Gedanken so aus: „Liebe Frau Dresel, ich möchte ihnen mit dem Inhalt dieses Päckchens symbolisch Wärme schicken.“ Immer noch am Küchentisch stehend, wischt sie sich mit dem Handrücken kleine Freudentränen von ihrem Gesicht. Sie weiß, dass diese Frau eine Christin ist und selber schon schwere Lebensphasen durchgestanden hat. Es ist der Frau, die sie noch niemals zu Gesicht bekommen hat, auch aus weiter Entfernung gelungen, ein helles und hoffnungsvolles Licht in den Adventswochen für die plötzlich Alleinlebende anzuzünden. Sie konnte die Seele der Traurigen mit ihrer Wärme streicheln.


Nächstenliebe im Advent

Anfang Dezember ist der Winter schon mit eisigem Frost und viel Schnee ins Land gekommen. Über Nacht hat er der kleinen Stadt ein zauberhaft weißes, glitzerndes Kleid angezogen. Die spitzen Giebeldächer sehen abends im Laternenschein wie verlockende Knusperhäuschen aus. Leider bleibt die weiße Pracht - zumindest auf den verkehrsbelebten Straßen - nicht lange erhalten. Die Autofahrer schimpfen über die Glätte, weil diese für sie gefährlich ist, zumal sie nun morgens früher aufstehen müssen. Nur die Kinder freuen sich noch vorbehaltlos über den ersten Schnee, der ihnen ja vor allem Winterfreuden beim Rodeln bringt.

Reinhard wohnt mit seinen Eltern in einem Mehrfamilienhaus. Tagsüber ist es im Hause sehr still, weil fast alle Bewohner berufstätig sind. Nur oben in der kleinen Mansardenwohnung lebt eine ältere Frau, die nur sehr selten das Haus verlässt. Seit einiger Zeit geht sie nun am Stock. In der anderen Hand trägt sie die Tasche mit den kleinen Einkäufen.

Kontakt haben alle Mieter nur, indem sie sich einen guten Tag wünschen. Sonst kümmert sich niemand um den anderen. Gleich nach Schulschluss läuft Reinhard schnell nach Hause. In der letzten Schulstunde hat er im Kunstunterricht unter Anleitung der Lehrerin einen wunderschönen Transparentstern mit 16 Strahlen aus durchsichtigem, leuchtend rotem Papier gebastelt. Zu Hause ange­kommen, legt er den Stern erst mal in sein Regal, damit er nicht verknickt. Heute will er gleich nach dem Mittagessen seinen Schlitten vom Boden holen. Das herrliche Schneewetter muss er doch ausnutzen. Er steigt die Treppen zum Boden hinauf und kommt an der Wohnungstür von Frau Martensen, der alten gehbehinderten Dame, vorbei. Auf ihrer Fußmatte liegen mehrere Zeitungen. Reinhard schließt die Bodenkammer auf und nimmt seinen Schlitten unter den Arm. Der Junge verbringt einen besonders fröhlichen Nachmittag zusammen mit Klassenkameraden auf dem Rodelberg. Doch er muss leider auf seine Uhr schauen, denn heute hat er am Spätnachmittag noch Konfirmandenunterricht. Dorthin geht er sonst gerne, weil der junge Pastor den Kindern das Evangelium sehr lebendig und lebensnah vermittelt. An diesem Nachmittag sprechen sie über die Nächstenliebe, und der Pastor motiviert die Kinder gleich, sich alsbald darin zu üben; denn egoistisches Verhalten gebe es genug unter den Menschen.

Nach dem gemeinsamen Abendbrot mit den Eltern trägt Reinhard noch schnell seinen Schlitten die Treppen hinauf in die Bodenkammer zurück. Da sieht er, dass die Zeitungen noch immer bei Frau Martensen auf der Fußmatte liegen. Eigentlich wollte er sich gleich im Fernsehen noch den Tierfilm anschauen. Aber - nein, er will sich nicht drücken. Sein Gewissen sagt ihm, dass er auch an das Thema der heutigen Konfirmandenstunde denken solle.

Mutig drückt er auf den Klingelknopf. Er lauscht und hört aus dem Innern der Wohnung gar nichts. Noch einmal klingelt er, wartet, ist besorgt und da hört er endlich langsame Schritte. Er ist erleichtert, als Frau Martensen ganz zaghaft einen Türspalt öffnet. Auf ihren Stock gestützt, sieht sie elend und blass aus. Sie hat nur schnell ihren Morgenrock über das Nachthemd gezogen. Reinhard bückt sich, hebt die angesammelten Zeitungen auf, hält sie Frau Martensen entgegen und fragt nach ihrem Ergehen. Nachdem sie ihre Brille aufgesetzt hat, erkennt sie nun auch den großen Schuljungen aus dem ersten Stock. Da löst sie die Sicherungskette ihrer Wohnungstür und bittet den Jungen zu sich in die Wohnstube.

„Ja, krank bin ich schon seit ein paar Tagen, und das hohe Fieber hat mich so geschwächt, dass ich nicht aufstehen konnte.“ - „Aber Frau Martensen, Sie zittern ja so. Soll ich Ihren Hausarzt hierher bestellen? Sie brauchen gewiss einen Arzt und gute Medizin.“ Frau Martensen lässt Reinhards Fürsorge geschehen. Der Junge ruft den Arzt der alten Frau an. Dann brüht er ihr einen kräftigen Pfefferminztee. Sie unterhalten sich, bis der Arzt kommt. Anschließend läuft Reinhard gleich mit dem Rezept zur nächsten dienstbereiten Apotheke.

Die Straßen sind um diese Zeit schon ziemlich menschenleer. Der Mond steht heute voll am Himmel und wirft einen wunderschönen goldenen Schein auf die vereisten Straßen. Zurückgekehrt, schreibt Reinhard sich noch einen Einkaufszettel auf. Etwas Brot, Obst und Milch will er Frau Martensen morgen besorgen. Viel isst sie ja ohnehin nicht mehr, und in diesem Zustand hat sie noch weniger Appetit. Als Reinhard dann doch ziemlich spät in die elterliche Wohnung zurückkehrt, ist er allein. Ach ja, seine Eltern wollten noch weggehen. Der Junge schläft zufrieden ein.

Am nächsten Tag kauft er nach der Schule gleich ein. Als er mit der Plastiktüte vor Frau Martensens Wohnungstür steht und klingelt, öffnet sie ihm heute schon mit einem etwas anderen Gesichtsausdruck: Da ist so ein sanftes freudiges Strahlen in ihren Augen zu sehen. Offensichtlich geht es der alten Dame schon etwas besser. Zwar hustet sie noch tüchtig, aber das Fieber ist gesunken.

Reinhard fühlt sich bei Frau Martensen wohl. Sie strahlt so eine herrliche Ruhe aus. Sie hört ihm auch aufmerksam zu. Der Junge spürt, dass sie seine Probleme auch ernst nimmt. Er erzählt ihr von der Schule, von der Englischarbeit, die sie heute geschrieben haben. Und zu seinem Erstaunen stellt Reinhard fest, dass Frau Martensen fließend Englisch spricht. „Oh, darf ich da mal mit meinen Hausaufgaben zu Ihnen kommen, wenn Sie wieder ganz gesund sind?“ – „Aber ja, gerne! Immer kannst du zu mir kommen, wenn du magst.“

In den Adventswochen schreibt Reinhard noch zwei weitere Englischarbeiten, und seine Eltern sind über seine guten Noten erstaunt. Da erst verrät Reinhard ihnen etwas von seiner heimlichen Nachhilfelehrerin. Frau Martensen blüht wieder richtig auf. Die neue Aufgabe fordert sie und macht ihr soviel Freude. Vor jeder neuen Klassenarbeit üben die beiden besonders intensiv Englisch. Reinhard macht nicht nur den Einkauf für die alte Dame. Er putzt ihr auch die Fenster und saugt die Teppiche ab.

Vor Weihnachten hilft er auch beim Päckchenpacken und bringt sie zur Post. Am Heiligen Abend, nachdem er mit seinen Eltern schon gefeiert hat, nimmt er seinen Transparentstern aus dem Regal und klingelt wieder bei Frau Martensen. Der alten Dame kommen Freudentränen in die Augen. Sie dachte, sie würde, wie schon seit vielen Jahren, allein sein. Reinhard klebt den roten Stern an die Fensterscheibe, und die beiden unterhalten sich ganz gemütlich über Frau Martensens lange zurückliegende Schulzeit, den Konfirmandenunterricht der alten Dame und die schöne Zeit, in der sie als Privatlehrerin in England bei einer Familie tätig war. Da erzählt Reinhard von seinem Pastor und dem Thema Nächstenliebe, das ihn so beeindruckt hat. Frau Martensens Blick fällt zwischendurch immer wieder auf den roten Stern mit den 16 Strahlen, der an ihrem Fenster leuchtet. Genauso leuchtet ihr die Liebe dieses Jungen aus seinen Augen entgegen.


Allmähliche Beleuchtung

Draußen ist es kalt und neblig trüb. Meine Füße tragen mich auf einem Spaziergang besonders schnell zurück ins gemütliche Zuhause. Gegen die einbrechende Dunkelheit zünde ich die erste rote Kerze an unserem Adventskranz an. Ich setze mich in die Couchecke und nehme mir viel Zeit zum Genießen und Nachdenken. Wie viel Helligkeit die eine Kerze verbreitet. Ich schaue lange in das warme Licht und spüre, wie wohl ich mich dabei fühle. Ruhig brennt die kleine Kerze und beschenkt mich dadurch mit Stille und Gedanken, die sonst im Alltag nicht wachsen können. Mir ist, als nehme ich dieses Licht in meine Hand und leuchtete die hinteren dunklen Ecken in meinem Herzen aus. Was liegt da noch an Altlasten verborgen? Was sollte und wollte ich längst entsorgen? Und was ist mit meinen niemals durchgeführten Plänen? Beim näheren Beleuchten fallen mir so viele kleine Merkzettel in die Hände, auf denen liebe Worte stehen, die ich nicht ausgesprochen habe. – Die langsame Vorbereitung auf das Fest der Geburt Christi beginnt. Noch habe ich vier Wochen Zeit.

Zwei Kerzen wärmen stärker als eine. Mir wird warm ums Herz, mitten im frostigen Winter. Ich lasse es zu, Versäumnisse zu beleuchten. Wie dringend brauchen wir alle menschliche Wärme. Freundschaften wollen pfleglich behandelt werden. Ich werde mehr von meiner Zeit verschenken. Und ich spare so viel Zeit ein, wenn ich keine konventionellen Geschenke mehr kaufe. Wie ist es mit der Anteilnahme fremder Menschen bestellt?

Vielleicht helfen mir drei oder vier Kerzen mit ihrem hellen Schein und ihrer intensiven Wärme und Ausstrahlung noch besser auf den Weg der Phantasie, die mich beflügeln wirklich das herauszufinden, was mein Mann, meine Kinder und Freundinnen sich sehnlichst von mir wünschen. Vielleicht viel Zeit zum Zuhören und Anteilnehmen, vielleicht ein Lob, zu dem es niemals zu spät ist, und auch Geborgenheit und Fröhlichkeit?

Auf den Wegen dieses Advents ist mein kalter dunkler Speicher erwärmt und beleuchtet worden. In der Hoffnung, dass ich Gottes Nähe in diesen Adventswochen spüren werde, puste ich ganz sachte und nachdenklich die Lichter am grünen Nadelkranz aus. Diese Begegnung in der dunklen Zeit mit dem hellen heilenden Licht lässt mich aufmerksamer schauen und klingt noch lange in mir nach.


Wenn wir das innere Kleid der Liebe tragen, verliert selbst der teuerste Juwel den Konkurrenzkampf.


Eröffnung des Weihnachtsmarktes

Beate schaut mit Interesse täglich in die Tageszeitung. Unübersehbar wird dort rechtzeitig auf den Weihnachtsmarkt hingewiesen und einladend informiert. Auch der Nikolaus ist für die Kinder angekündigt. Tante Beate denkt dabei gleich an ihren kleinen vierjährigen Neffen, der auch ihr Patenjunge ist. Die kinderliebe Patentante möchte an ihrem freien Nachmittag mit Samuel zum Weihnachtsmarkt fahren. Mit ihrer Schwägerin wird sie sich schnell einig. „Martina, ich hole dann am Freitag pünktlich um 17:00 Uhr deinen lustigen Samuel bei dir ab.“ – „Gerne, liebe Beate, du entlastet mich dadurch. Dann kann ich mich um Jonathan und Benjamin intensiver kümmern. Der temperamentvolle Samuel stört die größeren Brüder manchmal auch bei den Hausaufgaben.“

Samuel drückt schon seine kleine Nase von innen an die Haustürscheibe. Dann sieht er aber schon, dass seine liebe Patentante aus ihrem Auto aussteigt. Der erwartungsvolle Junge juchzt vor Freude. „Tante Beate, wir können gleich zum Nikolaus fahren.“ – „Aber ich will doch noch deine Mutti und deine Brüder begrüßen.“ Martina wünscht den beiden noch einen schönen Nachmittag. Jonathan und Benjamin rufen noch ihrem Bruder hinterher: „Kleiner, grüß den Nikolaus auch von uns.“

Das Gemeindehaus ist adventlich geschmückt. Wie jedes Jahr wird mit den Kindern zuerst aber ein wunderschöner Laternenumzug durch die Straßen gemacht. In der winterlichen Dunkelheit leuchten die vielen verschiedenen Laternen, die mit Hilfe so mancher Mutter wunderschön gefertigt wurden. Wahre Kunstwerke kann man in dem Laternenumzug entdecken. Und nicht nur die Kinder singen das schöne passende Lied: „Ich geh mit meiner Laterne, und meine Laterne mit mir, dort oben leuchten die Sterne und unten leuchten wir.“ Es entsteht eine bezaubernde Stimmung. Im Gemeindhaus wieder angekommen, werden die Kinder schon vom Nikolaus freundlich empfangen. Der stattliche Mann im roten Mantel trägt auf seinem Rücken einen großen braunen Sack. Liebevoll streichelt der Nikolaus jedem Kind über den Kopf. Samuel fürchtet sich nicht vor dem großen Mann mit dem langen weißen Bart. „Was hast du alles in deinem Sack versteckt? fragt der Vierjährige. „Dann will ich jetzt mal den Sack aufbinden und alle lieben Kinder beschenken.“ Der Nikolaus verteilt großzügig Süßigkeiten und Karten für Karussellfahrten. Als der Sack fast leer ist, weiß der Mann im roten Mantel nicht mehr so genau, ob er auch alle Kinder beschenkt hat. Samuel wird vom Nikolaus gefragt: „Kleiner Junge, hast du auch etwas geschenkt bekommen?“ – „Ja, lieber Nikolaus, du hast mir schon zwei Geschenke gegeben.“ Nikolaus streichelt Samuel über seinen dunklen Haarschopf und sagt: „Weil du so ehrlich bist, bekommst du noch etwas.“

Tante Beate fährt mit ihrem fröhlichen Patenjungen erst zu seiner Großmutter. Beate weiß, dass ihre Mutter sich sehr an ihren Enkelkindern freut. Die stets interessierte Großmutter fragt: „Na, Samuel, wie war es denn beim Nikolaus?“ – „Oma, ich war beim Sandmännchen!“ Und alle drei lachen aus vollem Herzen.


Im Weiterwachsen nach jedweden Abschnitten, liegt die wahre Lebendigkeit.


In der Wärme deiner Seelenfenster spiegelt sich ein Stück Himmel wider.


Stern mit sechzehn Strahlen

Anfang Dezember ist der Winter schon mit eisigem Frost und viel Schnee eingezogen. Über Nacht hat er der kleinen Stadt ein zauberhaft weißes, glitzerndes Kleid angezogen. Die spitzen Giebeldächer sehen abends im Laternenschein wie verlockende Knusperhäuschen aus. Leider bleibt die weiße Pracht – zumindest auf den verkehrsbelebten Straßen – nicht lange erhalten. Die Autofahrer schimpfen über die Glätte, weil diese für sie gefährlich ist, zumal sie morgens eher aufstehen müssen. Nur die Kinder freuen sich noch vorbehaltlos über den ersten Schnee, der ihnen ja vor allem Winterfreuden beim Rodeln bringt.

Reinhard wohnt mit seinen Eltern in einem Mehrfamilienhaus. Tagsüber ist es im Hause sehr still, weil fast alle Bewohner berufstätig sind. Nur oben in der kleinen Mansardenwohnung lebt eine Ältere Frau, die nur sehr selten das Haus verlässt. Seit einiger Zeit geht sie nun am Stock. In der anderen Hand trägt sie die Tasche mit den kleinen Einkäufen.

Kontakt haben alle Miete nur, indem sie beim Begegnen einander grüßen. Gleich nach Schulschluss läuft Reinhard schnell nach Hause. In der letzten Unterrichtsstunde im Fach Kunst hat er unter Anleitung der Lehrerin einen wunderschönen Stern mit 16 Strahlen aus leuchtend rotem transparentem Papier gebastelt. Zu Hause angekommen, legt er den Stern erst mal in sein Regal, damit er nicht verknickt. Heute will er gleich nach dem Mittagessen seinen Schlitten vom Boden holen. Das herrliche Schneewetter muss er doch auskosten. Der Junge steigt die Treppen zum Boden hinauf und kommt dabei an der Wohnungstür von Frau Martensen, der alten gehbehinderten Dame vorbei. Auf ihrer Fußmatte liegen mehrere Zeitungen. Reinhard schließt die Bodenkammer auf und klemmt sich seinen Schlitten schnell unter seinen Arm. Der große Junge verbringt einen besonders fröhlichen Nachmittag zusammen mit Klassenkameraden auf dem besten Rodelberg der kleinen Stadt. Doch er muss leider auf seine Uhr schauen, denn heute hat er am Spätnachmittag noch Konfirmandenunterricht. Dorthin geht er sonst gerne, weil der junge Pastor den Kindern das Evangelium sehr lebendig und lebensnah vermittelt. An diesem Nachmittag sprechen sie über die Nächstenliebe, und der junge Geistliche motiviert die Jungen und Mädchen gleich, sich alsbald darin zu üben, denn egoistisches Verhalten gebe es genug unter den Menschen.

Nach dem gemeinsamen Abendbrot mit den Eltern trägt Reinhard noch schnell seinen Schlitten die Treppen hinauf in die Bodenkammer zurück. Da sieht er, dass die Zeitungen immer noch bei Frau Martensen auf der Fußmatte liegen. Eigentlich will er sich gleich im Fernsehen noch den Tierfilm anschauen. Aber nein, er will sich nicht drücken. Sein Gewissen schlägt: Er denkt auch an das Thema in der heutigen Konfirmandenstunde.

Mutig drückt er auf den Klingelknopf. Der Junge lauscht und hört aus dem Innern der Wohnung gar nichts. Noch einmal betätigt er die Klingel, wartet, ist besorgt und - da hört er endlich langsame Schritte. Er ist erleichtert, als die alte Dame ganz zaghaft einen Türspalt öffnet. Auf ihren Stock gestützt sieht sie elend und blass aus. Sie hat nur ihren Morgenrock über das Nachthemd gezogen. Reinhard bückt sich, hebt die angesammelten Zeitungen auf, hält sie Frau Martensen entgegen und fragt nach ihrem Ergehen. Nachdem die Alleinlebende ihre Brille aufgesetzt hat, erkennt sie erst den groß gewachsenen Schuljungen aus dem Parterre. Da löst sie die Sicherungskette ihrer Wohnungstür und bittet den Jungen zu sich in die Wohnstube.

„Ja, krank bin ich schon seit ein paar Tagen, und das hohe Fieber hat mich so geschwächt, dass ich nicht aufstehen konnte.“ Reinhard erfasst die Notsituation. „Aber Frau Martensen, Se zittern ja so. Darf ich ihnen ihren Hausarzt telefonisch bestellen? Sie brauchen gewiss einen Arzt und gute Medizin.“ Die Kranke lässt Reinhards Fürsorge geschehen. Nach dem Telefonat brüht er erst mal einen kräftigen Pfefferminztee. Sie unterhalten sich bis der Arzt eintrifft. Anschließend läuft der Fürsorgliche gleich zur nächsten diensthabenden Apotheke.

Die Straßen sind um diese Zeit schon ziemlich menschenleer. Der Mond steht heute voll am Himmel und wirft einen wunderschönen goldenen Schein auf die inzwischen vereisten Straßen. Zurückgekehrt, schreibt Reinhard sich noch einen Einkaufszettel. Etwas Brot, Obst und Milch will er der kranken Frau morgen besorgen. Als der Junge dann doch ziemlich spät in die elterliche Wohnung zurückkehrt, ist er alleine. Ach ja, seine Eltern wollten abends noch weggehen. Der Junge schläft zufrieden ein.

Am nächsten Tag kauft er gleich nach Schulschluss ein. Als er mit der vollen Plastiktüte vor Frau Martensens Wohnungstür steht, öffnet diese ihm heute schon mit einem etwas anderen Gesichtsausdruck: Da ist so ein sanftes freudiges Strahlen in ihren Augen zu sehen. Offensichtlich geht es der alten Dame schon etwas besser. Zwar hustet sie noch ein wenig, aber das Fieber ist gesunken.

Und Reinhard fühlt sich bei seiner Nachbarin wohl. Sie strahlt so eine herrliche Ruhe aus. Sie hört ihm auch aufmerksam zu. Der Junge spürt, dass sie seine „Probleme“ auch ernst nimmt. Er erzählt ihr von der Schule, von der Englischarbeit, die er heute geschrieben hat. Und zu seinem Erstaunen stellt Reinhard fest, dass Frau Martensen fließend englisch spricht. „Oh, darf ich mal mit meinen Hausaufgaben zu Ihnen kommen?“ „Aber ja, gerne! Immer kannst du zu mir kommen, wenn du magst.“

In den Adventswochen schreibt der Schüler noch zwei weitere Englischarbeiten, und seine Eltern sind über seine guten Noten angenehm Überrascht. Da erst verrät der Sohn ihnen etwas von seiner heimlichen Nachhilfelehrerin. Und Frau Martensen blüht wieder richtig auf. Die neue Aufgabe fordert sie und macht ihr so viel Freude. Vor jeder neuen Klassenarbeit üben die beiden Befreundeten besonders intensiv. Reinhard kauft auch weiterhin für seine liebevolle „Lehrerin“ ein.

In den Adventswochen hilft er gerne beim Päckchenpacken und bringt diese auch selbstverständlich zur Post. Am Heiligen Abend, nachdem der Junge schon mit seinen Eltern gefeiert hat, nimmt er ganz gezielt seinen Transparent-Stern aus dem Regal und klingelt wieder bei seiner Frau Martensen. Der Alleinlebenden kommen Freudentränen in ihre Augen. Sie dachte, sie würde, wie schon seit vielen Jahren, zu Weihnachten alleine sein. Reinhard klebt den roten Stern an die Fensterscheibe im Wohnzimmer, und die beiden unterhalten sich ganz gemütlich über die lange zurückliegenden Schulzeiten, den Konfirmandenunterricht der alten Dame und die schöne Zeit, in der sie als Privatlehrerin in England tätig war. Dann erzählt der sensible Junge von seinem Pastor und dem Thema der Nächstenliebe. Die Blicke der alten Dame fallen zwischendurch immer wieder auf den leuchtend roten Stern mit den sechzehn Strahlen, der nicht nur ihre Wohnung erhellt.

Winterwunder – Weihnachtliche Kurzgeschichten und lyrische Texte

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