Читать книгу 13.November - Monika Brenneis - Страница 4

13.November 1996

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Eigentlich sollte er schon längst zu Hause sein, das hatte er seiner Frau versprochen. Vor einem Jahr war sein Sohn zur Welt gekommen. Das war ein Grund zu feiern, aber mit seiner Frau konnte er das auch später noch tun und der Kleine bekam es ja ohnehin noch nicht so mit, ob sie heute feierten oder an einem anderen Tag. Seine Kumpel wollten auch zelebrieren, dass er einen Stammhalter bekommen hatte. Sie luden ihn auf ein paar Bier ins "Gretis" ein. Alle waren ausgelassen, beglückwünschten ihn, tranken auf seine hübsche, junge Frau. Nicht alle hatten ein solches Glück wie er, viele Frauen nahmen nach der Geburt des ersten Kindes einfach nicht mehr richtig ab, sondern gingen nur mehr in die Breite. Seine Frau hingegen war noch immer hübsch und gepflegt, fast so, wie sie war, als er sich in sie verliebt hatte.

Er kannte sie schon als ganz kleines Kind, das im Garten spielte, mit ihren Freundinnen Blumen pflückte und mit dem Rad durch die Straße sauste. Sie war immer schon süß gewesen, aber als sie älter wurde, entwickelte sie sich zu einer wahren Schönheit. Nicht zu einem Modell-Typ, aber sie hatte eine natürliche Schönheit. Oft beobachtete er sie heimlich, wenn sie mit ihren Freundinnen am Gehsteigrand saß und quatschte. Später achtete er sogar darauf, dass er genau zum richtigen Zeitpunkt nach Hause ging, um zumindest bei dem flüchtigen Gruß ihre Stimme zu hören. Sie schien ihn kaum wahrzunehmen, aber vielleicht lag das auch nur an ihrer Schüchternheit, immerhin schenkte sie ihm immer ein Lächeln, wenn sie sich begegneten. Am liebsten wäre er zu ihr hingegangen, hätte sie in die Arme genommen und geküsst, doch er musste sich gedulden, irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit ergeben. Als sie dann anfing mit diesem Burschen aus der Schule herumzulaufen, ihn zu sich nach Hause einzuladen, ihn anzulächeln, ihn mit leuchtenden Augen anzublicken, änderte er fast seine Meinung über sie, vielleicht war sie doch nur ein Flittchen wie alle anderen. Er folgte ihnen, wenn sie ins Kino gingen oder mit Freunden in eine Bar, sie schien Hans nie zu bemerken. Auf jeden Fall küsste sie diesen Vollkoffer kein einziges Mal und irgendwann gab sich das Problem von alleine. Vermutlich hatte sie ihn abserviert, interessierte sich nicht mehr für ihn.

Dann kam jener Tag im November, den er wohl nie vergessen wird. Als er nach Hause kam, begrüßte ihn seine Mutter mit der Nachricht, dass die Nachbarn zwei Häuser weiter tödlich verunglückt seien und das arme Mädchen jetzt ganz alleine dastehe. Sofort verstand er, dass es sich um Eva handelte, das Mädchen, das er so liebte. Er wusste, dass das seine Chance war, ein Wink des Schicksals. Sein Herz schlug höher und fast hätte er gelächelt, was natürlich vollkommen unpassend gewesen wäre und er riss sich zusammen. Mit besorgter Mine schlug er vor, zu ihr zu gehen und nach ihr zu sehen. So ein junges Mädchen musste sich alleine ja vollkommen ängstigen. Schnell legte er noch etwas Eau de Toilette auf und begab sich, ohne etwas gegessen zu haben, zum Haus der jungen Dame, die er anbetete, die er schon so lange so stark begehrte, dass es schmerzte. Er läutete, doch lange tat sich nichts, er läutete länger, ohne Unterbrechung, er klopfte, läutete, klopfte,... Schließlich ging im Haus das Licht an. Zögernden Schrittes schwebte ihm seine Liebe entgegen. Sie stand vollkommen neben sich, bat ihn aber schließlich doch ins Haus, servierte ihm Tee und Kekse, schien aber keine Lust zu haben, mit irgendjemandem zu reden. Irgendwann verließ er sie mit dem Versprechen, am nächsten Tag zurückzukommen, obwohl er gern die ganze Nacht mit ihr verbracht hätte, sie einfach nur angeschaut und in seinen Armen gehalten hätte ganz ohne Hintergedanken.

Am nächsten Tag begann er früher mit der Arbeit, um noch zeitiger aus der Arbeit zu kommen und zu ihr zu gehen, aber sie öffnete nicht. Enttäuscht ging er nach Hause, vermutlich hatte sie ein Verwandter abgeholt, ihm entrissen ohne die Möglichkeit ihr jemals seine Liebe zu gestehen. Seine Mutter wusste auch nicht, was los war. Anscheinend waren tagsüber immer wieder Leute vorbeigekommen, um nach dem Mädchen zu schauen, doch sie hatte nicht geöffnet. Zuerst hatte ihre Freundin vorbeigeschaut und lange geläutet und geklopft und dann mit Hans' Mutter gesprochen, die gerade draußen das Laub zusammen gerecht hatte. Aber die wusste ja bekanntlich auch nichts, zumindest war ihr nicht aufgefallen, dass das Mädchen irgendwann das Haus verlassen hätte. Später versammelten sich auch noch ein paar Nachbarn und Nachbarinnen, um nach dem Kind zu sehen, aber ohne Erfolg. Alle machten sich Sorgen, konnten aber nichts machen. Am nächsten Tag war es dasselbe. Am Morgen kam ihre Freundin vorbei und am Nachmittag nahm sie sogar mehrere Freundinnen und einen Jungen mit, aber nichts. Telefonisch war das Mädchen auch nicht zu erreichen, erzählte sie ganz verzweifelt der Mutter von Hans. Sie hatte überlegt, die Polizei anzurufen, weil sie Angst hatte, sie könnte sich etwas antun, aber die Polizei tat in so Fällen ja immer erst was, wenn es schon zu spät war. Das hatten ihr ihre Eltern erklärt. Niemand hatte einen Schlüssel zum Haus und einbrechen konnten sie ja auch nicht einfach so. Nach dem Gespräch mit seiner Mutter, ging Hans sofort zum Haus seiner Angebeteten. Es musste doch einen Weg geben, hineinzukommen. Er versuchte es erneut mit Anläuten und Klopfen, aber es half nichts. Was war bloß los? Waren seine Sorgen begründet? Langsam begann Ärger in ihm hochzusteigen. Wie konnte sie sich im Haus einschließen und nicht mehr herauskommen, die Welt um sich ignorieren?! Alle machten sich Sorgen und sie verkroch sich einfach wie ein verletztes Tier! Im Vorgarten sah er einen großen Stein, der wohl zur Zierde dort platziert worden war. Den nahm er und schleuderte ihn gegen das Fenster im Erdgeschoß, das sich neben der Haustür befand. Er hatte gut getroffen. Das Fenster war kaputt und er konnte die Scheibe eindrücken und das Fenster öffnen. Ohne Mühe stemmte er sich hoch und schwang sich ins Haus. Die Glasscherben knirschten unter seinen Füßen, aber die Schuhe hielten sie davon ab, ihm die Fußsohlen aufzuschneiden. Er putzte sie so gut wie möglich ab und lief durch das Haus auf der Suche nach dem Mädchen, das er nun endlich erobern wollte. Laut rief er ihren Namen, immer und immer wieder, öffnete Türen, schloss sie wieder, öffnete sie und schloss sie, er wollte schon fast aufgeben, als ihm eine Tür auffiel, die nur angelehnt war. Plötzlich wusste er, dass sie nur dort sein konnte. Vorsichtig öffnete er die Tür und trat in das Halbdunkel des Zimmers. Unter zwei dicken Decken nahm er den jungen, zerbrechlichen Körper kaum wahr. Leblose Augen starrten ihn an und ein seltsames Grauen ergriff ihn. Neben ihr auf dem Bett kniend schüttelte er sie, bis wieder Farbe in ihr totenbleiches Gesicht trat. Nur langsam beruhigte er sich etwas. Allmählich kamen ihre menschlichen Züge zurück, verließ sie das Totenreich und kehrte ins Leben zurück. Als wäre sie ein kleines Kind, das noch nichts alleine kann, half er ihr beim Gehen, Duschen, Anziehen, stützte sie sogar beim Zähneputzen und er genoss jeden Augenblick. Oft hatte er sich gewünscht, aber kaum zu träumen gewagt, sie so zu sehen. So wie Gott sie schuf, zerbrechlich und zart und doch bereits eine junge, reife Frau, ohne Kraft aber wunderschön, ganz auf seine Hilfe, sein Wohlwollen angewiesen. Er hätte alles mit ihr machen können, sie hätte sich nicht gewehrt. Sie war in seinen Händen und er beschützte sie mit seinen starken, kräftigen Armen, wie ein Ritter die gerettete Prinzessin schützte, ohne aufdringlich zu werden, ohne unsittliches Verhalten zu zeigen. Ein Retter in der Not.

Sogar die Suppe von seiner Mutter, die er vor der Tür stehen gelassen hatte, holte er und servierte er ihr warm und voller Liebe. Seit zwei Tagen hatte sie nichts mehr zu sich genommen, damals glaubte sie noch, lediglich einen Tag im Bett verbracht zu haben und auch später konnte er sie nur mit Mühe davon überzeugen, dass sie sich zwei Tage verkrochen hatte, wie ein verwundetes Tier. Die Wärme und das Essen brachten das Leben in dieses zerbrechliche Geschöpf zurück und auch die Schmerzen. Mit einer unglaublichen Intensität und Stärke brachen die Tränen aus dem kleinen Körper hervor. Zärtlich nahm er sie in die Arme, hielt sie fest, fühlte ihren Atem nahe an seinem Hals, spürte ihre heißen Tränen durch seinen Pullover sickern, sog den Duft ihres jungen, unschuldigen Körpers in sich auf und konnte kaum widerstehen ihren wunderschönen, zarten Hals mit Küssen zu bedecken. Stattdessen drückte er sie fester an sich, hielt dieses zerbrechliche Wesen in seinen Armen und nach einer Ewigkeit geschah das Unvorstellbare. Ihre sanften, bleichen Lippen näherten sich den seinen. So lange hatte er darauf gewartet. Endlich war es so weit. Er war am Ziel seiner Träume, er hatte gesiegt. Sie hatte sich ihm voll ergeben. Voller Leidenschaft küsste er sie, bis sie beide nach Atem rangen.

Irgendwann lösten sie sich voneinander. Noch immer hielt er sie fest, während sie zusammengesunken in seinen Armen lag. Sorgsam nahm er sie auf seine Arme, trug sie die Stiegen hinauf, wie eine Prinzessin, die gerade vor dem bösen Drachen gerettet worden war, deckte sie zu, gab ihr noch einen Kuss und das Versprechen, am nächsten Tag wieder zu kommen. Dann ging er hinunter, befestigte eine Plastiktischdecke über dem kaputten Fenster, schloss die Tür hinter sich und lief stundenlang planlos durch die Kälte der Stadt. Wie gern wäre er bei ihr geblieben, hätte sich ihr ganz hingegeben, eine Frau aus dem Mädchen gemacht. Angst überkam ihn, was, wenn das seine einzige Chance gewesen war, was, wenn schon am nächsten Tag wieder ihre Freundinnen und vor allem ihr Freund bei ihr waren, sie ihn nicht mehr brauchte und jegliches Interesse an ihm verlor?! Er musste das verhindern. ER musste für sie da sein und niemand sonst.

Am nächsten Tag meldete er sich krank und kaufte für sie ein und servierte ihr das Frühstück am Bett. Als es klingelte und ihre Freundin vor der Tür stand wimmelte er sie ab und sagte ihr, Eva gehe es gut, aber sie schlafe gerade und bräuchte Ruhe. Auch am Nachmittag konnte er verhindern, dass ihre Freundinnen und ihr Freund mit ihr sprachen. Er versorgte sie mit Essen, half ihr mit allem, was sie brauchte, überzeugte sie aber davon, sich viel Ruhe zu gönnen und das Haus nicht zu verlassen. Das Telefon hatte er vorsichtshalber abgehängt und ihr Handy hatte sie schon lange nicht mehr eingeschaltet gehabt. So vergingen ein paar Tage. In der Arbeit hatte er sich nun frei genommen und er organisierte alles; kümmerte sich um die Bankgeschäfte, das Erbe und vor allem um das Begräbnis. Er genoss jede Sekunde mit ihr und freute sich, alles für sie machen zu können. Sie verließ sich voll und ganz auf ihn und er enttäuschte sie nicht. Oft verbrachte er den ganzen Tag mit ihr und ging erst spät in der Nacht nach Hause und eines Abends, als sie besonders verspannt war, bot er ihr an, sie zu massieren, zuerst ganz zärtlich und vorsichtig, dann immer kräftiger, zuerst die Schultern, den Nacken, den Rücken und langsam tiefer und tiefer. Als er am nächsten Morgen neben ihr erwachte war er so glücklich wie noch nie in seinem Leben. Er fühlte sich als könnte er schweben, so mussten sich Krieger fühlen, die einen unendlich langen Kampf siegreich geschlagen hatten; endlich am Ziel.

Nun verbrachte er die Nächte bei ihr und ging wieder tagsüber arbeiten. Er half ihr, wieder in den Schulunterricht einzusteigen, das versäumte nachzuholen und nahm sich immer wieder am Nachmittag Zeitausgleich, um zu Hause mit ihr zu lernen. So verbrachte sie die Nachmittage mit ihm und nicht mit den anderen aus der Schule. Sie gehörte ganz ihm. Er sorgte dafür, dass sie die Lehrstelle bei seiner Tante annahm und nicht in die Großstadt zog, um zu studieren, dass sie glücklich war mit dem einfachen Leben in ihrer kleinen Stadt, mit den Leuten dort und vor allem mit ihm. Jeden Abend genoss er es, zu ihr nach Hause zu kommen, wo sie mit dem Essen auf ihn wartete und ihn nach dem Tag fragte. So hatte er sich sein Leben vorgestellt. Wenn es ihm zu langweilig wurde, traf er sich mit seinen Kumpels und sie wartete auf ihn, kuschelte sich in der Nacht an ihn und war dankbar dafür, dass er da war.

Es war klar, dass sie irgendwann heiraten würden und sie schien absolut keine Eile zu haben, aber er wollte sich absichern, dass sie nicht irgendwann ihre Meinung ändern würde. Deshalb nahm er sich an ihrem Geburtstag, dem 13.Mai, frei und plante ein verlängertes Wochenende in Venedig. Wie durch ein Wunder passte ja alles zusammen. Da am Donnerstag Christi Himmelfahrt war, hatten sie beide Zeit und da sie schon immer im Frühling nach Venedig wollte, war die Reise auch ein perfektes Geburtstagsgeschenk. Im Reisebüro fand er sogar ein kleines, romantisches Hotel, das nicht allzu teuer war und er konnte für den 13.Mai auch gleich noch einen Tisch in einem wunderschönen, romantischen Restaurant reservieren. Auch wenn dann nicht alles ganz so romantisch und schön war und sie beide am 12. am Abend ziemlich müde waren und sich eine warme Dusche gewünscht hätten, genossen sie doch den 13. Mai. Eva schien sich endlich richtig frei zu fühlen, sie lachte wieder, lief von einem Haus zum nächsten, über Brücken, bewunderte die Kirchen und die Gondeln und freute sich riesig, dass sie Hans am Abend in ein schickes Restaurant einlud, um ihren Geburtstag zu feiern. Ganz klar war es Hans nicht, wie er ihr Gesicht deuten sollte, als sie den Ring erblickte, den er ihr auf ihr Teller gestellt hatte, als sie kurz auf der Toilette war. Sie schien etwas angespannt und unsicher, aber das konnte auch eine Folge des anstrengenden Tages gewesen sein. Natürlich sagte sie "ja" und küsste ihn. Der restliche Urlaub war dann nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte, da Eva wohl den Sekt nicht gut vertrug und nicht nur am Abend sondern auch noch die nächsten Tage an starken Kopfschmerzen litt.

Wieder zu Hause stürzte sich Eva in die Arbeit und Hans begann gemeinsam mit seiner Mutter die Hochzeit zu planen. Obwohl Eva wenig Zeit hatte, da sie sich auf ihre Ausbildung konzentrieren musste, gingen die Vorbereitungen flott voran. Hans' Mutter war einfach überglücklich und organisierte alles. Natürlich durfte die Braut bei allem mitbestimmen, aber sie hatte nichts auszusetzen und auch wenig eigene Ideen. Einzig bei der Auswahl der Gäste redete sie etwas mit, weil sie ihre Schulfreundinnen trotz allem dabeihaben wollte. Auch wenn es nicht einfach war einen passenden Ort zu finden, der im Spätsommer noch nicht für Hochzeiten ausgebucht war, gelang es der Mutter von Hans doch etwas zu finden. Es wurde eine kleine, sehr festliche Feier, wie Hans sie sich immer gewünscht hatte. Alle seine Freunde und Arbeitskollegen beneideten ihn. Er war so stolz und glücklich und seine Mutter war hin und hergerissen zwischen Freudentränen und einem verklärten Lächeln. Hans hatte sie noch nie so überschwänglich erlebt. Auch sein Vater schien sich wahnsinnig zu freuen und stolz auf seinen Sohn zu sein, obwohl er Hans anfangs durchaus eine andere Braut gewünscht hatte. Nur die Braut selbst litt wieder unter ihrer Migräne, gegen die der Arzt nichts machen konnte; aber auch sie lächelte und sah einfach bezaubernd aus. Der Sekt floss in Strömen, alle tanzten, lachten und feierten ausgelassen. Ja, damals war Hans glücklich, glücklicher als je zuvor.

Jetzt kam er nach Hause, um auch noch mit seinem kleinen Stammhalter und seiner Angetrauten zu feiern, so wie er sich das den ganzen Tag ausgemalt hatte. Aus dem Wohnzimmer hörte er heitere Stimmen, eine davon war von seiner Frau, aber die andere kannte er nur allzu gut. Schon wieder dieser Nachbar, der immer zur unmöglichsten Zeit auftauchte. So sehr hatte er sich darauf gefreut alleine mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn zu feiern und jetzt konnte er das alles vergessen. Lange überlegte er, ob er wieder zu seinen Kumpels zurückgehen sollte oder doch ins Wohnzimmer, aber dann wollte er ganz einfach seine Frau nicht mit diesem Kerl alleine lassen, man wusste ja nie. Also nahm er sich zusammen und trat erhobenen Hauptes ins Zimmer. "Hallo, Josef! Wie nett, dass du vorbeigeschaut hast." presste er hervor, den Blick auf den Eindringling gerichtet, der seinen kleinen Sohn auf dem Schoß sitzen hatte, ihn liebevoll anlächelte und mit einer Stoffgiraffe spielte, die Hans noch nie gesehen hatte. Überrascht blickte der Nachbar hoch und lächelte. Er grüßte zurück und sagte, dass er nur kurz gekommen sei, um dem kleinen Peter sein Geburtstagsgeschenk zu bringen, aber dass ihn Eva eingeladen habe, ein bisschen mit ihnen zu feiern, weil Hans ja noch nicht da gewesen war. Er müsse aber ohnehin gleich weg, weil Julia sicher noch auf ihren Gute-Nacht-Kuss wartete. Er wollte nur Eva und Peter an diesem wichtigen Tag nicht ganz alleine lassen. Peter quengelte als Josef ihn Hans gab, da drückte ihm Josef die Giraffe in den Arm und zog am Schwanz. Ein Lied, das Hans früher öfter gehört hatte, aber dessen Name ihm im Augenblick nicht einfiel, erklang aus dem Inneren der Giraffe. Am liebsten hätte Hans das blöde Stofftier an die Wand geschleudert, aber sein Sohn begann zu lächeln und schien sich auch noch über den Abschiedskuss von diesem Idioten zu freuen. Seine Frau brachte den Nachbar noch hinaus und kam dann zurück. Verärgert fragte sie, wo er so lange gewesen sei. So als hätte sie ein Recht darauf, ihm Vorwürfe zu machen. Sie hatte doch einen anderen Mann ins Haus gelassen, mit seinem Sohn spielen lassen und hatte sich mit ihm vergnügt anstatt auf ihn zu warten und alles für einen netten Abend vorzubereiten. Sie hatte ihm den Abend versaut und jetzt warf sie ihm auch noch vor, dass das Essen verstanden sei und dass er doch zumindest anrufen könnte, wenn er später komme. Nur schwer konnte er sich beherrschen. So eine Unverschämtheit. Den ganzen Tag rackerte er sich ab, um seiner Familie ein gutes Leben zu bieten und dann wurde ihm nicht einmal ein netter Abend mit seinen Kumpels vergönnt. Und schlimmer noch, vertrieb sich seine Frau auch noch die Zeit mit einem anderen, lachte mit ihm mehr, als sie je mit Hans lachte, schien glücklicher in seiner Gegenwart, als wenn Hans da war. Womit hatte er das verdient? Tat er nicht alles für seine Familie? Und dann diese Giraffe! Endlich war das bescheuerte Lied aus, aber Peter quengelte schon wieder. Ehe es sich Hans versah, hatte seine Angetraute wieder am Schwanz gezogen und der nervtötende Lärm begann von Neuem. Wutentbrannt schleuderte Hans den Nervtöter gegen die Wand, was leider nichts half, weil die Musik nicht aufhörte, stattdessen begann nun das kleine Kind zu schreien, so als hätte er den Kleinen statt des Stofftiers gegen die Wand geworfen. Seine Frau stand erstarrt daneben, dann ergriff sie das Kind und setzte ihn in den Laufstall in der Küche, gemeinsam mit der nervtötenden Giraffe. Mit vorwurfsvollem Blick kam sie zurück und wollte wissen, was mit ihm los sei. Mit ihm? Mit ihm war alles in Ordnung, aber was war mit ihr? Was lief da zwischen ihr und diesem Nachbarn? Warum konnte sie nicht wie früher mit dem Essen auf ihn warten und ihn nach dem Arbeitstag fragen, anstatt vor seinem Sohn mit dem Nachbarn zu flirten. Darauf wusste seine Frau nichts zu antworten. Er hatte sie ertappt. Nichts hatte sie zu ihrer Verteidigung vorzubringen. Alles was sie hervorbrachte war, dass das vollkommener Blödsinn sei, dass sie nur höflich gewesen und Josef eben sehr lieb zu Peter sei. In der Küche weinte ihr Sohn und wollte raus aus dem Laufstall, aber so einfach ließ Hans sie nicht davonkommen. Mit seinen kräftigen Händen hielt er sie fest, sie gehörte ihm, nur ihm und sonst niemandem. Er würde es ihr schon austreiben, sich über ihn lustig zu machen, mit dem Nachbarn zu flirten und seinen kleinen Sohn mehr an den Nachbarn zu gewöhnen als an ihn, den Vater, den Ernährer.

Peter war verweint, aber endlich ruhig, als sie beim Essen saßen. Seine Frau sah lächerlich aus, mit dem Waschlappen im Gesicht, der mit Eiswürfeln gefüllt war, das Essen war verstanden und schmeckte nicht mehr wirklich, aber immerhin waren sie alle beisammen und feierten den Geburtstag, fast so wie er sich das vorgestellt hatte. Als Nachspeise gab es Torte und alles war wieder in Ordnung. Er gab seinem Sohn das Geschenk, das seine Frau besorgt hatte. Der Kleine freute sich, dann gab er ihm noch einen Kuss und seine Frau kümmerte sich um den Rest. Er war erschöpft und wollte sich nur mehr vor dem Fernseher erholen und vielleicht nachher mit seiner Frau schlafen, wenn die nicht wieder Migräne bekommen würde. Der Tag war nicht perfekt gelaufen, aber das konnte man vom Leben eben nicht erwarten und alles in allem war sein Leben schon okay.

13.November

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