Читать книгу Bestimmt - Морган Райс, Morgan Rice - Страница 10
6. Kapitel
ОглавлениеCaitlin flog über die idyllische Region Umbrien und bewunderte die üppig grünen Hügel und Täler, die im frühen Morgenlicht lagen. Kleine Bauernhöfe mit gemauerten Häuschen, umgeben von vielen Morgen Land, lagen verstreut in der Landschaft. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf.
Als sie weiter sie nach Norden kam und die Toskana erreichte, veränderte sich das Bild, die Hügel wurden zu Bergen. So weit der Blick reichte, sah sie Weinberge an den steilen Hängen. Arbeiter mit großen Strohhüten waren bereits so früh am Morgen an der Arbeit und kümmerten sich um die Reben. Dieses Land war unglaublich schön, und am liebsten wäre sie gleich gelandet, um sich in einem dieser kleinen Farmhäuschen häuslich niederzulassen.
Doch sie hatte noch einiges zu tun; also setzte sie ihren Flug nach Norden fort. Rose hatte sich in ihrem Hemd zusammengerollt. Dann spürte Caitlin, dass sie sich Venedig näherte – sie fühlte sich wie ein Magnet davon angezogen. Je näher sie kam, desto heftiger schlug ihr Herz vor gespannter Erwartung. Schon jetzt ahnte sie, dass sie Leute treffen würde, die sie von früher kannte, doch sie wusste noch nicht, wer es sein würde. Sie spürte auch noch nicht, ob Caleb sich in Venedig aufhielt und ob er überhaupt noch lebte.
Caitlin hatte immer schon von einer Reise nach Venedig geträumt. Sie hatte Fotos der Kanäle und der Gondeln gesehen und sich immer vorgestellt, dass sie eines Tages in diese Stadt reisen würde, vielleicht mit jemandem zusammen, den sie liebte. Ja, sie hatte sich sogar schon ausgemalt, wie sie in einer dieser Gondeln einen Heiratsantrag erhalten würde. Doch nie hatte sie damit gerechnet, auf diese Weise nach Venedig zu kommen.
Plötzlich schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass das Venedig, das sie jetzt besuchen würde, ganz anders sein könnte als die Stadt auf den Fotos aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert. Wahrscheinlich würde Venedig kleiner, weniger fortschrittlich und viel dörflicher sein. Außerdem würde wohl weniger los sein.
Doch bald erkannte sie, dass sie mit ihrer Einschätzung vollkommen falsch lag.
Als sie schließlich den Stadtrand erreichte, entdeckte sie voller Staunen, dass die Stadt unter ihr selbst aus dieser Höhe eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Bildern aus modernen Zeiten aufwies. Sie erkannte den berühmten, historischen Baustil, die Vielzahl kleiner Brücken, die Windungen der Kanäle. In der Tat war sie regelrecht schockiert, dass das Venedig des Jahres 1790 sich kaum – zumindest dem äußeren Anschein nach – von dem Venedig des einundzwanzigsten Jahrhunderts unterschied.
Doch als sie länger darüber nachdachte, verstand sie den Grund dafür. Die Architektur Venedig war nicht bloß einhundert oder zweihundert Jahre alt, sondern viele hundert Jahre. Ihr fiel eine Geschichtsstunde in der Highschool ein, in der es um den Bau von Kirchen in Venedig im zwölften Jahrhundert gegangen war. Jetzt wünschte sie sich, sie hätte damals besser aufgepasst. Die Stadt Venedig unter ihr war auch im Jahr 1790 schon mehrere Jahrhunderte alt.
Caitlin fühlte sich durch den Gedanken getröstet. Zuerst hatte sie sich vorgestellt, dass das Leben im Jahr 1790 wie auf einem anderen Planet sein würde, doch jetzt war sie erleichtert, dass einige Dinge sich gar nicht so sehr verändert hatten. Der einzige Unterschied, der ihr unmittelbar ins Auge fiel, war die Tatsache, dass auf den Kanälen natürlich keine Motorboote unterwegs waren. Es gab keine Schnellboote, keine großen Fähren, keine Kreuzfahrtschiffe. Stattdessen wimmelte es auf den Wasserstraßen von großen Segelschiffen, deren Masten viele Meter in die Höhe ragten.
Was Caitlin auch überraschte, das waren die Menschenmassen. Als sie sich tiefer sinken ließ und nur noch in einer Höhe von etwa dreißig Metern über die Stadt flog, erkannte sie, dass die Straßen sogar jetzt in den frühen Morgenstunden voller Menschen waren. Und auch auf den Wasserstraßen herrschte Hochbetrieb. Verblüfft stellte sie fest, dass in dieser Stadt mehr los war als auf dem Times Square. Dabei war sie davon ausgegangen, dass in früheren Zeiten weniger Menschen lebten und die Erde weniger dicht bevölkert war. Wahrscheinlich hatte sie sich auch in diesem Punkt geirrt.
Nachdem sie die Stadt mehrmals umkreist hatte, fiel ihr auf, dass Venedig nicht nur auf einer Insel, sondern auf vielen lag. Dutzende von Inseln erstreckten sich in alle Richtungen, und alle waren bebaut. Die Hauptinsel war jedoch deutlich zu erkennen, weil ihre Bebauung am dichtesten war. Doch die kleineren Inseln schienen ebenfalls eine wichtige Rolle zu spielen.
Auch die Farbe des Wassers erstaunte sie sehr: Es war von einem tiefen, leuchtenden Blau. Es war so klar und unwirklich blau, wie sie es irgendwo in der Karibik erwartet hätte.
Als sie erneut über den Inseln kreiste und versuchte, sich zu orientieren und einen guten Landeplatz auszukundschaften, bereute sie es, dass sie die Stadt nie im einundzwanzigsten Jahrhundert besucht hatte. Nun ja, zumindest bot sich ihr jetzt die Gelegenheit.
Momentan fühlte sie sich ein wenig überfordert, weil keine Ahnung hatte, wo sie mit der Suche nach Leuten, die sie einst gekannt hatte, beginnen sollte – falls sie überhaupt hier waren. Törichterweise hatte sie angenommen, Venedig wäre deutlich kleiner und idyllischer. Selbst von hier oben wurde ihr klar, dass man tagelang in dieser Stadt herumirren konnte.
Leider gab es auf der Hauptinsel keine Möglichkeit, irgendwo unauffällig zu landen. Zu viele Menschen drängten sich in den Straßen und auf den Plätzen, und schließlich wollte sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie wusste ja nicht, welche Clans dort unten wohnten, ob sie ein Eindringen in ihr Revier übel nahmen und ob sie zu den Guten oder den Bösen gehörten. Außerdem hatte sie keine Ahnung, ob die Menschen hier – wie in Assisi – auf der Hut vor Vampiren waren und Jagd auf sie machen würden. Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war ein Mob, der sie umbringen wollte.
Am Ende entschloss sie sich, auf dem Festland zu landen, weit weg von der Insel. Dort hatte sie große Schiffe voller Leute gesehen, die offensichtlich vom Festland nach Venedig übersetzten. Diesen Weg würde sie auch nehmen, zumindest würde sie dann direkt mitten im Herzen der Stadt ankommen.
Unauffällig landete Caitlin hinter einem kleinen Wäldchen auf dem Festland, nicht weit entfernt von der Bootsanlegestelle. Sie setzte Rose ab, die sofort hinter den nächsten Busch lief, um ihr Geschäft zu erledigen. Als sie fertig war, blickte sie zu Caitlin auf und jaulte. Caitlin las in ihren Augen, dass sie hungrig war, und stellte fest, dass es ihr genauso ging.
Das Fliegen hatte sie ermüdet, und daraus schloss sie, dass sie sich immer noch nicht vollständig von der Zeitreise erholt hatte. Außerdem hatte sie sich richtig Appetit geholt – jedoch nicht auf menschliches Essen.
Als sie sich umsah, konnte sie kein Wild entdecken, aber sie hatte keine Zeit, auf die Suche zu gehen. Vom Boot her ertönte ein lauter Pfiff und kündigte den Ablegevorgang an. Rose und Caitlin würden warten müssen und sich später um die Nahrungsnahme kümmern.
Plötzlich bekam Caitlin Heimweh und vermisste die Sicherheit und die Geborgenheit von Pollepel. Außerdem hatte sie Sehnsucht nach Caleb, der immer die Führung übernommen hatte, wenn es nötig gewesen war. In seiner Gegenwart hatte sie fortwährend das Gefühl gehabt, alles würde sich zum Guten wenden. Als sie jetzt ganz auf sich gestellt war, war sie sich dessen nicht mehr so sicher.
* * *
Caitlin und Rose gingen auf das nächstgelegene Schiff zu. Es war ein großes Segelschiff, eine Gangway verband das Deck mit dem Ufer. Das Boot war bereits voller Leute, die letzten Passagiere gingen gerade die Gangway hinauf. Caitlin und Rose beeilten sich, bevor die Rampe eingezogen wurde.
Doch dann wurde sie überraschend von einer großen, fleischigen Hand aufgehalten, die ihr unsanft den Weg versperrte. »Fahrkarte«, sagte jemand unfreundlich.
Ein großer, muskelbepackter Mann starrte finster auf sie hinunter. Er war ein ungehobelter, unrasierter Klotz und roch unangenehm.
In Caitlin stieg Verärgerung auf. Sie war ohnehin schon gereizt, weil sie nichts gegessen hatte, und nahm es dem Mann übel, dass er sie aufhalten wollte.
»Ich habe keine«, antwortete sie knapp. »Können Sie mich nicht einfach durchlassen?«
Der Mann schüttelte entschieden den Kopf und wandte sich ab. »Keine Fahrkarte, keine Bootsfahrt«, erwiderte er.
Als ihre Verärgerung wuchs, zwang sie sich, an Aiden zu denken. Was hätte er ihr jetzt geraten? Atme tief durch und entspann dich. Benutze deinen Kopf, nicht deinen Körper. Er hätte sie daran erinnert, dass sie stärker war als dieser Mensch. Er hätte ihr gesagt, sie solle sich konzentrieren und ihre inneren Talenten nutzen.
Also schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Dann sammelte sie sich und richtete ihre Gedanken auf diesen Mann.
Du wirst uns auf das Boot lassen. Du wirst auf diese Fahrkarte verzichten.
Als sie die Augen wieder aufschlug, erwartete sie, dass er vor ihr stehen und ihr die Überfahrt kostenlos anbieten würde. Doch zu ihrer Enttäuschung tat er es nicht. Stattdessen ignorierte er sie einfach und löste die letzten Taue.
Es funktionierte nicht. Entweder hatte sie ihre Fähigkeit verloren, die Gedanken von anderen zu kontrollieren, oder sie war noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte. Oder vielleicht war sie einfach zu erschöpft und ruhte zu wenig in sich selbst.
Plötzlich fiel ihr etwas ein: ihre Taschen. Schnell durchsuchte sie sie und fragte sich, ob sie vielleicht etwas aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert mitgebracht hatte. Erleichtert zog sie einen Zwanzigdollarschein hervor.
»Hier«, sagte sie und reichte ihm den Schein.
Er nahm ihn, befühlte ihn und hielt ihn hoch, um ihn genauer zu untersuchen.
»Was ist das denn?«, fragte er dann. »Das kenne ich nicht.«
»Das ist ein Zwanzigdollarschein«, erklärte Caitlin und begriff gleichzeitig, wie dämlich sie war. Natürlich, woher sollte er den Schein kennen? Er stammte aus Amerika, außerdem würde es diese Währung erst in zweihundert Jahren geben.
Voller Angst wurde ihr klar, dass das Geld nutzlos war.
»Abfall«, sagte sie und schob den Schein wieder in die Tasche.
Dann sah sie erschrocken, dass das Boot jeden Moment ablegen würde. Schnell griff sie wieder in die Tasche und brachte ein bisschen Kleingeld zum Vorschein. Sie nahm eine Vierteldollarmünze und gab sie ihm.
Diesmal wirkte der Mann schon interessierter, nahm die Münze und hielt sie ans Licht. Doch trotzdem war er immer noch nicht überzeugt und gab ihr das Geld zurück.
»Komm zurück, wenn du richtiges Geld hast«, knurrte er. Dann warf er einen Blick auf Rose und fügte hinzu: »Und ohne Hund.«
Caitlin dachte an Caleb. Vielleicht war er da drüben in Venedig, ganz knapp außer Reichweite – nur eine kurze Bootsfahrt entfernt. Sie war so wütend, dass dieser Kerl sie nicht zu ihm ließ. Schließlich hatte sie ja Geld, es war nur nicht seine Währung. Außerdem sah das Schiff nur bedingt seetüchtig aus, und es befanden sich bereits Hunderte von Passagieren darauf. Kam es da wirklich auf eine einzige Fahrkarte an? Es war einfach nicht fair.
Als er Caitlin die Münze zurückgab, packte er sie ganz plötzlich mit seiner großen, schweißnassen Hand am Handgelenk. Er warf ihr einen anzüglichen Blick zu und grinste verschlagen. Dabei konnte sie sehen, dass ihm mehrere Zähne fehlten, und sie roch seinen schlechten Atem.
»Wenn du kein Geld hast, kannst du auch auf eine andere Weise bezahlen«, schlug er vor, während sein unangenehmes Grinsen noch breiter wurde.
Als er die andere Hand ausstreckte und ihre Wange berührte, reagierte Caitlin reflexartig und schlug ihm kräftig auf die Finger, bevor sie ihr Handgelenk aus seinem Griff befreite. Überrascht stellte sie fest, wie stark sie wieder geworden war.
Der Mann war offensichtlich verblüfft, dass eine zierliche, junge Frau so viel Kraft hatte. Sein Grinsen verschwand schlagartig, und sein Gesichtsausdruck wurde finster. Dann spuckte er ihr vor die Füße. Angewidert sah Caitlin, dass etwas davon auf ihren Schuhen gelandet war.
»Du kannst froh sein, dass ich kein Kleinholz aus dir mache«, knurrte er, bevor er sich abrupt umdrehte und das letzte Tau löste.
Wut überkam Caitlin, und das Blut schoss ihr ins Gesicht. Waren Männer überall gleich? Zu jeder Zeit, in jeder Epoche? War das ein Vorgeschmack darauf, was sie hinsichtlich der Behandlung von Frauen hier erwartete? Als sie daran dachte, was sich Frauen alles gefallen lassen mussten, wurde sie noch wütender. Auf einmal hatte sie das dringende Bedürfnis, stellvertretend für alle Frauen einzutreten.
Der Kerl beugte sich immer noch vor und war mit dem Tau beschäftigt, als sie schnell mit dem Fuß ausholte und ihm kräftig in den Hintern trat. Im hohen Bogen flog er mit dem Kopf zuerst ins Meer, das sich rund fünf Meter unterhalb befand. Das Wasser spritzte auf, als er mit einem lauten Platschen aufschlug.
Dann lief Caitlin schnell mit Rose die Gangway hinauf und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Sie hoffte, dass niemand den Vorfall beobachtet hatte, weil alles so schnell geschehen war. Offensichtlich war das der Fall, denn die Besatzung zog die Gangway ein, und das Schiff setzte seine Segel.
Caitlin blickte über die Reling ins Wasser und konnte den Mann erkennen, dessen Kopf immer wieder auftauchte. Er ballte die Faust und schrie: »Stoppt das Schiff! Stoppt das Schiff!«
Doch seine Schreie wurden vom Jubel der aufgeregten Passagiere übertönt, die sich freuten, als das Schiff endlich ablegte.
Schließlich bemerkte ein Besatzmitglied den Mann im Wasser, rannte an die Reling und folgte mit dem Blick dem ausgestreckten Zeigefinger, der in Caitlins Richtung deutete.
Caitlin wartete nicht ab, was passieren würde, sondern tauchte in der Menge unter. Geduldig schob sie sich immer weiter und hoffte, dass man Rose und sie nicht entdecken würde.
Das Boot nahm zunehmend Fahrt auf. Nach einer Weile atmete Caitlin tief durch, als ihr klar wurde, dass niemand sie zu suchen schien.
Allmählich wurde sie ruhiger und bahnte sich wieder einen Weg zurück an die Reling.
In der Ferne konnte sie brutalen Kerl erkennen, der sich gerade aus dem Wasser hievte – aber jetzt war er nur noch ein kleiner Punkt am Horizont. Caitlin lächelte zufrieden – das geschah ihm recht.
Als sie sich umdrehte, entdeckte sie, dass Venedig näherrückte.
Ihr Lächeln wurde noch strahlender, während sie an der Reling lehnte und die kühle Meeresbrise ihr Haar zurückwehte. Die Temperatur an diesem warmen Maitag war perfekt, und die Salzluft war erfrischend. Rose sprang neben ihr in die Höhe und stützte sich mit den Vorderpfoten auf die Reling. Sie schien den Ausblick und die frische Luft ebenfalls zu genießen.
Caitlin hatte Schiffe immer schon geliebt. Leider hatte sie noch nie ein echtes, historisches Segelschiff gesehen – und schon gar nicht war sie auf einem gesegelt. Lächelnd korrigierte sie sich selbst in Gedanken: Das hier war kein historisches Schiff. Im Jahr 1790 war es hochmodern. Beinahe hätte sie bei dem Gedanken laut aufgelacht.
Die großen Holzmasten ragten in den Himmel. Fasziniert sah sie zu, wie die Matrosen sich in einer Reihe aufstellten und an den dicken Tauen zogen. Viele Meter schweren Segeltuchs wurden gehisst – das dicke Material knatterte im Wind. Die Arbeit war schwer, und die Matrosen schwitzten in der Sonne, während sie sich mit aller Kraft abmühten.
So wurde das also gemacht. Caitlin war beeindruckt, wie effizient die Männer Hand in Hand arbeiteten. Es war kaum zu glauben, wie schnell dieses überfüllte Schiff durch das Wasser glitt, und das ohne einen modernen Motorantrieb. Sie fragte sich, was der Kapitän dieses Segelschiffes wohl sagen würde, wenn sie ihm von den Schiffsmotoren des einundzwanzigsten Jahrhunderts erzählen würde. Wahrscheinlich würde er sie für verrückt erklären.
Rund sechs Meter unter ihr rauschte das Wasser vorbei, kleine Wellen schlugen gegen Schiffswand. Das Wasser war einfach wunderbar klar und blau.
Die Menschen um sie herum versuchten, ebenfalls einen Platz an der Reling zu ergattern, um aufs Wasser hinauszublicken. Ihr fiel auf, wie einfach gekleidet viele von ihnen waren, die meisten trugen eine Tunika und Sandalen, manche waren sogar barfuß. Andere jedoch waren elegant angezogen, und ganz offensichtlich versuchten sie, sich von den Massen fernzuhalten. Einige Leute trugen kunstvolle Masken mit langen, vorspringenden Nasen. Sie lachten und rempelten sich gegenseitig an – offenbar waren sie betrunken.
Als sie sich genauer umsah, stellte sie fest, dass eine ganze Reihe Passagiere Weinflaschen dabei hatten und so früh am Morgen schon angeheitert wirkten. Auf dem ganzen Schiff herrschte ausgelassene Feierstimmung, als wären die Leute auf dem Weg zu einem großen Fest.
Caitlin beschloss, ganz nach vorne zum Bug des Schiffes zu gehen, und drängte sich erneut durch die Menge – vorbei an Eltern, die ihre Kinder auf dem Arm trugen. Dann hatte sie es geschafft und konnte nun die Aussicht genießen, die sie sich gewünscht hatte. Neugierig beugte sie sich vor, während das Schiff zügig auf Venedig zuhielt.
Der ungehinderte Blick auf die Stadt raubte ihr den Atem. Sie erkannte die Konturen, die wunderschönen, historischen Gebäude, die alle mit dem Fronten zum Wasser zeigten. Einige Fassaden waren wirklich prachtvoll und mit allen möglichen Verzierungen versehen. Viele Häuser hatten Bogenelemente und Bogenfenster, und erstaunlicherweise befanden sich viele Haustüren auf Wasserniveau. Es war einfach unglaublich. Man konnte buchstäblich mit dem Boot bis vor die Haustüren fahren und in die Häuser eintreten.
Mitten zwischen den Gebäuden ragten Kirchturmspitzen empor, und hin und wieder war eine Kuppel am Horizont zu erkennen. Diese Stadt war in einem großartigen Baustil – prachtvoll und sehr kunstvoll – errichtet worden. Die Stadt stand nicht nur am Wasser, sondern sie umarmte es förmlich.
Und überall gab es kleine Bogenbrücken, die die Häuserzeilen miteinander verbanden, und in der Mitte befand sich ein großer Platz. Überall spazierten Menschen herum oder saßen am Ufer und beobachteten die vorüberfahrenden Schiffe.