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KAPITEL SECHS

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Erec stand am Bug des Schiffs, Alistair und Strom an seiner Seite, und blickte hinab in das wilde Wasser des Flusses unter ihm. Er beobachtete, wie sich der wütende Strom teilte und das Schiff nach links trieb, weg von dem Kanal, der sie nach Volusia zu Gwendolyn und den anderen gebracht hätte – und er fühlte sich hin und hergerissen. Natürlich wollte er Gwendolyn retten; und doch musste er auch seinem heiligen Eid folgen, den er diesen Dorfbewohnern geschworen hatte: ihr Nachbardorf zu befreien und den Standort des Empire in der Nähe zu zerstören. Wenn er es nicht tat, würden die Empirekrieger bald das befreite Dorf überfallen und alle töten- und alle Bemühungen, sie zu befreien, wären umsonst gewesen.

Erec blickte auf und studierte den Horizont. Ihm war sehr wohl bewusst, dass jeder Augenblick der verstrich, jeder Windstoß, jeder Ruderschlag sie weiter von Gwendolyn und ihrer ursprünglichen Mission wegbrachte; und doch wusste er, dass man manchmal von der Mission abweichen musste, um zu tun, was richtig und ehrenhaft war. Manchmal war die Mission etwas anderes, als er gedacht hatte. Manchmal änderte sie sich; manchmal war es nur ein Ausflug auf dem Weg, der zur wirklichen Mission wurde.

Doch Erec war immer noch fest entschlossen den Stützpunkt des Empire so schnell wie möglich zu vernichten und wieder den Weg nach Volusia einschlagen, um Gwendolyn zu retten bevor es zu spät war.

„Sir!“, rief eine Stimme.

Erec blickte auf und sah einen seiner Krieger, hoch oben auf dem Mast, in Richtung Horizont deuten. Er drehte sich um, und als das Schiff um eine Biegung des Flusses kam und die Strömung stärker wurde, schlug Erecs Herz schneller, als er das Fort des Empire am Ufer sah, das von Kriegern nur so wimmelte. Es war ein tristes, niedriges Gebäude aus Stein, um das Zuchtmeister des Empire aufgereiht waren – doch keiner von ihnen beobachtete den Fluss. Stattdessen sahen sie alle hinunter zum Sklavendorf, das voller Menschen war. Sie quälten sich in den Straßen mit harter Arbeit ab, während die Krieger sich über sie lustig machten.

Erec wurde rot vor Empörung; diese Ungerechtigkeit brachte ihn zur Weißglut. Er hatte das Gefühl, dass seine Entscheidung, hierher zu kommen gerechtfertigt war, und war entschlossen, das Empire für alles bezahlen zu lassen. Vielleicht war es nur ein Tropfen auf den heißen Stein für das Empire, doch man durfte nie unterschätzen, was Freiheit bedeutete, selbst wenn sie nur für ein paar wenige Menschen erlangt werden konnte.

Erec sah, dass das Ufer von Schiffen des Empire gesäumt war. Sie waren jedoch kaum bewacht, da niemand mit einem Angriff rechnete. Natürlich nicht: es gab hier keine feindlich Macht, die das Empire hätte fürchten müssen.

Keine außer Erecs.

Erec wusste, dass sie, auch wenn er und seine Männer in der Unterzahl wahren, immer noch den Vorteil des Überraschungsmoments hatten. Wenn sie schnell genug zuschlagen konnten, könnten sie vielleicht alle töten.

Erec wandte sich seinen Männern zu und auch Strom an seiner Seite erwartete voller Tatendrang seinen Befehl.

„Übernimm das Kommando des Schiffs neben mir“, befahl Erec seinem jüngeren Bruder. Dieser rannte sofort los, sprintete über Deck und über die Reling auf das Schiff neben Erecs. Dort ging er eilig zum Bug und übernahm das Kommando.

Erec drehte sich wieder zu seinen Kriegern um, die sich um ihn drängten und seinen Befehl erwarteten.

„Ich will sie nicht zu früh alarmieren“, sagte er. „Wir müssen so nah wie möglich an sie herankommen. Bogenschützen – macht euch bereit!“, rief er. „Und alle anderen – nehmt eure Speere und kniet nieder!“

Die Krieger nahmen ihre Positionen ein und gingen entlang der Reling in die Hocke, Reihe um Reihe, mit Speeren und Bögen bewaffnet, wohl diszipliniert und geduldig auf seinen Befehl wartend. Die Strömung wurde stärker. Erec sah das Fort näherkommen, und spürte den wohlbekannten Rausch in seinen Adern: ein Kampf lag in der Luft.

Sie kamen immer näher, nun kaum mehr als hundert Meter entfernt, und Erecs Herz raste, in der Hoffnung, dass sie nicht entdeckt würden. Er spürte die Unruhe der Männer um sich herum, die kaum abwarten konnten anzugreifen. Sie mussten nur in Reichweite ihrer Pfeile und Speere kommen.

Komm schon, dachte Erec. Nur ein klein wenig näher.

Erec erschrak, als ein Empire-Krieger sich eher zufällig in Richtung Fluss umdrehte und verwirrt blinzelte. Er war im Begriff, sie zu entdecken – viel zu früh, denn sie waren noch nicht in Reichweite.

Auch Alistair, die neben Erec stand, hatte ihn gesehen. Bevor Erec den Befehl geben konnte, den Angriff verfrüht zu starten, hob sie mit einem ruhigen, selbstbewussten Ausdruck im Gesicht ihre rechte Hand und eine Kugel aus gelbem Licht materialisierte darin.

Erec sah staunend zu, wie sich die Kugel in die Luft erhob und sich dann wie ein Regenbogen über ihnen ergoss. Mit dem Regenbogen zog Nebel auf, der sie vor den Blicken des Empire schützte.

Der Krieger spähte nun irritiert in den Nebel und konnte nichts entdecken. Erec wandte sich um und lächelte Alistair an. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass er ohne sie verloren wäre.

Erecs Flotte segelte weiter, nun im Schutz des Nebels und er sah sie dankbar an.

„Deine Hand ist stärker als mein Schwert, Mylady“, sagte er und verneigte sich vor ihr.

Sie lächelte.

„Es ist immer noch deine Aufgabe, den Kampf zu gewinnen“, antwortete sie.

Der Wind trug sie weiter durch den Nebel und Erec konnte sehen, dass seine Männer darauf brannten, loszuschlagen. Er verstand sie: auch er konnte es nicht erwarten.

„Noch nicht“, flüsterte er ihnen zu.

Durch den Nebel konnte Erec die Empire-Krieger sehen: sie standen auf den Wällen und ihre muskulösen Körper glänzten in der Sonne während sie mit ihren Peitschen auf die Dorfbewohner einschlugen. Andere Krieger hatten sich dem Fluss zugewandt – offensichtlich herbeigerufen von dem Mann, der sie beinahe entdeckte hätte. Argwöhnisch beobachteten sie den Nebel, als hätten sie einen Verdacht.

Erec war jetzt unglaublich nah. Seine Schiffe waren nicht mehr als dreißig Meter vom Ufer entfernt, und sein Herz pochte in seinen Ohren. Alistairs Nebel begann sich aufzulösen, und er wusste, dass die Zeit gekommen war.

„Bogenschützen“, befahl Erec. „Feuer!“

Dutzende von Bogenschützen auf allen seinen Schiffen standen auf, zielten und schossen. Die Luft wurde erfüllt vom Geräusch der Pfeile, die die Sehnen verließen. Sie verdunkelten den Himmel als sie in hohem Bogen aufstiegen und dann auf das Ufer zuflogen.

Einen Augenblick später waren Schreie zu hören, als ein Regen tödlicher Pfeile auf die Empire Krieger herniederging. Der Kampf hatte begonnen.

Hörner erklangen als das ganze Fort alarmiert wurde und die Männer sich sammelten, um es zu verteidigen.

„SPEERE!“, rief Erec.

Strom war der erste, der aufsprang und seinen Speer schleuderte, einen schön verzierten silbernen Speer, der pfeifend durch die Luft flog und einen überraschten Kommandanten er feindlichen Truppen ins Herz traf.

Erec warf seinen goldenen Speer und tötete damit einen anderen Kommandanten auf der anderen Seite der Festung. Seine Männer auf allen Schiffen folgten seinem Beispiel und töten viele der überraschten Empire-Krieger, die kaum Gelegenheit hatten, sich zu sammeln.

Dutzende von ihnen fielen und Erec sah, dass die erste Angriffswelle ein voller Erfolg war; doch es waren immer noch Hunderte von Kriegern übrig, und als sein Schiff am Ufer anlegte, wusste er, dass die Zeit für den Kampf Mann gegen Mann gekommen war.

„ANGRIFF!“, schrie er.

Erec zog sein Schwert und schwang sich über die Reling, die fünf Meter hinab ans sandige Ufer. Mehrere hundert seiner Männer folgten ihm, rannten über das Ufer und wichen dabei Pfeilen und Speeren aus. Die Empire-Krieger sammelten sich hektisch und stürmten ihnen entgegen.

Erec wappnete sich, als ein riesiger Empire-Krieger direkt auf ihn zu gerannt kam. Brüllend riss er seine Axt in die Höhe und schwang sie seitlich in Richtung von Erecs Kopf. Dieser wich aus, rammte ihm sein Schwert in die Eingeweide und rannte weiter. Erec, dessen Reflexe die Kontrolle übernahmen, stach einem weiteren Krieger ins Herz, wich dem Axthieb eines anderen aus und wirbelte herum, um ihm die Brust aufzuschlitzen. Ein weiterer Krieger griff ihn von hinten an, und ohne sich umzudrehen, rammte Erec ihm den Ellbogen in den Magen, sodass er vor Schmerzen auf die Knie fiel.

Erec rannte durch die Reihen von Kriegern – schneller, beweglicher und stärker als jeder andere auf dem Feld – und führte seine Männer, die auf dem Weg zum Fort einen Empire-Krieger nach dem anderen töteten. Das Getümmel wurde immer dichter, und die Männer des Empire waren starke Gegner im Kampf Mann gegen Mann. Es brach Erec das Herz zu sehen, dass viele seiner Männer beim Angriff starben.

Doch Erec drang entschlossen weiter vor und wich blitzschnell immer wieder Hieben aus. Er stürmte über das Ufer wie ein Dämon, der aus der Hölle ausgebrochen war.

Bald war niemand mehr übrig. Alles war still am Ufer, das vom Blut rot gefärbt wurde. Die meisten der Toten waren Empire-Krieger, doch unter ihnen waren auch zu viele seiner eigenen Männer.

Voller Zorn stürmte Erec auf das Fort zu, in dem es immer noch von Kriegern wimmelte. Seinen Männern voran rannte er die steinernen Stufen am Rand entlang, und rammte dabei dem ersten Krieger, der ihn angriff, seinen Dolch ins Herz – gerade noch rechtzeitig bevor dieser seinen Kriegshammer auf seinen Kopf heruntersausen lassen konnte. Erec zog seinen Dolch heraus und der tote Krieger fiel neben ihm die Treppen hinunter. Ein weiterer Mann tauchte auf und hieb nach Erec, bevor dieser reagieren konnte. Doch Strom sprang dazwischen, und mit lautem Klirren und Funkenregen wehrte er den Hieb ab, bevor er seinen Bruder treffen konnte. Dann versetzte er dem Krieger einen Tritt, der ihn über die Kante und in den Tod stürzen ließ.

Erec stürmte vier Stufen auf einmal nehmend weiter, bis er den oberen Rand der Wehranlagen erreichte. Dutzende von Kriegern, die sich noch auf den Zinnen befanden waren jetzt, wo sie all ihre Brüder tot sahen – gelähmt vor Angst. Beim Anblick von Erecs Männern, die die Wehrgänge stürmten, ergriffen sie die Flucht. Sie rannten die Stufen auf der gegenüberliegenden Seite der Festung hinunter in die Straßen des Dorfes – und mussten dort eine Überraschung erleben; die Dorfbewohner hatten durch den Angriff Mut geschöpft. Ihre verängstigten Mienen machten einem Ausdruck blinder Wut Platz und sie erhoben sich gegen ihre Peiniger. Sie rissen den Zuchtmeistern die Peitschen aus den Händen und verfolgten die übriggebliebenen Krieger.

Die Empire-Krieger hatten nicht damit gerechnet und einer nach dem anderen fiel unter den Peitschenhieben der Sklaven. Auch wenn sie schon am Boden lagen schlugen die Sklaven weiter auf sie ein bis sie sich nicht mehr rührten. Der Gerechtigkeit war genüge getan.

Schwer atmend stand Erec mit seinen Männern auf den Mauern des Forts und nahm schweigend Bestand auf. Der Kampf war vorbei. Unten brauchten die schockierten Dorfbewohner eine Weile, um zu begreifen, was geschehen war.

Einer nach dem anderen begann zu jubeln bis sich der Jubel über das ganze Dorf ausbreitete. Freudestrahlend begrüßten sie ihre neu gewonnene Freiheit. Erec wusste, dass es das wert gewesen war. Genau das war wahrer Heldenmut.

Das Geschenk der Schlacht

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