Читать книгу Nur den Tapferen - Морган Райс, Morgan Rice - Страница 12
KAPITEL FÜNF
ОглавлениеRoyce kniete in der Asche des Hauses seiner Eltern. Verkohlte Holzteilchen bröckelten aus dem übriggebliebenen Gerippe wie die Tränen, die sich in reinigenden Bahnen ihren Weg über Royces Wangen und Hals wuschen. Sie bildeten kleine Rinnsale, die sich durch die Asche und den Dreck, die sein Gesicht nun bedeckten, gruben und Streifen hinterließen, die ihn seltsam aussehen ließen. Doch all das war Royce egal.
Alles was jetzt zählte war, dass seine Eltern tot waren.
Kummer erfüllte Royce als er hinab zu den Leichen seiner Eltern blickte. Sie lagen ungewöhnlich friedlich da trotz der Flammen, die hier gewütet haben mussten. Er wollte die Welt entzweien so wie er die zunehmend aschigen Strähnen seines Haares mit den Fingern entzweite. Er wollte einen Weg der Wiedergutmachung finden, doch nichts konnte wiedergutgemacht werden, und so schrie Royce seine Wut und seinen Kummer dem Himmel entgegen.
Er hatte den Mann gesehen, der ihm all das angetan hatte. Royce hatte ihn nach seiner Tat auf der Straße gesehen, so ruhig als wäre nichts geschehen. Der Mann hatte ihn sogar unbewusst vor den Soldaten, die auf dem Weg in sein Dorf gewesen waren, gewarnt. Welcher Mörder tat so etwas? Welcher Mörder tötete und postierte seine Opfer dann so als machte er sie für ein ehrenhaftes Begräbnis bereit?
Doch das hier war kein Grab, und so lief Royce zur Rückseite des Hofes und fand Dechsel und Schippe. Er begann zu graben, denn er wollte das Fleisch seiner Eltern nicht den nächsten Raubvögeln überlassen. Der Boden war teilweise sehr dicht und verbrannt, sodass seine Muskeln von der Arbeit zu schmerzen begannen. Doch hatte Royce das Gefühl, dass er diesen Schmerz und diese Qual verdiente. Die Alte Lori hatte Recht gehabt... all das war nur seinetwegen geschehen.
Er grub das Grab so tief er konnte und legte dann die Körper seiner Eltern hinein. Dann stand er am Rand der Grube und suchte nach den richtigen Worten. Doch ihm fiel nichts ein, das seinen Eltern auf dem Weg in den Himmel geholfen hätte. Er war kein Priester und wusste nichts von dem, was den Göttern gefiel. Er war auch kein wandernder Geschichtenerzähler, der immer die richtigen Worte fand ob nun bei einem wilden Fest oder im Fall des Todes.
„Ich liebe euch beide so sehr“, sagte er anstatt. „Ich... ich wünschte, ich könnte noch etwas anderes sagen, aber alles würde letztlich darauf hinauslaufen.“
Er begrub sie so fürsorglich er konnte, doch jede Schippe Erde, die auf ihren Leichen landete, war wie ein Hammerschlag. Royce konnte über sich den Schrei eines Habichts hören, und er scheuchte ihn davon. Es kümmerte ihn nicht, ob sich Krähen und Dohlen im restlichen Dorf an den dortigen Leichen vergingen. Das hier waren seine Eltern.
Doch kaum hatte er das ausgedacht, da wusste Royce, dass es nicht genügen würde, nur sie zu begraben. Die Männer der Herzogs waren seinetwegen hierher gekommen; er konnte auch alle anderen nicht einfach den Raubvögeln überlassen. Er wusste auch, dass er keine Grube graben konnte, die tief und groß genug für alle Leichen gewesen wäre.
Ihm würde nichts anderes übrigbleiben, als ein großes Feuer zu machen, das vollenden würde, was mit den Gebäuden begonnen hatte. So fing Royce an, durch das Dorf zu laufen und Holz zu sammeln. Er holte es aus einstigen Winterlagern und zog es aus den Überresten der Häuser. Die Balken waren am schwersten, doch hatte er genügend Kraft, sie zumindest über den Boden zu ziehen. Er stellte sie so auf, dass sie einander gegenseitig stützten und so den Grundstock seines Feuers bildeten.
Es war schon vollkommen dunkel geworden, als Royce mit seiner Arbeit fertig war. Doch in einem Dorf voller Toter zu schlafen, war für ihn unvorstellbar. So suchte er vor den Häusern nach einer Laterne und fand schließlich, was er suchte. Die Hitze hatte sie nur ein wenig verbogen. Er zündete sie an, und im Schein der Laterne fing er an, die Toten zusammenzutragen.
Er ließ keinen und keine außen vor, auch wenn es ihm das Herz brach. Jung und alt, Frauen und Männer, alle trug er sie zusammen. Er schleppte die schwersten und trug die leichtesten unter ihnen herbei und legte sie an ihren Platz in der Feuerstätte, denn er hoffte, dass sie zumindest so gemeinsam in das Jenseits eintreten konnten, wie auch immer diese Welt aussehen mochte.
Er war beinahe bereit, das Feuer mit seiner Laterne zu entzünden als er sich an die Alte Lori erinnerte; er hatte sie bei seiner düsteren Arbeit übersehen, auch wenn er an der Mauer, an der sie zuletzt gelehnt hatte, mehr als ein dutzend Mal vorbeigekommen war. Vielleicht war sie doch noch nicht gestorben. Vielleicht war sie davongekrochen, um so zu sterben, wie sie es wollte oder Royce hatte sie schlichtweg nicht gesehen. Es erschien ihm falsch, sie von den anderen zu trennen, also machte er sich auf den Weg, ihre Überreste zu finden. Er kehrte zu der Stelle zurück, wo sie gelegen hatte und suchte im Lampenlicht den umliegenden Boden ab.
„Suchst du irgendjemanden?“ fragte eine Stimme und Royce wirbelte herum. Seine Hand schnellte zu seinem Schwert bevor er eine Sekunde später die Stimme wiedererkannte.
Es war Loris Stimme, und dann auch wieder nicht. Die Stimme war weniger brüchig und dünn als zuvor, weniger alt und ausgelaugt. Als sie in den Schein seiner Laterne trat bestätigte sich Royces Vermutung und noch viel mehr. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie eine alte, ausgebrannte Frau gewesen. Die Frau, die jetzt vor ihm stand, wirkte beinahe schon jung. Ihr Haar war voll, ihre Augen stechend und ihre Haut weich.
„Was bist du?“ fragte Royce, und seine Hände griffen wieder nach seinem Schwert.
„Ich bin, was ich schon immer gewesen bin“, sagte Lori. „Jemand, der beobachtet und lernt.“ Royce sah, wie sie an sich hinabblickte. „Ich habe dir doch gesagt, mich nicht zu berühren, Junge, mich einfach in Frieden sterben zu lassen. Hättest du nicht einfach auf mich hören können? Warum nur können alle Männer in deiner Familie nicht zuhören?“
„Du glaubst, ich hätte das getan?“ fragte Royce. Dachte diese Frau – in der er immer noch Mühe hatte, Lori zu erkennen – , dass er eine Art Zauberer war?
„Nein, du dummer Junge“, sagte Lori. „Ich habe das getan, in einem Körper, der mich nicht sterben lassen wollte. Die Berührung von dir, der du das Blut in dir trägst, genügte, um die Verwandlung in Gang zu bringen. Ich hätte wissen sollen, dass so etwas geschehen würde nachdem du als Baby vom Fluss angespült wurdest und in dieses Dorf kamst. Ich hätte diesen Ort verlassen sollen anstatt dir dabei zuzusehen, wie du aufwächst.“
„Du erinnerst dich daran, wie ich hier im Dorf angekommen bin?“ fragte Royce. „Weißt du, wer mein Vater ist?“
Er dachte an den Ritter in der weißen Rüstung aus seinen Träumen und an seinen Lehrer von der Roten Insel, der ihm erzählt hatte, dass der Mann, der Royce gezeugt hatte, ihm das Leben gerettet hat. Royce wusste nichts von ihm, nur dass das in seine Hand gebrannte Symbol das seines Vaters sein musste.
„Ich weiß genug“, sagte Lori. „Dein Vater war ein großer Mann, in dem Sinne wie Männer sich eben selbst „groß“ nennen. Er hat viel gekämpft, er hat oft gesiegt. Vermutlich könnte man auch sagen, dass er in anderen Bereichen Größe besaß: er versuchte, den Menschen zu helfen, wo er nur konnte, und er stellte sicher, dass die ihm Anvertrauten, in Sicherheit waren. Dein Feuer hier... das hätte er wahrscheinlich auch so gemacht, tapfer und rechtschaffend und so überaus töricht.“
„Es ist doch nicht töricht, die eigenen Freunde vor den Krähen schützen zu wollen“, wandte Royce ein und warf Lori einen entschlossenen Blick zu.
„Freunde?“ Sie dachte einen oder zwei Momente lang nach. „Ich nehme an, dass nach all den Jahren ein paar von ihnen Freunde gewesen sind. Allerdings ist es schwer für mich, Freundschaften zu schließen, denn ich weiß, wie schnell der Tod sie holen kann. Auch dich wird er holen, wenn du dieses Leuchtfeuer anzündest, denn so wird jeder von hier bis zur Küste sehen können, dass die Männer des Herzogs ihr Werk nicht vollendet haben.“
Das hatte Royce nicht bedacht. Er hatte nur an das gedacht, was für die Menschen aus seinem Dorf das Beste war oder was er ihnen schuldete nachdem er ihnen all das hier eingebrockt hatte.
„Das ist mir egal“, sagte er. „Lass sie nur kommen.“
„Ja, ganz der Sohn des Vaters“, sagte Lori.
„Du weißt, wer mein Vater war?“ fragte Royce. „Erzähl mir von ihm. Bitte, erzähl.“
Lori schüttelte den Kopf. „Du glaubst doch nicht, dass ich willentlich und überstürzt die Dinge beschleunigen will. Es wird schon so genug Tote geben. Hör zu, sieh dir einfach das Zeichen auf deinem Arm an. Wirst du also einer alten Frau einen Vorsprung geben bevor du etwas so dummes tust, wie zum Beispiel dieses Feuer anzuzünden?“
Aus dem tiefsitzenden Kummer rollte eine Welle der Wut über Royce hinweg. „Sind dir denn all diese Menschen vollkommen egal? Du haust einfach ab bevor das ist hier ganz vorbei ist?“
„Es ist vorbei“, konterte Lori. „Tot ist tot. Und wage es bloß nicht, mir vorzuwerfen, dass es mir egal wäre. Ich habe Dinge gesehen, die... verflucht worum geht es hier eigentlich?“
Sie machte eine Bewegung mit der Hand in Richtung des Feuers, das Royce gebaut hatte, und murmelte Worte in einer Sprache, die ihm vom bloßen Zuhören in den Ohren wehtaten. Rauch begann aus dem Holz zu steigen, dann wurden die ersten kleinen Flammen sichtbar.
„So, geht es dir jetzt besser?“ fragte sie. „Lange habe ich mich von diesen Dingen fernhalten können, sogar nachdem ein Mann mir sein Schwert in die Seite rammte. Ich wollte sterben, nicht dass ich in meinem Alter die Kraft besessen hätte, großartig etwas daran zu ändern. Jetzt hast du mich dazu gebracht, in fünf Minuten all das zu tun, zur Hölle mit dir!“
Royce musste zugeben, dass ihre Wut recht beeindruckend war. Etwas beinahe ursprüngliches lag in ihr. Dennoch musste er ihr noch eine Frage stellen.
„Hattest du... hättest du die Macht gehabt, einige Menschen hier zu retten, Lori?“
„Jetzt willst du mir dafür die Schuld geben?“ fragte sie. Sie nickte zu der Stelle, wo das Holz gerade Feuer fing. „In der Magie geht es nicht darum, ein Feuer zu entfachen oder Blitze vom Himmel herab zu beschwören, Royce. Mit einem entsprechend langen Ritus kann ich vielleicht ein paar Dinge tun, die dich beeindrucken würden, doch ein Funke wie dieser ist so ziemlich das Erstaunlichste, zu dem ich einfach so aus dem Stand fähig bin. Ich werde jetzt gehen, und versuch bloß nicht, mich aufzuhalten. Du wirst mir sowieso schon genug Ärger einbringen.“
Sie drehte sich um, und für einen Augenblick wollte Royce ihren Arm greifen, doch etwas hielt ihn zurück. So starrte er sie einfach nur an während das Feuer langsam das Dunkel der Nacht zu erleuchten begann. Je größer es wurde, desto genauer konnte er die Funken und Flämmchen erkennen, und schon bald war es zu etwas angewachsen, das den gesamten Himmel mit seiner Hitze zu verschlingen schien.
Royce versuchte, stillzustehen und an all die Menschen zu denken, die er dem Feuer anvertraut hatte und denen er die letzte Ehre erweisen wollte, indem er dabei zusah, wie ihre Körper in diesen letzten Momenten zu Asche zerfielen. Die Flammen brannten und brannten, stiegen in die Höhe und fielen mit dem Wind und dem Treibstoff weiter unten wieder in sich zusammen, sodass die Flammen Royce beinahe wie eine aus dem Feuer geborene Symphonie vorkamen.
Da kam etwas anderes aus dem Feuer geflogen. Seine Gestalt zeichnete sich dunkel gegen die Flammen ab und flatterte so leicht zwischen ihnen hindurch als würde sie sie gar nicht spüren. Royce erkannte in ihr die Gestalt eines großen Falken von der Art, die normalerweise in den nahegelegenen Seen nach Beute tauchten. Doch das hier war kein normaler Vogel. Dort, wo das Feuer sein Federkleid hätte schwärzen oder gar verbrennen sollen, hatte es das Rot der Flammen angenommen. Etwas allzu Intelligentes lag in dem Blick, den er Royce zuwarf als er im Schein der Glut über diesem zu kreisen begann.
Royce streckte instinktiv einen Arm aus, denn das hatte er bei anderen Besitzern von Falken gesehen. Der Vogel ließ sich schwer auf seinem Unterarm nieder, lief dann bis zu seiner Schulter hinauf und begann sich schließlich dort zu putzen. Da begann er mit Loris Stimme zu sprechen.
„Dieser Vogel ist ein Geschenk, nur die Götter wissen, warum ich das tue. Ich werde sehen, was er sieht und dir berichten, was ich dir berichten kann. Möge er zu deinen Augen werden und einiges von dem, was dir bevorsteht, zum besseren wenden.“
„Was?“ fragte Royce. „Was meinst du damit?“
Doch er bekam keine Antwort, nur den schrillen Schrei des Falken als dieser sich in die Lüfte erhob. Vor Royces Augen flackerte kurz das Bild des Feuers unter ihm auf, die tanzenden Flammen erschienen winzig von so weit oben...
Dann kam er mit einem Zucken wieder zu sich und machte seinen Arm für den Vogel bereit. Er landete so selbstverständlich auf seinem Arm als wäre nichts geschehen. Royce starrte ihn an. Das Flackern einer Flamme in seinem Auge verriet ihm, dass er hier keinen normalen Falken auf dem Arm trug.
„Ember“, sagte Royce. „Du sollst Ember heißen.“
***
Royce behielt Ember die ganze Nacht lang auf seinem Arm. Er ignorierte den Schmerz in seinen Beinen und den Wunsch sich zu rühren. Sie wachten über das Feuer während es brannte. Der Falke flatterte immer wieder über das Feuer und die Stichflammen, die in regelmäßigen Abständen in die Höhe schossen.
Er bewegte sich nicht, denn er hatte das Gefühl, dass er den Toten das schuldete.
Schließlich ging die Sonne über dem Horizont auf, und Royce erblickte die Männer und Frauen, die an den Waldrändern in der Nähe des Dorfes standen. Er wandte sich ihnen zu und stolperte ihnen entgegen, denn seine Beine wollten ihm nach so langem Stillstehen nicht recht gehorchen. Wenn dies die Leute des Herzogs waren, dann war er so wie Lori es vorhergesehen hatte so gut wie tot.
Starke Hände griffen nach ihm, und jetzt erkannte Royce einige von ihnen wieder. Unter ihnen waren Freunde aus dem Dorf und Bewohner anderer Dörfer, die weiter im Inneren des Herzogtums lagen. Sie waren alle ungefähr so alt wie er. Einige trugen die Kleidung von Weidmännern, andere sahen so aus als trugen sie, was immer sie gerade hatten finden können. Sie alle hielten Waffen in den Händen.
Royce erkannte einen der Jungen wieder, der ihn festhielt. Ein junger, großer Mann... er hieß Hendrik, oder?
„Was macht ihr hier?“ fragte Royce sie. Er blickte zu einigen derjenigen, die seinem Dorf angehört hatten. „Ich dachte...“