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Die schlechten Tage kamen unmittelbar bei der Ankunft in New York. Sie begannen wie gewöhnlich mit einer Reihe unbedeutender Ärgernisse.

Anna war müde und gereizt; sie machte sich Sorgen um ihre Tochter, die so weit entfernt leben mußte, und um die Enkelkinder, die zwar noch nicht einmal in Aussicht waren, deren Schicksal sie aber heute schon beklagte, da die Ärmsten in »eine Familie von Pferdenarren am Ende der Welt« hineingeboren würden. Sie kreisten eine geschlagene Stunde über dem Kennedy-Flughafen, weil es durch verspätete Maschinen zu Stauungen im Landeplan gekommen war. Ein übereifriger Zollbeamter bestand darauf, jeden einzelnen von Annas Koffern zu öffnen, und hielt sie weitere zwanzig Minuten auf, während er umständlich eine Gebühr von dreißig Dollar errechnete. Als sie den Zoll endlich hinter sich hatten, mußten sie kochend vor Wut eine weitere halbe Stunde warten, weil die Spada-Limousine auf der Autobahn eine Panne gehabt hatte. Zu Hause fanden sie den Diener Carlos mit Grippe im Bett, und seine Frau war in Panik geraten, weil das Hausmädchen sich beim Einkaufen verspätet hatte.

Spada rang verzweifelt die Hände und überließ Anna der häuslichen Krise, während er unter die Dusche ging und sich dann in die vergleichsweise friedliche Atmosphäre seines Arbeitszimmers zurückzog. Aber er konnte die Ruhe nicht lange genießen. Kurz vor halb sechs kam ein Anruf von Kitty Cowan. Ihre Begrüßung war eine Spur zu fröhlich für den Anlaß: »Herzlich willkommen daheim, Chef! Und wie geht’s dem letzten Tycoon?«

»Mäßig bis saumäßig.«

»Das mit der Panne am Flughafen war Pech.«

»Das war ja nicht das einzige! Heute bin ich wahrhaftig von Gott verlassen. Was macht der Laden?«

»Nun ja. . .« Er spürte, wie sie sich auf die Explosion gefaßt machte.

»Wie hätten Sie’s denn gern, Mr. Spada, Sir? Pur oder on the rocks

»Lieber pur, Schätzchen.«

»Maury Feldman ist hier. Am besten berichtet er dir alles. Ich werde hinterher die Scherben aufkehren.«

Sie hatten immer miteinander gescherzt, diese drei. Kitty Cowan, der langbeinige Rotschopf, hatte die allerersten Rechnungen für die erste Spada-Firma getippt, und nun führte sie das Regiment hoch oben im Glasturm am Central Park West. Maury Feldman, der koboldhafte, weltgewandte Anwalt, der meisterhaft Klavier spielte und Bilder des Cinquecento sammelte, war aus einem Büro von Schuhkartongröße in der Mott Street zu einer der größten Körperschaftspraxen in Manhattan emporgeklettert. Mit einem tiefen Seufzer kam Maury an den Apparat. »Die Bezahlung ist gut, aber die Arbeitszeit ist schrecklich – und die Neuigkeiten sind noch schlimmer.«

»Die Ouvertüre habe ich bereits gehört, Maury. Sing mir jetzt bitte die Oper selbst.«

»Ich hoffe, du sitzt«, sagte Feldman munter. »Erinnerst du dich an den Reaktor, den wir für die Central and Western gebaut haben?«

»Natürlich.«

»Im Mantel von Atommeiler zwei ist ein Riß entstanden. Er könnte sich zu einer ernsten Gefahr entwickeln. Wir haben sofort Peters und Dubrowski aus Detroit hinuntergeschickt; sie sollen mit dem Team dort zusammenarbeiten und uns ihren Bericht senden. Kitty hat um Kopien der Spezifikationen und des Abnehmerzertifikates gebeten. Die günstigsten Prognosen lauten: geringfügiger Schaden, örtliche Proteste und schlechte Publicity. Die schlimmsten: ernsthafter Schaden, ernsthaftes Risiko und ein saftiges Verfahren wegen Fahrlässigkeit.«

»Was meinst du, soll ich runterfahren?«

»Auf gar keinen Fall!« antwortete Maury Feldman energisch. »Du hältst dich raus. Vertragspartner ist Spada Nucleonics. Soll deren Management die Suppe auslöffeln. Die Muttergesellschaft bleibt im Hintergrund. Das wäre der erste Punkt. . .«

»Großer Gott! Sag ja nicht, daß noch mehr kommt!«

»Es kommt noch mehr. Waxman von der Bank in San Diego hat angerufen. Sie haben einen Fehlbetrag von einer halben Million in ihren Büchern.«

»Eine hübsche runde Summe. Wo ist das Geld geblieben?«

»Der zweite Buchhalter hat mit dem Computer gespielt – und das auch noch in Las Vegas. Im Moment weint er sich in Waxmans Büro die Augen aus. Was willst du unternehmen?«

»Zeig ihn an«, erwiderte Spada kurz.

»Waxman sagt, er hat eine kranke Frau und ein behindertes Kind.«

»Wo bleiben die Geigen und die Gnadenpredigt? Wie groß ist die Chance, das Geld wiederzubekommen?«

»Null. Unmöglich.«

»Wenn wir alles durchgesprochen haben, dann besorg mir eine Verbindung mit Waxman. Ich muß mich erst ein bißchen abreagieren. Ist das jetzt alles?«

»Ein paar kleinere Leckerbissen habe ich noch. Du hast mir erzählt, du hättest den Streik in der Oxford-Fabrik in England beigelegt.«

»Ja. Als ich abreiste, wurden gerade die Vereinbarungen fixiert.«

»Und jetzt sind sie wieder auf dem Nullpunkt. Die Regierung behauptet, die Vereinbarungen verstoßen gegen die Richtlinien für Lohnabkommen.«

»Wir sind im Unrecht, wenn wir’s tun, und wir sind im Unrecht, wenn wir’s nicht tun!« fuhr Spada auf. »Und inzwischen lassen sie uns weißbluten.«

»Eimerweise zapfen sie uns das Blut ab, mein Freund. Kannst du noch ’was verkraften?«

»Ich komme mir vor wie Prometheus, an dessen Leber die Aasgeier fressen.«

»Während deiner Abwesenheit ist Carl Channing gestorben.«

»Das habe ich gehört. Wir haben ein Beileidstelegramm geschickt.«

»Was du aber nicht gehört hast, das ist der Inhalt seines Testaments. Seine Frau bekommt die Hälfte des Nachlasses. Die andere Hälfte – und zu der gehören die Spada-Aktien – kommt in einen Treuhandfonds für Sohn und Tochter.«

»Und?«

»Die Treuhänder sind Hoffman & Liebowitz.«

»Allmächtiger! Und ich hielt Channing für meinen Freund!«

»Du wolltest es nicht einsehen, mein Lieber«, entgegnete Feldman ruhig. »Aber Carl Channing war ein überaus neidischer Mensch. Er war immer eifersüchtig auf dich.«

»Das bedeutet, daß Hoffman & Liebowitz das Stimmrecht über die Aktien ausüben dürfen.«

»Sie werden es ausüben, Johnny-boy! Und liebevoll zugetan sind sie dir auch nicht, weil du Max Liebowitz einmal einen kurzsichtigen Fanatiker genannt hast. Damit fehlen dir von jetzt an zwei Prozent an der Mehrheit, und am Horizont zieht drohend ein erbitterter Kampf der Stimmberechtigten herauf.«

Spada blieb die Antwort schuldig.

»Bist du noch da, John?« fragte Feldman.

»Ich denke nach. Wieviel Zeit haben wir noch bis zur Aktionärsversammlung?«

»Drei Monate. Das ist nicht viel.«

»Ich weiß. Setzen wir uns morgen zusammen und legen die Strategie fest. Aber zunächst werden wir mal den Kauf jeder einzelnen Aktie veranlassen, die auf den Markt kommt.«

»Damit werden die rechnen. Und den Preis in die Höhe treiben.«

»Dann werden wir sehen, wie gut ihre Nerven sind. Und jetzt erzähl mir mal was Gutes!«

»Wir können Anteile der Raymond Serum Laboratories kaufen.«

»Wieviel davon?«

»Siebzig Prozent – und das schließt die europäischen Tochtergesellschaften ein.«

»Was müssen wir dafür ausspucken?«

»Fünfzehn Dollar pro Aktie.«

»Bedingungen?«

»Der Alte will sich zur Ruhe setzen. Der Sohn bekommt einen Fünfjahresvertrag als Leiter der Forschungsabteilung.«

»Das ist zu billig. Wo ist der Haken?«

»Sie haben ihre Kredite fast ausgeschöpft. Der Alte ist müde. Er hat einen Herzanfall hinter sich. Er will nur noch angeln.«

»Und der Sohn?«

»Ist Biologe, weiter nichts. Er haßt Geschäfte. Er möchte mit einem beruhigenden, persönlichen Investment im Rücken weiterforschen.«

»Ein kluger Mann«, meinte John Spada düster. »Er wird vermutlich mit neunzig als glücklicher Mann mit dem Nobelpreis in der Tasche sterben. Okay, Maury, wir kaufen. Leite bitte alles in die Wege. Wir sehen uns dann morgen um zehn.«

»Sagen wir lieber halb elf«, entgegnete Maury Feldman munter. »Ich muß mir vorher noch ein Bild ansehen. Der Mann schwört, daß es sich um einen Andrea del Sarto handelt. Ich fürchte zwar, es ist nur Schund, aber wer weiß, vielleicht habe ich Glück.«

»Wie kannst du dir nur diesen Luxus leisten?«

»Ich habe ein paar sehr großzügige Klienten. Dieses Bild werde ich aus dem Raymond-Abschluß finanzieren.«

»Du Schuft!. . . Gib mir noch mal Kitty. Ich muß ihr ein paar Memos diktieren.«

»Ich wollte sie gerade zum Essen ausführen.«

»Sie ist meine Angestellte. Such dir deine eigenen Frauen!«

»Ich liebe dich auch, Johnny-boy. Schlaf dich schön aus.«

Kitty Cowan kam wieder an den Apparat. Diesmal war sie bedrückt und beunruhigt.

»Laß mich die Sache mit San Diego machen, John.«

»Was schlägst du vor?«

»Zeig ihn nicht an, wenigstens jetzt noch nicht. Waxman hat sein Geständnis. Laß ihn ein Dokument unterschreiben: eine freiwillige Bitte um psychiatrische Beobachtung in einer anerkannten Nervenklinik. Außerdem würde ich Waxman anweisen, der Frau und dem Kind weiterhin Unterstützung zu zahlen, bis wir genau wissen, was los ist.«

»Das hab ich gern!« Spada unterdrückte ein Lachen. »Wir werden um eine halbe Million betrogen und reagieren darauf mit kostenloser psychiatrischer Behandlung und Unterstützung für die Familie des Bösewichts!«

»Das Geld kriegen wir doch nicht zurück, warum also nicht ein bißchen kostenlose Reklame für die Menschlichkeit des Spada-Konzerns?«

»Und ich dachte schon, du gießt die Milch der frommen Denkungsart über die Ärmsten aus!«

»Das tue ich, aber du stellst Milch und Krug zur Verfügung. Ich dachte, ich müßte die bittere Pille ein bißchen versüßen. Was meinst du, Chef?«

»Tu, was du nicht lassen kannst. Und jetzt notier bitte: Gib Kaufaufträge für alle Spada-Aktien raus, die auf den freien Markt kommen, besorg mir eingehende persönliche und finanzielle Informationen über Max Liebowitz, seine Geschäftspartner und seine engere Familie. . . An Professor Hugo von Kalbach schickst du eine offizielle Einladung; er soll nächsten Monat bei unserer Management-Konferenz in New York als Hauptredner auftreten. Ruf ihn drüben in München an und besprich die Einzelheiten der Reise mit ihm. Biete ihm fünfzehntausend Dollar Honorar. Frag ihn, wie und wo er das Geld in Empfang nehmen möchte. Und schließlich brauche ich morgen früh als erstes eine vollständige Liste der Spada-Aktionäre.«

»Außerdem werde ich dir den Hope-Diamanten und eine Kiste voll Mondgestein besorgen. Beruhige dich, Chef!. . . Ich bin’s, Kitty, hast du das vergessen? Für Unmögliches brauche ich ein bis zwei Stunden länger, aber wir werden’s schon schaffen. Sonst noch was?«

»Ja. Frag Maury, wo wir Henson und den Scarecrow Man finden.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen; dann fragte Kitty leise:

»Gehst du auf Jagd?«

»Könnte sein. Mach dir einen schönen Abend.«

»Und du ruh dich aus. Und grüße Anna von mir.«

»Ciao, Caterina.«

»Shalom, John. Schlaf gut.«

»Alle wollen, daß ich schlafe«, murmelte John Spada verstimmt vor sich hin. »Darum streuen sie Dornen in mein Bett und Juckpulver in meinen Schlafanzug.«

Später, Anna war längst eingeschlafen, richtete er sich auf: hellwach vor Anspannung versuchte er, die neue Gefahr auszuloten, die ihn bedrohte. Eine große, internationale Firma war eine Art Imperium, dessen Stabilität von allen möglichen Verträgen und Bündnissen abhing, einige schriftlich niedergelegt, viele andere nicht ratifiziert, alle jedoch auf gegenseitiges Vertrauen, gemeinsame Interessen, eine labile Ausgewogenheit von Situationen und Persönlichkeiten gegründet. Jede einzelne Expansion, jedes neue spekulative Unternehmen bedeutete die Hinzunahme neuer Geldmittel, neuer Interessen, eine zusätzliche Belastung der ursprünglichen Verbündeten. Freunde starben. Familienrivalitäten wirkten sich aus. Parteien verloren die Gunst der Wähler. Rivalen erstarkten. Alte Feindseligkeiten, lange begraben, flammten wieder auf wie ein Feuer im Sägemehlhaufen. Aktionäre, immer auf größeren Profit bedacht, wurden ungeduldig und fielen auf Schwindler mit leeren Versprechungen herein.

John Spada kannte jeden Schachzug in diesem Spiel – oder zumindest glaubte er das. Mit Hilfe von Verwandten und Freunden auf dem Kontinent hatte er sich fünfundzwanzig Jahre im Sattel gehalten, die Zügel der Macht nie aus den Händen gegeben. Und jetzt drohte ihm plötzlich Gefahr, weil ein Mann, der es im Leben niemals gewagt hätte, sich gegen ihn zu stellen, ihn aus dem Grab heraus verhöhnte.

Als Carl Channings Bank damals in Schwierigkeiten geriet, hatte ihn John Spadas Geld vor der Verhaftung und seine Aktien vor dem Bankrott bewahrt. Die Transaktion hatte den praktisch ruinierten Channing über Nacht zum reichen Mann gemacht. Aber offenbar gewann man einen Menschen nicht dadurch zum Freund, daß man ihm zum Reichtum verhalf. Es war nicht Spadas Hilfe, an die Channing sich erinnerte, sondern die Demütigung, seinen altehrwürdigen Namen mit dem eines italienischen Emporkömmlings aus Rom verbinden zu müssen. Also hatte er sich mit Max Liebowitz zusammengetan, der die Spada Consolidated in den Tagen ihrer Gründung als ein windiges und womöglich von der Mafia finanziertes Unternehmen abgetan hatte, und der sich seitdem am liebsten geohrfeigt hätte.

Und doch war Spada der Sinn der Sache nicht klar. Denn selbst wenn Liebowitz den Abstimmungskampf gewinnen sollte, müßte er immer noch ein der jetzigen Firmenleitung überlegenes Management präsentieren, und bisher war kein passender Kandidat in Sicht. Der richtige Mann müßte Diplomat, Finanzier, Politiker und Verwaltungstalent in einer Person sein – und überdies noch eine Spur vom Abenteurer mitbringen. Spada, der selbst keinen Sohn hatte, war ständig auf der Suche nach solchen Talenten und wußte, wie dünn sie gesät waren.

So schien es also, als hätte er noch eine kleine Atempause, ehe zur großen Schlacht geblasen wurde. Aber er mußte jeden Moment dieser Pause ausnutzen, jeden Verbündeten testen und aufmerksam Ausschau halten nach dem geringsten Zeichen von Verrat in den Reihen seiner Gefolgsleute. Und auch aus anderen Gründen mußte er vorsichtig sein. Denn er führte ein Doppelleben: nach außen hin als Präsident des Spada-Konzerns, im verborgenen als Proteus, Kopf einer geheimen Organisation, die in das dunkle, gefährliche Spiel der Untergrundpolitik verstrickt war. Der kleinste Hinweis auf seine heimlichen Aktivitäten würde ihn in den Augen seiner Aktionäre, die in ihm den Treuhänder ihrer finanziellen Interessen sahen und von denen er keinerlei Mandat für einen privaten Kreuzzug hatte, völlig unmöglich machen. Sie würden es begrüßen, wenn er eine Stiftung förderte, ein Ballett finanzierte, der Krebsforschung half; daß er sich aber mit moralischen Fragen, mit politischem Aktivismus beschäftigte – unvorstellbar!

Doch er, John Spada, mußte ständig daran denken. Was machst du, wenn dein Mann in Frankfurt anruft und sagt: »Die Polizei hat mir mitgeteilt, daß ich auf einer Baader-Meinhof-Liste stehe. Ich brauche Leibwachen für meine Kinder auf dem Schulweg, Alarmanlagen in meinem Haus, einen kugelsicheren Wagen für die Fahrt in die Fabrik.« Was antwortest du dem SAVAK-Mann, wenn er erklärt: »In Teheran arbeiten hundert von Ihren Technikern, und einige von ihnen reden zu offen über die Art, wie der Schah sein Land regiert. Übrigens verlangen wir, daß Sie an Barahenis Stelle einen anderen Manager einstellen, denn wir werden ihn demnächst zu einem Gespräch abholen.« Wie reagierst du, wenn dein Mann in Chile den Befehl erhält, politische Biographien über sein Personal zu verfassen und die DINA über jegliche Gewerkschaftsaktivität in der Fabrik zu unterrichten? Wie beantwortest du die verschleierte Bitte um Beiträge für die Polizeikasse in Rio, wenn du genau weißt, daß die Todesschwadronen unterwegs sind und vermeintliche Dissidenten niederschießen? Was wirst du tun, wenn die Polizei das Haus deiner Tochter in Buenos Aires durchsucht, weil ihr Mann einen Leitartikel geschrieben hat, den die Regierung nicht hinnehmen kann?

John Spada war kein Genie, aber er sprach sechs Sprachen, und er war noch immer tief in der Kultur seiner südeuropäischen Heimat verwurzelt. Wie würde Max Liebowitz reagieren? Max war ein großartiger Spendensammler, ein wirkungsvoller Lobbyist für Israel, ein wortgewaltiger Ankläger der jüdischen Massenmorde. Auch im Herzen dachte er immer noch in den überkommenen Kategorien. Was würde Max tun, wenn man ihm einen toten Bantu auf die Türschwelle seiner Firma in Kapstadt legte, mit der Behauptung, er sei betrunken in seiner Zelle umgekippt? Vielleicht würde er sich sehr gut aus der Affäre ziehen. Vielleicht würde er alles einfach ignorieren, würde nach dem Prinzip handeln, man müsse dem sicheren Mittelweg folgen und sich den Teufel um die Barbaren scheren, die einander rechts und links davon in der Wildnis umbrachten. Vielleicht, vielleicht. Aber ganz gleich, wie sorgfältig man ihn abschätzte, Max Liebowitz blieb eine verdammt große Gefahr.

Auf einmal war Spada todmüde. Er schaltete das Licht im Arbeitszimmer aus, machte eine letzte Runde durch die Wohnung, kontrollierte die Alarmanlage und schlüpfte leise wieder ins Bett. Er streckte die Hand nach Anna aus. Verschlafen murmelte sie etwas Liebevolles und schmiegte sich an ihn. Behutsam legte er den Arm um sie und hielt sie fest, bis sie wieder eingeschlafen war. Dann verschränkte er die Hände unter dem Kopf und starrte lange in die Dunkelheit.

Die Geschäftsleitung der Spada Consolidated Holdings hatte ihren Sitz in einem Hochhaus am Central Park West. Im Vorhof prangte das Wahrzeichen des Konzerns: ein überdimensionales Kreuzfahrerschwert, in einen Block aus roh behauenem Granit gerammt. Es lag eine Arroganz in diesem Symbol, die John Spada jetzt, da er älter war, bedauerte. Es war eine Glorifizierung persönlicher Kraft, korporativer Macht und jener militärischen Präzision, mit der er eine Vielfalt von Unternehmen rings um den Globus leitete: in Australien, in Taiwan, auf den Philippinen, in Indien, Japan, Großbritannien, Südafrika, Südamerika und Europa.

»Wo immer man hinschaut«, sagten die Eingeweihten, »Spada ist da, in jeder nur denkbaren Form: Waffen, Elektronik, Immobilien, Hotels, Öl, Metalle, Erze und Banken. Das Ganze ist ein verdammter Koloß, den er allein beherrscht. Wenn er an einem Regentag niest, kann er damit Tausende arbeitslos machen und einen Sturm auf die Börse auslösen. Als er anfing, hielt man ihn für einen leichtfertigen Abenteurer, den der erste kalte Wind davonblasen würde. Aber nein! Er erwies sich als genauso solide wie dieser Steinbrocken da vor seinem Gebäude. Er führt seinen Konzern wie eine Armee und ist ein besserer Staatsmann als die Hälfte der Burschen, die mit ihrem Hintern die Sitze im Senat wärmen. . .« Im obersten Stockwerk des Wolkenkratzers gab es einen Konferenzsaal, der aussah wie ein militärisches Hauptquartier. Er war mit einem riesigen elektronischen Bildschirm ausgerüstet, auf dem man jederzeit den Stand jedes einzelnen Spada-Unternehmens abrufen konnte: die Bewegungen von Schüttgut, die Menge der Erzladungen an jedem x-beliebigen Verladebahnhof, den Stand der Termingeschäfte, des Bargeldflusses, der Warenbestände und des Devisenhandels in einem Dutzend Hauptstädten der Welt.

»Wir müssen alles wissen!« Spadas Grundsatz war so unverrückbar wie die Gesetze der alten Perser. »Ob gute oder schlechte Nachrichten, wir brauchen alles. Kommen Sie mir nie mit Überraschungen. Wenn wir Risiken auf uns nehmen, dann nur auf Grund genau bekannter Chancen. Ich wünsche täglich auf den neuesten Stand gebrachte Buchhaltung und keine Geschichte der Vergangenheit. Wenn Sie einmal einen Fehler machen, werde ich Ihnen verzeihen. Machen Sie denselben Fehler zum zweitenmal, dann lasse ich mir Ihren Kopf auf einem Tablett servieren.« Das war keine leere Drohung, und seine Angestellten wußten das. Der große Mann bezahlte gut für Service und Diskretion; der große Mann sorgte für die Seinen; aber seine Zornesausbrüche kamen schnell und eiskalt, und zum Beweis dafür bleichten schon einige Knochen im Unterholz.

Trotz seiner strengen Herrschaft war Spada jedoch ein überlegter und überlegener Stratege. Seinem engeren Stab gegenüber gab er sich aufmerksam und liebenswürdig. Niemals vergaß er einen Geburtstag. Zu hohen Festtagen und Familienfeiern gab es stets ein persönliches Geschenk. Seine Anweisungen waren klar. In der Diskussion war er offen und vernünftig. Sobald eine Entscheidung gefällt war, übernahm er selbst die volle Verantwortung für die Konsequenzen.

Bei seinen engeren Mitarbeitern hatte er aus anderen Gründen einen guten Ruf: Er galt als geistreicher Gesellschafter, großzügiger Gastgeber, guter Freund in schlechten Zeiten. Sein Händedruck war so gut wie ein Vertrag; aber wer ihm als Widersacher begegnete, der tat, bei Gott, gut daran, früh aufzustehen und das Kleingedruckte vorwärts und rückwärts zu lernen. Seine Geschäftsfreunde wurden verschwenderisch bewirtet, doch niemandem war es je gelungen, ihm einen persönlichen oder finanziellen Skandal anzuhängen.

Und was seine Familie betraf, so gab es da eine eiserne Regel: John Spadas Privatleben war tabu. Zutritt gab es nur auf Einladung: Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an.

Im Geschäftsleben waren nur zwei Personen in all seine Geheimnisse eingeweiht. Der eine war Maury Feldman, die andere Kitty Cowan, freimütig, fürsorglich wie eine Glucke, loyal wie die Light Brigade. Hatte er die beiden um sich, dann konnte er aufatmen und sich entspannen, konnte fluchen und fröhlich streiten, und danach ging er erfrischt in die nächste Schlacht. An diesem Vormittag jedoch lag ein Gefühl von Druck und Unbehagen über der Runde. Kitty Cowan begann mit einem Bericht der Börsenmakler.

»Sie sagen alle, daß nur sehr wenig Spada-Aktien angeboten werden. Die meisten Besitzer warten auf die halbjährliche Dividende und die Wertsteigerung der Papiere.«

Spada krauste unglücklich die Stirn und wandte sich an Maury Feldman, der auf seinem Notizblock eine erotische Miniatur von Leda mit dem Schwan entwarf.

»Was hat Liebowitz zu bieten? Wir stehen hoch im Kurs. Mitten in der Rezession geht es uns besser als den meisten Konzernen auf der Anzeigetafel. Wie kann Liebowitz einen Wechsel des Managements rechtfertigen? Wer ist sein Kandidat?«

»Das sagt er nicht. Ich tippe auf Conan Eisler, denn der hat sich bei Allman Electronics gut bewährt, und Max hält ihn für ein Finanzgenie.«

»Quatsch!« erwiderte Spada trocken. »Ich habe ihn vor Monaten schon überprüfen lassen. Er ist schlicht und einfach ein Systemfanatiker. Selbst seine Bettlaken bestehen aus Millimeterpapier. Politisch ist er naiv wie ein Neugeborenes.«

»Wir wissen das, John«, sagte Kitty Cowan grinsend. »Die Aktionäre sind es, die du überzeugen mußt.«

Spada reagierte immer noch kurz angebunden und gereizt. »Sprechen wir also von der Überredungskunst. Wir können nichts machen, ehe Max Liebowitz nicht seine Karten auf den Tisch legt.«

»Ich bin anderer Meinung.« Feldman betonte Ledas Anatomie durch ein paar phantasievolle Striche. »Warum warten, bis der Sittenstrolch seine Hosen runterläßt? Ich sage, fangen wir sofort an, die Stimmberechtigten zu bearbeiten. Kitty hat die Liste da. Ich habe alle angekreuzt, die unsichere Kantonisten sind und daher ständig persönlich umworben werden müssen. . . Übrigens, nur zu deiner Information: Die meisten repräsentieren jüdisches Kapital.«

»Dann haben wir es jetzt mit Rassenkampf zu tun?«

»Nein, aber wir verkaufen eine Menge Zeug an die Saudis und an Kuwait; und Max Liebowitz ist ein eifriger Zionist. Wobei mir einfällt: Ich bin nicht sicher, ob es klug ist, von Kalbach auf der Management-Konferenz sprechen zu lassen.«

»Warum denn nicht?« Spada war verärgert. »Er ist ein bedeutender Geisteswissenschaftler und ein beeindruckender Redner. Die Presse wird ihm viel Aufmerksamkeit schenken.«

»Und wir könnten dadurch als Heuchler dastehen«, erwiderte Maury Feldman. »Von Kalbach spricht äußerst geschickt und logisch über Repression und Gewalttätigkeit, während wir Waffensysteme in den Iran verschiffen und man dich beim Skilaufen mit dem Schah in Sankt Moritz fotografiert.«

»Mann Gottes, Maury! Du kennst doch wohl die Gründe dafür!«

»Ich kenne sie, aber die Öffentlichkeit kennt sie nicht.«

»Was soll ich denn tun – das ganze Proteus-Netz hochgehen lassen, um zu beweisen, daß ich ein Menschenfreund bin?«

»Maury hat recht, John«, sagte Kitty offen. »Der Präsident propagiert die Menschenrechte. Spada Consolidated profitiert reichlich vom Handel mit Diktaturen. In dieser Stadt und zu diesem Zeitpunkt ist das schädlich für dich.«

»Es wäre noch viel schädlicher, wenn ich mich einer Partisanengruppe anschlösse.«

»Gewiß, aber. . .«

Spada unterbrach sie mit einer Geste.

»Sprechen wir doch mal kurz von Proteus. Von Kalbach will, daß wir ihm helfen, Lermontov aus dem Irrenhaus in Moskau zu befreien. Ich habe mich dieser Aufgabe verpflichtet. Irgendwelche Vorschläge?«

»Du weißt«, entgegnete Maury Feldman, »daß bei der Weltkonferenz für geistige Gesundheit nächsten Monat ein offizieller Protest erhoben werden soll. Die Russen sind beunruhigt. Sie haben ihre Delegierten angewiesen, den Saal zu verlassen, wenn der Protest eingebracht wird.«

»Aber Lermontov wollen sie nicht freilassen?«

»Nein. Der KGB sträubt sich mit Händen und Füßen. Keine Einmischung in die innere Sicherheit.«

»Und wie sind die Chancen für ein privates Abkommen?«

»Denkst du da an etwas Bestimmtes?« Maury Feldman blickte von seinem Gekritzel auf.

»Ich dachte, ich rede mal mit Anatoly Kolchak in Washington. Er ist ein erstklassiger Diplomat und steht hoch in der Gunst des Politbüros.«

»Aber selbst Kolchak kann den KGB nicht umstimmen.«

»Nein, aber er kann die Sachlage unterbreiten. Die sowjetische Handelsmission verhandelt seit Monaten mit uns über die Herstellungsrechte für den Spada Body Scanner, unsere neueste Erfindung zur Ganzkörperabtastung. Bisher haben wir sie hingehalten, weil wir hoffen, die Lizenzgebühren noch um ein Prozent hochtreiben zu können. Angenommen, wir akzeptieren ihr Angebot, und ich schenke ihnen außerdem ein Gerät für das Allgemeine Krankenhaus in Moskau – unter der Bedingung, daß sie Lermontov entlassen und er ein Ausreisevisum bekommt?«

»Dann« – Maury Feldman gab seine berühmte Earl-Warren-Parodie zum besten – »dann watest du bis zu den Knöcheln im Schlamm. Du betreibst mit Aktionärsgeldern Menschenhandel.«

»Nicht, wenn ich das Geschenk aus meiner Tasche bezahle.«

»Dann fragt irgendein besonders Schlauer, ob der Lizenzvertrag denn auch der beste ist, der auf dem freien Markt abgeschlossen werden konnte. Mit anderen Worten: Wieviel Preisnachlaß für einen kaputten jüdischen Intellektuellen?«

Spada grinste und erkundigte sich freundlich:

»Wer soll davon erfahren, außer uns dreien?«

»Anatoly Kolchak – und die Burschen vom Politbüro und dem KGB.«

»Aber die können nichts verraten – wenn sie nicht zugeben wollen, daß sie mit Lösegeld arbeiten.«

»Außerdem ist da noch Liebowitz, der sicher schon jetzt jedes verdammte Dokument unter die Lupe nimmt, das er in die Finger kriegen kann.«

»Was kann der sagen? Daß wir ein weiteres Prozent hätten herausschlagen und Lermontov sterben lassen sollen? Nein, Maury, es ist deine Aufgabe, die Risiken aufzuzeigen. Meine ist es, sie zu akzeptieren oder zurückzuweisen. Ich rede mit Kolchak.«

»Ich finde es großartig«, rief Kitty.

»Für mich«, sagte Maury, »ist es wie mit Leda und dem Schwan: eine anatomische Unmöglichkeit, aber der Versuch könnte amüsant sein.« Kitty Cowan befragte ihr Notizbuch und brachte das nächste Thema aufs Tapet.

»Du hast nach Henson und dem Scarecrow Man gefragt. Henson ist in Rom; er arbeitet für Risk Consultants Limited an einem Entführungsfall. Der Scarecrow Man ist in Teheran, poliert sein Persisch auf und behält Azudi im Auge. Doch wenn du ihn brauchst, wird er kommen.«

»Hol ihn nach New York«, entschied Spada. »Sag ihm, ich brauche ihn vierundzwanzig Stunden zur Einweisung. Dann soll er nach Buenos Aires fliegen. Und Henson soll keinen weiteren Auftrag annehmen, bis er von mir gehört hat.«

Maury Feldman begann eine neue Zeichnung; diesmal wurde es ein liebestoller Satyr, der eine übergewichtige Waldnymphe verfolgte. Er fragte leise: »Heißt das, daß du dir um Teresa und ihren Mann Sorgen machst?«

»Ja.«

»Warum besorgst du Rodolfo nicht einen Job bei Spada Consolidated und holst ihn raus aus dem Land?«

»Weil er ihn nicht annehmen würde. Er ist ein altmodischer Patriot. Er behauptet, seine Aufgabe als Chefredakteur sei es, in schweren Zeiten Zeugnis abzulegen.«

»Gut für ihn«, sagte Kitty Cowan zustimmend.

»Schlecht für beide.« Spadas Ton war bedrückt. »Wenn dieser verdammte General das Beil fallen läßt.«

»Schlecht für alle«, ergänzte Maury Feldman, »wenn das mitten in einem Abstimmungskampf geschieht. Du hast bedeutende Investitionen da unten und eine Menge potentieller Geiseln.«

»Deswegen möchte ich, daß der Scarecrow Man die Lage im Auge behält.«

»Und Henson?«

»Sein Spanisch ist schwach, aber er ist der beste Guerilla-Taktiker, den ich kenne. Wenn’s hart auf hart geht, schicke ich ihn dem Scarecrow Man zu Hilfe.«

Maury Feldman sah stirnrunzelnd auf seine Uhr.

»Proteus-Zeit kriegst du umsonst. Alles andere kostet Geld. Also, können wir wieder auf Spada-Geschäfte zurückkommen?«

Spada warf den Kopf in den Nacken und lachte laut.

»Ich kenne dich, Maury. Du hast das Bild gesehen. Du bist fast überzeugt, daß es ein Andrea del Sarto ist, und kannst es nicht abwarten, eine zweite Meinung einzuholen.«

»Falsch!« Feldman schenkte ihm ein ironisches Lächeln. »Der Sarto ist gefälscht, aber der Verkäufer braucht dringend Geld und ist bereit, mir ein Brustkreuz zu verkaufen, von dem ich schwören könnte, daß ich es auf einem Farnese-Porträt gesehen habe. Ich bin zu Mittag mit ihm verabredet.«

»Diese Reaktorkrise. . .«, begann Kitty Cowan. »Dubrowski sagt, sie können den Riß im Schutzmantel verschließen und außerdem noch extra verkleiden. Aber der Meiler muß stillgelegt werden.«

»Für wie lange?«

»Ist noch nicht abzusehen.«

»Unkosten?«

»Es wird teuer; mehr sagt er nicht.«

»Risiken?«

»Nicht zu groß, vorausgesetzt, man beginnt sofort mit der Stillegung, und das ist bereits in die Wege geleitet. Er empfiehlt, Diskussionen über Unkosten und Verantwortlichkeit hinauszuzögern, bis er uns einen ausführlichen Bericht vorlegen kann. Außerdem würde er eine zugkräftige Public-Relations-Kampagne in Zusammenarbeit mit dem Kunden begrüßen.«

»Sag ihm, die kriegt er. Sobald wir hier fertig sind, werde ich mit Fitch reden.«

»Ich sage noch einmal« – Maury Feldman verschönerte die Geschlechtsmerkmale des Fauns und verstärkte den Ausdruck des Schreckens auf dem Gesicht der Waldnymphe – »haltet die Muttergesellschaft da raus. Überlaßt alles der Spada Nucleonics. Bis die Krise vorüber ist, wird der Kunde süß wie Honig sein, dann wird er unfehlbar sauer reagieren. So geht es immer. Und nun, was diesen Kaufvertrag mit den Raymond Serum Laboratories angeht. . .«

So ging es weiter: Die private Besprechung oben im Glasturm bildete das Vorspiel für Spadas Sitzungen mit seinen Abteilungsleitern, für die tägliche Liste internationaler Telefonate, für die Konferenz um sechs in der Zentrale, bei der die Weltlage diskutiert wurde. Es war ein langer, anstrengender Tag, ein Exerzitium in Absolutismus, das einst so belebend auf ihn gewirkt hatte wie ein Tennismatch, das ihn aber jetzt plötzlich mit Ärger und Unbehagen erfüllte.

Die Bedrohung seiner persönlichen Autorität war nur ein Randproblem im Vergleich zu den anderen Gefahren, die er überall auf der Welt entstehen sah: die Militärdiktaturen in Südamerika, der blutige Aufruhr auf dem afrikanischen Kontinent, die Aufrüstung im Iran, der unkontrollierte Energieverbrauch in den Vereinigten Staaten, der Neid der Handelsnationen, die auf einem immer kleiner werdenden Globus um Märkte kämpften, die Desillusionierung Europas hinsichtlich seiner Politiker und Gelehrten, die schwelende Feindschaft zwischen Chinesen und Russen. Die Satelliten, zu deren Bau seine Konzerne beigetragen hatten, überwachten eine Erdkugel, die außer Kontrolle geriet und auf eine Zone kosmischer Katastrophen zusteuerte. Das Vertrauen der Menschen in ihre Gesellschaft war so weit zerstört, daß der Zeitpunkt nicht mehr fern schien, an dem viele die Brutalität der Tyrannen wie einen notwendigen und rettenden chirurgischen Eingriff begrüßen würden. Im Hinblick auf diesen Moment hatte er mit dem Aufbau der Proteus-Organisation begonnen, so wie Sir William Stephenson zwischen den beiden Weltkriegen als Vorbereitung auf die unvermeidliche Konfrontation mit Hitlers Drittem Reich die sogenannte British Security Co-ordination zusammengestellt hatte. Und jetzt war es soweit, daß Spada Consolidated als weitreichende und profitable Tarnung für seinen ganz persönlichen Kreuzzug diente. Wenn diese Tarnung zerstört würde und ein neues Management die Geschäftsleitung übernähme, dann entstünde für die Proteus-Organisation ein Schaden, der nicht mehr gutzumachen war. Ihr Nachrichtensystem würde zusammenbrechen. Ihr Einfluß als Vermittler zwischen verschiedenen Interessengruppen würde zunichte gemacht. In der geheimen Welt internationaler Diplomatie war es nicht nur das Geld an sich, das Gewicht hatte, sondern die Fähigkeit, es richtig zu verteilen, Ressourcen nutzbar zu machen, Arbeitsplätze zu schaffen, weitreichende Projekte zu lancieren, Interessenverbindungen zwischen Rivalen und ehemaligen Feinden herzustellen. Der Privatmann John Spada konnte reich und glücklich bis ans Ende seiner Tage leben; aber ohne die Spada Consolidated wäre er wie Samson ohne seine Haare. Dazu war er noch nicht bereit. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ihn das Testament eines Toten zum Eunuchen, zum impotenten Zuschauer des großen Machtspiels machen sollte.

Als sie an diesem Abend seinen Aktenkoffer packte, konfrontierte Kitty Cowan ihn mit einer sehr offenen Frage: »Du machst dir wirklich große Sorgen, nicht wahr?«

»Ja, Mädchen. Ich mache mir Sorgen.«

»Ich habe dich bisher noch nie danach gefragt, Chef. Aber jetzt muß ich dich fragen. Angenommen, du müßtest einen vorzeitigen Ruhestand ins Auge fassen – wärst du dazu bereit?«

»Nein.« Seine Antwort kam eindeutig und endgültig.

»Eines Tages wird es aber soweit sein. Du bist ebenso sterblich wie wir anderen.«

»Aber ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß ich nicht im Bett sterben werde.«

»Vielleicht bleibt dir keine Wahl.«

»Wenn du glaubst, ich würde zusehen, wie Liebowitz. . .«

Sie legte ihre kühle Hand an seine Wange.

»Ich spreche nicht von Liebowitz.«

»Wovon denn?«

»Von dir. Big John Spada. Wie lange wirst du dich noch so verausgaben können, wie du es jetzt tust? Was geschieht, wenn du mal krank wirst?«

»Ich bin stark wie ein Ochse, das weißt du.«

»Und zuweilen auch so dumm. Oi weh! Was soll ich bloß mit dir machen, Chef?«

»Du könntest uns was zu trinken holen.«

Während sie Gläser und Eis herausholte und den Whisky einschenkte, sagte sie über die Schulter zu ihm:

»Jetzt, wo Teresa fort ist, wirst du Anna mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmen müssen.«

»Bisher hat sie sich noch nicht beklagt.«

»Das wird sie auch in Zukunft nicht tun. Aber sie wird dich dennoch häufiger brauchen.«

Sie reichte ihm sein Glas. Sie stießen an und tranken sich schweigend zu. Spada grinste beifällig.

»Du bist in Ordnung, Kitty.«

»Ja, ich weiß. Kitty, der bequeme alte Schuh. Ich bin abgetragen, aber ich habe mich gut getragen. Doch wechsele bitte nicht das Thema. Du mußt langsam ein bißchen von deiner Arbeitslast abgeben. Wenn du Liebowitz nicht willst, solltest du lieber anfangen, dir deinen eigenen Nachfolger heranzuziehen. Ich bin nach wie vor überzeugt, daß Mike Santos dein bester Mann ist. Und Maury ist ganz meiner Meinung.«

»Und ich bin mir bei Mike noch immer nicht sicher. Er ist fähig, ehrgeizig und auf seinem Gebiet sehr tüchtig, aber. . .«

»Er ist besser als gut. Er ist der einzige, der soviel Grips hat, daß du ihn respektierst, und genug Courage, um dir bei Meinungsverschiedenheiten die Stirn zu bieten. Ich weiß zufällig, daß er diesen Monat zwei verlockende Angebote abgelehnt hat, weil er glaubt, dir persönliche Treue zu schulden.«

»Ich habe über ihn nachgedacht.«

»Zu lange«, sagte Kitty. »Es wird Zeit, daß du ihn beförderst und mit dir zusammenarbeiten läßt.«

»An Proteus auch?«

»Nein, noch nicht. Nicht alles auf einmal. Sehen wir erst mal, wie er sich macht, wenn er die Zügel hält.« Plötzlich war sie den Tränen nahe. Sie wandte sich ab, tastete nach ihrem Taschentuch und schnaubte sich geräuschvoll die Nase. »Ach, verdammt! Was kümmert mich das überhaupt? Es ist dein Leben und dein verdammtes Geschäft!«

Spada trat zu ihr und nahm ihr Gesicht in die Hände. Er küßte sie sanft und zog sie mit ungewohnter Zärtlichkeit an sich.

»Kopf hoch, Mädchen! So kenn ich meine Kitty ja gar nicht! Du gehörst doch zur Familie, das war immer so und soll auch so bleiben. Na schön, ich bin ein alter Bulle und werde eifersüchtig auf die jungen, die auf der Weide rumtoben. Okay! Wenn’s dich glücklich macht, versuch ich’s mal mit Mike Santos. Und nun wisch dir die Tränen ab und schenk uns noch mal ein.«

»Geh nach Hause!« klang es halb erstickt von seiner Schulter. »Geh heim zu Anna, sonst vergesse ich noch, wohin ich gehöre!«

Am selben Abend berichtete er Anna nach dem Essen von seinem Entschluß. Erstaunt sah er, wie leidenschaftlich sie reagierte. Sie schlang die Arme um seinen Nacken, küßte ihn und sagte eifrig und überzeugend: »Ich bin ja so froh – so froh, Liebling! Das ist das Beste, was du tun konntest!«

»He, Moment! Warte mal!« Er hielt sie wie eine Puppe auf Armeslänge von sich ab. »Warum diese Aufregung? Zuerst Kitty, und jetzt du. Ich ziehe mir also einen Nachfolger heran. Was ist schon dabei?«

»Ich liebe dich«, erwiderte Anna schlicht. »Und ich mache mir seit langem schon Sorgen.«

»Weswegen?«

»In dieser Phase deines Lebens solltest du einen Sohn an deiner Seite haben. Ich habe dir leider nie einen schenken können. Und darunter habe ich immer gelitten.«

»Anna mia!« Sofort war er zärtlich und besorgt. »Du brauchst doch kein schlechtes Gewissen zu haben! Niemals! Du hast mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht.«

»Bitte, Liebling – bitte, hör mir zu! Ich wußte schon vor langer Zeit, daß ich einen großen Mann geheiratet hatte. Ich wußte, daß ich in seiner Welt nicht mit ihm Schritt halten konnte, und ich wollte es auch gar nicht. Deshalb schwor ich mir, ihm ein Heim zu schaffen, in das er immer gern zurückkehren würde. Ich wußte, daß ich nicht sein ganzes Leben war und niemals sein konnte; aber er war genug für mich, mehr als genug. Ich wollte ihn nicht hin und her zerren. Ich wollte, daß er immer er selbst, immer ganz frei sein konnte.«

»Glaubst du, daß ich das nicht wußte und dir dafür dankbar war?«

»Doch, du wußtest es; und du hast mir soviel Sicherheit geschenkt, wie eine Frau sich nur erträumen kann. Aber du selbst warst nicht sicher, Liebling! Nicht für einen einzigen Augenblick hattest du jemals wirklich Ruhe in dieser großen, brutalen Welt. Einmal sprach ich mit Tante Lisa darüber. Sie sagte, du hättest ›l’occhio dello spadaccino‹, den Blick des Schwertkämpfers, immer wachsam, immer auf der Hut, immer kampfbereit. Und noch etwas anderes sagte sie – typisch Tante Lisa! Sie sagte: ›Lenk ihn nicht ab, wenn der Zweikampf im Gange ist, denn für einen Schwertkämpfer kann ein einziger Fehler den Tod bedeuten. Wenn er sich entspannen will, laß es ihn auf seine Weise tun, denn die Stunden der Wache sind lang und einsam für ihn. . .‹ Das war nicht leicht für mich, denn ich war immer eifersüchtig auf deine Liebe und Aufmerksamkeit. Aber ich habe mir Mühe gegeben. Und jetzt, so Gott will, werde ich mich nicht mehr so sehr anzustrengen brauchen. Mike Santos ist ein guter Mann. Je mehr du dich auf ihn verläßt, desto stärker wirst du ihn finden.«

»Starksein genügt nicht, Anna mia. Er muß lernen, den Wind zu wittern wie ein Raubtier im Dschungel.«

»Das kannst du ihm ja beibringen.«

»Ich kann ihn lehren, die Witterung zu deuten. Ich kann ihm aber nicht die Nase geben, wenn er nicht damit geboren ist.«

»Aber inzwischen müßtest du das doch wissen.«

»Ich glaube schon, daß ich es weiß, aber auch ich kann mich zuweilen täuschen. Carl Channing zum Beispiel habe ich vertraut, dabei hat er bis zu seinem letzten Atemzug geplant, mich zu hintergehen.«

»Und jetzt mißtraust du dir selbst.«

»Das ist ja so beängstigend, Anna. Bis jetzt wußte ich immer genau, wohin ich ging, und warum. Jetzt kann ich den Fundamenten, auf die ich gebaut habe, nicht mehr trauen. Die Informationen, die ich erhalte, widersprechen sich.«

»Du bist müde, Liebling. Du hast eine wochenlange Reise hinter dir und stehst bei der Rückkehr vor einer Kette von Katastrophen. . . Komm zu Bett und warte ab, was ein bißchen Liebe ausrichten kann.«

»Anna mia, du bist die beste Frau der Welt!«

»Das muß ich auch sein«, antwortete Anna lächelnd. »Es gibt nämlich eine Menge andere, die nur darauf warten, mir Big John Spada wegzuschnappen.«

Am nächsten Morgen um neun hatte er ein Gespräch unter vier Augen mit Mike Santos, einem dunklen, jugendlich wirkenden Kalifornier, der die Leiter eines gigantischen Konzerns stetig und still emporgeklettert war, bis er kühl und geduldig eine Stufe unter der obersten Sprosse saß und auf die Einladung nach ganz oben wartete. Sie erfolgte beim Kaffee. Spada kleidete sie in ganz schlichte Worte.

»Das Büro nebenan ist frei, Mike. Möchten Sie nicht einziehen?«

»Sehr gern sogar, wenn Sie mich für geeignet halten.«

»Erzählen Sie mir, wie Sie sich selber einschätzen.«

Santos überlegte ziemlich lange; dann beantwortete er die Frage mit einer Reihe von sorgsam abgewogenen Definitionen.

»Punkt eins: Ich kenne mich gut in der Betriebsverwaltung aus, wahrscheinlich am besten von allen hier. Ich weiß, wie dieser Konzern funktioniert und kann ihn durchaus in Gang halten. Punkt zwei: Ich habe mich überall in der Welt umgeschaut. Ich kenne die einheimischen Betriebsleiter und ihre Probleme. Ich glaube, daß sie mir vertrauen. Punkt drei: Ich verstehe was von Geld. Ich habe uns gegen die schlechten Zeiten abgesichert, die wir jetzt durchmachen. Punkt vier: Ich weiß, wie man Angestellte auswählt und ihre Fähigkeiten einsetzt. Punkt fünf: Mir kann man nicht so leicht Angst einjagen. . . Das ist die Plusseite. Die Minuspunkte sind ebenso deutlich. Ich kenne mich zwar in Washington aus, aber in Außenpolitik bin ich schwach. Ich spreche nur Englisch und Spanisch, und das ist ein Handikap. Außerdem kann ich Ihnen im internationalen Recht nicht das Wasser reichen; ich bin also stärker als Sie von Rechtsberatung abhängig und stehe den Fachmeinungen weniger kritisch gegenüber. Alles, was ich versprechen könnte, ist, daß ich bereit bin zu lernen, wenn Sie bereit sind, mir Zeit zu lassen.«

»Was halten Sie von mir?«

Grinsend breitete Santos die Arme aus und hob die Schultern in einer typisch südländischen Gebärde.

»Was soll ich da sagen? Wir hatten ein paar kräftige Auseinandersetzungen. Bisher habe ich mich im Ring behaupten können. Und Sie haben sich mir gegenüber immer fair verhalten und ein offenes Ohr für mich gehabt.«

»Wollen Sie meinen Job?«

»Wenn Sie bereit sind zurückzutreten – ja.«

»Wie stark ist Ihr Wunsch?«

»Ich würde es so sagen«, erwiderte Santos gelassen. »Es ist einsam an der Spitze. Man hat nur sich selbst zur Gesellschaft. Deshalb muß man mit dem Mann, der einen aus dem Spiegel ansieht, zusammenleben können.«

»Und können Sie das?«

»Bisher schon.«

»Hat irgend jemand – Mann oder Frau – Anspruch auf Sie?«

»Meine Frau, meine Kinder – und Sie.«

»Könnte man Sie erpressen?«

»Das bezweifle ich. Mein Vater war ein armer Mann, aber ein wunderbarer Mensch. Ich habe ihn geliebt. Ich möchte ihn lächeln sehen, wenn ich ihm gegenübertrete.«

»Erklären Sie mir, was der Konzern jetzt braucht.«

»Es könnte Ihnen mißfallen.«

»Meine Sache. Sprechen Sie.«

»Spada Consolidated ist ein Imperium, und Sie sind der Mann, der es regiert. Imperien sind Anachronismen. Sie können nicht dauern. Früher oder später werden sie sich aufspalten müssen und menschlicher werden und den Gruppen, denen sie ihren Reichtum verdanken, Entfaltungsmöglichkeiten einräumen. Das kann nicht über Nacht geschehen; aber um dieses Ziel zu erreichen, muß man die Strukturen verändern. . .«

»Und das geht, meinen Sie?«

»Es muß gehen.«

»Wie?«

»Ich habe einen Aufsatz vorbereitet, den ich Ihnen zu lesen geben möchte. Das heißt, falls meine Ernennung nach alledem noch in Frage kommt.«

»Warum sollte sie nicht?«

»Dieses Monument da unten – das Schwert im Stein. Das beleidigt mich jedesmal, wenn ich es sehe.«

»Ich habe Millionen an Werbekosten investiert, um dieses Symbol in der ganzen Welt bekannt zu machen.«

»Ich weiß – und es steht für Ihren Namen.«

»Wofür sollte es sonst stehen?«

»Für den Frieden«, antwortete Mike Santos offen. »Für gemeinsamen Wohlstand, und nicht für Krieg, Bewaffnung und Ausbeutung der guten Erde, die nichts zurückbekommt.«

»Aber Sie haben zur Ermöglichung der Politik, die wir jetzt befolgen, beigetragen.«

»Weil mein Vertrag mit Ihnen das so vorsah: Dienst an dem, was existiert. Jetzt offerieren Sie mir einen neuen: Ich soll in Ihre Fußstapfen treten. Damit haben Sie das Recht, meine Bedingungen und die politische Richtung kennenzulernen, die ich einschlagen würde.«

»Und wenn sie mir nicht annehmbar erscheinen?«

»Dann sagen Sie es. Ich werde Ihnen meine Kündigung anbieten und hoffe, daß wir trotzdem Freunde bleiben.«

»Ich möchte Sie nicht gern verlieren.«

»Ich möchte auch nicht gern gehen. Ich bin seit fünfzehn Jahren hier – guten Jahren; aber die Zeiten ändern sich, und ich möchte gern ein Bäumchen für die Zukunft pflanzen.«

»Dann bleiben Sie.« Lächelnd reichte ihm Spada die Hand. »Bevor Sie Ihren Baum pflanzen können, müssen Sie allerdings den Boden bereiten. Diese Aufgabe ist größer, als man glaubt; und sie braucht einen sehr geduldigen Gärtner.«

Santos ergriff die dargebotene Hand nur zögernd. Er schien zwischen Erleichterung und Unglauben zu schwanken.

Schließlich fragte er: »Soll das heißen, daß Sie einverstanden sind mit dem, was ich sagte?«

»Es war eine sehr umfangreiche Erklärung«, antwortete Spada grinsend. »Zu umfangreich, um darüber zu debattieren. Ich würde lieber Ihren Aufsatz lesen und sehen, ob er brauchbar ist. Sie müssen auch noch einiges über mich erfahren, Mike Santos. Meine Familie ist seit der Zeit Lorenzos des Prächtigen im Geschäft. Man könnte sagen, wir haben einiges über die Kunst des Möglichen gelernt.«

»Meine Vorfahren waren Peones auf den Plantagen der Missionen. Sie prüften die Erde mit der Zunge, um zu schmecken, ob sie süß oder sauer war. Das ist auch eine Lektion, die haftet. Vielen Dank für Ihr Vertrauen, John. Wann soll ich umziehen?«

»Jetzt sofort!« antwortete John Spada. »Wir müssen die Management-Konferenz vorbereiten und haben einen Abstimmungskampf vor uns. Ich möchte, daß Sie für beide Anlässe eine Strategie ausarbeiten.«

Drei Tage nach der Einsetzung seines Stellvertreters flog Spada nach Washington, wo er mit dem sowjetischen Botschafter Anatoly Kolchak eine Lunch-Verabredung unter vier Augen hatte. Es war ein für beide Herren angenehmes Treffen. Kolchak besaß Charme, Intelligenz und die Begabung eines erstklassigen Seemanns für die Voraussage des Wetters der Weltpolitik. Außerdem war er scharf und unverwüstlich wie Messerstahl; und wehe dem ehrgeizigen Parteimann, der sich anmaßte, ihm in seine Geschäfte dreinzureden oder eine Bemerkung über die Art zu machen, wie er sie führte! Er kannte Washington wie seine Westentasche und war mit Wall Street besser vertraut als mit der Narodny Bank. Seine Berichte waren sorgfältig abgefaßt, sein Urteil gemäßigt, und sein Blick für eine hübsche Frau oder einen schwachen Gegner galt als einmalig unter seinen Kollegen.

Spada seinerseits war entspannt und freute sich auf diese Zusammenkunft. Er hatte sich sämtliche Details der Lermontov-Affäre und jede Klausel der Korrespondenz mit der Handelsmission über die Patentrechte der Body Scanner eingeprägt. Es war charakteristisch für beide Herren, daß sie die Banalitäten bereits hinter sich hatten, als die Cocktails vor dem Essen serviert wurden, und sich dem anstehenden Thema widmen konnten.

»Setzen wir als selbstverständlich voraus, Exzellenz, daß wir beide unsere Hausaufgaben gemacht haben. Nehmen wir an, daß keiner von uns ein gutes Essen zu einem Zweikampf machen will.«

»Großartige Idee, Mr. Spada! Ich habe lange gebraucht, um einen guten Koch zu finden. Es wäre schade, wenn diese Mühe umsonst gewesen wäre. Was wollten Sie mit mir besprechen?«

»Ein Geschäft«, antwortete Spada. »Ein Mensch gegen einen günstigen Lizenzvertrag.«

Anatoly Kolchak hob schweigend das Glas.

»Eine gute Einleitung, Mr. Spada. Haben Sie sie geprobt?«

»Ich probe immer, Exzellenz.«

»Erzählen Sie mir Näheres über diesen Menschen. Wer ist er?«

»Lev Lermontov.«

»Ah! Das ist schwierig!« Der Botschafter trank und setzte sein Glas ab. Lächelnd ergriff er Spadas Arm und führte ihn an den gedeckten Tisch. »Lermontov ist die übliche cause célèbre. Sein Fall ist ein sehr heikles Thema, und meine Regierung ist da sehr empfindlich.«

»Menschenrechte sind für jede Regierung ein schwieriges Thema, auch für unsere eigene«, erwiderte John Spada ruhig. »Lassen Sie mich daher betonen, daß mein Interesse an diesem Fall absolut persönlich und mein Vorschlag ein ganz privater ist. Ich wünsche weder Reklame noch Profit. Ich mache Ihnen ein geschäftliches Angebot, in dem Sie und Ihre Regierung gewisse Vorteile sehen könnten.«

Zum erstenmal gestattete sich Anatoly Kolchak, seine Verwunderung zu zeigen. Erstaunt gestand er:

»Ich muß zugeben, daß Ihre Beweggründe mir nicht recht einleuchten, Mr. Spada.«

»Ich denke, die sind ziemlich klar.«

»Auf den ersten Blick ja. Aber lassen Sie es mich so sagen: Ihr Geschäft macht den Eindruck, als sei es eine Dummheit – aber Sie sind kein dummer Mensch. Erst wollen Sie die vergänglichste und wertloseste aller erdenklichen Waren kaufen – einen kranken Menschen. Und dafür bieten Sie einen großen, noch dazu ständig steigenden Gegenwert in Form von Patentrechten.«

»Genau.«

»Womit rechtfertigen Sie diesen einseitigen und wirtschaftlich ungesunden Handel vor sich selber?«

»Muß ich ihn denn rechtfertigen, Exzellenz – vorausgesetzt, ich bin in der Lage, ihn abzuschließen, und das bin ich.«

»Nein, aber die Kenntnis Ihrer Motive und Argumente würde mir helfen, wenn ich Ihren Vorschlag meiner Regierung unterbreiten soll.«

»Betrachten wir es doch mal von einer anderen Seite, Exzellenz. Sie haben ebenfalls Probleme. Sie haben ein großes Land, beherrschen eine Vereinigung von Minderheitsgruppen, die alle ihre Identität eifersüchtig hüten. Sie haben Satellitenstaaten, die unter dem Joch Rußlands unruhig werden. Sie haben China als Feind an der Ostgrenze. Sie haben Schismen und Uneinigkeit unter den ausländischen Anhängern Ihrer Partei, deren Mitglieder die Oberherrschaft Moskaus ablehnen. Sie haben Meinungsverschiedenheiten unter Ihren Gelehrten und Intellektuellen und einen höchst unpopulären KGB, dessen repressive Maßnahmen Ihnen im Ausland keine Sympathien verschaffen. . . Sie würden also gern ein menschlicheres Gesicht zeigen. Das können Sie aber offensichtlich nicht auf Geheiß fremder Mächte oder unter dem Druck von Vertragsklauseln, die Sie selbst auf diese, die anderen auf jene Weise auslegen. . . Und nun biete ich Ihnen die Möglichkeit zur einer großzügigen, liberalen Geste, ohne daß Sie sich erkennbar einem Einfluß von außen zu beugen brauchen. Ich für meinen Teil bin alt und reich genug, um mir in einer Welt, in der Moralität aus der Mode gekommen ist, den Luxus moralischen Verhaltens leisten zu können. Wenn ich mal sterbe, möchte ich als Epitaph was Besseres bekommen als ein Dollarzeichen. . . Da haben Sie mein Motiv, Exzellenz; und – Kompliment! Sie haben wirklich einen guten Koch.«

Anatoly Kolchak legte sein Besteck auf den Teller und musterte seinen Besucher mit ernstem und zugleich neugierigem Blick. Nach einer Weile sagte er ruhig:

»Ich wünschte, ich könnte mir denselben Luxus leisten, mein Freund. Doch im Gegensatz zu Ihnen kann ich nur die Vermittlerrolle spielen. Verträge unterzeichnen kann ich nicht.«

»Wären Sie denn bereit, zu vermitteln?«

»Beim KGB? Nein. Ich kann lediglich Ihren Vorschlag und Ihre Gründe in Moskau vortragen.«

»Ich danke Ihnen.«

»Darf ich Sie, ganz unter uns, noch einmal nach dem wirklichen Grund für diese Bitte fragen?«

»Wir leben auf einem sehr zerbrechlichen Planeten, Exzellenz. Märtyrer können gefährlicher sein als Fanatiker. Meinen Sie nicht auch?«

Kolchak lächelte ihm zustimmend zu. »Kein Kommentar, Mr. Spada. Aber gestatten Sie, daß ich diesen Ausspruch an meine Kollegen in Moskau weitergebe. Der eine oder andere von ihnen könnte darin eine gewisse Logik erkennen.«

»Sie könnten ihnen weiterhin nahelegen, daß sie eines Tages, wenn sie mal krank sind, vielleicht sehr dankbar für die Spada Body Scanner sein werden.«

Anatoly Kolchak lachte und hob sein Glas zum Toast.

Dann meinte er schmunzelnd:

»Das wäre wohl nicht sehr klug, Mr. Spada. Kennen Sie einen Politiker, der sich selbst nicht für unsterblich hält?. . . Aber sprechen wir lieber von etwas anderem. Sie sind in der letzten Zeit viel gereist. Wie lautet Ihre Meinung über. . .«

Das war der andere Teil des Handels. In der Diplomatie wie in der Geschäftswelt werden Essenseinladungen nicht gratis verteilt, und nur ein Tor würde so etwas erwarten. John Spada bezahlte seine Zeche mit Anstand: ein Kommentar über die wirtschaftliche Situation in Japan, die Ausschreitungen der Armee in Indonesien, das Problem der Atomentsorgung. Als er sich verabschiedete, gab Kolchak sich herzlich und, wie Spada meinte, recht ermutigend. Gewiß, derartige Dinge brauchten Zeit, und viele Züge waren noch nötig, ehe die Partie ausgespielt war. Aber das machte nichts. Proteus war ein geduldiger Gott und Lev Lermontov nur ein einziger Fisch in einem unendlich weiten Meer.

Proteus

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