Читать книгу Harlekin - Morris L. West - Страница 4

2

Оглавление

In New York fühle ich mich sofort zu Hause – als schamloser Kapitalist, der sich an den Gewinnen des freien Unternehmertums bereichert hat. Ich habe ein Appartement in den East Sixties, einen japanischen Diener, einen guten Club und eine Blütenlese von Freunden beiderlei Geschlechts. Trotz all ihrer verrückten Auswüchse liebe ich die Stadt. Ihre lärmende Geschäftigkeit, ihr lakonischer Zynismus und ihre schlechten Manieren gefallen mir. Das Leben dort ist nicht ohne Risiko – man kommt leicht zu Tode. Aber ich fühle mich hier wohler als in jeder anderen Großstadt der Welt.

Hier genieße ich auch die Segnungen des Privatlebens, denn ich habe einen Fernsprechanschluß, der nicht im Telefonbuch steht, habe den Namen eines anderen an der Tür und bediene mich eines Appartements der Bank im Salvador, wo ich langweilige Gäste bewirten kann, ohne daß sie den Fuß über die Schwelle meines eigenen Heims setzen müssen. Das Arrangement bietet auch diplomatische Vorteile. Im Salvador werden Geschäfte in aller Öffentlichkeit abgewickelt. Es lohnt sich also für mich, eine Art Doppelleben zu führen: in dem einen Schlupfwinkel meine Köder auszulegen und in dem anderen auszuruhen.

Um acht Uhr morgens ließ ich mich, übernächtigt und verschlafen, im Salvador kurz sehen. Um neun war ich in meinem eigenen Appartement. Um zehn war ich, dank den Handreichungen von Takeshi, rasiert, gebadet, verpflegt und sah wieder wie ein Mensch aus. Um zehn Uhr dreißig schlenderte ich die Third Avenue entlang, um Verbindung mit Aaron Bogdanovich aufzunehmen, der mit Terror und sehr teuren Blumen handelte.

Das Blumengeschäft blühte. Zwei mit Scheren und Draht bewaffnete Mädchen fertigten Tischdekorationen an; ein exotisch aussehender junger Mann packte einen Strauß in eine Schachtel. Eine würdevolle Dame mit Goldrandbrille, einem zitronengelben Kleid und breitem Lächeln fragte nach meinem Begehr und ratterte eine ganze Liste von Frühlingsblumen herunter, bevor ich überhaupt zu Wort kam. Als ich sagte, ich möchte mit dem Besitzer sprechen, schwand ihr Lächeln, und sie interessierte sich jetzt nicht mehr für meine Blumenwünsche, sondern nur noch für meinen Namen und für mein Anliegen.

Meine Antwort schien sie wenig zu befriedigen. Als ich Karl Krügers Brief vorwies, nahm sie ihn vorsichtig, als handele es sich um Sprengstoff, in die Hand, legte ihn auf ein Tablett und trug ihn ins Hinterzimmer. Kurz darauf war sie wieder da und sagte, ich solle die Third Avenue zu Ginty’s Tavern hinuntergehen und auf einen Anruf in der Telefonzelle warten. Ich verließ den Laden mit einer kurzen Verbeugung und fühlte mich irgendwie aussätzig und ungeliebt.

Bei Ginty’s trank ich Tomatensaft und zählte die Flaschen auf den Regalen, bis das Telefon klingelte und mir eine Stimme befahl, zu Fuß in die Saint Patrick’s Cathedral zu gehen und im ersten Beichtstuhl neben dem rechten Gang niederzuknien. Ich hielt die ganze Geheimniskrämerei inzwischen für reinen Unsinn und sagte das auch. Die Stimme unterbrach mich kurz angebunden:

»In Bankangelegenheiten kommen wir zu Ihnen. In unserem Geschäft sind wir die Spezialisten... Okay?«

Man konnte es natürlich auch so ausdrücken – meinetwegen. Außerdem war es nicht weit zur Saint Patrick’s Cathedral, und ein bißchen Beten konnte nicht schaden – vorausgesetzt, mir fielen noch die richtigen Worte ein. Der Beichtstuhl war dunkel und roch säuerlich nach alten Sünden. Das Gitterwerk, das den Reuigen vom Beichtvater trennte, war mit undurchsichtiger Gaze bespannt. Die Stimme, die von der anderen Seite zu hören war, klang wesenlos, ein eintöniges Flüstern.

»Sie sind Paul Desmond?«

»Ja.«

»Ich bin Aaron Bogdanovich. Ich habe ein untrügliches Gedächtnis. Sie werden mir sagen, welchen Service Sie von mir erwarten. Ich werde Ihnen sagen, ob und zu welchen Bedingungen wir Ihre Wünsche erfüllen können. Fangen Sie bitte an.«

Ich sagte es ihm im leiernden Tonfall des Beichtenden. Es war eine interessante Übung, denn mir ging dabei auf, wie vage ich meine eigene Position bis jetzt analysiert hatte und daß Harlekin Grund genug für seine Zweifel und sein Zaudern haben könnte. Aaron Bogdanovich war ein guter Zuhörer und ein sehr erfahrener Befrager. Er stellte unbequeme Fragen:

»Wie würden Sie Ihre Wünsche, in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit, formulieren?«

»Eine Übernahme durch andere abwenden. Die betrügerischen Machenschaften untersuchen und unser System bereinigen. Beweisen, daß sich Basil Yanko krimineller Machenschaften schuldig gemacht hat.«

»Die ersten beiden Operationen sind defensiver Natur. Die dritte ist aggressiv. Warum?«

»Wenn wir nur einen Defensivkrieg führen, müssen wir verlieren.«

»Sind Sie sich darüber im klaren, was Sie das kosten kann?«

»Wieviel Geld? Nein. Wir nehmen an, daß es teuer sein kann.«

»Geld ist nicht das Hauptproblem.«

»Was sonst?«

»Leben und Tod. Wenn Sie zur Polizei gehen, wenn Sie eine anerkannte Sicherheitsfirma heranziehen, wenn Sie einen Mann mit einer Kanone anheuern, um Ihr Leben und Ihr Eigentum zu schützen, so ist der Spielraum dieser Leute begrenzt. Sie müssen sich für das, was sie tun, vor dem Gesetz verantworten. Wir müssen uns nicht verantworten, weil wir außerhalb des Gesetzes operieren. Wir haben jedoch gewisse moralische Grundsätze und sind keine Killer, die man einfach anheuert. Diese Leute können Sie auf dem Markt kaufen; die Preisskala beginnt bei zwanzigtausend Dollar pro Mord.«

»Wir heuern keine Killer an.«

»Aber es kann zu Gewalttätigkeiten kommen, und der Tod kann eine Folge davon sein. Sie müssen sich also zunächst entscheiden – und wir danach –, ob die Sache so schwerwiegend ist, daß sie ein tödliches Risiko rechtfertigt.«

»Können wir darüber sprechen?«

»Jetzt nicht. Ich möchte, daß Sie sich erst über Ihre eigene Position ausreichend im klaren sind. Dann können wir uns wieder treffen.«

»Von Angesicht zu Angesicht?«

»Warum fragen Sie das?«

»Sie erwähnten moralische Grundsätze. Wir müssen uns über diejenigen Prinzipien klarwerden, die uns beiden gemeinsam sind. Ich habe noch nie ein Geschäft mit einem Menschen abgeschlossen, den ich nicht kannte. Ich habe noch nie einen Vertrag blanko unterschrieben. Also: Entweder sehen wir uns von Angesicht zu Angesicht, oder wir lassen es lieber gleich sein.«

»Einverstanden.«

»Ich schlage meine Wohnung als Treffpunkt vor. Bestimmen Sie den Zeitpunkt.«

»Heute abend um elf Uhr dreißig. Haben Sie Unterlagen bei sich, die ich inzwischen studieren könnte?«

»Ja, hier in meiner Aktentasche.«

»Lassen Sie sie im Beichtstuhl stehen, unverschlossen, mit Ihrer Adresse und Telefonnummer. Ich nehme sie mit, nachdem Sie gegangen sind. Und noch etwas – ich diene in erster Linie einem bestimmten Land. Ich diene seinen und meinen Freunden – so ist es verbrieft und versiegelt. Ich kann meine Arbeit nicht gefährden. Sie müssen sich also zu strengster Geheimhaltung verpflichten.«

»Einverstanden.«

»Sie müssen außerdem die Strafe kennen, die auf Vertrauensbruch steht.«

»Nämlich?«

»Der Tod – und ich werde Sie nicht ein zweites Mal warnen.«

Es ist herrlich, wie klar der Mensch zu denken vermag, wenn sein eigener Tod zur Debatte steht. Während ich durch das Mittagsgewühl die Fifth Avenue hinaufging, stellte ich Vergleiche zwischen meiner eigenen Position und der meines unheimlichen Beichtvaters an. Aaron Bogdanovich besaß einleuchtende Gründe für seine Tätigkeit. Ein Toter, einhundert Tote – das war so gut wie nichts gegen die sechs Millionen, die in den Massenvernichtungslagern umgekommen waren. Kein Leben war wichtiger als das Überleben einer belagerten Nation... Aber eine Bank? Eine anonyme Gesellschaft, die sich nur dem Gelderwerb hingab? Durfte man ein Menschenleben opfern, nur um Vermögenswerte zu sichern? Wer bestimmte das Opfer, und nach welchen Kriterien? Und welches Recht besaß Paul Desmond, gesichert in der Rechtschaffenheit des Besitzenden, sich selbst zum Richter und Geschworenen aufzuspielen und sich das Amt des Scharfrichters anzumaßen?

Als ich stehenblieb, um die Diamanten im Schaufenster von Cartier zu bewundern, hielt mir ein Blinder mit einem Schild vor der Brust einen Blechnapf klappernd vor das Gesicht. Ich hatte keine Münzen in der Tasche, deshalb zog ich eine zusammengeknüllte Banknote heraus. Als ich sie in die Schüssel legte, merkte ich zu spät, daß es eine Zehndollarnote war. Ich ärgerte mich dermaßen darüber, daß ich mir dadurch sicherlich keine Absolution eingehandelt habe.

Ich war zum Mittagessen im Salvador mit unserem New Yorker Manager, Larry Oliver, verabredet; er stammt aus Boston, hat vollendete Umgangsformen und einen übertriebenen Respekt vor der Tradition. Wenn er das Büro mit verhutzelten Schreiberlingen, Stehpulten und Federkielen hätte ausrüsten können, wäre er der glücklichste Mensch auf Erden gewesen. Als ihn Harlekin einmal für sechs Monate nach London delegiert hatte, kam er schockiert zurück und war zutiefst vom Niedergang der Moral im englischen Bankwesen verletzt. Die Barbaren der Wall Street machten sich über ihn lustig, aber er hatte uns durch die Krise des Jahres 1970 hindurchmanövriert, ohne daß wir auch nur die geringste Einbuße hatten hinnehmen müssen. Die kleinste Ungenauigkeit war ihm ein Gräuel. Eine betrügerische Manipulierung unserer Konten war ein unvorstellbarer Alptraum. Ich war deshalb auf ein schwieriges Tischgespräch gefaßt; tatsächlich wurde es ein völliges Desaster.

Oliver stocherte mißvergnügt in seinem Essen herum, während ich ihm so viel von der Situation erzählte, wie er wissen mußte, und die speziell für New York bedeutsamen Details anfügte. Er ließ seinen Kaffee unberührt stehen, erhob sich, vergrub die Hände unter seinen Rockschößen und begann, wie ein Anwalt, der einen schwierigen Klienten belehrt, auf und ab zu gehen.

»... Paul, ich verstehe – glaub mir bitte – ich verstehe den Ernst der Lage durchaus. Aber warum bin ich nicht schon früher unterrichtet worden?«

»Verdammt noch mal, Larry! Wir haben in Genf erst vor vier Tagen davon erfahren. Ich habe dich und alle anderen Manager sofort telegrafisch unterrichtet. Ich habe zwei Tage mit George Harlekin geredet und die übrige Zeit mit Reisen zugebracht. Sei doch vernünftig, Mann!«

»Ich versuche ja, vernünftig zu sein, Paul. Aber mein Ruf steht auf dem Spiel, der Name meiner Familie...«

»Was Harlekin und mich angeht, so ist dein Ruf nie in Zweifel gezogen worden.«

»Wenn dies aber erst einmal durchsickert...«

»Es darf eben nicht durchsickern, Larry. Darauf kommt es ja an. Das Defizit ist gedeckt. Ich bin hier in New York, um eine eingehende Untersuchung in Gang zu setzen.«

»Aber durch eine private Agentur.«

»Wahrscheinlich durch mehrere.«

Er blieb plötzlich stehen und fuchtelte mir mit dem Finger vor dem Gesicht herum. »Ich fürchte, damit wird es nicht besser, Paul – nicht im geringsten.«

»Was meinst du damit?«

»So, wie ich die Gesetze zu kennen glaube, sind wir einem verbrecherischen Betrug zum Opfer gefallen. Habe ich recht?«

»So sieht es jedenfalls aus.«

»Es ist ein Fall für das FBI. Warum wurde es noch nicht eingeschaltet?«

»Weil wir, obwohl wir betrügerische Machenschaften vermuten, noch keine Zeit gehabt haben, das gesamte Beweismaterial zusammenzutragen und zu prüfen. Außerdem operieren wir in Ländern mit verschiedenen Rechtsordnungen. Vielleicht kommt es auf das FBI nicht in erster Linie an. Ich habe jedoch einen Termin bei Creative Systems, wo wir den Bericht gemeinsam durchsprechen werden. Dann erstatte ich Mr. Harlekin Bericht, und erst dann werden wir entscheiden, ob die Untersuchungsbeamten des FBI eingeschaltet werden sollen oder nicht.«

»In der Zwischenzeit aber stehen alle unsere Mitarbeiter, ich selbst eingeschlossen, unter Verdacht. Ich finde diesen Zustand unerträglich.«

»Selbstverständlich. Ich kann dich nur bitten, Geduld zu bewahren. Wir müssen unser Vorgehen mit allen anderen Zweigniederlassungen koordinieren.«

»Ich sehe das natürlich ein; aber ich bin gespannt, wieviel davon bereits durchgesickert ist.«

»Hoffentlich nichts.«

»Dessen bin ich mir nicht so sicher. Wir waren gestern zu viert beim Mittagessen im Club. Ich bekam einige merkwürdige Fragen zu hören.«

»Zum Beispiel?«

»Ob Harlekin wieder voll arbeitsfähig sein wird.«

»Durchaus, und zwar bald.«

»Ob mir irgendein schwacher Punkt bei unseren Genfer Operationen aufgefallen sei.«

»Und du hast den Leuten versichert, daß es keinen solchen schwachen Punkt gebe?«

»Ja, jedenfalls soweit mir bekannt sei... Ich gebe nie übereilte Erklärungen ab.«

»Ich weiß, Larry. Ich weiß. Wie lauteten die anderen Fragen?«

»Ob wir ein Verkaufsangebot prüfen würden und ob ein solches Angebot bereits vorliege. Ich verneinte beides.«

»Auch hier natürlich, soweit dir bekannt sei.«

»Ja... Dann wurde ich gefragt, ob ich je für mich selbst an eine Veränderung gedacht hätte. Ich sagte, ich würde mich bei Harlekin et Cie. sehr wohl fühlen – besonders hinsichtlich meines Verhältnisses zu unserem Präsidenten. Wir haben viel gemein, wie du weißt – wir interessieren uns für Bilder, wir legen beide Wert auf eine gesunde Tradition – und wir stammen beide, wenn ich so sagen darf, aus guten Familien.«

»Ich freue mich, das zu hören, Larry. Harlekin rechnet gerade jetzt mit deiner Unterstützung.«

»Bitte, versichere ihm, daß er sie hat. Aber ich wäre nicht ganz aufrichtig, wenn ich nicht auch darauf hinweisen würde, daß jeder Schatten, der auf den Ruf der Bank oder auf mich selbst fallen sollte, mich dazu zwingen würde, meine Position neu zu überdenken.«

»Ich habe dafür volles Verständnis. Ich weiß, daß Harlekin mit dir sprechen will, sobald er nach New York kommt. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibe ich in täglicher Verbindung mit dir. Und, Larry...«

»Ja, Paul?«

»Dies ist der Augenblick, da alle guten Männer... Du weißt doch?«

»Ja, ich weiß, Paul. Vielen Dank für dein Vertrauen. Aber jetzt gehe ich mal lieber wieder und kümmere mich um den Laden.«

Er schritt hoch erhobenen Hauptes und im Vollgefühl seiner Rechtschaffenheit hinaus – ein echter Bostoner, in dem, wie der alte Tom Appleton erklärt hat, der Ostwind zu Fleisch und Blut geworden ist. Immerhin hatte er durchblicken lassen, daß die Zukunft nicht gerade rosig war. Die Nachricht von unseren Schwierigkeiten machte bereits die Runde. Es würden laufend neue Gerüchte hinzukommen und sich wie ein Lauffeuer über die ganze Stadt verbreiten. Nur zu bald würde uns ein Angebot von hundert Dollar je Aktie wie Manna in der Wüste vorkommen. Ich hatte einen großen steifen Brandy nötig. Aber ich verzichtete vorläufig darauf, denn Valerie Hallstrom sollte um halb vier dasein, und ich mußte einen klaren Kopf haben, wenn wir ihren Bericht durchsprachen.

Valerie Adele Hallstrom – so stand es auf ihrer Visitenkarte – war ein Phänomen. Sie war eine hochgewachsene Blondine. Sie hatte eines jener offenen, kerngesunden skandinavischen Gesichter, das die Reisebüros immer dann verwenden, wenn sie Kunden für eine Kreuzfahrt in der Ostsee mitten im Winter zu gewinnen suchen, und eine Figur, die schon einen kleinen Aufruhr verursachen konnte. Nicht daß sie sie besonders betont hätte – o nein, keineswegs! Ihr Kostüm war ein Wunderwerk diskreter Schneiderkunst. Sie gab sich zurückhaltend. Ihre Stimme war ein weicher Alt. Sie hatte alle ihre Gedanken beisammen und verstand es, ihnen entsprechend Ausdruck zu verleihen. Zunächst fand ich sie ziemlich verwirrend. Als wir uns dann aber, Zeile für Zeile, durch das Dokument hindurcharbeiteten, fand ich sie geradezu beängstigend auf Draht.

»Sehen Sie, Mr. Desmond, wenn Sie ein Rechtsverfahren einleiten wollen – was Ihnen selbstverständlich unbenommen ist –, so muß dieses Papier vor Gericht Bestand haben. In dem Augenblick, da ich es unterzeichnet habe, mußte ich auf meinen eigenen Ruf und den unserer Firma Rücksicht nehmen.«

»Sie kommen also zu dem Schluß – und Ihr Bericht läßt keinen Zweifel daran –, daß die betrügerischen Handlungen von Angehörigen unserer eigenen Organisation vorgenommen worden sind.«

»Das ist unsere zweifelsfreie Meinung.«

»Wie kann Ihrer Meinung nach so etwas passieren?«

»Nehmen wir einmal als Beispiel Ihr Zentralbüro in Genf. Der Computer ist in Zürich installiert. Sie mieten sich das Nutzungsrecht für eine bestimmte Zeit, vier Stunden pro Tag, fünf Tage pro Woche. Sie haben zwei direkte Leitungen zum Zentralcomputer, deren Sie sich nur unter Verwendung des Ihnen zugewiesenen Codes bedienen können. Jeder, dem dieser Code bekannt ist, kann Ihre Leitungen dazu benutzen, Informationen und Instruktionen in den Computer zu speichern oder von ihm abzurufen.«

»Das ist alles klar. Entweder hat unser Bedienungspersonal den Betrug begangen, oder jemand von außerhalb hat sich unter Verwendung unseres Codewortes eingeschaltet.«

»Das er sich innerhalb Ihrer Firma beschafft haben muß, nicht wahr?«

»Möglich... Also, man kann davon ausgehen, daß eine Instruktion, sobald sie einmal in den Computer eingegeben ist, in der Datenbank gespeichert und automatisch ausgeführt wird.«

»Richtig.«

»Und niemand weiß, daß eine solche Instruktion existiert, außer der Person, die sie eingespeichert hat.«

»Genau. Und darauf beruhen auch die meisten klassischen Betrugsfälle. Wenn Sie zum Beispiel ein bestimmtes Konto um zweitausend Dollar überziehen dürfen, können Sie das Limit auf zweihunderttausend erhöhen, indem Sie einfach zwei Nullen dem Programm anfügen. Dann ist es festgehalten, und Sie können seelenruhig mit dem falschen Limit operieren – es sei denn, jemand gräbt die ursprüngliche Instruktion aus. Noch ein Beispiel. Sie können dem Computer befehlen, an einem bestimmten Tag einhunderttausend Dollar auf Ihr Konto zu überweisen, und dann löschen Sie die Transaktion aus seinem Gedächtnis bereits am Tag danach. Sie heben das Geld von Ihrem Konto mit einem Scheck ab und gehen ins Ausland. Wenn sich nicht beweisen läßt, daß Sie den Computer angewiesen haben, den Betrug zu begehen, ist es sehr schwer, Sie eines Verbrechens zu überführen. Sie haben keine Transaktion durchgeführt, zu der Sie keine Berechtigung hatten. Der Fehler lag beim Computer, der für die Bank operiert.«

»So, Miß Hallstrom, jetzt wollen wir einmal sehen, was in unserem Genfer Büro tatsächlich passiert ist. Nehmen wir uns Seite 73 des Berichts vor. Irgend jemand, angeblich George Harlekin persönlich, eröffnete ein Nummernkonto bei der Unionsbank. Das Konto wurde schriftlich per Post eröffnet, wobei Papiere Verwendung fanden, die offenbar von George Harlekin unterzeichnet waren. Die Unterschriften sind einander gleich. Harlekin bestreitet jegliche Kenntnis. Wir nehmen deshalb an, daß die Unterschriften gefälscht waren. Dann weiter: Jemand benutzt unser Codewort, schaltet sich in den Computer ein und beauftragt ihn, ein Prozent bei jeder dritten Transaktion als Spesen zu berechnen und die entsprechenden Summen wöchentlich auf das Konto Harlekin bei der Unionsbank zu überweisen. Da die Bankspesen immer komplizierter werden, weil die Bankiers immer gieriger zu werden scheinen, bleiben diese Zahlungen bis zur nächsten Buchprüfung unbemerkt. Stimmt’s?«

»Ja. Aber bei der Buchprüfung müßte ihre Rechtmäßigkeit gegenüber früheren Instruktionen nachgewiesen werden können.«

»Wenn also Harlekin der Urheber wäre, könnte er sofort strafrechtlich verfolgt werden.«

»Zugegeben.«

»Aber er ist doch nicht dumm, und er braucht kein Geld. Was wäre also Ihre Schlußfolgerung, Miß Hallstrom?«

»Daß es mir nicht zusteht, einen Kommentar abzugeben, Mr. Desmond. Unser Vertrag mit Ihnen sieht vor, daß wir Unregelmäßigkeiten und dunkle Machenschaften aufdecken. Das haben wir getan. Es ist Ihre Aufgabe, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.«

»Sehr gut. Sehr vernünftig. Dann wollen wir es mal andersherum versuchen. Wir sind ein Mann und eine Frau und befinden uns allein in einem Hotelappartement. Es gibt keine Zeugen. Ich hoffe, daß keine Mikrophone eingebaut sind, falls Sie nicht selbst ein solches bei sich tragen. Wären Sie bereit, ohne Voreingenommenheit, eine private Meinung zu äußern?«

»Nein, Mr. Desmond, das wäre ich nicht.«

»Aber Sie haben eine?«

»Ja. Nämlich die, daß ich mich nur an den von mir unterzeichneten Bericht halten muß.«

»Aber es handelt sich doch hier um eine Sache, die sich aus dem Bericht ergibt.«

»Das ist Ansichtssache und hat mit den Tatsachen nichts zu tun. Wenn Sie der Meinung sind, Sie sollten den Fall mit Creative Systems Incorporated besprechen, dann sollten Sie sich an Mr. Yanko wenden, nach dessen Weisungen ich arbeite... So, wollen Sie jetzt mit mir über die Vorgänge bei den anderen Zweigniederlassungen sprechen?«

»Nein. Die Transaktionen sind unterschiedlicher Art. Die Methode ist weitgehend die gleiche. Überall das gleiche Ergebnis. George Harlekin wird schwerer Betrug in die Schuhe geschoben.«

»Darf ich fragen, welche Schritte Sie unternommen haben, um weitere Manipulationen zu verhindern?«

»Wir haben alle Computerinstruktionen gelöscht, soweit sie in Ihrem Bericht Erwähnung finden.«

»Gut.«

»Und wir werden versuchen, denjenigen ausfindig zu machen, auf den der Betrug zurückgeht. Ihr Bericht behauptet, es müsse sich um jemanden innerhalb oder in Verbindung mit der Firma Harlekin et Cie. handeln. Ich stelle fest, daß Mitarbeiter von Creative Systems Incorporated in diesem Zusammenhang von Ihnen nicht erwähnt werden.«

»Im Gegenteil, Mr. Desmond. Wir nehmen auf Seite 84, Absatz 3 ausdrücklich auf diesen Personenkreis Bezug. Ich zitiere: ›Das gesamte bei Creative Systems tätige und mit diesen Operationen in Verbindung stehende Personal ist mehrfach überprüft worden, und wir stellen mit Genugtuung fest, daß keiner unserer Mitarbeiter auf irgendeine Art und Weise mit den betrügerischen Manipulationen zu tun hat.‹«

»Und Sie erwarten, daß wir Ihnen das abnehmen?«

»Mangels gegenteiliger Beweise, ja.«

»Miß Hallstrom, ich möchte Ihnen ein Kompliment machen.«

»Aber bitte, Mr. Desmond.«

»Sie sind eine sehr schöne Frau.«

»Vielen Dank.«

»Ich wünschte, Sie wären für uns tätig.«

»Aber das bin ich doch, Mr. Desmond. Warten Sie nur, bis Sie die Rechnung bekommen. Meine Dienste sind hoch dotiert.«

»Sind Sie jemals außer Dienst?«

»Oft.«

»Würden Sie vielleicht auch mir ein Kompliment machen und einmal mit mir zu Abend essen – wenn ich verspreche, nicht über geschäftliche Dinge zu sprechen?«

»Ich glaube, es könnte recht nett sein.«

»Wo kann ich Sie telefonisch erreichen?«

»Ich gebe Ihnen meine Karte. Rufen Sie mich abends gegen sieben an.«

»Vielen Dank.«

»Übrigens hat mich Mr. Yanko gebeten, Ihnen auszurichten, daß er morgen zwischen zehn und zwölf Uhr mittags Ihnen zur Verfügung stehen wird.«

»Sagen Sie ihm, er möge mich um elf erwarten.«

»Au revoir, Mr. Desmond. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.«

»Ganz meinerseits, Miß Hallstrom.«

Verdammt noch mal, ein Vergnügen war es wirklich nicht gewesen! Ich hielt sie für eine ausgesprochene Schlange; aber ich besaß wenigstens ihre Adresse und ihre Telefonnummer und eine halbe Einladung, ihr Privatleben kennenzulernen.

Es war zwar nur ein kleiner Sieg, aber nicht unbedingt ein unwichtiger. Wenn man mit Großunternehmen zu tun hat, braucht man Freunde in der Nähe der Firmenleitung. Einige Gesellschaften sind wohlhabender als die Länder, in denen sie tätig sind. Sie sitzen beiderseits der Grenzen und können sich über national gültige Rechtsbestimmungen hinwegsetzen. Sie verfügen über die klügsten Köpfe und können es sich leisten, in jedem Land die besten Anwälte zu beschäftigen. Diplomaten und Politiker bemühen sich für die Mitarbeiter dieser Firmen... Aber wenn Sie eine klare Antwort auf eine klare Frage haben wollen, so kann es zwei Jahre dauern, bis Sie soweit sind, und dann brauchen sie eine ganze Bibliothek, um den inzwischen angefallenen Schriftverkehr unterzubringen. Ein Abendessen mit Valerie Hallstrom könnte also ein Schlag ins Wasser sein. Andererseits könnte es aber auch den Schlüssel zu Geheimvorgängen liefern, denn je größer das Unternehmen ist, desto schwächer sind die Loyalitäten und desto erbitterter werden die Machtkämpfe in den höheren Rängen ausgetragen.

Es war sechs Uhr. Plötzlich fühlte ich mich abgespannt, schäbig und alt. Ich verließ das Salvador, ging die zehn Blocks bis zu meiner Privatwohnung zu Fuß und schlief, bis Takeshi mich um elf weckte.

Pünktlich um elf Uhr dreißig erschien Aaron Bogdanovich. Er war ein hochgewachsener Mann, schlank, braungebrannt und muskulös. Er sah aus wie vierzig, konnte aber auch schon fünfzig sein. Ohne den Geburtsschein konnte man es wirklich nicht sagen. Seine Kleidung war von sportlicher Eleganz. Er lächelte viel. Sein Händedruck war fest. Nach einem abschätzenden Blick auf das Appartement sagte er:

»Ich habe unten einen Mann, der den Hauseingang beobachtet. Draußen vor der Tür steht noch einer. Ich würde ihn gern hereinholen, um das Appartement nach Mikrophonen absuchen zu lassen. Sie haben doch sicher nichts dagegen?«

»Nicht im geringsten.«

Sein Mann kam herein, ein unauffälliger junger Kerl, der die Zimmer mit einem Prüfgerät absuchte, befriedigt nickte und dann wortlos wieder verschwand.

Bogdanovich machte es sich bequem. »So, jetzt können wir reden.«

»Einen Drink?«

»Saft, bitte.«

Takeshi servierte die Drinks und ließ uns allein.

Aaron Bogdanovich lächelte mir über den Rand seines Glases hinweg zu. »Na, Mr. Desmond, wie haben Sie sich entschieden?«

»Wir stehen unter starkem Druck. Wir müssen kämpfen. Wir akzeptieren, daß es zu drastischen Konsequenzen kommen kann.«

»Und Ihr Chef ist einverstanden?«

»Er hat mir freie Hand gegeben.«

»Meine Forderungen sind folgende: Sie stellen mir sofort zweihundertfünfzigtausend Dollar in bar zur Verfügung. Sie halten außerdem denselben Betrag in jeder gewünschten Währung in jeder noch zu benennenden Hauptstadt auf Abruf zur Verfügung. Insgesamt also eine halbe Million, bei einem Spielraum von maximal zehn Prozent.«

»Auf Treu und Glauben?«

»Ja, so ist es. Eine reine Vertrauenssache. Die Kehrseite des Geschäftes ist die, daß wir alle Risiken selbst übernehmen und diese nie, unter gar keinen Umständen, dem Klienten aufbürden. Ist Blut auf dem Teppich, beseitigen wir es selbst. Können Sie für die geforderte Summe garantieren?«

»Ja.«

»L’chaim, Mr. Desmond!«

»Auf Ihr Wohl!«

Wir tranken uns zu und besiegelten die Abmachung. Wir setzten uns zum Abendessen nieder, und Bogdanovich sprach mit mir den Feldzug durch – wie ein General, der seinem Stabsoffizier Instruktionen gibt.

»Ich habe die Unterlagen gelesen. Ich pflichte Ihren Schlußfolgerungen bei. Der Betrug steht in Verbindung mit dem Kaufangebot. Yanko ist wahrscheinlich der Anstifter. Um dies zu beweisen, müssen wir innerhalb seiner Organisation und der Ihrigen tätig werden.«

»Können Sie denn das?«

»Ja. Wir müssen jedoch eine Tarnoperation einleiten, um die Aufmerksamkeit von unserer Tätigkeit abzulenken.«

»Wie machen wir das?«

»Sie wenden sich mit der Bitte um Hilfe an eine der üblichen Sicherheitsorganisationen. Wir schlagen vor, daß Sie hierzu Lichtman Wells heranziehen, die internationale Verbindungen haben. Sie werden das Ersuchen stellen, daß die Operation von Mr. Saul Wells persönlich geleitet wird. Er wird den Auftrag annehmen.«

»Wieso?«

»Sie können sich darauf verlassen, daß er annehmen und geeignete Mitarbeiter abstellen wird.«

»Ihre Mitarbeiter, nehme ich an.«

»Das habe ich nicht gesagt. Sie sollten auch nicht danach fragen... Wissen Sie, Mr. Desmond, es ist durchaus nicht unmöglich, daß man eines Tages Druck auf Sie ausüben wird, damit Sie Ihre gesamten Kenntnisse über diese Operation preisgeben. Mit Rücksicht auf die Sanktion, von der wir gesprochen haben, sollten Sie möglichst überhaupt nichts aussagen können, klar?... Sind Sie verheiratet?«

»Nein.«

»Haben Sie irgendwelche Beziehungen oder Bindungen, mit denen man Sie erpressen könnte? Eine Geliebte, zum Beispiel? Ein Kind?«

»Nein. Aber Harlekin hat Frau und Kind.«

»Dann sollte auch er über die Risiken Bescheid wissen.«

»Ich werde dafür sorgen.«

»Ich möchte ihn gern persönlich kennenlernen.«

»Er wurde heute vormittag aus dem Krankenhaus entlassen. Er beabsichtigte, mit seiner Frau zur Erholung nach. Acapulco zu fliegen. In Wirklichkeit werden sie nach New York kommen... Sie werden die Wohnung der Bank im Salvador benutzen, wo wir während seiner Rekonvaleszenz für die notwendige ärztliche Überwachung gesorgt haben.«

»Das war klug. Sie beide werden demnächst viel auf Reisen sein.«

»Wie bitte?«

»Ihre Bank befindet sich in einer Krise. Sie werden mit Sicherheit alle Ihre Zweigniederlassungen aufsuchen müssen. Außerdem werden wir Sie beide, zu Ihrer eigenen Sicherheit und zur Abschirmung unserer Operationen, ständig in Bewegung halten müssen.«

»Das ist keine angenehme Vorstellung.«

»Ja, Sie haben recht. Aber bedenken Sie, Mr. Desmond, Ihre Gesellschaft ist ein lohnendes Ziel, und große Unternehmen haben keine Moral. Unfälle lassen sich leicht arrangieren. Leitende Angestellte und Diplomaten werden entführt und gegen Lösegeld festgehalten. Die Folter ist zur Wissenschaft geworden. Sie brauchen nur die Tageszeitungen zu lesen und werden einsehen, daß ich nicht übertreibe... Was Sie nicht zu lesen bekommen, ist sogar noch unheimlicher. Gerade in diesem Augenblick treibt ein Toter im East River. Es ist die Leiche eines Killers, der angeheuert wurde, um heute abend um acht Uhr dreißig einen arabischen Delegierten bei den Vereinten Nationen zu ermorden, Mr. Desmond, während der Delegierte aus einer Limousine stieg, um an einer Dinner-Party teilzunehmen. Meine Leute würden sonst für seinen Tod verantwortlich gemacht werden... Hoffentlich habe ich mich klar genug ausgedrückt.«

»Zu klar für meinen Seelenfrieden.«

»Geld ist Macht, Mr. Desmond. Beides schadet dem Seelenfrieden.«

»Also schön... Harlekin und ich werden vielleicht viel reisen müssen. Was noch?«

»Verhalten Sie sich möglichst normal. Yanko erwartet, daß Sie mit ihm über die Aktien verhandeln. Verhandeln Sie. Er erwartet eine Untersuchung. Bieten Sie ihm eine solche. Ihre Manager und leitenden Angestellten bleiben in Unkenntnis über meine Tätigkeit und gehen ihren üblichen Geschäften nach. Jede von Ihnen beschaffte Information wird uns übermittelt werden.«

»Wie?«

»Hier in New York fernmündlich von einer Telefonzelle aus. Ich werde Ihnen zwei Nummern nennen, die Sie sich einprägen werden. Sie werden sich als Weizman melden. Wenn Sie New York verlassen, werden Sie Ihre Reisearrangements durch eine Agentur treffen lassen, die ich Ihnen empfehlen werde. Ihre Kontakte in anderen Städten werden verständigt werden, wenn Sie die Flugscheine abholen.«

»Jetzt habe ich noch eine Neuigkeit. Ich habe heute nachmittag mit einer Frau, Valerie Hallstrom, gesprochen. Sie arbeitet für Yanko und hat den Bericht abgefaßt.«

»Hat sie Ihnen etwas Brauchbares erzählt?«

»Im Gegenteil. Sie weigerte sich, auch nur einen einzigen Schritt über ihren Auftrag hinauszugehen. Ich habe sie jedoch zum Abendessen eingeladen. Sie war nicht abgeneigt und gab mir ihre Karte.«

»Darf ich sie einmal sehen?«

Er betrachtete sie einen Augenblick und gab sie mir dann zurück.

Ich konnte der Frage nicht widerstehen. »Haben Sie wirklich ein absolutes Gedächtnis?«

»Allerdings.«

»Soll ich mich mit dieser Frau verabreden?«

»Ist sie hübsch?«

» Sehr.«

»Zugänglich?«

»Das möchte ich gerne herausbekommen.«

»Geben Sie mir rechtzeitig Ihre Pläne bekannt.«

»Das bringt mich zu einer weiteren Frage. Auf welchem Wege setzen Sie sich mit mir in Verbindung? Ich werde viel unterwegs sein.«

»Wo immer Sie sind, Mr. Desmond, ich werde es wissen. Unsere Honorarforderungen sind hoch; aber wir sind auch rund um die Uhr für Sie tätig... Wie lange ist übrigens Ihr Diener schon bei Ihnen?«

»Sechs Jahre.«

»Sie vertrauen ihm offenbar. Aber was wissen Sie über sein Vorleben?«

»So gut wie nichts. Er war fünf Jahre bei einem Freund von mir. Als dieser aus New York wegzog, übernahm ich seine Wohnung und Takeshi dazu. Ich habe hier eine Menge Wertsachen. Takeshi führt das Haushaltsbuch. Bis jetzt hatte ich keinen Anlaß zur Klage.«

»Das ist eine gute Auskunft. Aber wir werden den Mann trotzdem überprüfen. Haben Sie irgendwelche Laster oder Schwächen, Mr. Desmond?«

»Was soll ich darauf schon sagen!«

»Ich muß es aber wissen.«

»Gut, führen wir auf, was ich nicht tue. Ich spiele nicht. Ich liebe meine Drinks, aber ich bin seit zwanzig Jahren nicht mehr betrunken gewesen. Ich bin gegen die käufliche Liebe. Ich bin nicht homosexuell, und ich rede nie über meine Freundinnen im Club.«

»Irgendwelche geheimen Schuldkomplexe?«

»Eine gescheiterte Ehe.«

»Schulden?«

»Keine.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Desmond. Das ist für den Augenblick alles.«

»Noch etwas Kaffee?«

»Nein, vielen Dank...«

»Jetzt noch eine Frage an Sie, Mr. Bogdanovich.«

»Ja?«

»Warum haben Sie sich bereit erklärt, diesen Auftrag zu übernehmen?«

»Was Sie eigentlich damit sagen wollen, Mr. Desmond, ist doch wohl, warum ich nicht für das doppelte Geld einen anderen Job übernommen habe?«

»Nein. Ich meine es genau so, wie ich es gesagt habe.«

»Es gibt zwei Antworten, Mr. Desmond. Die erste ist einfach. Sie wurden mir von einem guten Freund, Karl Krüger, empfohlen, und Sie können sich unsere Dienste leisten. Die zweite Antwort ist etwas komplizierter. Ich glaube nicht an die Rechtschaffenheit der Menschen. Ich weiß, daß jeder seinen Preis hat und daß er bis an sein Lebensende nur dann rechtschaffen bleibt, wenn ihm dieser Preis nicht geboten wird. Ich weiß, daß jedem Menschen eine bestimmte Angst im Nacken sitzt, die ihn vernichten kann. Ich habe aufgehört, an Gott zu glauben, weil ich eine Schöpfung vor mir sehe, die auf einem zerstörerischen Existenzkampf gegründet ist. Ich weiß aber auch, daß eine gewisse Ordnung notwendig ist, wenn das Leben wenigstens halbwegs erträglich sein soll. Wenn ein halbwegs anständiger Mann von einem Gangster tyrannisiert wird, sind wir alle betroffen. Einem Gangster wird man nur Herr, wenn man ihm die Zähne einschlägt. Wer dazu zu schwach ist, heuert mich an...« Er schenkte mir sein nachsichtiges Lächeln und zuckte mit den Achseln. »Sie dürfen das natürlich nicht zu wörtlich nehmen, und Sie wären ein Narr, meine Worte ohne Vorbehalt zu schlucken. Aber auch in unserem Dschungel brauchen wir wenigstens eine Spur von Rechtfertigung für unsere Taten. So, jetzt möchte ich Ihnen die Telefonnummern und den Namen unseres Reisebüros geben.«

Als er gegangen war, faßte Takeshi sein Urteil in einem einzigen Satz zusammen, den ich noch lange nicht vergessen sollte:

»Dieser Mann, Sir, ich glaube, der schläft in einem Grab.«

Die Zentrale von Creative Systems Incorporated war in sechs Stockwerken eines aus Glas und Aluminium bestehenden Wolkenkratzers an der Park Avenue untergebracht. Drei Stockwerke beherbergten die neuesten, von bewaffneten Posten bewachten Geräte, und darüber lagen zwei Etagen mit modern eingerichteten Büros, wo nüchtern fachkundige junge Leute inmitten eines Heers von Sekretärinnen ihrer Arbeit nachgingen. Der sechste Stock war Basil Yankos privater Bereich, sein Heiligtum, das mit exotischen Hölzern getäfelt, durch tiefe Teppiche in lautlose Stille getaucht und mit wertvollen Bildern und Kunstgegenständen ausgestattet war. Im Vorzimmer regierten eine ältere Dame und zwei Wachposten, von denen der eine die Besucher durch die stillen Korridore führte, während der andere als Wache gegen unerwünschte Eindringlinge zurückblieb.

Als ich ankam, war es zwei Minuten vor elf. Die Wache überprüfte meinen Namen anhand einer maschinengeschriebenen Liste. Die Vorzimmerdame gab mein Eintreffen über die Sprechanlage weiter und bat mich, Platz zu nehmen. Punkt elf leuchtete das rote Licht über der Tür auf; die Vorzimmerdame gab der Wache ein Zeichen, die mich daraufhin in das Allerheiligste führte, einen langen Raum, wo Basil Yanko hinter einem gewaltigen, völlig leeren Schreibtisch saß. Der Wachposten zog sich zurück. Die Tür schloß sich, und ich schritt über einen riesigen Teppich, um die kalte Hand des Meisters zu schütteln. Er war unverbindlich wie immer, aber er schenkte mir doch ein Lächeln und erkundigte sich kurz nach meinem Wohlbefinden. »Ich hoffe, Sie haben sich etwas Ruhe gönnen können, Mr. Desmond.«

»Ja, vielen Dank.«

»Und George Harlekin?«

»Er ist aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ich erwarte ihn heute in New York. Ich bin zwar mit seinen Plänen nicht ganz einverstanden, aber er hat darauf bestanden. Er wird noch eine gewisse Zeit unter ärztlicher Kontrolle bleiben.«

»Das tut mir leid. Hat er sich schon hinsichtlich meines Angebots entschieden?«

»Ja. Er hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, daß er zu Verhandlungen bereit ist, sobald er sich wieder stark genug fühlt, geschäftliche Dinge zu besprechen.«

»Und wann wird das der Fall sein?«

»Schon bald, hoffe ich. Sein Arzt in New York hat dabei natürlich ein Wort mitzureden.«

»Natürlich. Inzwischen, nehme ich an, können wir beide die notwendigen Vorarbeiten für die Verhandlungen einleiten?«

»Harlekin hat mir hierfür eine besondere Weisung gegeben.«

»Und zwar?«

»Er ist nicht bereit, in irgendwelche Verhandlungen einzutreten, solange nur der Schatten eines Verdachts auf ihn fällt. Er hat mich beauftragt, unter Einsatz einer neutralen Firma eine eingehende Untersuchung der Veruntreuungen einzuleiten.«

»Haben Sie sich schon für eine bestimmte Firma entschieden?«

»Für Lichtman Wells. Ich habe mich heute nachmittag zu einem ersten Gespräch mit der Firmenleitung verabredet.«

»Es sind ordentliche Leute. Ihre Mitarbeiter sind gut ausgebildet.«

»Das hat man mir auch gesagt.«

»Wir stehen natürlich bereit, ihnen in jeder Weise zu helfen.«

»Vielen Dank.«

»Der Zeitfaktor ist für uns beide von Bedeutung.«

»Das ist uns klar.«

»Ich glaube, wir müßten uns da etwas deutlicher ausdrücken, Mr. Desmond.«

»In welchem Sinne?«

»Unser Angebot von hundert Dollar je Aktie gilt mit Wirkung von heute. Wir müssen es jedoch befristen. Der Geldmarkt verändert sich rasch, wie Sie wissen. Wir können uns nicht unbegrenzt an das Prämienangebot gebunden fühlen.«

»An welche Frist denken Sie?«

»Dreißig Tage.«

»Zu kurz, Mr. Yanko. Das sind nur zweiundzwanzig Arbeitstage. Wir können eine internationale Untersuchung unmöglich in dieser Zeit durchführen. Wir brauchen mindestens neunzig Tage.«

»So, wie der Markt heute aussieht? Ausgeschlossen.«

»In Ihrem Fernschreiben hieß es, daß Ihr Angebot – und ich zitiere – ›auf einer Drei-Jahres-Projektion‹ abgegeben wurde.«

»Der Schätzwert, nicht die Prämie.«

»Aber wir wollen uns trotzdem nicht über drei Monate streiten.«

»Sechzig Tage, mehr nicht.«

»Das übersteigt meine Vollmacht. Ich muß mich mit Harlekin ins Benehmen setzen.«

»Tun Sie das, bitte. Wann kann ich mit seiner Antwort rechnen?«

»Das liegt ganz bei ihm. Er ist jedoch ein Mann, der auf höfliche Umgangsformen Wert legt.«

»Die mir gelegentlich fehlen. Ich weiß, Mr. Desmond. Drücken wir es folgendermaßen aus: Falls es Harlekin beliebt, seine Antwort hinauszuzögern, muß ich freie Hand haben, mein Zeitlimit entsprechend zu verkürzen. Fair?«

»Hart. Ich werde es weitergeben.«

»Sie sind selbst ein harter Mann, Mr. Desmond. Aber ich habe dafür etwas übrig. Falls Sie je das Gefühl haben sollten, sich verändern zu wollen, würde ich mich glücklich schätzen, über die Bedingungen mit Ihnen zu sprechen – über großzügige Bedingungen.«

Als nüchterner Geschäftsmann hatte er die Katze aus dem Sack gelassen. Er drohte. Wenn wir uns nicht bluffen oder kaufen ließen, würden wir zwischen die Mühlsteine geraten. Die abgefeimte Kunst dieser räuberischen Erpressung stieß mich ab. Ich wollte vor ihm ausspucken. Statt dessen dankte ich ihm für seine Liebenswürdigkeit und trat in das humanere Tohuwabohu der Park Avenue hinaus.

Um drei Uhr nachmittags suchte ich Lichtman Wells auf. Das war alles andere als trostreich, denn die Leute im Sicherheitsgeschäft leben, wie Versicherungsvertreter, von der Möglichkeit einer Katastrophe. Der Senior der Firma, ein weißhaariger ehemaliger Oberst der Militärpolizei, las mir aus seinen Akten eine schreckenerregende Liste von Fällen vor, die nicht passiert wären, wenn die Opfer die Dienste von Lichtman Wells in Anspruch genommen hätten. Saul Wells, der Juniorpartner, ließ die Vorführung geduldig über sich ergehen und erfrischte mich nach der Unterzeichnung des Vertrages mit Kaffee in seinem eigenen Büro. Er war ein kleiner, rothaariger Mann, der an ein Frettchen erinnerte; unaufhörlich kaute er an einer kalten Zigarre und unterstrich seine Worte mit den verschiedensten Gesten.

»Lassen Sie sich von dem Alten nicht aus dem Gleichgewicht bringen, Mr. Desmond. Er ist für die Kundenwerbung verantwortlich, deshalb hat er immer seinen großen Auftritt. Von mir bekommen Sie die eigentlichen Dienstleistungen, ohne den ganzen Dreck... Wie gehen wir bei der Arbeit vor? Tja, im Innenbereich ist es reine Detektivtätigkeit. Unser Mitarbeiter geht durch die Vordertür – keine Geheimnisse, keine angeklebten Nasen –, er prüft den Arbeitsablauf, nimmt Erklärungen entgegen, sucht nach Schlupflöchern und Widersprüchen. Draußen?... Das ist etwas anderes. Wir schnüffeln herum, stellen fest, wer wo schläft, wer mehr ausgibt als er einnimmt, wer Sexspiele schätzt und wer in den Wettbüros ein und aus geht... solche Sachen. Es ist wie ein Puzzle, verstehen Sie? Alle Teilchen müssen zum Schluß zusammenpassen. Wenn eines fehlt, muß es jemand in der Tasche haben oder es beiseite geschafft haben. Ich erinnere mich, daß einmal...«

Er erinnerte sich und erinnerte sich, und er spielte jede Episode wie ein Zirkusclown in allen Einzelheiten durch. Aber irgendwie erwärmte ich mich für ihn, und ich merkte, daß er mir am Ende der beiden Stunden mit seiner komödiantenhaften Art eine ganze Menge von Einzelheiten entlockt hatte, die ich ihm wohl nie mitgeteilt hätte. Schließlich legte er die Zigarre weg und verkündete fröhlich:

»So! Jetzt kennen Sie mich, und ich kenne Sie. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. Aber jetzt Spaß beiseite. Verständigen Sie Ihre Geschäftsleitung, daß wir sofort mit der Arbeit beginnen werden. Sprachen sind kein Problem. Ich habe sogar ein Mädchen, das Eskimodialekte spricht. Aber noch eines, Mr. Desmond. Von jetzt ab wird nicht viel Federlesens gemacht. Tritt Ihnen jemand zu nahe, dann wenden Sie sich an unseren gemeinsamen Freund.«

So weit, so gut. Auf der einen Seite hatten wir Yanko, der genau wußte, was er wollte und wie er es erreichen konnte. Auf der anderen Seite hatten wir Versprechungen, nichts als Versprechungen, sehr hohe Spesenrechnungen und eine ganze Reihe eindringlicher Warnungen, wie gefährlich unsere Lage sei und wie schutzbedürftig wir seien.

Ich schlenderte durch die Stadt in Richtung First Avenue, wo mein Freund Gully Gordon eine stille Bar besitzt und zur Cocktailzeit für seine Gäste Klavier spielt. Gully stammt aus Jamaika; er ist der einzige Farbige, den ich kenne, der mit schottischem Akzent spricht. Er beherrscht außerdem Irisch, Kreolisch, Italienisch und die Mundart von Nebraska, weil er Schauspieler war, bis, wie er es ausdrückte, »mir ein Licht aufging, mein Junge, und ich in mir selbst ein fasziniertes Publikum fand«.

Ich ging mit schnellen Schritten auf der linken Straßenseite dahin, als ich plötzlich heftig gestoßen wurde und gegen einen Mann taumelte, der in einer Toreinfahrt stand. Ich ging auf die Knie, und als ich wieder hochzukommen versuchte, erhielt ich einen schweren Schlag ins Genick. Ich mußte das Bewußtsein verloren haben, denn ich erinnere mich nur noch daran, daß ich wieder stand, an der Hauswand lehnend, und von einem schäbig aussehenden Burschen in zerrissenem Pullover und Blue Jeans abgeklopft und vom Straßenstaub gereinigt wurde. Instinktiv griff ich nach meiner Brusttasche.

Er grinste und schüttelte den Kopf: »Nein, die haben sie nicht erwischt.«

Ich fragte, noch etwas benommen, wer mit »sie« gemeint sei.

»Rocker! Einer rempelte, der andere langte nach Ihrer Brieftasche. Ich war Ihnen Gott sei Dank dicht auf den Fersen. Sind Sie wieder in Ordnung?«

»Ich glaube, ja. Vielen Dank! Wie wär’s mit einem Drink?«

»Ein andermal. Seien Sie vorsichtig, Mr. Desmond.«

Er ließ mich stehen und tauchte in der Menschenmenge unter. Ich war noch nicht ganz bei mir und kam nicht einmal auf den Gedanken, ihn zu fragen, woher er meinen Namen wußte. Eine einzige Vorstellung, die mich geradezu krank machte, nahm mich gefangen: Wie einfach war doch die Gewalt, wie rasch und plötzlich, und wie wenig Aufsehen erregte sie bei den Passanten!

Und ein zweiter Gedanke nahm langsam Gestalt an, als ich, an das Klavier gelehnt, an meinem Drink nippte und Gullys Traummusik lauschte: Auch ich gehörte zu dieser Halbwelt einsamer Fahrensleute und Abenteurer. Es spielte keine Rolle, daß ich schon vor Jahren aus diesem Milieu aufgestiegen war und mich mit Geld und Komfort dagegen abgesichert hatte. Ich kannte diese Welt von ganz unten: den ruhelosen Rhythmus, das billige Hurenparfüm, den säuerlichen Geruch nach Blut, das leise Schleichen und den Jargon der Unterwelt. Manchmal, wenn ich verzweifelt war und mich verlassen fühlte, ging ich dahin zurück und zog mir die Vergangenheit an wie einen alten Mantel, der zwar schon muffig, aber immer noch bequem war.

Mein Freund Harlekin gehörte zu einer anderen Welt. Er war ein gebildeter Mann und ein Gentleman; er war in den alten Traditionen Europas zu Hause. Gewiß, er konnte meine Rolle und ebenso zwanzig andere spielen; aber er blieb immer der Schauspieler, der sich auf der Bühne keinem anderen Ziel verpflichtet fühlte, als sich und seine Zuhörer zu unterhalten. Ich fragte mich, wie er wohl ohne Text und ohne Souffleur aussehen würde, wenn es hart auf hart ging und nur der Sieger nach dem Duell den Kampfplatz verlassen konnte.

Gully Gordon blickte von den Tasten auf und sagte leise: »Du bist heute auch nicht der Lustigste, mein Lieber. Man ist wohl hinter dir her?«

»Man ist hinter mir her, Gully.«

»Was du brauchst, ist ein nettes Mädchen.«

»Da hast du recht.«

»Dort sitzt eins an der Bar.«

Ich sah mich um, und da saß Valerie Hallstrom, allein, und plauderte über einem Drink mit dem Barmixer. Ich wandte mich ab, bevor sie mich sah.

»Ich kenne sie, Gully. Erzähl mir mehr über sie.«

»Sie ist allein, das weiß ich. Zwei Drinks, für die sie eine ganze Stunde braucht, sie ist also kein Flittchen. Dann geht sie nach Hause – glaube ich.«

»Allein?«

»Du weißt doch, wie das ist, mein Lieber. Das ist eine Bar für Alleinstehende. Die Leute kommen her und schauen sich um. Wer gefunden hat, was er sucht, bleibt zu Hause.«

»Sucht sie schon lange?«

»Ungefähr seit sechs Monaten. Aber du hast gesagt, daß du sie kennst.«

»Ich habe geschäftlich mit ihrem Boß zu tun. Ich habe mich schon gefragt, ob das hier heute abend eine Falle sein soll.«

»Ausgeschlossen. Sie ist ein Stammgast.«

Er spielte eine leise Kadenz und begann dann zu improvisieren; er sang die Melodie leise mit und sprach zwischen den einzelnen Passagen mit mir.

»Das mag sie, mein Lieber. Sachte, sachte, Casanova. Komm, Mädchen, komm... Wenn du dir die entgehen läßt, Paul, werde ich dir nie verzeihen... Einen recht schönen guten Abend, Miß Hallstrom! Irgendeinen besonderen Wunsch?«

Wir waren Seite an Seite, unsere Gläser berührten sich fast, bevor sie mich erkannte.

Sie war überrascht. »Ach, Mr. Desmond! Die Welt ist doch klein.«

Gully Gordon war ein Schatz. Wie auf ein Stichwort fiel er ein: »Er ist ein alter Freund, Miß Hallstrom. Er macht sich nur sehr rar – er ist zu sehr damit beschäftigt, Geld zu scheffeln.«

»Es wird immer schwerer, Gully. Ich werde alt. Kommen Sie oft hierher, Miß Hallstrom?«

»Sie ist auch eine Freundin von mir«, sagte Gully. »Was kann ich für dich spielen, Mädchen?«

»Dir wird schon was einfallen, Gully. Spiel irgendwas. Sie haben wohl Ihren großen Tag gehabt, Mr. Desmond?«

»Paul... Und es war ein langer, hundsmiserabler Tag.«

»Mir ist es nicht viel besser gegangen.«

»Meiner ist noch nicht zu Ende. Sonst würde ich Sie zum Abendessen einladen.«

»Ich habe noch nicht zugesagt.«

»Wie wär’s mit morgen?«

»Wenn Sie wollen.«

»Wo soll ich Sie abholen?«

»Um halb acht in meiner Wohnung.«

»Worauf Sie sich verlassen können.«

»Wissen Sie, Sie sind eigentlich recht nett.«

»Ich weiß. Der Schuft ist mein Zwillingsbruder, und der hat heute abend frei.«

Es war ein alter Scherz, aber er entlockte ihr ein Lächeln, und wir zogen uns auf einen Wink von Gully in eine der Nischen zurück, wo wir über unseren Drinks der Musik lauschten.

Nach einer Weile sagte sie: »Gully’s Bar hat für mich eine ganz besondere Bedeutung.«

»Für mich auch. Ich war hier in der Nacht, als das Lokal eröffnet wurde. Alles, was ich besaß, war ein Haufen Schulden und die paar Dollars, die ich in der Tasche hatte.«

»Und?«

»Er muß mir Glück gebracht haben. Am nächsten Tag zog die Börse stark an, und ich machte ein kleines Vermögen.«

»Vielleicht haben Sie wieder Glück.«

»Das habe ich schon. Sehen Sie doch nur, was ich gefunden habe.«

»Und jetzt werden Sie fragen, was ein Mädchen wie ich in so einem Lokal zu suchen hat.«

»Nein, das werde ich nicht. Ich sage nur, dies ist eine einsame Stadt, und es ist nett, ein Lokal zu haben, wo man sich wohl fühlt und wo niemand fragt, wer man ist oder was man tut. Es ist jedenfalls besser, als eine Nummer in einer Datenbank zu sein.«

»Ein Philosoph dazu!«

»Nein. Ein nicht mehr ganz junger Mann mit Vergangenheit.«

»Ich finde, Sie haben sich recht gut gehalten.«

»Und Sie, kleine Valerie, sind noch wie aus dem Ei gepellt.«

»Gestern haben Sie aber anders gedacht.«

»Ich bin heute einen Tag älter.«

»Es tut mir leid, daß ich Ihnen so hart zusetzen mußte.«

»Die übliche Praxis?«

»Nein. Weisung. Und ich bekomme siebenhundertfünfzig die Woche mit Sonderzulagen dafür, daß ich tue, was man mir sagt.«

Wenn es ein Köder war, so war ich nicht bereit, anzubeißen. War es eine Indiskretion, so würden schon noch weitere folgen. Ich hatte das Gefühl, es sei jetzt Zeit, zu gehen.

»Sehen Sie, Valerie, ich reiße mich hier nur ungern los, aber ich muß. Mein Chef ist heute nachmittag angekommen. Ich muß mich noch umziehen, weil ich um acht mit ihm zu Abend essen muß. Es bleibt mir aber noch so viel Zeit, Sie nach Hause zu begleiten, wenn Sie wollen.«

»Vielen Dank, aber ich werde noch etwas bleiben.«

»Also dann bis morgen.«

»Ich freue mich darauf. Gute Nacht, Paul!«

Es endete mit einem Lächeln und einer flüchtigen Berührung der Hand. Ich bezahlte und brachte Gully noch einen Drink ans Klavier. Er spielte mit der linken Hand weiter, während er mir zutrank.

»Prost, mein Lieber! Du bleibst doch noch etwas hier, oder?«

»Ich komme bald wieder, Gully. Kümmer dich einstweilen um die Dame!«

»Bei meiner Ehre, Sir! Ich wünsche dir einen netten Abend.«

Als ich zum Dinner im Salvador ankam, traf ich Harlekin und Julie in gelöster und heiterer Stimmung an. Harlekin hatte während der Fahrt größtenteils geschlafen. Er hatte wieder Farbe im Gesicht. Er war begierig, meinen Bericht zu hören, aber Julie erklärte bestimmt, beim Essen werde über geschäftliche Dinge nicht gesprochen und sie würde uns anschließend allein lassen – vorausgesetzt, ich würde George vor Mitternacht ins Bett schicken. Ich hielt das für ein ausgezeichnetes Arrangement. Ich hatte keine Lust, von Aaron Bogdanovich während der Hammelkoteletts zu sprechen; und außerdem gab es einige unangenehme Dinge, die mit Harlekin persönlich beredet werden mußten. Ich erstattete ihm während des Mokkas Bericht.

Er hörte mir schweigend zu und stellte dann eingehende Fragen. »Wir führen also zwei Untersuchungen durch, die parallel nebeneinander herlaufen: eine durch Lichtman Wells, die sich der üblichen Methoden bedient, und die andere mit Aaron Bogdanovich, die illegal ist und zu Gewalttätigkeiten führen kann. Richtig?«

»Ja.«

»Währenddessen sind unsere Mitarbeiter unzufrieden und müssen irgendwie bei der Stange gehalten werden?«

»Das ist deine Aufgabe, George. Das läßt sich nicht durch einen Vertreter machen.«

»Und draußen haben wir Yanko, der jetzt auf eine Entscheidung binnen sechzig Tagen drängt?«

»Vielleicht in noch kürzerer Zeit. Er will sich mit dir eingehend unterhalten, sobald du dazu körperlich in der Lage bist.«

»Ich bin schon jetzt fit. Ich werde ihn in ein oder zwei Tagen anrufen.«

»Warum lassen wir ihn nicht noch etwas zappeln?«

»Weil er nicht zappelt, Paul – wir tun es. Mir gefällt das nicht. So, wie wollen wir jetzt weiter vorgehen?«

»Zunächst müssen wir uns über das, was wir haben, klarwerden. Die Leute von Lichtman Wells untersuchen die Manipulation des Computers. Das ist eine Abwehrmaßnahme, um die Bank und dich zu rehabilitieren. Aaron Bogdanovich ermittelt gegen Yanko. Das ist eine Offensivmaßnahme, um ihn und seine Gesellschaft als Urheber dieser Betrügereien zu überführen und in Mißkredit zu bringen.«

»Aber das ist noch nicht genug, nicht wahr?«

»Nein. Für mich bedeutet es achtundvierzig Stunden Arbeit; aber ich trete nur als Beauftragter, nicht als Chef auf.«

» Schön, kommen wir zur nächsten Frage. Yanko will eine Bank kaufen. Warum gerade die unsrige? Warum nicht Herman Wolff oder Laszlo Horvath, die beide gern verkaufen würden?«

»Harlekin et Cie. ist eben eine ältere und eher konservativ eingestellte Firma. Wir haben mehr Zweigniederlassungen – London, Paris und Hamburg, New York, Buenos Aires, Rio, Lissabon, Mexico City.«

»Das spielt sicher eine Rolle, reicht aber noch nicht aus.«

»Wir verwenden seine Systeme. Deshalb sind wir verwundbarer.«

»Weiter.«

»Das ist nach bestem Gewissen alles, was ich im Augenblick dazu sagen kann, George.«

»Dann werde ich dir zwei weitere Gründe nennen. Als Rückversicherer besitzen wir erhebliche Aktienpakete von Created Systems und deren internationalen Tochtergesellschaften. Deshalb stellen wir für die geschäftlichen Angelegenheiten der Firma eine oppositionelle Stimme dar.«

»Mir ist irgendeine Opposition bis jetzt nicht aufgefallen.«

»Glaub mir, sie besteht. Sie gilt zwar noch nicht als offiziell, aber sie sitzt tief und ist persönlich motiviert. Die größten Projekte von Creative Systems – diejenigen, an denen Yanko ganz persönlich besonders interessiert ist – liegen auf zwei miteinander verwandten Gebieten: in der Polizeidokumentation und in dem, was man ganz harmlos mit Städtewesen bezeichnet. In Wirklichkeit handelt es sich um die Überwachung, Erfassung, strategische Kontrolle und Manipulierung riesiger Menschenmassen auf allen Kontinenten der Erde. Das Instrumentarium existiert bereits, die Ausbildung des Personals ist schon angelaufen, bestehende Systeme werden erweitert und verbessert. Sie werden nicht nur gegen kriminelle Elemente, sondern auch gegen politisch Andersdenkende eingesetzt und sollen dazu dienen, das Schicksal des einfachen Mannes zu bestimmen. Sie führen unweigerlich zu Terror, Unterdrückung, Gegenterror und Folterkammern. Die Firma, die solche Systeme entwickelt und baut, befindet sich in einer ungeheuren Machtposition; sie genießt weitgehende Privilegien, auch unter gegnerischen Systemen und Staatsformen. Wenn sich eine solche Firma jetzt Zugang zum internationalen Geldmarkt verschaffen und die Probleme des Währungs- und Kreditwesens manipulieren kann, dann haben wir ein Imperium vor uns, für das es keine geographischen Grenzen mehr gibt... Ich beobachte diese Entwicklung seit geraumer Zeit. Ich habe letztes Jahr in London während eines Dinners im Kreise von Bankiers darüber gesprochen. Dabei habe ich versucht, zwischen dem gesetzlich legitimen Einsatz von Computern und denjenigen Fällen zu unterscheiden, wo die persönliche Freiheit bedroht wird. Über meine Rede ist, glaube ich, viel berichtet worden. Ich habe sie drucken lassen und an Freunde verschickt. Sie fand nicht bei allen eine freundliche Aufnahme. Auch Yanko erhielt ein Exemplar, aber er hat mir den Empfang nie bestätigt. Ich glaube jetzt, daß diese Rede sein augenblickliches Vorgehen gegen mich und gegen unsere Firma maßgeblich beeinflußt hat.«

»Ich gebe zu, daß dies durchaus möglich ist, George. Yanko ist ein zynischer Hund. So etwas scheint mir typisch für ihn zu sein. Aber ich sehe nicht, wie sich unsere gegenwärtige Lage dadurch ändern könnte.«

»Sie ändert sich dadurch auch nicht. Aber ich weiß jetzt wenigstens, wie ich vorzugehen habe.«

»Aber laß dir sagen, George, daß wir ohne Beweise nichts unternehmen können – Beweise, die dich entlasten und Yanko hinter Gitter bringen.«

»Ich bin anderer Meinung, Paul. Ich muß eine große Gesellschaft leiten. Ich muß mich ganz offen mit einer bestimmten Situation in der Öffentlichkeit auseinandersetzen. Ich kann es mir einfach nicht leisten, daß Yanko, du oder irgend jemand anders mich in eine bestimmte Rolle hineinzwingt.«

»Aber wir haben Bogdanovich angeheuert. Du gibst mir recht, daß wir ihn brauchen. Ich finde, du solltest dich mit ihm aussprechen, damit ihr eure Maßnahmen koordinieren könnt.«

Er dachte einen Augenblick darüber nach, dann lächelte er auf seine spitzbübische, entwaffnende Art. »Die Maulwürfe unterhöhlen die Mauern, während Harlekin auf dem Marktplatz seine Späße treibt, um die Bevölkerung abzulenken. Das hat Sinn. Verabrede einen Termin so bald wie möglich.«

Beim Weggang betrat ich im Foyer die Telefonzelle und rief Bogdanovich an. Ich weiß nicht, warum – vielleicht weil ich müde war und gern etwas plaudern wollte –, jedenfalls zitierte ich den Satz über die Maulwürfe und die Komödianten. Bogdanovich schien einigermaßen belustigt. Er fügte ergänzend hinzu: »Ja, ja, die Komödianten! So gehen wir alle lachend in den Tod! Wir treffen uns um zehn, beim Affenhaus im Central Park.«

Merkwürdigerweise war die Begegnung dieser beiden so grundverschiedenen Charaktere ein voller Erfolg. Einen langen Augenblick maßen sie einander, während die Affen schnatternd herumtollten; dann lächelten sie, schüttelten sich die Hand und schritten in den Sonnenschein hinaus; ich selbst ging einen Schritt hinter den beiden, während die Leibwächter, zwei unrasierte junge Männer, zehn Schritt entfernt zu beiden Seiten die Abschirmung übernahmen. Harlekin und Bogdanovich schlenderten langsam dahin, als habe die Zeit keinerlei Bedeutung für sie. Sie sprachen zunächst tastend und zurückhaltend, dann flüssiger, aber stets so, daß man die Achtung spürte, die sie voreinander empfanden, und merkte, daß es jedem darauf ankam, beim anderen Verständnis zu erwecken. Harlekin, der Beredsame, war ruhig und hielt mit seinen Vorbehalten nicht hinterm Berg; Bogdanovich, der Mann der Gewalt, fühlte sich gezwungen, nach einer Rechtfertigung für sich und seinen Beruf zu suchen.

»...Sehen Sie, Mr. Harlekin, die Gewalt fängt an, wenn man mit vernünftigen Argumenten nicht mehr weiterkommt.«

»Ich weiß. Aber die Sache hat auch noch eine andere Seite. Ich kann stundenlang über dem Cognac debattieren, während Sie vor meiner Tür nach einem Glase Wasser lechzen und verdursten. Und zwischen uns steht mein Butler, der Verräter, der mir um den Bart geht und Sie sterben läßt, um sich zu bereichern. Wie lösen wir dieses Problem?«

»Ich habe es mit Hilfe der alten Formel gelöst: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Leben um Leben. Keine Fragen, kein Mitleid, keine Schuld.«

»Während ich für alles, was ich tue, nach einer Absolution suche. Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten. Ich suche Zuflucht in meinem Namen: Harlekin, ein Clown. Dem Clown wird immer verziehen, denn sogar mit seinen Bosheiten bringt er die Leute zum Lachen.«

»Während der Scharfrichter ein Mann ohne Namen ist, der hinter einer Maske lebt. Glauben Sie, daß Sie einen Menschen töten könnten, Harlekin?«

»Ja, ich könnte in Versuchung geraten.«

»Aber die eigentliche Tat – der letzte, unwiderrufliche Akt–, der Finger, der am Abzug zieht, der Daumen auf der Klinge und die Hand, die den Schlag führt – ja oder nein?«

»Wie kann ich das vor dem entscheidenden Augenblick wissen?«

»Sie können es nicht. Hinterher, ja. Dann ist es eine einfache Sache: Reiz, Reaktion, rationale Überlegung, Schlaf. Mörder haben, wie Ehebrecher, stets einen guten Schlaf; aber ein Brotkrümel im Bett treibt sie zum Wahnsinn.«

»Mr. Bogdanovich, was sollte ich Ihrer Ansicht nach tun?«

»Ihr Freund hier, Mr. Desmond, sagt mir, daß Sie sich als Komödianten betrachten. Sie unterhalten die Stadt, während wir die Festung unterminieren.«

»Das war eine Selbstgefälligkeit. Aber es liegt auch ein Körnchen Wahrheit darin. Ich trage Verantwortung, man bringt mir Vertrauen entgegen, ich muß eine Rolle spielen. Die Rolle zieht das Vertrauen nach sich. Das Vertrauen schafft die Rolle. Basil Yanko sitzt im selben Boot. Er ist ein Genie. Wird er als solches erst einmal anerkannt, muß er sich jeden Tag und jede Stunde bewähren.«

»Wie wollen Sie also mit ihm verfahren, Mr. Harlekin?«

»Verhandeln, wenn ich kann, um Zeit für Ihre Ermittlungen zu gewinnen. Kann ich es nicht, werde ich ihm die Stirn bieten und bis zum Äußersten gehen, um sein Angebot zu Fall zu bringen.«

»Mr. Harlekin, Sie wissen, daß in dem, was wir vorhaben, Gefahren liegen.«

»Paul hat sie mir erläutert.«

»Sie haben eine Frau und ein Kind. Sie sind sich doch darüber im klaren, daß Sie beide einem Risiko aussetzen?«

»Meine Frau akzeptiert es – wünscht es.«

»Warum?«

»Weil es etwas ist, was sie ganz mit mir teilen kann.«

»Ist es Ihnen schwergefallen, das zuzugeben?«

»Das wissen Sie selbst. Fällt Ihnen eigentlich etwas schwer, Mr. Bogdanovich?«

»O ja.«

»Und zwar?«

»Das: im Sonnenschein spazierenzugehen und den Frauen nachzuschauen; sie besitzen zu wollen; zu wissen, daß ich, wenn ich mit ihnen schlafe, schreiend aufwache, weil ich mit den Toten geschlafen habe; die Kinder zu sehen und zu wünschen, sie wären die meinigen, und zu wissen, daß ich keine Kinder haben darf, denn die Ungeheuer werden sie schließlich auffressen. Wir sollten uns nicht zu oft treffen, Mr. Harlekin.«

»Nein. Das sehe ich ein.«

»Mr. Desmond wird die Verbindung zwischen uns aufrechterhalten.«

»Ja.«

»Wenn Sie mit Basil Yanko verhandeln, vergessen Sie eines nicht: Er hat kein Verständnis für Clowns. Er fürchtet sich vor ihnen.«

»Warum?«

»Er hat nie gelernt, über sich selbst zu lachen. Er wird jeden umbringen, der über ihn lacht.«

»Dann tut er mir leid.«

»Auch dafür wird er Sie töten. Ich freue mich, daß wir uns kennengelernt haben, Mr. Harlekin. Ich bedauere, daß der Preis so hoch ist.«

»Es ist doch nur Geld.«

»Gerade das ist ja so schändlich, Mr. Harlekin. In unserer Welt wird ein Mann mit Geld gemessen. Viel Glück!«

»Ich danke Ihnen, mein Freund.«

»Vielen Dank. Lassen Sie von sich hören, Mr. Desmond.«

Dann ging er, eine hagere, dunkle Gestalt, die sich, gefolgt von seinen Wächtern, über den Parkrasen entfernte.

George Harlekin sah ihm schweigend nach, bis er hinter dem Hügel verschwunden war; dann drehte er sich zu mir um und fragte schlicht: »Paul, wie sagen wir es Julie?«

»Müssen wir überhaupt?«

»Ja. Ich glaube, wir müssen.«

Ich war dabei, als er mit ihr sprach. Ich wollte eigentlich nicht, aber sie bestanden beide darauf, als wäre ich ein Lexikon, in dem sie beide nachschlagen konnten, um sich voreinander besser ausdrücken zu können. Juliette stellte nur wenige Fragen, sie protestierte nicht. Es war, als begriffe sie zum erstenmal die volle Bedeutung ihrer eigenen aggressiven Einstellung. Harlekin andererseits redete heftig und erregt, als sei ihm plötzlich eine persönliche Offenbarung zuteil geworden.

»... Julie, es war, als spräche man mit einem Mann, der aus dem Jenseits zurückgekommen war – mit jemandem, der die Kontinuität der Dinge verstand, die schreckliche Wiederholung der menschlichen Bosheit und Tragik. Bis jetzt haben wir beide uns damit nicht auseinandersetzen müssen. Jetzt müssen wir es. Und es geht um etwas Sinnloses – um eine Bank, um ein Depot aus Papier: Gulden, Franken, Dollars. Gerade das habe ich immer verachtet – das Vergängliche. Wir kommen ohne alles. Wir gehen ohne alles. Aber ich habe erkannt, daß es auch eine magische Kraft besitzt. Hältst du es in der Hand, wird es zum Zauberstab. Das ist es, was Männer wie Yanko wollen: den Zauberstab, der Heere aus der Drachensaat beschwören kann. Und wir sagen: nein! Wir sind die Zauberer des Guten. Wir wollen euch Weizen statt Kanonen geben. Wollen wir es? Geben wir ihn euch? Ich kann keinen Eid darauf ablegen. Und dennoch kann ich die Lampe nicht verkaufen und dann ruhig zusehen, wie sich die Janitscharen aus dem Staub erheben. Warum nicht, Julie? Die Janitscharen werden dich und mich und das Baby bewachen. Warum sollten wir uns um die anderen kümmern, um die wir uns noch nie gekümmert haben? Warum, Paul?«

Ich war müde geworden. Ich wollte den Monolog beenden und gehen. »Warum sollten wir? Ich weiß es nicht. Warum tun wir es?... Ja, bei Gott, das weiß ich! Weil eines Tages, noch vor Sonnenaufgang, die Glocke läutet und die Häscher an der Tür stehen. Sie wollen mich holen, weil ich die falsche Nase oder die falsche Hautfarbe habe, oder weil ich auf der falschen Liste stehe und niemand sagen wird, wer meinen Namen auf die Liste gesetzt hat. Dann brauche ich Freunde. Ich brauche Brüder und Schwestern. Schickt mich in die Hölle, und ich brauche sie!... Es gehört alles euch, Kinder. Ich habe noch zu tun. Wir treffen uns in der Bank nach dem Lunch, George. Der kleine Junge aus Boston will, daß du ihm die Hand hältst.«

Als ich durch das Foyer im Salvador ging, blieb ich vor dem Fernschreiber stehen, um die Börsennotierungen zu überfliegen. Etwa in der Mitte war eine Nachricht eingefügt:

Yanko macht Kaufangebot für europäische Bank. Mr. Basil Yanko, Präsident von Creative Systems Incorporated, gab heute morgen bekannt, daß er ein Barangebot von einhundert Dollar je Aktie für die gesamten Anteile der Schweizer Handelsbank Harlekin et Cie. abgegeben habe. Das Angebot, in dem eine größere Prämie enthalten ist, ist auf sechzig Tage terminiert. Mr. Yanko wies darauf hin, daß die Strukturierung seiner Gesellschaft es ihm ermögliche, die Bestimmungen der Schweizer Gesetze in bezug auf einheimische Firmen einzuhalten. Mr. George Harlekin, Präsident von Harlekin et Cie., der soeben nach einer ernsten Erkrankung aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, stand für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Andere Aktionäre erklären, sie hätten das Angebot erhalten, lehnen aber im gegenwärtigen Stadium jeden Kommentar ab.

Ich riß das Blatt ab, faltete es zusammen und gab es einem Pagen mit dem Auftrag, es George Harlekin zu bringen. Es kostete mich einen Dollar; aber was war schon ein Dollar gegen all die Janitscharen, die wie Pilze an allen Ecken und Enden aus der Erde schössen? Es war zwölf Uhr dreißig; draußen schien die Frühlingssonne. Ich riß mich zusammen und schritt, hocherhobenen Hauptes, in den Club, um unseren Kollegen entgegenzutreten.

In den ersten zehn Minuten nach meiner Ankunft wurden mir so viele Drinks angeboten, daß man damit einen Pharao hätte einbalsamieren können. In den nächsten zwanzig wurde ich von Freunden, Bekannten und namenlosen Gestalten belagert, die aus dem Unterholz hervorgekrochen zu sein schienen. Alle stellten dieselben Fragen: »Werdet ihr verkaufen? Sie meinen, die Prämie ist echt?... Nicht an Yanko?... Um Himmels willen, Paul, bevor ihr auch nur einen einzigen Schritt unternehmt, kommt lieber erst zu uns... Ist Harlekin wieder auf den Beinen?... Es ist nicht der große Unbekannte, oder?... Wir haben gehört ...«

Sie hatten gehört, geraten, geträumt, und sie würden es bei jedem neuen Gerücht wieder tun. Da ich wußte, daß sie mir doch nicht glauben würden, erzählte ich ihnen die simple Wahrheit: »Ja, das Angebot ist echt. Ja, es enthält eine Prämie. Nein, wir akzeptieren nicht, und wir finden, daß es ein schmutziger Trick ist, mit dem Angebot an die Öffentlichkeit zu treten, bevor es zwischen den Parteien auch nur zur Sprache gekommen ist. Nein, es ist nicht der große Unbekannte. Harlekin ist auf den Beinen und wehrt sich seiner Haut. Wenn Sie mir nicht glauben, laden Sie ihn doch zum nächsten Clubabend ein.«

Ich weiß nicht, warum ich mich zu dem letzten kleinen Zusatz hinreißen ließ, aber Herbert Bachmann hörte ihn, zog mich aus der Menge mit sich fort und kommandierte mich zum Lunch an seinen Tisch. Herbert ist ein gewaltiger alter Haudegen, dessen Vorfahren noch wie wandelnde Wechselstuben die Kurszettel im Zylinder auf der Straße mit sich herumtrugen. Er war seinerzeit ein hartgesottener Geschäftsmann, aber er hat meines Wissens niemanden hintergangen, und ich würde seinen Handschlag einem Dutzend notariell beglaubigter Unterschriften seiner jüngeren Kollegen vorziehen. Seine Fragen waren scharf, fast verletzend, doch seine innere Anteilnahme war echt; und ich wollte ihm gegenüber so aufrichtig wie möglich sein.

»Dieser Bursche, Basil Yanko – was halten Sie von ihm, Paul?«

»Er ist ein Genie. Er ist gefährlich und hat Manieren wie ein Schwein.«

»Vielleicht kann ihm seine Mutter ein paar gute Seiten abgewinnen, eh? Er ist also ein Schwein; aber Harlekin kauft seine Aktien und verwendet seine Systeme. Warum?«

»Weil Sie und die anderen, wenn er es nicht täte, den Bissen wegschnappen würden.«

»Das macht aus Harlekin genauso eine Hure wie uns.«

»Nur steht es ihm besser, Herbert.«

»Ach was! Der Schweizer Hochglanz, die Leidenschaft für Präzision – das alles geht so ticktack genau wie ihre dummen Kuckucksuhren! So, was ist eigentlich an dem Gerücht über Defizite dran?«

»Ich weiß es nicht. Was haben Sie denn gehört, Herbert?«

»Sie haben Ermittler angeheuert, stimmt’s?«

»Wo haben Sie das gehört?«

»Man spricht davon... Ärgern Sie sich nicht, Paul. Sie wissen doch, wie so etwas hier die Runde macht. Kneifen Sie Ihrer Sekretärin in den Po, und sofort wird daraus eine Schlagzeile in der Presse. Also, wie tief sitzt ihr drin?«

»Herbert, ist das nun eigentlich Busineß oder Vergnügen?«

»Für Sie, Paul, reines Vergnügen. Für mich – Busineß. Ich lebe hier. Ich sitze in Ausschüssen und versuche, unseren Beruf sauberzuhalten. Das ist ohnehin schon schwer genug, aber nach Vesco und Cornfeld hat uns Basil Yanko gerade noch gefehlt. Reden wir doch offen miteinander, Paul. Wenn Harlekin Hilfe braucht, werde ich dafür sorgen, daß er sie bekommt.«

»Was wir brauchen, sind Schweigen und Diskretion, Herbert.«

»Von meiner Seite sowieso selbstverständlich, das sollten Sie allmählich wissen.«

»Gut! Das Defizit beträgt fünfzehn Millionen.«

»Das reicht, mein Gott!«

»Wir können es decken, kein Problem. Das eigentliche Problem liegt darin, daß wir glauben, man hat unsere Computer manipuliert.«

»Das liegt auf der Hand – aber wer?«

»Der Bericht behauptet, Harlekin habe es selbst getan. Wir glauben, es war Yanko.«

»Solange Sie das nicht beweisen können, ist es üble Nachrede, Paul.«

»Ich weiß. Aber an demselben Tag, als Yanko mir den Bericht übergab, gab er außerdem bekannt, daß er Harlekin et Cie. aufkaufen wolle. Das Angebot ist jetzt da – einhundert Dollar je Aktie.«

»Was sind sie wirklich wert?«

»Fünfundachtzig... neunzig, wenn man ein Optimist ist.«

»Nicht schlecht. Unsere Kalkulatoren bewerteten sie mit dreiundachtzig bis siebenundachtzig. Wird Harlekin annehmen?«

»Nein.«

»Und die kleineren Aktionäre?«

»Einige werden wegen der Prämie verkaufen. Andere werden allein schon wegen des Gerüchts verkaufen, daß jemand die Finger in der Ladenkasse gehabt hat.«

»Warum kauft dann Harlekin die Anteile der Kleinaktionäre nicht auf?«

»Dazu müßten wir alles verpfänden. Er kann es sich nicht leisten, hundert Dollar je Aktie zu zahlen und gleichzeitig ein Defizit von fünfzehn Millionen abzudecken.«

»So kommt also Yanko in euren Aufsichtsrat.«

»Nur über unsere Leichen.«

»Meinetwegen... Was will Harlekin denn dagegen tun?«

»Tut mir leid, Herbert, aber das müssen Sie ihn selber fragen.«

»Das will ich auch. Sagen Sie ihm, er möchte mich heute abend zu Hause anrufen. Hier ist meine Nummer.«

»Danke, Herbert.«

»Keine Ursache. Ich bin ein Interessent. Wenn ich sehe, daß all diese Macht und all dieses Wissen in einer Maschine beschlossen liegen, fange ich an zu zittern. Man kann gegen den Computer nicht streiken. Man kann ihn nicht vor Gericht bringen. Aber ein Mann, den Sie nie gesehen haben, kann einfach ablesen, was Sie zu Abend gegessen haben und was Sie mit Ihrer Frau im Bett getrieben haben. Manchmal bin ich froh, daß ich ein alter Mann bin und den meisten Konsequenzen aus dem Weg gehen kann. Trinken wir noch einen Brandy. Sonst werde ich noch ganz trübsinnig.«

Es war kurz nach drei, als ich in die Bank kam. Harlekin war schon da und übergoß in seiner gewinnenden Art Larry Olivers verletzte Gefühle mit Balsam. Es war ein meisterhafter Auftritt, voll feinster Schmeicheleien und Appellen an Tradition und Ritterlichkeit und an die Einsicht, wie notwendig es doch sei, gerade jetzt gegen die Übergriffe von Leuten aus der Gosse fest zusammenzustehen. Zum Schluß schnurrte Larry wie ein Kater, dem man süße Sahne um den Bart geschmiert hat.

Draußen im Sitzungssaal steuerte Saul Wells die Arbeit zweier genialer Jünglinge, die dabei waren, Computerformulare mit dem Sicherheitsreport zu vergleichen. Er zog mich zum Fenster und sagte mit bedauernder Anerkennung in der Stimme:

»Es ist simpel, daß es geradezu eine Schande ist, dafür auch noch Geld zu nehmen. Drei verschlüsselte Instruktionen: erstens, die Abbuchungen vorzunehmen; zweitens, die betreffenden Summen auf ein vorläufiges Konto einzuzahlen; drittens, die Überweisungen jeden Montag fernschriftlich nach Zürich vorzunehmen. Die ursprünglichen Instruktionen wurden am 1. November des vergangenen Jahres in den Computer eingegeben. Wir haben die Eintragungen im Terminkalender des Managers überprüft. Mr. Oliver war auf Urlaub. Er wurde von Mr. Standish vertreten, der die Instruktionen nicht erwähnt. Allerdings befand sich Mr. Harlekin ungefähr zu diesem Zeitpunkt in New York. Das ist Punkt eins. Punkt zwei ist, daß der Programmierer des Computers im Januar aus Gesundheitsgründen ausgeschieden ist. Es handelt sich um eine Frau, Ella Deane; wir haben die Nummer ihrer Versicherungskarte und auch ihre letzte bekannte Anschrift in Queens. Sie wird sofort überprüft werden. So, wenn wir jetzt vielleicht ein wenig mit Mr. Harlekin plaudern könnten...«

Aus der »Plauderei« wurde rasch ein Feuerhagel von Fragen, die sogar mich überraschten. Harlekin ließ die Vernehmung jedoch mit lächelndem Gleichmut über sich ergehen. Er sei in der fraglichen Zeit tatsächlich in New York gewesen. Er habe in der Tat Aktenvermerke angefertigt und Briefe zu verschiedenen Themen diktiert. Diese Schreiben befänden sich alle in einer Kassette im Tresorraum. Solle er sie vorlegen? Mit Vergnügen. Die Akte wurde vorgelegt. Gemeinsam gingen sie die Unterlagen durch; Harlekin bestätigte jedes einzelne Dokument und übergab es Wells, der auf jedes seine eigene Chiffre setzte. Alle handelten von Fragen der Geschäftsführung. Aus keinem dieser Papiere ließ sich eine Instruktion herauslesen, in den Computer einen Dauerauftrag einzugeben.

Dann bat Saul Wells Harlekin, seine Unterschrift und seine Initialen ein halbes Dutzend Mal in rascher Folge niederzuschreiben. Auch wenn er hastig schrieb, blieben seine Schriftzüge klar und offen und zeigten am Ende des letzten Buchstabens einen kleinen, fast trotzig wirkenden Schnörkel.

Wells brummte mißvergnügt: »Als ob man auf ein Scheunentor schießt. Ich könnte diese Unterschrift nach fünf Minuten Übung selber nachmachen. Schauen Sie zu!«

Fünf Minuten nach der Uhr übte er die Unterschrift und produzierte schließlich ein durchaus respektables Faksimile. Aber er war noch nicht befriedigt. Er bat um Harlekins Scheckbuch und unterzeichnete einen Scheck auf eintausend Dollar. Ich brachte ihn zu Larry Oliver und ersuchte ihn, den Scheck für die Kasse gegenzuzeichnen. Mit seiner gewohnten Genauigkeit prüfte er das Datum, die Summe, den Betrag in Worten und die Unterschrift. Dann zeichnete er den Scheck gegen und klingelte nach dem Hauptkassierer.

Ich nahm ihm den Scheck aus der Hand. »Verzeihung, Larry, es war nur ein Test. Der Scheck ist gefälscht.«

Wir versuchten das gleiche Manöver bei dem Kassierer – mit dem gleichen Ergebnis. Ich konnte der Bemerkung nicht widerstehen, daß der gute Ruf der anständigsten Menschen ohne ihr Wissen in den Dreck gezogen werden kann. Immerhin machte Oliver uns das Vergnügen, dumm dreinzuschauen. Saul Wells amüsierte sich. Harlekin machte einen sehr unglücklichen Eindruck.

»Aber so etwas könnte immer wieder geschehen. Wie viele Tausende meiner Unterschriften wohl auf Briefen, Schecks, Kreditkarten in der Welt herumgeistern? Das ist ja ein Alptraum!«

»Aber sehr lehrreich.« Saul Wells war plötzlich nachdenklich geworden. »Die Unterschrift ist so leicht zu fälschen. Warum haben Sie nicht auch ein Memo zu den Akten getan, nur um das Bild abzurunden?«

»Diese Frage kann ich beantworten.« Harlekin war seiner Sache sicher. »Es würde nicht meinem Stil entsprechen, ein solches Memo zu unterzeichnen. Ich würde den Manager übergehen – so etwas tue ich nie. Der Betrug wiederholte sich außerdem in anderen Zweigniederlassungen. Man hätte keine Garantie gehabt, daß ich mich zur fraglichen Zeit in, sagen wir, Buenos Aires aufgehalten habe. Es ist besser, Konfusion am Ausgangspunkt und völlige Sicherheit an der Stelle zu haben, wo das Geld eingeht: in der Züricher Unionsbank.«

Saul Wells steckte sich eine neue Zigarre in den Mundwinkel und umgab sich mit einer Rauchwolke. »Ja! Das nehme ich Ihnen ab. Erleichtert auch den Fall für den Staatsanwalt. Daran sollten wir auch denken, Mr. Harlekin. Bis jetzt sind wir sechs Millionen auf die Spur gekommen, die allein aus New York verschwunden sind. Jeder Ihrer Klienten ist mit illegalen Spesen belastet worden. Jeder einzelne könnte hier in New York Anzeige erstatten. Die Anschuldigungen könnten sich als nicht stichhaltig erweisen, aber sie wären auf jeden Fall höchst peinlich.«

Harlekin

Подняться наверх