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TL-57/365

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Als Aura geboren wurde, hörte gerade die lange Regenzeit auf und die Sonne zeigte sich wieder am Himmel. Sie war das erste Kind ihrer Mutter. Nachdem Aulis ihre Tochter das erste Mal schreien hörte, hatte sie Tränen der Freude in ihren Augen.

Die Gott-Menschen hatten Aura nach einiger Zeit mitgenommen, was ihre Mutter beunruhigte. Doch dann blinkte der Chip unter der Haut ihres Unterarms auf und sie entspannte sich. Schließlich bekam sie Aura wieder in die Arme gelegt. Die Gott-Menschen hatten sie gewaschen, gewickelt und ihr auch einen Chip unter die Haut gesetzt.

Ganz friedlich sah sie Aulis an, neugierig auf die Welt, in die sie hineingeboren wurde.

Man ließ Mutter und Tochter noch einige Tage in dem Raum, der für die Geburt vorbereitet worden war. Erst danach wurde die Tür geöffnet und Aulis konnte den anderen Menschen ihre Tochter zeigen.


Aura war ein aufgewecktes Kind. Ständig war sie in Bewegung, kletterte auf die Äste oder tobte über die Außenfläche. Da sie seit langem das erste Kind war, das in TL-57/365 geboren worden war, musste sie sich oft mit sich selbst beschäftigen. Also erfand sie Lieder oder sang die nach, die die anderen ihr beibrachten, spielte mit unsichtbaren Freunden oder kletterte so hoch, dass ihre Mutter oft Angst bekam.

Sie war immer sehr froh, wenn die Gott-Menschen sie zu sich in ihren metallischen Raum holten. Dass bedeutete Abwechslung. Meistens wartete dort ein Gott-Mensch auf sie, vermummt durch einen grauen Anzug, der seinen ganzen Körper einhüllte. Aura sollte kleine Bilderrätsel lösen, sich auf ein Bein stellen oder ihre kleinen Zähne herzeigen. Hin und wieder bekam sie eine Spritze, das gefiel ihr gar nicht. Aber dann blinkte der Chip in ihrem Arm und sie wurde ruhig.

Anfangs hatte Aulis ihre Tochter noch zu den Gott-Menschen begleitet, doch Aura zeigte keine Scheu, weshalb das bald nicht mehr nötig war.

Die Gott-Menschen waren sehr zufrieden mit Aura. Sie entwickelte sich arttypisch und ihr Verhalten ließ auf eine hohe Intelligenz schließen. Zudem war sie furchtlos und freute sich über Belohnungen in Form von Obststückchen. Lediglich ihr Haar hatte nicht die gewünschte Farbe. Anstatt feuerrot zu leuchten wie das ihres Vaters – einem alten, wohlgedienten Zuchtmenschen – war es lachsfarben. In Verbindung mit ihrer blassen Haut und den Sommersprossen konnte man jedoch davon ausgehen, dass sie die richtigen Gene in sich hatte. Mit einem passenden Partner wäre eine Weiterzucht rothaariger Menschen also durchaus möglich.


Als Aura gerade die zweite Regenzeit erlebte und eine Zeit-Wende bevorstand – sie freute sich schon wieder auf die Sonne und die einkehrende Ruhe, wenn die Wassertropfen nicht mehr gegen die Schutzkuppel des Außenbereichs prasseln würden – als ihre Mutter gemeinsam mit ihrem Vater in einen abgetrennten Bereich gebracht wurden. Aulis versprach ihrer Tochter, dass nichts Schlimmes geschehen würde. Zusammen mit dem Blinken des Chips beruhigte das Aura.

Die anderen Menschen kümmerten sich gut um sie. Immer wieder fragten sie, ob Aura sich auf ein Geschwisterchen freuen würde, doch zuerst konnte sie mit dem Wort gar nichts anfangen. Doch als sie endlich verstand, wovon alle sprachen, wurde sie ganz aufgeregt. Womöglich hätte sie bald einen Spielkameraden!


Nach einigen Tagen kamen Aulis und Auras Vater wieder zu den anderen Menschen. Während er sich wieder seinem angestammten Platz an einem Fenster, das zum Außenbereich zeigte, widmete, nahm Aulis ihre Tochter freudig in den Arm.

„Wo ist mein Geschwisterchen“, fragte diese neugierig.

Aulis sah sie überrascht an, dann lachte sie. „Das dauert noch etwas.“

Das war nicht die Antwort, die Aura sich gewünscht hatte. „Und wie lange?“

Behutsam legte Aulis eine Hand auf ihren Bauch. „Es muss erst wachsen.“

„Wie lange“, unterbrach Aura barsch. Momentan war sie nicht sonderlich geduldig.

„Etwa so lange, wie es von einer Zeit-Wende zur nächsten dauert.“

Enttäuscht drehte Aura sich weg. Ihr Spielkamerad würde erst kommen, wenn es wieder zu regnen anfangen würde? Das würde ja noch eine halbe Ewigkeit dauern!

Diese Enttäuschung zeigte sie auch die kommenden Tage deutlich. Genervt kickte sie kleine Bälle gegen die Wände, antwortete pampig auf Fragen und selbst die Aufgaben der Gott-Menschen konnten sie nicht begeistern.


Der Bauch von Aulis wurde immer dicker. Als Aura dachte, ihre Mutter müsste bald platzen, spürte sie manchmal ihr Geschwisterchen darin treten. Das faszinierte sie sehr. Doch ansonsten war sie die Warterei leid. Auch fühlte sich Aulis oft nicht gut, weshalb sie viel Zeit in ihrer Schlafkoje verbrachte. Aura beschäftigte sich wieder viel mit sich selbst und verbrachte die meiste Zeit in dem Außenbereich ihres Geheges. Dort gab es einen Berg, Bäume zum darauf klettern und sogar Wasserbecken. Letztere mied Aura jedoch. Viel lieber rannte sie umher oder versuchte, den Bereich hinter der Schutzkuppel von einem Baum aus zu sehen. Dort liefen viele Gott-Menschen umher, jedoch ohne die Schutzanzüge, die sie trugen, wenn sie mit den Menschen hier Kontakt aufnahmen. Sie waren größer als die Menschen und um einiges dünner. Mit großen Augen sahen sie in das Gehege und zeigten mit ihren langen Fingern auf sie. Manchmal bekam Aura Angst, wenn sie die Gott-Menschen so sah. In ihren grauen Anzügen waren sie ihr viel lieber.


Eines Tages bemerkte Aura, als sie gerade bis zu den Knöcheln in einem Wasserbecken stand, eine flinke Bewegung neben ihr. Irgendetwas Kleines huschte über den Boden. Neugierig folgte sie ihm. Es rannte zu einem Baum und versteckte sich in dem hohen Gras, das darunter wuchs. Soweit Aura es gesehen hatte, hatte es einen langen Schwanz und einen pelzigen Körper. Doch immer, wenn sie näher an es herantrat, huschte es weiter, um sich an einem anderen Ort zu verstecken.

Irgendwann bemerkte ein junger Mann, der in einem Wasserbecken schwamm, das kleine Kind. „Aura, was tust du da? Hör auf mit dem dämlichen rumgehopse.“

„Aber da ist etwas“, verteidigte sie sich.

„Ach, und was“, spottete er.

Aura zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Es ist klein und pelzig und furchtbar schnell.“

Nun war er neugierig geworden und kam aus dem Wasser. Er griff nach einem weißen Handtuch und seiner beigen Kleidung, während er vorsichtig näher kam. Er sah anders aus als Aura. Sein Haar war tiefschwarz, seine Haut dunkler und die Augen geformt wie die Mandeln, die sie manchmal als Belohnung für gutes Benehmen bekamen.

Als er neben Aura stand, huschte das kleine Tier weiter. Er erschrak fürchterlich. „Aura, halt dich davon fern!“

„Aber wieso denn?“

Doch bevor er ihr diese Frage beantworten konnte, stürmten Gott-Menschen in das Außengehege. Ihre grauen Schutzanzüge schimmerten im Sonnenlicht. Sie trieben Aura und den jungen Mann in den Innenbereich, wo bereits die anderen Menschen warteten. Sie waren alle ganz aufgeregt.

Aura wurde in einen der Untersuchungsräume gebracht, doch wartete dort keine Aufgabe auf sie. Man zog ihr ihre beige Hose und ihr Oberteil aus, sogar die Unterwäsche. Danach kam ein großer Gott-Mann mit Schere und Rasierer auf sie zu. Noch bevor sie begriff, was geschah, schnitten sie ihr ihren Haarzopf ab und rasierten ihr den Kopf. Sie begann zu schreien und zu weinen. Dann begann der Chip in ihrem Arm zu blinken, doch das beruhigte sie nur kurz. Sie gaben ihr eine Spritze, die schrecklich unter der Haut brannte und zu allem Überfluss wurde sie mit kaltem Wasser, das nach irgendetwas roch, das sie nicht kannte, abgespritzt.

Als die Gott-Menschen fertig waren, war Aura kalt, verängstigt, ihr Arm tat weh und alle Haare waren ihr abgeschnitten worden. Tränenüberströmt lief sie zu ihrer Mutter. Auch diese war – wie alle anderen Menschen – mit dem kalten Wasser abgespritzt worden, doch ihre roten Haare hatte sie noch. Nur der junge Mann mit den Mandelaugen hatte auch alle Haare verloren.

Man versuchte, Aura zu trösten, ihre Haare würden ja wieder nachwachsen, doch das half nichts. Was für eine schreckliche Ungerechtigkeit!

Den Außenbereich durften sie einen ganzen Tag lang nicht betreten. Danach lag noch einige Zeit ein unbekannter Geruch in der Luft.

Aura würde nie wieder in ihrem Leben ein pelziges Tierchen sehen.


Aulis ging es immer schlechter. Sie hatte fürchterliche Rückenschmerzen, ihr war übel und somit blieb sie lange in ihrer kleinen Schlafkoje, die Decke über den Kopf gezogen, liegen. Da sie auch Auras Geplapper und Unruhe nicht ertrug, brachte man die Kleine zu Omi.

Omi war eine sehr alte Frau, die älteste im Gehege, sogar älter als Auras Vater. Beinahe schwarz zog sich ihre Haut über den dünnen Körper. Ihr Haar war ganz kurz geschoren, nur tiefschwarze Locken waren zu sehen. Das hatte aber nichts mit dem Pelztier zu tun. Sie trug ihr Haar immer sehr kurz.

Aura mochte Omi gerne. Sie war sehr ruhig und entspannt und hörte sich mit einem sanften Lächeln all die Geschichten an, die ihr das kleine Mädchen erzählte. Wenn die Gott-Menschen verschiedenes Obst, Messer und eine Schüssel ins Gehege brachten, machte Omi daraus immer einen Obstsalat. Wenn sie vorsichtig war, durfte Aura ihr und den anderen Menschen helfen, die Bananen zu schälen oder einen Apfel zu schneiden. Hin und wieder stibitze sie natürlich das ein oder andere Stück. Dabei glaubte Aura fest, niemand hätte das bemerkt. Doch Omi hatte sie immer mit einem wissenden Lächeln im Blick.

Eines Tages strich Omi gedankenverloren über Auras Kopf. „Sieh doch, deine Haare wachsen schon wieder. Sie sind sicher schon so lang wie meine.“

Aura befühlte ihren Kopf, um die Aussage zu überprüfen. Dann nickte sie. Es gefiel ihr zwar nicht, dass ihr die Haare abrasiert wurden, doch störten sie so auch nicht beim herumtoben.

Dann sah sie lange Omi an. „Wieso siehst du so anders aus?“

Die alte Frau hielt in ihrer Bewegung inne. Dann sah sie sich langsam um. „Wir sehen doch alle anders aus.“

Aura verzog das Gesicht. „Ja schon, aber … guck doch, meine Haut ist ganz hell und deine ganz dunkel. Wieso ist das so?“

Omi erkannte, dass es mit einer kurzen Antwort nicht getan wäre, also wandte sie sich vollends dem kleinen Kind zu. „Nun, das ist wie mit den Blumen, die im Außengehege blühen. Manche davon sind rot, andere sind blau, einige weiß oder gelb. So ist das auch mit den Menschen. Es gibt welche, die sind ganz blass und haben rote Haare, so wie deine Mutter. Andere sind ganz dunkel, so wie ich und wieder andere haben diese Mandelaugen und schwarze Haare. Wir sind alle wie verschiedene Blumensorten.“

Aura dachte nach. Das klang ganz logisch. „Kann man Menschen auch kreuzen, so wie Blumen? Und hätte der dann rote Haare und eine schwarze Haut?“

Die alte Frau lachte. „Ja, das ginge schon. Aber das passiert eigentlich nie.“

„Wieso?“

„Nun … Um Blumen kümmert sich ein Gärtner, nicht wahr? Und um uns kümmern sich die Gott-Menschen. Sie entscheiden, welche Menschen … ja, sich kreuzen. Wenn man alle Blumen miteinander kreuzt, sehen sie irgendwann gleich aus. Das wäre bei uns Menschen auch so. Also bestimmen die Gott-Menschen, wer sich mit wem kreuzt, damit es möglichst alle Sorten gibt.“

Das war dann doch etwas zu kompliziert für Aura. Außerdem gefiel ihr die Idee eines Menschen, der Omis Haut und das Haar ihrer Mutter hätte. Das würde ziemlich lustig aussehen.


Eines sehr heißen Abends begann Aulis plötzlich heftig zu schreien. Panisch hielt sie sich den runden Bauch. Schnell kamen einige Gott-Menschen, um sie in einen Untersuchungsraum zu bringen. Unruhig hatten die anderen Menschen das mitangesehen. Die Chips unter ihrer Haut blinkten. Aura wurde zu Omi gebracht, die sie so lange im Arm wiegte, bis sie einschlief.

Ihre Mama hatte Wehen bekommen.

Doch dafür war es eigentlich noch zu früh.


Aulis war viele Tage verschwunden. Niemand wusste, ob sie wiederkommen würde. Wenn Aura jemanden nach ihr fragte, sahen sie oft weg oder wechselten das Thema. Sie fühlte sich schrecklich einsam. Als Aulis die meiste Zeit in ihrem Bett verbrachte, hatte sie sie zwar auch kaum gesehen, doch hatte sie gewusst, dass ihre Mutter ganz in der Nähe war. Nun war da niemand, an den sie sich kurz vor dem Einschlafen kuscheln konnte.

Omi versuchte, Aura auf andere Gedanken zu bringen. Doch das Kind hatte zu Nichts Lust und sah nur immer wieder traurig zu der Tür, hinter der Aulis verschwunden war.

Als die Luft schon ganz schwül war und man spürte, dass bald der Regen kommen würde, öffnete sich die Tür des Untersuchungsraumes wieder. Ganz langsam kam Aulis heraus, auf ihrem Arm ein kleines Baby, das in beige Tücher gewickelt war.

Aura lief sofort auf ihre Mutter zu, um sie zu umarmen, doch Aulis hatte Schmerzen, wenn man ihren Bauch berührte, also hielt sie ihre Tochter auf Abstand. Sofort schossen Aura Tränen in die Augen. Sie wollte doch nur zu ihrer Mama, aber die hatte fast nur Augen für den Säugling.

Neugierig schielten auch die anderen Menschen darauf.

„Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“

„Ist es gesund?“

„Wieso warst du so lange weg?“

„Wie heißt es?“

Aulis bat mit einer Geste um Ruhe. „Es geht uns gut, ja. Irgendetwas hat nicht gestimmt und die Gott-Menschen haben viele Untersuchungen gemacht, aber jetzt geht es wieder. Und das hier ist mein Sohn Autesion.“

Aura fand den Namen bescheuert.

Ihr Vater – und auch der Vater ihres Bruders – blickte kurz auf das Kind, dann wandte er sich wieder anderen Beschäftigungen zu. Aura näherte sich ihrem Bruder vorsichtig, durfte ihn aber nie halten. „Nicht, dass du ihn fallen lässt“, sagte ihre Mutter dann immer.

Aulis bewachte ihren Sohn wie den größten Schatz auf Erden. Für Aura hieß das, dass sie nun zurückstecken musste. Und alt genug, um mit Autesion etwas anzufangen, war er auch nicht. Er lag einfach nur hilflos rum und quakte.

Ihre Mutter hatte seit seiner Geburt eine Narbe auf dem Bauch. Man würde sie nicht mehr für die Zucht einsetzen.


Auras Haare wuchsen. Als sie ihr bis zum Kinn reichten, begannen die Gott-Menschen, mit ihr ein Spiel zu üben, das ihr sehr gefiel, auch wenn es oft anstrengend war. Es war immer der gleiche Gott-Mann, mit dem Aura spielte: er machte eine bestimmte Bewegung oder Geste und wenn sie richtig darauf reagierte, bekam sie ein Stück Orange oder Melone. Wenn er beispielsweise seine Hand vor sich hielt, die Handfläche zu Aura gerichtet, musste sie wiederum ihre so dagegenhalten, dass Daumen an Daumen, Zeigefinger an Zeigefinger, und so weiter, lagen. Dann bekam sie ein Stück Obst und freute sich. Es gab viele solcher Gesten und Aura lernte schnell. Nur wenn der Gott-Mann mit einem Finger gegen seine Wange klopfte, zögerte sie. Er wollte dann, dass sie ihm einen Kuss auf seinen grauen Anzug gab, doch sie mochte das Gefühl des Materials an ihren Lippen nicht. Als der Gott-Mann erkannt hatte, dass sie durchaus verstand, was er wollte, sich aber dagegen sträubte, erhöhte er die Belohnung. Und was war schon ein kurzer Moment des Ekels gegen eine Handvoll Nüsse?


Sie hatte sich ihr Leben mit einem kleinen Bruder spannender vorgestellt, doch Autesion war lange Zeit sehr hilflos und zu nichts zu gebrauchen. Wenn er lächelte, war er ganz niedlich, aber die meiste Zeit schlief oder schrie er.

Weil Aulis nie von der Seite ihres Sohnes wich, verbrachte Aura viel Zeit mit Omi. Die hatte wenigstens kein lärmendes Balg, um dass sie sich kümmern musste. Also erzählte sie eben Omi von ihren Klettertouren im Außengehege oder den Spielen mit den Gott-Menschen.

„Gefallen dir die Spiele“, fragte sie dann.

Aura nickte. „Dann ist es nicht so langweilig.“

Omi lächelte wissend. „Wer weiß, vielleicht zeigst du sie uns mal allen?“

„Aber wie soll das denn gehen“, fuhr Aura auf. „dafür brauche ich den Gott-Mann und der ist ja nicht hier.“

Leise kicherte Omi.


Doch eines Tages änderte der Gott-Mann die Spielumgebung. Er ging mit Aura an der Hand aus dem Untersuchungsraum, durch das Innengehege nach draußen. Dort waren bereits andere Gott-Männer, die dafür sorgten, dass die Menschen nicht auf den großen Platz liefen, auf dem kein Baum stand. Ängstlich blickte Aura sich um. Was passierte jetzt?

Hinter der Schutzkuppel standen viele Gott-Menschen, die in das Außengehege blickten. Der Gott-Mann neben ihr schien etwas zu sagen, doch Aura verstand ihn nicht. Die anderen Gott-Menschen klatschten.

Dann ging der Gott-Mann einige Schritte von Aura weg, bedeutete ihr, aufmerksam zu sein – der Beginn ihres Spiels – und streckte ihr dann seine Handfläche entgegen.

Es war ganz still geworden.

Die anderen Gott-Menschen verwirrten Aura. Außerdem war es ungewohnt, dass jeder sie ansah, sogar die anderen Menschen.

Der Gott-Mann wiederholte seine Geste.

Aura entdeckte Omi, die hinter Aulis stand. Ihr kleiner Bruder saß auf dem Boden und versuchte, einen Stein zu essen. Aufmunternd lächelte Omi zu Aura.

Schließlich nahm sie allen Mut zusammen und legte ihre Handfläche an die des Gott-Mannes. Der atmete erleichtert aus und gab Aura ein Stück Melone.

Wieder klatschten die anderen Gott-Menschen, was Aura so überraschte, dass sie einige Schritte zurücksprang.

Der Gott-Mann bat um Ruhe. Dann wandte er sich wieder Aura zu. Sie sollte springen, sich um sich selbst drehen, klatschen und sich ganz flach und ruhig auf den Boden legen. Mit jeder Übung, die sie hinter sich brachte – und jedem Stückchen Obst, das sie dafür bekam – wurde sie selbstsicherer. Es geschah gar nichts Schlimmes. Sie spielte einfach nur das Spiel mit dem Gott-Mann.

Am Ende aber wollte er, dass sie ihm einen Kuss auf die Wange gab. Aura wurde ganz rot und sah sich um. Nein, das war zu viel. Die ganzen Gott-Menschen, das Spiel im Freien, die auf sie gerichteten Blicke, das eklige Gefühl des Anzuges an ihren Lippen … Aura schüttelte den Kopf. Nein, das wollte sie wirklich nicht tun.

Der Gott-Mann wiederholte seine Geste.

Aura wich zurück und schüttelte den Kopf.

Ihre Mutter wurde unruhig. Sie wusste nicht, was der Gott-Mann von ihr wollte und warum Aura so eine Angst davor zu haben schien. Diese Unruhe überfiel schließlich auch die anderen Menschen.

Als der Gott-Mann das bemerkte, beendete er das Spiel. Er warf Aura das letzte Stück Melone hin, verbeugte sich vor den anderen Gott-Menschen außerhalb der Schutzkuppel und verließ dann das Gehege.

Die Menschen waren wieder unter sich.

Aulis lief sofort zu ihrer Tochter – Autesion auf dem Arm – um nach ihr zu sehen. Auch die anderen Menschen kamen. Abwechseln lobten sie Aura für ihre Fähigkeiten, andererseits wollten sie wissen, ob es ihr auch gut ginge. Doch sie hörte fast nicht zu, nickte nur hin und wieder.

Das war alles etwas zu viel Aufregung für einen Tag gewesen.


Der Gott-Mann wiederholte das Spiel nun öfter im Außengehege. Irgendwann spielten sie nur noch im Untersuchungsraum, wenn Aura neue Bewegungen lernen sollte. Und mit jedem Mal wurde sie sicherer. Es gefiel ihr sogar, den ganzen Menschen und Gott-Menschen zu zeigen, was sie konnte. Außerdem bekam sie so immer leckeres Obst.

Irgendwann überwand sie sich und gab dem Gott-Mann auch den Kuss auf die Wange. Dafür gab es dann wirklich viel Obst und Nüsse. Also tat sie das jetzt jedes Mal, wenn er es wollte.

Autesion beobachtete seine Schwester mit seinen großen runden Augen. Er gluckste oft vor Freude, wenn Aura sich drehte, sprang oder auf einem Bein stand. Hin und wieder versuchte er, mitzuspielen, was jedoch Aulis immer wieder unterband.

Dennoch machte es Aura seltsam stolz, dass ihr kleiner Bruder ihre Bewegungen imitierte.


Je größer Autesion wurde, desto mehr konnte Aura mit ihm machen. Sie passte auf ihn auf, wenn er im Wasser spielte, kletterte mit ihm auf Bäume – jedoch nur, wenn ihre Mutter nicht zusah – oder brachte ihm das Spiel bei, dass sie mit dem Gott-Mann spielte, nur dass sie dessen Rolle übernahm. Sie schloss ihren Bruder immer mehr in ihr Herz.

Der Junge entwickelte sich prächtig und hatte die äußerlichen Merkmale, die die Gott-Menschen sich gewünscht hatten: feuerrote Locken. Außerdem hatte er einen unglaublichen Bewegungsdrang, was auf körperliche Fitness schließen ließ.

Da Omi nun nicht mehr ständig Aura ihre Aufmerksamkeit schenken musste, widmete sie sich wieder der Malerei. Das Mädchen beobachtete sie oft staunend, wie sie die Pulver, die sie von den Gott-Menschen bekam, vorsichtig mit Wasser vermischte und sie dann auf die weißen Leinwände strich. Aura fragte sie einmal, was mit den Bildern geschah, wenn sie sie fertiggestellt hätte. Doch Omi zuckte nur mit den Schultern.

„Das ist mir nicht wichtig. Ich will sie nur malen, nicht anstarren.“


In diesem Trott aus Spielen mit ihren Bruder, Beobachtungen von Omis Malkunst und den Übungen mit dem Gott-Mann vergingen viele Zeit-Wenden. Aura lernte immer neue Bewegungsabläufe und Befehle. Irgendwann begannen sie, ihr Gesten beizubringen, die für Gegenstände standen. Dafür zeigten sie ihr ein Bild und führten dann die dazugehörige Gebärde aus. Anfangs hatte Aura nicht ganz verstanden, was das sollte, doch es war ein Spiel für sie, und Spiele bedeuteten Abwechslung.

Sie wollte die Gebärden auch Autesion beibringen, doch dem fehlte dafür die Geduld. Außerdem sagte er, dass Spiel wäre total unsinnig und langweilig. Ihm war mehr nach springen, klettern oder schwimmen. Ständig war er in Bewegung. Er spielte gerne mit Aura fangen, denn wenn er es geschickt anstellte, konnte er sie sogar einholen, obwohl sie älter war als er. Dann stahl sich ein unverschämt breites Grinsen auf sein Gesicht.

Nachdem die Gott-Menschen gesehen hatten, dass Aura die Gebärden für Gegenstände gut lernte, begannen sie, ihr auch Wörter für Handlungen zu zeigen. Dafür mussten sie mit Filmen arbeiten, die die Bewegungen zeigten, oder sie selbst vormachen. Das war um einiges schwieriger als das Erlernen von Gegenstands-Gebärden, doch es zeigten sich nach einiger Zeit die ersten Erfolge. Dennoch war es ein harter und langer Weg.

Schließlich lernte Aura auch, Fragen zu stellen. Als das geschafft war, konnten die Gott-Menschen anfangen, mit ihr zu kommunizieren.

„Du. Essen. ?“

„Ja.“

„Reis. ?“

„Nein. Brot.“

„Gut. ?“

Aura überlegte und bewegte den Kopf ganz leicht hin und her. Dann zuckte sie mit den Schultern. Die Gebärde für „normal“ oder „wie immer“ kannte sie noch nicht.


Als Aura ihrer Mutter erzählte, dass sie nun mit den Gott-Menschen reden konnte, starrte die sie fassungslos an. Natürlich wussten auch die Menschen oft, was die Gott-Menschen von ihnen wollten –zusammenbleiben, herkommen, die Zähne zeigen – aber wirklich mit ihnen kommunizieren konnte niemand.

Aulis wusste nicht, ob sie stolz auf ihre Tochter sein sollte oder beunruhigt. Sie konnte auch nicht einordnen, ob sie es gut fand, dass Aura so viel Zeit mit den Gott-Menschen verbrachte. Die anderen Menschen gingen nur zu ihnen, wenn sie untersucht werden sollten. Doch Aura war mittlerweile jeden Tag in einem der metallischen Räume.

Aber es schien Aura zu gefallen, derart von den Gott-Menschen beachtet zu werden. Mit großen und neugierigen Augen ging sie immer in den Raum, um mit ihnen zu üben, und kam dann aufgekratzt und zufrieden wieder heraus. Offenbar machte es ihr wirklich Spaß, seltsame Bewegungen zu lernen oder Rätsel zu lösen.

Mit diesen Gedanken beobachtete Aulis ihre Tochter. Wenn es sie glücklich macht, dachte sie, dann soll sie weiter mit den Gott-Menschen spielen.


Als eine Zeit-Wende zur Regenzeit kurz bevor stand, starb der Vater von Aura und Autesion. Es geschah für alle unerwartet, denn so alt war er noch gar nicht, auch wenn er fast nur noch graue Haare gehabt hatte. Doch es war ihm schon seit einigen Tagen nicht mehr gut gegangen, die drückende Hitze hatte ihm zu schaffen gemacht.

Und dann, eines Tages, war er einfach umgefallen.

Sofort waren Gott-Menschen gekommen, um ihn in einen Untersuchungsraum zu bringen. Viele der Menschen warteten vor der Tür darauf, dass er vielleicht wieder herauskommen würde. Womöglich war er ja nur ohnmächtig geworden …

Dann wurde Aura in einen anderen Untersuchungsraum gebracht. In all der Aufregung wegen ihrem Vater verstand sie nicht, warum. Doch schließlich trat sie durch die Öffnung. Dort wartete bereits der Gott-Mann auf sie.

Er zeigte ihr verschiedene Bilder: eine schwangere Frau, ein kleines Baby, ein Kind, einen erwachsenen Mann, einen alten Mann und schließlich lag der Mann bewegungslos auf dem Boden.

Der Gott-Mann machte die Geste für „Vater“ und zeigte dann auf das letzte Bild.

Aura wusste natürlich, dass das Leben von Menschen irgendwann aufhörte. Omi hatte ihr davon erzählt. Wenn Menschen alt waren, starben sie. Und obwohl ihr Vater um einiges älter war als ihre Mutter, so alt war er dann auch noch nicht. Er war doch sogar jünger als Omi.

Schließlich wiederholte Aura die Geste für „Vater“ und zeigte dann auf das Bild des erwachsenen Mannes. Er war noch nicht alt genug, um zu sterben.

Doch der Gott-Mann schüttelte den Kopf.

„Nein. Vater. Tot.“

„?“

Der Gott-Mann überlegte lange. „Tot. Herz. Krank.“

Aura war verwirrt und da der Gott-Mann ihr nicht besser erklären konnte, was passiert war, durfte sie wieder zu den anderen Menschen. Die fragten sie sofort, ob sie etwas über ihren Vater wüsste.

„Er ist tot. Der Gott-Mann meinte, dass sein Herz krank war?“ Unsicher sah Aura sich um. Ob die anderen vielleicht wussten, was damit gemeint war. Doch alle Menschen sahen sie ratlos an. Auch Omi, die schon so viel in ihrem Leben gesehen hatte, konnte sich darunter nichts vorstellen.

Nach einiger Zeit legte sich die Aufregung wieder. Der alltägliche Rhythmus war zurückgekehrt.

Eines Tages fragte der Gott-Mann Aura, ob sie wegen des Todes ihres Vaters traurig wäre. Sie überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. Ihr Vater hatte nie wirklich eine große Rolle in ihrem Leben gespielt.


Es zogen einige Zeit-Wenden an Aura und ihrem Bruder vorbei, ohne dass sich in ihrem Leben viel verändert hätte. Natürlich waren sie älter geworden. Dennoch waren ihre Tage geprägt von einer oftmals zähen Routine. Autesion ging seinem Bewegungsdrang nach, indem er im Außenbecken schwamm, festgelegte Distanzen sprintete oder mit einigen der anderen Menschen körperliche Übungen durchführte. In regelmäßigen Abständen übten die Gott-Menschen mit ihm kleinere Bewegungsabläufe ein, die er dann den Besuchern vorführen konnte.

Aura war ruhiger als ihr Bruder. Zwar trieb auch sie Sport – besonders das Laufen machte ihr viel Freude, auch wenn es an einer abwechslungsreichen Strecke mangelte – doch konnte sie im Gegensatz zu Autesion auch gut still sitzen und sich konzentrieren. Die Gott-Menschen gaben ihr oft Aufgaben, die sie lösen musste: Matheaufgaben, Bilder logisch zusammenfügen, mit Geschicklichkeit eine Murmel aus einem Gefäß holen. Zusätzlich lernte sie immer neue Wörter, um mit dem Gott-Mann zu kommunizieren.

Trotz all dieser Aktivitäten saßen Aura und Autesion oft beieinander und beobachteten gelangweilt die Gott-Menschen, die auf der anderen Seite der Schutzkuppel zu ihnen hinein blickten.

Hin und wieder ging Aura ganz nah an die Scheibe und legte ihre Handfläche darauf. Manchmal tat ein Gott-Kind auf der anderen Seite das Gleiche. Und wenn sie dem Gott-Kind dann in die Augen sah, die Hände nur von der Schutzkuppel getrennt, erahnte Aura, wie viel sie gemeinsam hatten. Und wie viel sie doch trennte.


Autesion schien gar nicht mehr mit dem Wachsen aufhören zu wollen. Mit seiner Körpergröße wuchs auch sein Appetit, weswegen die Essensportionen, die die Gott-Menschen ihm zudachten, immer größer wurden.

Irgendwann war er schon so groß wie seine Schwester. Aura war oft überrascht zu sehen, wie schnell er doch wuchs. Dabei kam ihr immer wieder in den Sinn, dass auch sie sich schnell veränderte, ihre Gliedmaßen wurden länger, das Gesicht schmaler und weibliche Rundungen zeigten sich. Der Chip in ihrem Arm blinkte immer öfter.

Ihre Mutter Aulis und Omi hatten ihr erklärt, was mit ihrem Körper geschah. Dass diese Veränderungen ganz normal seien. Auch die Gott-Menschen zeigten nach körperlichen Untersuchungen, dass alles in Ordnung war. Das hatte Aura beruhigt.


Aura und Autesion entwickelten sich prächtig. Die Gott-Menschen waren sehr zufrieden. Die Geschwister schienen gute Voraussetzungen dafür zu haben, ihren Teil zur äußerlichen Vielfalt beizutragen. Autesion würde seinen verstorbenen Vater als neuer Zuchtmensch ersetzen und dabei hoffentlich sowohl seine gute körperliche Konstitution als auch seine roten Haare weitervererben.

Seine Schwester hatte ähnliche Anlagen in sich, auch wenn man es nicht so deutlich sah. Dennoch übte ihr langes lachsfarbenes Haar eine gewisse Faszination auf die Besucher aus. Viel wichtiger waren jedoch ihre kognitiven Fähigkeiten. Es war schon lange nicht mehr gelungen, einen Menschen eine vereinfachte Zeichensprache beizubringen, um so mit ihm kommunizieren zu können. Allein deswegen musste Aura für die Zucht eingesetzt werden. Sollte dann auch noch ihre Veranlagung für rote Haare an Nachkommen weitergegeben werden – umso besser!

Und so geschah es, dass die Gott-Menschen für Aura und Autesion zu suchen begannen: zum einen ein neuer Zoo, zum anderen eine geeignete Partnerin.


Aura setzte sich dem Gott-Mann gegenüber auf den Stuhl. Reflexartig schob sie dabei ihren Haarzopf nach vorne, damit er nicht zwischen ihrem Rücken und der Lehne eingeklemmt wurde. Entspannt sah sie sich um. Hektik war nicht angebracht, immerhin hatte sie einen ganzen Tag voller Langeweile Zeit.

„Wie geht es dir. ?“

„Gut.“ Aura sah jetzt den Gott-Mann an. „Wie geht es dir. ?“

„Gut.“

Für gewöhnlich war dass der Moment, in dem der Gott-Mann ein Thema begann oder ihr etwas Neues beibrachte. Doch an diesem Tag sah er sie lange an. Aura wurde dann doch etwas nervös und rutschte auf dem Stuhl umher. Es gefiel ihr gar nicht, dass der Gott-Mann sie anstarrte.

Schließlich erlöste er sie aus ihrem Unbehagen. „Wichtig.“

Das war auch Aura mittlerweile klar geworden. „Ja.“

„Du. Weggehen.“

Überrascht sah Aura ihn an. „Wohin. ?“

„Weit.“

„Wie lange. ?“

Der Gott-Mensch sah kurz auf seine Hände. „Immer.“

Langsam begriff Aura, was ihr hier eröffnet wurde. Sie musste einige Male blinzeln. Sie sollte für immer von hier fortgehen? „Familie. ?“

Ein schwaches Kopfschütteln. „Nein. Familie. Bleibt.“

Aura biss sich auf die Lippe, damit der Gott-Mann nicht sah, dass sie zitterte. „Wieso. ?“

„Du. Weggehen. Dort. Familie. Neu. Kinder.“

Es dauerte einen Moment, bis Aura verstand, was er meinte. „Wieso. ?“

„Haare. Und. Verstand.“

Kraftlos sank Aura in dem Stuhl zusammen. Das hatte sie nicht erwartet. Natürlich hatte Omi erzählt, dass oft Menschen von woanders zu ihnen gekommen waren oder irgendwohin gingen – auch Aulis war nicht in diesem Zoo geboren worden – aber sie hatte nicht gedacht, dass ihr das auch geschehen würde. Irrationaler Weise hatte sie gehofft, dass sie diesem Schicksal entgehen würde.

„Bruder. ?“

„Bleibt. Frau. Neu. Kinder. Haare.“

Aura strich sich über das Gesicht. Sie konnte den Gott-Mann nicht ansehen, also starrte sie auf die helle Wand neben sich. Er klopfte sanft auf den Tisch, um ihre Aufmerksamkeit wieder zu gewinnen.

„Du. Untersuchungen. Viele.“

Sie nickte. Dann kamen schon zwei andere Gott-Menschen, die ihr Blut entnahmen, ihren Chip mit einem klobigen Gerät auslasen und sie wogen. Alles wurde genau protokolliert. Aura hingegen bekam davon fast nichts mit. In ihrem Kopf kreiste nur immer wieder der Gedanke, dass sie ihre Familie verlassen würde. Dass sie niemals die Kinder ihres Bruders sehen würde. Dass sie wohl niemanden von hier jemals wieder sehen würde.

Als sie wieder zu den anderen Menschen ging, verkroch sie sich in ihre Schlafkoje, zog sich das Laken über den Kopf und weinte.


Als sie den anderen Menschen davon erzählte, reagierten sie unterschiedlich. Autesion vertiefte sich noch weiter in seine Sportübungen, man sah ihm jedoch an, dass ihn die Neuigkeiten beschäftigten. Aulis gab sich abgeklärt, sie hatte offenbar damit gerechnet. Lediglich Omi nahm Aura in den Arm, weil sie ihre Ängste erkannte. Sie war es auch, die ihr erklärte, was sie erwartete, um schwanger zu werden. Aber sie machte ihr auch Mut. Ein neuer Zoo konnte auch Verbesserungen bedeuten, etwa mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, nette Menschen oder größere Privatsphäre.

Aura musste jeden Tag Untersuchungen über sich ergehen lassen. Die Gott-Menschen wollten sichergehen, dass sie absolut gesund war, bevor sie transportiert wurde.

Schließlich kam der Tag des Abschieds.

Der Gott-Mann erklärte ihr am Morgen, dass sie nachmittags gehen würde. Es folgten tränenreiche Abschiede. Auch Autesion weinte, obwohl er sich sichtlich bemühte, es nicht zu tun. Dennoch erbebte sein ganzer Körper, als er seine Schwester wohl zum letzten Mal umarmte. Aura wünschte sich, sich mehr mit ihm beschäftigt zu haben, um die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, voll auszunutzen. Doch das war nicht geschehen, und es brach Aura beinahe das Herz.

Omi wünschte ihr viel Glück und versprach ihr, dass alles gut werden würde. Aura wollte ihr glauben, doch ihr war klar, dass dieses Versprechen sie nur beruhigen sollte. Denn woher sollte Omi schon wissen, wie es ihr in ihrem neuen Zuhause gehen würde?

Der Abschied von ihrer Mutter war sehr kurz. Aulis war Aura gegenüber nie sonderlich gefühlsbetont gewesen, doch es machte sie traurig, ihre Tochter nun für immer zu verlieren.

Auch die anderen Menschen waren gekommen, um sich zu verabschieden, einige weinten, andere freuten sich für Aura. Immerhin war es doch spannend, eine neue Umgebung erleben zu können.

Dann begannen die Chips in ihren Armen zu leuchten und der Gott-Mann kam, um Aura in einen der Untersuchungsräume zu führen. Sie war ganz ruhig geworden. In dem Raum stand ein länglicher und abgerundeter Behälter, gerade groß genug, dass Aura sich hineinlegen konnte. Er war angenehm weich. Der Chip in ihrem Arm blinkte immer weiter. Dann wurde ihr noch eine helle Flüssigkeit unter die Haut gespritzt.

Der Gott-Mann sah sie traurig an und machte eine Geste des Abschieds. Aura hatte vergessen, ihn zu fragen, ob er mit ihr gehen würde. Doch aus seiner Bewegung schloss sie, dass die Antwort „nein“ gewesen wäre. Wieder schossen ihr Tränen in die Augen. Wo sie hingehen würde, würde sie niemand kennen. Doch dann verschwamm alles. Sie wurde unfassbar müde.

Als Aura eingeschlafen war, wurde die Transportbox verschlossen und verladen. Sie würde erst wieder aufwachen, wenn sie angekommen war.


Menschenhaus

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