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Kapitel 6

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Auf

dem Fest des Yangtang-Klosters traf ich Geshi Malapa vom Gonsaka-Kloster und Geshi Tung La vom Takohu-Kloster, beide waren liebreizende Gefährten und sehr bewandert in ihrer jeweili­gen Wissenschaft. Auch sie sprachen Hindi, was ihre Zweitsprache zu sein schien. Ich war froh, denn so konnte ich weiterhin eine Konversation führen, die notwendig war, um die Anweisungen zu befolgen, die sie mir in ihrer jeweiligen Wissenschaft gaben.

Ich überzeugte Geshi Dar Tsang mich zu begleiten. Er war er­freut, dass ich ihn fragte, denn er wollte den Fortschritt der Schüler Geshi Malapas und Geshi Tung Las sehen. Es gab einen festen Bund zwischen den Dreien und sie pflegten einen freundschaftlichen Wettbewerb darum, wessen Chelas die größten Fortschritte gemacht hatten.

So machten wir uns am nächsten Tag auf den Weg nach Gon­saka. Man gab mir einen der Räume des Abtes. Er selbst war im Ganden-Kloster, wo er eine medizinische Fortbildung besuchte. Die­ser Kurs, so sagte man mir, beinhaltete Psychologie, Physik, Bota­nik und die Geisteswissenschaften. Das Curriculum ist in keiner Weise mit unserem westlichen vergleichbar, wobei sie einerseits rückständiger und andererseits fortge­schrittener sind.

Geshi Malapa sagte, dass er seinen Namen vom großen, heiligen Milarepa entliehen hätte, der ein hohes Alter erreicht und über 100.000 Verse verfasst hatte, die sein geheimes Wissen offenbarten. Milarepa war als der große Wunderwirker be­kannt. Seine bekannteste Leistung war ein Flug mittels der Levita­tion zum Berg Kailash, um den Menschen vor Ort zu zeigen, dass er im Glauben und im Wissen größer war als die

Bön

-Priester, die solch eine Leistung nicht zu Stande brachten. Von diesem Zeitpunkt an entstanden Schulen und Akademien zum Zwecke des Studiums und der Entwicklung dieser wunderbaren Kräfte, und viele Jahre lang entwickelten Lamas, die durch ihn unterrichtet worden waren, großartige Kräfte und man schrieb ihnen mächtige Wunder zu. Malapa sagte, das Gonsaka-Kloster sei einst eine dieser Akade­mien gewesen, nun aber in ein Kloster umgewandelt worden, „daher entlieh ich mir den Namen Malapa, eine Abkürzung des Namens Milarepa.“

Milarepas Kräfte schützen ihn, wenn er im Winter von tiefem Schnee und den Gletschern des Mount Everest abge­schnitten wäre.

„Zu aller erst“, sagte Malapa, „müssen meine Schüler durch spe­zielle Atemübungen die Levitation erlernen. Der Körper wird dann leicht; manchmal werden die Körper so leicht, dass sie beschwert werden müssen, damit sie nicht fortwehen.“

Ich sagte ihm, dass ich die Levitation in Indien gesehen hätte, aber er lachte und erklärte, dass das ein Kinderspiel wäre.

„Zunächst“, sagte er, „nehme ich einen rohen Lamajun­gen über vierzehn, aber unter achtzehn Jahren, weil die Kraft des Lung-Gom-Pa nur nach einer langen Reihe von Bewährungsproben erlangt werden kann. Das Atmen muss vorsichtig angepasst werden; der Proband muss vollkommene Kontrolle über seinen Geist und Körper haben. Der Körper muss vollkommen ruhig sein, auch muss die Fähigkeit vorhanden sein, in eine tiefe Trance zu fallen, was ihn innere Kräfte nutzen lässt, wodurch er die Polaritäten willentlich umkehren kann.“

Ich sagte: „Ich verstehe vom

Yoga

her, dass der Kör­per leicht wird, da die freie Energie in der Atmosphäre durch bestimmte Atemübungen in den Körper gepumpt wird, so dass er willentlich in jede Richtung bewegt werden kann, entweder schnell, durchschnittlich oder langsam, entsprechend dem gewünschten und erforderlichen Effekt.“

„Ja“, versicherte er, „der fliegende Lama bzw., was wir den Lung-Gom-Pa

nennen, ist eine verblüffende Person. Er begibt sich in eine Trance und einige Menschen glauben, dass der Kör­per von einem Geist bewohnt wird, aber das ist nicht so.

Nach vielen Übungen wird die Gravitation überwunden, weil die Luft, da sie leichter ist, den Körper durchtränkt und ihm Auftrieb verleiht, und dann ist die Polarität umgekehrt. Derart bewegt sich der Lung-Gom-Pa

in großer Geschwindigkeit über weite Strecken, über Berge und Täler, ohne zu ermüden. Eine Ermü­dung wird durch die Kraft der Gravitation bewirkt, wenn man eine Anstrengung aufwenden muss, um den Körper zu bewegen, weil er von der Erde angezogen wird.

Der Lung-Gom-Pa

nimmt den direkten Weg und die Geschwin­digkeit über Berge und Täler bleibt unverändert. Er geht den Berg genauso schnell hinauf wie er durch das Tal eilt, und er kann mehr als 150 Kilometer an einem Tag zurücklegen, wobei ein mir bekannter Lung-Gom-Pa

sogar größere Stre­cken bewältigt.

Dass es wenige von uns gibt, kommt daher, dass man lange für diese Kunst braucht – viele versuchen es, aber wenige sind erfolgreich – da es vielleicht die schwierigste aller okkulten

Wissenschaften

ist.“

Ich sagte, es wäre höchst interessant diese Wundertaten zu sehen.

Er sagte: „Du kannst dich mehr als glücklich schätzen Augen­zeuge dessen zu werden, weil Geshi Rimpoche, den wir verehren, darum bat, dir die Möglichkeit dazu zu geben.“

Ich sagte: „Ich habe nicht die Absicht, diese

Wissenschaft

zu meistern, denn ich habe nicht die Zeit dazu – wie du weißt, liegt mein Werk im Heilen, aber eure Güte, mir zu erklären wie es gemacht wird, und dass ich es sehen darf, wird mir bei meinem eigenen Werk helfen.“

„Dann werden wir morgen auf unseren Übungsplatz gehen, der während unserer Übungen bewacht ist, und dort wird es dir mög­lich sein den Lung-Gom-Pa

zu beobachten.“

Also gingen wir am nächsten Morgen in das abgele­gene Tal, das hinter einer weiteren Kette kleinerer Berge lag, wo sich ein langes, flaches Areal erstreckte. Geshi Malapa hatte nur drei Chelas. Er sagte, drei in einer Lebenszeit zu unterrichten, wäre ausreichend.

Ich beobachtete, wie die drei Chelas in der Atmung angewiesen wurden. Sie übten sich seit zehn Jahren, erzählte mir Malapa.

Drei Erdhügel wurden zu Kegeln geformt und die Chelas saßen nach Buddhamanier mit überkreuzten Beinen da. Nacheinander hoben sie vom Boden ab, erreichten den kegelförmigen Erdhü­gel und kamen nach und nach auf die Spitzen herunter. Das wurde mehrmals gemacht und dann standen sie auf ihren Füßen – das war der schwierigste Teil. Nach und nach hoben sie vom Boden ab, einen Fuß vor dem anderen; und in einer Serie rhythmischer Sprünge, ihre Augen in die Ferne starrend, be­wegten sie sich als würden ihre Füße kaum den Boden berühren, und in großer Geschwindigkeit legten sie ungefähr sechs Meter in einem Schritt zurück. Es war eine ergreifende Erfahrung das mit eigenen Augen zu sehen, (wenige haben den Lung-Gom-Pa

gesehen).

Dann bekam ich Unterricht und hatte das Gefühl, dass mein Körper leicht wurde...

Da mir zusehends die Zeit abhanden kam, zog ich weiter zum Takohu-Kloster, begleitet von Geshi Dar Tsang, und wir wurden von Geshi Tung La sehr herzlich willkommen geheißen. Seine Wissenschaft war die des Gedankenlesens, die gemeinhin als Tele­pathie bekannt ist.

Die Telepathie interessierte mich sehr, denn das war etwas, was ich wirkungsvoll in meiner eigenen Heilarbeit nutzen konnte, und ich verlor keine Zeit mit dem wirklichen Üben zu beginnen.

Ich entwickelte eine erstaunliche Fähigkeit, die Gedanken Geshi Tung Las zu lesen, vielleicht weil wir sehr aufeinander eingestimmt waren und ich derart an der Arbeit interessiert war, dass ich natürlich darin aufging. Während er Tibetisch sprach, sprach ich Hindi, um unseren Gedanken zu helfen sich zu formen. Ich fand es sehr einfach – es gelang mir ohne Anstrengung.

Geshi Tung Las Erklärung entsprach ungefähr dieser: Gedanken erzeugen Wellen im Äther, ähnlich wie Radiowellen. Es ist allge­mein bekannt, dass es eine Vielzahl von Radiowellen zur gleichen Zeit im Äther gibt und keine die andere stört. Diese un­sichtbaren Radiowellen werden hörbar, wenn man ein Instrument hat um sie zu empfangen. Sie werden modifiziert und wieder in Klang umgewandelt.

„Nun“, sagte Tung La, „auch der Mensch besitzt ein Sende- und ein Empfangsgerät. Die Hypophyse ist das sendende und die Epi­physe ist das empfangende Organ. Gedankenwellen werden von einer Person zur anderen gesandt, die sie empfängt, wenn sie sich im Einklang befindet. Das muss ohne Anstrengung geschehen. Am empfangen­den Ende darfst du nicht versuchen bewusst zu interpretieren; du musst es dem Gefühl erlauben, in den Geist zu gelangen. Dieses Gefühl wird in Denken umgewandelt und du beginnst zu wissen, was empfangen wird.

Mit einer Art Fühlen, nicht durch Denken, denn das aktiviert die Hypophyse und verzerrt den Empfangsmechanismus der Epiphyse.“

Ich fand heraus, dass das zutreffend war. Wenn ich versuchte zu denken, was er auf Tibetisch sagte, konnte ich es nicht vollkommen erfassen, aber wenn ich es nicht versuchte, wurde die ganze Anordnung seiner Gedanken von mir „empfangen“.

Tung La sagte: „Du bist ein geborener Empfänger. Weil du ein Medium bist, sprichst du aus der Inspiration heraus; du sprichst einfach ohne zu denken!“

Ich antwortete: „Das ist vollkommen wahr. Wenn ich überlegte, was ich sagen wollte, würde ich ins Schwimmen geraten; aber wenn ich einfach spräche, wie ich fühlte, und fühlte, wie ich spräche, wäre der Fluss vollkommen.“

„Das ist richtig“, sagte er. „Du brauchst keinen Unterricht in der Telepathie, weil du ein geborenes Medium dafür bist. Es gibt viele wie dich – aber wenige haben es für sich entdeckt.“

Ich war erfreut seine Bestätigung zu hören, dass ich ein natürliches Me­dium wäre; ich las die Gedanken anderer die ganze Zeit, obwohl ich es nicht wusste.

Wie ich bereits erwähnte, habe ich Menschen auf der ganzen Welt geheilt, von denen viele kein Wort meiner Sprache verstanden und ich auch die ihre nicht. Wenn sie sprachen, gab ich nicht auf das acht, was sie sagten, doch bekam ein klares Bild ihres Leidens. Intuition, nennen Sie es wie Sie wollen, die Tatsache, dass ich wusste, was in ihrem Kopf vorging, bewies, dass ich ihre Denk-Gefühle lesen konnte. Tatsächlich wurden ihre Gedanken und Gefühle zu mir übertragen und ich konnte fühlen, was sie fühlten, entsprechend ihrer Denk-Gefühle.

Ich konnte sagen, ob sie aufrichtig waren oder nicht, ich wusste, ob sie mich mochten oder nicht, ich wusste, ob sie zweifelnd oder voller Angst waren. Alle Schattierungen ihrer Denk-Gefühle waren mir ziemlich klar.

In jedem Falle wurde ich Zeuge dessen, wie über zwanzig Schü­ler sich darin übten einander Botschaften zu senden. Er setzte sie um, bis er die besten Paare gefunden hatte. Die Genauigkeit ihrer Projektion und ihres Empfangens war erstaunlich.

Zuerst einmal schrieb der Projizierende einen Buchstaben des Alphabets oder eine Zahl auf eine Tafel vor sich, wäh­rend der andere, der mit dem Rücken zu ihm saß, es aufschrieb.

Dann schrieb man ein Wort, dann einen Satz und dann las der Projizierende still in einem Buch, während der Empfänger es laut wiederholte. Ein Protokollführer stand dabei und schrieb auf, was der Empfänger sagte. Sehr selten machten sie einen Fehler. In mei­nen Augen war das eine wundervolle Demonstration. Die Entfer­nung zwischen ihnen wurde beständig gesteigert, bis sie durch eine Bergkette voneinander getrennt waren. Das zeigte, dass es keinen Raum gibt, dass wir nicht getrennt sind.

„Licht und Klang werden durch die Ätherwellen getra­gen“, sagte Geshi Tung La, „gleichfalls das Denken und Fühlen.“

Ich blieb zehn Tage dort und zwischen uns kam es zu einer großartigen Freundschaft. Er sprach Tibetisch und ich Hindi. In der alltäglichen Konversation machten wir es ebenfalls so, damit wir im Training blieben.

Viele Jahre später, bei einer Séance in London, kam Geshi Tung La durch und sprach mit mir. Er sagte mir, dass er sich noch im­mer in seinem irdischen Körper befände und mir bei meiner Arbeit helfe, weil er inzwischen vom

Einsiedler

von Ling-Shi-La (von dem ich später erzählen werde) die Astralreise erlernt hätte.

„Ja“, dachte ich, „es gibt größere Dinge zwischen

Himmel

und Erde als der Mensch sich jemals hat träumen lassen.“

Der Beweis, der mir somit vorlag, war schlüssig, denn niemand außer mir wusste, dass Tung La existierte.

Oft fühlte ich den telepathischen Einfluss Tung Las, so wie den anderer mir bekannter Helfer, einschließlich Geshi Rimpoches und meines Freundes, doch es däm­merte mir nie, dass Geshi Tung La seinen Körper verlassen und im Astralen wirken könnte.

Diese Gedanken kamen mir als ich mich der Worte erin­nerte, die er gesagt hatte, bevor ich abreiste. Er sagte: „Die

Liebe

ist die größte anziehende Kraft der Welt; sie ist stärker als der stärkste Mag­net, den man zur Magnetisierung von Stahl benutzt. Wenn man ein Stück Stahl magnetisiert, ordnen sich alle Teilchen in einen Nord- und einen Südpol und harmonisieren die Gesamtheit der Atome in diesem Stück Stahl, und der Stahl selbst wird zu einem Magneten. Desgleichen magnetisiert die

Liebe

die Ätheronen und die Atome der Seele und des Körpers und verwandelt sie in einen Magneten, um die

kosmischen Strahlen

in großer Fülle anzuziehen und auf diese Weise der

Liebe

Gottes

Ausdruck zu verleihen.“

Ich sagte zu ihm: „Ja,

Jesus

sagte: ‚Ich bin gekommen, dass ihr das

Leben

und sogar noch erfüllteres

Leben

haben sollt.‘“

Eine Zeit lang saß er still und dann sagte er: „Du sprichst vom

Meister Jesu

s

?

Wir haben Aufzeichnungen von ihm; er ist noch immer bei uns.“

Ich setzte mich auf als er das sagte, denn ich wusste, dass

er

noch immer der lebendige

Christus

war.

Die tiefen Eindrücke der Gedanken Tung Las wurden mir unauslöschlich; noch immer kann ich den Einfluss der

Liebe

und der

Zuneigung

fühlen, die er mir entgegenbrachte.

Und hier lassen Sie mich eine Wahrheit sagen. Sie können miteinander sprechen ohne ein Wort zu äußern, wenn Sie im Einklang miteinander sind. Versuchen Sie es irgendwann, und Sie werden über die wunderbare Verständigung, die Sie erreichen, erstaunt sein. Das Ergebnis wird ein größeres Verständnis füreinander sein, ein tieferes Gefühl der Liebe. Es heißt: „Die Liebe wächst mit der Ent­fernung.“ Das ist so, weil die Gedanken, die Sie an jemanden aus­senden, empfangen werden.

Darf ich Ihnen hier ein wenig mehr von dem erzählen, was ich als wahr erkannt habe?

Die Harmonisierung der Atome basiert auf dem fundamentalen Gesetz, auf dem die Funktion des

Lebens

basiert – der

Liebe

. Dieses ist das Gesetz des elektromagnetischen Prinzips, das aller Schöpfung zu Grunde liegt. Dieses Prinzip ist die Basiskraft in der Schöpfung durch das ganze

Universum

hindurch, nicht nur auf diesem Planeten, sondern auch im gesamten erschaffenen

Universum

. Obwohl es nicht das

Endgültige

ist, ist dieses elektromagnetische Prinzip die Bewegung im

Universum

, und die Bewegung ist die Kraft, welche die Atome unsichtbarer Materie in verschiedene sichtbare Formen verwandelt, und der zarte Leiter der

Natur

ist der Äther.

Im Äther wird die Blaupause der Schöpfung geformt, und die Bewegung verursacht die Umwandlung der Ätheronen und Atome zur Form. Dieser selbe Äther bleibt die Grundlage aller Formen überall in der Gesamtheit der elektromagnetischen Aktivität. Die­se selbe Regel gilt überall im gesamten

Universum

, weil es nur einen

Schöpfer

und eine Schöpfung gibt: Beide sind eins und nicht getrennt. Der

Schöpfer

und

seine

Schöpfung sind eins

.

Der Äther ist der Leiter des

schöpferischen Denkens

, das die kraftvollste Tätigkeit ist, denn durch

es

ist das

Universum

erschaf­fen worden.

Ich verstand das als ich trainiert wurde, ein Meister im

Pra­nayama

zu werden. Das

Prana

zu kontrollieren heißt, die Er­scheinungen und die dynamischen Kräfte im Geiste und im Körper zu beherrschen. Deswegen gewinnt er, der liebt, die Liebe

Gottes

, während er, der hasst, erntet, was er sät.

Bevor ich das Takohu-Kloster verließ, beschenkte mich mein Freund Tung La mit einer kleinen tibetischen Gebetsmühle, die ich noch immer besitze. Sie befindet sich seit nunmehr siebzehn Jahren in meinem Besitz und es ist fünfzehn Jahre her, dass ich gesagt habe, dass ich dieses Buch schreiben würde.

Ich bin seitdem sehr beschäftigt gewesen, heilend auf der ganzen Welt. Die letzten neun Jahre habe ich in Südafrika verbracht und jetzt, während ich mit dem Schiff in Richtung meiner alten Heimat Schottland zu einem Urlaub unter­wegs bin, werde ich beeinflusst dieses Buch zu schreiben, und ein zweites wird bald folgen.

Jene, die fühlen, dass sie durch eine größere Kraft als ihre eigenen Wünsche geleitet werden, wissen genau, dass alle Dinge im rechten Augenblick geschehen und nicht zuvor oder später.

Das ist kein Fatalismus, wie einige vielleicht denken, son­dern ein Zusammenwirken, ein Wissen darum, dass die

Weisheit

, dass die

Intelligenz

, die das

Universum

erschafft und kontrol­liert, dass jene selbe

Kraft

im Menschen vorhanden sein muss, denn der Mensch ist der lebendige Ausdruck des

Bewusstseins

und der

Intelligenz

Gottes

, der alle Dinge entsprechend

seines

Willens führt und manifestiert, wobei

Gott

der

Natur

nach

unendlich

ist. „

Dein

Wille geschehe, nicht der meine,

oh Herr

.“

Nun, da ich diese wenigen Worte an Sie gerichtet habe, werde ich zu meiner Geschichte zurückkehren...

Als wir uns auf unseren Weg zurück machten, verließ uns Dar Tsang in Yangtang und wir gingen auf demselben Pfad zurück und er­reichten wieder das Chumbi Tal, genau drei Wochen und drei Tage nachdem wir fortgegangen waren.

Ich ging direkt zu Geshi Rimpoche und erzählte ihm alles, was pas­siert war. Er fragte: „Wie fandest du Tung La?“

Ich antwortete: „Er kommt in meinem Herzen gleich nach dir und meinem Freund.“

Geshi Rimpoche sagte dann: „Ich habe bereits eine Nachricht von ihm; er sagt mir, dass du ein Eingeweihter in der Telepathie bist, und seine Hochachtung für dich ist sehr groß.“

Ich sagte: „Meine für ihn auch.“

„Ich bin froh“, versicherte er mir.

Dann fragte ich: „Aber wie kann es sein, dass du so schnell von ihm gehört hast?“

„Ah“, antwortete er, „Nachrichten verbreiten sich in Tibet sehr schnell; was du nun tust, ist hunderte Kilometer entfernt in kürzester Zeit bekannt.“

„Das habe ich auch schon gemerkt“, sagte ich.

Wir besprachen bis weit in die Nacht hinein, was ich getan und gelernt hatte, und als er zufrieden erkannte, dass die Reise nicht ver­gebens war, sagte er: „Ich bin wirklich froh über deine erfolgreiche Reise, aber du weißt, es ist nicht das

Wirkliche

. Es ist richtig, dass du die okkulten

Wissenschaf­ten

kennengelernt hast, aber du verstehst, dass die

Wahrheit

größer ist als alle diese Dinge.“

Ich sagte: „Ja, das weiß ich, und es wird mir jeden Tag klarer“, und dann fragte ich: „Wie ist es mit den Einsiedlern in den Ber­gen, haben sie die

Wahrheit

gefunden?“

„Nein, mein Sohn“, antwortete er, „du kannst die

Wahrheit

nicht auf dem Berg oder dem Meer finden und auch nicht, indem du Karotten isst oder dich den ganzen Tag auf deinen Bauchnabel konzentrierst. Du kannst sie auch nicht finden, indem du der Welt davonrennst, weil du die Welt bist. Es gibt keine Isolation, sie ist nur in des Menschen Denkweise erschaffen worden, sie ist die große Illusion. Zu diesem Zwecke habe ich dich hierher gebracht, damit du all das Falsche erkennst und dann wissen wirst, was das

Wirkliche

und das

Wahre

ist. Wenn du das Falsche nicht selbst verstehst, kann ich es dir nicht begreiflich machen. Du hast jahrelang im Ok­kulten geplanscht, darum möchte ich, dass du das

Wirkliche

und das

Wahre

gründlich kennenlernst, damit du frei sein kannst.

Du wirst es niemals verstehen, mein Sohn“, fuhr er fort, „durch einen Glauben mittels bloßer Meditation oder durch Suggestionen; weder durch die okkulten Kräfte noch in der Zukunft oder in der Ver­gangenheit kann es gefunden werden, denn die Vergangenheit ist eine Erinnerung und die Zukunft ist eine Hoffnung, die mit Angst vermischt ist. All das stammt aus dem Geist, aber die

Wahrheit

liegt jenseits seiner.“

„Nun“, fragte ich, „wie gelangen wir zur

Wahrheit?“

Er antwortete: „Ich kann dir nur die Wege zeigen, auf denen du nicht zur

Wahrheit

gelangst, und wenn du all diese Wege ge­funden hast, auf denen du nicht zur

Wahrheit

gelangen kannst, wirst du die

Wahrheit

finden: Dann wird sie deine sein und nicht die anderer, was bloß eine Nachahmung ist.“

Er fügte hinzu: „Du wirst sie durch bloßes Analysieren nicht fin­den, weil das bloß die Vergangenheit ausgräbt, doch die

Wahrheit

, die dich befreit, stammt nicht aus der Vergangenheit. Wenn du erkennst, dass der Prozess bloßer Analyse ein falscher Pro­zess ist, wirst du ihn ablegen; er wird wie alle anderen fal­schen Prozesse von dir abfallen.

Was sich in deinem Geist befindet“, fuhr er fort, „ist tot; es ist keine lebendige Sache, aber auf der anderen Seite ist die

Wahrheit

das, was von Augenblick zu Augenblick lebt. Sie muss entdeckt werden, nicht bloß geglaubt, sie kann nicht berechnet bzw. im Geiste formuliert werden.

Lebendig zu sein, das ist die

Wahrheit;

zu wissen, dass du das

Leben

bist und jeden Augenblick

dessen

zu leben, das ist die

Wahrheit

. Um das zu erkennen, muss dein Geist wachsam sein, gewahr sein, samt eines Herzens voller

Liebe

und frei von allem, was falsch ist; das ist die

Wahrheit

.

Die meisten Menschen“, fuhr er fort, „wollen nicht lebendig sein; sie wollen gebettet werden, um der Welt zu ent­kommen, sie wollen sich den Dingen nicht stellen; wie die Kinder wollen sie sich hinter Mutters Schürzenbändern verste­cken, zum Schutz vor dem Sturm – und was ist der Sturm? Ist er nicht unsere Beziehung zueinander? Wir müssen uns jener Beziehung jeden Augenblick bewusst sein. Aber wenn ich dich wie ein Stück Möbel behandle, gibt es keine Bezie­hung zwischen uns. Eine wahre Beziehung gibt es nur, wenn wir uns selbst verstehen; nur dann kann es Freiheit geben und in der Freiheit allein wird die

Wahrheit

offenbart.

Wenn du mich liebst und einen anderen hasst, kannst du“, fragte er, „dann behaupten die

Wahrheit

zu kennen? Wenn du nett zu mir bist und lieblos zu einem anderen, kannst du dann sagen, dass du eine nette Person bist? Ist das nicht der Gipfel des Widerspruchs?“

Ich sagte ihm: „So habe ich das noch nie gesehen.“

„Nein, mein Sohn“, sagte er, „das kommt daher, dass du dich nicht verstanden hast, weder deine Gedanken, Beweggründe, Gefühle und Begierden noch wo­her und wie sie aufstiegen.

Wenn du all die Dinge des Ichs loswirst, nur dann ist die

Wahrheit

zu erkennen. Es sind allein diese falschen Dinge, welche die

Wahrheit

daran hindern in dir zu gedeihen. Wenn dein Handeln im Widerspruch zur

Wahrheit

steht, wie kannst du die

Wahrheit

für dich beanspruchen?

So gesehen“, fuhr er fort, „kannst du nicht jenem, was jenseits deines Begreifens liegt, Ausdruck verleihen, wenn du durch deine Erfahrungen beeinflusst bist, durch das, was sich in deinem Geist befindet; du wirst nur dem Ausdruck verleihen, was sich darin befindet. Was deinem Geist entspringt, ist nicht die

Wahrheit

. Wenn deine Handlungen bloß deinen Erfahrungen entstammen, dann befindet sich die

Wahr­heit

nicht in dir. Aber wenn deine Handlungen der Liebe zu deinem Nächsten wie zu dir selbst entspringen, wirst du der

Wahrheit

Ausdruck verleihen.

Denkst du, dass ich dich schelte, mein Sohn?“, fragte er sanft… „Weit gefehlt, weil meine Liebe für dich größer ist als für mich selbst. Du kannst jetzt erkennen, dass die

Wahrheit

, die du kennst, auf dem beruht, was du gesehen, gehört oder gelesen hast, und sie deshalb oberflächlich sein muss. Zur Entdeckung der

Wahrheit

musst du dein Denken durchleuchten, um zu erkennen, was falsch ist, und alles, was du in deinem Geist für die

Wahrheit

hältst, ist nicht die

Wahrheit

. Du bist nur ein bloßes Grammophon, das die Scheiben wechselt. Du musst der Mu­siker und die Musik zugleich werden, nicht bloß einem anderen zuhören. Deswegen, mein Sohn“, sagte er, „musst du die Schöpfungen des Geistes in der Reaktion auf andere verstehen, auf äußere Dinge. Du musst die Falschheit dieser Schöpfungen erkennen, denn sie sind bloß Asche, nicht die

lebendige Wahrheit

, die weder zerstört noch verdreht werden kann, weil

sie

nicht durch das Denken zusammengesetzt wird.“

Nachdem er das gesagt hatte, blieb er still – und auch ich war still… Ja, mein Denken hatte sich in jenem kurzen Zeitraum ei­nem Wandel unterzogen. Was ich gelernt hatte, war in den Hinter­grund getreten und die

Wirklichkeit

trat nach vorn. Es war ein eigenartiges Gefühl, ähnlich dem, das ich zuvor hatte, aber es war stärker, eine Stille, die tiefer war; in einem Blitz schien sich alles aufzulösen, was ich von der

Wahrheit

gelesen oder gehört hatte. In jener tiefen Stille erkannte ich etwas, ohne zu wissen, was es war, aber in einer größeren Tiefe als jemals zuvor erkannte ich, dass ich die

Wahrheit

war, dass ich

jetzt

die

lebendige Wahrheit

war und nichts weder

sie

noch mich zerstören konnte, dass nichts die

Wahrheit

verdrehen konnte. Sie war meine eigene

Wahrheit

, nicht die Wahrheit anderer.

Von hier aus konnte ich weitergehen. Ich wusste damals, dass ich von eben jenem Augenblick an voranschreiten konnte, ohne Mühe und Ringen. Zuvor war die

Wahrheit

für mich bei Weitem ein gedankliches Konzept gewesen und ich hatte mich dieser Tatsache nicht stellen können, weil ich nicht loslassen wollte, was ich für wahr hielt. Aber nun konnte ich mich jeder Tatsache stellen, egal was es war, gut, schlecht oder mäßig. Ich erkannte, dass ich die

Wahrheit

nicht ändern konnte – die

lebendige Wahrheit

– von der ich wusste, dass ich sie selbst

sei

, und ich wusste, dass die

Liebe

, die mich erschaffen hatte, alles erschaffen hatte. Das war die

Macht

, die dem Menschen im Him­mel und auf Erden gegeben war.

Mein Denken ging in der

Stille

auf, aus der

schöpferisches Denken

entsteht, und während sich meine verwirrten Gedanken in Nichtvorhandensein auflösten, verwirklichte ich jenes, was kein gedankliches Konzept war. Ich hatte die

Stille

erreicht, in der es

vollkommene Liebe

gab – jen­seits des menschlichen Begriffsvermögens der

Liebe

.

Dieses war keine tote Stille, als hätte man mich gebettet, oder eine Stille, die ich selbst erschaffen hätte; es war eine Stille, in der alles verwirrte Gedankengut, das Denken selbst, endete, und in jener Ruhe, als das Äußere mich nicht länger festhielt, fand ich die Schaffenskraft, die

ewig

und

allgegenwärtig

ist, und ich wusste, dass ich eins mit

ihr

war. Sie war mein,

jetzt

und für immer, und niemand konnte

sie

mir nehmen. Die

Liebe

war die schöpferische

Kraft

in aller Schöpfung, weil

Gott

die

Liebe

ist und alle

eins

mit

ihm

sind, weil es niemanden Anderen gibt, aber

er

...

Es war Geshi Rimpoche, der die Stille brach. „Lass uns hinausgehen und die Sonne untergehen sehen, mein Sohn“, sagte er.

Ich antwortete, dass ich das gern täte; ein Sonnenuntergang hat es nie verfehlt, mir eine Erregung zu bereiten.

„Es ist jeden Abend ein anderer Sonnenuntergang“, bemerkte ich.

„Ja“, antwortete er, „ich habe der Sonne nun seit vielen Jahren beim Auf- und Untergehen zugesehen, und keine Zwei sind je dieselben gewesen. Es ist die Vielfalt des

einen Lebens

, mein Sohn. Du und ich, wir stammen aus demselben

Leben;

der einzige Unterschied ist die Vielfalt. Wenn wir die Vielfalt ver­stehen, wissen wir, dass

‚einer‘

allein hinter alledem steht.“

Nichts richtete mich mehr auf als die Worte Geshi Rimpoches; sie bewirkten es, meine ganze Natur umzuwandeln. Es handelte sich nicht um ein intel­lektuelles Wissen, sondern es fanden ein tieferes Verstehen und eine Umwand­lung statt. Ich hatte die Quelle gefunden und ich war zufrieden, zufrieden jetzt voranzuschreiten. Es gab kein Suchen oder Ringen mehr; mein Suchen und Ringen zu wissen, was die

Wahrheit

war, war zu einem Ende gekommen.

Jetzt war eine Vorwärtsbewegung vonnöten und alles, was ich hören, sehen und fühlen würde, so wusste ich, würde mir wie nie zuvor helfen; denn während ich zuvor darüber nachgedacht hatte, was wirklich wäre, wusste ich jetzt, dass es nicht das

Wirkliche

war – das

„Unerschaffene“

allein war

wirklich

und schöpferisch, nicht das Erschaffene. Das wusste ich und was darauf folgte, wenngleich es erstaunlich war, sehr gelinde gesagt, berei­tete mir keinen Kummer mehr, selbst wenn ich das „Warum“ nicht kannte, denn ich wusste um die Ursache hinter allen großen und kleinen Dingen, und ich war eins mit ihr: Es konnte nicht anders sein, da

Gott

der

Natur

nach

unendlich

war und es deswegen kein begrenztes

Sein

gab

,

getrennt vom

Unendlichen

, denn das wäre unmöglich.

Dann gab es ein Abendessen, das extra nach meinem Geschmack zubereitet worden war (Huhn und Bratkartoffeln), jenes vorige, ähnliche Mahl, das ich erwähnt habe, war in mein Unterbewusstsein gesunken, weil der Genuss, es zu essen als ich extrem hungrig war, und es an der freien Luft zu essen, mir eine physische Befriedigung verschafft hatte.

Dann sagte ich zu Geshi Rimpoche: „Ich würde gern aus erster Hand etwas über das Volk Tibets hören, seine Bräuche und so weiter – alles, was du mir freundlicherweise erzählst, wird von großem persönlichem Interesse für mich sein, weil mein Auf­enthalt zwangsläufig kurz ist und meine Eindrücke eines derart weitläufigen Landes tendenziell oberfläch­lich sein müssen.“

„Ja, mein Sohn, du erahnst meine Gedanken; ich wollte dir etwas über das Volk und seine Bräuche erzählen, so dass du im Folgenden besser darauf vorbereitet bist ein Wissen zu erlangen, das du sonst nicht bekämest. Aber bist du nicht müde?“, fragte er.

„Nein“, antwortete ich, „eine weitere Stunde mit derartigen Informationen wäre mir sehr lieb.“

Dann sagte er: „Du hast bereits gemerkt, da bin ich mir sicher, dass das tibetische Volk einer fröhlichen Natur ist.“

„Ja“, stimmte ich zu, „sie lachen stets, besonders die Frauen, die ich getroffen habe.“

„Oh, ja“, sagte er, „gewöhnlich lachen sie, wahrscheinlich weil sie dich gern als Ehemann hätten, da du anders als ihr eigenes Volk bist.“

Ich sagte: „Das kann ich bestätigen. Als wir wir nach Yatung kamen, stießen wir auf etwa ein Dutzend Mädchen, die begannen unter sich zu tuscheln und zu lachen, und ich fragte meinen Dolmetscher, was sie sagten. Er erzählte mir, dass sie unter sich tuschel­ten: ‚Hübscher Ehemann

.

‘ Die eine würde sagen: ‚Meiner‘, und eine andere würde sagen: ‚Meiner‘, und sie lachten für gewöhnlich alle herzlich.“

„Ja“, fuhr er fort, „ein Teil unseres Volkes praktiziert die Polyandrie, aber das stirbt schnell aus. Polyandrie bedeutet, wie du weißt, dass die Frau mehr als einen Ehemann hat. Wenn sie den ältesten Sohn heiratet, akzeptiert sie die jüngeren Söhne der Familie ebenfalls und niemand weiß, wer der Vater der Kinder ist; die jüngeren Söhne werden Onkel genannt. Aber wenn sie den jüngsten Sohn heiratet, wird er ihr einziger Ehemann.“

„Aber“, bemerkte ich, „es scheint viel mehr Frauen als Männer zu geben.“

„Ja“, stimmte er zu, „aber das hält sie nicht davon ab, die Po­lyandrie zu praktizieren. Auch die Polygamie wird praktiziert: Einige der reicheren Klasse haben mehr als eine Ehefrau, aber auch das stirbt aus.

Die Kindersterblichkeit“, fuhr er fort, „ist in Tibet sehr hoch. Viele Mütter und Babys sterben an der strengen Kälte. In den entlegenen Teilen Tibets wird der Ehemann oder Nachbar zum Geburtshelfer, wenn ein Lamadoktor nicht zur Hand ist. Die hygienischen Vorkehrungen sind sehr primitiv und ein Baby kann froh sein, wenn es gebadet wird – für gewöhnlich wird das Baby mit Yakbutter eingerieben.“

Ich bemerkte: „Ich vermute, dass du in deinem Leben oft Geburtshilfe geleistet hast, richtig?“

„Oh ja, sehr oft. Tatsächlich wurde ich in meinem Distrikt darin recht routiniert“, und er fuhr fort: „Du kannst ermessen durch welche Mühsal die Mütter gehen, wenn sie Kinder zur Welt bringen, denn es ist schwierig genug, ausreichend Brennmaterial zum Ko­chen aufzutreiben, ganz zu schweigen von der Menge zum Erhitzen eines Badewassers. Jene, die nahe der Baumgrenze leben, haben es einfacher sich Holz zu verschaffen, aber sie sind eingeschneiter im Winter. So gleicht es sich auf beiden Seiten aus. Sehr selten bleibt eine Mutter länger als einen Tag oder so im Bett.“

Ich bemerkte: „Ich sehe eine Menge Mädchen um das Kloster herumlungern.“

„Ja“, antwortete Geshi Rimpoche, „obwohl die Lamas ein Zölibatsge­lübde abgelegt haben, fallen einige aus der Rolle. Tatsächlich scheint es den Äbten egal zu sein und viele der Kinder, die du siehst, wissen nicht, wer ihr Vater ist. Aber die Tibeter haben Kinder leiden­schaftlich gern und wenn ein Mädchen heiratet und zuvor schon ein Kind hat, nimmt der Ehemann das Kind als sein eige­nes an; es trägt seinen Namen und ist forthin als sein Kind be­kannt.“

Ich sagte: „Das ist sehr großmütig.“

„Nun“, kommentierte er, „das Volk hier betrachtet den Sex nicht wie ihr im Westen; das Ergebnis ist, dass sie glücklicher sind.“

„Gibt es Scheidungen oder etwas Ähnliches?“, fragte ich.

„Oh, nein“, sagte er, „die Lamas kümmern sich darum“, und er fügte hinzu: „Es ist sehr wünschenswert, dass ein männliches Kind in die Familie geboren wird, besonders wenn ein Anwesen betroffen ist. Ich kenne einen Mann, der drei Schwestern in einer Familie geheiratet hat, bevor ihm ein Sohn ge­schenkt wurde.“

„Hat er die drei Ehefrauen noch immer?“

„Oh, ja“, antwortete er, „das ist die Regel.“

„Und sie bekriegen sich nicht?“

„Nein, wenn die Menschen derart erzogen werden, dann nehmen sie es als eine Selbstverständlichkeit hin.“

„Für die Frauen im Westen wäre das nichts“, bemerkte ich.

„Nein“, sagte er, „aber im Westen weiß der Eine nicht, was der Andere macht, während sie es hier wissen und das ist es, was den Unterschied ausmacht.“

„Interessanter Standpunkt!“, sagte ich.

„Es gibt Fälle, in denen der Vater und der Sohn dieselbe Frau geheiratet haben, wenn die Frau nicht die Mutter des Sohnes war.“

„Oh“, rief ich aus, „das ist sonderbar.“

„Ja“, sagte er, „aber es geschieht nicht sehr oft.

In den polyandren Ehen“, fuhr er fort, „übt die Ehefrau eine starke Kontrolle über ihren Hausstand aus, denn Frauen haben einen großen Einfluss in Tibet, sowohl im Hause als auch in der Wirt­schaft. Es ist außerordentlich bezaubernd sie zu treffen, und ihre Umgangsformen sind sehr angenehm. Sie besitzen eine leichte Freiheit, die in anderen Teilen der Welt nicht zu finden ist. Entgegen den Ehefrauen und Töchtern anderer Asiaten sind sie beim Teebesuch zu­gegen und tatsächlich fähig, sich um die Angelegenheiten ihrer Ehemänner zu kümmern. Es gibt viele weibliche Händler in den Dörfern und Städten, und sie sind in jedem Bisschen genau so gut wie der Mann, wenn nicht besser.“

„Im Westen“, sagte ich, „kommen sie auch dahin.“

„Die bäuerlichen Frauen“, fuhr er fort, „arbeiten in den Feldern, wobei sie beim Pflügen und beim Bearbeiten des Landes ihren Männern in nichts nachstehen. Tatsächlich sind die Frauen dem Mannsvolk in jeder Hinsicht ebenbürtig.

Männer und Frauen“, fuhr er fort, „zeigen sehr selten Eifer­sucht, wenn Ehemänner oder Ehefrauen Interesse aneinander zei­gen und es wird nicht als Schande angesehen, wenn ein Mädchen vor der Hochzeit ein Kind hat.“

Ich fragte: „Wie gelingt es ihnen, sich in diesen polyandren Ehen zu arrangieren?“

„Nun“, antwortete er, „der Ehemann, der sich mit der Ehefrau im Raum befindet, lässt seine Stiefel vor der Tür stehen.“ Wir lachten beide darüber.

Ich sagte: „Das ist irgendwie ein gutes Arrangement, aber ich denke nicht, dass das im Westen funktio­nieren würde. Weder die Polygamie noch die Polyandrie würden geduldet werden. Tatsächlich ist es ungesetzlich zwei Ehe­männer oder Ehefrauen zu haben.“

„Ja“, antwortete er, „ich weiß das, denn ich bin in meinen jünge­ren Tagen durch viele Länder gereist. Weißt du, mein Vater war ein Maharajah und man sandte mich auf eine englische Schule in Indien. Damals traf ich den

Yogi

, der mir eine Einsicht in die Mysterien des

Lebens

gab. Er wies mich an, die Welt zu sehen und zu verstehen. Ich war ein geeigneter Schüler und wurde ein Abt, sprich Lehrer in einem tibetischen Kloster. Ich habe die meisten der okkulten

Wissenschaften

einschließlich

Tumo

erlernt.“

„Ja, ich hörte, dass du ebenfalls ein

Meister

des

Tumo

bist.“

„Ja“, sagte er, „die Kräfte des Menschen sind den Nichterleuch­teten verborgen und es geschieht durch die Weisheit des

Schöpfers

, dass allein jene, die das Verstehen haben, sie nutzen können.“

„Ja“, sagte ich ihm, „ich bin dankbar für die Mög­lichkeit, von den Meistern der verschiedenen okkulten

Wissenschaften

zu lernen, und das alles verdanke ich deinem großen Interesse an mir.“

Als ich das sagte, sah er mich wie ein Vater an, der seinen Sohn liebt.

Die Zeit verging schnell und es war fast Mitternacht.

„Nun“, sagte er, „du musst dich ausruhen. Ich werde dir morgen mehr über das tibetische Volk erzählen, aber du wirst auch vieles auf deinem Weg zum Ok Tal allein herausfinden. Weißt du, dein Freund wartet dort auf dich und du musst Lingmatang bald verlas­sen.“

„Ich habe Lingmatang immer lieber; ich fühle mich hier wie zu Hause“, sagte ich.

„Das ist es“, sagte er. „Es ist dein zu Hause, wann immer du kommen möchtest; die Tür wird dir immer offen stehen.“

Es war großartig, das von einem derart großen Weisen wie Geshi Rimpoche zu hören, denn es war aufrichtig. Glücklich ging ich für die verbleibenden Ruhestunden hinein, gespannt darauf, was der Morgen bringen würde.

Jenseits des Himalaya

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