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Einführung

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Moskau, Flughafen Scheremetjewo.

2015

Drei Tagen vor der Fernsehsendung in Moskau begann ich mich vorzubereiten: Ich traf mich mit Journalisten, Bloggern, Medienleuten und Politikwissenschaftlern. Ich wusste, dass ich nichts falsch machen darf. Denn wenn ich hingehe, dann nur für den ideologischen Sieg! Ich bin kein Romantiker und verstand, was die Absurdität des Kremls ausmacht, was Propaganda ist und wie sie präsentiert wird. Ich sammelte viele Fotobeweise, weil ich verstand, dass Worte dort niemanden überzeugen würden.

Ich hatte vor, folgende Botschaften zu übermitteln:

 Das illusorische Noworossia ist nicht der Südosten der Ukraine bis zum Schwarzen Meer, sondern es sind nur zwei oder drei Bezirke in den Gebieten Donezk und Luhansk;

 Das Gesetz über die Dekommunisierung handelt von der Vereinigung des Landes und von Gerechtigkeit, nicht von einem Verbot von Medaillen für Veteranen;

 Reformen begannen und ein Jahr später kamen Botschaften wie „Was ist mit den Chochly1 los?“, die sich dann änderten zu „Nun, wie geht es ihnen dort in Europa?“;

 Haben die Russen nicht den Eindruck, dass die Russische Welt gescheitert ist, als die Burjaten begannen, orthodoxe Ukrainer im Osten dafür zu töten?

Aber ich wusste auch, dass sie fragen würden, wo mein Großvater gekämpft hat. Das ist eine übliche Manipulation in Russland, um zu zeigen, dass wir undankbare Nachkommen sind, wenn mein Großvater für die sowjetische Armee kämpfte, oder Faschisten, wenn meine Verwandten für die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) kämpften. Aber meine Großväter, oder besser gesagt meine Urgroßeltern, haben eine solche Frage offenbar antizipiert, und so war einer von ihnen in der UPA und der andere in der Roten Armee. Es war mir immer wichtig, darüber zu sprechen und so Menschen aus verschiedenen Teilen der Ukraine zu vereinen.

Ich habe viel mit unserem Militär aus der Ostukraine gesprochen und alle Blogs und Artikel durchgeschaut. Ich notierte alle ideologischen „Spielfiguren“ oder Tricks des Kremls.

Die Zeit im Studio war intensiv, manipulativ, sehr emotional und dauerte ungefähr fünf Stunden. Obwohl sie nur 40 Minuten für jede der beiden Episoden brauchten. Damals verstand ich noch nicht, wozu so viel Meter zusätzliche Aufnahmen ...

Nach der Aufnahme verließ ich lächelnd und zufrieden das Studio, wie mir damals schien, lief alles super. Wir hatten die richtigen Botschaften übermittelt, die proukrainische Position verteidigt und die Anwesenheit russischer Truppen demonstriert. Meine Hochstimmung wurde vom Redakteur bemerkt, der ziemlich dreist antwortete: „Freuen Sie sich nicht, das ist unsere Show, wie wir es wollen, so schneiden wir auch.“ Erst später wurde mir klar, was er meinte, als das Filmmaterial auf dem Fernsehbildschirm praktisch nicht wiederzuerkennen war.

Ich ging zum Mjasnizkaja-Ufer, an die Stelle, an der Boris Nemzov getötet wurde. Ein Mann, der ein echter Russe und gleichzeitig ein Freund der Ukraine war, kein postsowjetischer Modernist und Ukrainophob, wie es heute in Moskau üblich ist. Die gesamte Stadt war mit Sankt-Georgs-Bändchen übersät: vom Flughafen bis zu den Fußgängerstreifen, von den Abgeordneten bis zu den Obdachlosen am Stadtrand. Eine Art totale Parade von Tod und Absurdität. Was das Empfinden, in einer parallelen Realität zu sein, weiter bestärkte.

Ich wollte nicht länger in Moskau verweilen und herumlaufen, weil es mir irgendwie unangenehm war, außerdem wollte ich die Zollkontrolle so schnell wie möglich passieren. Aufgrund dessen, was gesagt und erklärt wurde, wollte ich definitiv dort nicht bleiben.

Bereits am Flughafen wartete ich auf mein Flugzeug und las die Nachricht der Pressesprecherin eines der wichtigsten Oppositionellen der Russischen Föderation, Alexei Nawalny, Anna Weduta, die auf ihrer Facebook-Seite Nadeschda Tolokonnikowa, eine Aktivistin der Oppositionsbewegung Pussy Riot, repostete und das wahrgenommene russische Bild weiter ergänzte.

Hätte ich 2008 ahnen können, dass Putins ideologischer Apparat sich um 180 Grad drehen und die demonstrative Entpolitisierung, die wahrgenommene Fadheit der „Stabilität“, den scheinbar vagen „Plan Putins“ (von dem niemand etwas weiß außer der Tatsache, dass er einst existierte) verändern würde zu einer aggressiven, propagandistischen Mobilisierungspolitik?

Putin hat sich lange warmgelaufen. Er griff nach einer Ideologie, spielte mit Konzepten. Er griff zuerst die Religion auf, spielte die Pussy-Riot-Karte und machte Patriarch Kirill zum Headliner aller TV-Programme des Jahres 2012. Dann wurde die Sportkarte gespielt – die Olympischen Spiele oder, wenn Sie möchten, Olympia (1938, Leni Riefenstahl). Und jetzt die Russische Welt, der „Russische Frühling“, die „nationalen Verräter“, die „fünfte Kolonne“ und die freiwillige Isolation. Ich weiß nicht, wie Sie das alles wahrnehmen, wenn schon mein Bewusstsein, das von der Absurdität einer russischen Kolonie vergewaltigt und geprüft ist, sich weigert, eine solche Realität zu akzeptieren.

Dort am Flughafen verstand ich drei Dinge:

 Schrecklicher als Putin, der sich selbst zerstören wird, sind die Rache der Moskauer Regionalen und Janukowytsche und unsere internen Streitigkeiten, die wir hier austragen;

 Unsere Untätigkeit: wir haben niemanden für die Verbrechen gegen den Majdan bestraft, niemanden für die tragischen Maitage in Odessa, für die sogenannten Selbstmorde von Regionalen. Das aber ist Nahrung für die Revanchisten;

 Auftraggeber und Ausführende der Verbrechen sind bekannt, aber niemand sagt etwas, niemand tut etwas. Die politische Elite in Kyjiw glaubt, dass alles ruhig bleiben wird, ohne Konkurrenz, eine Art Petschersker interne Mauschelei.2

Nein, Freunde, die frühere Partei der Regionen bereitet einen Putsch vor. Sie haben ein „Wir“ entwickelt, das sich nicht mehr mit der Partei der Regionen identifiziert. „Janukowytsch hat sie verraten.“ Sie sind alle Opfer und warten auf Rache. Natürlich gehen sie momentan in Moskau nicht weiter als bis Rubljowka oder Sadowoje Kolzo. Aber das Wolfsrudel wartet auf den richtigen Moment.

Und es wäre ein Verbrechen, wenn wir nach dem Majdan, nach Zehntausenden von Toten in der Ostukraine unseren Staat wieder in die Hände prorussischer Putinisten übergeben, die sich an den Ukrainern für ihre politische Auswanderung und den Sturz des Janukowytsch-Regimes rächen werden.

Ich mag zu emotional klingen, aber ich habe für mich entschieden, dass ich es von nun an zehnmal besser machen werde, wenn ich den Jungs von ATO irgendwo geholfen habe. Wenn ich die Regierung wegen Untätigkeit kritisierte, dann werde ich es hundertmal aktiver tun. Und wenn ich mein Land liebte und es verteidigte, dann werde ich es millionenfach stärker tun.

Wir haben keine Rückzugsmöglichkeiten und es besteht die Gefahr einer Niederlage. Wir haben einen Weg, den Sieg. Trotz globaler Pläne und Wünsche des Diktators Putin und trotz unserer internen Verräter sind wir gezwungen, aus dieser depressiven Zone auszubrechen und ein reiches, glückliches Land zu werden, wo Recht herrscht. Andernfalls würden wir unterjocht in ewiger Sklaverei leben. Wie schon auf der Mjasnyzkaja-Uferstraße geschrieben stand: Kämpfe!

Mein Flugzeug landete in Boryspil und es war wahrscheinlich meine glücklichste Rückkehr nach Hause.

Ein Jahr nachdem ich diesen Text auf meinem Facebook-Profil veröffentlicht hatte und von den Dreharbeiten zu jener Fernsehsendung zurückgekehrt war, beschloss ich, ein Buch zu schreiben. Dies könnte die Fälle von Informationsmanipulationen im Kreml, die ich gesehen und analysiert habe, weitergeben sowie Erfolgsgeschichten zeigen, wo Menschen Attacken von Militär und Informationen widerstehen konnten.

Es sind Siegesgeschichten, in denen Bürger allein oder als Gruppe den Angreifer zurückwiesen, ohne aufzuhören zu arbeiten, sich der Erziehung ihrer Kinder und der Fürsorge für ihre Eltern zu widmen.

Ich glaube und weiß, dass Sie in diesen wahren Helden unseres täglichen Lebens einen Teil von sich selbst erkennen werden.

Analysieren Sie und lassen Sie sich inspirieren!

* Zum besseren Verständnis einiger Begriffe, die im Text gelegentlich kursiv gesetzt wurden, habe ich am Ende des Buches ein kurzes Glossar angefügt.

1 Chochly ist eine starke Beschimpfung der Ukrainer. Das Wort bezeichnet die Heringsschwänze genannten Stirnlocken der Kosaken. (Anm. d. Übers.)

2 Der Kyjiwer Stadtteil Petschersk umfasst die historischen Bereiche des Stadtzentrums von Kyjiw. Hierzu zählt außer dem Areal des Höhlenklosters auch das Regierungsviertel, in dem intern viele Posten und Gelder verteilt werden. (Anm. d. Übers.)

Wie funktioniert Putins Propaganda?

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