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Die Vereinigung der Dunkelheit

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Josh:

Ich renne, was meine Beine hergeben. So schnell bin ich in meinem Dasein noch niemals gelaufen, wie in diesem Augenblick. Und mein Leben währt schon eine verdammt lange Zeit.

Es ist so, als renne ich um alles, was mir wichtig erscheint. Meine Seele, mein Leben, mein Blut.

Aber eigentlich laufe ich nur um eines: mein Herz.

Es ist ein Wettrennen gegen die Zeit. Der Preis ist die ewige Verdammnis der Liebe.

Ich muss einfach schneller sein, mein Ziel erreichen, bevor alles vorbei ist.

Ich schieße um Häuserecken, überquere einen einsamen, verlassenen Platz, renne durch enge Gassen und über breite Straßen.

Endlich sehe ich Licht am Horizont. Es flackert und leuchtet, mal heller, mal dunkler. Bis zu mir dringt der bestialische Gestank. Dunkler Qualm steigt auf, der sich mit dem Nachthimmel vereint.

Ich versuche mich noch schneller zu bewegen, meinen toten Körper zu Höchstleistungen anzustacheln.

Die hohe Kirche, mit ihren zwei Verbindungstürmen, ragt unschuldig vor mir in die Dunkelheit auf.

Viel zu plötzlich stehe ich davor, es trennen mich höchstens dreißig Meter.

Endlich bin ich da.

Aber es ist nicht das alte Gotteshaus, das mich interessierte und so rasch laufen ließ. Ich bin wegen einer einzigen Person hier hergekommen:

Natascha.

Mein Blick schweift umher, ich suche sie.

Ein Feuer lodert vor der Kirche, ihre Flammen zucken und züngeln, als warten sie auf etwas. Es blendet mich, nimmt mir immer wieder die Sicht. Mit einem Mal sehe ich sie, wie ein Vogel schwebt sie dem Boden entgegen, genau auf die Mitte des Feuers zu.

»Nein …«, hauche ich noch, da schlägt ihr Körper in den Gluthaufen ein.

Einen Lidschlag brauche ich, um mir bewusst zu werden, das sie vorhat sich das Leben zu nehmen, sie will sich wirklich töten.

Ich laufe los.

»NATASCHA!«

Das Knacken und Krachen übertönt meinen panischen Schrei. Ihr Körper taucht immer tiefer in den Gluthaufen ein.

Ich renne um das Feuer herum, suche verzweifelt eine Lücke. Eine Stelle, an der die Flammen nicht meterhoch in die Nacht züngeln. Durch glühende Äste, brennenden Abfall hindurch, sehe ich sie. Ein Stock hat sich in ihren Körper gebohrt.

Die Angst kriecht mir die Kehle hoch, verschließt sie. Ich muss nicht atmen, um zu überleben, trotzdem schnappe ich keuchend nach Luft.

Natascha ist direkt vor mir, keine zwei Meter von meiner ausgestreckten Hand entfernt.

Aber dennoch unerreichbar für mich.

Ich fühle, wie die Hitze meine Haut versengt. Wenn ich länger hier stehen bleibe, gehe ich irgendwann einfach in Flammen auf.

Ich muss etwas tun.

Jetzt sofort!

Sonst ist es um alles geschehen, was mir heilig ist. Um alles, das mir in meinem Dasein je etwas bedeutet hat.

Ich hole tief Luft, halte sie in meinen Lungen und nehme Anlauf.

Kurz vor dem Feuerberg schließe ich die Augen.

Mit einem lauten Krachen pralle ich mitten in die brodelnde Hitze hinein. Taste mich vor, fühle glühende Äste, spüre die schier unerträgliche Hitze. Das Feuer frisst sich durch meine Haut, lässt mein Blut erstarren und mein Fleisch verkohlen.

Mit einem Mal fühle ich etwas anderes.

Etwas Weiches, ihre Hand.

Ich ziehe, wie ein Verrückter, gehe rückwärts und schleppe sie mit mir. Das brennende Holz verrutscht, prasselt neben uns nieder. Der ganze Haufen scheint in sich zusammenzufallen. Jetzt aber nichts wie raus hier, denke ich und zerre noch kräftiger an ihrer Hand.

Es erscheint mir, als wären die Ränder des Feuers unglaublich weit entfernt, meilenweit vor mir liegt der Ausgang.

Das schaffe ich niemals.

Nicht mit meiner immer schwerer werdenden Last. Ich werde in diesem Feuer umkommen, wenn ich sie nicht loslasse.

Aber das ist das Letzte, das ich tun werde. Ich liebe sie, ich lebe nur ihretwegen und um nichts in dieser Welt, oder in der Nächsten, würde ich sie sterben lassen.

Nicht wenn ich meinem Ziel so nahe bin.

Durch die zuckenden, gelbroten Flammen hindurch sehe ich plötzlich Nicki. Er geht wie ein Tiger um den Feuerberg herum, sucht, so wie ich eben, einen Eingang. Ich strecke meine Hand aus, öffne den Mund zu einem Schrei. Trotz der Flammen und des Rauches, die in mich eindringen, um mein Innerstes zu verbrennen, höre ich weit entfernt meinen Ruf.

Aber Nicki reagiert nicht, hat er mich nicht gehört?

Kann er mich nicht mehr hören, weil ich schon tot bin?

Gestorben, in den mörderischen Flammen, die nicht für mich bestimmt waren? Jetzt spüre ich die Verzweiflung fast noch stärker als die Schmerzen.

Einen letzten Versuch wage ich, dann ist es an der Zeit, dass ich mich und auch sie, aufgebe.

»Nicki, … hier sind wir.«

Sein Kopf ruckt herum, die Augen suchen uns. Hat er mich diesmal gehört?

Er springt nach vorne, streckt seine Hand aus, verzweifelt tastend. Ich fühle plötzlich etwas Kühles zwischen meinen Fingern.

Ein scharfer Ruck.

Mit einer enormen Kraft zieht er mich und Natascha aus dem Feuerberg heraus. Die Funken fliegen, Glutbrocken spritzen umher. Überall auf mir ist Feuer, versucht sich durch meine Haut zu brennen, es will mich auffressen.

Nicki reißt sich den Pullover vom Leib, schlägt damit auf mich und Natascha ein. Er will die Flammen ersticken, das Feuer löschen, um uns am Leben zu erhalten.

Keuchend lasse ich mich auf das kühle und feuchte Gras sinken, versuche mich etwas zu beruhigen, bevor ich nach Natascha sehen kann.

Aus der Entfernung höre ich bereits die Sirenen, die Mannschaft der Feuerwehr wird bald hier sein. Sie sind schnell, kein Wunder, besteht doch die Hälfte der Jungs aus Vampiren.

»Verdammt«, flucht Nicki, »wir müssen weg hier, Josh.«

»Ja, ja. Ich weiß.« Meine Stimme klingt, als stecke sie noch im Feuer fest, als habe sie es nicht mit mir hinausgeschafft.

»Ich nehme sie, du musst alleine laufen.«

Seine Worte sind noch nicht ganz in mein Gehirn eingedrungen, da sehe ich bereits, wie er seine Arme unter Nataschas verbrannten Körper schiebt, sie vorsichtig hochhebt und mit ihr davonrennt.

Mühsam rappele ich mich hoch, stolpere ihnen hinterher. Mehrmals falle ich hin, krieche, krabbele. Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr.

»Josh!«, höre ich Nicki rufen, »komm jetzt.«

Sein Befehlston treibt meinen geschundenen Körper weiter. Ich stemme mich in die Höhe, strauchele mehr, als ich laufe. Schaffe es dennoch, das Feuer hinter mir zu lassen und den Anschluss an die beiden nicht zu verlieren.

Irgendwann hält Nicki an, wirft sich mit seiner kostbaren Fracht gegen eine Hauswand, lässt sich an ihr hinunter gleiten, bis er auf dem Boden sitzt.

Natascha auf seinen Beinen, in seinen Armen, für mich ein schier unerträglicher Anblick.

Schwer lasse ich mich neben ihn fallen, greife nach ihr.

»Gib sie mir«, krächze ich, »deine MP bohrt sich in ihren Rücken.«

Aus irgendeinem Grund hat Nicki seine MP-5 mitgebracht. Diese kleine Maschinenpistole, die seit Kurzem seine beste Freundin ist.

Er zögert, will mir Natascha nicht überlassen.

Ich fasse nach ihr, ziehe sie entschlossen von seinem Schoss in meine Arme.

Wie ein Stück Fleisch lehnt sie an meinen Oberkörper, ich rücke sie ein wenig herum, bette ihren Kopf in meiner Armbeuge. Beinahe ihre gesamte Haut ist verkohlt, aber unter dem Gestank, kann ich immer noch Nataschas süßen Duft riechen. Ihr Geruch weht zu mir empor, hüllt mich ein, umschmeichelt mich und lässt mein Blut kochen.

»Was machen wir jetzt?«, fragt Nicki neben mir und reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich sehe ihn an, er zuckt erschrocken zurück.

Meine Gefühle, meine Absichten, stehen sie mir so deutlich ins Gesicht geschrieben?

Ich halte mir das Handgelenk an die Zähne, ein kräftiger Biss und schon sprudelt mir mein Blut entgegen.

Rasch lege ich Natascha die blutende Wunde an den Mund, drücke ihre verbrannten Lippen auseinander, zwinge ihr so meinen Lebenssaft auf.

Sie trinkt nicht, aber das Blut erledigt dennoch seine Arbeit. Mit viel Glück ist sie noch nicht so tief in die Verdammnis eingetaucht, steht noch mit einem Fuß in dieser Welt.

Ich kann nur das Beste hoffen … und abwarten.

Plötzlich höre ich einen gurgelnden Schrei, Natascha bewegt sich leicht, ihre Lippen legen sich um mein Gelenk. Ich fühle, wie sie gierig ein paar Schlucke in sich einsaugt. Erneut ein hohes Kreischen von ihr, sie kneift die Lider zu, ganz fest.

»Das glaube ich ja nicht«, ich sehe Nicki schlucken.

Natascha reißt die Augen auf, blickt sich um.

»Ich auch nicht …«, murmelt sie und sieht ehrlich überrascht aus.

In ihren Pupillen glüht kein Feuer und es fließt keine Lava mehr. Als haben die realen Flammen alles gelöscht. Ihre Iris ist schwarz, wie Teller, glanzlos, matt und starr.

Voller Dunkelheit und Leere.

Ich aber kann nicht anders und drücke sie an mich, atme ihren köstlichen Duft ein. Meine Umarmung gleicht einem Ertrinkenden und so fühle ich mich auch.

Nicki wirft ebenso seine Arme um unsere Körper.

»Es ist schön, dass du wieder da bist«, haucht er.

Ich spüre, wie Natascha sich bewegt, ihre Hände tasten umher.

»Wer hat mich zurückgeholt?« Ihre Stimme ähnelt ihrer früheren in keiner Weise mehr.

»Josh«, antwortet Nicki, »er hat dich aus dem Feuer geholt und dir sein Blut gegeben. Er hat dich gerettet.«

Ich höre ein leises Seufzen, sie schmiegt sich enger an meinen toten, kalten Körper, ein Schauer jagt über meinen Rücken.

In diesem Augenblick spüre ich, wie sehr ich sie liebe. Mehr als mein Dasein und alles, was mir heilig ist. Ich bin versucht, es zu sagen, jetzt in diesem Moment über die Lippen zu bringen. Ich will ihr meine Liebe gestehen, auch wenn sie es bereits lange ahnt, oder sogar weiß. Aber ich möchte unbedingt, dass sie es aus meinem Mund hört.

Schon hole ich Luft, ignoriere das seltsame, metallische und kalte Gefühl an meinem Kinn. Ich möchte mich nur zu meiner Liebe bekennen.

Aber soweit kommt es nicht mehr, weder in diesem, noch im nächsten Leben.

»Du hast mich zurückgeholt, du … Bastard.«

Nataschas Stimme vibriert, so viel Hass liegt in ihr. Ich bin kurz völlig erstaunt, dann höre ich einen scharfen Knall.

Ich sehe, wie in Zeitlupe, Blut spritzen, Knochensplitter fliegen wie Schrapnellteile umher.

Schlagartig ist meine gesamte rechte Seite in Dunkelheit gehüllt.

Erst verspätet kommt der Schmerz, trifft mich wie ein Kanonenschlag.

»Nein!«, schreit jemand, wahrscheinlich Nicki.

»Ich war glücklich … und du Mistkerl hast mich zurückgeholt.«

Sie kreischt, aber es dringt nicht mehr bis zu mir durch. Nur entfernt, wie durch einen Berg aus Watte, höre ich ihre vor Zorn spritzende Stimme und Nickis Gebrüll.

Mit einer raschen Bewegung springt er auf und reißt Natascha aus meinen Armen. Ich rutsche langsam an der Hauswand entlang zu Boden, liege auf dem kühlen Asphalt.

Lange werde ich meine Augen nicht mehr aufhalten können, ich bin so müde, unendlich erledigt, so tot.

Ich möchte schlafen und niemals wieder aufwachen. Dennoch will ich einen letzten Blick in ihr zauberhaftes Gesicht werfen. Unter großen Anstrengungen hebe ich meinen Kopf, suche ihren Blick und nagele ihn förmlich fest.

Nicki bemüht sich, sie zu bändigen, die Arme hinter ihrem Rücken verschränkt, versucht er sie festzuhalten. Sie sträubt sich, wehrt sich aus Leibeskräften. Als mein Blick sie trifft, hält sie inne, ihre Mimik fragend, so als wüsste sie nicht, was mit mir geschehen ist.

Weiß sie das wirklich nicht? Oder ist sie nur eine verdammt gute Schauspielerin, frage ich mich durch den Nebel hindurch, der mittlerweile mein Gehirn erreicht hat.

Eine schwarze Wand senkt sich langsam über mein Gesichtsfeld, ich versuche die Augen aufzuhalten, aber sie scheinen Tonnen zu wiegen, ich schaffe es einfach nicht.

Ich höre Nicki und Natascha sprechen, kann aber keine genauen Worte verstehen, es ist mir auch einerlei. Es ist mir gleich, über was die beiden sich unterhalten. Mir ist plötzlich alles völlig egal, auch ob ich dies hier überleben werde.

Ich liebe dich, Natascha.

Habe ich die Worte ausgesprochen, oder nur gedacht?

Ich weiß es nicht, meine Kraft reicht nicht aus, um diesen Satz zu wiederholen. So denke ich ihn bloß noch einmal, zweimal, immer öfter, immer schneller.

Bis die Worte in die Dunkelheit eintauchen und mich mitnehmen, hinter sich her zerren. Bis nur noch Schwärze und sonst nichts mehr um mich herum ist. Nur Nataschas Augen, diese Leere, diese Dunkelheit.

Trotz allem liebe ich sie noch …

Dann kann ich nichts mehr denken.

Dann … bin ich tot.

*

Nicki:

Ich sehe es nicht nur, ich kann es sogar spüren. Was sich da vor meinen Augen ereignet, kann ich nicht wahrhaben. Ich glaube es einfach nicht, weil ich es nicht glauben will.

Wo bin ich hier nur rein geraten? In einen billigen, sadistischen Horrorfilm? Was soll das hier sein, ein Traum? Ein Albtraum? Oder ist es etwa eine Vision? Wer weiß schon, was dieser ganze verdammte Mist soll, der sich in diesem Augenblick vor mir abspielt.

Anscheinend ist es nicht genug, das ich immer noch Joshs kräftigen Kinnhaken spüre, den er mir eben verpasst hat. Er war so wütend, der alte Junge, bloß weil ich ihm nicht sagen wollte, wo Natascha hingeht und was sie vorhat.

So unvorstellbar es auch ist, aber in diesem Moment halte ich sie fest und starre zusammen mit ihr auf seine Leiche.

Sie hat ihn erschossen, mit meiner MP.

Da der Satz weder Sinn ergibt, noch logisch klingt, denke ich ihn sofort noch einmal, ein zweites und gleich ein drittes Mal. Aber trotzdem rieseln die Wörter lediglich durch mein Gehirn, wie feiner Sand durch ein Sieb.

Ohne in mich einzudringen.

Ich kann … nein … ich will es nicht begreifen.

Was ist nur in sie gefahren?

Warum zum Teufel tötet sie ihren besten, ihren einzigen echten Freund?

»Du kannst mich jetzt loslassen«, murmelt sie in diesem Augenblick.

»Ich glaube, er ist tot.«

Ihre Stimme, einst so zart und sinnlich, klingt wie die einer Hexe, boshaft, krächzend und gemein.

Ein eisiger Schauer fließt meinen Rücken herunter. Wie kann sie bloß so kalt sein, so berechnend und rücksichtslos.

»Was ist nur mit dir geschehen?«, zische ich in ihr Ohr und packe ihre Oberarme fester, ziehe sie enger an mich heran.

Natascha dreht den Kopf ein wenig zur Seite, sie lächelt.

»Lass mich los, Nicki, bitte.«

Ich kann sie nur anstarren.

Weder habe ich gemerkt, dass sich meinen Griff lockert, noch es gewollt. Aber die kleine Schwarzhaarige dreht sich blitzschnell um und steht plötzlich vor mir.

Trotz allem, was sie in den letzten Minuten getan hat, bin ich gebannt von ihren schwarzen, seelenlosen Augen, die mich fixieren. Ihre Stimme, die aus den tiefsten Abgründen der Hölle zu kommen scheint, reizt mich, es juckt mich förmlich in den Fingern. Ein Kribbeln breitet sich über meinen gesamten Körper aus, lässt mich nach Luft schnappen und meine Hände mehrmals zu Fäusten ballen.

Natascha lächelt, ein überaus hämisches Grinsen entfaltet sich auf ihrem sonst so hübschen Gesicht.

Bevor ich etwas sagen oder gar tun kann, krächzt sie:

»Willst du mich gerne beißen und mein Blut trinken?«

Ich zucke erschrocken zurück.

Nicht nur, weil sie im Angesicht ihrer Taten einfach solche Worte ausspricht.

Es ist leider auch … die Wahrheit.

Ich würde jetzt nichts lieber geschehen lassen.

In Sekundenbruchteilen sehe ich es vor meinen Augen ablaufen:

Ich reiße sie an mich, schlage ihr meine Zähne in den Hals. Gierig trinke ich ihr Blut, das mir köstlich entgegen sprudelt, sauge es in mich auf.

Unkontrolliert und gierig beginne ich, zu keuchen.

Ihr Grinsen wird eine Spur breiter, sie tritt noch näher an mich heran. Ich kann sie riechen, nehme ihren herrlichen Duft in mich auf. Der hat schon immer eine magische Anziehung auf mich ausgeübt. Nie habe ich verstanden, wie Ansgar es aushielt, mit ihr zusammen zu sein, ohne pausenlos über sie herzufallen. Das war mir schon immer ein Rätsel.

Ihr Duft lockt mich, scheint über meine kalte Haut zu streichen, will mich verführen. Als wenn dazu so viel nötig wäre. Ich bin ein leichtes Opfer, ich fühle bereits, wie meine Gegenwehr erlahmt. Wie ich alles, was sie sagt, zulassen will, es einfach geschehen lasse.

Egal, was es auch sein mag.

Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, drängt sich an mich heran. Ihre Hände streichen um meine Taille, meinen Rücken hinauf.

Fast zärtlich legen sich ihre Finger auf meine Schulterblätter. Durch das dünne T-Shirt fühle ich die Kälte, die von ihrer Haut ausgeht.

Grob packe ich sie an den Schultern, schüttele sie kurz.

»Was zur Hölle hast du vor?«

Sie nähert sich meinem Gesicht, streicht sich mit der Zunge flüchtig über die vollen, roten Lippen. Eine sinnliche Geste, die mein Blut in Wallung bringt, es buchstäblich kochen lässt.

Mein Griff wird fester, brutal. Fast erwarte ich, jeden Moment ihre Knochen brechen zu hören.

»Küss mich, Nicki«, wispert sie.

Natascha steht so nahe vor mir, dass ihre Augen groß und rund erscheinen. Mich anleuchten, wie der Vollmond in einer sternenklaren Nacht, ein Mond direkt aus der Hölle, schwarz und tot.

Mein Blick wandert über die feinen Gesichtszüge, bis hinab zu ihrem Mund. Sie spitzt die Lippen, pustet mir ihren Atem entgegen. Er streicht wie eine leichte Brise über mein Gesicht, die feinen Haare richten sich auf.

Ein mörderischer Schauer jagt den Nächsten. Ich kann einfach nicht mehr widerstehen, keine Gegenwehr, kein schlechtes Gewissen.

Ich umarme sie, meine Lippen nähern sich ihren.

»Wirst du mich ebenso erschießen?«, frage ich knurrend und bin doch schon ein Gefangener ihrer Verführung.

»Nein, mit dir habe ich etwas anderes vor.«

Ihre Antwort ist mir gleichgültig, selbst wenn sie auf meine Frage mit Ja geantwortet hätte, würde ich nicht umkehren. Ich habe meinen Fuß auf diesen unbekannten, dunklen Weg gesetzt, nun ist es an der Zeit, den ersten Schritt zu wagen.

Wo wird er mich hinführen? In welchen tiefen Pfaden der Hölle endet dieser Weg?

Laut stöhne ich auf, als unsere Lippen sich treffen.

Ich küsse sie, gierig, hungrig und wild.

Sie erwidert meinen Kuss.

Endlich. Wie lange habe ich schon darauf gewartet? Ich weiß es nicht mehr, aber es kommt mir vor, als sei es eine Ewigkeit, wie mein ganzes verdammtes Leben.

Keuchend löse ich mich von ihr, streichele mit meinem Mund ihr Gesicht, küsse ihren Hals.

»Ja«, stöhnt sie voller Lust, »beiß mich.«

Ich zögere nur einen Atemzug, meine Augen wandern von ihrer reinen, weißen Haut, vorbei zu Josh. Er liegt noch auf dem Boden, blutend und gezeichnet.

Erschossen mit meiner Waffe durch ihre Hand.

Ich fühle, dass er mir egal ist, alles ist mir völlig gleichgültig. Selbst wenn sich die Welt entscheiden würde, jetzt in dieser Sekunde einfach mit einem lauten Knall zu verpuffen … es interessiert mich nicht.

Zart beiße ich sie in den Hals, sie stöhnt erneut auf. Mein Biss wird fester, voller Verlangen.

»Ja, tu es«, fordert sie meine Beherrschung heraus.

Als wenn ich dazu eine Aufforderung brauche.

Langsam, Stück für Stück treibe ich meine spitzen Zähne in ihre Haut. Ich will, dass es ihr Schmerzen bereitet, dass es richtig wehtut. Sie soll endlich etwas spüren, Gefühle zeigen. Es darf nicht nur diese Dunkelheit in ihr existieren. Tief verborgen muss noch etwas anderes da sein. Die Natascha, in die mein Bruder Ansgar so verliebt war, die Vampirin, die auch ich begehrte.

»Ah-h.« Ihr leiser Ruf, voller Schmerz, ist Musik in meinen Ohren und lässt mir einen wohligen Schauer über den Rücken fließen.

Das Blut strömt mir mit einer Macht entgegen, die ich niemals für möglich gehalten habe. Einen Augenblick bin ich versucht, es einfach auszuspucken. Doch dann ist der Moment schon wieder vorbei.

Meine Chance auf Rettung, falls ich je eine hatte, verflüchtigt sich so rasch, wie sie gekommen ist.

Gierig trinke ich ihr Blut, wie ein Verdurstender. Als hätte ich eine Wüstendurchquerung hinter mir und tagelang nichts als feinen Sand gesehen und geschmeckt.

Ich wusste vorher nicht, wie sich ihr Blut auf meiner Zunge anfühlt, bin jedoch nicht überrascht, dass es bitter und herb schmeckt. Ein beißender Geschmack. Aber gleichzeitig ist es das Köstlichste, das ich jemals schmecken durfte, wundervoll süß und herrlicher als alles Vergangene zusammen.

Ich öffne meine Augen, betrachte, ohne meine Zähne von ihr zu lösen, Joshs Leiche.

Eine Wand scheint sich plötzlich vor meinen Blick zu schieben, wie ein Vorhang hüllt die Dunkelheit mich ein.

Drängt sich zwischen die Wirklichkeit und meine Wünsche.

Ich lasse es zu, nur zu gerne.

Hämisch grinsend, treibe ich meine Zähne immer tiefer in ihr Fleisch, trinke noch mehr von ihrem bösen Blut.

Sieh her Josh, denke ich bei mir, sieh genau zu. Mich wird sie nicht töten, abschlachten wie ein Stück Vieh. Sie liebt mich, sie vertraut mir ihr Leben an. Josh … alter Junge … sieh genau zu …

Natascha legt ihre Hand in meinen Nacken, streichelt über das feine Haar dort.

»Komm näher«, flüstert sie und zieht mein T-Shirt beiseite. Ich weiß genau, was sie vorhat, als könnte ich ihre Gedanken lesen.

Ich schiebe meine Schulter in ihre Richtung. Es dauert nicht lange und sie schlägt mir ihre Zähne in die Haut. Ich brülle auf, es schmerzt.

Ein köstlicher, ein guter Schmerz.

Ein kurzer Ruck, die schwarze Wand legt sich zur Gänze über meinen Verstand.

Der Vorhang ist gefallen, die Vorstellung beendet.

Um mich herum gibt es nur noch Dunkelheit, Schwärze und Tod.

Es fühlt sich gut an, so wirklich, … so real.

*

Stevy, Ben und Mikka:

Die zwei Vampire, vereint in einer innigen Umarmung, scheinen alles um sich herum vergessen zu haben.

Das Feuer vor der alten Kirche ist längst gelöscht, das Wahrzeichen der Stadt gerettet. Die Jungs der Feuerwehr beginnen mit den Aufräumarbeiten.

Heute sind in der Mannschaft nur drei Vampire, der Rest ist menschlich.

Während sie Schläuche zusammenrollen, Äste und Müll auf einen Anhänger laden, schnüffeln die Blutsauger immer wieder unauffällig in die Luft. Sie blicken sich verstohlen an, zucken mit den Schultern, fragend sind ihre Blicke.

Irgendwann hält es einer von ihnen nicht mehr aus. Er schnappt sich einen Autoreifen, der fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt und geschmolzen ist, schleppt ihn zu dem Anhänger. Dort steht sein Freund, stochert in dem aufgetürmten Abfall herum, versucht ihn zusammenzudrücken, um eine größere Menge abtransportieren zu können.

»He, Stevy«, raunt er dem Vampir zu und wirft die Überreste des Reifen auf die Ladefläche.

Sein Freund, ein bulliger Kerl, mit dunklen, kurzen Haaren und einem grimmigen Zug um den Mund, hebt einen Fuß und blickt sich rasch um. Niemand beachtet die beiden.

Stevy lässt seinen Fuß auf den Müll niederdonnern, quetscht ihn soweit zusammen, wie es nur eine Müllpresse geschafft hätte. Mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck springt er von der Ladefläche.

»Was ist Mikka?«, knurrt er und wischt sich die Hände an der Hose ab.

Mikka, wirft einen Blick in die Runde. Seine scharfen Augen unter den blonden Haaren registrieren jede Regung, seine empfindliche Nase könnte es riechen, wenn einer der Blutsäcke sie zu neugierig betrachtet.

»Stevy«, beginnt er erneut, nachdem seine rasche Prüfung abgeschlossen ist.

»Hier waren doch welche von uns beteiligt, riechst du das auch?«

Der bullige Blutsauger stemmt die Hände in die Hüften, schnüffelt in die Luft. Er brummt:

»Ja, du hast recht. Einen kenne ich sogar …« Lautstark zieht er die sie umgebende Luft in die Nase.

»Joshua, der war auch hier.«

»Der aus dem Hexenladen?«, fragt Mikka erstaunt und reckt seine Nase empor.

»Ja, aber da ist noch etwas anderes, etwas … Hmm, ich kann es nicht genau erfassen. Es … es riecht fast wie …«

Ein anderer Vampir gesellt sich zu ihnen, wirft einen Sack Müll auf den Anhänger und knurrt in Stevys Überlegungen hinein:

»Natascha.«

Die zwei Blutsauger sehen ihren Kumpel fragend an. Daraufhin lehnt er sich lässig gegen den Anhänger und zieht eine Packung Zigaretten aus der Jackentasche. Eine rasche Bewegung aus dem Handgelenk und eine Zigarette schießt förmlich aus dem Paket, zwischen seine Lippen. Schief grinsend kramt der Blutsauger ein Feuerzeug hervor, lässt es aufschnappen und dreht das Reibrad.

Durch die zuckende Flamme hindurch sieht er seine Freunde an. Es wirkt fast so, als stehen die zwei Vampire vor ihm in Flammen. Die Spitze der Zigarette glüht rot auf, als er kräftig an ihr zieht. Er klappt den Deckel über das Feuerzeug und nimmt einen weiteren tiefen Zug.

»Wer soll das sein, Ben?« Mikka, der jüngste von ihnen, sieht verwirrt aus.

Bevor Ben überhaupt eine Antwort geben kann, kommt ihm Stevy zuvor.

»Sie ist eine Vampirin, die wie ein Mensch riecht«, brummt er in seiner ernsten Art und nimmt Ben die Zigarettenpackung aus der Hand. Er steckt sich selbst eine zwischen die Lippen, Ben reicht ihm das Feuerzeug.

»Danke«, knurrt der scheinbar ewig grimmige Vampir und nimmt einen tiefen Zug, ehe er weiter spricht.

»Natascha ist eine Freundin von Joshua. Sie hat vor ein paar Tagen erst, zusammen mit dem Abgesandten, unsere Stadt gerettet und den Hohen Rat befreit. Oder die kümmerlichen Reste, die von ihm übrig waren.«

»Und wieso war sie hier? Wo ist sie jetzt und Joshua, wo ist er?«, der junge Vampir versucht seine Stimme zu dämpfen.

Die beiden älteren zucken mit den Schultern.

»Keine Ahnung.«

Mikka schnaubt kurz.

»Ich werde sie suchen gehen«, entschlossen presst er die Lippen zusammen.

Stevy und Ben zeigen keinerlei Regung, antworten nicht.

Ein weiteres Mal schnaubt der Junge verächtlich, dann geht er einfach in die Nacht hinein.

Er muss sie finden, irgendetwas scheint ihn magisch anzuziehen. Ist es nur ihr Geruch?

Oder etwas anderes? Irgendein Gefühl, das tief in ihn eindringt, seine Nervenenden vibrieren lässt und eine Unruhe in ihm auslöst, die er bis dahin noch niemals verspürt hat.

Mikka weiß es nicht, es ist ihm auch gleichgültig. Er weiß nur eines genau:

Er muss sie finden, um jeden Preis. Fast so, als hänge sein Leben davon ab.

Die zurückgebliebenen Vampire blicken sich an, sekundenlang. Ben verdreht die Augen gen Himmel.

»Ach, verdammt«, flucht er und wirft seine Zigarette im hohen Bogen davon.

»Komm, wir gehen ihm nach.«

Stevy, durch und durch Feuerwehrmann, tritt seine Kippe sorgfältig aus, bevor er seinem alten Freund hinterher geht.

Mikka folgt dem Geruch, als locke der ihn mit Worten. Zielsicher bleibt er auf dessen Spur. Ertastet ihn, spürt ihn, als gehe er einer deutlich sichtbaren Schnur nach.

Nur oberflächlich nimmt er wahr, dass Stevy und Ben plötzlich neben ihm laufen.

Die drei Freunde überqueren einen Platz, gehen durch enge Gassen, schleichen an Häusern vorbei.

Bis plötzlich Mikka, der an der Spitze dieser merkwürdigsten Prozession aller Zeiten läuft, ruckartig stehen bleibt.

Zwei Vampire stehen vor ihnen, eng umschlungen. Jeder hat die Zähne dem anderen in das kalte, tote Fleisch geschlagen. Ihre drei Artgenossen können hören, wie sie gierig das Blut trinken.

Fasziniert sehen sie diesem seltsamen Schauspiel zu. Erst als Ben seinen Blick umherschweifen lässt, erblickt er plötzlich noch einen von ihrer Sorte.

»Verdammt«, zischt er und schlägt Stevy derb in die Seite.

»Da liegt ja Joshua.«

Seinem ausgestreckten Finger folgend, sehen seine Freunde in die gleiche Richtung.

Mikka ringt um Atem, will seinem Entsetzen Luft machen.

Da lösen sich die eng Umschlungenen voneinander, sie lächeln, boshaft und kalt.

Diese Augen, denkt Ben bei sich, das darf es doch gar nicht geben. Diese Schwärze und Dunkelheit … bei beiden, das habe ich noch niemals gesehen.

Die Vampire bieten einen schaurigen Anblick, der Kerl hat seinen Arm um die kleine Schönheit gelegt, grinst hämisch über das ganze Gesicht.

Ihre Münder blutverschmiert, die Zähne viel zu lang und messerscharf. Aber die Augen erst verleihen ihnen das Aussehen von Monstern.

Sie sind böse, denkt der grimmige Stevy und versucht seine aufkeimende Furcht hinunter zu schlucken. Alle beide sind das Böse. Niemals will ich ihr Feind sein, ich muss alles daran setzen, um ihre Gunst zu erwerben. Wer den Fehler begeht und sie wütend macht, dem widerfährt ein schlimmeres Schicksal, als es der Tod je sein könnte.

»Hallo ihr drei«, meint in diesem Augenblick das schwarzhaarige Mädchen, Natascha. Sie löst sich von dem jungen Kerl, der sie scheinbar nur ungern loslässt.

Locker geht sie ein paar Schritte auf die Jungs zu, bleibt stehen, lächelt lasziv. Ihre Augen glühen auf, funkeln einen kurzen Moment wie Sterne.

Bösartige und gemeine Himmelskörper, die nur von einem Gedanken angetrieben werden: Alles um sie herum muss vernichtet werden. Jeder sollte einen Tod erfahren, der an Grausamkeit und Brutalität seinesgleichen sucht.

Kaum bleibt sie stehen, ist Nicki auch schon wieder bei ihr, umarmt sie von hinten, küsst Natascha auf den Hals.

Sie lächelt weiterhin, streichelt seinen nackten Unterarm. Ihr Blick fixiert die Blutsauger. Als Nicki mit seinen Zähnen über ihre Halsseite streicht, neigt sie den Kopf etwas zur Seite, dabei lässt sie ihre Gegenüber nicht aus den Augen.

Mit offenen Mündern verfolgen Stevy, Mikka und Ben das Geschehen vor ihnen. Die dunklen Blicke, die unendliche Tiefe und Grausamkeit, die darin zu liegen scheint, fesselt sie und gleichzeitig ihre Gedanken. Sie verschwenden keine Sekunde, um darüber nachzudenken, was mit dem armen Josh vielleicht geschehen sein könnte, oder was die beiden vor ihnen im Schilde führen. Es ist eher so, als warten sie auf Anweisungen, auf einen Befehl, den sie bereit sind sofort auszuführen, wie immer er auch lauten mag.

Ein lautes Grollen weckt die Feuerwehrmänner aus ihrer Starre. Sie sehen, wie Nicki seine unnatürlich langen Zähne in Nataschas Hals schlägt. Sie zuckt kurz zusammen, dann lächelt sie wieder wie vorher.

Anzüglich und einladend.

Ein Rinnsal Blut fließt aus Nickis Mund, läuft über ihre weiße Haut und verschwindet unter dem Stoff ihres T-Shirts.

Die Vampire verfolgen mit den Augen gierig den roten Lebenssaft, sie schlucken trocken. Ohne dass sie es beeinflussen könnten, wachsen ihre Zähne, die Augen werden raubtierähnlich, ihr dumpfes Knurren vermischt sich mit Nickis Grollen.

Natascha stöhnt leise auf, streichelt ihrem Gefährten über die Wange. An die Drei vor ihr gewandt, flüstert sie:

»Wollt ihr Jungs auch … etwas trinken?«

Hörbar klappen ihre Münder zu, ein rascher Blick wird untereinander getauscht. Mikka, wenn auch der jüngste, so scheint er doch jetzt ihr Anführer zu sein, meint breit grinsend:

»Oh ja, Baby. Nichts lieber als das.«

Die Vampire setzen sich in Bewegung. Natascha breitet die Arme aus, empfängt sie mit Freude und voller Gier in den schwarzen, toten Augen.

*

Einige Zeit später gehen fünf Vampire lautlos durch die ruhigen Straßen ihrer Stadt. Natascha, neben ihr ein glücklich wirkender Nicki, hinter ihnen die drei Vampirfreunde.

Ihre Augen sind nicht mehr braun oder blau, wie sie es vorher waren. Sie erscheinen in den viel zu weißen Gesichtern noch schwärzer, noch dunkler und gemeiner.

Die Vereinigung der Dunkelheit hat begonnen.

*

Eine Horde Vampire:

Die fünf Blutsauger gehen zielstrebig durch die Stadt. Natascha an ihrer Spitze, sie führt diese kleine Gruppe an, die anderen folgen ihr.

An einem Modegeschäft mitten in der City halten sie an, stürmen den Laden. Um diese Uhrzeit befinden sich kaum Kunden in dem Geschäft, so haben die Vampire ein leichtes Spiel. Sie töten den Kassierer und drei Verkäufer. Mikka verscheucht eine Kundin einzig durch seinen Anblick, laut kreischend rennt sie weg.

Natascha stöbert in der Damenabteilung, nacheinander zerrt sie einige schwarze Sachen heraus, zieht sie an. Ihre eigene Hose und das T-Shirt sind ihr am Leib fast verbrannt. Sie benötigt dringend etwas Neues zum Anziehen. Ebenso die drei anderen Vampire, kamen sie doch von einem Feuerwehreinsatz. Wenn auch alles andere an ihnen zum Fürchten ist, ihre Kleidung ist es nicht.

Nicki sucht sich lediglich einen Mantel heraus, einen schwarzen Ledermantel. Mehrmals dreht er sich damit vor dem Spiegel hin und her.

»Klasse«, murmelt er, »so einen wollte ich schon immer haben.«

Natascha umarmt ihn von hinten, sieht ihn in dem Spiegel lächelnd an.

»Du kannst alles haben, Niklaus. Alles was du dir jemals erträumt hast.«

Im Spiegel blickt er in ihre dunklen, leeren Augen.

»Alles …?«, fragt er knurrend.

»Sicher«, sie küsst ihn auf den Hals, dreht ihn zu sich herum. Ihre Hände um seine Mitte geschlungen haucht sie verführerisch:

»Gibt es einen Wunsch, der dir noch nicht erfüllt wurde?«

Nicki nimmt ihre kalten Arme, drückt sie von sich weg.

»Da wäre noch so einiges«, knurrt er und geht.

Er lässt Natascha vor dem Spiegel stehen und begibt sich in die kleine Sportabteilung.

Hier wirft er suchende Blicke um sich, wühlt ein wenig herum, bis er das findet, was er schon lange wollte.

Nicki grinst über das ganze Gesicht, ein paar Mal lässt er den Schläger durch die Luft pfeifen.

Einen Meter hartes Holz, was er trifft, steht nie wieder auf.

Mit solch einem Baseballschläger kann man einen Menschen töten. Mit der nötigen Kraft und Geschicklichkeit sogar einen Blutsauger.

Nicki lässt die Spitze des Schlägers auf den Boden klicken, er hebt den Blick. Einige Meter von ihm entfernt steht Stevy, der einen kleinen Ball in der Hand hält.

»Hey«, ruft Nicki, Stevy hebt neugierig den Kopf.

Er versteht sofort, holt aus zu einem gewaltigen Wurf. Der kleine Ball zischt durch die Luft. Es entsteht ein lautes Geräusch, als er das Holz trifft, prallt ab, fliegt mit einem hohen Surren in Richtung Decke.

Es knallt, Funken fliegen umher. Die in die Decke eingelassene Lampe prallt auf den Boden, Teile der Deckenverkleidung folgen. Putz rieselt auf die Vampire nieder, die sich lachend ihre Arme über den Kopf halten.

»Guter Schlag«, ruft Stevy und kichert, »verdammt guter Schlag.«

»Das war toll, werf noch einen.«

»Nein!«, Natascha steht mit in die Seite gestemmten Fäusten zwischen ihnen.

»Wir müssen weiter. Los jetzt.«

Resigniert lassen die beiden Vampire ihre Schultern sinken, ihr Blick geht beschämt zu Boden.

»Schade …«, murmelt Stevy, »hat gerade so einen Spaß gemacht.«

Die schwarzhaarige Vampirin lacht kurz auf.

»Ich weiß etwas, das noch viel mehr Spaß macht.«

Die Mienen der Männer hellen sich auf.

»Was denn?«

Natascha winkt ihnen.

»Kommt mit, ich zeige es euch.«

Die fünf Blutsauger verlassen das Modegeschäft. Es gleicht einem Trümmerhaufen. Anziehsachen liegen verstreut auf dem Boden herum, in der Sportabteilung hängt die Decke herunter, weiterhin sprüht die Stromleitung Funken.

Zielstrebig gehen sie die Straße entlang. Ben kramt in seiner Tasche nach einem Päckchen Zigaretten. Er findet es schließlich, es ist leer.

»Verdammt«, flucht er und zerdrückt das Päckchen in seiner Faust.

»Natascha?« Die Schwarzhaarige dreht sich zu ihm um.

»Ich brauche dringend was zu rauchen. Hier um die Ecke ist ein Laden.« Sein Blick ist bittend, weiß er doch genau, dass Natascha etwas Bestimmtes vorhat. Es bleibt eigentlich keine Zeit für andere Dinge. Die Vampirin aber zuckt mit den Schultern.

»Warum nicht«, brummt sie nur.

Mikka fährt sich durch die kurzen Haare.

»Etwas Geld könnten wir auch noch gebrauchen.« Er lacht kurz und trocken auf, »die haben doch bestimmt was in den Kassen.«

»Wozu brauchst du Geld?«

Nicki sieht den Jungen verwirrt an.

»Du kannst dir alles nehmen, ohne dafür bezahlen zu müssen.«

Mikka blickt verlegen zu Boden.

»Ja, ich weiß. Aber ich würde gerne ein bisschen Papier zwischen den Fingern spüren … das ist alles.«

»Da vorne ist ein Supermarkt.«

Nicki deutet auf die andere Straßenseite.

»Der hat bestimmt mehr Kohle als der kleine Zigarrenladen um die Ecke.«

Natascha zuckt als Antwort lediglich mit den Schultern und steuert auf das Geschäft zu.

Die Fünf stürmen den Supermarkt. Ihr Anblick alleine lässt die Menschen laut aufschreien und panisch umher rennen. Mikka ergreift ein blondes Mädchen von vielleicht siebzehn Jahren. Sie windet sich in seiner Umklammerung und weint leise. Mikka leckt ihr genüsslich über den Hals, bevor er seine Zähne in ihre weiche Haut schlägt. Das Mädchen schreit laut auf. Ihre Freundinnen kreischen und fallen übereinander. Jedes wollte in eine andere Richtung fliehen.

Nicki bricht in rascher Folge drei stattlichen Kerlen das Genick. Er ist so schnell, dass die Männer fast gleichzeitig zu Boden sinken.

Natascha stürzt sich auf den Geschäftsführer, der zufällig nahe bei der Kasse steht. Sie packt ihn am Kragen seines weißen Kittels.

»Die Schlüssel«, zischt sie gefährlich leise.

Der Verantwortliche, ein langer und hagerer Kerl, schluckt angestrengt, sein Adamsapfel hüpft aufgeregt auf und ab. Die Augen, hinter den dicken Brillengläsern zucken ängstlich umher.

»Aber, aber, meine Herrschaften. Machen Sie doch nicht so einen Wirbel.« Seine Stimme ist hoch und viel zu schrill.

»Die Schlüssel, und zwar sofort.«

Noch ehe der Dünne auf Nataschas Aufforderung reagieren kann, packt Ben ihn am Hals.

»Wir wollen aber einen Wirbel veranstalten, Blutsack.«

Mit einer ungeheuren Kraft drückt der Vampir zu. Die Augen des Geschäftsführers werden immer größer, quellen fast aus den Höhlen.

Er gibt nur noch krächzende Laute von sich.

Natascha lässt die Kittelaufschläge los.

Der Mensch wird nur noch von Bens eisernem Griff gehalten. Er hebt die Arme, wedelt schwach damit durch die Luft. Kraftlos streifen sie über Bens Unterarme. Nicht mehr lange und der dünne Mann wird sterben.

»Lass ihn los!«, befiehlt die schwarzhaarige Vampirin in diesem Moment. Bens erstaunter Blick ruht einen Augenblick auf ihr, dann öffnet er die Hand und der Mensch fällt mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.

Er dreht sich wie von Sinnen auf den kalten Fliesen, beide Hände am Hals hustet er bellend und ringt nach Atem. Die Brille ist ihm von der Nase gerutscht, sie liegt neben ihm, aber der Mann hat kein Interesse daran.

Erst als Ben einen Schritt nach vorne geht und plötzlich ein knirschendes Geräusch zu hören ist, blickt der Geschäftsführer sich suchend um.

»Oh, das tut mir aber leid«, murmelt Ben sarkastisch. Er bückt sich, hebt die Brille hoch und setzt sie dem Menschen wieder auf die Nase. Beide Gläser sind zersplittert und einer der Bügel ist völlig schief. Mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck sieht er den Vampir vor sich an. Dieser lacht laut auf.

Natascha streckt eine Hand vor.

»Die Schlüssel … bitte.«

Der Geschäftsführer greift in seine Kitteltasche und zieht ein dickes Schlüsselbund heraus. Seufzend lässt er es in ihre Hand fallen.

»Danke schön.« Sie richtet sich auf und gibt Ben mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er jetzt alles mit ihm machen kann, was er will.

Jeden Schlüssel betrachtend geht sie zur Eingangstüre. Hinter ihr kreischt der Geschäftsführer laut und schmerzhaft auf. Ben hat sich auf ihn gestürzt und seine Zähne in seinen viel zu mageren Hals geschlagen. Der Vampir verfehlt die Ader, und als er seine Zähne zurückzieht, um erneut anzusetzen, spritzt das Blut wild umher. Wie aus einem Gartenschlauch, auf dem zu viel Wasserdruck lastet.

Die Menschen kreischen laut und hysterisch auf.

Die Kassiererin, die keine zwei Meter entfernt wie gebannt die Ereignisse verfolgt, fällt mit einem keuchenden Seufzer in Ohnmacht.

Endlich hat Natascha den richtigen Schlüssel gefunden. Sie verriegelt den Supermarkt, schließt die Menschen ein.

Damit ist ihr Schicksal eine beschlossene Sache.

Sie wirft Mikka das Schlüsselbund zu.

»Geh und such den Tresor, dann hast du auch was Anständiges zwischen deinen Fingern.«

Vor Erstaunen lässt der junge Vampir fast die Schlüssel fallen, dann aber ist es das tote Mädchen in seinen Armen, welches stattdessen auf den Boden prallt.

Mikkas Blick geht zwischen seiner Hand und Natascha hin und her. Er sieht aus wie ein Wahnsinniger, Blut läuft ihm aus dem Mund, fließt über sein Kinn und tropft auf den Boden.

»Mach deine Klappe zu und such den Tresor, bevor ich es mir anders überlege«, knurrt Natascha und will tiefer in den Laden hinein, um sich ebenso an ein paar Menschen satt zu trinken. Da hört sie plötzlich ein erschrecktes Keuchen.

Rasch dreht sie sich um.

Hinter den Kassen sieht sie eine junge Mutter, die ihren Sohn ängstlich an den Körper presst, mit einer Hand hält sie ihm den Mund zu. Sie wollte wohl versuchen, der Bande von Blutsaugern zu entkommen. Sich in einem der großen Schränke nahe dem Ausgang verstecken und das Ende des Terrors abwarten, fast hätte sie es geschafft.

Die Vampirin geht lächelnd auf die beiden zu.

»Sieh an, ein paar Ausreißer«, murmelt sie und entreißt der jungen Frau das Kind.

Natascha nimmt den blonden, kleinen Kerl auf ihre Arme, seine Mutter streckt verzweifelt die Hände nach ihrem Kind aus. Schreit immer wieder:

»Nein! Gib ihn mir zurück … bitte. Gib ihn wieder her …«

Die kleine Schwarzhaarige sieht den Jungen an, freundlich lächelt sie.

»Wie heißt du, Kleiner?«

»Connor«, kräht der Junge fröhlich.

»Und wie alt bist du?«

Der Kleine hält seine ausgestreckte Hand hoch.

»Oh, fünf Jahre«, meint Natascha und macht große Augen, »du bist ja schon ein richtiger Mann.«

Connor lacht laut und schlägt sich die kleinen Händchen vor den Mund.

»Lass ihn in Ruhe!«, ruft seine Mutter ängstlich. Erneut streckt sie die Hände nach ihrem Sohn aus. Aber die Vampirin dreht sich einfach weg. Sie stolziert mit dem kleinen Kerl auf dem Arm durch den Laden, redet auf ihn ein. Immer wieder ist ein lautes Kichern von Connor zu hören. Besonders begeistert kreischt er auf, als die Vampirin mit ihm in die Süßigkeiten Abteilung geht.

»Du kannst dir alles nehmen«, sagt sie zu dem Jungen, »du brauchst nicht erst fragen. Hol dir nur, was immer dir schmeckt.«

Connors Mutter sieht mit flatterndem Herzen und einem verzweifelten Gesichtsausdruck die Gänge hinunter. Sie wartet darauf, dass die Vampirin mit ihrem Sohn wieder auftaucht. Es dauert ihr scheinbar zu lange, sie geht einen Schritt vor. Sofort ist Ben bei ihr, umschlingt sie von hinten, schmiegt seine Wange an die der Menschenfrau. Ein keuchender, ängstlicher Laut dringt aus ihrem Körper.

Natascha taucht wieder auf, mit einem Connor, der mit dicken Backen munter Süßigkeiten kaut, die kleinen Arme voller Leckereien, sein Mund ist mit Schokolade verschmiert.

Er sieht glücklich aus und strahlt Natascha freudig an.

Schmunzelnd setzt sie den Kleinen auf das Laufband der Kasse. Aus einem Zeitungsständer daneben fischt die Vampirin das neuste Comic-Heft und drückt es Connor in die Händchen. Er kreischt vor Freude laut auf und durchblättert in fieberhafter Eile das Heft.

Der Junge ist so vertieft in seine Leckereien und das Comic, das er nicht bemerkt, in welcher Gefahr seine Mutter schwebt.

Nataschas Lächeln stirbt augenblicklich, als sie sich zu Connors Mutter umdreht.

»Du wolltest fliehen, du kleine Schlampe«, zischt sie leise.

»Bitte … tu mir nichts«, flüstert die junge Frau und verfällt in ein heiseres Schluchzen.

Die Vampirin verschränkt die Arme vor dem Körper, lehnt sich lässig gegen die Kasse.

»Oh, ich werde dir auch nichts antun. Dafür habe ich meine Jungs.«

Sie grinst breit.

Ben, noch dicht an Connors Mutter gepresst, gibt Stevy ein Zeichen. Er lässt die Frau fallen, die er gerade ausgesaugt hat, und packt die junge Mutter von hinten an den Armen. Ben lässt sie los und stellt sich vor sie. Mit einem gewaltigen Ruck reißt er ihre Bluse auf, es klimpert leise, als ihre Knöpfe abspringen und umherfliegen. Langsam streichelt der Vampir über die bloßgelegte Haut. Die Frau windet sich, versucht zu entkommen, aber Stevys stählerne Griff lockert sich kein bisschen.

Natascha betrachtet die Szene vor ihr, plötzlich ruft sie:

»Stell dich nicht direkt vor sie, Ben, sonst könnte es sein …« Weiter kommt die Vampirin nicht.

Connors Mutter hat eine Chance gesehen, um aus dieser Situation zu entfliehen. Der Vampir ist viel zu sehr von ihrer Nacktheit abgelenkt und steht dicht bei ihr. Die Frau reißt ihr Knie hoch und trifft den Vampir dort, wo es jeden Mann am meisten schmerzt, genau zwischen den Beinen.

Mit einem leisen Aufschrei geht Ben in die Knie und presst seine Hände in den Schritt.

Natascha lacht laut auf. Auch Nicki und Stevy lachen hämisch.

Connor hebt fragend den Blick, sieht sich um. Die kleine Schwarzhaarige streichelt ihm leicht über den blonden Kopf.

»Nur keine Sorge, mein Kleiner«, flüstert sie, »es ist alles okay.«

Sofort senkt der Junge seinen Kopf und widmet sich wieder seinen Süßigkeiten.

Ben hat sich gefangen, er holt aus und schlägt der jungen Frau seinen Handrücken ins Gesicht. Sie schreit laut auf. Der Vampir greift in ihre langen Haare.

»Mach das nie wieder. Nie mehr in deinem Leben … die letzten Minuten, die dir noch bleiben.«

Blut fließt aus der aufgeplatzten Lippe, rinnt über ihr Kinn. Sie wimmert jetzt nur noch, sieht zu ihrem Sohn, der versunken und kauend immer noch auf dem Laufband der Kasse sitzt.

Der Widerstand seiner Mutter scheint gebrochen, sie ergibt sich ihrem Schicksal und erträgt, ohne weitere Gegenwehr die Schandtaten, die Ben an ihr verübt.

In dem Supermarkt ist es stiller geworden. Nur Connors Schmatzen, leises Rascheln von Papier und vereinzeltes Keuchen sind zu hören.

Ben vergeht sich an der jungen Mutter, die mit zusammengepressten Lippen den Blick fest auf ihren Sohn richtet. Ben bewegt sich schneller, die Vampire feuern ihn lautstark an. Irgendwann stöhnt er laut auf, verkrallt sich in den weichen Bauch der Frau, reißt den Kopf in den Nacken und brüllt wie ein Löwe.

Hochrufe und Applaus erntet er von seinen Freunden.

In diesem Moment kommt Mikka aus dem Büro des Geschäftsführers, die Arme voller Geldscheine. Als er sieht, mit was sich seine Freunde beschäftigen, lässt er das Geld achtlos fallen und ruft freudig:

»Ich bin der Nächste!«

»Nein«, keucht Ben zwischen zwei Atemzügen, »such dir selbst eine.«

»Darf ich?« Erwartungsvoll ist sein Blick auf die Vampirin gerichtet. Sie vollführt eine Handbewegung, als wollte sie dem Jungen alle Frauen in diesem Geschäft auf einem Tablett servieren.

»Wow, danke«, murmelt er nur und geht suchend in dem Laden umher.

»So viel zu seinen Prioritäten und wie rasch die sich ändern können.« Nicki grinst breit und sieht Mikka hinterher.

»Bring sie zu mir«, ruft Natascha Ben zu. Der zieht sich gerade seine Hose hoch und schließt umständlich den Gürtel. Er zerrt die junge Frau am Arm hinter sich her. Sie weint und schluchzt, die Augen weiterhin starr auf ihren Sohn gerichtet, als gebe ihr sein Anblick Kraft, dieses hier durchzustehen.

»Meinst du, dass das nun Strafe genug war?« Connors Mutter sieht die Vampirin an. Ihre Worte scheinen bei dem Menschen nicht sofort einzudringen. Irgendwann nickt sie aber heftig mit dem Kopf.

»Ja, ja. Ich werde nicht mehr versuchen zu fliehen. Bitte lasst uns am Leben.«

Erneut streichelt Natascha dem blonden Jungen über das Haar. Er sieht auf, lächelt, dann fällt sein Blick auf seine Mutter, die vor ihm steht.

»Mama, du bist ja nackt«, stellt der Kleine entrüstet fest.

Nataschas Hand bleibt in seinem Nacken liegen, sie lächelt böse und gemein.

»Deine Mutter denkt, ihre Strafe wäre schon vorbei. Aber da irrt sie sich …« Ihre dunklen Augen fixieren die junge Frau vor ihr.

Die Hand packt plötzlich fester zu, eine rasche Bewegung und das zarte Genick des kleinen Jungen bricht mit einem leisen Knacken. Sofort sackt Connor in sich zusammen. Ein Raunen geht durch den Supermarkt, die Menschen, die die Szenerie aufmerksam verfolgt haben, atmen entsetzt ein.

»NEIN!«, kreischt seine Mutter und will sich auf ihren Sohn stürzen, aber Ben ist nach wie vor an ihrer Seite. Er hält Connors Mutter auf Abstand.

»NEIN!«

Natascha öffnet ihre Hand und der kleine Junge fällt rücklings vom Laufband auf den Stuhl der Kassiererin. In seinen kleinen Händen hält er noch einen Schokoriegel, der Mund, zu einem leichten Lächeln verzogen, mit Schokolade verschmiert. Der Tod kam so schnell über Connor, dass er nichts davon mitbekommen hat.

»Das war deine Bestrafung«, knurrt Natascha.

Sie sieht zu Ben.

»Der Rest ist deine Sache.« Der Vampir grinst nur hämisch.

Natascha sieht sich um.

Mikka und Stevy saugen gerade zwei Mädchen aus. Die Hosen, die um die Knöchel der Vampire liegen, erzählen von den Qualen, die die Mädchen vor ihrem Tod ertragen mussten.

Nicki verfolgt gerade einen jungen Kerl, der auf Händen und Knien vor ihm flüchten will. Der alte Vampir macht sich einen Jux daraus, dass er immer wieder dem Mann auf die offenen Schnürsenkel tritt und so seine Flucht kurzfristig unterbricht. Aber auch dieser Spaß hat irgendwann ein Ende und Nicki fällt brüllend über den jungen Kerl her, um ihm sein Blut zu nehmen.

Ben lässt seine ganze Wut an der jungen Mutter aus. Niemand lässt sich gerne in die Weichteile treten. Mittlerweile hängt sie nur noch schlaff in seinen Armen, aus unzähligen Bissstellen tritt Blut aus.

Bald ist sie wieder mit ihrem Söhnchen vereint. Ihre Trauer, die Verzweiflung und das Entsetzen, über seinen viel zu frühen Tod muss sie nicht lange ertragen.

Auch in Natascha regt sich jetzt der Blutdurst. Sie packt sich den nächstbesten Kerl und schlägt ihm ihre Zähne in den Hals. Trinkt das Blut, bis sein Herz aufhört zu schlagen. Sie lässt ihn achtlos fallen, um sich auf den Nächsten zu stürzen.

Die fünf Vampire richten ein regelrechtes Massaker an. Erst als sie denken, alle Menschen in dem Supermarkt erwischt zu haben, geben sie auf.

Ben nimmt sich einige Zigarettenpäckchen aus dem Verkaufsständer und steckt sie in seine Jackentaschen.

Auch Stevy öffnet eines der Päckchen und zündet sich eine Zigarette an.

Sein Blick schweift umher. Überall Blut und die verunstalteten Leichen der Menschen.

Wir haben ganze Arbeit geleistet, denkt der bullige Vampir. Mit Natascha an unserer Seite können wir machen, was immer uns einfällt. Dank ihrer Dunkelheit steht uns noch ein lustiges Dasein bevor. Ich wollte schon immer tun und lassen können, was ich wollte.

Satt und zufrieden verlassen die fünf Vampire den Laden.

»Das war echt klasse«, kräht Mikka und schlägt in Bens offen hingehaltene Hand ein.

»Das müssen wir öfters machen.«

Natascha grinst wissend und verschließt sorgfältig die Türen zum Supermarkt. Den Schlüssel lässt sie einfach im Schloss stecken.

Vor dem Laden parkt ein Mustang, ein V6 Coupé. In dem glänzendem, schwarzem Lack spiegelt sich das Licht der Straßenlaterne. Natascha streicht mit den Fingern fast zärtlich über das Metall.

»Wow, der ist heiß«, meint Ben und probiert die Türverriegelung. Der Mustang ist tatsächlich nicht abgeschlossen.

Ben will sich gerade auf den Fahrersitz schieben, als ihn Natascha mit einem lauten Ausruf aufhält.

»Denkt nicht einmal daran. Das Baby fahre ich oder keiner.«

»Okay …«, brummt Ben und hält ihr demonstrativ die Fahrertüre offen.

Bedrohlich knurrend zwängt sie sich an dem Vampir vorbei und gleitet auf den Sitz.

Herrlich weich sind die hellen Ledersitze, die gesamte Inneneinrichtung ist brandneu und riecht auch so. Zum Erstaunen aller, streckt der Schlüssel im Zündschloss.

Mit einem Grinsen auf den Lippen betrachtet Natascha das große Schlüsselbund. Neben verschiedenen großen und kleinen Schlüsseln hängen ein umgedrehtes Kreuz, ein Pentagramm und ein gelblich verfärbter Zahn an dem Bund.

»Verdammt, wem gehört das Auto? Dem Teufel persönlich?« Nicki schließt die Beifahrertüre, die anderen haben es sich auf der engen Rücksitzbank bequem gemacht. Natascha zuckt mit den Schultern, startet den Wagen.

Sie gibt ein paar Mal Gas, der Motor röhrt.

»Und wenn schon«, knurrt sie und lässt die Kupplung kommen. Der Mustang grölt, brummt unter ihnen und setzt sich in Bewegung.

Natascha fährt die Jungs in eine Gegend, die ziemlich verrufen ist. Hier hat eine Bande das Sagen, Gewalt und Kanonen bestimmen den Tagesablauf. Wer aufmuckt, bekommt eine Antwort, eine tödliche.

Einige Mitglieder der Gruppe sind Vampire. Freie Blutsauger, die sich einen Dreck um den Pakt oder die Regeln des Hohen Rates scheren. Sie leben allein und für sich. Nur ab und zu treten sie mit der Menschenwelt in Verbindung. Meist um einen von ihnen zu töten, bevor sie sich wieder in die Abgeschiedenheit ihrer Gang zurückziehen.

Ihre Bleibe ist ein altes, halb verfallenes Gebäude, unten am Fluss, das schon längst abgerissen werden sollte. Aber der Stadtrat hat andere Probleme und so wird es immer wieder vor sich hergeschoben.

Sie parken den Mustang genau vor dem morschen Haus, steigen aus.

»Hast du deinen Schläger dabei?«, fragt Stevy, an Nicki gewandt. Der nickt nur und grinst grimmig.

»Ich hoffe nicht, dass wir einige Schädel einschlagen müssen«, meint Mikka, woraufhin Nicki hämisch auflacht.

»Warum? Angst vor ein bisschen Blut, das durch die Gegend spritzt?«

»Nein, aber ich habe lieber Blut im Mund, als im Gesicht.« Der junge Vampir presst trotzig die Lippen zusammen.

Natascha schlägt ihm leicht auf die Schulter, geht an ihm vorbei und murmelt:

»Keine Sorge Junge, du wirst so viel trinken können, wie noch nie in deinem Dasein.«

»Hm, das hört sich gut an …«

»Die Burschen veranstalten heute eine Party«, knurrt Natascha und entsichert die MP-5, die sie mitgenommen hat.

»Wir kommen also genau zur richtigen Zeit.«

»Super«, rufen Ben und Stevy, sie hüpfen vor Freude fast in die Höhe. Natascha lächelt flüchtig über die Vorfreude der beiden Vampire.

»Denkt dran«, knurrt sie, bevor ihr Gefolge auch nur einen Fuß auf die ausgetretene Holztreppe stellen kann.

»Tötet die Menschen und beißt die Vampire …«, sie legt eine bedrohliche Pause ein. Die vier Kerle nicken rasch zustimmend.

»Mehr verlange ich nicht. Alles andere ist euch überlassen.«

Natascha grinst gehässig.

»Gehen wir!«

Die fünf Blutsauger stürmen durch die Türe, erschrocken drehen sich die Köpfe zu ihnen herum.

Die Bande, selbst ungefähr zwanzig Mann stark, hat sich heute Abend einige Freunde eingeladen. Viele Mädchen, einige junge Kerle aber nur wenige Vampire.

Natascha feuert eine Salve aus ihrer Maschinenpistole in die Decke. Die Menschen gehen sofort kreischend in Deckung, verstecken sich, wo sie stehen.

Nur die Unsterblichen stehen noch.

Ein drohendes Knurren ist zu hören, auf beiden Seiten.

»Was wollt ihr hier?«, ein Bulle von einem Kerl schiebt sich in den Vordergrund, baut sich vor der kleinen Vampirin auf.

»Hier sind Waffen verboten. Also macht, dass ihr hier raus kommt.«

Natascha deutet auf seinen Mund, auf die spitzen Eckzähne, die darin augenfällig hervortreten.

»Und was soll das sein? Für die Dinger brauchst du eigentlich einen Waffenschein.«

Hinter ihr lachen ihre Jungs laut auf.

»Verschwindet!«, donnert der bullige Vampir und dreht sich einfach um.

Blitzschnell legt Natascha ihm ihre Hand auf die Schulter, fast lautlos haucht sie:

»Ich bitte mir ein bisschen mehr Respekt aus.«

Er dreht sich um, aus zusammengekniffenen Augen sieht er sie an.

»Warum sollte ich das tun?«

»Du willst doch gar nicht, dass wie gehen, Junge. Du möchtest … etwas anderes …«

»Ich … ich …«, er ist ein Gefangener ihrer schwarzen Augen.

»Wie ist dein Name?«, flötet Natascha mit einer seidenweichen Stimme.

»W-Wie ich heiße?«, der Blutsauger starrt sie mit offenem Mund an.

Natascha nickt zustimmend.

»Ja, sag mir deinen Namen.«

»W-Weiß n-nicht«, er schließt hörbar den Mund und schluckt.

Die schwarzhaarige Vampirin grinst boshaft.

»In Ordnung. Wir werden jetzt die Leute hier töten und deine Vampire in Besitz nehmen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«

Fragend sieht sie ihn an, er schüttelt wie in Trance den Kopf.

»Nein, macht nur.«

»Danke schön«, sie dreht sich zu ihren Vampiren um und knurrt:

»Los macht sie fertig.«

Die vier Kerle stürzen sich auf die laut schreienden Menschen, ziehen sie erbarmungslos unter Tischen und Stühlen hervor. Schlagen ihnen ihre Zähne in den Hals, reißen Köpfe von den Schultern und Arme oder Beine aus. Die Luft ist erfüllt mit den Schreien der Gepeinigten. Nickis Baseballschläger saust auf weiche Köpfe nieder, zertrümmert Knochen, dass das Blut nur so um ihn herumspritzt.

Der bullige Vampir starrt immer noch Natascha an, ertrinkt fast in ihrem Blick.

Sie schiebt leicht ihr T-Shirt zur Seite, legt ihren Hals vor ihm frei.

»Würdest du mich gerne beißen und mein Blut trinken?«, fragt sie aufreizend.

Er ist nur mehr fähig zu nicken, seine Stimme hat ihn verlassen, jegliches Gefühl ist aus ihm gewichen. Nur die Gier beherrscht ihn noch und das Verlangen nach ihrem Blut.

Er tritt näher an sie heran, sie erwartet ihn lächelnd, freudig.

Während der Tumult um sie herum barbarische Ausmaße annimmt, schlägt der kräftige Vampir genießerisch seine Zähne in Nataschas weiße, kalte Haut. Es dauert nicht lange und ihre spitzen Eckzähne durchdringen ebenso seinen Hals.

Eine halbe Stunde später sind fast alle Menschen einen grausigen und blutigen Tod gestorben. Lediglich eine Handvoll Mädchen, zumeist Blondinen, die sich ängstlich bei den Billardtischen versteckt hielten, sind noch am Leben. Auch sie sind mit roten Tropfen übersät, das Blut ihrer Freunde, die sie mit ihrem Leben beschützen wollten.

Die Vampire haben sie sich bis zum Schluss übrig gelassen, jetzt treiben sie die Mädchen zusammen. Ängstlich rufend und wimmernd drängen sie sich aneinander. Ihre Augen zucken unruhig hin und her.

Natascha stellt sich vor sie, begutachtet ihre Beute.

»Nette Dinger«, murmelt sie und blickt lachend zu Nicki. Der aber beachtet sie nicht, er sieht immer wieder zu einer ganz bestimmten Blondine, frisst sie fast auf, mit seinen vor Gier sprühenden Augen.

Natascha runzelt flüchtig die Stirn, ihr Blick zuckt zwischen Nicki und dem Mädchen hin und her.

Mit einem Mal stürzt die Vampirin vor, ergreift den Arm des nun noch lauter schreienden Mädchens.

Nicki verfolgt bestürzt das Geschehen.

»Komm mit«, knurrt Natascha, er folgt ihr.

Über die Schulter ruft sie den anderen zu:

»Tötet sie, wir brauchen keinen Vorrat.«

Lautes Knurren begleitet von fast ohrenbetäubenden Schreien, verfolgt die zwei Blutsauger und das Mädchen auf dem Weg aus der Baracke hinaus.

»Was hast du vor?«, versucht Nicki sich über Nataschas Motive klar zu werden.

Die Vampirin aber zerrt die Kleine hinter sich her, die Holzstufen hinunter und schleudert das Mädchen gegen den Mustang.

Sie richtet ihre MP-5 auf die Blondine.

»Rühr dich besser nicht. Ich werde nicht zögern, dich zu erschießen, du Schlampe.« Die Kleine nickt nur ängstlich.

Ohne den Blick von dem jungen Mädchen zu nehmen, knurrt Natascha:

»Los Nicki. Nimm sie dir.«

»Was?«, ruft er entsetzt.

»Dein Blick hat mehr gesagt, als tausend Worte«, antwortet sie.

»Du willst sie, also nimm sie dir.«

»Sag mal, spinnst du jetzt völlig?« Nicki ist aufgebracht.

»Was meinst du mit nimm sie dir? Soll ich sie etwa …«

Ohne den Lauf der Waffe zu senken, sieht Natascha ihren Gefährten an.

»Du sagtest doch, einige deiner Wünsche seien noch nicht erfüllt. Ich denke, einer wartet hier auf dich. Also: Nimm sie dir, ich passe auf, dass euch niemand stört.«

Nicki fährt sich mit der Hand über das Gesicht.

»Du willst zugucken, wie ich mich an dem Mädchen vergehe? Hab ich das richtig kapiert?«

Natascha zuckt mit den Schultern.

»Wenn du schlau bist, tötest du sie hinterher«, sie grinst breit, »oder mittendrin. Das liegt ganz bei dir.«

Schnell wird sie wieder ernst.

»Jetzt mach endlich, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«

Mit einem gemeinen Lächeln fügt sie hinzu:

»Oder brauchst du ein längeres Vorspiel?«

»Nein«, knurrt Nicki und wendet sich wieder dem Mädchen zu. Die drängt sich wimmernd gegen den Mustang.

Nicki reißt sie hoch, zieht sie halb um das Auto und wirft sie mit Schwung auf die Motorhaube.

Die Kleine stöhnt vor Schmerz laut auf.

Sie hat einen rosa Minirock an, es kracht laut, als Nicki ihn zerreißt. Ebenso fliegen die Fetzen ihres schwarzen Shirts hinterher. Sie liegt jetzt nackt vor ihm, windet sich, versucht zu fliehen. Eine rasche Handbewegung und sie wird zurück auf die Haube des Mustangs geschleudert.

Mit halb geschlossenen Augen öffnet er seinen Gürtel, die Hose rutscht die Beine herunter, fällt locker um seine Knöchel. Es klimpert leise, als irgendetwas darin aneinander schlägt.

Nicki beugt sich vor, umfasst ihre Handgelenke, stützt sich so ab und hält sie gleichzeitig an Ort und Stelle fest.

Sie kann nun nicht mehr weg, das Schicksal des jungen Mädchens ist besiegelt.

Nicki wirft Natascha einen wütenden Blick zu.

»Hast du dir das so in etwa gedacht?«, knurrt er leise.

Die Vampirin fährt sich mit der Zunge über die Lippen, ihre schwarzen Augen lüstern auf das Pärchen gerichtet.

»So ungefähr«, haucht sie, »aber da fehlt noch etwas. Mach weiter.«

»Ganz wie ihr befielt, Herrin«, knurrt der Vampir und stößt zu.

Das Mädchen kreischt panisch, immer wieder.

Irgendwann, Nickis Atem wird schneller, keuchender, flüstert Natascha:

»Bring es zu Ende. Jetzt!«

Sein Kopf schnellt nach vorne, er schlägt dem nur noch flehenden, weinenden Mädchen seine spitzen Zähne in den Hals.

Sie bäumt sich auf, fast so, als wollte sie ihm näher sein, als habe sie Spaß an der ganzen Prozedur.

Nicki knurrt an ihrem Hals laut auf, wirft den Kopf in den Nacken und schickt ein wütendes Gebrüll in den dunklen Nachthimmel.

Natascha prescht vor, packt ihn an seinen kurzen Haaren, reißt Nickis Kopf herum und küsst ihn auf den blutverschmierten Mund.

Er erwidert ihren Kuss, wild und gierig versinkt er in ihrem Geschmack, taucht hinab in ihre Welt.

»Töte sie, Nicki«, haucht Natascha, als sich ihre Lippen voneinander lösen.

»Bring sie um … für mich.«

Nicki wirft einen Blick auf die Blondine, sie ist bereits mehr tot als lebendig. Aus der großen Halswunde fließt unaufhaltsam Blut, ihre Haut hat die Farbe frischer Milch angenommen. Der Atem geht nur noch stoßweise, langsam und röchelnd. Das Mädchen ist zu keiner Gegenwehr mehr bereit oder fähig, sie hat sich ihrem Schicksal hingegeben.

Er zieht sich zurück und zerrt seine Hose hoch. Leise knurrend schließt er seinen Gürtel, hebt den Kopf und sieht Natascha an.

Sein Blick ist wütend, aber auch verletzt und gekränkt.

»Du willst, dass sie stirbt?«, zischt er, lässt ihr keine Chance auf eine Antwort.

»Dann mach es selbst.«

Er dreht sich um und geht mit festen Schritten die ausgetretenen Stufen empor.

»Nicki …«, ruft Natascha ihm herrisch hinterher, er reagiert nicht. Sie kreischt ein weiteres Mal, aber auch dieser Ruf geht ins Leere.

Krachend schließt sich hinter dem dunkelhaarigen Vampir die Türe. Er hat ihren Befehl nicht ausgeführt, sich ihr widersetzt.

Natascha ballt die kleinen Hände zu Fäusten.

»Na warte«, ihre Stimme ist heiser und gepresst vor Zorn.

»Das wirst du mir büßen.«

Mit dem Fuß stößt sie das arme Mädchen von der Motorhaube, sie rutscht über das Metall und prallt stöhnend auf den Boden.

Natascha richtet den Lauf ihrer Waffe auf die Blondine.

»Nein, bitte … nicht«, krächzt sie und hält abwehrend ihre Hände hoch. Ihr Blick ist flehend, aber er trifft nur auf eine dunkle Wand. Eine undurchdringliche Schwärze, in der kein Mitleid für Ihresgleichen existiert, keine Barmherzigkeit zu erwarten ist.

Die Vampirin drückt den Abzug durch, die MP spuckt eine tödliche Salve aus. Das Mädchen zuckt wild, als die Kugeln sie treffen.

Dann ist alles still.

»Na also geht doch.« Natascha dreht sich um, legt den Lauf der Maschinenpistole über ihre Schulter und geht zurück in das Haus der Bande von Vampiren, die jetzt zu ihr gehören.

*

Sie essen und trinken sich satt an den Überresten der Menschen. Immer wieder albern die Vampire herum, legen sich Fleischfetzen auf den Körper, binden sich ausgerissene Mädchenhaare um oder versuchen einen abgeschlagenen Kopf auf der Stirn zu balancieren. Sie feiern ausgelassen eine blutige Party, auch der Alkohol fließt reichlich. Das gesamte Haus erzittert, die Vampire grölen und rufen lautstark.

Natascha hat sich mit dem bulligen Vampir, dem ehemaligen Anführer der Bande, in eine ruhige Ecke zurückgezogen.

Sie breitet auf dem einzig sauberen Tisch einen Stadtplan der Gegend aus. Ihr Blick geht kurz zu dem Vampir, der vor ihr sitzt und wie erstarrt auf den Plan sieht.

»Sag mal, wie heißt du denn nun wirklich?«, die Vampirin lächelt schief.

Der Kerl räuspert sich umständlich.

»Mein Name ist Collin«, er grinst verlegen, »der ist mir eben tatsächlich nicht mehr eingefallen.«

Natascha zuckt mit den Schultern.

»So etwas geschieht, wenn man in die Finsternis blickt.«

»Ja«, knurrt Collin, »das war echt … nun ja, ich möchte es nicht noch einmal mitmachen. Ich hab mich gefühlt wie …«

»Keine Sorge, Junge«, unterbricht Natascha ihn, »das wirst du auch nicht.«

Collin atmet sichtbar auf.

»Und nun zur Sache«, die kleine Schwarzhaarige deutet auf den Plan, der vor ihnen liegt.

»Sag mir, wo sich der Hohe Rat der Vampire im Moment aufhält.«

Schelmisch grinsend beugt sich Collin zu ihr herüber.

»Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet ich das wissen könnte?«

Sie lehnt sich entspannt in ihrem Stuhl zurück, ein selbstgefälliges Grinsen auf ihrem schmalen Gesicht.

»Ich weiß es eben. Und jetzt raus mit der Sprache, sonst zwingst du mich zu einer Lüge.«

»Hä?«, Collin hebt fragend die Augenbrauen.

»Ich sagte eben erst, dass du nicht mehr in die Finsternis blicken brauchst … Sollte das eine Lüge gewesen sein?«

Der bullige Vampir schluckt trocken, sein weißes Gesicht wird noch eine Spur heller.

»Alles, bloß das nicht.« Er tippt ein paar Mal mitten auf den Stadtplan.

»Der Hohe Rat tagt meist in den unterirdischen Gewölben des Rathauses. Aber zurzeit befindet er sich …«

Collins Finger kreist über dem Papier, so als suche er die genaue Stelle.

»Hier«, er hält die Fingerspitze auf den Plan gedrückt. Natascha beugt sich vor, um die genaue Stelle zu erkennen und sich zu merken.

»Alles klar, bei Tagesanbruch geht’s los.«

Natascha lehnt sich entspannt im Stuhl zurück, nimmt sich ein Glas, das mit frischem Blut gefüllt ist, das Blut eines der Opfer hier.

Ihre schwarzen Augen fixieren Collin, es dauert einige Sekunden, dann wird der stämmige Vampir unruhig. Ihm ist nicht wohl dabei, diese düstere Verdammnis, die in ihrem Blick liegt, es schreit geradezu nach Tod und Verderben.

»Was ist?«, fragt er und zwingt sich dazu freundlich zu bleiben.

»Deine Männer«, flüstert Natascha, »kann man sich auf sie verlassen?«

Collin dreht sich um, betrachtet die Vampire, die nach wie vor ausgelassen in dem alten Haus herumtanzen.

»Sie standen immer loyal und wie eine Wand hinter mir. Ich denke, jetzt werden sie dir ebenso treu ergeben folgen. Vor allem …«, der Blutsauger gerät ins Stocken, als er wieder in Nataschas Blick zu ertrinken droht.

»Ja? …Vor allem …?«, hilft sie ihm auf die Sprünge.

Er schluckt trocken.

»N-Nichts. E-Es ist schon okay.« Collin will sich erheben, er muss dringend etwas trinken.

Natascha packt ihn am Handgelenk, zerrt den Vampir zurück auf seinen Stuhl, als wenn es nichts wäre.

»Vor allem …Was?«, zischt sie gefährlich leise, »sprich, oder ich reiße dir den Kopf ab und verfüttere ihn an Stevy, der steht auf so was.«

Collin wirft einen flüchtigen Seitenblick auf den großen Vampir, der gerade das austretende Blut aus einem abgerissenen Bein trinkt. Ben, Mikka und Nicki stehen um ihn herum und feuern ihn an:

»Los, alles auf einmal, Junge … Du schaffst das … Trink, trink, trink.«

»Ich werde nicht noch einmal fragen«, knurrt die Vampirin und drückt Collins Handgelenk noch fester zusammen. Es beginnt bereits leise zu knirschen, nicht mehr lange und sein Gelenk wird mit einem lauten Krachen brechen.

»Schon gut«, murmelt er und versucht ihre Hand abzustreifen. Aber sie lässt nicht locker.

Der Vampir holt tief Luft, warum zum Teufel kann ich mein Maul nicht halten, denkt er bissig.

Laut sagt er:

»Es war nicht so gemeint, Natascha. Aber … du musst zugeben … wir folgen dir, wegen … nun ja, weil du die Dunkelheit in uns erweckt hast. Nicht …«

Collin streicht sich über den Nacken, er befürchtet, wenn er ihr die Wahrheit sagt, dass seine Sekunden, die er auf der Erde verweilen darf, gezählt sind.

»Sprich weiter!«, knurrt sie.

»Lass mich zuerst los.«

Er versucht, in seiner Stimme den Befehlston von früher mitschwingen zu lassen, fast gelingt es ihm.

Aus zusammengekniffenen Augen betrachtet Natascha ihn. Er hält ihrem Blick stand.

Das stumme Duell dauert nur Sekunden, aber Collin erscheint es wie Stunden, Tage, gar Jahre, in denen über sein Dasein entschieden wird.

Langsam löst die Vampirin den eisenharten Griff um sein Gelenk.

Rasch zieht er die Hand an seinen Körper, reibt sich über die schmerzende Stelle.

»Rede. Jetzt!«, ihre Wut ist fast spürbar.

»Die Jungs sind mir gefolgt, weil sie mich respektierten«, beginnt Collin und hat das unbestimmte Gefühl, selbst sein Schicksal besiegelt zu haben.

»Sie fürchteten mich nicht. Die Kerle wussten, dass sie mir vertrauen konnten. Bei dir hingegen ist es eher die Angst, die sie … und auch mich, antreibt. Ich denke, du wirst nicht einen hier finden, der sein Leben für dich opfern würde. Freiwillig, meine ich. Nicht, weil du es ihm befiehlst und ihn mit deinen toten Augen ansiehst.«

Zitternd atmet Collin ein, er hat echte Angst, wie wird diese Ausgeburt der Hölle reagieren? Tötet sie ihn, oder hat er wenigstens einmal in seinem Dasein Glück.

Natascha lehnt sich nach vorne, gegen die Tischplatte, verbirgt ihre Hände darunter.

»Du denkst also, sie hören nicht auf mich?«

»Doch schon. Aber nur, wenn du sie mit … mit deinem Blick bannst.«

Natascha lacht trocken auf.

»Was bin ich? Ein Hypnotiseur?«

Collin zuckt mit den Schultern.

»So in etwa.«

»Wer ist deine rechte Hand?«, fragt Natascha leise, »oder war es, bevor ich kam.«

Der Vampir sieht sie verwirrt an.

»Max«, krächzt er, »der war immer mein Vertreter.«

»Ruf ihn!«, zischt die Schwarzhaarige, ohne Collin aus den Augen zu lassen.

»Max«, erklingt seine Stimme laut durch das Haus. »Komm mal her.«

Es dauert nicht lange und ein junger Vampir mit schwarzen Haaren steht vor ihrem Tisch.

»Was gibt’s?«

»Max?«, fragt Natascha ohne Collin aus den Augen zu lassen.

»Hmm?«, brummt der Junge.

Die Vampirin deutet auf ihren Gegenüber.

»Töte ihn!«

»Was?«, rufen Collin und Max gleichzeitig.

»Du sollst deinen ehemaligen Boss umbringen. Was ist daran nicht zu verstehen?«

Langsam, mit äußerster Vorsicht erhebt sich Collin, sein Blick zuckt zwischen Natascha und Max hin und her.

»Du bist völlig wahnsinnig.«

Natascha grinst nur boshaft.

»Was ist denn hier los?«

Nicki steht mit verschränkten Armen vor ihnen, sieht einen nach dem anderen an.

»Was zieht ihr hier für eine Nummer ab?«

Die Augen der kleinen Schwarzhaarigen lösen sich widerstrebt von Collins, wandern zu Nicki.

»Meine Herrschaft scheint zu bröckeln. Ich wollte nur sehen, ob sich plötzlich jeder hier widersetzt.«

Natascha steht auf, durchquert den blutbesudelten Raum. Mit einem Ruck öffnet sie die Türe und schlägt sie hinter sich krachend ins Schloss.

Collin lässt sich aufatmend zurück auf den Stuhl sinken, stützt die Arme auf und schlägt sich die Hände vor das Gesicht.

»Was zum Teufel war denn los?« Nicki tippt Max auf die Schulter. Der junge Vampir antwortet leise:

»Sie wollte das ich ihn töten«, dabei zeigt er auf Collin, seine Fingerspitze zittert leicht. Sogleich zieht er die Hand zurück. Mit großen Augen sieht er zu Nicki.

»Sie hat den Verstand verloren. Stimmt’s?«

Der alte Vampir, der in seinem Dasein schon so viel gesehen hat, zuckt mit den Schultern.

»Ganz normal ist sie wohl nicht mehr. Aber wer kann das schon von sich selbst behaupten.« Nicki lächelt flüchtig.

»Hättest du es denn getan?«

Auf Max’ fragenden Gesichtsausdruck hin, fährt er fort:

»Deinen Boss getötet, hättest du es gemacht?«

Der Junge scheint einen Moment nachzudenken, bevor er antwortet:

»Nein. Verdammt, ich … ich weiß es nicht. Ich war nur froh, dass du so plötzlich erschienen bist.«

»Ja«, knurrt Nicki und wird mit einem Mal so wütend, wie noch nie zuvor, in seinem langen Dasein.

»Ich bin wohl der Retter der Blutsauger.«

Er dreht sich auf dem Absatz um, geht in Richtung Ausgang.

*

Nickis Erwachen:

Tief atme ich die kühle Morgenluft ein, der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern, ich kann ihn schon riechen.

Natascha sitzt auf der Motorhaube des Mustangs, ihr zarter Rücken mir zugewendet. Tief atme ich die frische Luft ein, bevor ich die Holzstufen herunter und auf sie zu gehen, meinem Schicksal entgegen.

Dem toten Mädchen, das vor dem Wagen auf dem Boden liegt, würdige ich nur einen flüchtigen Blick. Ich weiß nicht mehr, warum ich mich weigerte, sie zu töten. Vielleicht hat das schwarzhaarige Biest mich mit ihrem Befehl verletzt.

Dabei ist es noch nicht lange her, da habe ich alles genauso erledigt. Mädchen und Frauen geschändet, nur zu meinem eigenen Vergnügen und um mein vor Begierde strotzendes Monster in mir ruhigzustellen. Die Befriedigung, die mir ihre zarten, zerbrechlichen Körper verschafften, konnte nur durch einen Biss in ihr Fleisch gesteigert werden. Es war mir gleich, wohin ich meine Zähne schlug, lediglich ihr Blut stillte meine Gelüste. Weitaus bestialischer, als es heute geschehen ist, habe ich mich früher der Weiber angenommen.

Ich bin eine fleischgewordene Bestie, ein Mörder und Vergewaltiger. Dennoch ist es mir unerklärlich, wieso ich es nicht übers Herz brachte, das junge Mädchen zu töten. Ich weiß nur, dass ich mich weigerte und hinterher fühlte ich mich gut, besser denn je.

Nachdenklich betrachte ich Nataschas Rückenansicht.

Seit ich meine Zähne in ihr totes Fleisch versenkte und sie mich ebenso biss, kommt es mir vor, als könnte ich nicht mehr selbstständig denken. Sie hat scheinbar alles in mir ausgelöscht, jede Eigenständigkeit. Aber jetzt ist es so, als erwache ich aus einem tiefen, komatösen Schlaf. Mit einem Mal kann ich erkennen, was sie in Wirklichkeit ist: eine überaus böse Erscheinung.

Ich mochte sie, liebte sie vielleicht sogar. Aber all das wird verdrängt, von einem enormen Hassgefühl, das gerade mit tödlicher Langsamkeit meine Eingeweide hochkriecht.

Von meinen Empfindungen überrascht, schnappe ich keuchend nach Luft, meine Hände ballen sich wieder und wieder zu stahlharten Fäusten.

»Bist du ein Freund oder mein Feind?«, fragt Natascha mit einem hämischen Unterton.

Ich zwinge mich dazu, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

»Was bist du für … mich?«

Geschmeidig springt die Vampirin von dem Wagen herunter, geht lässig auf mich zu.

»Sieh mich an, Nicki«, haucht sie, als sie dicht vor mir steht. Aber ich presse die Lider zusammen und schüttele stumm den Kopf. Ich will sie nicht ansehen, zu groß ist meine Furcht erneut in ihre dunklen Tiefen hinabzustürzen. Ich werde es nicht noch einmal zulassen, dass sie meinen Verstand umnebelt und mich meiner eigenen Entscheidungen beraubt.

Sie seufzt leise.

»Es ist eine Schande. Ich will euch die Freiheit schenken, Ruhm, Ehre und alles Blut dieser Stadt. Und was tut ihr …?«

Trotz meiner Angst öffne ich vorsichtig ein Auge. Natascha steht einige Meter von mir entfernt, die Arme gen Himmel gerichtet. Die MP-5 schlägt leise gegen ihre Gürtelschnalle, verursacht ein klickendes Geräusch, das einzige hier draußen.

»Ihr tretet mein Geschenk mit Füssen«, nimmt sie ihren eigenen Dialog wieder auf, »ihr verachtet mich und gehorcht meinen Befehlen nicht mehr. Was soll das alles?«

Ihr Blick bohrt sich in Meinen. Erschrocken schnappe ich nach Luft, aber es ist bereits zu spät. Ich kann meine Augen nicht mehr schließen, schaffe es nicht sie aus meinen Gedanken zu verbannen.

Nataschas gesamte Macht fließt, einem blutigen Strom gleich, durch meinen alten, toten Körper und versucht meinen Willen zu brechen.

Ich spüre, wie meine Beine nachgeben, wie ich langsam auf die Knie sinke. Dennoch kann ich nichts dagegen unternehmen. Die Arme hängen schlaff an meinem Körper herab, unsere Blicke fest ineinander verschlungen. Ich habe nichts, das ich ihrer Macht entgegensetzen kann. Ihre Augen scheinen Funken zu sprühen, gemein und siegessicher leuchten sie.

»Du hast keine Chance gegen mich, Nicki«, krächzt sie und schnaubt verächtlich.

»Du bist kein bisschen besser, als dein Bruder. Ihr seid beide verfluchte Mistkerle gewesen.«

Erstaunt hebe ich meine Brauen.

»G-Gewesen?«, hauche ich verwundert.

»Ja!«, kreischt die Vampirin und reißt ihre MP hoch.

»Ihr zwei seid Vergangenheit …«

Natascha stützt die Maschinenpistole in ihre Hüfte, gleich wird sie den Abzug durchdrücken und mich in die ewige Verdammnis schicken. Fassungslos starre ich in die schwarze Mündung. Sie will mich wirklich umbringen, schießt es mir durch den Kopf. Sie will mein langes Dasein beenden. Plötzlich fühle ich, dass es der richtige Weg ist, ich schätze, ich habe es verdient.

Ich lege den Kopf zurück, schließe die Augen und breite meine Arme aus.

Völlig entspannt denke ich: Meine kleine Schönheit, ich bin bereit.

»Du kannst jetzt abdrücken«, wispere ich.

Aber da geschieht etwas Merkwürdiges.

*

Kaum schließt sich die Türe hinter Nicki, fällt Max schnaufend auf den freien Stuhl.

»Oh, verdammt«, brummt er und zuckt erschrocken zusammen, da Collin die Hände von seinem Gesicht herunter nimmt und sie krachend auf die Tischplatte schlägt.

»Du hättest mich wirklich kaltgestellt?«, fragt er grollend und zieht düster die Brauen zusammen.

»Nein. Verflucht … Collin … ich … ich.«

Max’ Augen zucken ängstlich hin und her.

»Versteh mich doch, ich …«

Der bullige Vampir schüttelt den Kopf.

»Ich kapiere überhaupt nichts mehr. Scheinbar habe ich irgendwo den Faden meines Daseins verloren«, er lacht trocken und völlig humorlos auf.

»Es ist fast so, als erwache ich gerade aus einem tiefen Traum … aus einem verdammten Albtraum.«

Max beugt sich über den Tisch, greift nach Collins Arm.

»Wir müssen etwas tun. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Hexe uns so beherrscht.«

Energisch befreit sich Collins aus der stählernen Umklammerung.

»Denk nicht mal daran«, zischt er leise.

»Nicht alle sind so wie Nicki, ihr Gefolge ist bereits groß und es wird noch größer werden.«

Max’ Gesicht überzieht ein bitterböses Grinsen.

»Nicht, wenn wir es verhindern.«

»Was hast du vor?«, haucht Collin.

Der Junge zuckt überheblich mit den schmalen Schultern.

»Die Frage ist doch nur, ob du dabei bist oder nicht.«

Sein ehemaliger Boss schluckt trocken, beginnt zu sprechen. Als nur ein heiseres Krächzen seinen Mund verlässt, räuspert er sich einige Male umständlich, bevor er erneut beginnt.

»Ich bin dabei, Junge. Was immer du auch vorhast.«

Max trägt weiter sein überhebliches Grinsen auf dem Gesicht. Er steht auf, ruft einige seiner Freunde zu sich. Leise teilt er ihnen etwas mit. Collin beobachtet nur ihren Gesichtsausdruck, der von erstaunt über fassungslos zu wütend reicht.

Nataschas Jungs, Mikka, Ben und Stevy werden auf das geheime Getuschel aufmerksam. Düster blicken sie zu der kleinen Gruppe herüber.

Collin springt von seinem Stuhl hoch. Max hat ihn um seine Hilfe gebeten, das ist nun seine Chance, er sollte sie ergreifen.

Lauthals brüllt er quer durch den großen Raum.

»He Stevy.«

Der Angesprochene wollte gerade auf die Vampire zugehen, er will wissen, was sie so Geheimnisvolles zu besprechen haben. Stevys Kopf ruckt herum, auch Mikka und Ben fixieren den ehemaligen Boss der Vampirhorde.

»Leihst du mir dein Bübchen mal aus?«, damit zeigt Collin mit dem Finger auf Mikka.

»Ich wollte es schon immer mal mit einem Vampirkerl machen.«

Deutlich steht es Stevy ins Gesicht geschrieben, er versteht nicht, was Collin von ihm will.

Als dieser jedoch noch einen Satz hinterher schiebt, verdunkelt sich Stevys Gesicht.

»Oder erzählst du mir, wie das so ist, mit einem Jungen?«

»Du Schweinehund!«, brüllt Stevy und setzt zum Angriff an.

Collin versucht gar nicht erst auszuweichen, er erwartet den massigen Vampir mit einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht.

Stevy rammt ihm seinen Kopf in den Bauch, Collin hält sich an dessen Hose fest. Gemeinsam werden die zwei Blutsauger durch das Fenster hinter ihnen geschleudert. Es kracht und zersplittert unter ihrem Gewicht. Wie eine Kanonenkugel schießen sie hindurch und landen vor der Baracke auf dem Boden. Stevy sitzt auf dem ehemaligen Boss der Gang, drückt dessen Kehle zu.

»Ich bin nicht …«, beginnt er gerade. Stoppt abrupt, als er bemerkt, das Collin nach rechts blickt und seine Augen immer größer werden.

Stevy sieht in die gleiche Richtung, sein Blick streift die blutüberströmte Leiche der Blondine, schwenkt weiter zu der kleinen Schwarzhaarigen. Sie hält ihre MP-5 in der Hand, der pure Wahnsinn wütet in ihrem Blick. Die Mündung fest auf Nicki gerichtet, der vor ihr auf dem Boden kniet und wirkt, als habe er den Verstand verloren.

»Was zum Teu…«, beginnt Natascha gerade, als mit einem ohrenbetäubenden Lärm die Türe auffliegt. Es liegt solch eine Wucht dahinter, dass die provisorische Platte, die als Türe dient, gegen die Hauswand kracht und fast in ihre Bestandteile zerlegt wird. Holzsplitter und Lackreste fliegen umher, Staub liegt in der Luft. Die Vampire, die so plötzlich in dem schwarzen Rechteck erscheinen, werden beinahe verdeckt von den umherschwirrenden Überresten.

Als sich die Aufregung und der Dreck ein wenig gelegt haben, taucht auf Max’ Gesicht erneut dieses bitterböse Grinsen auf.

Er hält ein Schrotgewehr in den Händen, die abgesägte Mündung auf Natascha gerichtet.

»Verschwinde hier, Hexe. Wir wollen weder dich noch deine Finsternis.«

»Darüber habt ihr nicht zu bestimmen«, kreischt die Vampirin zurück, zieht ihre Waffe an die Schulter und drückt den Abzug durch.

Das Laute tack, tack, tack, lässt die Vampire zusammenzucken. Nicki wirft sich auf den Boden, die Arme schützend über dem Kopf. Max betätigt noch den Abzug seiner Schrotflinte, bevor etliche Kugeln sich in seinen Leib bohren. Mit einem Aufschrei fällt er nach hinten, gegen seine Mitstreiter, die daraufhin alle zurück in die Baracke stürzen.

Aber auch Natascha wird getroffen, die Schrotmunition reißt ihren Bauch auf, Blut quillt unaufhörlich aus der großen Wunde. Sie presst eine Hand dagegen, ihr schmaler Körper scheint zusammenzuklappen. Hasserfüllt ist der Blick, den sie den Vampiren zuwirft.

»Ich wollte euch die Freiheit schenken, aber ihr seid wohl lieber Gefangene …«

Nicki hebt den Kopf, sieht sie von unten her an.

»Verschwinde besser, Schätzchen. Es ist nicht der Zeitpunkt, große Reden zu schwingen. Geh.«

»Das … das werdet ihr mir büßen«, krächzt sie, legt sich den Tragegurt der MP um und verlässt stolpernd das Gelände.

*

Die Bauchwunde verheilt rasch, aber ihre Wut wird nur größer, je länger sie darüber nachdenkt. Was wollte sie nicht alles erreichen. Zusammen mit den Blutsaugern dieser Stadt hatte sie vor den Hohen Rat zu stürzen, selbst die Macht an sich zu reißen … es wäre ein Leichtes geworden.

Warum nur haben diese Idioten plötzlich ein Gewissen?

Es war Stevy, der mich ablenkte, als er mit Collin durch die Fensterscheibe flog. Warum war es ausgerechnet mein zweitbester Mann.

Ich hätte dieses Bübchen Max sofort abknallen sollen, das war mein Fehler, damit so lange zu warten.

Und Nicki erst … Die Vampirin ballt voller Wut ihre Hände zu Fäusten, knirscht mit den Zähnen. Wieso er? Er hätte meine rechte Hand werden können, alle Blondinen in dieser Stadt würden ihm gehören, wieso war er nur so … so menschlich?

Die schwarzhaarige Vampirin strafft die Schultern, geht langsam an den vielen schmalen Gassen entlang, die allesamt hinauf in die Stadt führen.

Natascha aber will die letzte Gasse nehmen, um wieder in die City zu gelangen, mit dieser Entscheidung besiegelt sich ihr Schicksal.

*

Ansgar:

Ich kann sie schon riechen, atme ihren Duft tief ein, filtere ihn aus den anderen stinkenden Gerüchen die mich umgeben heraus. Da ist er endlich wieder. Mir scheint, als sei es eine Ewigkeit her, dass ich ihn zuletzt gerochen habe. Sie kommt in meine Richtung, gleich wird sie die Gasse entlanggehen, in der ich stehe und auf sie warte.

Ihre Schritte sind schleppend, als trage sie eine schwere Last auf ihren Schultern. Eng presse ich mich gegen die raue Hausmauer, ich will nicht, dass sie mich zu früh entdeckt.

Langsam geht sie an mir vorbei, ihre Augen stur geradeaus gerichtet, sie sieht nicht in meine Richtung. Ich kann nur einen flüchtigen Blick in ihr Gesicht und auf ihre Gestalt werfen. Aber das alleine reicht aus, um Eiswasser durch meinen Körper fließen zu lassen. Ein Gefühl, als müsse ich nach Luft schnappen, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Zum ersten Mal bin ich froh, tot zu sein.

Ich trete aus meiner Deckung heraus, stelle mich breitbeinig mitten in die schmale Gasse.

»Natascha«, rufe ich laut und versuche das schmerzende Gefühl in mir zu ignorieren.

Sie bleibt abrupt stehen, die Arme baumeln an ihrem zierlichen Körper herab.

Ansgar …? Höre ich sie fragen und bin mir nicht sicher, ob sie es nur gedacht, oder gesagt hat.

Aber das kann doch nicht sein, wir waren eine Zeit lang getrennt, ich kann nicht mehr ihre Gedanken hören.

Das glaube ich nicht, erklingt es leise in meinem Kopf. Ich bin so entsetzt, dass ich fast vergesse, warum ich hier bin.

Zögernd und viel zu langsam dreht sie sich um. Das Gefühlschaos in mir drin ist unbeschreiblich.

Ich liebe sie, das weiß ich genau. Aber die Vampirin Natascha liebe ich und nicht dieses … dieses Ding da vor mir. Sie ist nicht das Mädchen, das mit mir einst die Augen der engen Verbundenheit teilte, deren Gedanken ich hören, sogar spüren konnte. Der Blutsauger in der engen Gasse ist nichts von alle dem.

Was da vor mir steht, ist mein Feind, mein persönlicher Untergang, etwas, das ich unbedingt vernichten muss … töten will.

Ein überaus hämisches und gemeines Grinsen breitet sich auf ihrem sonst so hübschen Gesicht aus. Dazu funkeln mich ihre schwarzen Augen an, als wollten sie mich durchbohren.

»Ansgar, was für eine … hm … nette Überraschung.«

Ihre Stimme ist fast nicht wiederzuerkennen, sie klingt, als käme sie direkt aus den Tiefen der Hölle. Obendrein höre ich ihre wahren Gedanken, die sich in die Windungen meines Gehirns einfressen, wie Säure.

Was zum Teufel macht er denn hier?

Ich bin so überrascht, dass ich mich nicht entschließen kann, welcher Stimme ich antworte. Ihre dunklen Augen blicken fragend, als ich nach einigen Sekunden immer noch nichts sage.

Ich hatte mir das alles so leicht vorgestellt. Sie treffen, sie töten und zurück in die Hölle fahren. Aber meine Pläne, meine Absichten werden mit einer solchen Wucht aus meinem Kopf gespült, als hätte sie ein Tsunami getroffen. Ich kann mich nicht entschließen, wie ich vorgehe, was soll ich sagen, oder tun.

Das schwarzhaarige Biest kommt mir zuvor.

»Sprichst du nicht mehr mit mir?«, fragt sie krächzend und zuckt einen Wimpernschlag später mit den Schultern.

»Dann kann ich auch wieder gehen. Hat mich gefreut, dich zu treffen.« Gleichzeitig höre ich in meinem Kopf:

Was für ein Idiot. Steht da mit offenem Mund und kriegt kein Wort raus.

Mein Mund klappt hörbar zu, ich habe nicht bemerkt, dass ich sie wie ein Tölpel anstarrte.

Natascha dreht sich langsam um, sie will wirklich gehen.

Plötzlich packt mich die Wut, ich bin über tausend Jahre alt, noch niemals hat mich jemand Idiot genannt, na ja, die wenigen, die es wagten, sind einen qualvollen Tod gestorben. Aber das kann und werde ich mir nicht gefallen lassen.

»Was ist mit dir geschehen?«, brülle ich sie an. Meine Stimme prallt von den eng beieinanderstehenden Hauswänden ab und kommt hundertfach zu uns zurück.

Wir lauschen beide dem verklingenden Echo.

»Nichts«, ruft sie zurück.

Ich bin versucht, sie einfach ihrer Wege ziehen zu lassen. Ich könnte mich jetzt umdrehen und den Dingen ihren Lauf lassen. Aber darum bin ich nicht hier, aus dem Grund hat mich der Teufel nicht zurück in die Welt geschickt.

Du bist ein verdammter Feigling, schreie ich mich in Gedanken an, du hast Angst vor einem Mädchen.

»Natascha«, beginne ich erneut, diesmal etwas leiser, damit ich kein Echo erzeuge.

»Du bist böse geworden, das Blut in dir hat dich zu einem … einem Miststück werden lassen. Das war nicht der Sinn des Ganzen.«

»Der Sinn? Was für ein Sinn?«

»Das war vielleicht nicht das richtige Wort«, versuche ich einzulenken.

»Ich meine den Plan, den Plan des Lebens. Natascha du …«

»Du meinst es gibt einen Plan?«, kreischt sie so laut, dass die Häuser neben uns zu schwanken scheinen.

»Sicher.« Ich bin mehr als erstaunt, dass sie davon nichts wissen will.

»Der Plan des Lebens kann mich mal. Ich habe meine eigenen Pläne.«

Ich gehe einen Schritt auf sie zu.

»Das ist es ja gerade, meine süße, kleine mellila.« Ich sehe deutlich, wie sie zurückzuckt. Das Kosewort hat sie erschreckt. Es ist etwas von früher, aus einer Erinnerung, die sie wahrscheinlich lieber verdrängen möchte.

»Süße.« Ein weiterer Schritt von mir, ich höre sie in meinem Kopf kreischen: Bleib bloß von mir weg, komm nicht näher.

»Deine Pläne sind nicht gut«, noch ein Schritt, ihre Augen zucken hin und her.

»Sie verletzen die Ordnung der Welt, Natascha. Sie schmecken sogar dem Teufel nicht.«

»Auch der Teufel kann mich mal …«

Jetzt bin ich es, der ein überhebliches Lächeln auf dem Gesicht trägt.

»Der Teufel … meine Süße, kann dich höchstens in die ewige Verdammnis schicken. Aber selbst er hat eigene Pläne.«

»Und die wären?«

Nataschas gesamte Erscheinung drückt Furcht und Unsicherheit aus. Niemals hätte ich gedacht, dass ein paar simple Worte sie in Angst und Schrecken versetzen können.

»Eh, … lass es mich so ausdrücken«, ich tippe mir mit dem Finger gegen die Nase, blicke an ihr vorbei. Ich bin nicht in der Verfassung, ihr noch mehr Geringschätzung vorzuspielen.

»Du bist in den Tod gegangen, aber deine Zeit war noch nicht reif. Der Teufel hat die Chance ergriffen und dich … Hmm, nenne wir es mal: etwas anders … ja? Also, er schickte dich etwas anders auf die Erde zurück, nur so. Nur um zu sehen, was du daraus machst.«

Bedeutungsvoll sehe ich ihr in die toten Augen. Sie weicht meinem Blick aus.

»Ja und?«, fragt sie und zuckt mit den Schultern.

»Du hast es versaut, meine kleine mellila. Du hast es nicht geschafft auch nur einen verdammten Tag zu überleben. Deine Jungs haben sich bereits nach ein paar Stunden gegen dich gerichtet. Sie haben dich sogar erschossen und dann vom Hof gejagt«, ich lache trocken, »wie einen räudigen Hund.«

»Sie haben keine Ahnung«, kreischt sie und sieht jetzt wirklich wie eine Höllenhexe aus.

»All das Blut dieser Stadt, der Hohe Rat, alle Menschen. Ich wollte ihnen dies zum Geschenk machen und sie…? Sie treten meine Gaben mit Füßen und verachten mich. Sogar Nicki …«

Sie presst die Lippen zusammen, starrt mich hasserfüllt an, ganz so, als wäre alles meine Schuld.

»Sogar er war gegen mich, Ansgar.«

Natascha kommt einen Schritt auf mich zu, eine Hand auf ihr Herz gepresst.

»Kannst du dir das vorstellen? Er liebte mich«, ihr Blick ist voller Traurigkeit, verletzt.

»Dein Bruder liebt mich. Aber zum Schluss empfand er nur noch Hass. Wie alle anderen auch.«

Ihre Stimme geht in ein leises Gemurmel über.

»Wie all die anderen …«

Uns trennen höchstens noch drei Schritte voneinander. Ein Leichtes für mich, auf sie zuzustürmen, um ihr entweder mit einer raschen Bewegung das Genick zu brechen, oder sie in den Arm zu nehmen und so lange zu küssen, bis ihr Schmerz vergeht.

Ich kann mich nicht entscheiden, meine Seele und mein Herz kommen zu keiner Einigung. In meinem ganzen Dasein waren meine Empfindungen noch niemals so zwiespältig, so verworren.

»Ich liebe dich«, hauche ich, ohne darüber nachzudenken.

Ihr Kopf ruckt hoch, die Augen zusammengekniffen sieht sie mich prüfend an.

»Ist das ein … Scherz?«

»Nein, mit so etwas treibt man keine Scherze. Es ist die Wahrheit.«

Sie bewegt zögernd den Kopf hin und her.

»Du kannst mich nicht lieben, Ansgar«, knurrt sie gefährlich leise.

»An mir … in mir ist nichts mehr, das liebenswert ist. Alles um mich herum hat sich geändert. Nichts ist mehr so, wie es einst war. Selbst die Leute, die du kanntest sind, nicht mehr dieselben.«

»Sicher, sie sind tot.«

Erneut sehe ich die Vampirin zurückzucken.

»W-Woher …«, stammelt sie.

»Was denkst du eigentlich, was ich hier mache?«

Natascha zuckt mit den Schultern.

»Weißt du nicht mehr, dass ich gestorben bin?«

»Doch, ich weiß es noch.«

»Du bist mir hinterher …«, fragend sehe ich sie an, sie nickt mit dem Kopf.

»Aber vorher gabst du mir dein Wort.«

Sie runzelt die Brauen.

»Ich formuliere es anders. Du hobst einst die Finger und sprachst einen Schwur.«

Ich hebe die Hand in die Luft und lege die andere auf mein totes Herz. In meiner Stimme schwingt ein feierlicher Klang, als ich leise sage:

»In perpetuum, für immer, für ewig, bis über den Tod hinaus.«

Langsam lasse ich meine Hände sinken, starre sie erwartungsvoll an.

»Kannst du dich jetzt erinnern?«

Sie weiß genau, wovon ich spreche, ich kann es in ihrem Gesicht lesen, als stünde es dort mit Blut geschrieben.

Natascha aber presst die Lippen zusammen und schüttelt ihren hübschen Kopf.

»Nein, das war ich nicht. Du … du musst mich mit einer deiner früheren Liebschaften verwechseln.«

Ich konzentriere mich, damit ich einen Gedanken aus ihrem Kopf aufschnappe. Aber ich höre nur einen langen Seufzer und etwas, das wie ein Wimmern klingt.

»Ich wünschte, es wäre so«, knurre ich und stürme auf sie zu.

Die Vampirin hat mit meiner Reaktion nicht gerechnet, vielleicht ist sie auch so in Gedanken versunken, dass sie nicht mehr reagieren kann.

Die kurze Distanz zu überbrücken, ihren Kopf packen und ihn rasch herumreißen, ist nur eine einzige, fließende Bewegung. Ich war schon immer sehr schnell, aber diesmal habe ich mich selbst übertroffen.

Das leise Echo meines ersten Schrittes ist noch nicht verklungen, da mischt sich das hohle Knacken ihres Genicks bereits darunter.

Augenblicklich fällt sie in sich zusammen, schlaff liegt sie in meinen Armen. Die Augen geöffnet, ihr Blick auf mich gerichtet, anklagend und feindselig.

Ich weiß, dass sie mich hören und sehen kann, sie ist nur zu keiner Bewegung mehr fähig.

Nun liegt es an mir, wie immer ich mich auch entscheide, es wird hier und jetzt zu einem Ende kommen, so oder so.

Ich drücke Natascha an mich, umarme sie. Meine Nase vergraben in ihren Haaren, dicht an ihrem Ohr.

Trotz allem, was aus ihr geworden ist, habe ich erwartet, dass sie immer noch so gut wie früher riecht. Ich schrecke zurück, als dieser moderige, dunkle und überaus böse Geruch zu mir aufsteigt. Dieser Duft hat keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem damaligen.

Aber das ist vielleicht auch gut so, denn so fällt es mir leichter, das zu vollenden, wozu ich hergeschickt wurde.

Vorsichtig lasse ich meine ehemalige Gefährtin auf den Boden gleiten, knie mich neben sie.

Eine Haarsträhne ist in ihr Gesicht gerutscht, sachte streiche ich sie zur Seite. Ihre Augen zucken flüchtig, sie regeneriert sich schneller, als ich dachte, ich muss mich beeilen, sonst war alles umsonst.

»Ich weiß, dass du mich hören kannst«, flüstere ich und fixiere ihr Gesicht. Ich will jede noch so kleine Bewegung von ihr sehen, um darauf zu reagieren.

»Ich wurde zurückgeschickt, damit ich dich töte. Deine Taten waren nicht … nun … gut.«

Nicht gut? Überlege ich bei mir, das ist ein viel zu schwaches Wort. Sie waren der reinste Horror, dunkel und böse, wogegen eigentlich niemand etwas hat. Aber Nataschas Plan ist nicht aufgegangen, was sie auch vorhatte, es war selbst für den Teufel zu viel.

Ich streichele ihre Stirn, die Wange hinunter, erneut zuckt ihr Auge unter meiner Berührung, diesmal schon stärker. Ich muss mich beeilen.

»Ich habe einen Pakt mit dem Herrscher über das Fegefeuer geschlossen, meine Süße. Ich bringe dich um, dafür gibt er dir noch eine Chance.«

Ihre Augen ziehen sich düster zusammen. Wie aus weiter Entfernung und so leise, dass selbst ich es kaum verstehen kann, höre ich ihre Stimme in meinem Kopf:

Was für eine Chance?

»Du hast die Wahl, Kleines. Du musst dich für eine Seite entscheiden. Ist es die Schlechte, die du bereits betreten hast, oder die Gute, deren Weg du noch nicht kennst? Es liegt nun an dir, meine süße, kleine mellila.«

Ihre Lippen zittern, es dauert nicht mehr lange und sie kann sich wieder bewegen. Es wird Zeit.

Ich krame aus meiner Jackentasche ein Feuerzeug hervor, halte es mir vor das Gesicht.

»Feuer«, krächze ich heiser, »hat eine reinigende Wirkung, wusstet du das?« Mit einem hämischen Grinsen blicke ich auf sie herab.

Schneller, als ich es registrieren könnte, packt sie mich am Hals, die kleinen Finger drücken zu. Aber ihre Kraft ist noch nicht wieder da, es ist so, als würge mich ein kleines Kind.

Dabei bleibt ihr Gesicht, ihre Augen völlig ausdruckslos.

Mit dem Daumen öffne ich die Schutzkappe, drehe das Reibrad des Zippos. Funken spritzen umher, dann zuckt die Flamme vor meinem Gesicht auf und ab.

Ich hasse dich … höre ich sie in meinem Kopf flüstern.

Ich beuge mich näher zu ihr herab, lächle leicht.

»Und ich liebe dich. In perpetuum, bis über den Tod hinaus. Meine süße, kleine mellila.«

Dann lasse ich das Zippo fallen.

Es ertönt ein hohles Geräusch, als es auf den Boden aufschlägt. Sofort steht alles um uns herum in Flammen.

Ich habe Benzin ausgekippt, jede Menge von dem Zeug. Woher ich allerdings wusste, dass sie genau diese bestimmte Gasse nehmen wird, weiß ich nicht, ich ahnte es vielleicht nur.

Die Flammen fressen sich durch ihre Kleidung, verbrennen sie.

Natascha reißt den Mund auf, ich kann die spitzen Zähne sehen. Eine Feuersäule schießt aus ihrem Inneren. Sie brennt viel schneller, als ein Mensch. Gut so, denke ich bei mir und betrachte ihre bereits verkohlte Haut, so geht es rascher.

Aber auch ich werde ein Fest für die Flammen, sie züngeln an meinem Körper empor, fressen sich durch mich hindurch, verschlingen mich mit Haut und Haaren.

Die Schmerzen, die zuerst nur ein weit entferntes Pochen sind, werden immer schlimmer, ich darf mich nicht wehren, sonst spüre ich das alles noch stärker. Ich muss mich dem hingeben.

Erschöpft lasse ich mich auf ihre Schulter sinken, die Flammen schlagen über mir zusammen, Funken und Glut spritzen nur so umher. Es wird gleich vorbei sein, denke ich, hab keine Angst, bald sind wir erlöst.

Die Dunkelheit wird stärker, ich versuche die Augen zu öffnen. Ich möchte so gerne noch einmal in ihr hübsches Gesicht blicken, aber es ist nichts mehr da, womit ich sehen könnte.

Ich liebe dich, meine süße Kleine … denke ich noch.

Mit einem Mal höre ich zart und leise, ihre Stimme, sie flüstert: Ich liebe dich, mein Geliebter. Für immer, für ewig, auch über den Tod hinaus, das schwöre ich dir.

Ich lächele und gebe mich endgültig der Dunkelheit hin, was immer mich auch erwartet … ich bin bereit.

*

Natascha:

Dunkelheit und Schwärze sind um mich herum. Dieses unerträgliche Gefühl zu fallen, ein grausamer Sog, der mich scheinbar in eine unendliche Tiefe reißt.

Geräusche dringen plötzlich zu mir durch, langsam wird es heller. Ich kneife die Augen zu, ganz fest.

»Ansgar, wo bist du nur?«, schreie ich.

Stille.

Plötzlich eine Stimme, sie klingt erstaunt und kommt mir sehr bekannt vor, so vertraut.

»Das glaube ich ja nicht.«

Erschrocken reiße ich meine Augen auf, blicke mich um.

»Ich auch nicht …«, murmele ich und bin vollkommen fassungslos.

Ich sehe Josh vor mir, seine Haut ist schwarz, wie verkohlt sieht er aus.

Ein Lächeln überzieht sein Gesicht, er drückt mich an sich, atmet tief ein, ich kann es hören und spüren. Ein weiteres Paar Arme schlingen sich um uns herum.

»Es ist schön, dass du wieder da bist«, höre ich jemanden flüstern. Nur ganz langsam wird mir bewusst, dass ich diese Stimme kenne, es ist Nicki.

Ich taste umher, will ihn spüren. Ich brauche eine Bestätigung, dass ich nicht träume. Ich ertaste eine Hand, drücke sie fest.

»Wer hat mich zurückgeholt?«, frage ich und höre, dass meine Stimme klingt, als käme sie aus den Tiefen der Hölle.

Ganz plötzlich höre ich jemanden rufen, es scheint aus meinem Kopf zu kommen. Laut und kraftvoll brüllt er, schreit mich an:

Du musst dich entscheiden. Welche Seite wirst du wählen? Die Gute? Die Böse? Bedenke, von deiner Entscheidung hängt dein Leben ab.

Ich schnappe nach Luft, es fühlt sich an, als stehe ich kurz vor einem Erstickungstod.

»Josh«, haucht in diesem Moment Nicki dicht neben mir.

»Er hat dich aus dem Feuer geholt und dir sein Blut gegeben. Er hat dich gerettet.«

Ich seufze auf, schmiege mich eng an meinen alten Freund.

Die Stimme kreischt mich an: Deine Entscheidung, denk daran.

»Danke schön, Josh«, hauche ich, »du hast mir das Leben gerettet.«

Ich höre jemanden in meinem Kopf seufzen, er klingt zufrieden und irgendwie … erleichtert.

Dann kehrt Stille ein.

Josh küsst mich aufs Haar.

»Ich liebe dich, meine Süße«, wispert er in mein Ohr. Ich streichele über seinen Arm, fühle das verbrannte Fleisch unter meinen Fingern.

»Danke schön.«

Abrupt hebe ich meinen Kopf.

»Was ist eigentlich geschehen?«, frage ich und bin insgeheim froh, das Thema wechseln zu können.

Nicki erhebt sich stöhnend, zieht Josh und mich mit hoch.

»Das, meine Kleine, ist eine echt lange Geschichte. Die erzählen wir dir erst nach einer ausgiebigen Dusche.«

Ich blicke an mir und auch an meinen beiden Freunden hinunter, kichere hinter vorgehaltener Hand.

»Du hast recht, Nicki, eine Dusche wäre toll.«

Beide legen die Arme um meine Schultern, gemeinsam gehen wir in Richtung Joshs Hexenladen.

Die Aussicht auf eine kochend heiße Dusche, die den ganzen Dreck und auch meine mehr als merkwürdigen Gedanken von mir spült, treibt mich vorwärts.

Ich sehe immer wieder seltsame Bilder vor meinen Augen auftauchen, gemein und blutig. In rascher Folge ziehen sie an mir vorbei. Sie sind so schnell, dass ich der Handlung, falls das Ganze einen Sinn ergeben soll, kaum folgen kann.

Immer wieder sehe ich Nicki, mich, einige andere und sogar Josh. Blut ist um uns herum, es spritzt förmlich vor meinen Augen, wie aus einer Vene, die aufgeschlitzt wurde.

Auf einigen Bildern, die wie eingefroren wirken, entdecke ich Vampire und wie sie sich an jungen Mädchen vergehen. Sogar Nicki, bemerke ich mit Entsetzen, nimmt sich mit Gewalt eines der blonden Dinger.

Die Bilder verlassen mich nicht, selbst dann noch nicht, als ich bei Josh unter dem heißen Wasser stehe und es über meinen geschundenen Körper fließen lasse.

Auch ein paar Tage später begleiten die grausamen Eindrücke mich weiterhin. So geht das einige Wochen, Monate … Jahre.

Aber mit der Zeit verblassen auch die schrecklichsten Erinnerungen.

Was bleibt ist die Wirklichkeit und die sieht mehr als grausam aus, wenn nicht sogar bestialisch und unmenschlich.

Irgendwann sind drei lange Jahre über das Land gezogen seit meiner Rückkehr aus dem Reich der Toten.

Meinen geliebten Ansgar musste ich in der Hölle zurücklassen. Und nicht nur ihn, ebenso meine Unsterblichkeit, mein Herz und meine Seele. Seit dieser Zeit irren sie ziellos im Fegefeuer des Grauens umher.

Natascha

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