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Kapitel 2: Nach Hause

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Die Rückfahrt von Rügen nach Köln gestaltet sich wortkarg. Armin ist Fahrer. Wie fast immer. Ich sitze neben ihm, während Nathalie vom Rücksitz aus die vorbeiziehende Landschaft beobachtet. Ich habe Armin nichts von der Unterhaltung am Strand erzählt. Verdrängen ist leichter, wenn man das Wissen mit niemandem teilt. Meine Hoffnungen ruhen auf Nathalie. Darauf, dass sie ihre Frage wieder vergisst. Vor allem aber: meine Antwort.

Ich rufe mir unser Gespräch ins Gedächtnis.

"Die Vergangenheit hat in keiner Weise etwas mit unserer Liebe für dich zu tun, Nathalie."

"Das ist keine Antwort auf meine Frage."

"Was spielt es für eine Rolle, ob du vor oder nach dem Drama geboren bist? Du bist unsere Tochter und nur das zählt."

"Sei ehrlich, Mama! Ich will es wissen. Behandle mich nicht wie ein kleines Kind. Ich muss nicht beschützt werden. Ich bin alt genug."

Wie seltsam ihre Worte klangen, wie ein ironischer Wink des Schicksals. Ich muss nicht beschützt werden. Schmerzlich vertraut. Beinahe schien es, als stünde Fiona vor mir.

"Vielleicht bist es nicht nur du, die wir beschützen möchten, Nathalie. Vielleicht ist es unsere ganze Familie, die wir vor weiterem Leid bewahren wollen. Dein Vater und ich haben viele Jahre gebraucht, um halbwegs damit klarzukommen."

"Aber was ist mit mir? Wie soll ich mit all dem klarkommen, wenn mir niemand etwas sagt?"

"Wir haben dir alles gesagt. Was nützen dir die Details? Wir können dankbar sein, dass du diesen Verlust nicht miterleben musstest. Und das sind wir auch. Jeden Tag."

"Aber vielleicht möchte ich Teil des Verlusts sein. Vielleicht möchte ich die Dinge aus euren Augen sehen. Vielleicht möchte ich den Schmerz spüren."

"Glaub mir. Das möchtest du nicht."

"Alles, was ich möchte, ist eine Antwort, Mama. Gibt es mich, weil sie tot ist?"

Ich weiß nicht, was es war, das mich dazu brachte, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber ich tat es.

"Ja, verdammt. Natürlich."

Nach all den Jahren, in denen es zu einer Art Aufgabe geworden war, Nathalie und auch uns selbst vor der Vergangenheit zu beschützen, hatte die Frage nach dem Sinn des jahrelangen Schweigens kurzzeitig die Oberhand gewonnen. Meine Antwort war sowohl für Nathalie als auch für mich erschreckend. Alle anschließenden Beteuerungen, dass wir erst durch ihre Geburt den Sinn des Lebens wieder gefunden haben und dass sie der neue Anfang nach einem traumatischen Ende war, verschwanden im Nichts.

Die Antwort hängt noch immer wie Blei in der Luft. Und sie folgt uns auf unserer Heimfahrt nach Köln.

*

19. August 1994

Liebes Tagebuch,

es ist zwei Uhr morgens. Ich kann nicht schlafen. Die Bandprobe hat mich so dermaßen aufgewühlt, dass ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Als erstes: Theo!!! Dieser Kerl hat Augen, dass einem schwindelig wird. Ich kannte ihn ja bisher nur vom Schulhof, immerhin ist er zwei Klassen über mir, da sieht man sich nicht so oft. Aber gestern habe ich so nah neben ihm gestanden, dass ich das Gefühl hatte, jeden Moment umzukippen. Hilfe!

Er beherrscht die E-Gitarre echt fantastisch. Ich musste mich richtig zusammenreißen, um nicht jede zweite Zeile meines Textes zu vergessen. Und da liegt auch schon das Problem. Mein Gesang. Die Jungs aus der Band meinten zwar, dass ich optisch das Zeug zur Sängerin hätte, aber stimmlich wäre ich noch ziemlich am Anfang.

Potential hast du, meinte Theo. Aber du brauchst Gesangsunterricht. Tja. Was nun? Schwierig genug, meinen Eltern die Proben zu verheimlichen, aber wie kriege ich das mit dem Gesangsunterricht hin? Mein Taschengeld reicht ja so schon hinten und vorne nicht, also werde ich sie um Geld für den Unterricht bitten müssen. Aber das bedeutet auch, dass ich ihnen von der Band erzählen muss – und darauf hab ich echt absolut keinen Bock! Ich hör Mama schon sagen "Vertrödle deine Zeit nicht mit albernen Kleinmädchenfantasien. Konzentrier dich lieber auf die Hausaufgaben, bevor die nächste Sechs ins Haus steht." Dabei habe ich mich in Mathe auf ne Vier verbessern können.

Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich hab echt keine Lust auf ihre klugen Ratschläge, aber genauso wenig kann ich es riskieren, dass Theo und die Jungs sich ne andere Sängerin suchen. Vielleicht rede ich mit Papa darüber. Der ist leichter weich zu klopfen als Mama, zumindest bei solchen Sachen. Hoffentlich geht alles gut.

Fiona

*

Mein Blumenladen ist seit fünfundzwanzig Jahren derselbe. Derselbe Tresen. Dasselbe Lager. Dieselbe Inhaberin, deren Schicksal im Gegensatz zu Tresen und Lager das einzige ist, das sich im Laufe der Jahre verändert hat. Zwischen einem Nagelstudio und einem Bäcker fügt sich mein kleines Reich geradezu nahtlos in die wichtigsten Stationen des vom Alltag geplagten, vornehmlich weiblichen Einkaufsvolkes ein.

Ich führe den Laden seit meinem 26. Lebensjahr. Fast genauso lange begleitet mich Sina auf diesem Weg. Trotz geringer Bezahlung und Arbeitszeiten, die eigentlich einen höheren Verdienst rechtfertigen würden, hält sie mir seit vielen Jahren die Treue. Sie fragt nicht, wo es nichts zu fragen gibt. Sie redet nicht, wo es nichts zu reden gibt. Diesen Charakterzug an ihr habe ich besonders in schweren Zeiten zu schätzen gelernt.

Auch an meinem ersten Tag nach dem Rügen-Urlaub redet Sina nicht viel. Sie steht hinter mir im offenen Lager und bindet ein paar Mustersträuße, während ich am Tresen den Eindruck erwecke, auf Kundschaft zu warten.

Aber die Wahrheit ist, dass ich auf niemanden warte. Kunden bedeuten Umsatz, gleichzeitig aber auch Reden. Fragen nach dem Anlass für die Blumen. Nach dem Empfänger. Alter. Farben. Aber ich möchte nicht reden. Erst recht nicht fragen. Nur schweigen, während ich die Bestellliste durchgehe.

"Hoffe, euer Urlaub war schön", höre ich Sina hinter mir sagen, noch immer mit den Sträußen beschäftigt.

Ihr Kommentar ist unaufdringlich. Zu wissen, dass sie keine Antwort erwartet, macht es mir leichter, ihr eine zu geben.

"Im Grunde schon", sage ich.

"Ich hoffe, dass im Grunde überwiegt."

"Nathalie hat sich sehr über ihre Geschenke gefreut."

"Wie alt ist sie denn geworden? Vierzehn? Fünfzehn?"

"Fünfzehn", murmele ich. Fünfzehn. Die Gedanken steigen in mir auf. In den letzten zwei Tagen auf Rügen und den ersten drei in der Heimat haben Nathalie und ich nur das Nötigste an Worten gewechselt. Irgendwelche Wünsche fürs Abendessen? Kannst du mal Mathe unterschreiben? Oh, eine Zwei. Schön, mein Schatz. Doch es scheint etwas Seltsames zwischen uns zu stehen. Sie ist nicht böse. Vermutlich versteht sie meine Antwort vom Strand sogar. Ja. Vielleicht. Trotzdem macht es ihr zu schaffen, das spüre ich. Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns in der Ruhe nach oder vor dem Sturm befinden. Kein Wort zum Thema und selbst ihre Blicke deuten nichts an.

Armin hat sich auch nach unserer Rückkehr voll dem Workaholic-Dasein verschrieben. Die Artikel und Texte für das Software-Unternehmen, bei dem er arbeitet, schreibt er mit einer Besessenheit, die mir schon lange keine Angst mehr macht. Es ist seine Form des Verdrängens, die er vor sechzehn Jahren für sich entdeckt und seitdem nie wieder abgelegt hat, auch wenn sich die Art seiner Arbeit im Laufe der Jahre verändert hat. Das Internet kam, die Möglichkeiten wuchsen und mit ihnen Armins Ehrgeiz, überall dort mitzumischen, wo man ihn ließ.

Sein Ehrgeiz lässt ihn zwischenmenschliche Spannungen gekonnt übersehen. Auch die zwischen Nathalie und mir. Ich könnte ihn darauf ansprechen. Mit ihm reden. Doch ich weiß, dass es die Sache nicht ändern würde. Was nützt es mir, geschweige denn ihm, wenn wir die Situation zu zweit analysieren? Verdrängen ist leichter ohne Worte.

Und wieder liegt es an mir, eine Mutter zu sein, die ich nicht bin. Eine Mutter, die ihrer Tochter dabei hilft, die Welt zu verstehen. Ist es nicht das, was eine gute Mutter ausmacht? Eigene Gefühle, den eigenen Schmerz hinten anzustellen?

Und wie weit bin ich davon entfernt, eine solche Mutter zu sein?

Meine eigene Schwäche macht mich beinahe wütend. Reiß dich zusammen, Dascha. Mein altbekanntes und so vertrautes Motto, das ich mir nicht selten wie ein Mantra vormurmele. Reiß dich zusammen!

"Fünfzehn", brummt Sina aus dem Lager. "Das nenne ich mal ein hübsches Alter. Hat sie eigentlich schon einen Freund, die Kleine?"

Ich wundere mich über Sinas Redseligkeit, die nicht so recht zu ihr passen will. Ob sie merkt, dass ich noch kürzer angebunden bin als sonst?

"Na ja, du kennst das. Hier und da ein süßer Typ in der Schule. Das kriege ich aber nur zur Hälfte mit und auch nur mit ganz viel Nachbohren."

Sina lacht. "Ja ja, die Jugend von heute."

Die Jugend von heute. Ich frage mich, inwiefern sie anders ist als die Jugend von damals. Anders als die Jugend vor sechzehn Jahren.

Mein Blick fällt auf die Margeriten in der Nähe der Tür. Ich werde Nathalie ein paar davon mit nach Hause nehmen. Sie liebt Margeriten.

*

"Danke, Mama. Sie sind toll."

Nathalies Stimme klingt mechanisch, als ich die Vase mit den Margeriten auf ihren Schreibtisch stelle. Sie sitzt mit angewinkelten Beinen auf ihrem Bett.

"Ich dachte, die Blumen holen dir ein kleines bisschen Frühling ins Haus."

"Wohl eher den Sommer."

"Vielleicht auch das", sage ich lächelnd.

Ihr Blick, der mir schon beim Betreten des Zimmers nicht wirklich gehört hat, wandert zurück in Richtung Fenster.

"Wir wollen Pizza bestellen. Papa ist auch schon unterwegs. Hast du Lust auf Peperoni?"

Sie schüttelt den Kopf. "Hab vorhin bei Jenny schon was gegessen."

Ich zupfe an den Margeriten herum, während ich nach Worten suche.

"Lass es gut sein, Mama", kommt sie mir zuvor.

"Was meinst du?"

"Dein seltsames Getue. Dein Rumgefummel an den Blumen. Es geht mir gut, also bitte lass es, okay?"

Ich stelle mich dumm. "Ich weiß nicht, was du meinst."

"Du weißt genau, was ich meine. Seit wir aus Rügen zurück sind, benimmst du dich so komisch. Fragst mich ständig, ob ich irgendwas brauche. Grinst mich nervös an. Ich brauche nichts, Mama. Nur meine Ruhe."

Ihre Worte erschrecken mich. Reflexartig setze ich mich neben sie aufs Bett.

"Was ist los, Nathalie? Ich habe dir am Strand die Wahrheit gesagt. Lediglich die Wahrheit. Aber es ändert doch nichts an unserer Familie. Überhaupt nichts."

"Du kapierst es noch immer nicht, oder?" Ihre Wut ist erwachsener, als mir lieb ist. "Es ändert alles. Ich bin nur entstanden, weil Fiona tot ist. Ein Trauerablenkungsmanöver bin ich. Nichts weiter."

Ich fahre zusammen. "Das glaubst du doch nicht ernsthaft?"

"Aber du hast es doch selbst gesagt. Warum tust du jetzt so, als hätte unser Gespräch nie stattgefunden?"

"Weil es ganz einfach nicht wahr ist, Nathalie. Sicher waren wir damals am Ende. Voller Schuldvorwürfe und unendlicher Schmerzen. Ich habe Therapien gemacht, dein Vater hat sich in seine Arbeit gestürzt. Wir waren Fremde in unserer eigenen Haut." Ich hole tief Luft. "Aber der Gedanke an einen Neuanfang, daran, ein neues Leben in die Welt zu setzen, hat uns wieder Hoffnung gegeben. Den Schmerz erträglicher gemacht."

Ich lege meine Hand auf ihre und suche ihren Blick, nach irgendeinem Indiz für Verständnis in ihren Augen. "Du warst unsere Rettung, Nathalie. Du hast unserem Leben wieder einen Sinn gegeben. Und dafür lieben wir dich. Mehr als es Worte sagen könnten."

Sie reißt ihre Hand aus meiner. "Verstehst du denn nicht, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat? Klar liebt ihr mich. Ist schließlich euer Job, ich bin eure Tochter. Aber hast du dich einmal gefragt, wie es mir dabei geht zu wissen, dass ich nur in die Welt gesetzt wurde, um über den Tod eines anderen Menschen hinwegzutrösten? Dass es mich nur gibt, weil dir eine Therapie nichts gebracht hat?"

"Das ist doch albern, Nathalie."

"Ja klar. Wenn ich was sage, ist es albern. Bin ja schließlich erst Fünfzehn. Habt ihr das auch zu Fiona gesagt, als sie damals mit ihren Problemen zu euch kam und ihr zu beschäftigt wart, um euch darum zu kümmern?"

Meine Hand, die eben noch nach ihrer gegriffen hat, knallt schallend auf ihre Wange. Ich bin nicht fähig, etwas zu sagen. Nicht einmal fähig, einen Atemzug zu machen.

Sie schweigt, während sie die Stelle des Aufschlags berührt. Ihr Blick ist ausdruckslos. Ihr Atem flach. Sechzehn Jahre schießen in einem einzigen kurzen Moment auf Null zurück. Alles ist wieder da. Und trotzdem alles verschwunden. Fiona. Sie ist tot. Und es ist meine Schuld.

*

24. August 1994

Liebes Tagebuch,

er hat mich geküsst!!! Gestern war unsere dritte Probe und die ganze Zeit über hab ich schon gemerkt, dass er mich anders anschaut als sonst. Wir haben wieder darüber gesprochen, dass ich die Töne nicht halten kann und ich versprach den Jungs, so bald wie möglich mit dem Gesangsunterricht zu beginnen. Sie waren alle froh, dass ich mich da jetzt so reinhänge und die Stimmung wurde mit jedem Song besser. Aber das Beste war Theo! Sein Blick hat mich die ganze Zeit verfolgt und dann später, als die anderen schon weg waren und ich gerade dabei war, meine Sachen zusammenzupacken, hat er mich neben den Lautsprecherboxen an sich ran gezogen. Nur für einen ganz kurzen Moment. Aber der Kuss war so… ach, ich weiß auch nicht… ich kann gar nicht in Worte fassen, wie ich mich fühle. So was habe ich noch nie erlebt. Keiner ist wie Theo. Ich glaube, ich bin ernsthaft dabei, mich in ihn zu verlieben.

Fiona

*

Sein warmer Körper fällt neben mir in die Laken. So schnell wie es begonnen hat, ist es wieder vorbei. Wir haben es uns im Laufe der Jahre abgewöhnt, Dinge unnötig in die Länge zu ziehen.

Ich ziehe die Bettdecke über die Brust. Mein Haar klebt feucht auf der Stirn.

"Ich liebe dich", sage ich.

"Ich dich auch."

Es ist der einzige Ort, an dem wir es sagen. Der immergleiche Abschluss einer stummen Vereinigung. Ja. Ich liebe ihn. Noch immer. Nicht so unbeschwert wie früher. Nicht so unschuldig. Und doch bedingungsloser.

"Ich hätte nicht gedacht, dich noch wach anzutreffen", sagt er. Er kommt selten ins Bett, wenn ich wach bin. Die Arbeit beschäftigt ihn oft bis in die Nachtstunden. Ich halte mich selten länger als bis Zehn wach.

"Ich konnte nicht schlafen", antworte ich.

Er lächelt. "Ich hoffe, du kannst es jetzt."

Er ist sich der Ironie seiner Worte nicht bewusst. Weder der Streit zwischen Nathalie und mir noch das seitdem mittlerweile zwei Tage andauernde Schweigen zwischen uns, das nur durch unvermeidbare Floskeln unterbrochen wird, sind bis zu ihm durchgedrungen.

"Ich muss mit dir reden, Armin."

Er stützt sich auf seinen Ellenbogen. Mein Unterton scheint ihn zu beunruhigen. "Ist was passiert?"

"Nathalie und ich. Wir hatten einen schlimmen Streit."

"Worum ging es?"

"Um Fiona." Noch bevor ich ihren Namen ausspreche, frage ich mich, wann wir das letzte Mal über sie gesprochen haben. Gespräche über sie haben wir Tausende geführt. Jeden Tag. Beinahe jede Stunde. Nur ohne Worte. Worte haben eine Macht, der wir gelernt haben auszuweichen.

"Fiona?", fragt er.

"Es ging bereits auf Rügen los", antworte ich. "Der Abend, an dem Nathalie und ich am Strand waren."

Er nickt.

"Sie wollte wissen, ob Fionas Tod der Grund für ihre Geburt war."

Die Frage scheint ihn wenig zu überraschen. Vielmehr interessiert ihn meine Antwort. "Was hast du ihr gesagt?"

"Die Wahrheit."

"Die Wahrheit?"

"Ja, Armin. Die Wahrheit."

Er schaut mich an, ohne mich zu sehen. Ich kenne seine Gedanken. Dieselbe Angst. Dieselben Bilder. Wir müssen nicht darüber reden, um es zu wissen.

"Ist sie deshalb zurzeit so kurz angebunden?", fragt er.

"Ja. Sie glaubt, dass sie eine Art Mittel zum Zweck war. Eine billige Therapie, um über den Schmerz hinwegzukommen." Ich presse meine Faust auf die Lippen.

Er legt seinen Arm um mich. "Sie wird sich wieder beruhigen, Dascha. Du wirst sehen."

"Ich habe sie geschlagen, Armin. Direkt ins Gesicht."

"Warum?"

"Sie hat gefragt, ob wir uns vor Fionas Problemen genauso gedrückt haben wie vor ihren. Da sind mir die Sicherungen durchgebrannt." Ich spüre Tränen aufsteigen.

Sein Arm drückt sich fester um meine Schulter. Schweigend verharren wir in dieser Position. Keine Fragen. Keine Worte. Ich bin dankbar für seine Nähe und doch schäme ich mich.

Ich habe meine eigene Tochter geschlagen.

Unsere Jahre nach dir

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