Читать книгу In seinen Händen - Natalie Bechthold - Страница 7
Teil 1
ОглавлениеIsabel
Einst in einer kalten Novembernacht …
… saß Isabel vor dem Fenster und blickte hinaus. Mit einem unruhigen Herzen wartete sie auf den Augenblick, an dem ihr Vormund im Vorhof erscheine. Draußen heulte der Wind. Kalte Luft zog durch die Fensterritzen. Gold-braune Ahornblätter flogen wild durch die Luft. Es fing an zu regnen.
„Auch das noch!“, jammerte Isabel, als die dicken Regentropfen stürmisch gegen das Fensterglas peitschten.
Der Anblick eines Novembersturms ließ Isabel innerlich erschaudern. Noch nie war er so stark, wie heute Nacht. An der Nacht, an der er kommen sollte. Ihr Vormund.
Isabel kuschelte sich in eine warme Decke und wartete auf ihn. Sorgen und Ängste vermischten
sich miteinander. An einen Schlaf war nicht mehr zu denken.
Hinter ihr, auf dem Nachtschränkchen, flackerte eine winzige Flamme einer Kerze. Isabels Schatten ruhte an der Wand. Doch plötzlich verschwand er in der Dunkelheit, als die Kerze auf eine unerklärliche Weise ausging. Isabel sprang von der Fensterbank, suchte im Dunkeln nach neuen Streichhölzern und zündete die weiße, dicke Kerze erneut an. Als sie wieder aus dem Fenster sah erblickte sie im Vorhof eine Kutsche. Zu so einer späten Stunde konnte es nur seine sein. Schnell warf sich Isabel ihren Morgenmantel über und eilte hinaus. Die Treppe hinunter. Und im Vorbeirauschen erlosch eine Kerze nach der anderen, die im Treppenhaus an der Wand hingen. Dann stand sie vor ihm. Im Dunkeln. Ein Blitz zuckte am Himmel. Und Isabel erschrak, als sie für eine Sekunde sein Gesicht erblickte.
Der Mann vor ihr …
… war kein anderer, als Major Richard Blake. Ein Mann, der Stärke, Mut und Gerissenheit ausstrahlte.
Das muss sie wohl sein, dachte Major Blake, als er sie vor sich erblickte. Zu kurz war der Augenblick, um sie besser in Augenschein nähmen zu können. Aber das, was er gesehen hatte, grub sich ganz tief in sein Gedächtnis. Sein Mündel, eine junge Frau im geöffneten, roten Morgenmantel mit einem weißen Nachthemd darunter. Ihr langes, blondes Haar fiel in Strähnen locker über ihre Brüste.
„Miss …, wo sind ihre Manieren?!“, sagte er in einem strengen Ton, den er im Militär zu gut kannte.
Beschämt schloss sie ihren Morgenmantel und hielt ihn vor seinem nächsten Blick mit den Händen zusammen.
„Verzeihung …“, hörte er sie ganz leise sagen.
„Wie mir scheint, mögt ihr es gern im Dunkeln“, hörte sie, wie er mit einer tiefen, aber angenehmen Stimme zu ihr sagte.
„Nein, Sir …, sie irren sich. Es war nur …“
Plötzlich ging im Gang eine Tür auf und ein Kerzenleuchter geisterte über dem Teppich ihnen entgegen.
„Verzeiht mein Herr, auch Lady Isabel, ich habe sie nicht kommen gehört“, entschuldigte sich Isabels Diener bei seiner Herrin und ihrem Gast.
„George …, du bist noch hier?!“, erkannte Major Blake den alten Mann.
„Entschuldigt bitte, aber mit wem habe ich die Ehre?“, fragte der alte Diener ganz freundlich.
„Erinnerst du dich nicht mehr, George? Ich war einmal als kleiner Junge hier. Vor über zwanzig Jahren. Auf der Hochzeit meines Onkels.“
„Ach ja, ich erinnere mich. Ich nannte sie damals Schokoladenjunge. Sie konnten von der heißen Schokolade niemals genug bekommen“, lachte der ältere Mann.
„Das stimmt und auch heute nicht“, fiel der Major in sein Lachen.
„Ich sehe schon, George, wir werden uns gut verstehen“, klopfte der Jüngere dem Älteren kameradschaftlich auf die Schulter.
„Zeigst du mir noch mein Zimmer?“
„Aber sehr gern, Sir.“
„Und sie, Miss, es ist besser, wenn sie jetzt schlafen gehen. Morgen früh werden wir alles besprechen. Ich wünsche ihnen noch eine gute Nacht!“
„Danke, auch ihnen eine gute Nacht, Sir.“
Und dann ließen sie sie allein im Dunkeln, vor den Stufen, stehen.
Kalte, nackte Hände …
… legen sich um meinen Hals und drücken zu. Ich schnappe nach Luft, doch vergeblich. Ich versuche mich mit ganzer Kraft von ihm zu befreien …, kämpfe um mein Leben, doch es gelingt mir nicht. Er ist viel stärker als ich. Er, dessen Gesicht ich sofort im Halbdunkeln erkenne. Und dann, als ich glaube, mein junges Leben sei gleich zu Ende, erwache ich.
Isabel saß in ihrem Bett und zitterte vor Angst. Sein Gesicht sah sie noch vor sich. So kalt, wie diese Nacht. Sehe ich in ihm den Hass, den er für mich empfindet? Doch dann verschwand es vor ihrem geistigen Auge und Isabel wusste, dass er nicht hier ist und nicht hier war. Es war nur ein böser Traum. Ein Traum, der täuschend echt war und in Isabels Innerem Spuren hinterließ.
Draußen wütete noch immer der Sturm, als wollte er nicht aufhören. Und Isabel kroch noch tiefer unter die Decke. Aus Angst vor ihrem Vormund und vor Kälte. Ängstlich lauschte sie dem heulenden Wind und zwar noch sehr lange, bis sie endlich, nach drei Uhr morgens einschlief.
Ihr Schlaf war sehr kurz, dafür aber traumlos, wofür sie am frühen Morgen sehr dankbar war.
Das Leben ist manchmal so …
… hart. Erst nahm es ihr im zarten Kindesalter die Mutter weg, dann den Vater, wo sie ihn noch so dringend brauchte. Und dann steht er vor ihr. Ihr Vormund. Dem sie vollen Respekt schenken und ihre Dankbarkeit zeigen muss.
Ach, mein lieber Papa, warum musstest du ausgerechnet jetzt gehen?, fragte sich Isabel, als sie sich das Haar kämmte.
Ihr Vater war zu seinen Lebzeiten ein liebenswerter Mann. Ein Mann, der mit seiner kleinen Größe und Fülle Lebensfreude ausstrahlte und mit seinem herzhaften Lachen andere ansteckte. Seine Untertanen liebten ihn. Schenkten ihm ihren vollen Respekt und Gehorsam. Und die gute Gesellschaft bewunderte ihn dafür.
Isabel war sehr stolz auf ihren Vater. Gern wäre sie wie er. So streng, aber gerecht, mit unendlicher Geduld und Herzensgüte. Ein Mann, der mit Klugheit gesegnet war. Isabel sah zu ihm auf. Er war ihr Vorbild und wird es für immer bleiben. Ihr Vater, den sie über alles liebte.
Nun ist er weg. Aus dem Leben gegangen. Hat sie alleine zurück gelassen. Es bleibt nur noch die Erinnerung. Erinnerung an ihn, gefüllt mit wunderbaren Minuten, Stunden, Tage und Jahre. Es waren schöne Jahre mit ihm. Jahre einer tiefen Freundschaft. Und jetzt sind sie zu einer Erinnerung geworden. Wie ein Album, in dem man eine Seite nach der anderen umblättert.
Plötzlich klopfte jemand an die Tür und Isabel zuckte erschrocken zusammen.
Es muss Betty sein. Wie lange sitze ich schon hier?, fragte sich Isabel und legte ihre Haarbürste weg.
„Ja, bitte?“
„Mylady, ich bin es, Betty.“
„Komm rein.“
Isabel nahm ihr dickes Haar und warf es sich über die rechte Schulter.
„Sind sie schon länger wach, Mylady?“, fragte Betty, als sie das Zimmer ihrer Herrin betrat und die junge Duchess angezogen vor dem Frisierspiegel sitzen sah.
„Sie sind schon angezogen?“, fragte Betty und sah ihre Herrin verwundert von der Seite an.
„Ja, … ich konnte nicht länger schlafen.“
Hat es etwas mit Major Blake zutun?, wollte Betty gleich fragen, aber dann ließ sie es doch bleiben. Manchmal ist es doch besser nicht zu neugierig zu sein. Und Isabel war ihr dafür dankbar.
„Dann flechte ich ihnen noch ihr Haar.“
Isabel wählte eine silberne Haarbrosche aus mit blauem Saphir und hielt sie für Betty bereit.
Sie war allein …
…, als sie die Treppe hinunter ging. Sie war allein, als sie den Korridor entlang ging und sie war allein, als sie die Tür zum Speisesaal öffnete.
Isabel war ganz allein, als sie ihrem Vormund begegnen sollte. Die Angst vor ihm war ihr einziger, unsichtbarer Begleiter. Aber auch sie konnte ihr die unerwünschte Begegnung mit ihm nicht ersparen. Es war ja nicht so, dass ihr Vormund, Major Blake, furchterregend aussah, sondern, es lag ganz allein an seiner Person. Seiner Ausstrahlung. Er wirkte auf sie so … herrisch. Und das machte ihr Angst. Angst mit ihm unter einem Dach zu leben und Angst vor ihrer eigenen Zukunft. Denn sie lag ganz allein in seinen Händen. Und so lange sie noch nicht volljährig war, konnte er mit ihr alles machen, was er wollte, bis hin in das Unbedenkliche. Hoffentlich wird er mich nicht verheiraten wollen, nur um mich schnell loszuwerden. Wie die meisten es so oft taten. Und das nur zum eigenen Besten.
Nachdem Isabel die Tür zum Speisesaal geöffnet hatte stellte sie überrascht fest, dass er noch nicht da war. Erleichtert darüber schloss sie die Tür hinter sich und setzte sich auf ihren Platz. Drei Brotkrümel auf dem Platz neben ihr, an der Stirnseite, verrieten ihr, dass der Platz abgeräumt sein muss. Also war er hier. Noch vor mir. Erleichtert darüber und zugleich verletzt fragte sie sich, warum er nicht mit ihr frühstücken wollte. In dem Haus ihres Vaters kannte sie es nicht anders. Denn es war eine Tradition, dass der Gastgeber mit seinem Gast hier speiste. Warum nicht er mit mir?
Isabel schnitt ein Brötchen auf. Es war noch warm. Frisch aus dem Backofen. Und strich Aprikosenmarmelade darüber. Für seine Abwesenheit sollte ich ihm lieber dankbar sein. Und biss genüsslich hinein. Sie liebte diese Marmeladensorte, mit Aprikosen aus dem eigenen Garten, und konnte niemals genug davon bekommen. Dazu trank sie noch einen warmen Kakao.
Dann, als Isabel glaubte, sie wäre heute allein, weil ihm ein Termin kurzfristig zuvorgekommen ist, würde ihm somit nicht begegnen, kam George herein. Sein Kommen war für Isabel eigentlich nichts Ungewöhnliches, das tat er ja immer nach einer Mahlzeit.
„Guten Morgen, Mylady!“, grüßte er freundlich seine Herrin, wie an jedem Morgen.
„Ich hoffe, es hat ihnen geschmeckt?“
„Danke, George“, antwortete Isabel und wischte mit einer roten Serviette ihren Mund ab: „Immer doch.“
George lächelte zufrieden und sammelte das schmutzige Geschirr ein.
Und dann kam das, womit Isabel nicht mehr gerechnet hatte.
„Major Blake möchte mit ihnen sprechen. Er wartet in dem Büro ihres Vaters.“
Bei den Worten bekam Isabel wieder Angst und wurde nervös. Ein Zustand, den sie überhaupt nicht mochte. Eine Schwäche, die sie vor den Augen des Personals überhaupt nicht zeigen durfte. Und so vermied sie ihm die Frage zu stellen, die ihr auf der Zunge lag. Hat Major Blake eine Andeutung gemacht, weshalb er mit mir sprechen möchte?
George ahnte nicht, was in dem Herzen seiner jungen Herrin vorging. Welche Ängste sie durchstand. Welche Wünsche sie im Herzen pflegte und welcher Verpflichtung sie sich vielleicht sogar sehr bald schon beugen musste. Herzenswünsche und –sorgen gingen einen Diener nichts an und so verschwendete George keinen Gedanken daran. Er jedenfalls fand seinen neuen Herrn sehr sympathisch.
Ihr Herz bebte …
…, als sie an seine Tür klopfte. Eigentlich war es nicht seine Tür und nicht sein Büro, sondern das ihres Vaters. Duke of Winchester. Doch dieser war seit fünf Tagen tot und Major Blake nahm jetzt seinen Platz ein. Ach, wie gerne hätte ihn die junge Duchess weit gewusst.
Richard hörte ihr Klopfen und antwortete mit einem Herein.
Sie hörte seine tiefe, aber freundliche Stimme und war sehr erstaunt, wie tief sie in ihr Herz drang. Ein seltsames Gefühl überkam sie. Weibliche Neugier. Eine stille Sehnsucht, seine angenehme Stimme noch einmal zu hören. Nein, das darf nicht sein!, unterbrach Isabel ihren Gedankenlauf und rief sich in Erinnerung, wer er war. Ihr Vormund.
Mit gemischten Gefühlen drückte sie die Türklinge herunter und öffnete die Tür. Er saß hinter dem Schreibtisch ihres Vaters und schien auf sie zu warten. Lange?, das wusste und interessierte sie nicht. Viel mehr wollte sie wissen, weshalb er sie sprechen wollte. Dann sah sie ein weißes Papier vor ihm liegen. Ein Dokument. Und glaubte den Grund jetzt zu kennen.
„Setzten sie sich“, hörte sie wieder seine tiefe, freundliche Stimme und folgte seiner Bitte.
Er sah sie an und … war überzeugt das Richtige zu tun.
„Lady Isabel …“, begann er und merkte, wie ernst sie wurde: „Was sie vielleicht bereits wissen, ihr geliebter Vater hat mir nach seinem Tod einen Brief hinterlassen.“
Nein, das wusste sie nicht.
Sie sah ihn mit ihren saphirblauen Augen erwartungsvoll an und für eine kurze Zeit war die Angst vergessen.
Ihm wurde schnell bewusst, wie ihre faszinierenden Augen seinen Blick fesselten. Etwas sanft nach seinem Herzen griff.
Schnell wandte Richard den Blick von ihren Augen ab, um wieder Herr über seine Gefühle zu werden.
„In diesem Brief schreibt er, dass er mich als ihren Vormund vorgesehen hat.“
Ihr langes, blondes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten und hing verführerisch über ihrem tiefen Dekolleté.
„Ich bin ihm für diese Ehre sehr dankbar und werde mir die größte Mühe geben, seine letzte Bitte zu erfüllen.“
Isabel kannte ihren Vater und wusste, dass er nie von ihr verlangen würde, gegen ihren Willen zu heiraten. Deshalb fragte sie hoffnungsvoll: „Und was ist es für eine Bitte?“
Wenn sie die nächsten Jahre mit ihrem arroganten Vetter unter einem Dach leben müsste – gut. Damit könne sie noch leben. Oder …
„Der Wunsch ihres Vaters ist …“, er machte eine kurze Pause und ließ unbemerkt seinen Blick zu ihrem Dekolleté wandern.
Der Anblick versprach ihm nicht viel, aber das genügte auch, ihn glücklich zu machen.
„Dass sie noch vor ihrem Geburtstag heiraten.“
„Was?!“, rief Isabel bestürzt.
Nie im Leben hätte sie das von ihrem Vater erwartet. Er war doch sonst so bedacht, dafür zu sorgen, dass es ihr gut ging. Warum ausgerechnet jetzt das? Wem wäre das zugute? Jedenfalls nicht mir!, dachte Isabel.
Richard sah sie gelassen an.
Die Farbe ihres Kleides passte ausgezeichnet zu ihren Augen, stellte er fest.
„Ja. Und wenn ich fragen darf, wann haben sie Geburtstag?“, fragte er, um festzustellen, ob sie es wagen würde, ihn anzulügen, obwohl er die Antwort längst kannte. Isabels Vater hatte ihm nämlich davon geschrieben.
„29. Januar“, antwortete sie ihm diesmal betrübt, weil sie schnell merkte, dass es keinen Ausweg gab.
Es war der letzte Wunsch ihres Vaters und einem Toten erwies man die letzte Ehre, indem man ihm seine Bitte erfüllte. Deshalb musste Isabel heiraten, ob sie es wollte oder nicht.
Mein Respekt! Sie sagt tatsächlich die Wahrheit.
„Gibt es einen, den sie vielleicht mögen?“, fragte er weiter, und vermied es diesmal ihr in die Augen zu sehen.
In Isabels Ohren klang es so, als wollte er ihr entgegenkommen.
Isabel stieg rötliche Farbe ins Gesicht. Doch bevor sie ihm eine Antwort auf seine Frage gab drehte sie ihr Gesicht von ihm weg und starrte verlegen auf den Marmorboden.
„Nein.“
Das ist gut. Richard lächelte zufrieden. Unschuldig, wie eine Blume, deutete er ihre Reaktion.
Als sie zu ihm wieder aufsah war von seinem Lächeln nichts mehr übrig. Doch seine Augen funkelten noch weiter.
In blauer Uniform saß er selbstsicher vor ihr. So, wie sie auch gern wäre.
Er sah sie lange an und sie ihn. Sie hielt seinem Blick stand und bewies damit ihren Mut und Richard gefiel das.
„Muss ich … unbedingt heiraten?“, wollte sie noch ein letztes Mal fragen und hoffte, dass es für sie einen anderen Weg gab, als die Heirat.
„Ja!“
Er machte eine kurze Pause.
„Du wirst mich heiraten“, sagte er und sah sie eindringlich an.
„Nein!“, empört sprang sie auf.
„Gefällt ihnen etwas nicht am mir? Mein Aussehen oder …“, donnerte er gekränkt zurück.
Andere Frauen würden ihm vor die Füße fallen und ihn darum anflehen, sie zu heiraten. Und seine verwöhnte Cousine wagte es, noch bevor er ihr einen Antrag machen konnte, ihm einen Korb zu geben.
„Nein, es ist nur …“, unterbrach sie ihn: „Warum ausgerechnet sie? Ich kenne sie doch nicht einmal“, fuhr sie diesmal ruhiger fort.
„Ach, und die anderen Männer kennen sie schon alle, was?!“, seine Stimme wurde nur ein ganz klein wenig leiser, als vorher.
„Nein, natürlich nicht.“
„Ich verstehe“, aber in Wahrheit verstand er sie nicht.
Was machte es für einen Unterschied, wen sie heiratet, ob ihn oder einen anderen. Sie kannte weder ihn, noch einen anderen.
Er stand auf und kehrte ihr den Rücken. Am Fenster lehnte er sich mit einer Hand gegen die Wand und sah hinaus. Zwar hatte sich der nächtliche Sturm gelegt, aber es wehte noch immer ein kalter Wind. Orange-braune Blätter flogen wild über dem Schlossgarten.
„Sie wollen mich nicht“, sagte er diesmal ruhiger.
„Um es höflich auszudrücken, ja.“
Der Rasen war noch immer grün. Die Büsche für den Winter zurecht geschnitten und beinah kahl.
„Gut. Ich gebe ihnen eine Frist.“
Er drehte sich wieder zu ihr, stützte sich mit beiden Händen gegen die Fensterbank und sah sie an. Sah ihr tief in die Augen.
Isabel schluckte leise.
„Wenn sie bis zu ihrem Geburtstag keinen geeigneten Ehemann gefunden haben, dann werden sie mich heiraten.“
Das sind gute zwei Monate, ging ihr durch den Kopf. Eine sehr kurze Zeit. Und dennoch war sie ihm für diese kurze Zeit dankbar.
Schon allein der Gedanke, an ihn gebunden zu sein, jagte ihr furchtbare Angst ein, wobei sie sich eingestehen musste, dass sie ihn sehr attraktiv fand. Hör auf, ihn weiter so anzustarren! Sonst verliebst du dich noch in ihn.
„Einverstanden. Und danke! Es wird mir sicherlich gelingen.“
Sie lächelte. Lächelte ihn dankbar an und in Richards Innern breitete sich ein Gefühl aus, das er vorher nicht kannte. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Er konnte vor Freude nicht anders, als zurück zu lächeln. Die Maske war gefallen. Seine raue Schale existierte nicht mehr.
Dann ließ sie ihn allein in seinem neuen Büro. Allein mit seinen Gedanken.
„Aber vorher müssen sie an mir vorbei.“
Und damit meinte er den Mann oder die Männer ihrer Wahl.
Und sein altes Ich kehrte wieder zurück.