Читать книгу Lichtfalter - Nataly von Eschstruth - Страница 4

Zweites Kapitel

Оглавление

Die Sonne war gesunken.

Wie ein Meer von Purpur und Licht wogte es noch über dem Himmel, und das Herrenhaus von Idesfelde sah aus, als sei es illuminiert, so brannte der Widerschein in allen Scheiben. Unter den Linden dämmerte es stark, in den freier gelegenen Teilen des Gartens, auf dem Wiesenplatz und zwischen den köstlichen Blumenterrassen sanken die Schatten tiefer und tiefer.

Noch schwärmte die Jugend nach dem sehr fröhlichen Abendessen durch die Tür des grossen Gartensalons ein und aus, in geschäftiger Hast alles für den so schnell improvisierten Tanz zu bereiten.

Sogar die Blütensträusschen für einen „Geburtstagsreigen“ durften nicht vergessen werden, und Edelgard und Nanna, die am besten Bescheid unter den Kindern Floras wussten, schnitten selber die duftigen Stengel und Zweige in ihre Körbchen.

„Was hältst du von den drei Musikanten, Edelgard?“ fragte Oberförsters Töchterchen voll heimlicher Wichtigkeit. „Der erste, den sie Florian nannten, war ja nachlässiger gekleidet, aber der grosse, so wunderhübsche Mensch mit den dunkeln Augen, sieht doch tatsächlich nicht wie ein Vagant aus!“

Die Angeredete blickte nachdenklich auf eine entzückende Rose nieder, deren purpurglühender Kelch selbst im Zwielicht noch aus dem dunkeln Laub leuchtete.

„Das sind sie auch fraglos nicht. Du weisst, Nanna, dass ich mich für alles Geheimnisvolle interessiere und schon als Kind gern Rätsel geraten habe!“

„Ich merkte dir schon an, dass du die Fremden unbemerkt beobachtest! Du sprachst sogar mit Valentin über sie?“

„Das sahst du?“ — Ein ganz feines Rot stieg — diesmal von Nanna der Dämmerung halber nicht bemerkt — in die Wangen des jungen Mädchens. „Kennst du nicht das alte Sprichwort: ‚Zeige mir, wie du isst, — dann sag’ ich dir, wer du bist!‘“

„Und ob ich es kenne!“

„Siehst du, Kindchen, mit diesem Schlüssel wollte ich die Kinderstube der drei Unbekannten unvermerkt aufschliessen. Der alte Valentin war nur in besten Familien bedienstet und ist dadurch Menschenkenner geworden. Ich interessierte ihn für die drei jungen Leute; zuerst sprach er von ihnen als: die fremden Männer, als er mir dann Rapport erstattete, nannte er sie: die jungen Herren! — Das war mir fürs erste massgebend. ‚Ihre Art und Weise zu soupieren,‘ sagte er, ‚war mir erstaunlich, ich hatte sie nicht erwartet. Der Grösste und Robusteste von ihnen, der das Piston bläst, ass etwas hastig und gleichgültig, Feinschmecker war er nicht, aber Speisen, wie die Hasenpastete, schienen ihm nicht fremd zu sein. Der andre, Kleine, mit dem lustigen, spitznasigen Vogelgesicht, ist nicht unmanierlich, aber äusserst ungeniert, lobt und tadelt ohne Rücksicht, was immerhin eine gewisse Sicherheit des Benehmens zur Grundlage hat. Er legte trotz seines etwas fahrigen Wesens das Mundtuch nach dem Essen nicht ängstlich oder penibel, sondern wie ein Ergebnis guter Dressur, zusammen, was bestätigt, dass er in seinem Elternhause an Servietten und Ordnung gewöhnt ist!‘“

„Grossartig! Solch eine Beobachtungsgabe hätte ich dem Alten gar nicht zugetraut! Nun, und der dritte?“

Edelgard ordnete die Blumen in ihrem Korb: „Von dem sagte er nur das eine Wort — Gentleman!“

„Und das sagt alles?“

„Ja!“

„Wie sie wohl heissen?“

Fräulein von Heimdall zuckte die Achseln.

„Fort ziehn die Gestalten, wer sagt dir, wohin?“ rezitierte sie; „das wird für uns wohl ein ungelöstes Rätsel bleiben, denn weder ich noch du werden sie danach fragen!“

„Aber Valentin könnte forschen!“

„Wer will sie zwingen, etwas zu sagen, was sie verschweigen wollen? — Sind sie, wie Papa meint, heruntergekommene oder verbummelte Genies — was für wunderliche Existenzen gibt es heutzutage nicht in aller Welt! —, so würden sie ihre wahren Namen sicher nicht in den Dorfschenken preisgeben, und haben sie nur in zwingender Notlage einen Beruf erwählt, weil sich keine standesgemässe Anstellung fand — ich meine, dass sie, durch ein ehemals vielleicht nur als Sport ausgebildetes musikalisches Talent unterstützt, nun als Wandermusikanten von Dorf zu Dorf ziehen, so spricht dies auch für meine Ansicht, dass sie nicht verbummelt sind!“ — Menschen, die moralisch so tief gesunken sind, streifen in der Regel recht gewaltsam alles ab, was in ihrem Äussern und Wesen noch an bessere Zeiten, gleich einem Vorwurf, erinnern könnte!“

„Sie nehmen ja auch kein Geld für ihre Leistungen, sondern bitten nur um Kost und Logis!“

„Und bestätigen auch dadurch die Richtigkeit meiner Ansicht. Ich bin sehr gespannt, sie spielen zu hören ... und zu sehen!“

„Man ruft uns!“

„Der Kandidat ist soeben auch noch erschienen! Ich höre seine Stimme!“

„Eure Forstpraktikanten auch!“

„Die Eleven haben sich in Wichs geworfen!“

Edelgard lachte: „Wohl, so kann der Guss beginnen!“

„Nanna!“

„Sie rufen mich!“

„Nein, mich!“

„Dich?“

Fräulein von Heimdall schüttelte jäh das Köpfchen. „Wie schwer hält es doch, sich von Altgewohntem loszureissen! Ich bin nämlich, so wie du, als Nanna geboren!“

„Darum nennt dein Vater dich noch manchmal so?“

„Und ich höre darauf immer noch besser als auf Edelgard!“

„Warum taufte man dich um?“

„Weil meine Stiefmutter Nadja hiess und ‚Nanna‘ gerufen ward. Ihr Vater war lange Jahre Konsul in Russland, sie wurde auch dort geboren und hat bis zu ihrem Tod nie recht begriffen, dass sie eigentlich keine Tatarin war!“

„Und dein Name musste dem ihren weichen?“

„Selbstverständlich! Ich war ja noch ein Kind. Alle Verwandten und Bekannten fanden auch Edelgard, welchen Namen man unter den andern meines Taufscheins erwählte, ebenso hübsch! — Aber es ist seltsam, wenn ich auch für Fremde den neuen Namen führe, so blieb ich für die meinen voll echter Treue und Beharrlichkeit dennoch Nanna.“

„Vielleicht ist es auch hier gut, dass das Schlossfräulein tatsächlich eine ‚Edel‘dame ist, sonst gäbe es vielleicht Verwechslungen zwischen uns!“

„Durch was und wie? — Ich wüsste nichts, wodurch solch eine Verwechslung verhängnisvoll werden könnte!“

Oberförsters Einzige blieb stehen und legte voll schelmischen Übermutes die Hände auf die Schultern des Geburtstagskindes.

„Liebchen! Hand aufs Herz! Wenn nun jener schwarzäugige Gentleman sich als ein Paganini oder Sarasate, bzw. als einer deren Ruhmesnachfolger mit modernem Sonnennamen am Kunsthimmel entpuppt, und er komponiert einen ‚Sehnsuchtswalzer‘, neu nach Chopin, und betitelt ihn ‚zur Erinnerung an Idesfelde, der goldhaarigen getreuen Nanna gewidmet‘. — Glaubst du nicht, dass wir uns gegenseitig die Augen auskratzten, wem von uns diese Huldigung gilt?“

„Nun ... der getreuen, wie du sagst!“ Die kleine Mainau bekam immer rötere Bäckchen, teils von der Bowle, teils von der Aufregung, in der sie dieser himmlisch schöne Tag versetzte.

„Ich will dir mal etwas sagen, Namensschwesterchen!“ kicherte sie. „Wenn junge Mädels sich langweilen, träumen sie Romane, und wenn sie in der Einsamkeit sind, verlieben sie sich. — Gleichviel in wen! — Wir sind nun alle beide auf dem besten Weg, uns in den schönen Unbekannten, den fiedelnden Zigeuner von der Landstrasse, zu verlieben —“

„Du bist verrückt!“ fuhr Edelgard ganz erschrocken auf.

„Noch nicht, hoffe es auch nicht zu werden. Na, und siehst du, wer nun dem Geheimnisvollen treu bleibt —“

„Dem widmet er als Lorbeergekrönter den Sehnsuchtswalzer?“

„Du lachst und doch klingt deine Stimme so wunderlich!“

„Warum nennt dich deine Mutter eigentlich so oft ‚kleiner Schmetterling‘?“

Nanna blickte verdutzt auf, sagte aber ganz ehrlich und treuherzig: „Weil sie behauptet, ich hätte zu nichts rechte Ausdauer, das ‚Sitzefleisch‘ fehle mir noch und mein Wesen sei noch fahrig und wechselwendig wie Aprilwetter!“

„Schmetterlinge sind Falter! Und du gabst soeben dem schönen Geheimnisvollen den ‚Sonnen namen‘ am Himmel der Kunst? — Hast doch neulich in der Stadt den ‚Zigeunerbaron‘ gehört?“

Das Waldmägdelein lachte hell auf. „Ach so:

Ein Falter flog ums Licht —

an der Flamme blieb er hängen —

und Rettung gab es nicht!“

„Du fandest es damals so dämlich von dem Falter, sich derart in Gefahr zu begeben —“

„Hm ... ehrlich gestanden, finde ich es auch noch! Das dumme Ding musste doch merken, wie’s heiss kam, dass es sich elend versengen müsse!“

„Und fügtest damals noch hinzu: ‚Wenn ich merke, dass etwas sengerig wird, dann gebe ich Fersengeld!‘“

„Ja, dann amüsiert es den kleinen Schmetterling nicht mehr, er nimmt Reissaus und begeistert sich für eine andre Blüte — Rittersporn, Eisenhut, Schwertlilie, wenn ich an den Kandidaten denke, vielleicht ‚Hirtentäschel‘!“

Nun lachten sie beide und Edelgard fuhr fort: „Also in dir brauchte ich die Rivalin kaum zu fürchten!“

„Unterschätze mich nicht! Femme varie!“

Abermals rief es stürmisch nach den beiden jungen Mädchen, ihnen entgegen kamen eilige Schritte, man holte das Geburtstagskind ungeduldig zum Tanzsaal.

In die Ecke des hohen, eleganten Raumes hatte man einen kleinen Tisch für die Musikanten gestellt, und als Valentin Kerzen entzünden und Notenständer improvisieren wollte, lehnten die jungen Herren dankend ab, da sie die Stücke auswendig spielten.

Herr von Heimdall trat noch einmal in seiner höflichen und liebenswürdigen Weise, die die Tochter von ihm geerbt hatte, an das ‚klingende Winkelchen‘ heran und erkundigte sich, ob die jungen Künstler auch dem Abendessen genügend Ehre angetan hätten, — was voll gebührenden Dankes bestätigt wurde, — er liess noch eine Bowlenkanne und Gläser auf den Tisch stellen und nach wenig Minuten erklang das ‚Geburtstagsständchen‘ aus ‚Nanon‘, als überraschende Huldigung der so freundlich Aufgenommenen, Fräulein von Heimdall entgegen.

„Denn heute ist Geburtstag!

Kein andrer Tag im Jahr

gleicht diesem Tag fürwahr!“

Grosser Jubel.

Der Inspektor, ein lebensfroher Herr, kannte die Worte zu der Melodie; er hub an, sie mit Stentorstimme zu singen, die Tänzerinnen und Tänzer merkten auf und fielen als Chor schallend ein, und dann verneigte sich der Inspektor als ‚Höchstkommandierender‘ vor Edelgard, und ein sehr buntes und bewegtes Tanzbild entrollte sich in der Gartenhalle.

Welch ein Leben!

Man tanzte und tanzte!

Nicht nur der Magen kann ausgehungert werden, sondern auch die Beine bei jungen Leuten, denen die schaukelnde Wiege bereits die Begierde nach Singen, Springen und Wiegen auf lieblich schmeichelnden Musikklängen für das Leben mitgegeben hat.

Man hatte lange gefastet, denn Idesfelde lag ziemlich einsam, viel gesellige Jugend gab es nicht und Musikanten bekam man nur zum Erntefest zu hören.

Während der Frühlings-, Herbst- und Winterzeit wohnte Herr von Heimdall in der Metropole, wo er als Chef und Inhaber eines grossen Bankhauses wenig abkömmlich war und nur während der heissesten Sommerzeit sein Gut Idesfelde aufsuchen konnte.

Jahrelang war er überhaupt nicht auf dem Lande gewesen, als er mit seiner jungen, sehr lebenslustigen Frau interessante Reisen machen und Modebäder aufsuchen musste.

Dann schickte er die Erzieherin mit seinem Töchterchen auf Feld und Flur hinaus, und Edelgard war in Idesfelde zu Haus, und auf dem Gute erachtete man das kleine Fräulein mehr als die Besitzerin und Herrin, wie den Papa, der sich gleichsam als Besuch nur hier und da einmal auf seinem Besitztum blicken liess.

Es ward später und später.

Die Bowle auf dem Büfett des Nebenzimmers tat mehr und mehr ihre Wirkung, die Köpfe wurden immer röter und erhitzter; nur Balders Antlitz blieb kühl und blass, und nur seine dunkeln Augen brannten oft voll Sehnsucht auf den jungen Paaren.

Er war ein leidenschaftlicher Tänzer, und stille sitzen müssen und zuschauen, wenn andre voll jauchzender Seligkeit in den offenen Himmel hineinfliegen, bedeutete für ihn eine Folter an Leib und Seele.

In solchen Stunden, wie sie auch jetzt wieder trotz alles Kerzenglanzes düster auf ihm lag, empfand er die Bitternis seiner so grausam und jäh veränderten Lebensverhältnisse mehr denn je, und die Geigenklänge, die er mit nervösen Händen auf den Saiten hervorzauberte, taten seinen Ohren bald ebenso weh wie seinem gequälten Herzen. Unbemerkt hatte er zuerst die Tanzenden beobachtet und sie einer Kritik unterzogen, die oft einer gewissen Ironie nicht entbehrte.

Florian, der sich königlich amüsierte, sass neben ihm.

Da sie ihre „Stückchen“ im Traume spielen konnten, handhabte er seine Flöte recht mechanisch und fand während der kurzen Zeit der Fermaten stets Gelegenheit, seinem Nachbar ein paar drastische Worte zuzuflüstern.

Von umliegenden Höfen erschienen noch etliche Gratulanten, die während der arbeitsreichen Erntezeit nicht früher Zeit zu einem Besuch gefunden.

Es waren seltsame Mischlinge, ehemals einfache, schlichte Menschen, die von den Wogen der hochbrandenden Zeit emporgeschleudert waren, dass sie sich von den reichen Erträgen ihrer Felder einen „Salon“, nicht mehr wie früher die „gute Stube“ genannt, einrichten konnten, die ihr Geld in Putz und Staat, noblen Kutschen und einem „Fräulein für die Kinder“ anlegten, denen aber Valentin nie den Titel von Gentleman beigelegt hätte!

Da gab es Karikaturen, die den Spötter Florian unwiderstehlich zu witzigen Bemerkungen anreizten, und als er gar durch den rechten Mundwinkel fragte: „Du, Balder, wenn du dir hier eine Herzenskönigin wählen müsstest, wäre es da drüben die Dicke mit der verschwollenen Schnute? Ich nehme den Spinnkanker in dem salatgrünen Fragment von einem Röckchen.“

Da lachte selbst Balder und wiederholte: „Fragment?“

„Na ja, ist es nicht die Frage, ob ‚so was Kurzes‘ noch als Rock gelten kann? Und ist es nicht fraglich, ob solch ein Rock im Wirbel des Tanzes und der Mode nicht binnen kurzem so hoch hinaufgerückt ist, dass er nur noch einen sparsamen Hüftgürtel repräsentiert?“

— Es war gut, dass die schöne blaue Donau, für die die ältere Generation noch schwärmte, viel Ansprüche an die Flöte stellte, so konnte sich Balder von dem Schreck erholen, dass Florian ihm die Dicke mit der verschwollenen Schnute zur Eheliebsten ausgesucht hatte. Aber der wunderliche Gedanke: wenn du dir eine aussuchen könntest, war bei ihm angeregt, und er nahm so lebhafte Gestalt an, dass momentan aller Weltschmerz vor ihm dahinschwand.

Welch eine?

Die kleine Oberförsterstochter, mit dem fast weissblonden, dänischen Haar, ist sehr niedlich!

Behende und schlank, ruhelos hin und her huschend, mit klugen, ungeduldigen Augen und dem leicht schmollenden Mündchen, könnte wohl manch jungen Gesellen fesseln.

Sie nimmt auch ersichtlich viel Notiz von ihm.

So oft sie vorübertanzt, sieht sie ihn an und lacht.

Er weiss nicht genau, ob dieses schelmische kleine „Anlächeln“ ihm gilt, denn sie schwatzt meist mit ihren Tänzern, und diese lachen auch, — aber ein paarmal drehte sie doch das Köpfchen und schaute nach ihm zurück — und das galt ihm allein. Sie kam auch schon einmal an den Tisch heran und fragte: „Haben Sie noch etwas zu trinken in der Kanne?“ Und dabei sah sie wiederum nur ihn allein an.

Als kurz darauf die Tochter des Hauses ebenfalls der armen Musikanten gedachte und einen Teller voll Geburtstagstorte brachte, bot sie ihm auch zuerst an, aber wohl nur darum, weil er ihr zunächst sass.

Den beiden andern offerierte sie ebenso liebenswürdig, ja, sie lächelte sogar, als Heinrich mit der Versicherung dankte, er sei gar kein Freund von Süssigkeiten, und fragte, ob er wohl Obst oder ein belegtes Brot vorziehe? Und dann wandte sie sich wieder an alle drei und hatte so viel Gutes und Teilnehmendes in den Augen, als sie sagte: „Wir nehmen Ihre so hübsche Musik ungebührlich lang in Anspruch? — Wenn die jungen Leute hier ins Tanzen geraten, dann hält es schwer, das Finale zu blasen!“

„Wir freuen uns ja, in so bescheidener Weise Ihren Geburtstag verherrlichen zu helfen, gnädiges Fräulein!“ hatte er, Balder, darauf erwidert, nur aus Höflichkeit, um doch etwas zu antworten.

„Sie haben eine weite Fusswanderung hinter sich?“ fuhr sie fort, „und sind gewiss sehr müde?“

Es lag etwas Forschendes in ihrer weichen, melodischen Altstimme, und Balder fühlte, dass ihm das Blut in die Wangen schoss.

„Wir haben keine Parforcetour gemacht, gnädiges Fräulein, sondern erquickten Herz und Seele in der köstlichen Natur.“

„Unsre Gegend ist so flach; gar nicht reizvoll!“ antwortete sie abermals, obwohl sie es doch nicht nötig gehabt hätte, ein paar Gesellen von der Landstrasse draussen auch noch mit freundlichen Worten, neben all den guten Bissen einer Herrschaftstafel, zu bewirten! Aber es sollte wohl kein „Arme-Leute-Abspeisen“ sein, sie war zu gebildet und hatte zu viel Herzenstakt, um dem Ärmsten seine Armut entgelten zu lassen.

Bisher, als man nur in Dorfschenken und Bauernhöfen gespielt hatte, kam ihm diese Künstlerfahrt wohl als Mittel zum Zweck unsympathisch, aber nicht demütigend vor, heute, in diesem Augenblick zum erstenmal, bereute er es, auf Heinrichs Vorschlag eingegangen zu sein!

Sie bat noch, dass sie morgens recht lang ausschlafen möchten, dann hatte sie ihrer barmherzigen Pflicht als Dame des Hauses genügt und kehrte zu den Tanzenden zurück.

Aber sein Blick folgte ihr.

Er kehrte immer, immer wieder zu ihr zurück.

„Wenn du dir hier eine Eheliebste aussuchen könntest ...!“

Wie kommt Florian auf einen so wahnsinnigen Gedanken?

Am seine Witze machen zu können! Wenn man selber kaum noch etwas Besseres ist, als ein Wegelagerer, der sowohl auf seinem Lebenswege eine Panne gehabt hat, als auch jetzt am Strassenrain seine Lieder geigt, damit die Barmherzigkeit die Almosen in den offenen Hut wirft, dann hat man nichts mehr zu wählen, höchstens wenn’s mal ganz schief gehen sollte, Pulver und Blei oder den Strick. Was am billigsten ist.

Ein Sprung von diesem Dache macht mich frei! — Als er noch vor gar nicht so langen Jahren in der Schillerstunde diesen Vers als Zitat in sein Büchlein ausgezogen hatte, da schaute er die Worte an, als sprächen sie Chinesisch zu ihm.

Damals lag die ganze Welt noch weit offen vor seinem glücksdurstigen Blick, und der Himmel hing voller Bassgeigen!

Wie grausig schnell ist die Sonne, die ihm damals im Gemüt stand, untergegangen!

Für immer untergegangen?

Heinrich hat ihm vorhin noch so viele, gute, tröstliche Worte gesagt.

Dass er glauben könnte!

Wie gerne tät er’s.

Sein ganzes Ich, Leib, Geist und Seele schreien aus tiefster Not und Finsternis heraus nach Licht!

Sind die glänzenden Schwingen, mit denen er ehemals in hohem Flug die leuchtendsten Phantastereien aller Gestirne der Zukunft erreicht, endgültig zerbrochen?

Er blickt auf seine Geige nieder. Seine Lippen zucken.

Heinrich sagt, sie töne in Zukunftsmusik. Sie berge alle Schätze der Welt, die materiellen und geistigen, in sich.

Ein grausamer Eingriff des Schicksals, eine rauhe Hand, die schroff in die Saiten packt — wird sie zerreissen mit schrillem Jammerschrei.

Was bleibt dann noch von Sang und Klang zurück?

Da schwebt es lieblich und zart an ihm vorüber, dass er wähnt, der Duft welkender Rosen wehe zu ihm hin, die Spitzen des weissen Kleides streifen seinen Fuss, und etwas Goldiges blitzt vor seinen Augen.

Ein Armband.

Fräulein von Heimdall.

Der Vater rief sie zuvor: „Nanna!“ Die jungen Damen nennen sie Edelgard.

Wohl ein Doppelnamen.

Er schaut auf, blickt ihr nach.

Wenn er wählen könnte!

Wenn die Saiten zerspringen, so zieht man neue auf! würde Heinrich sowohl wie seine Musiklehrer als etwas ganz Selbstverständliches belehren.

Ein Feigling, der die Flinte von sich in das Korn wirft, weil ihm momentan die Munition ausgegangen ist!

Ja, auf einer Geige, da lässt sich allenfalls solch ein Schaden reparieren, um fernerhin ein Schattenleben weiter fristen zu können, — wenn aber die Saiten auf Herz und Seele springen, — wer flickt die wieder zusammen?

Und seine liebe, selige Mutter hat so oft von ihm gesagt: „Der Junge nimmt alles viel zu schwer für seine Jahre, er ist viel zu zart besaitet!“ —

Florian stösst ihn mit dem Ellenbogen an.

„Sieh mal, wie der Kandidat bei Fräulein Edelgard den Anbeter mimt! Er möchte für sein Leben gern ein paar Blumen von ihr für sein Knopfloch geschenkt bekommen, — wenn’s auch nur ein Knöspchen wäre! Und der grosse, hübsche Forstpraktikant schliesst sich an! — Er behauptete vorhin, sie sei ihm noch den Bruch für den letzten Hasen schuldig ... au! ... den er ihr in die Küche geliefert ...“

„Wie ist es möglich, Kleiner, dass du das alles hören, sehen, beobachten kannst?“

„Weil ich Augen und Ohren spitze und aufpasse!“

„Hat sie denn den Wunsch ihrer Anbeter erfüllt?“

„I wo! Das gerade macht mir ja so diebischen Spass, dass die Kerle so kläglich abblitzen! Namentlich der Kandidat mit der Schultermähne! — Wenn ich Geld hätte, schickte ich dem Jüngling ein paar Lockenwickel!“

Balder lächelte.

Er blickte nach Edelgard hinüber. Just in demselben Moment schaut auch sie nach ihm hin.

Ihr Köpfchen zuckt empor.

Warum?

Hat etwas in seinen Augen gelegen, was sie erstaunte?

Er war doch nicht schadenfroh, als er von den unerfüllten Wünschen der jungen Herren hörte, und doch ... leicht möglich, dass eine gewisse Genugtuung darin aufglühte.

Warum?

Weil ihm keiner der Kerls gut genug für sie deucht?

Wohl möglich.

Sie ist reizend, sie hat etwas Undefinierbares, was ihn anlockt ... näher, immer näher zu ihr hin — und wenn er da ist, lässt’s ihn nicht mehr los.

Das fühlt er.

Wenn er da sein würde! Neben ihr stehen, um einen Tanz bitten, sie im Arm halten.

Vielleicht bät er sie auch um eine Blume.

Ist’s zu grosse Gunst, sie zu geben?

Was ist eine Blume?

Viel. Der verkörperte, zärtliche Gedanke ihres Schöpfers.

Gott ist die Liebe. Blumen sind Boten der Liebe.

In diesem Sinne ist es viel, unendlich viel, wenn ein junges Weib mit zarter Hand solch ein „Dein-Gedenken“ reicht. Freiwillig, — tatsächlich wie den Gedanken eines barmherzigen Liebesgottes.

Könnte — dürfte er wählen!

Wie kam Florian nur auf diese rasende Idee?

Wer würde es sein?

Es ist eine Blütenlese von hübschen, kleinen Mädelchen hier im Zimmer, alle in ihrer Art allerliebst, frisch, rosig, lustig, zart und derbbacken, wie man’s haben will, aber nur eine ist darunter, die den Namen Edelgard verdient, nur eine, die gemeint sein könnte, wenn der unglückliche Fischer aus der Normandie von ihr singt, ehe er ihr in das kühle Wellengrab folgt:

Nanna s’appelle

elle est si belle

je l’aime tant! —

Auch diese Nanna könnte man bis zum Sterben und Verderben lieben, wie es die obige Ballade lehrt.

Gut, dass weder Heinrich noch Florian seine Gedanken hören.

„Junge, du passt mit deinem sensiblen Wesen und deinem schwärmerischen Idealismus kaum noch in die moderne Welt hinein!“ hat ihm Heinrich noch unlängst gesagt, als er so unpraktisch, so übertrieben zartfühlend über mein und dein entscheiden wollte!

Andre junge Männer haben Zahlen, viele Zahlen, ganze Rechenmaschinen, Masse und Gewichte im Kopf und machen ihr Glück damit, und du hast nur ein Herz in der Brust und die Sehnsucht nach dem Licht, darum schlagen die Schatten immer dunkler über dir zusammen.

Heinrich hebt die Hand, dass der Tanz zu Ende ist und die Musik abbricht.

Balder lässt Geige und Bogen sinken.

Ein junger Mann von einem Nachbarshof, halb herrisch, halb bäuerisch, mit aufgedunsenem, rotem Gesicht, die Hände dick voll breiter Goldringe gesteckt, mit schwerer Uhrkette über dem Magen und einem protzigen Benehmen, das bedenklich an den berüchtigten Dorfprinzen altväterischer Zeit erinnert, hat gerade — endlich! — das gnädige Fräulein Geburtstagskind zu einem Tanz vergewaltigt, als die Musik abbricht.

Das ärgert ihn.

Mit lässigem Griff fasst er in die Westentasche, greift einen Geldschein und wirft ihn voll gebieterischer Herablassung vor Balder auf den Tisch.

„Weiter mit der Musik!“ kommandiert er; „noch ein paar Stunden aufgespielt, ihr Kerle!“

Florian lacht schallend auf, Heinrich hebt ruhig und würdevoll den Kopf, aber Balder zuckt empor wie von einem Schlage getroffen, schleudert den Geldschein zurück und starrt den Bauer mit blitzenden Augen an. Glühheiss steigt ihm das Blut in Stirn und Schläfen.

Ein leiser Schrei des Schrecks und der Entrüstung.

Edelgard steht mit schnellem Schritt neben dem jungen Musiker und wendet sich gegen ihren Tänzer.

„Nehmen Sie die Mark zurück, Herr Solk! Die jungen Herren hier spielen nicht für Geld!“

„So—o—oh? Das ist ja komisch!“ wunderte sich der Landwirtssohn ohne jegliche Erregung, „dann sind sie wohl weisse Raben unter den modernen Erwerblern? — Na, dann entschuldigen Sie, Herr Musikus, es war Ihnen gegönnt!“

Florian lachte noch belustigter wie zuvor, Heinrich lächelte auch und reichte mit undefinierbarer Geste den Markschein zurück, — Balder nur stand noch immer mit bebenden Lippen neben Edelgard, und sein Blick traf kurz den ihren, wie der eines todwunden Mannes.

Da griff Fräulein von Heimdall schnell hinter sich, in den Korb voll Blumen, der auf dem breiten Fenstersims stand, nahm hastig eine Rose heraus — es deuchte ihr, dieselbe purpurglühende, die ihr noch aus allem Blätterdunkel so wundersam entgegengeleuchtet, und reichte sie dem jungen Spielmann.

„Herr Solk hatte den ganzen Tanz über vergeblich auf eine Extratour mit mir gewartet, darum verzeihen Sie seinem Übereifer! Darf ich Ihnen, als einem modernen Nanki-Pook, poetischeren Lohn bieten für die so frohen Stunden, die Sie uns heute bereitet?“

Balder nahm die Rose.

Seine Hand bebte.

Was er gesagt hat, wie er dem blonden Mädchen in die Augen geschaut, er weiss es nicht mehr, er weiss nur, dass er sich geneigt hat, um ihre Hand an die Lippen zu drücken.

Und dann sah er noch, dass sie wohl ebenso rot und verwirrt dreinschaute wie er.

Mit jähem Ruck richtete er sich empor. Sein Auge flammte.

Er griff zu Geige und Bogen.

Ein Wink nach seinen Freunden.

Sie spielten weiter. — —

Niemand hatte den kleinen Vorfall bemerkt, ausser der Doppelgängerin Nanna Mainau, die mit ihrem Partner neben ihnen, beim Aufhören der Musik, haltgemacht hatte.

Ebenso der alte Valentin, der just kam, um die Bowle nachzufüllen. Er stand still und hörte der seltsamen Szene zu, die sich so blitzschnell vor ihm abspielte.

Langsam und nachdenklich nickte er vor sich hin.

Diese Art kannte er. Die hatte er gern. Die drei Musikanten waren keine gewöhnlichen, und der Geiger, dem hatte er’s doch auf dem ersten Blick angesehen und es der Gnädigen gesagt, — hm ... Gentleman!

Es war Erntezeit.

Allzulange feiert man während derselben nicht auf dem Lande, wenn man sich auch noch so herrlich amüsiert.

Das offene Kutschwägelchen von dem Oberförster war als erstes vorgefahren, und der greise Nimrod holte sein Töchterchen selber heim.

Eine hohe Reckengestalt mit weissem Haar, aber von imponierender Rüstigkeit, mit biederem Wesen.

Nanna hatte mit ihm geflüstert, sehr eindringlich, bis ein wohlwollendes: „Na zum Kuckuck, dann tu’s, Mädel!“ aus dem wallenden Barte zu ihr niederklang.

Und wie aus der Pistole geschossen, sauste das Waldkind an den Musikantentisch heran und wandte sich an Balder.

„Papa hat eben erlaubt, dass ich Sie bitten darf, morgen bei uns einzukehren und uns aufzuspielen! Nicht wahr, Sie kommen? Ich möchte so gern all meine Freunde und Freundinnen noch einmal zum Tanze laden! Wir haben uns heute so himmlisch amüsiert!“

Wie die Kleine kokettieren kann! Mit welchem Ausdruck in den Schelmenaugen sie zu Balder aufsieht ... und dann reissum auch zu seinen Kameraden, als gälte es, eine Schlacht auf Amors Kampffeld siegreich zu gewinnen.

„Unmöglich, geehrtes Fräulein, ganz unmöglich!“ versicherte der junge Bragi, beinah verlegen über solch ein Ansinnen, und Heinrich verbeugt sich sehr höflich und sagt ebenfalls sehr hastig, halb lachend, halb ernsthaft: „Ich bedauere sehr, aber es ist tatsächlich unmöglich!“

„Warum denn?“

„Wir müssen weiter!“

„Es ist doch ganz egal, wo Sie hinziehen!“ bettelt sie sehr allerliebst und sieht Balder immer inniger an.

„Doch nicht!“

„Pastors Andreas bleibt ja nur noch zwei Tage, und er tanzt auch so gern!“

„So tut es mir doppelt leid!“

Mir nicht! denkt Balder, und die Rose glüht in seiner Hand.

Pastors Andreas und der lange Forstpraktikant hatten ihn geärgert. — Er wusste anfänglich selber nicht warum. Jetzt lacht er, ein wunderliches, alle Nerven aufrüttelndes Lachen.

Mögen die Herren jetzt so viele Blumen, als da in ganz Idesfelde wachsen, bei ihr erpressen, — ihn rührte es nicht mehr. Er blickt auf seine Rose, er lächelt. Fräulein Nanna Nummer 2 gibt schliesslich das Rennen auf.

Sie hat es erst noch mit Schmollen versucht, es nutzt nichts.

Die Herren Musikanten haben sich ein andres Reiseziel gesetzt, und davon beisst keine Maus mehr einen Faden ab.

Die Mamsell, die nebst den jungen Mädchen, die als Stützen den Haushalt in Idesfelde erlernen sollten, ebenfalls zu dem Abendtanz hinzugezogen worden waren, wurde von Edelgard beiseite genommen.

Sie empfing anscheinend dringliche Befehle.

Nach kurzer Zeit sagte man sich gute Nacht. Der Geheime Kommerzienrat von Heimdall hatte auch mit seiner Tochter den Vorfall mit dem so peinliche Erregung auslösenden Markschein Solks besprochen.

„Man kann die jungen Leute doch nicht die halbe Nacht für ein Feldbett und ein paar Bratkartoffeln nebst Zubehör spielen lassen!“ sagte er.

„Du bist ja Kunstmäzen, Papachen!“ flüsterte Edelgard, „und deine vornehme Art ist bekannt! Hast du nicht etliche von deinen obligaten ‚Trostpillen‘ zur Hand, mit denen du die nicht allzu erfolgreichen Anfänger auszeichnest, um sie als Honorar gelten zu lassen?“

Heimdall lachte. „So generös, kleines Geburtstagskind?“

„Es brauchen ja keine Brillanten zu sein! — Und du beobachtetest doch auch, Papa, dass dieses Waldeskleeblatt keine gewöhnlichen Dorfmusikanten sind!“

„Wie du willst, Liebling, es wäre mir selber unangenehm, schon um meines Namens willen, wenn ich unbelohnte Arbeit von ein paar armen Wanderburschen annehmen sollte.“

Da war Edelgard zufrieden.

Sie nickte den jungen Spielleuten von weitem noch ein freundliches „Gute Nacht“ zu und hoffte, dass sie sich nicht allzusehr ermüdet hätten.

Dabei vermied sie es, Balder anzusehen.

Der Gutsherr setzte sich noch einen Augenblick an den kleinen Tisch und schenkte persönlich noch einmal die Gläser voll, was die jungen Leute anscheinend in dankbarster Weise angenehm empfanden, und dann erzählte er ihnen, dass ihm von Apoll hier auf Erden das Ehrenamt übertragen sei, die künstlerischen Leistungen anzuerkennen, wie und wo er sie anträfe. Über Orden verfüge er nicht, anstatt ihrer aber über ein paar Schlipsnadeln, die die Insignien der Musik trügen.

Dadurch löste er eine Freude aus, die bei ihm selber den lebhaftesten Widerhall fand.

Dann kamen der Inspektor und die Mamsell und wollten den so sehr hübsch spielenden jungen Leuten ihr Nachtquartier anweisen.

„Gnädiges Fräulein hat mir aufgetragen, so gut wie nur irgend möglich für Sie zu sorgen,“ sagte sie behäbig, „da denke ich, Sie werden zufrieden sein. Es sind unsre Manöverzimmer, für bessere Einquartierung. Wir haben jetzt das Haus und alle weiteren Gebäude reichlich besetzt, morgen kommen noch acht Personen Logierbesuch! Sollten heute schon da sein! Aber wissen Sie, da war doch wegen des Eisenbahnunglücks die ganze Strecke auf drei Tage gesperrt, da konnten sie nicht eher weiter.“

Der Osten färbte sich bereits rötlich — und so hasteten auch das Fräulein Mamsell und der Inspektor nach ihren Zimmern, noch ein Stündchen der Ruhe zu pflegen.

Es war hell geworden, die Sonne stand schon hoch über dem Horizont. Auf dem Hofe herrschte reges Leben, in Scharen zogen die Leute hinaus zum Feld.

Dann trat wieder kurze Ruhe ein. Unter den Linden klingen leise Schritte.

Traumhaft zittern weiche Klänge durch die Morgenstille.

Pistonsolo, anschwellend zu edler Kraft:

„Frühmorgens, eh’ die Hähne krähn —

Eh’ noch der Wachtel Ruf erschallt ...“

Dann Stille.

Und abermals ein melodischer Morgengruss. Die Flöte setzt ein.

Serenade.

Edelgard richtet sich jäh in den Kissen empor.

Die Musikanten.

Gilt dieses Ständchen ihr?

Sicherlich. Sie liessen sich unter ihre Fenster führen.

Regungslos lauscht sie.

Dies ist keine Dorfmusik. So spielt kein Laie.

Sie wartet auf die Geige.

Da klingt und singt sie voll tiefer, bebender Wehmut zu ihr empor.

Letzte Rose. —

Noch einmal sein Dank für ihre vermittelnde Spende.

Sie schliesst die Augen und sieht doch zwei Punkte, wundersame Augen, die auf sie gerichtet sind: „Du sollst mir ruhn am Herzen — und dann mit mir im Grab.“

Lauten die Worte nicht also?

Sie kennt sie kaum, es ist ja ein so altes Lied.

Ja, ein altes Lied. Solch eines, von dem Heine seufzt: „Doch bleibt es immer neu, und wem es just passieret, dem bricht das Herz entzwei.“

Drunten verklingt aushallend wie der Seufzer solch eines brechenden Herzens die Geige.

Lichtfalter

Подняться наверх