Читать книгу Ungleich - Band II - Nataly von Eschstruth - Страница 4
XX.
ОглавлениеGraf Cyprian hatte die Ankunft seiner Equipage nicht abgewartet; in den eleganten Pelz gewickelt, stürmte er zu Fuss durch die frisch verschneiten Strassen seiner Wohnung entgegen.
Monsieur Moulin mochte seinen Gebieter nicht vor Mitternacht erwartet haben, er war abwesend, und der Rittmeister trat in sein Rauchzimmer, das nur durch das Flackerlicht der gegenüber brennenden Strassenlaterne erleuchtet war.
Just dieses Zwielicht war ihm sympathisch. Er legte den Mantel auf den nächsten Sessel nieder und warf sich auf den Divan. Sein Kopf glühte, ein wunderliches, nie gekanntes Feuer brannte in all seinen Adern.
Er drückte das Gesicht wie ein verliebter Gymnasiast in die Polster und lachte konvulsivisch auf: „Juvivallera! Altes, verrücktes Haus, was hast du getan!!“ — —
Im Ofen sauste der Wind, Eiskörner prasselten gegen die Scheiben, aber vor den weit offenen Augen des jung gewordenen Träumers gaukelten wonnesame Bilder von Maienlust und Liebe.
Ein Kuss! —
Cyprian hat doch schon so viel, so unzählig oft im Leben geküsst und es dennoch heute erst empfunden, welch ein himmelweiter Unterschied doch in solchen Küssen liegen kann! — Ja, so viel, als der Himmel höher ist als die Erde!! —
Wie ist es möglich, das Weiberlippen so ungleich sind! — Er lernte sie kennen im zärtlich ernsten, weihevollen Kuss der Mutter, in der kühlen, stets gemessenen Zuneigung seiner Gemahlin, in dem glühenden, sinnlich wilden und verzehrenden Begehren der Leidenschaft all jener küssenden Truggestalten, welche sein Leben durchkreuzten wie Irrlichtflammen! — Ungleich — wie ungleich! Nun sind sie alle vergessen um jener weichen, unschuldsvollen Lieblichkeit eines Mädchenmundes willen, welcher so keusch und rein vor dem seinen zurückschrak, welchen stolz blitzende Augen hüten, wie ein weihevolles Heiligtum! Und doch, wie warm, wie lebensfrisch und innig küssten sich diese Lippen!
Wie ein Gefühl frommer Andacht hat es das Herz des übermütigen Mannes durchzittert, es ist ihm zumute, als sei er plötzlich aus schwülem, staubigem Strassenlärm in eine Kirche getreten, auf deren Altar die makellosen Lilien der Unschuld glänzen! — Ihm ist so wunderlich, so unerklärlich! Er hat einen Blick in das Zauberland des Glückes getan, nun zieht es ihn mit unlöslichen Banden zu ihm hin.
Eine unbeschreibliche Sehnsucht glüht ihm im Herzen. Eine Sehnsucht nach den Paradieseswonnen reiner, schuldloser Liebe.
Ist er noch berechtigt, eine solche von dem Schicksal zu fordern? Kann und darf er, der Mann, welcher an der Sonnenwende des Lebens steht, noch die Arme nach dem jungen Frühling ausstrecken, seine ersten Rosen in den Johannistrieb des alternden Herzens zu flechten? —
Ungleich! — Mignon, das erblühende Knöspchen, er der Baum im Herbstesschmuck, durch dessen Gezweig schon so mancher Sturm gesaust — ungleich! — sie sind viel zu ungleich! — und dennoch .... heisst es nicht: „Ungleich aber kann mit Ungleich nur in Liebe sich verbinden?“ —
Ja, auch die schroffsten Gegensätze können sich harmonisch verbinden, wenn die Zauberin Liebe ihre goldene Brücke über den Abgrund schlägt!
Liebt ihn Mignon? — Ja, er glaubt es, er will es glauben, und liebt sie ihn noch nicht, nun, so wird sie ihn lieben lernen!
Es hat ihm noch kein Weiberherz widerstanden, und die rote Rose auf Mignons Schreibtisch redet eine gar deutliche Sprache!
Der Rittmeister erhebt sich und tastet nach dem Licht, es zu entzünden.
Ein kurzer Fingerdruck und die elektrischen Lampen blitzen auf.
Noch einmal presst Juvivallera die Hände gegen die hämmernden Schläfen.
Soll er? — soll er wahrlich? ..... Er muss es! Er hat mit dem Feuer gespielt, nun hat es ihn gepackt mit lodernder Glut. Er hat in übermütigem Scherz geküsst, aber der Kuss ist heiliger, glückseliger Ernst für ihn geworden.
Cyprian setzt sich nieder und schreibt in stürmischer Hast einen Brief an Mignons Eltern, in welchem er um die Hand der Tochter anhält. —
Sie werden ein ungleiches Paar abgeben. Frau Fama wird die Lärmtrompete an die Lippen setzen und die Klatschbasen werden die Hände ringen: Der Unterschied ist zu gross. Die beiden stehen einander so fern wie Himmel und Erde!
Der Rittmeister lehnt lächelnd das Haupt zurück: „Torheit! Habt ihr den leuchtenden Regenbogen vergessen, der selbst Himmel und Erde verbindet? Liebe, heisst er, Liebe!“
Welch eine fieberische, qualvolle Aufregung! Warum lässt man ihn so unbeschreiblich lange auf Antwort warten?
Wie der Löwe im Käfig durchmisst der Graf ruhelos seine Gemächer.
Jeder Laut auf dem Flur, jeder Ton der Klingel regt ihn auf, kein Tag in seinem Leben deuchte ihm noch so lang wie dieser.
Endlich, endlich! Schon spät am Abend tritt Monsieur Moulin mit einem Brief in das Zimmer. Seine schwarzen Augen bohren sich mit lauerndem Blick in das erhitzte Antlitz des Gebieters. Dass dieser Brief wichtige Nachricht bringt, ahnt er; da er aber nicht aus dem Sophienhof kommt, hält er die Angelegenheit für belanglos. Er entfernt sich langsam, und sein Schritt verklingt allsogleich hinter der Tür.
Auf Cyprians Stirn perlen Schweisstropfen, als er den eleganten Briefumschlag erbricht. Er hätte es selber nie für möglich gehalten, dass er jemals eine derartige Aufregung empfinden könne.
Er liest. Zuerst flimmerts vor seinen Augen. Plötzlich sieht er klar und scharf, sieht das Unfassliche, Unmögliche, Ungeahnte — er, Graf Cyprian Lankwitz, hat einen Korb erhalten. Langsam, mechanisch lässt er sich in den Sessel niedersinken und starrt auf die graziösen, verschnörkelten Schriftzüge, mit denen ihm Florence ganz trostlos und alteriert mitteilt, dass bei ihrem albernen, eigensinnigen kleinen Gänschen leider Gottes kein zusagendes „Ja“ zu holen sei; weder Vorstellungen, noch Bitten und Auseinandersetzungen hätten sie von ihrem starren Entschluss abbringen können.
Ein Grund für Mignons Weigerung war nicht angegeben, nur am Schluss bemerkte die Baronin, dass es doch auch für ihn, den Grafen, sehr zu überlegen sei, eine derart ungleiche Wahl zu treffen, da doch ein altes Sprichwort mit Recht sage: „Gleiches Gut, gleiches Blut, und gleiche Jahre gibt die besten Ehepaare.“
Cyprian hat sekundenlang die Empfindung gehabt, wie ein Mann, dessen Lebensschifflein am Felsen zersplittert. Ihm ists, als schlügen die Wogen vernichtend über ihm zusammen. Aber nur einen kurzen Augenblick, dann springt er empor und wirft tief atmend das Haupt in den Nacken zurück. Nun ist ihm Mignon noch tausendmal lieber wie zuvor, und wenn er sich zuvor nur in zärtlicher Aufwallung ihren Besitz wünschte, jetzt verlangt er ihn mit der ungestümen, leidenschaftlichen Erregung seines ganzen Herzens!
Beginnt das Haar auf seinem Haupt wahrlich schon zu ergrauen? Dann ists Lug und Trug! Durch seine Adern glüht das Feuerblut kraftvollster Mannheit, in seinen Augen blitzt die siegesfrohe Kampflust unentmutigter Jugend!
Ein wenig Wehren — spornt das Begehren!
Das gerade ist es, was ihm bisher fehlte, ihn anzureizen zum lustigen, kecken wagen und gewinnen!
Er schellt ungestüm nach Moulin und befiehlt Mantel und Hut. Selbst will er sich die Antwort holen, warum klein Mignon ihn verschmäht. Er ist nicht beleidigt, nicht zornig und racherfüllt, nein, er pfeift mit lachendem Angesicht:
„Wenn ein Mädchen mir gefällt,
Hilft kein Widerstreben!
Hat mein Herz sie auserwählt,
Muss sie sich ergeben!“
Und dieweil er hastig durch den feuchtwarmen Tauwind schreitet, hat er sogar noch Interesse dafür, wie plötzlich das Wetter umgeschlagen ist. Ists zu verwundern? Lag nicht in seinem Herzen vor kurzer Zeit auch noch Eis und Schnee, und glüht jetzt nicht der Liebe Sonnenschein so heiss darin, dass er am liebsten über Nacht die Myrten aus der Knospe küssen möchte?
Ungleich! Alles ist ungleich, wohin man sieht, alles berührt sich in schroffem Wechsel und dennoch ists stets zu Heil und Segen, wenn die Sonne und die Liebe solches Überganges Vermittler sind. — Wunderliche Liebe! Kapriziöseste aller Göttinnen, wie spielst du Fangball mit den Menschenherzen! Wo gestern noch voll kühler Berechnung und Weltklugheit ein Fürstenkrönlein und die Hand einer Prinzessin das Ziel der Wünsche war, da hebst du heute das Bild eines spröden Backfischchens auf den Herzensaltar, damit es durch einen einzigen Kuss alle anderen Götzen stürze.
Cyprian läutet Sturm in Villa Ohly.
Frau Baronin hat zwar keinerlei Visiten mehr empfangen wollen, aber die „äusserst dringlich“ Angelegenheit des Grafen nötigte den Lakaien, den späten Besuch doch noch zu melden.
Und die Türen öffnen sich.
Frau Florence in einem hocheleganten Hausrock von zimmetfarbener Seide mit japanischer Goldstickerei, erhebt sich aus dem Sessel am Kamin, wirft ein Buch beiseite und schreitet dem Rittmeister mit ausgestreckten Händen entgegen.
„Pauvre diable!“ lacht sie in ihrer leichten Art. „Kommen Sie, um auf den Ruinen von Karthago mit mir zu weinen?“
Er küsst abwechselnd ihre Hände. „Gott behüte!“ scherzt er, „noch ist das Karthago meiner Hoffnung durchaus nicht zerstört! im Gegenteil, der Feldherr rückt im Sturme vor, das feindliche Terrain ohne die mindesten Verluste zu nehmen!“
„O Sie gläubige Konfirmandenseele!“
„Dieser schmerzliche Seufzer, welcher meinen Erfolg bezweifelt, versichert mir, dass die Schwiegermama bereits erobert ist!“
Sie blinzelt ihn voll Humor an. „Wenn die Schwiegermama aber die einzige Kriegsbeute bleibt, ist der Sieger in doppeltem Sinne ein geschlagener Mann!!“
Cyprian zuckt neckend die Achseln. „Warum diese schrecklichste der Möglichkeiten annehmen! Ich betonte „ohne Verlust“ das feindliche Terrain nehmen zu wollen und das sehen Sie doch selber ein, süsse Schwiegermama, dass ich für Sie auf jedem Sklavenmarkt noch zwanzig Pfennige Schmerzensgeld dem Käufer aufzahlen müsste! Solche Ausgaben gestatten mir jedoch meine Verhältnisse nicht!“
Sie schlug amüsiert die Hände zusammen. „Dies ist der Übergang zu der pekuniären Generalbeichte!!“
Sie neigte sich und flüsterte mit Grabesstimme: „Haben Sie Schulden?!“
Er nickte voll düsterer Mimik und rang dazu die Hände.
„Unglückseliger — wie viel?!“
Er brach wahrhaft zusammen unter der Wucht der Summe, welche er zu gestehen hatte.
„Fünf Mark und fünfundzwanzig Pfennige für Kölnisch Wasser bei meinem Friseur!“ murmelte er dumpf.
„Verschwender!“ Mit zerschmetterndem Blick griff die Baronin in die Tasche und zog das Portemonnaie. „Voilà, fünf Mark fünfundzwanzig! — So; — löschen Sie Ihre Kreide und treten sie alsdann mit ungebeugtem Nacken vor meinen Mann. Wenn Sie auch ihn erobern und geben ihn als „Markknochen“ auf dem Sklavenmarkt mir zu, erlässt der Händler die zwanzig Pfennige!“
Sie erhob sich und wollte nach der Schelle greifen, Cyprian aber fasste hastig ihre Hand und zog sie abermals an die Lippen.
„O Sie Engel —“
„Lügen Sie doch nicht so!“
„Es gibt ja auch böse Engel!!“
„Ah richtig! — pardon — Nun? was wünschen Sie?“
„Lassen Sie mich vorerst noch nicht bei Ihrem Herrn Gemahl melden, es macht sich besser, wenn Mignon und ich uns vereint seinen Segen holen!“
„Sie wollen meiner Kleinen noch einmal persönlich die Kriegserklärung Ihrer Liebe machen?!!“
„Ich möchte versuchen, ihren schlechten Geschmack, welcher nicht auf mich anbeissen will, etwas zu korrigieren!“
Florence zuckte neckend die Achseln. „Sie fürchtet vielleicht, sich einen Zahn zu verletzen, denn das „Alter“ goutiert man nur am Wein!!“
„Ich bin süss, hohe Gönnerin! — Ich gehöre zur Spezies der Liebesäpfel, welche die Zeit — — weich macht! —“
„Das ist etwas anderes; eh bien, ich werde dem Verhängnis seinen Lauf lassen.“ Sie rührte die kleine silberne Schelle. „Baronesse Mignon soll hierher kommen, Lotz, aber melden Sie nicht, dass Besuch anwesend ist!“ — — —
Die Tür öffnete sich, Mignon trat hastig ein. Sie trug ein schlichtes blaues Tuchkleid, welches durch ein weissgesticktes Schürzchen mehr geschmückt wie verdeckt wurde.
Ihr Auge richtete sich nach der Chaiselongue, und da diese zu ihrer Überraschung leer war, wandte sie sich mit forschendem Umblick nach dem Salon.
Die Lampen waren durch rote Seidenschleier tief verhängt, aus ihrem magischen Licht tauchte das schöne Antlitz Cyprians, welches sich ihr mit beinahe humorvollem Lächeln zuwandte.
Das junge Mädchen schien leicht zusammen zu schrecken, dann hob sich das blonde Köpfchen noch unnahbarer auf dem Nacken und das liebliche Madonnengesicht sah so stolz und abweisend aus, wie es Lankwitz nie für möglich gehalten.
„Guten Abend, mein gnädigstes Fräulein!“
Dieser lustige Ton klang beinahe wie Ironie, heisse Glut flammte in ihre Wangen empor.
Sie neigte knapp den Kopf und fasste schnell den Türgriff, um sich zu entfernen.
„Einen Augenblick, Fräulein Mignon!“
Schneller noch wie sie, stand er neben ihr und hielt ihre Hand an der Tür fest. „Sie schulden mir eine Antwort, welche ich berechtigt bin, von Ihnen zu fordern!“
Sie befreite mit sehr energischer Bewegung ihre Fingerchen.
„Eine Antwort?“ fragte sie mit aufsprühendem Blick. „Hat meine Mutter sie Ihnen noch nicht übermittelt?“
Er rollte einen Sessel näher. „Setzen wir uns dazu, die Debatte scheint langwierig zu werden!“ lächelte er.
Sie blieb regungslos stehen; ihr ganzes Gesichtchen drückte lebhafteste Opposition aus.
„Eine Antwort ist schnell gegeben, ich bin eilig.“
„Um so besser! Sagen Sie mir recht schnell, dass der Brief Ihrer Frau Mama ein grosser Irrtum gewesen und dass Sie mich ebenso kolossal lieb haben, wie ich Sie, Mignon!“
Er trat ihr mit herzlich ausgestreckten Händen entgegen, gleichviel, ob sie zornig vor ihm zurückwich.
„Hat mich Mama hierher rufen lassen, um mich abermals Ihren Beleidigungen auszusetzen, Graf Lankwitz? Ich verbitte mir Ihre Scherze, welche Sie sich keinem Schulmädchen, viel weniger mir gegenüber erlauben dürfen!“
„Scherze?“ Er zog leicht die Brauen zusammen. „Ich stehe in vollstem und feierlichstem Ernste vor Ihnen und wünsche Ihnen das auf eklatanteste Art zu beweisen!“
Sie zuckte die Achseln. „Um so schlimmer, wenn Sie eine Dame im Ernst derart kompromittieren können. Da Sie den Brief meiner Mutter erwähnen, weiss ich, dass Ihnen meine Antwort zugekommen und halte weitere Auseinandersetzungen für unnötig!“
Abermals wandte sie sich nach der Türe, aber sie hielt schier unbewusst inne, als die Stimme Cyprians kurz und beinahe befehlend ihren Namen rief.
Er trat neben sie. Das Lachen aus seinem Antlitz war verschwunden, sein Auge blitzte drohend zu ihr nieder, so wunderbar verändert, dass Mignon betroffen zu ihm aufstarrte.
„Die Antwort, welche ich verlange, haben Sie mir noch nicht gegeben. Wenn ein Mann um die Hand eines Mädchens anhält, wenn er ihr sein ganzes Herz, sein Wesen und Sein in vollster, vertrauender Liebe zu eigen gibt, dann ist er wohl berechtigt, auch volles Vertrauen dafür zu verlangen. Einen Heiratsantrag zurückzuweisen ist kein Kinderspiel, und zum mindesten kann jeder Freier verlangen, dass man ihm eine Zurückweisung motiviert! Sie haben meine Hand ausgeschlagen, ohne mir einen triftigen Grund zu sagen: und diesen Grund von Ihnen zu erfahren, stehe ich hier.“
Laut und heftig hatte er gesprochen und Mignon hatte sich während seiner Worte hoch aufgerichtet. Die Erregung trieb ihr das Blut in die Wangen, sie überstürzte sich fast, ihm in leidenschaftlicher Gereiztheit die gewünschte Auskunft zu geben.
„Wenn ein Mann sein ganzes Herz seine vollste, vertrauende Liebe, sein ganzes Wesen und Sein zu eigen gibt!“ rief sie bitter, „ja, dann kann er wohl eine andere Antwort auf sein Werben erwarten! Aber ich denke mir alsdann das Benehmen eines Mannes sehr anders als das Ihre, Graf! Sie verlangen einen Grund für meine Weigerung? Gut, Sie sollen ihn hören! Wenn ich mich einem Mann verlobe“ — sie ward noch röter — „so erwarte ich in erster Linie von ihm, dass er in der gebührenden Form, in ritterlicher Verehrung und mit dem nötigen Respekt um mich wirbt. Ich will nicht meines Mannes Spielzeug, sein Baby und lediglicher Zeitvertreib sein, ich will, dass er mir vor allen Dingen mit Achtung begegnet und nicht mit mir umspringt, wie mit einem törichten Kind, dem man weder Rücksichten noch Devotion schuldet!“
„Dies ist eine Anklage gegen mich? Habe ich Sie vielleicht in nicht gebührender Weise behandelt?“
„Sie? — mich?!“ wie ein Aufschrei der Entrüstung klang es von ihren Lippen: „Nein! ich bin überzeugt, dass Sie einer Dame gegenüber, welche Sie respektieren, niemals derartige Keckheiten geboten haben würden, wie mir! In einer Stimmung, welche an einen Champagnerrausch erinnert, setzen Sie sich zu uns an den Tisch, in Scherzen und Parodien exzellierend, deren Art wahrlich nicht auf eine liebebeseligte, ernste Stimmung schliessen liess! Wenn ein Mann mit lachendem Übermut Verse rezitiert, wie Sie, und dann plötzlich seiner Nachbarin um den Hals fliegt, sie jählings zu küssen, so hat ihn kein tiefer gehendes Gefühl dazu veranlasst, im Gegenteil, er hat in frivolster Weise seinen Spott mit ihr getrieben, weil ... weil ... meine Jugend Ihnen nicht der Achtung wert erschien! Ihr Heiratsantrag sollte lediglich sühnen, was Sie in Weinlaune an dem „Backfischchen“ verschuldet hatten, und das Backfischchen sandte Ihnen darauf die einzige Antwort, welche möglich war. Wir sind also quitt. — So, nun kennen Sie den Grund meiner Weigerung und belästigen mich hoffentlich nicht länger!“
Sie hatte mit wachsender Heftigkeit gesprochen.
Cyprians Blick hing voll Entzücken an dem stolzen Gesichtchen, welches sich ihm so freimütig und jungfräulich herbe zuwandte. Er war bei ihren Worten errötet und hatte sich in jäher Betroffenheit auf die Lippen gebissen, aber dann verklärte mehr und mehr ein strahlendes Lächeln seine Züge und der alte, unverwüstliche Humor eines Juvivallera blitzte wieder aus den eben noch so ernsten Augen.
„Ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit, Fräulein Mignon, und danke Ihnen für das süsse Geständnis, welches Sie mir soeben unbewusst gemacht. Der Mensch kann gegen seine Natur nicht ankämpfen, und die Liebe, welche andere Männer vielleicht sentimal, hochelegisch und pathetisch stimmt, schäumt bei mir, himmelhochjauchzend, gleich dem edelsten Champagner über. Und ich liebe Sie, Mignon, ich liebe Sie von ganzem Herzen! das will ich Ihnen beweisen und zeigen, weil auch Sie mir gut sind!“
Sie hatte das Gesichtchen jäh abgewendet, jetzt schaute sie voll alten Trotzes wieder zu ihm auf. „Ich bin Ihnen nicht gut! Wer wagt das zu sagen?“
Er neigte sich mit so zauberhaft leuchtendem Blick näher, dass sie hastig die Augen niederschlug.
„Sie selber, Mignon!“ sagte er weich. „Der Grund, den Sie für Ihre Weigerung angeben, entspringt Ihrem stolzen Köpfchen, welches noch allzu misstrauisch und revolutionär in den Banden der ‚Alliance chiffon d’enfant‘ liegt! Ihr Herz hat mit dem Körbchen, welches Sie mir schickten, nicht das mindeste zu tun, denn anstatt der langen Geschichte, welche mir Ihr beleidigtes Selbstgefühl erzählte, hätte Ihr Herz Ihnen einfach vorschreiben müssen zu sagen: ‚Ich mag Dich nicht, weil ich Dich nicht liebe!‘ Das haben Sie mir aber nicht gesagt, Mignon, weil Sie nicht lügen können, und weil die rote Rose auf Ihrem Schreibtisch Sie sofort dementiert haben würde!“
Sie schrak so heftig zusammen, dass sich ihre Hand an die seidene Portiere krampfte. „Jene Rose?“ stotterte sie, „was haben Sie mit jener Rose zu schaffen?“
„Ich schenkte sie Ihnen, und zum Andenken an mich bewahrten Sie sie auf, Mignon!“ — Wie nahe er sich zu ihr herabbeugt, wie er ihre Hand heiss umschliesst und an die Lippen presst! Eine jähe Angst erfasst sie. So leicht ergibt sie sich nicht. Mit heftiger Bewegung befreit sie ihre Rechte.
„Zur Erinnerung an Sie? Welch falsche Einbildung!“ ruft sie heftig. „Wer Ihnen dieses Märchen von der Rose auf meinem Schreibtisch erzählt hat, erlaubte sich, Sie zum besten zu haben. Geschenkt haben Sie mir die Blume allerdings, aber aufbewahrt wurde sie von mir zur Erinnerung an den Einzug der Prinzessin Rafaela, welche ich von ganzem Herzen liebe und verehre. Der Prinzessin, nur meiner herzigen Prinzessin, galt die Rose, welche ich jetzt aber vernichten werde, weil sie von Ihnen so falsch gedeutet wird. Können Sie nicht gegen Ihre Natur ankämpfen, gut, so kann ich es auch nicht gegen die meine, und eine Liebe, welche wie Champagner überschäumt und ebenso schnell wieder zerrinnt, die wird mir ewig unverständlich und unsympathisch sein!“ — Ein kurzes, knappes Neigen des Köpfchens, dann war die zürnende kleine Göttin entschwunden, und Juvivallera stand regungslos und schaute ihr nach. Hatte er verspielt? Tatsächlich und für ewige Zeiten? Er wirft mit dem lustigen alten Lachen den Kopf zurück, er ist zum Tollwerden verliebt in das süsse, trotzige, scharfdornige Röslein, welches noch auf den Geschmack von Champagnerschaum kommen soll und wird — coûte qui coûte!
Baronin Ohly steht wieder neben ihm. „Nun, kann mein Mann segnen?“ lacht sie voll gutmütigen Spottes.
Er küsst ihre Hand und lacht mit. „Heute und morgen noch nicht, aber etwas später!“