Читать книгу Vae Victis - Band I - Nataly von Eschstruth - Страница 6

Drittes Kapitel.

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Gräfin Malva stand in ihrem Zimmer und steckte sich das kleine, weiche Pelzbarett auf dem duftig gewellten Haarscheitel fest. Ihre Bewegungen waren beinahe mechanisch, ihr reizvolles, zartes Gesicht sah bleich und übernächtigt aus.

„Nach dem Ball ist es das beste Mittel gegen Katzenjammer, an die frische Luft zu gehen!“ hatte die Gemahlin des Kammerherrn mit halbunterdrücktem Gähnen gesagt. „Ich telephonierte an Vetter Curd, ob er uns zum Schlittschuhlaufen nach dem Neuen See begleiten kann! Mein armer Karl hat natürlich wieder keine Zeit — bei ihm geht Herrendienst ja stets vor Minnedienst; aber Curd kann sich glücklicherweise freimachen; sein Rittmeister ist wirklich ein idealer Mensch, und werden wir uns einmal etwas ausdenken, Malvachen, um ihn als Musterschwadronschef im Namen all seiner Leutnants anzufeiern! Das kann sehr spasshaft werden. — Und nun hänge bitte deinen geschmackvollen Malkittel an den Nagel und mache dich für den Neuen See unwiderstehlich!“ —

Sie legte den Arm zärtlich um die hübsche Nichte, einen Augenblick prüfend in das farblose Gesichtchen sehend.

„Wie elend du heute aussiehst, Kind! Das viele Malen bekommt dir jetzt nicht! Entweder tanzen oder pinseln — beides zusammen wird zu viel!“

Malva neigte die Stirn gegen die Schulter der noch recht jugendlichen und eleganten Sprecherin.

„So will ich das Tanzen aufgeben, Tante Margarete!“ sagte sie sehr ruhig; „du hast recht, zwei Herren dienen kann man nicht, und darum muss man sich für den despotischsten von ihnen entscheiden!“

„Nicht mehr ausgehen? Die ganze herrliche Saison, welche so amüsant zu werden verspricht, aufgeben?“ Die Gräfin wich beinahe entsetzt zurück. „Welch eine tolle Idee, Kind! Ich begreife es sowieso nicht recht, dass du so viel Eifer und Fleiss auf deine Studien verwendest! Warum das? — Keine der anderen jungen Damen würde so entsagungsvoll und — Pardon für das harte Wort — spiessbürgerlich ihr Leben einrichten, wie du!“

„Muss ich es nicht?“ —

„Nein, du musst es nicht.“

„Ich habe kein Vermögen, Tante Margarete, und muss darum an die Zukunft denken!“

„Gewiss, Närrchen! Das tust du am besten, wenn du baldmöglichst einen reichen Mann heiratest!“

„Die wachsen nicht wie die Brombeeren auf dem Felde!“

„Dafür aber auf dem Parkett! Wie wunderlich schwerblütig du bist! Für dein Alter ein Unikum! Mein Gott, wenn ich an meine Jugend denke! Ich hatte, ebenso wie du, auf keine grosse Mitgift zu rechnen; darum aber an Lehrerinnenexamen oder Strümpfestricken denken? — Bless me! Niemals. Ich ging ein paar Winter aus, hier in derselben scharmanten, anregenden Geselligkeit, wie du, und nachdem ich mich während drei Saisons wunderbar amüsiert hatte, trug ich den Ring eines unserer bestsituierten jungen Herren am Finger!“

„Ja, wenn man so schön ist, wie du, Tante Margarete!“

Die Gräfin lachte hellauf: „Fishing for compliments? Ich dächte, du könntest es mit der damaligen ‚rosigen Margarete‘ in jeder Weise aufnehmen! Deine Vorliebe für allzu schlichte Toiletten abgerechnet!“

„All zu schlicht?“

„Je nun — du hast Geschmack! An dir würde selbst Sackleinewand originell wirken! Immerhin, wenn man es anders kann, ist ein glänzender Rahmen für ein schönes Bild nie zu verachten, das solltest du als Malerin am besten wissen!“

„Gewiss! Wenn man es kann!“

„Und könntest du es etwa nicht?“

„Nein, Tante Margarete, beim besten Willen nicht!“

„Stopp, bei einigermassen gutem Willen sehr wohl! Wenn du die Marotte aufgeben wolltest, deine Malstudien von den Zinsen deines kleinen mütterlichen Vermögens zu bestreiten, könntest du dich sehr elegant kleiden!“

„Und wer bezahlt die teuren Stunden und Utensilien?“ —

Die Gräfin richtete sich aus dem Schaukelstuhl empor und rückte die seidenen Kissen mit den flatternden Volants wieder zurecht.

„Aber Kind! Dein sehr reicher Bruder hat die Verpflichtung, für euch Schwestern zu sorgen! Vergiss das Testament deines Vaters nicht!“

Malva schlang mit trübem Lächeln die schlanken, wunderschön weissen Hände ineinander.

„Ja, die Verpflichtung hat er, und wäre ich sehr egoistisch und gewissenlos, könnte ich wohl mein Recht ertrotzen. Aber du weisst, dass Hugo recht schwere Sorgen hat, seit er sich auf Adriennes dringenden Wunsch zu dem enorm kostspieligen Ausbau der alten Burg verleiten liess —“

„Gott sei’s geklagt, deine liebe Frau Schwägerin war verrückt!“ —

„Und mein Bruder zu schwach, ihren sinnlosen Ansprüchen rechtzeitig zu steuern! Wenn ich allein bedenke, was die so rasend kostspielige Anlage der elektrischen Beleuchtung und Wasserversorgung auf dem unzugänglichen Berge gekostet hat!“

„Empörend! Hugo war ein Waschlappen, sich von dem kleinen Engel mit den Teufelshörnchen derart tyrannisieren zu lassen!“

„Die Liebe, Tante Margarete! Er, der so wenig schöne Mann, der ‚blonde Neger‘, war sinnlos in die kokette kleine Modeschönheit verliebt und hielt es für ein ihr nie genug zu dankendes Glück, dass die bankrotte italienische Prinzessin mit den vielen mittellosen Titeln ihm, dem deutschen ‚Barbaren‘, die Hand reichte!“

„Nun, er fühlt diese kleine Hand wohl täglich am Gängelband!!“

„Und ob er sie fühlt!“ Malva nickte traurig vor sich hin und seufzte schwer auf — die Kammerherrin aber nagte mit aufblitzendem Blick einen Augenblick an der Lippe und sagte dann achselzuckend: „Gerade um die nimmersatte kleine Person, welche voll gieriger Rücksichtslosigkeit alles und jedes an sich reissen will, zu ärgern, würde ich auf mein Recht und meine ‚Apanage‘ bestehen!“

„Ich hätte nur den einen Erfolg davon, dass Hugo noch unglücklicher werden und womöglich noch Schulden machen würde!“

„Dahin kommt es doch!“

„Ich hoffe es nicht!“

„Warten wir Frau Adriennes nächstes Attentat auf seine Börse ab! Diesen Winter in Paris, den nächsten in Amerika — den folgenden in Kairo oder Biskra —“

„Oder in Monako —“

„Das kommt zum Schluss —“

„Wohl möglich — aber Gott möge es verhüten, dass ich auch nur mit einem Gedanken zu dem Ruin meines armen Bruders beigetragen!“

Die Gräfin küsste in jäher Aufwallung beinahe mütterlicher Zärtlichkeit die zarte Wange ihrer Pflegebefohlenen.

„Du bist ein rührend gutes Geschöpf, Malva, in der Tat die personifizierte Pflichterfüllung! Und schliesslich .. na, wir sehen es ja, dass du auch ohne Perlen und Brillanten Triumphe feierst! Nur eins beunruhigt mich, mein Liebling — darf ich ehrlich aussprechen, was?“

Die grossen Blauaugen schlugen voll auf: „Ich bitte darum, du Liebe, Gute!“

„Sieh mal, Herzchen — —“ Frau Margarete zögerte einen Augenblick, nahm einen Gedichtband von dem kleinen Seitentischchen und warf ihn, ohne ihn aufzuschlagen, auf die gemalte Platte zurück. „Bonaventura Völkern macht dir sehr auffällig den Hof — er ist ein scharmanter, schöner, sehr liebenswürdiger Mann — aber keine Partie für dich! — Das Geld spielt keine Rolle bei ihm, denn er hat keins — was da war, soll verbraucht sein, ja, man munkelt bereits von Schulden! — Also das ist eine traurige Zukunftsperspektive, denn du kennst die Weltklugheit, welche uns im Fidelio oft genug vorgesungen wird: wo sich nichts mit nichts verbindet, bleibt die Summe immer klein — wer bei Tisch nur Liebe findet, wird nach Tische hungrig sein!“

Malvine hatte sehr ruhig zugehört, ohne mit einem einzigen Blick oder Wort zu unterbrechen; jetzt, als die Sprecherin eine Pause machte und ihre Worte ein wenig verlegen, wie einen Scherz, belachte, sagte sie mit leiser, beinahe tonloser Stimme: „Und die Moral von der Geschichte, Tante Margarete?“ —

„Sagst du sie dir nicht selbst?“ —

Malva lächelte, ein beinahe melancholisches, flüchtiges Lächeln.

„Ich ahne sie!“

„So sprich du sie statt meiner aus, damit wir uns von unserer Gedankensympathie überzeugen!“

„Der langen Rede kurzer Sinn war der: bilde dir nicht ein, du Gegenteil von einem Goldfischchen, dass der Vielbegehrte, ebenso mittellose wie du, jemals ernste Absichten hatte oder haben wird. — Nun, stimmt’s?“ —

„Bravo! Du bist eine perfekte Gedankenleserin, mein Herzchen! Und well du weisst, dass zum Heiraten Geld, abermals Geld und nochmals viel Geld gehört —“

„Wie stets, wenn man Krieg führen will — —“

Die Kammerherrin lachte hellauf: „Sehr gut! Diese satirische kleine Bemerkung beruhigt mich! Also weil zu jedem Feldzug — auch über Amors Schlachtfeld Geld gehört, wirst du vernünftig sein und dem netten, guten Menschen keine falschen Hoffnungen machen?“

Ein wunderlicher Blick traf sie. Malva schüttelte langsam den Kopf. „Dessen bedarf es nicht. Herr von Völkern wird niemals unklug handeln!“

„Kind! Wenn ein Mann verliebt ist!!“

„In was sind die ‚jungen Leute von heute‘ verliebt, Tante?“

Die Gräfin sah immer überraschter aus.

„Das klingt so pessimistisch ... habt ihr euch etwa gezankt?“ —

„Dazu sind wir zu wohlerzogen und stets allzu übereinstimmender Meinung!“

„Aber deine Worte klingen so seltsam ... so bitter — was bedeutet das?!“

Malva lächelte abermals. „Bitter? Dazu habe ich nicht die mindeste Ursache — höchstens resigniert, wie alle Stiefkinder des Glücks es sein müssen. Völkern und ich werden hoffentlich stets gute Freunde bleiben an — Heiraten aber ist nie ein Gedanke.“

„Ehrlich gestanden, mein Liebling, taxiere ich ihn mehr denn jeden anderen auf eine Geldheirat. — Bei aller Liebenswürdigkeit und allen guten Anlagen ist er reichlich oberflächlich, verwöhnt und haltlos. Die Grossstadt verfehlte ihren Einfluss nicht auf ihn, und wer das Glück hat, ein Goldfisch zu sein, führt — in moderner Variante — den Bräutigam heim!“

Und die Sprecherin klappte den Bechsteinflügel auf und griff lachend ein paar Akkorde. —

„Der goldene Flitt—Flitt—Flitter —,

Der gefällt wohl dem Ritt—Ritt—Ritter —

Wer einen Leutnant will frein,

Muss ein Goldfischchen sein ...

Ein scharfes Klingeln tönte aus dem Korridor in den Salon herein.

„Ah — das wird Curd sein! Nun schnell in den Pelz gekrochen —“ Die Gräfin unterbrach sich hastig, zog Malva noch einmal in die Arme und flüsterte: „Du hast mich verstanden, mein Herzchen — also Kopf hoch und keine Grillen gefangen, wenn auch dein Ritter einmal Geschmack an goldenem Flitter findet!“

„Unbesorgt, Tante Margarete! Wenn man sich keine Illusionen macht, kann man auch nicht enttäuscht werden! — Ich gehe mich anzuziehen!“

Sie neigte sich küssend über die Hand der Gräfin und war im nächsten Augenblick hinter der Portiere verschwunden.

Frau Margarete seufzte tief auf: „Armes Kind!“

Als Malva in ihrem Zimmer allein war, schlug sie einen Augenblick beide Hände vor das blasse Gesichtchen.

War es möglich, dass auch schon fremde Augen beobachtet hatten, was sie doch erst wie eine unaussprechlich wehe Ahnung im tiefsten, heimlichsten Herzensgrund spürte?

Ach, die Liebe sieht so scharf — und weil Malva den schönen, eleganten, leichtsinnigen Bonaventura so unaussprechlich liebt, darum war es heute wie ein Todesahnen durch ihre Seele gegangen. Ja, der goldene Flitter, welcher so reich und prunkhaft, so entsetzlich kalt und gleissend von Ellinors kostbarem Kleid zu ihm empor glitzerte, der gefiel auch diesem Ritter mehr, wie ein schlichtes Edelweisssträusschen, und wenn er auch anfänglich noch als verwöhnter Sieger das Goldfischchen am dünnen Faden „Eitelkeit“ zappeln lässt, so wird er es doch schliesslich selber sein, welcher Hals über Kopf in das Netz dieses goldenen Fischleins hineinstürmt!

Wie auffällig zeigte Fräulein von Heym ihr Interesse für den gefeierten Mann!

Graf Hochheim hatte ja jedem, der es hören wollte, recht ironisch erzählt, dass die junge Dame sich ihren Tischplatz direkt ausgesucht habe! Es sprach wohl ein gut Teil eifersüchtiger Ärger bei ihm mit, denn man wusste, dass der sehr berechnende junge Herr sich Fräulein Ellinor schon tags zuvor, nach einer etwas provozierten Bekanntschaft im Theater, zum Souper „gesichert“ hatte. —

Es ging ihr freilich der Ruf voraus, eine nicht allzu liebenswürdige und sehr gelehrige Schülerin ihres aufgeklärten Vaters zu sein — aber was liegt an solchen Nebensächlichkeiten, wenn der goldene Flitter die Augen blendet?

Dass er auch auf die Ohren einwirkt und sie taub macht gegen die Lehren der Freiheitsapostel, hatte die Unterhaltung bei dem Souper bewiesen. Graf Hochheim widersprach der arroganten Tischnachbarin überhaupt nicht — Bonaventura strich leider allzu schnell die Segel vor ihren banalen „Allgemeinplätzen“, welche sie, gut memoriert, als eignes Geistesfeuer leuchten liess.

Malva hatte sogleich die Empfindung gehabt, dass alle Weisheit, welche Fräulein Ellinor aus dem Ärmel schüttelte, lediglich Zitate und nur fremde Lehre war, welche sie ihrem eignen, früchtearmen Lebensbaum aufgepfropft hatte. Oder tat sie ihr unrecht damit?

Gewiss nicht.

Es gibt Damen, welche um jeden Preis geistreich und originell sein wollen, darum wählen sie ohne Besinnen auch die Narrenkappe eines Tollhäuslers, um sich, die Welt verblüffend, damit zu schmücken.

Armer Bonaventura — wie furchtbar wäre es, wenn du dieser kaltherzigen „Trägerin der Wissenschaft“, dieser Verächterin der Ehefessel und Leugnerin alles Hohen und Göttlichen zum Opfer fielest!

Wirst auch du von dem Goldflitter betört und stürzest du in gierigem Greifen nach dem Goldfisch rettungslos in die Tiefe?

Wie eine unheimliche Ahnung, wie das Vorgefühl von etwas namenlos Traurigem, das da sicher kommen muss und wird, hat es Malvas Herz ergriffen.

Unter heissen Tränen hat sie während einer langen, schlaflosen Nacht von dem Glück Abschied genommen.

Jetzt erst, wo sie es als Gewissheit empfindet, dass sie ihn verlieren wird, fühlt sie, wie heiss, wie unaussprechlich sie ihn geliebt hat.

Wahrlich hat sie ihn geliebt?

Sie, das ruhig und klar denkende, so kluge Mädchen, dessen Augen nie von der Schönheit geblendet waren, sondern es nur allzu scharf und klar sahen, wie eitel, oberflächlich und genusssüchtig Völkern war? —

Ja, trotz alledem.

Sie liebte ihn samt seinen Fehlern und Schwächen — nicht wie andere überspannte Mitschwestern, welche in dem Geliebten stets nur ein höheres Wesen, eine Idealgestalt erblickten, mit höchsten Tugenden ausgestattet — unfehlbar — als gäbe es keine Schwäche, Leidenschaft und Schuld auf der Welt.

Das sind die krankhaften Wurzeln, aus welchen nur die bitterherbe Blüte der Enttäuschung emporwächst!

Malvas Liebe aber war so stark und gesund, wie ihre grosse, edle Seele, welche den Menschen viel zu gut verstand und bewertete, um ihn zum Zerrbild phantastischer Träume zu machen.

Sie begriff und verstand es auch, wenn ein junger, verwöhnter, mittelloser Mann nicht die Energie hatte, dem Lebensgenuss, welcher ihm zur Gewohnheit geworden, zu entsagen, um der Liebe willen, welche dem übersättigten Grossstädter doch nur noch eine Episode bedeutet, sondern gleichgültig, oft wohl verständnislos einen Ring an den Finger zwängt, wenn an demselben nur der Kometenschweif des nötigen Goldgefunkels hängt!

Auch von Bonaventura würde sie es verstehen, und sie würde um ihn weinen und um ihn und seine trostlose Zukunft alle Qualen tiefen Mitgefühls leiden — aber lieben würde sie ihn dennoch — immer und sonder Wandel, ihn, der neben seinen Fehlern auch so viele edle Tugenden besass!

Noch stecken sie in der Knospe und haben nicht Kraft und Gelegenheit sich zu entfalten; wenn aber einmal ein Wettersturm hereinbricht, und die Schicksalsfluten brausen herab auf den sonneverwöhnten Glücksbaum, dann kommt auch ihre Zeit herrlichster Entfaltung — das weiss Malva und glaubt es von dem Geliebten, ohne ihn dadurch mit falschem Heiligenschein zu schmücken. —

Wohin führten schon wieder ihre Gedanken! Sie schrickt nervös zusammen, als Tante Margarete die Türe öffnet und den hübschen Kopf, mit dem kleidsamen, federumwallten Amazonenhut, hereinsteckt. —

„Wir warten, Herzchen! Bist du fertig?“ —

Nach wenig Augenblicken schritt man unter heiterem Geplauder die Treppe hinab, und der Klang der Schlittschuhe, welche ein Diener am Arm trug, mischte sich in die Melodie der Silbersporen, mit welchen Vetter Curd an Malvas Seite daher klirrte!

— — — — Welch ein Winterwetter!

Lange genug hatte es auf sich warten lassen. Sturm und Regen — und Regen und Sturm hatten sich mit milchweissem Nebel verbündet, der armen nordischen Residenz den ganzen November und Christmonat zu verderben!

Wer ein Abonnement für die Eisbahn unter dem Tannenbaum gefunden, beklagte diesen „grauenhaften Reinfall“ auf das schmerzlichste, denn auch der halbe Januar war ohne Schneeflocke in das Land gezogen, und auf den Strassenpfützen liessen ironisch beanlagte Klippschüler ihre Schiffchen nach Amerika schwimmen. — Aber solcher Spott sollte schliesslich doch noch zuschanden werden!

Die endlosen Regenfluten verwandelten sich über Nacht in ein köstliches Schneegestöber, das Quecksilber fiel so rapid, wie die Staatspapiere vor der Kriegserklärung, und bald stand der griesgrämlich nebelgraue Stadtpark wie ein Märchengebilde voll Duft und Glanz, und strahlte es dem Beschauer in die Seele, dass nach jedem, auch dem längsten Regen, doch wieder die Sonne scheint.

Man muss nur auf sie warten können — ob draussen oder drinnen. —

Wie schön war es auf dem Neuen See!

Reifgeglitzer an Busch und Baum, klarer, blassblauer Himmel und eine spiegelglatte Eisfläche, welche es ermöglichte, dass ein verliebter, klassisch gebildeter Primaner dem kokett entgleitenden Backfischchen das Zitat aus der angeschwärmten Maria Stuart nachrufen konnte: „Ihr eilt, als ob Ihr Flügel hättet!“

Ja, Flügel!

Vetter Curd versicherte galant, so schön gefasst wie er, sei selbst der kostbarste Stein der Kaiserkrone nicht, nahm die beiden Hände von Tante und Nichte noch fester in die seinen und flog zwischen beiden Damen die blitzende Bahn entlang.

Musikklänge schmeichelten in Walzertakten, und rechts und links lachten und nickten die guten Freunde und Bekannten.

Malva schaute nicht auf die Menschen, sondern weit hinaus in den weiss schimmernden Wald, über welchem dunkle Krähenschwärme kreisten; erst ein lauter Zuruf liess sie leicht zusammenzucken. —

„Empfehle mich zu Gnaden, Gräfin! Werde mich gleich zur Stelle melden!“ —

„’Morgen — ’morgen Völkern!“ lachte Curd und wandte ein wenig den Kopf, um sehr lebhaft zu fragen: „Malva, war das nicht das goldene Kalb, um welches man gestern abend so flott getanzt hat?“

Frau Margarete lachte leise auf: „Schäm dich, Curd! Fräulein von Heym weidet schon längst mit dem Jungvieh in der Koppel!!“

„Ihrem Alter wollte ich mit dem alttestamentarischen Vergleich nicht zu nahe treten — nur ihre schönen, pekuniären Eigenschaften genügend anerkennen! Im Café Royal hörte ich gestern schon die ganze Chronique scandaleuse von gestern —“

„Ach, bitte, erzähle! Das ist ja hochinteressant!“

„Aber nicht ganz unparteiisch, Tante Margarete! Man scheint es Völkern nicht so recht zu gönnen, dass er so prima vista siegte —“

„Siegte?“ —

„Nun ja — Fräulein von Heym, die moderne Frauenrechtlerin, hält es nicht für nötig abzuwarten, bis sie erkoren wird — sie dreht den Spiess um und winkt dem Jüngling ihrer Wahl mit einem Band Nietzsche ein ermutigendes: ‚Komm in meine Arme—e — du sollst Gefreiter werden!!‘“

„Curd, welche Verleumdung! Es haben sich schon mehr Damen auf den ersten Blick in den scharmanten Bonaventura verliebt!“

„In diesem Falle spricht wohl die Eitelkeit ein Wörtlein mit!“ Leutnant Curd unterbrach sich und grüsste hastig nach einer Gruppe plaudernder Damen hinüber; dann fuhr er mit humoristischem Lächeln fort: „Man erzählte, dass Fräulein Ellinor mit ihrem blasiertesten Augenaufschlag bereits den Portier des Hotels, als sie bei ihrer Ankunft aus dem Auto stieg, gefragt haben soll: ‚Wie heisst der Löwe des Tages?’ — Worauf der gute, harmlose Kerl betroffen gestottert habe: ‚Ich werde sofort mal nach dem Zoologischen Garten telephonieren!!‘“

Die Gräfin lachte hellauf. — „Abscheulich! Da sieht man, was der Neid für giftige Blüten treibt!“

„Na, ganz so arg mag es wohl nicht gewesen sein — aber man kolportiert die Tatsache, dass Fräulein Ellinor ein paar bekannten Damen sehr gelassen versichert hat: ‚Wenn Herr von Völkern wirklich eine so grosse Rolle in der Residenz spielt, wie man mir erzählt hat, so werde ich ihn heiraten.‘“

„Wie nett von ihr!“

„Ja, schlicht und bescheiden. — Aber warum sollte sie nicht? Sie weiss, wie interessiert man unter der Blüte der Ritterschaft ihre Renten nachzählt — daraufhin kann man sich schon kleine Extravaganzen erlauben und in das volle Menschenleben hineingreifen!“

„Glaubst du, dass es ihr glückt?“

Curd zuckte die Achseln: „Du hattest ja Gelegenheit, ihre Offensive zu beobachten, Malva — wie glaubst du, dass ihre Chancen stehen?“

Die Komtesse schaute auf. Sehr ruhig und freundlich, wie stets. „Ich glaube, recht günstig für sie. Fräulein von Heym hat eine Art und Weise, den Männern zu imponieren, welche ihre Wirkung nicht verfehlen wird. — Das Grenzenlose heisst genial, und einem reichen Mädchen steht alles gut, selbst dann, wenn sie jede ihrer aussergewöhnlichen Ansichten wissenschaftlich begründet.“ —

„Bless me! Bonaventura wissenschaftlich genommen! Der gute Junge hat aus allgemeiner Abneigung gegen die Schulbank sogar den sicher winkenden Generalstab ausgeschlagen!“

„Ah — er will nicht auf Kriegsakademie?“

„I wo, Tante Margarete! Der hat mehr zu tun.“

„Das wird Fräulein Ellinor nicht imponieren!“

„Vielleicht drillt sie ihn noch dazu!“

„Obacht! Da hinten kommt das interessante Paar wieder angefegt!“ —

„Alle Wetter — das Eiskostüm ist mit Überlegung gewählt!“

„Welch wundervoller Pelz! Blaufuchs?“

„Ich halte ihn dafür.“

„Bei einem Jagdgewand darf man nicht sparen!“

„Jagdgewand?“

„Wie meinst du das Curd?“

„Nun, was glaubt ihr, wer heute eifriger auf Jagd geht — er oder sie?“ —

Wieder ein leises Auflachen der Frau Margarete. „Sie sieht recht gut aus —“

„Ja, bis auf das widerwärtig Sentimental-Arrogante in dem Gesicht! Auch die Augen sind mir zu nichtssagend und blass umwimpert!“

„Sie sehen heute besonders rot aus —“

„Gewiss, der scharfe Wind!“

„Seh ich recht im Mondenscheine — Bonaventura zerreisst die Schlinge — er empfiehlt sich!“ —

„Ohne Eifersucht! — Zwei andere Kavaliere lösen ihn sofort ab —“

„Wie herablassend sie ihn verabschiedet — ihr Blick sucht uns! Ganz recht ist ihr seine Fahnenflucht nicht!“

„Sieh, sieh, wie Völkern sich emanzipiert; er kommt tatsächlich zu uns!“

„Ein wenig Wehren, spornt das Begehren!“ —

„Poor boy! Dafür muss er später drei Bände Nietzsche auswendig lernen!! —“

„Still!“ —

Eine leichte Blutwelle war in Malvas Gesicht gestiegen.

Es fiel nicht auf, weil die klare Winterluft die Wangen sowieso stark rötete.

Schon stand Völkern vor ihnen, begrüsste in seiner so gewinnenden Art die Gräfin und schüttelte Curd die Hand; dann wies er lächelnd nach dem Musiktempel. —

„Darf ich um mein angestammtes Recht bitten, Komtesse?“ wandte er sich scherzend an die junge Dame, „die ‚Donauwellen‘ haben wir stets zusammen getanzt!“

Vae Victis - Band I

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