Читать книгу CHUMANI - Nicci Lievert - Страница 4

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Kapitel I

Es war einmal vor langer, langer Zeit, als die Welt noch in Ordnung war und Frieden herrschte, eine Zeit in der Mutter Erde und alles Leben auf ihr frei atmen, sich entfalten und entwickeln konnte, eine Zeit, in der das Licht der Sonne täglich den Boden berührte und auch die Sterne des Nachts ihre leuchtenden Botschaften aus fernen Welten zur Erde hinab sandten.

Und zu genau eben jener Zeit lebte in einem kleinen Dorf, welches tief im Wald an einem großen Fluss gelegen war, neben all den anderen Dorfbewohnern natürlich, der kleine Chumani.

Chumani lebte gemeinsam mit seinen Eltern, seinen beiden Geschwistern und seinem Großvater ein sorgenfreies Leben, etwas anderes war ihnen glücklicherweise unbekannt. Sie hatten ein Dach über dem Kopf, welches ihre wenige Habe bei Regen gut schützen konnte, sie hatten stets genügend zu essen und zu trinken, boten Wald und Fluss doch alles, was sie brauchten um zu leben. Der nahegelegene Fluss Miniwatu schenkte allen, sowohl Mensch als auch Tier täglich frisches klares Wasser, welches im Schein der Sonne wie Diamanten funkelte. Der umliegende Wald bot allen mit dessen Vielfalt an Früchten, Heilpflanzen und Kräutern genügend Nahrung und für Krankheiten oder kleinere Wehwehchen Medizin und Heilmittel.

Die Tiere des Waldes lebten vor den Dorfbewohnern in Sicherheit, wurden Sie doch als deren Brüder und Schwestern angesehen und hoch verehrt.

Und für die Kinder war der Wald ein ideales Spiel- und Lernzimmer. Spielerisch lernen ohne dass ein Zwang, ein „Muss“ dahintersteckte, ja das konnten Chumani, seine Geschwister und all die anderen Kinder zu jener Zeit, wann immer sie Lust danach verspürten.

Chumani war ein aufgeweckter Bursche mit großem Ideenreichtum, insbesondere wenn es darum ging jemandem einen Streich zu spielen, sein Wissensdrang schien unendlich. Und obwohl erst sechs Jahre jung, konnte er, wenn man es am wenigsten von ihm erwartet hätte, besonnen und einfühlsam sein, wie ein Großer. Seine dunklen Augen und sein kinnlanges schwarzes Haar strahlten fortwährend eine innige Wärme aus.

Chumani liebte seinen Großvater über alles. Vermutlich lag es vor allem daran, dass sein Großvater, von Chumani selbst meist nur Tunkasila genannt, die vielen tollen Geschichten aus dessen eigenen Kinder- und Jugendtagen zu erzählen vermochte.

Stundenlang konnte er den Geschichten seines Großvaters lauschen, wenn er von dessen Reisen und wundersamen Begegnungen erzählte. Seine Augen funkelten jedes Mal aufs Neue wie die Sterne am strahlenden Nachthimmel.

„Tunkasila, bitte erzähle mir wieder eine Geschichte, ja?“, fragte Chumani seinen Großvater.

„Welche Geschichte möchtest du denn dieses Mal hören?“, fragte Chumanis Großvater. „Hm, egal… em… ach nein, warte, ich möchte… ach bitte erzähle mir noch einmal die Geschichte, wie du meinen Namen gefunden hast.“

Chumanis dunkle Augen funkelten bereits jetzt, denn freilich kannte er die Geschichte schon. Und auch sein Großvater trug ein breites Lächeln auf dem Gesicht, hatte er seinem Enkel diese Geschichte schon mindestens ein Dutzend mal erzählt. Und dennoch freute er sich sie ein weiteres Mal zu erzählen, zur großen Freude seines Enkels:

„An dem Tag als du geboren wurdest wich ich keinen Augenblick von der Seite deiner Mutter. Als du dann endlich da warst, waren wir alle unendlich stolz und beinah betrunken vor Glück, denn die Geburt verlief ohne Komplikationen und deiner Mutter und dir ging es gut. Nach Tradition unseres Volkes darf der Großvater mütterlicherseits den Namen für das erstgeborene Kind auswählen. Aber selbst als du dann da warst war ich noch unentschlossen. Nun war es höchste Zeit. Also überlegte ich noch einmal, aber es war für mich eine sehr kniffelige Angelegenheit etwas zu finden, was uns allen gefiel schien schwierig. Am nächsten Morgen wickelte ich dich vorsichtig in ein kleines Tuch, ein Tuch, das bereits deiner Großmutter gehörte, und entschloss mich mit dir hinunter zum Fluss zu gehen, ich wollte unsere Ahnen um Rat fragen. Es war ein wunderschöner junger Morgen, die Sonne blinzelte durch das Dickicht des Waldes, die ersten Blütenknospen öffneten sich und verströmten wunderbare Düfte. Ich sang dir ein Liedchen vor, wiegte dich in meinen Armen. Plötzlich, als ich über einen kleinen Steg auf die andere Seite des Flusses gehen wollte, berührte ich mit meiner Schulter wohl einen Zedernstrauch und ein kleiner Tautropfen fiel auf deine Stirn hinunter, genau zwischen deine Augen. Und dann begannst du plötzlich zu lachen und du strahltest über das ganze Gesicht, warst freudig am Strampeln und am Kichern, deine kleinen Fäustchen zeigten in die Höhe. Und da war es mir plötzlich ganz klar, ich taufte dich auf den Namen CHUMANI, TAUTROPFEN.“

Chumani kicherte, er hatte immer große Freude daran seinem Großvater zuzuhören, wenn er seine wunderbaren Geschichten erzählte, ganz egal wie oft er diese schon gehört hatte. Oft saßen beide, Enkel und Großvater bis spät in die Nacht hinein am Lagerfeuer, manchmal saßen sie auch einfach nur so da und lauschten dem Knacken des Feuers oder dem Flüstern des Windes und manchmal begleiteten sie auch die Rufe der Coyoten, wenn sie nachts die Mondin ehrfurchtsvoll anheulten.

Chumanis Großvater zeigte seinem Enkel schon sehr früh, wie man sich in der freien Natur zurechtfinden, welche Beeren und Pflanzen er bedenkenlos naschen und mit welchen Kräutern man gute Medizin für verschiedenste Krankheiten oder kleinere Wunden herstellen und verwenden konnte. Mit seinen erst sechs Jahren fiel es Chumani bereits leicht sich abseits des Dorfes zu orientieren und in etwa die Tageszeiten je nach Stand der Sonne und der Abendgestirne abzuschätzen. Er liebte die Natur, er liebte die Tiere und die Pflanzen, er liebte die Unversehrtheit, die Fülle und den schier unerschöpflichen Reichtum an Artenvielfalt und Farbigkeit.

„Tunkasila? Was machst du, wenn du dich mal verlaufen hast? Ich meine, wie weißt du den richtigen Weg zurück?“

Chumani blinzelte seinen Großvater neugierig an, ein Auge leicht geschlossen, vom goldenen Sonnenlicht ein wenig geblendet.

„Ich verlaufe mich nicht.“, gab Chumanis Großvater mit einem leichten Lächeln zurück. „Na aber, wenn doch Großvater? Könnte doch mal sein, wie findest du dann zurück?“

Chumanis Großvater überlegte einen Augenblick und erwiderte kurz darauf: „In dem ich ganz fest daran glaube den richtigen Weg zu finden.“ Chumani schaute seinen Großvater mit großen und fragenden Augen an: „Und was heißt das jetzt wieder?“

Chumani klang ein wenig genervt, denn die kurze und knappe und für ihn so gar nichts sagende Antwort gefiel ihm überhaupt nicht. Sein Großvater legte ein wenig Holz nach, welches beide zuvor gemeinsam gesammelt hatten und einige Minuten lang blickten beide wortlos ins zuckende und knisternde Feuer hinein. Irgendwann durchbrach Chumanis Großvater die Stille und begann zu erzählen:

„Ich erzähle dir eine Geschichte mein Junge die du noch nicht kennst: Als ich noch jünger war aber ein wenig älter als du es jetzt bist, ich war glaube ich so ungefähr zwölf, da hatte ich mit meinem Vater einen Streit. Eigentlich war dieser Streit völlig belanglos und mein Vater hatte damals absolut recht mit dem was er zu mir sagte. Aber ich war nun mal noch ein Kind und ich war wütend auf meinen Vater und dann lief ich davon. Ich rannte aus unserem Dorf so schnell mich meine Füße tragen konnten, immer tiefer in den Wald hinein bis ich irgendwann merkte, dass alles um mich herum völlig fremd war, ich hatte mich verlaufen und nicht den Hauch einer Ahnung wo ich mich befand, geschweige denn wie ich wieder zurück finden könnte. Natürlich versuchte ich es und irrte eine Weile blind umher, wählte zunächst die eine Richtung, dann die andere aber ich kam nicht weiter. Überall waren nur Bäume die gleich aussahen, jedoch kein Berg und auch kein Fluss an dem ich mich hätte orientieren können. Ich war nun auf mich allein gestellt. Und gerade in dem Moment als ich dem Verzweifeln nahe war, erinnerte ich mich an etwas, dass mein Großvater mir einst erzählt hatte: „Wir alle sind eins, eins mit der Natur und ihrer Schönheit die wir mit unseren Augen sehen, mit unseren Händen fühlen und unseren Füßen berühren können. Aber wir sind auch eins mit den Wesen, die wir nur mit der Kraft unseres Herzens und unserer inneren Liebe wahrnehmen können.“ Was er damit meinte war, dass es auch andere Wesenheiten gibt obwohl wir sie weder mit unseren Augen sehen noch mit unseren Händen berühren können. Aber unser Herz, unsere Seele steht in einem ständigen Kontakt mit ihnen. Und wenn du Hilfe brauchst dann kannst du sie um Hilfe bitten.

Da ich noch immer nach einer Antwort suchte und die Nacht langsam über mir und dem Wald hereinbrach, versuchte ich Kontakt zu finden, ich legte mich ins dichte Gras und schloss meine Augen. Ich fragte mich was wohl passieren würde und ließ mich einfach fallen. Dann plötzlich fand ich mich in einer ganz anderen Welt wieder. Anfangs war es stockfinster, so dass ich meine eigene Hand vor Augen nicht sehen konnte. Dann hörte ich plötzlich Trommelschläge, die in einem Rhythmus spielten und dann wurde es heller. Flammen flackerten auf und als ich mich näher zum Lichtschein bewegte erkannte ich, dass es ein Lagerfeuer war. Ich sah nirgends jemanden der eine Trommel spielte, aber trotzdem war ihr Schlagen weiterhin zu hören. Das Feuer wärmte mich. Und dann hörte ich jemanden singen, es war ein typischer Indianergesang und ich freute mich schon endlich jemanden zu treffen, vielleicht sogar jemanden aus meinem Dorf. Aber ich sah niemanden dem man diese Stimme hätte zuordnen können. Da war nur das Feuer und das Trommelschlagen im Hintergrund. Abgesehen vom Licht spendenden Feuer war es um mich herum noch immer dunkel. Ich schaute mich um, aber ich schien allein zu sein. Und dann wie aus dem Nichts heraus durchbrach ein ausgewachsener Hirsch mit einem großen Geweih das Dunkel auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers und blickte mich an. Ich war wie erstarrt. Wir schauten einander eine Weile an ohne das etwas geschah. Und ebenso wie das Feuer und der Hirsch mir erschienen waren, so verschwanden sie wieder und ich erwachte aus meinem Traum.

Die Morgendämmerung war bereits hereingebrochen, die ersten zaghaften Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das Dickicht des Walddaches hindurch. Ich hatte also die ganze Nacht hindurch geschlafen, dort in diesem mir völlig fremden Wald. Und gerade als ich mich darüber ärgern wollte, dass ich noch immer in diesem mir völlig fremden Wald war und ich mich fragte wie ich den richtigen Weg zurück ins Dorf finden könnte, da erblickte ich ein Stück weit entfernt von mir einen großen Hirsch. Als er mich bemerkte beäugte er mich einen Augenblick lang, ich bewegte mich kein Stückchen von der Stelle. Und dann sprang er davon.“

„Und was hast du dann gemacht, Großvater?“, unterbrach Chumani. „Ich bin der Spur des Hirsches gefolgt und es dauerte nicht lang und ich hatte wieder bekannte Erde unter meinen Füßen.“

Chumani staunte: „Ist aber eine komische Geschichte Tunkasila, ehrlich mal.“ Chumanis Großvater lachte, so dass sein kleiner Bauch auf und ab hüpfte.

„Nein mein Junge, keine komische aber eine wahre Geschichte über das große Ganze. Genauso ist sie mir passiert. Wir alle sind eins, eine Energie, eine große Kraft. Wissen wir einmal nicht weiter und sehen den Ausweg vor – im wahrsten Sinne des Wortes – Bäumen nicht, dann können wir unsere Ahnen oder die Naturwesen um Hilfe und Unterstützung bitten.“ Chumani schaute seinen Großvater fragend an: „Und was hat jetzt diese Geschichte für eine Bedeutung?“ Mit beiden Händen fragend gestikulierend erwartete Chumani nun eine eindeutige Antwort von seinem Großvater. Dieser wiederum gab seinem Enkel mit dem Zeigefinger zu verstehen, dass er näher zu ihm herankommen sollte, gleichzeitig bewegte er sich selbst ein Stück weit nach vorn. Dann flüsterte er seinem Enkel zu: „Du kannst immer auf die Kraft deines Krafttieres vertrauen.“

„Waaas? Aber ich dachte das mit den Krafttieren Tunkasila ist auch nur eine weitere deiner Geschichten. Jetzt bin ich echt verwirrt.“ Chumani verschränkte nun seine kleinen Ärmchen demonstrativ vor seiner Brust, er schien ein wenig beleidigt, zumindest ein klitzekleines bisschen. Chumanis Großvater nahm die Reaktion seines Enkels gelassen: „Mein Junge, alles was ich dir erzähle ist Wirklichkeit genauso wie das was uns umgibt und um uns herum geschieht. Alles ist real, die Dinge spielen sich nur auf verschiedenen Ebenen ab. Aber es ist wirklich. Genauso wie der blaue Himmel, die wärmende Sonne, die leuchtenden Sterne, der Sand der durch deine Finger rinnt, das Grass unter deinen Füßen, real so wie du und ich.“

„Und was habe ich für ein Krafttier, Tunkasila?“, unterbrach Chumani seinen Großvater erneut. „Es wird sich dir zeigen, wenn du bereit dafür bist. Die Zeit wird kommen. Schau mal Chumani, vielleicht hat es sich dir ja schon gezeigt ohne dass du es bemerkt hast. Genauso wie in meiner Geschichte die ich dir gerade erzählt habe. Im Traum erschien mir der große Hirsch als Wegweiser. Doch erkannt habe ich das erst, als er mir am nächsten Morgen im Wald begegnete. Ich weiß, geduldig sein ist schwer, aber alles kommt zu seiner Zeit.“

Chumani nickte. Ein Weilchen saßen sie noch schweigend am Feuer und lauschten den Gesprächen der Feuerwesen, bevor sie sich irgendwann schlafen legten.

CHUMANI

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