Читать книгу Zu jung für mich - Nicolas Scheerbarth - Страница 2

Оглавление

Zu jung für mich

"Sie ist doch viel zu jung!" empörte sich mein Freund Frank ... nicht zum ersten Mal in den vergangenen Wochen. "Mein Gott, sie geht noch zur Schule! Das ist eine ganz andere Generation. Sie und wir ... wir leben in verschiedenen Welten! Sie könnte genauso gut von einem dieser Exoplaneten stammen, die sie ständig im Weltall entdecken."

"Jetzt übertreib mal nicht ..." warf ich ein, ohne selbst überzeugt zu sein. Ich wusste, dass er ein Stück weit recht hatte. Auch wenn das nur die halbe Wahrheit war.

"Übertreiben ... bla ... das ist noch viel zu harmlos! Diese Midlife-Crisis-Mann-verknallt-sich-in-verrückten-Teenie-Storys haben alle dasselbe Ende: Chaos, Tränen, bittere Enttäuschung."

"Midlife-Crisis! Ja, ich bin Ende vierzig. Und das ist das Totschlagargument, mit dem alles erledigt ist, was? Ich glaub einfach nicht, dass es immer dasselbe Ende nimmt. Von den missglückten Versuchen hört man nur eher als von denen, bei denen es gut ging," widersprach ich eigensinnig. Ich kannte keine nicht-missglückten Versuche. Und ich gestand mir ein, dass ich im umgekehrten Fall bis vor wenigen Wochen wohl dasselbe Argument benutzt hätte. Aber jetzt war mir das egal. Takíya war anders. Wir waren anders. Wir würden es schaffen!

"Du bist genau im richtigen Alter für solche Dummheiten! Seit Bea dich verlassen hat, bist du wie blöd auf der Suche nach einem Ersatz. Vergiss nicht, wie oft wir zusammen unterwegs waren in letzter Zeit. Ich muss mir das doch ständig anhören: 'Guck mal, die da! Und die und die und die ...' Ich beschwer mich nicht, aber weißt du, wie man so was nennt? 'Notgeil'! Du ..."

"Hey, jetzt mach mal nen Punkt! Dass ich gerne wieder jemanden hätte, ist ja wohl nichts Unanständiges oder Unnatürliches ..."

"Ja, aber keine Schülerin! Ein Mädel von gerade mal 19! Mein Gott, David ..."

"Scheiße! Reit doch nicht immer auf dem Alter rum! Du stellst mich ja geradezu als Kinderschänder hin. Dabei ist das Alter nur ein Faktor unter vielen. Und ich hab nie ... nie ... nach jungen Dingern gesucht. Dabei ... sei mal ehrlich ... die Frauen, die ich sonst attraktiv finde, sind alle garantiert mindestens fünf Jahre älter als deine 32-jährige Fremdsprachensekretärin ..."

"Clariss ist doch überhaupt kein Vergleich! Ich hab sie durch einen Zufall kennengelernt, und wir haben schließlich keine 'Beziehung', nur weil sie alle paar Wochen bei mir ankommt, wenn sie mensig ist oder Trost braucht. Wir ficken, und gut ist! Ich würde das eher heute als morgen beenden, wenn ich eine finde, mit der ich was Festes aufbauen kann."

"Is doch auch egal. Takíya hab ich auch durch einen Zufall kennengelernt, wie du dich vielleicht erinnerst. Ich hab nie nach jungen Mädels gesucht ... weil ich ganz zufällig mit denen nichts anfangen kann! Ich wollte wieder jemanden wie Bea ... eine Frau, die Power hat ..."

"Und eine 19-jährige Schülerin ist 'jemand wie Bea'?"

"Arschloch. Und wenn schon 19 ... du kannst dir das nicht vorstellen: Da sitzt jemand Wildfremdes in meinem Auto, und wir reden, und plötzlich war da was! Verstehst du? Wie heißt es so schön ... 'jeder Mensch ist eine Insel'? Wenn man sich dann vorstellt, dass es da andere Inseln gibt ... manche näher, manche weiter weg ... und plötzlich war da Takíya ... ganz dicht bei mir. Das hat mich wirklich umgehauen! Ich hätte so etwas doch selbst nie erwartet! Auf der anderen Seite ... wieviele Frauen in meinem ... in unserem ... Alter laufen rum, bei denen die Insel schon fast hinterm Horizont liegt sozusagen? Denk nur mal an diese Anita letztens! Die war fast so alt wie wir ..."

Anita hatten wir bei einem unserer Streifzüge durch die Bars der Stadt kennengelernt. Zuerst war sie einfach eine rasend attraktive Brünette, die nicht gleich zickig wurde, als ich sie ansprach. Aber nach den ersten paar Sätzen war alles klar. 'Fick mich' stand in Leuchtschrift auf ihrer Stirn. Sie wäre sicher ohne Umstände mit einem von uns ... oder beiden ... ins Bett gestiegen. Doch sie war nicht mehr nüchtern und lästerte so lange und ausgiebig über eine ganze Reihe unserer zukünftigen Vorgänger, dass wir schließlich Reißaus nahmen.

"Aber eine Frau zu finden, ist doch kein Inselspielchen!" gab Frank zurück. "Dazu braucht man Geduld und Zeit. Du kannst einfach nicht erwarten, dass es immer auf den ersten Blick klappt. Man muss sich Zeit lassen, sich kennenlernen. Menschen sind beweglich, weißt du ... im Gegensatz zu Inseln. Sie können aufeinander zu schwimmen. Sich auf Anhieb zu verstehen, ist bestimmt nicht das entscheidende Kriterium."

"Na gut, vergiss das mit den Inseln! War vielleicht ein blöder Vergleich. Aber es bleibt die Tatsache, dass ich mich erstens mit Takíya einfach unglaublich gut verstehe ... und ich andererseits jede Menge Frauen in meinem Alter kenne, mit denen ich nichts anzufangen wüsste! Takíya ist auch nicht 'jung' ... jedenfalls nicht im Kopf. Sie ist überhaupt nicht wie eine von diesen kleinen Zicken, die man heute überall trifft oder im Fernsehen sieht ..."

"Nein ... 19 ist steinalt! Alles klar!"

"Hey, komm mir nicht so! Takíya ist einfach reifer, ruhiger ... sie wirkt nicht wie so ein Teenie ... und darauf kommt es letzten Endes an."

"Du willst es einfach nicht akzeptieren! Dass ihr euch jetzt gerade mal gut versteht ... das ist doch nichts auf Dauer. Du warst auf der Suche, und jüngere Frauen sind nun mal für einen Mann meistens irgendwie anziehend. Ich streite nicht mal ab, dass es mir vielleicht auch deswegen mit Clariss Spaß macht. Aber da weiß ich, dass es Spaß ist ... und immer bleiben wird! Clariss ist 'nur' 16 Jahre jünger als ich, keine 29, aber selbst bei ihr merk ich die Unterschiede. Lass deine Takíya mal ihr Abi machen und woanders studieren wollen. Oder sie will ins Ausland. Oder einen Beruf, bei dem sie hier keine Stelle findet. Dann ist sie ratz fatz fort, und du kannst das alles vergessen ..."

"Weil mir das bei einer Frau Mitte, Ende vierzig heute nicht passieren kann, oder was? Das ist doch Blödsinn, sorry! Warum soll ich, nur damit deine Statistik recht behält, ein wunderbares Girl fortschicken ... so als vorauseilende Selbstverletzung? Und jetzt reiß dich zusammen mit deiner Unkerei ... da kommt sie!"

Ich deutete auf die schmale Gestalt, die am Rand des Cafés aufgetaucht war und suchend über die Menge blickte. Ich winkte. Und genoss es ... wieder einmal ... wie sich ihr irritierter Blick in ein tief von innen leuchtendes Lächeln verwandelte. Sie so zu sehen, war alles! Verdammte Scheiße ... egal was Frank sagte ... und ein paar andere ... ich liebte sie! Ich sah dieses unglaubliche Wesen näher kommen, und in mir kochte ein Hochofen. Glück, Zärtlichkeit, Stolz, Sehnsucht, Euphorie und Wahnsinn schmolzen zusammen zu etwas, für das es nur ein Wort geben konnte. Liebe.

Frank war meiner ausgestreckten Hand gefolgt ... hatte kurz zu mir geschaut, wie um sich zu vergewissern, dass ich ihn nicht zum Besten hielt ... und starrte nun offen staunend der Erscheinung entgegen, die langsam zwischen den dicht besetzten Tischen hindurch auf uns zukam.

Ich stand auf, als sie uns erreichte. Sie fiel mir in die Arme.

"Oh Gott!" stöhnte sie. Mehr war nicht nötig. Ich wusste, wie sie über solche Orte dachte, an denen zu viele Menschen zu dicht beisammen in zu viel Sonne saßen. Das Café lag einfach günstig, und zumindest hatten wir einen Tisch im Schatten eines der großen Sonnenschirme gefunden.

Ich küsste sie, spürte ihre Lippen auf meinen ... ein kurzer Hauch Intimität, belebend wie eine Oase in der Alltagswüste ... und ihren leichten Körper in meinen Armen. Takíyas Figur war das, was man einen "Strich in der Landschaft" nannte ... keine Spur von der sportlichen Kompaktheit, die ich bei Bea so bewundert und seither als meinen bevorzugten Frauentyp angesehen hatte. Takíya war weder sportlich noch kompakt, einen halben Kopf kleiner als ich und nach streng medizinischen Maßstäben vermutlich riskant untergewichtig.

Langsam löste sie sich von mir. Mir lief ein Schauer den Rücken hinab, als ihre schmalen Hände zwischen Kragen und Haaransatz über meinen bloßen Nacken strichen. Es waren diese kleinen Gesten ... spontane, oft wie beiläufig wirkende Berührungen ... die mich endgültig um den Verstand brachten. Keine Frau, mit der ich bisher zusammen gewesen war, hatte sich so verhalten. Takíya war wie eine junge, neugierige Katze. Sie brauchte keinen Anlass für Zärtlichkeit. Ein wunderbarer Instinkt drängte sie dazu, mir einfach so oft wie möglich körperlich nahe zu sein und mich förmlich zu erforschen ... ohne dass die Schwelle zum Offensichtlichen, zur Lust dabei gleich überschritten wurde ... nicht jedes Mal. Aber oft genug.

"Frank. Takíya," stellte ich die beiden vor.

"Hi!" grüßte Takíya fröhlich.

Etwas weniger enthusiastisch grüßte Frank zurück. Eine gewisse Verblüffung hielt ich ihm gern zugute, da sie meinem Ego schmeichelte. Bewusst hatte ich Frank im Unklaren über Takíyas Aussehen gelassen, wollte mich an seinem Erstaunen weiden. Die Absicht war gelungen. Was immer Frank erwartet hatte ... eine nerdig bebrillte Abiturientin, eine jugendliche Sexbombe oder eine Alternativfluse in Handgewebtem ... Takíya war nichts dergleichen. Ihr leuchtend naturroter Wuschelschopf und das leicht geschminkte, schmale Gesicht ließen an Wave oder Emo denken. Die selbstgebastelten Leder- und Metallapplikationen auf ihrer Kleidung stammten von Steampunk-Vorbildern, der Rest war aus Anleihen verschiedener Subkulturen zusammengewürfelt.

Vor allem aber war Takíya sie selbst. Sie erfand ihren eigenen Stil ... manchmal im Wochenrhythmus neu ... war ihr eigenes Kunstwerk. Und dieser Vulkan an Kreativität war kein oberflächliches Getue. Diese Energie kam tief aus ihrem Inneren, und Takíya war dabei in keiner Weise auf Effekthascherei aus, nicht einmal auf die Zustimmung ihrer Altersgenossen.

"Es ist mir egal, was die denken, was das ist," hatte sie mir erklärt. "Ich mach das, was mir gerade einfällt, und ich mach es für mich. Diese ganzen Szenen und das ewige Hin und Her, wer dazu gehört oder passt und wer nicht ... das geht mir aber sowas vom am Arsch vorbei!"

Das Gespräch zu dritt kam nur mühsam in Gang. In der Hauptsache redete ich ... vor allem über den Film, den wir zusammen anschauen wollten. Takíya stellte ein paar Fragen, und Frank war mit Glotzen beschäftigt. Ihre Erscheinung war ja ausreichend exotisch. Und dass ihre langen, dünnen Finger ständig damit beschäftigt waren, meinen nackten Unterarm zu streicheln, übte eine voyeuristische Faszination auf ihn aus. Ich nahm es ihm nicht übel, hoffte nur, dass Takíya ihn nicht für einen Idioten hielt. Ihr Vorteil war, dass sie sich tatsächlich für den Film interessierte ... südkoreanisch und etwas avantgardistisch. Das hatte Frank wohl nicht erwartet bei der 19-jährigen Lolita, die seinem Kumpel David den Kopf verdreht hatte.

"Du hast ... ähm ... entschuldige, wenn ich das so einfach anspreche ... auch keine leichte Zeit gehabt," meinte er, als sich bei ihm der Staub der ersten, verwirrenden Eindrücke etwas legte. Davor hatte er ... unter anderem ... die zahlreichen Ritzspuren auf ihren nackten Armen eine Weile lang gemustert.

"Wegen der Narben?" kam sie direkt zum Punkt. "Ja, das war eine üble Phase. Aber ich bin drüber weg. Ich hab mich seit fast zwei Jahren nicht mehr geritzt."

"Gut ... und jetzt hast du ja David hier," meinte Frank.

"Na, das hoff ich doch!"

"Ich werd sie nicht ritzen!" warf ich ein, ihn absichtlich falsch verstehend.

"Wirklich nicht?" fragte sie. "Auch nicht, wenn ich dich ganz lieb bitte?"

Spielte sie einfach mit, oder lag unter der Oberfläche ein geheimer Wunsch? Ich wusste es nicht. Verrückt genug war sie für ein solches Spiel.

"Ich fänd das, glaube ich, nicht so appetitlich. Vor allem hätte ich die Angst, zu tief zu schneiden oder sonst was an dir kaputt zu machen," sagte ich, zog ihren Arm an meine Lippen und küsste ihn. "Und das wär doch schade."

Ihre Narben hatten mich nie gestört. Ein Blick aus den leuchtenden Augen, die Bewegungen ihres Elfenkörpers, das Vibrieren ihres Gefühls bei der leisesten Berührung, dem flüchtigsten Kuss ... was bedeuteten da schon Tattoos, Piercings, Ritzer? Früher hätten mich solche Zeichen vielleicht sogar abgestoßen. An Takíya hatten sie sich in eine Topografie der Liebe verwandelt, etwas, das unbedingt dazu gehörte.

"Ich zeig dir schon, wie mans richtig macht!" kündigte sie im Ton ruhigster Selbstverständlichkeit an. Sie wollte den armen Frank aus der Reserve locken, das war mir jetzt klar. Junge Katzen müssen eben immer irgendetwas ausprobieren. Hätte sie ernste Absichten, würde sie nicht vor einem Dritten davon sprechen. Nur Frank wusste das nicht.

"Na, wie auch immer ... es ist Zeit, dass wir aufbrechen! Ich mag nicht ins Kino kommen, wenns schon dunkel ist," wechselte ich das Thema, bevor mein armer Freund ihr vollends auf den Leim ging.

***

Zwei Monate vorher. Es regnete in Strömen in dieser Samstagnacht ... ein kalter, unfreundlicher Regen in einem kalten, ungemütlichen Frühling. Ich hatte Freunde in einem Vorort besucht und tastete mich mit meinem Auto durch die verschlungen, schlecht beleuchteten Wohnstraßen. Ich kannte die Gegend kaum und fuhr viel langsamer als sonst.

Dann sah ich ein Stück vor mir den Stadtbus ... den einzigen, der hier fuhr, und der Uhrzeit nach der letzte. Ich freute mich, denn ich wusste, dass ich ihm aus der Siedlung hinaus auf die Bundesstraße folgen konnte. Von da aus war es nicht mehr schwer, den Weg zurück in die Stadt zu finden. Ich wollte gerade Gas geben, zu dem Bus aufschließen, als ich im Augenwinkel eine Bewegung sah. Eine Gestalt rannte da zur Haltestelle und winkte. Der Busfahrer sah sie nicht ... oder war in der standesüblichen Arschlochlaune ... blinkte und fuhr los.

Es dauerte einen Moment, bis ich reagierte. Über die Haltestelle war ich schon hinaus. Ich bremste, legte den Rückwärtsgang ein. Ich kann nicht sagen, was mich dazu bewog. Vielleicht war es der Ärger über den Busfahrer. Oder der Wunsch, mich als guter Mensch zu fühlen. Bis zu dem kleinen Bahnhof des Orts konnte ich problemlos fahren, und wenn der arme Kerl in die Stadt wollte, konnte ich ihn mitnehmen und an der Nachtbushaltestelle in der Nähe meiner Wohnung absetzen.

Ich fuhr die paar Meter zurück. Ja, da stand jemand ... eine leicht verkrümmte, schmale Gestalt, gegen den Regen nur mit einer Kapuze geschützt. Die Haltestelle hatte nicht mal ein Schutzdach. Ein junger Mensch also ... ältere hatten bei solchem Wetter meist einen Schirm dabei. Ungeachtet des Regens senkte ich das Beifahrerfenster.

"Hallo!" rief ich. "Ich hab gesehen, dass Sie eben den Bus verpasst haben! Soll ich Sie zum Bahnhof fahren? Oder mitnehmen ... in die Stadt?"

Es war ein eigenartiger Moment. Denn die Gestalt ... die junge Frau ... tat etwas völlig Unerwartetes. Sie zuckte, als hätte ich sie aus tiefen Gedanken aufgescheucht ... riss die Beifahrertüre auf und warf sich förmlich auf den Sitz. Im ersten Moment erschrak ich. Später kam die Verwunderung. Denn sie war eine junge Frau und ohne jedes Zögern zu einem fremden Mann ins Auto gestiegen. War sie leichtsinnig? Betrunken? Oder gar unter Drogen?

Ausgiebig betrachten konnte ich meinen Fahrgast nicht. Ich hatte genug damit zu tun, nicht gegen Bordsteine oder andere Autos zu fahren bei dieser Sicht. Ein kurzer Blick zur Seite zeigte mir ein Mädchen in einer Art Punk-Montur, die momentan vor allem an eine nasse Katze erinnerte. Immer noch frierend hatte sie die Arme um den Oberkörper geschlungen.

"Hi," grüßte ich sie, "ich bin David. Ich hab gesehen, wie du den Bus verpasst hast." Es kam mir gar nicht in den Sinn, sie weiter zu Siezen.

"Der hat mich wahrscheinlich nicht gesehen. Meine Schuld! Ich wusste ja, wann er fährt, und ... ach so: Takíya."

"Takieja?"

"Mein Name. Mit langem I und Ypsilon."

"Ok," meinte ich. Der Name klang orientalisch, doch sie sah nicht so aus. Eher blass, schmal ... angelsächsisch. Doch es gab Wichtigeres in diesem Moment. "Wohin wolltest du denn?"

"Nach Hause," sprudelte sie heraus. "Ich war bei nem Mädel aus meinem Leistungskurs, die hier wohnt am Arsch der Welt, und wir haben an einer Hausarbeit ... äh ... ja ... in die Stadt erstmal. Aber du kannst mich am Bahnhof absetzen. Züge fahren noch, sagt meine Bahn-App. Ich komm schon klar."

"Ich wohne selbst in der Stadt. Wohin genau musst du denn?"

Sie nannte den Stadtteil. Meine Ecke war das nicht, aber es war auch kein unzumutbarer Umweg. Vor allem ... wollte ich die angenehme Gesellschaft noch eine Weile länger genießen. Nicht, weil ich mir zu diesem Zeitpunkt irgendwelche Chancen ausrechnete. Sie war viel zu jung, ging noch zur Schule, und sah auch überhaupt nicht wie meine Traumfrau aus. Eher wie ein nasses Gespenst. Aber sie brachte Leben und Abwechslung in diesen trüben Abend ... einen weiteren trüben Abend, an dem ich am Ende alleine ins Bett steigen würde ... an einem weiteren trüben Wochenende, an dem ich mit mir nichts anzufangen wusste und mich nach dem Montag sehnte, an dem ich ins Büro gehen konnte, wo Menschen waren und wenigstens ein rudimentäres Sozialleben.

So war es abgemacht. Ich würde sie direkt nach Hause fahren. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, noch eine Schleife dranzuhängen, doch das war lächerlich. Wenn sie den Weg kannte, bekam sie womöglich Angst, ich wolle sie entführen. Nein ... die direkte Route war lang genug, und der strömende Regen bot mir ausreichend Vorwand, langsam zu fahren. Inzwischen hatte ich die Bundesstraße erreicht und musste mich nicht mehr auf die Strecke konzentrieren.

"Ist ne komische Ecke hier," meinte ich und deutete auf die letzten braven Ein- und Zweifamilienhäuser der Siedlung. "Ich mag die Leute, bei denen ich war, aber ich komm nicht gerne her. Irgendwie nicht meine Welt."

"Wem sagst du das! Als ich Doro ... das ist die aus dem Kurs ... zum ersten Mal besucht hab, hats mich fast umgehauen. Die fegen tatsächlich die Bürgersteige sauber hier! Und also Doros Eltern sind ok, aber der Garten da sieht aus, als wär das alles tot, und das Haus ist vollgestopft mit Nippes und Zeugs und sie haben sogar Gartenzwerge vorne stehen, stell dir das mal vor!"

"Ach, das kann doch ganz lustig sein. Spießer ist doch wieder in, wusstest du das nicht?"

"Nee, keine Ahnung ... Spießer so richtig sind die gar nicht. Der Vater ist sogar bei den Grünen und fährt nach Grönland zum Robbenstreicheln."

"Na, Grüne sind doch oft die neuen Spießer heutzutage!"

"Ach Politik ... is nich so mein Ding. Ich weiß, dass es blöd ist, aber ich kümmer mich nicht groß um Parteien und das ganze Zeug. Du wirst doch sowieso nur verarscht, egal von wem."

Ich musste ihr einfach widersprechen, nur aus Prinzip. Grundzüge der Demokratie, die Bedeutung von Wahlen und die Funktion der Parteien ... wenn mir jemand erzählt hätte, dass er das als Thema gewählt hatte, um eine junge Frau zu beeindrucken, hätte ich ihn vermutlich für leicht gestört erklärt. Bei Takíya funktionierte es. Als wir vor ihrem Haus ankamen, waren wir so intensiv am Diskutieren, dass wir einfach sitzen blieben, immerhin warm und trocken in der sonderbaren Romantik eines Autos im Regen.

Takíya hatte durchaus mehr Ahnung von Politik, als ihre anfängliche Flapsigkeit vermuten ließ. Und sie empfand erfrischend wenig Respekt vor einem Mann, der fast dreißig Jahre älter war. Dabei war es ein Genuss, mit ihr zu streiten. Ihre eigenen Ansichten konnte sie gut erläutern und begründen ... besser als mancher Erwachsene, mit dem ich schon ähnliche Gespräche geführt hatte. Sie ließ auch andere Meinungen gelten und war nicht beleidigt, wenn ich ihr Kontra gab. Vor allem aber waren wir bei einigen zentralen Themen einer Meinung. Viel später erst kam ich darauf, dass das wohl den Ausschlag gab.

Zu jung für mich

Подняться наверх