Читать книгу Sternstunden - Nicole Rölli - Страница 3

EINS

Оглавление

Sternstunden

Copyright: Nicole Rölli, Hauptstrasse 3, 5064 Wittnau

Ich bekomme keine Luft mehr, mein Brustkorb verkrampft sich. Ich versuche um Hilfe zu rufen, kein Laut dringt aus meinem Mund. Rings um mich Menschen. Ich kann mich nicht verständigen. Panik steigt in mir hoch. Die Welt verschwindet im Nebel.

Jegliche Angst ist verflogen, Leichtigkeit erfüllt mein Empfinden. Die Stimmen um mich verstummen.

Wärme steigt in mir auf, das lang ersehnte Gefühl der Schwerelosigkeit. Ich bin ein Stern. Andere Sterne senden ihre leuchtenden Signale. Ich suhle mich im schwebenden Dasein, schaukle hin und her, wiege mich, suche die Gesellschaft anderer Sterne.

„Hallo, ich bin soeben angekommen. Wie beschäftigt man sich hier?“

„Gar nicht. Es gibt nichts zu tun.“

„Schweben und sich unterhalten, das ist alles?“

„Ja. Mehr gibt es hier nicht zu tun.“

„Schön. Gefällt mir.“

„Es ist öde. Keine Herausforderung, keine Befriedigung, Langeweile und nichtssagende Gespräche. Die anderen hier nennen es Freiheit. Blödsinn! Freiheit beinhaltet die Möglichkeit zur Beschäftigung, die Entscheidungsfreiheit sich über die Arbeit zu definieren. Aber hier, es gibt nichts zu tun, absolut nichts.“

„Geniessen kannst du, entspannen, dich mit anderen austauschen, das Gefühl der Leichtigkeit auskosten.“

„Wovon soll ich mich entspannen? Worüber mich unterhalten, wenn ich nichts erlebe?“

„Rede über deine Gefühle.“

„Komm mir nicht mit Gefühlsdusselei. Diesen Kram kann ich nicht ab. Leistung ist das Einzige, was zählt.“

Ich ziehe es vor weiterzuschweben. Eine schlechte Aura. Ob hier alle unzufrieden sind? Ach was, nicht nur Miesepeter ereilt der Tod. Ich konzentriere mich auf helle, leuchtende Sterne. Schwebe der Wärme nach. Hier scheine ich richtig zu sein, die Wärme eines schwülen Sommertages. Mal Kontakt aufnehmen.

„Wie geht es dir?“

„Hm? Was willst du?“

„Mich mit dir unterhalten.“

„Dazu habe ich keine Lust.“

„Weshalb?“

„Hast du nicht bemerkt, dass ich summe?“

„Ja, und?“

„Du störst.“

„Wobei?“

„Ich bin Musiker. Ohne Musik kann ich nicht. Da dreht man ja durch. Diese Stille! Nicht auszuhalten. Ich muss weg.“

Schwups, die Wärme schwindet, mein Stern hat sich in Luft aufgelöst. Keiner verspürt Lust sich zu unterhalten oder in Gesellschaft zu schweben. Es muss doch jemanden geben, der gerne Gefühle und Gedanken teilt. Jetzt bin ich mir sicher, gute Schwingungen zu empfangen.

„Hey, hast du Lust ein wenig zu Plaudern?“

„Ich kann dich nicht sehen.“

„Aber fühlen kannst du mich.“

„Das genügt mir nicht. Ich muss ein Gesicht vor mir sehen. Keine Farben hier, nichts.“

„Du trägst die Farben in deinem Herzen.“

„Mein Herz ist nicht mehr. Dort sind sie schlecht aufgehoben.“

„Entschuldige, das habe ich falsch formuliert, muss mich erst an die Körperlosigkeit gewöhnen. Die Farbenpracht wohnt in deiner Seele.“

„Dort kann ich sie nicht sehen.“

„Oder willst es nicht.“

„Ich bemühe mich.“

So, so, der nächste, der sich verzupft. Wo die wohl alle hingehen? Schön wäre eine Unterhaltung, die länger als dreissig Sekunden standhält. Langsam greift diese schlechte Laune auf mich über. Besser ich suche mir ein Plätzchen zum Alleinsein. Eine friedliche Stimmung lullt mich ein. Genial!

„Ich rieche nichts.“

Ich schrecke hoch.

„Wer bist du?“

„Ich war Parfumeur. Hier kann ich keine Düfte wahrnehmen. Du vielleicht?“

„Nein. Es riecht wirklich nicht.“

„Ist doch unglaublich.“

„Ich war mir dessen nicht bewusst. Ist tatsächlich befremdlich.“

„Düfte sind das Schönste überhaupt. Ein frischer Zitronenduft, eine süsse Rose oder würziger Lavendel! Düfte stehen für Gefühle. Sie können uns verzaubern, uns in eine andere Welt versetzen. Ein frischer Duft verleiht Energie, ein süsser Duft regt zum Träumen an, Kindheitserinnerungen werden wach. Düfte bringen …“

Fantastisch, mein erstes halbwegs interessantes Gespräch im Jenseits und schon verschwindet Herr Parfumeur von der Bildfläche. Wenn ich bloss wüsste, weshalb es alle so eilig haben von mir wegzukommen. Eigenartig!

Ich fühle eine neue Gegenwart. Wer es wohl diesmal sein mag?

„Wer ist da?“

„Wer fragt das?“

„Ich, direkt neben dir. Fühlst du mich nicht?“

„Ach, Gefühle sind nur relevant, wenn sie Genuss versprechen. Ich habe Lust auf ein gegrilltes Hähnchen und Pommes Frites mit viel Ketchup.“

„Hunger hast du aber nicht, oder?“

„Nein, wie sollte ich! So ein Blödsinn! Lust habe ich, sehr viel Lust.“

„Na denn, mach’s gut, wohin du auch gleich verschwinden magst.“

„Darauf kannst du dich verlassen. Stell dir vor, eine Schokoladentorte, die

auf der Zunge zerschmilzt, ein Hochgefühl! Eine leckere Pizza mit Schinken und Tomaten. Das ultimative Mousse au Chocolat …

Na bravo! Weg ist er. Wie könnte es anders sein! Langsam reichts mit diesen treulosen Sternchen.

„Wo bist du? Ich spüre dich nicht.“

„Du fühlst mich doch.“

„Ich will spüren.“

„Weshalb?“

„Wie kannst du fragen! Spüren ist das Sinnlichste überhaupt. Wo kommst du denn her!“

„Unser körperliches Dasein ist beendet. Das hat auch seine Vorteile.“

„Welche, bitteschön?“

„Wir müssen uns kein Haus bauen, um uns vor Witterung zu schützen, uns keine Nahrung besorgen, wir sind völlig unabhängig und frei.“

„Was nützt mir das, wenn ich des Spürens beraubt bin. Ich habe mich jede Nacht an meine Frau gekuschelt und ihre zarte Haut berührt. Ich habe meine Kinder täglich an meine Brust gedrückt, ihre Haare haben mein Gesicht gekitzelt, der Hund ist mir ums Bein gestrichen …

Und tschüss. Ob er wohl jetzt seine Frau streichelt? Sollte dies möglich sein?

„Ja, sicher.“

„Was, sicher?“

„Es ist möglich zu streicheln, auch wenn das irdische Dasein beendet ist.“

„Ach was?“

„Willst wohl wissen wie?“

„Nein, sag’s mir nicht. Ich möchte die Spannung erhalten.“

„Kannst du haben.“

„War nur ein Witz. Na los, sag schon.“

„Du musst in dir das Bedürfnis wecken, dein Vorstellungsvermögen aktivieren und mit aller Intensität deine Wünsche herbeisehnen.“

„Ist ja irre. Und das funktioniert mit jedem Bedürfnis?“

„Es ist auf die Sinne ausgerichtet. Du hast die Möglichkeit alle fünf Sinne auszuleben, wie es dir gefällt.“

„Da war einer, der arbeiten wollte. Ist das machbar?“

„Ernsthafte Frage?“

„Ernsthafte Frage ja, aber keinerlei Interesse.“

„Dachte ich mir doch. Nein. Das funktioniert nicht. Die Struktur des Arbeitens haben wir Menschen erfunden. Die Sinne waren uns gegeben. Nur was uns gegeben war, können wir auch weiterhin beanspruchen.“

„Sehr gut.“

„Ganz deiner Meinung.“

„Sag mal, weshalb suhlst du dich nicht in der Welt der Genüsse?“

„Ich fühle mich wohl im Gespräch mit dir und habe kein wichtigeres Bedürfnis.“

„Schön zu hören. Ist nicht unbedingt erbaulich, wenn sich alle Gesprächspartner in Luft auflösen.“

„Dieses Gefühl ist mir vertraut. Die meisten Sterne legen auch nach Ihrer irdischen Existenz Wert auf Ihre Sinne. Diese sind ihnen vertraut. Ohne diese Vertrautheit fühlen sie sich alleine und verloren.“

„Das sind sie doch nicht. Jeder kann sich mit jedem unterhalten und die Leichtigkeit der Körperlosigkeit auskosten. Ist doch himmlisch.“

„Ich mag das auch. Und besonders die Unterhaltungen mit Gleichgesinnten! Es macht mir Freude meine Erkenntnisse und Gefühle mit anderen zu teilen.“

„Warst du denn nie im Reich der Sinne?“

„Doch, ausprobiert habe ich‘s. War dem aber bald überdrüssig.“

„Und, wie hast du das angestellt?“

„Ich habe mir eingeredet Kartoffelstock sei das Schönste überhaupt.“

„Hmm ja, Kartoffelstock. Ne gute Idee! Mit einer feinen Bratensauce und …

Wo bin ich? Mmh, köstlich. Scheinen einen Fünfsterne Koch engagiert zu haben. Umwerfend. Wie wohl das Mousse au Chocolat schmeckt? Unglaublich. So was von locker-leicht. Probieren wir’s mal mit Ente. Toll! War schon immer mein Leibgericht. Trüffel, Lachs - eine Flut der Genüsse. Und keinerlei Übelkeit, sehr gut. Crevetten, Champagner. Lecker, lecker. Ich muss schon sagen, hier bekommt man einiges geboten.

Okay. Scheint als wäre ich die gesamte Palette durch. Mir fällt nichts mehr ein. Auch fehlt mir irgendwie die Lust.

„Na, schon wieder zurück.“

„Ja, war absolut köstlich, aber mit einem Mal war ich der Leckereien überdrüssig.“

„Sagte ich doch.“

„Haben wir zu hohe Ansprüche?“

„Nein, nur eben andere.“

„Was ist dein Anspruch?“

„Ich mag es zu kommunizieren, mir Gedanken zu machen. Und deiner?“

„Freiheit! Ich möchte die absolute Freiheit, auch die Freiheit vom Denken. Ich glaube, diese Freiheit findet man nur in den Gefühlen. Ob Musik, Düfte oder ein gutes Gespräch, dies sind lediglich Auslöser. Das Gefühl, das wir dabei empfinden, ist entscheidend. Und warum sollten wir das nicht ohne Hilfsmittel können?“

„Das kannst du. Geh in die Welt der Gefühle.“

„Die gibt es auch? Wo und in welcher Form?“

„Mach dich frei von deinen sinnlichen Bedürfnissen, frei von allen Gedanken, dann wirst du schon sehen.“

„Wird ja immer besser. Vielleicht müsste ich die sinnlichen Bedürfnisse nochmals auskosten, um wirklich frei davon zu sein.“

„Probier’s aus. Du hast alle Möglichkeiten.“

„Das werde ich. Vielen Dank. Zuerst brauche ich Ruhe. Mach’s gut.“

„Viel Spass.“

Also nochmals mit Leckereien versuchen. Etwas Süsses. Eis, Pralinen und jetzt etwas Gemüse…

„Kürbis.“

Wo kommt das denn her? Ich mag keinen Kürbis.

Wo war ich? Ach ja, Auberginen vom Grill ....

„Linsen…

Igitt! Bitte keine Linsen!

„Kalbsleber.“

Oje!

„Schweinekotelett.“

„Lakritze.“

„Oliven.“

Nein!

„Hallo, schon wieder zurück?“

„Ja. War eigenartig. Zuerst konnte ich nach Herzenslust schlemmen. Unvermittelt kamen mir die anderen Sterne ins Gehege, deren Gedanken und Wunschgerichte, eklige Leber und so.“

„Nun weißt du, weshalb die Gourmet-Sternchen immer wieder eine Feinschmecker-Pause benötigen. Sobald du nicht mit ganzem Herzen bei der Sache bist, wirst du von deiner Umwelt beeinflusst. Deine eigenen Bedürfnisse werden zurückgedrängt. Die Vielfalt der Bedürfnisse anderer erdrückt dich.“

„Wie im Leben, also. Mir war nie etwas so wichtig, dass ich andere verdrängt hätte. Freundschaft war mir das Wichtigste. Gute Gefühle erleben und weitergeben, das zählt, alles andere ist sekundär.“

„Vielen Menschen sind Erfolg, Macht und Genuss wichtiger. Menschen, die rücksichtlos über dich hinweg trampeln, unfähig auf die Gefühle anderer einzugehen.“

„Ich weiss, leider musste ich viele dieser Spezies kennen lernen. Schade, Leben ist etwas Wunderbares. Gefühle können intensiv und vielseitig sein. Meist ist man jedoch mit seinen Gefühlen alleine. Es gibt nur wenige, die deren Wert erkennen. Die Mehrheit bevorzugt Prestige, Regeln, Konformität. Wir müssen gewissen Normen entsprechen. Wehe wir weichen vom Idealbild ab, da stossen wir auf wenig Verständnis. Wir haben Regeln erstellt, damit wir uns nicht mit der Individualität jedes einzelnen herumschlagen müssen.“

„Leider. Dabei birgt Individualität viel Positives: den Mut zu Veränderungen, Kreativität, Kunst, Humor, Intelligenz. Weshalb sich die Majorität der Menschheit davor verschliesst, Individualität sogar bekämpft, ist mir ein Rätsel.“

„Vielleicht ist es die Angst, hinter der Kreativität und Intelligenz anderer zurückzustehen.“

„Gut möglich. Zudem ist es unmöglich Macht über eine Gruppe von Individualisten zu haben und es gibt zu viele, die gerne dominieren. Ein Instinkt vielleicht, der in der Natur überlebenswichtig war.“

„Ich dachte, es hätte ein Umdenken stattgefunden. In den 60er Jahren wollten sich die Menschen nicht mehr bevormunden lassen. Sie haben Ihre Gefühle und Bedürfnisse frei ausgelebt. Weshalb konnte das nicht so bleiben?“

„Ja, die goldenen 60er! Auch eine Zeit, in der ich gerne gelebt hätte. Das waren Freigeister, Menschen, die keinen Wert auf falsche Moral, imaginäre Sicherheit in Form von Geld, einem Haus oder sonstigen sogenannten ‚Wertgegenständen‘ legten, sie lebten einfach. Es gibt zu jeder Zeit eben auch die Machtgierigen, die keine Gelegenheit auslassen Freiräume zu zerstören. Sie haben das Ziel andere zu beherrschen, deshalb sind sie letztendlich an der Macht und bestimmen die Regeln. Die Individualisten streben nicht nach Macht, deshalb werden immer die anderen das Sagen haben.“

„Wird sich das nie ändern?“

„Ich denke nicht. Meiner Meinung nach, kann es keine positive Veränderung geben, solange es machthungrige Menschen gibt und es scheint mir sehr unwahrscheinlich, dass diese Gattung Mensch aussterben sollte.“

„Sie haben doch nur solange Macht, wie wir sie ihnen gewähren.“

„Wolltest du denn je an die Macht?“

„Nein, wieso sollte ich. Ich will ja niemanden unterdrücken, bevormunden oder mit Regeln einschränken.“

„Siehst du, meine Rede. Es funktioniert nicht. Menschen, die für alle die Freiheit wünschen, wollen nicht an die Macht. Menschen, die andere dominieren möchten, schon. Also werden immer die Falschen an der Macht sein.“

„Und wenn es nun gar keine Macht braucht?“

„Soweit sind wir noch lange nicht. Viele Menschen fühlen sich nur in einem System wohl, das gibt ihnen die nötige Sicherheit. Ganz auf sich gestellt, würden sie nicht überleben. Es würden wieder die Gesetzte des Stärkeren herrschen.“

„Das muss nicht unbedingt der körperlich Stärkere sein. Könnte es nicht auch der menschlich Stärkere sein?“

„Ein grosses Herz reicht nicht aus. Es braucht diejenigen mit dem grossen Herzen und der grossen Kraft. Die einzige Chance der Menschheit ist, jemanden an der Macht zu haben, der beides vereint.“

„Da wäre wieder das Wunschdenken von Gott und Jesus. Das schriftstellerische Meisterwerk der Bibel. Nur leider sind da auch Regeln drin, die eine Kontrolle der Menschheit garantieren.“

„Wären es nur die 10 Gebote, damit liesse sich gut leben. Die Bibel in ihrer ursprünglichen Form ist ein geniales Werk, welche Autoren auch immer dahinterstecken mögen. Nur leider hat sich die Kirche zu einem Machtinstrument entwickelt, das die Lehren der Bibel weitestgehend ignoriert. Auch da haben die Skrupellosen Einzug gehalten. Und weil sie keine Skrupel kennen, gehen sie als Sieger hervor.“

„Also gibt es keine Strategie, die uns vor dem Einfluss des Bösen bewahren könnte.“

„Die einzige Strategie ist bei sich selbst anzufangen. Das Böse steckt in uns allen. Kein Mensch ist immer verständnisvoll und hat seine Gefühle zu jeder Zeit im Griff. Unsere Aufgabe ist es, negative Gefühle sinnvoll zu verarbeiten. Wir sollten uns unseren Mitmenschen mitteilen und so Verständnis für unsere Situation wecken. Stattdessen geben wir unsere schlechte Laune an den nächstbesten weiter und lösen einen Schneeballeffekt aus. Aus einer negativen Stimmung entstehen so Ärger, Wut oder gar Hass und Gewalt.

In uns ist immer der Wunsch nach einem durchsetzungsstarken, vernünftigen und verständnisvollen Partner. Er soll uns vor der Umwelt und vor uns selbst beschützen. Ein Partner, der das Gute in uns hervorkehrt, sodass wir die Verantwortung für unser Tun und Handeln nicht selbst übernehmen müssen. Was zeigt, dass wir Angst vor dem Bösen in uns haben.“

„Vielleicht blockiert uns diese Angst, sodass wir nicht mehr natürlich mit negativen Energien umgehen können.“

„Absolut. Wir haben viel an Natürlichkeit eingebüsst. Es werden uns etliche Verhaltensmuster auferlegt, so dass Ängste hinsichtlich Fehlverhalten unabdingbar sind.“

„Okay, zurück zur Natur und Natürlichkeit. Wobei im Tierreich ja auch nicht alles eitel Sonnenschein ist.“

„Das wäre dann wieder ein neues Thema, das es zu diskutieren gilt.“

„Oh nein, nicht jetzt. War echt interessant, aber ich brauche eine Pause von der Gedankenwelt. Ich gehe noch ein wenig auf Entdeckungsreise. Ein paar prächtige Farben wären jetzt schön. Farben wirken erfrischend ...“

Wie von Zauberhand offenbart sich mir das Wunderland der Farben. Beginnen wir mit meiner Lieblingsfarbe: orange! Beruhigend, sinnlich, weltoffen. Ja, gefällt. Vielleicht etwas gelb reinmischen, fliessende Konturen, sonnenähnlich. Etwas azur hinzu, Sonne und Meer. Und etwas Grün, Palmen, spektakulär. Mit Rot ergänzen, Wärme, Energie, Kraft. Alles mischen, wie einen Regenbogen. Von einer Farbe zu anderen knipsen, wie ein Kaleidos... He! Kein Grau, kein Schwarz, welch düsterer Zeitgenosse! Ein Wirbel aus dunklen Farben, unruhig, beängstigend!

„Deine Ausflüge werden immer kürzer! Kein sinnlicher Mensch, was?!“

„Bisher dachte ich das schon. Anscheinend kann ich nicht lange genug festhalten. Andere Sterne strahlen eine intensivere Macht aus, diesmal eine düstere. Ich bin geflüchtet. Kleiner Feigling. Ich hatte weder Lust noch Kraft dagegen anzugehen.“

„Tja, die Macht des Egoismus!“

„Ist ja heftig, wenn jemand sich derart düstere Farben auswählt. Es war wie ein dunkles Loch, das sich immer weiter öffnet und einen zu verschlingen droht.“

„Vielleicht ist dies im weitesten Sinne die Hölle, die wir uns auf der Erde vorstellen. Die düsteren Gedanken und Gefühle bleiben. Man kommt auch nach dem Tod nicht davon los.“

„Schon möglich. Aber weshalb flüchten diese Menschen nicht in eine andere Sinneswelt.“

„Es wird überall dasselbe sein. Düstere Farben, wirre Musik, schlechtes Essen. Und sollten sie in die Gefühlswelt geraten, ist die Hölle perfekt.“

„Hast du deinen Himmel gefunden?“

„Ja. Das Denken ist meine Erfüllung. War es schon immer.“

„Und die Sinneswelt?“

„Die Sinneswelt kann Himmel und Hölle sein. Das hast du ja selbst erlebt. Sie kann sowohl Genuss als auch Ekel bedeuten, Schönheit oder Grauen, Freude oder Angst. Sie ist die Fortsetzung des Lebens auf einer anderen Ebene.“

„Was denkst du über die Gefühlswelt?“

„Ich glaube es gibt nur zwei Arten der Erfüllung. Die einen finden sie in ihren Gedanken, die anderen in ihren Gefühlen. Die Welt der Sinne ist ein Festhalten am Leben, nichts Endgültiges und erfüllt deshalb auch nicht die Vorstellung von Freiheit und Himmelsglück.“

„Es läuft also auf Verstandes- und Gefühlswelt hinaus. Wie im Leben so im Tod. Hermann Hesse hat somit auch den Tod beschrieben.“

„Ganz genau. Die Sinne benötigen wir im Leben, um zu sehen, wohin wir gehen, um zu riechen, ob Nahrung bekömmlich ist, um zu hören, was andere uns mitteilen möchten. Verstand und Gefühle gehen weit über diese praktischen Talente hinaus. Sie prägen uns, verleihen Charakter. Unsere Gefühlswelt, die Summe aller positiven und negativen Empfindungen, bildet die Grundlage unserer Persönlichkeit. Der Verstand vervollständigt unser Profil, indem er jede Gefühlsregung einer logischen Kontrolle unterzieht.

Am stärksten geprägt werden wir durch das Leid. Menschen wie Tiere sind oft physischer und psychischer Pein ausgesetzt. Meiner Meinung nach dienen erlittene Demütigung, Angst und Schmerzen der Selbstfindung. Wir empfinden Achtung gegenüber dem Leben, entwickeln eine innere Kraft und schaffen in unserem Herzen Platz für unsere Mitmenschen. Nur durch erlittenes Leid sind wir fähig, Mitgefühl zu empfinden. Der Schmerz des Lebens ist unsere Vorbereitung auf den Tod. Wir müssen uns die Erfüllung im Tod verdienen. Frauen leiden während ihrer Menstruation, damit sie Demut vor dem Leben entwickeln und gute Mütter werden können. Das Mitgefühl unterscheidet den Menschen vom Tier. Tieren ist dieses Gefühl in der Regel fremd. Die Katze empfindet kein Mitgefühl für ihre Artgenossen und geht auch keine feste Bindung mit ihnen ein.“

„Mit den Menschen schon.“

„Wie sicher ist das denn?! Katzen schmusen gerne, okay. Sie bleiben bei dir solange du sie fütterst und gut behandelst und dann?“

„Suchen sie sich ein neues zuhause. Na gut. Aber bei Hunden ist dies nicht so.“

„Hunde haben wir längst gezähmt. Sie sind von uns abhängig. Selbständig können sie nicht überleben, deshalb bleiben sie bei uns, auch wenn wir sie schlecht behandeln. Die Katze hingegen hat sich ihre Selbständigkeit bewahrt. Sie ist fähig alleine zu überleben. Sie schätzt zwar die Bequemlichkeit, jedoch nicht um jeden Preis. Katzen lassen sich nicht zähmen.“

„Ja. Ist auch gut so. Ich liebe Katzen. Mal wieder eine zu knuddeln wäre schön, das seidenweiche Fell ...“

Hm. Ne Katze. Ich streichle ihren Pelz, kitzle ihre Samtpfoten. Geborgenheit löst so ein Katzenfell aus. Ich kuschle meinen ganzen Kopf in ihr seidiges Fell, spüre die feinen Katzenhaare, die meine Wangen streicheln, meinem gesamten Gesicht ein weiches, warmes Plätzchen bieten. Ich sauge Ruhe und Geborgenheit in mich auf.

„Heuschrecke:“

Iih, das kitzelt. Hört ihr wohl auf in meine Gedanken zu pfuschen!

„Tarantel.“

„Aha, scheint auch nicht das Wahre gewesen zu sein. He, sag doch was.“

„Mir ist die Luft weggeblieben. Horror vom Feinsten. Eine Tarantel. Und das mir! Meine persönliche Hölle.“

„Kann ich nachempfinden. Ich gehöre auch nicht zu den Spinnen-Liebhabern.“

„Weshalb bleibt diese Angst nach dem Leben weiterhin bestehen? Meine Höhenangst habe ich offensichtlich verloren, sonst würde ich in diesen Höhen unablässig bibbern.“

„Bist du sicher, dass es Angst war?“

„Naja, der Ekel eben, den ich beim Anblick einer Spinne empfinde.“

„Ekel, aber keine Angst. Diese Empfindungen bleiben bestehen, deine Ängste solltest du jedoch abgelegt haben, denn es gibt keine grundlegendere Angst, als die vor dem Tod. Und diese hast du ja wohl hinter dir. Die grosse Unbekannte ist dir bekannt.“

„Da hast du recht. Die Todesangst ist die schlimmste aller Ängste. Deshalb auch diese Sprüche: Ich dachte, ich würde sterben. Ich war todunglücklich und so weiter. Als ich keine Luft mehr bekam, war dies eine Angst, die ich zuvor nicht kannte. Weshalb muss der Tod mit soviel Angst einhergehen?“

„Eine letzte Vorbereitung auf den Tod vielleicht.“

„Nochmals das Demutsspiel?“

„Ja.“

Sternstunden

Подняться наверх