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1 Das Schloss der Nebel und Schatten

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Das Erwachen an diesem Morgen war wieder schmerzlich und voll von klaren, blutigen Träumen. Schlaflos waren die allgegenwertigen Gedanken und erholsam nur der ewig dauernde Schlaf. Doch noch durchflutete endloses Leben den gestählten Körper des Mannes.

Lord Jucon Alde'Atair ließ sich in den morgendlichen Sonnenstrahlen baden und fuhr mit tauben, langen Fingern über seine samtene, helle Haut. "Wieder erwartet mich ein endloser, einsamer Tag", murmelte er zu sich selbst.

Selten war er gewillt aufzustehen, tat es aber jeden Tag aufs Neue. Auch mochte er nicht mehr das herbe Leder seiner Kleidung am makellosen Leib spüren, es erinnerte ihn zu sehr an sein einstiges Leben. Und an sein altes Dasein wollte er keinesfalls mehr erinnert werden, es versetzte ihm jedes Mal einen Stich ins Herz. Er wollte ein anderer sein, deshalb blieb Hemd und Hose, Stiefel und Jacke dort, wo sie seit langer Zeit lagen: zusammen gelegt in einer verschlossenen Truhe.

Sollte er sich Gedanken über einen unterwarteten Besuch machen, der ihn so entblößt sehen und Anstoß daran nehmen könnte? Nein, das tat der Lord nicht. Ihn besuchte niemand. Nicht einmal einen verirrten Wanderer hatte Jucon im letzten vergangenen Jahrzehnt am Tor seines Schlosses abweisen müssen.

Von Bediensteten und Wachgardisten war ebenfalls nichts zu sehen, da er keine besaß. Er war allein. Worin bestand dann sein Dasein?

Jucon Alde'Atair führte ein beschauliches, einfaches Leben. Der Lord war zu einem Einzelgänger und Jäger geworden, war ein lautloser ungehörter Dichter und bewohnte ein fantastisches Schloss. Er vertrieb sich die Zeit mit schwimmen, Scheinkämpfen, reiten und jagen. Seine einzigen treuen Gefährten in dieser Abgeschiedenheit waren ein schwarzer Hengst mit weißen Augen und ein grauer Wolf mit langem Fell.

Ein gelber Knochenkamm fuhr durch sein weißblondes Haar, als bestünde es aus Silber- und Goldfäden - ein Markenzeichen der Atair-Familie. Die langen Wellen kämmte er sich streng nach hinten und band sie dann mit einem weißen Band im Nacken zu einem Zopf. Er mochte es nicht, wenn einzelne Strähnen ins Gesicht fielen und an der Nase kitzelten.

Nackt wie er war, schritt er in den angrenzenden Baderaum. Ein Blick in den fast blinden Spiegel brachte ihm die Erinnerung an seine Existenz zurück. Jucon war zeitlos-jung, anmutig-schön und herrlich wie ein gefallener Engel. Der Glanz seiner schimmernden hellen Haut und seine königliche Haltung schlossen auf hohe Würde und Klugheit. Und wahrlich war er beides. Doch gab es niemanden, der dies lobte.

Schmale Hüften, einen festen Bauch, breite Schultern und eine hochgewachsene, schlanke Gestalt zeugten von Mut und Kraft, von der Geschmeidigkeit eines Tieres und vom Selbsterhalt einer verachtungswürdigen Person.

Der Lord blieb am Wasserkrug stehen. Er hob ihn und füllte seinen restlichen Inhalt in die nebenstehende Waschschüssel. Im Laufe des Tages musste er zum Brunnen gehen und den Krug mit frischem Wasser füllen - eine Handlung, die er ungerne tat. Das Wasser war kalt und etwas abgestanden, als er es mit beiden Händen schöpfte und es sich in Gesicht und auf die Brust spritzte. Er schüttelte sich und ging noch nass zurück in sein Schlafgemach.

Die Laken des hohen, breiten Bettes waren grau und schmutzig. Seit vielen Wochen hatte er sie nicht mehr gewechselt. Er tat es auch an diesem Morgen nicht.

Achtlos schritt Jucon durch den Raum, vorbei an den beiden Kleidertruhen, der Kommode, der Anrichte, dem Bett und blieb vor einem Tischchen neben der Tür stehen. Darauf lagen einige Gegenstände, die er an sich nahm. Da war ein Gürtel mit einer kleinen eingearbeiteten Tasche und einem langschneidigen Dolch daran, den legte er sich quer über Brust und Schulter. Und da waren zwei nietenverzierte Unterarmschienen aus schwarzem Hirschleder, auch die zog er sich über.

Draußen vor der Tür, im düsteren schattenreichen Korridor, erwartete ihn der graue Wolf. "Morgen Wolof. Wie geht es dir heute?" Der Lord fuhr durch das struppige Fell des großen Tieres. Wolof hechelte nur zur Begrüßung und geleitete den Lord den langen Gang entlang.

An den Wänden des Korridors, der sich unendlich und vielfach verzweigt durch das Schloss schlang, verblassten die Gemälde der Familienmitglieder, die einst dieses Schloss bewohnt hatten und deren letzter Nachkomme Lord Jucon Alde'Atair war. Es verrotteten die Vorhänge und Gobelins verschmolzen mit dem grau-schwarzen Mauerwerk. Alles zahlte der vergessenden Zeit ihren Tribut.

Diesem ganzen Verfall schenkte Jucon keinen einzigen Lidschlag und er selbst glich einem leuchtenden Stern, als er so in seiner glimmenden Nacktheit daher schritt.

Aufgeregt stolperte Zedyd in das noch recht guterhaltene Haus, in dem seine Räuberkameraden die letzte Nacht verbracht hatten. Durch sein unverständliches aufgeregtes Geplapper brachte er die anderen neun Männer zum abrupten Erwachen.

Mandigo, ihr bulliger Anführer stürzte sich wutentbrannt auf den schmächtigen Zedyd und schüttelte ihn so lange bis er wieder zur Vernunft kam.

Der magere Räuber hatte die letzte Nachtwache abgehalten und berichtete, was ihn mit dem Sonnenaufgang so aus der Fassung gebracht hatte: "Ich sah die Sonne über dem See aufgehen, als ich auf dem bewaldeten Hügel ein mächtiges Schloss sich in den Himmel erhob. Es wirkt unbewohnter, als diese Ruinenstadt hier. Wer weiß, Mandigo, vielleicht finden sich dort noch irgendwelche Schätze?"

Zustimmendes Gemurmel wurde laut.

"Wir werden es uns ansehen", meinte der Räuberhauptmann und schritt aus dem Haus, das weder Dach noch mehr Fenster hatte.

Tukulor, der als letzte die Ruine verließ, griff in einer schattigen Ecke nach einer dort kauernden, zitternden Frau. Sie wimmerte ständig vor sich hin und sah reichlich zerschunden aus. Sie folgten einem Straßenverlauf, der voller Trümmer und Unrat war.

Mandigo war einst Anführer einer großen Räuberbande gewesen, die plündernd und mordend durch Antlia zogen. Sie selbst waren dunkelhaarige Valdivianer mit bronzefarbener Haut. Doch als Antlias Armee sie vor einigen Monaten in einen Hinterhalt locken konnte und die meisten seiner Männer starben, floh Mandigo mit seinen verbliebenen zwanzig Getreuen nach Osten. Selbst auf ihrer Flucht ließen sie das Rauben nicht. Sie überquerten Antlias Grenzen und zogen durch die Provinz Benevenx auf ihrem steten Weg nach Südosten. Irgendwann merkten sie, dass sie nicht mehr verfolgt wurden. Reduziert auf achtzehn Halsabschneider gingen sie im schwachbesiedelten Benevenx auf blutigen Beutezug, bis sie erneut von antlianischen Söldner aufgespürt wurden. So flohen sie weiter und verirrten sich im Grenzwald zu Mantineia - einem wilden, legendenbeladenen Land an der Grenze zur menschlichen Zivilisation. Unterwegs griffen Mandigo und seine verbliebenen sechszehn Männer zwei recht hübsche Bauernmädchen zu ihrer aller Befriedigung auf. Die jüngere starb schon bald an den Strapazen des mühsamen Weges und der täglichen Vergewaltigungen. Und weitere sieben Räuber fanden unterwegs den Tod durch Krankheit, Entbehrung und hungrigen Raubtieren. Schließlich endete ihr Herumirren in dieser Ruinenstadt, die an einem großen See lag. Hätte Mandigo gewusst, dass er dabei im mystisch verfluchten Corona gelandet war, er hätte die Flucht aus Furcht vor einem alten Aberglauben ergriffen.

Stattdessen standen die dunklen Männer in ihren abgewetzten Kleidern am Rande der verlassenen Stadt und blickten hinab in eine erwachende, verzaubernde Landschaft. Rechterhand, dort wo sich die Sonne erhob, lag ein spiegelglatter finsterer See im Dunst des weißgrauen Nebels. An seinem linken Ufer erhob sich eine bewaldete Anhöhe und darauf thronte, teils vom dichten Nebel umgeben, ein gewaltige burgartiges Schloss.

Atemberaubend verzauberten die durchdringenden Sonnenstrahlen das schattenreiche, dunkle Mauerwerk mit den bizarren Türmen, Dächern und Gebäuden. Im ständigen Wechsel von wallendem Nebelfetzen und aufsteigendem Licht glaubte man, das Schloss wechselte stetig seine Form. Und ab und an blitzte so manche funkelnde Verzierung an den Fenstern wie überirdische Sterne. In den Augen der Räuber bedeutete das verlassene Anwesen eine Beute, die sich ihnen wehrlos darbot. Alsdann machten sie sich auf den Marsch zum Schloss der Alde'Atair Am' Corona.

Vom ewigen Feuer im Herd gebraten, genoss Jucon an diesem Morgen Rhetanpilze, die er am Vortag gesammelt hatte. Er aß ohne großen Appetit am langen Tisch in der Küche. Um ihn sammelte sich der Unrat und Schmutz von vielen Jahren, weil Jucon keinesfalls gewillt war, seine Magiekräfte an Aufräumzauber zu verschwenden. Der Lord ignorierte den ganzen Verfall um sich herum und schien sich sogar darin wohl zu fühlen. Es schien fast so, als wollte er als einziger leuchtender Stern in einer untergegangenen Welt erstrahlen und allem Vergessen trotzen.

Soeben führte er einen Becher klaren Quellwassers an die Lippen, als er zögerte. Ein unbestimmtes Geräusch hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Wolof hatte sich erhoben und knurrte. Auch Jucon stand nun auf und verließ die Küche.

Er ging den Gang entlang, den Wolf dicht an seiner Seite wissend. Am Ende bog er links ab, betrat dann ein dunkles, verstaubtes Zimmer und betätigte eine Geheimtür. Obgleich ihn absolute Finsternis dort empfing, bewegte sich der Lord zielsicher auf eine Treppe nach oben zu. Er kannte diese Geheimgänge in- und auswendig. Er stieg eine Etage empor. Dann betrat er durch eine weitere geheime Tür einen anderen verrotteten Raum.

Die Geräusche, die sich nun als Schritte und Gerede von Leuten identifizierten, wurden lauter. Jucon verließ den Raum lautlos und in einen Schatten gekleidet, gelangte er auf die Galerie in der Empfangshalle.

Unter ihm, zwischen Möbeltrümmern, Licht- und Schattenfeldern befanden sich zehn raubeinige Schurken und eine verstandslose Gefangene. Der Lord konnte von seinem Aussichtspunkt mitbekommen, wie die Räuber ihr weiteres Vorgehen berieten und sich dann in drei Trupp á drei Mann aufteilten. Vhez, ein narbiger Räuber mit rasierten Schläfen, blieb bei der Frau zurück.

"Die wollen uns ausplündern, Wolof", flüsterte Jucon zu dem Wolf. Dieser starrte nur mit funkelnd gierigen Augen durch die freien Stellen des Geländers. "Die nehmen wir uns vor!"

Das Raubtier sprang auf und verschwand lautlos in einer der Richtungen, in der auch eine der valdivianischen Räuber-Dreiergruppe verschwunden war. Jucon Alde'Atair lief in die entgegengesetzte Richtung.

Tudor, Guvar und Khel hatte sich dem linken Schlossflügel zugewandt. Der Morgen war in voller Blüte und doch drangen die Strahlen der sommerlichen Sonne kaum durch die bunten Fenster des mächtigen Schlosses. Der ständige Nebel, der das Gemäuer wie ein Leichentuch einhüllte, verschluckte den Großteil davon. Dies bewirkte, verbunden mit dem Jahrzehnte alten Staub eine düstere, unheimliche Atmosphäre.

Ein ewiges Schattenspiel vollzog sich über den feuchten, grauen Wänden und dem vergammelnden Inventar. Silberne Spinnweben, die sich zwischen Durchgängen spannten, die nicht mehr benutzt wurden, unterstrichen das bizarre, lebende Muster von Licht und Schatten. Dies und die Tatsache, dass dieses Schloss unerwarteter weise doch bewohnt sein könnte, ließ in den Valdivianern langsam aber stetig Panik in den Herzen aufflammen.

Ehrfürchtig verwirrt und ängstlich blickten sich die Räuber um, schritten den Gang hinunter und schauten ab und an in einen Raum. Doch von großartigen Schätzen war nichts zu sehen.

"Ein Fluch muss auf diesen Mauern liegen", murmelte Guvar. Tudor winkte knurrend ab, er gehörte zu einer der gefürchtetsten Räuberbande im westlichen Königreich und ließ sich von einem verlassenen Schloss nicht ins Bockshorn jagen.

Schatten ballten sich am Ende des Korridors zusammen. Darin schien ein gelbfunkelndes Augenpaar unweit des Bodens zu schweben. In völliger Stille.

Nichtsahnend liefen Tudor, Guvar und Khel in ihren sicheren Tod. Geifer tropfte von seinen Lefzen, als Wolof die drei kommen sah. Ein tiefes Knurren, ein unerwarteter Sprung und dann war der graue große Wolf mitten unter ihnen. Er packte Tudor sofort an der Kehle und biss sie ihm durch. Blut spritzte und das Genick zersplitterte. Der Räuber war längst tot, als sein Körper zur Erde sank und Wolof sich Guvar vornahm.

Über den Angriff zunächst erschrocken, waren die beiden Räuber nicht fähig sich zu rühren. Doch der Schock legte sich schnell und schon hielten sie lange Dolche in den Händen.

Wolof sah die Klingen blitzen und hielt seinen nächsten Angriff zurück. Er knurrte wild und ungehalten. Wartete ruhig und unbeweglich auf das, was geschehen würde.

Die Männer versuchten das Tier im schmalen Korridor einzukreisen, um es aus unterschiedlichen Richtungen angreifen zu können. Doch der intelligente Wolf ließ dies nicht zu und startete einen Scheinangriff. Er sprang auf Khel zu und wechselte mitten im Sprung mit einer geschickten Drehung seine Richtung und warf sich gegen Guvar. Diesem gelang es nur den Arm mit dem Dolch zur Abwehr hochzureißen, als Wolof sich bereits darin verbiss. Abermals hörte man Knochen splittern. Das Blut spritzte nur so um sich. Guvar schrie voller Panik, hielt sich den Armstumpf und taumelte zur Wand.

Khel erkannte, dass er gegen diese Bestie nicht alleine ankam und ergriff die Flucht. Blind vor Angst stolperte er den Korridor entlang und hörte hinter sich Guvar schreien. Nicht lange, da verstummten diese abrupt und der Räuber glaubte erneut Knochen splittern zu hören. Einen Blick zurück wollte Khel jedoch nicht riskieren. Hätte er zurück gesehen, seine Beine hätten ihn noch etwas schneller vorangetrieben, wenn sie es gekonnt hätten.

Für das blutgierende Tier war es ein leichtes den dritten Räuber einzuholen. Wolof sprang weit nach vorne, als Khel vor ihm auftauchte und warf den Mann zu Boden. Nun begann er ein Spiel, das kaum grausamer sein konnte. Wolofs Pranken zerfetzten den Valdivianer bei lebendigem Leib. Einige tiefe Hiebe überstand Khel mit wachem Verstand und er brüllte all seinen Schmerz hinaus. Aber irgendwann ereilte ihn der Tod.

Tukulor und die beiden anderen Valdivianer Izalco und Santo nahmen sich den rechten Gebäudeflügel vor. Sie liefen den äußersten Korridor entlang. Die linke Wand war gesäumt mit hohen Fenstern aus buntem Glas, die bizarre Bilder aus der Vergangenheit zeigten. Hinausblicken war unmöglich, da sie zu hoch angesetzt waren und die Sonnenstrahlen fanden nur schwer ein Durchkommen.

Die Diebe fühlten sich aufgrund der seltsamen Atmosphäre des alten Schlosses unwohl. Wortlos versuchten sie jegliches Geräusch zu vermeiden und gelangten schließlich am Ende des langen Ganges in die Küche.

"Es wohnt jemand hier", stelle Izalco fest. Denn es brannte ein Feuer im Herd und ein Teller mit noch warmen Pilzen stand halb aufgegessen auf dem klobigen Holztisch. Hungrig probierte Izalco und meinte: "Kochen kann er."

"Aber von Ordnung hält er hingegen weniger." Tukulor widerte der gammlige Unrat und der faulige Geruch, der davon ausging, an. Die beiden anderen stimmten ihm brummend zu.

Da fuhr ein Pfeil aus überirdisch grünem Feuer durch den Raum und durchbohrte Izalco. Die magische Waffe erzeugte ein riesiges Loch in der Brust des Räubers und tötete ihn auf der Stelle. Nun roch es zusätzlich nach verbranntem Menschenfleisch.

Jucon stand, gekleidet in einem Umhang aus Schatten, am Eingang. Er hielt eine Hand nach vorne gestreckt und glimmendgrüne Flammenzungen züngelten um die schlanken, schmucklosen Finger.

Die Räuber fragten wer er war, um Zeit für einen Angriff zu schinden und der Lord antwortete: "Ich bin euer Tod!" Und wieder fuhr ein leuchtender Pfeil von seinen Fingern auf einen der Räuber zu.

Tukulor sah ihn kommen und warf sich zur Seite, trotzdem erwischte ihn der Flammenpfeil nahe der Schulter. Kleidung und Haut verbrannten an dieser Stelle.

Santo wagte einen unvorhergesehenen Angriff auf den Lord, in dem er sich ihm entgegenwarf und sein Messer in den ungeschützten Leib stoßen wollte. Jucon fing den Stoß mit seiner Hand ab und mit eisernem Griff hielt der das Handgelenk des Räubers umgriffen. Immer fester schlossen sich die Finger und drohten das Gelenk zu brechen - obgleich der Räuber um einiges kräftiger wirkte als der Lord. Entsetzt starrte Santo in das wutverzerrte Gesicht Jucon Alde'Atairs.

Makellos weiße Zähne blitzten hinter vollen Lippen und in den fliederfarbenen Augen des Lords stand totale Verachtung und eine totbringende Kälte, die den überirdisch-magischen Glanz des Wahnsinns nicht ganz verschleiern konnte.

Santo schrie, als das grünmagische Feuer seinen Arm hinunter wanderte und in einem Bruchteil einer Sekunde seinen ganzen Leib einhüllte. Der Räuber verbrannte. Der Geruch von verkohltem Fleisch war unerträglich. Jucon sog ihn durch die bebenden Flügel seiner Nase in seine Lungen hinein und schien darin einen wohligen Duft zu riechen.

Tukulor hingegen erbrach sich. Drohend stand der nackte Lord über dem verletzten Valdivianer. Er empfand kein Mitleid. Aber auch die Verachtung war verflogen. Der Lord hatte sich beruhigt. Sein Gesicht glich wieder der gleichgültigen Maske, die er Tag für Tag anlegte. Nur Traurigkeit sprach aus seinen glasigen Augen. Und auch der Schleier des Wahnsinns würde sich aus dem zarten Flieder nicht fortschleichen.

Tukulor, der am Boden kauerte, starrte auf den hellhäutigen, unbekleideten Mann, der nun mehr als harmlos wirkte und vergessen ließ, dass er soeben zwei Kameraden auf so schreckliche Weise getötet hatte. Doch angesichts des bestialischen Gestanks, seiner Schulterwunde und den erbarmungslosen Blick seines Gegners musste Tukulor es als gegeben hinnehmen. Und nichts konnte den sonderbaren Blonden daran hintern, ihn Tukulor, den Räuber, Eindringling und Dieb, zu töten.

"Wer bist du?" wollte daher der Valdivianer wissen.

"Das hast du mich schon einmal gefragt", entgegnete Jucon emotionslos.

"Du wirst mich auf jeden Fall töten, dann kannst du mir auch verraten, wer du bist!"

"Ich muss nichts!" Der Lord hob seinen schmutzigen Fuß und drückte den Kopf des Räubers in sein Erbrochenes. "Ich bin Lord Jucon Alde'Atair Am' Corona. Letzter der Atair und Herrscher über die Provinz Coron. Und nun stirb!" Jucon hatte sein Messer gezogen und beugte sich zu dem Verletzten. Er ließ ihm nicht mehr die Zeit, um Gnade zu betteln, sondern durchschnitt ihm genüsslich langsam die Kehle.

Das ferne Schreien eines Todgeweihten ließ Mandigo und seine beiden Kameraden zusammenzucken.

"Das war Tudor", stellte Zedyd mit Angst bebender Stimme fest.

"Kann sein", brummte der bullige Anführer, "kommt weiter." Er hatte sich den Haupttrakt vorgenommen und befand sich bereits ein Stockwerk über der Eingangshalle.

In jedem Zimmer, das sie betreten hatten, fanden sie nur verstaubte Möbel, verrottete Vorhänge und Überzüge, Unrat am Boden und lichtlose Schatten vor. Wenn sie mal auf herumliegende wertvolle Gegenstände trafen - wie zum Beispiel silberne Pokale - hatte der feuchte Zahn der Zeit eine unansehnliche Patina-Schicht darüber gelegt. Angewidert schleuderte Mandigo eine angelaufene Halskette durch den Schlafraum einer Dame und wieder drang von irgendwoher ein Todesschrei an ihre Ohren.

"Was geht hier vor!" brüllte der Räuberhauptmann. "Pavo sieh dich draußen mal um!"

Der mit Namen Pavo verließ das Gemach, durchquerte den Vorraum und trat in den Gang. Er blickte nach links und sah nichts außer dem lautlosen Spiel von staubdurchzogenen Schatten, Nebeldunstfetzen und tanzenden Sonnenstrahlen. Dann blickte er rechts den Korridor entlang und erlebte das gleiche Spiel.

Er wollte schon zurückgehen, als er aus der Stille heraus ein tapsendes und scharrendes Geräusch hörte. Die Nackenhärchen stellten sich ihm auf. Pavo blickte abermals den linken Gang entlang, wo er die näherkommende Geräusche vermutete. Sie waren plötzlich verstummt. War da eine Bewegung im Schatten an der Wand?

Eine Gestalt, die barfuß nähertapste, schabte erneut mit den Fingernägeln über das bröckelnde Mauerwerk. Näherte sich ihm da ein Kamerad? Pavo konnte den Näherkommenden noch nicht erkennen und wartete unsicher.

Ob es nun ein harmloser Bewohner dieses eigenartigen Schlosses oder gar eine totbringende Bestie war, die Antwort darauf fand sich schnell und plötzlich! Und bedeutete für den bis dahin ahnungslosen Valdivianer den endlosen Tod.

Der Lord sprang behände aus den Schatten und schleuderte eine grüne Feuerschlange nach Pavo. Sie umfing diesen und brannte ihm den Kiefer weg, bevor er auch nur schreien konnte. Panisch wand er sich in deren Umklammerung, die inzwischen den gesamten Körper des Räubers umschlungen hatte. Dies geschah mit einer Lautlosigkeit und Langsamkeit, wie sie nur der unerbittliche Tod hervorrufen konnte. Ein grotesker Tanz des Untergangs. Ein Spiel mit dem Leben, das in diesem Fall als Verlierer hervor ging. Pavo erstickte und verbrannte zugleich, wortlos und unbedeutend. Die Feuerschlange erlosch und hinterließ ein undefinierbarer verkohlter Fleischklumpen. Jucon war bereits achtlos an dem Schauspiel vorbei und hatte den Vorraum betreten.

Der Silberblonde hörte Stimmen, sie fluchten. Ein kurzes Lächeln schlich sich auf die maskenhaften, makellosen Züge und verschwand ebenso schnell wieder. Lautlos kam er zur Tür, als sie auch schon aufgestoßen wurde.

Hart flog sie gegen ihn und brachte den Lord zu Fall. Mandigo, der sie aufgeschoben hatte, reagierte sofort. Er rief Zedyd etwas zu und rammte seinen Stiefelabsatz in den unbedeckten Unterleib des Lords. Ein weiterer harter Tritt in die Seite folgte, dem Jucon ebenfalls nicht abwehren konnte. Er verlor sein Messer und krümmte sich am Boden. Zedyd nahm die Waffe an sich und hielt sie dem Lord an die ungeschützte Kehle.

Der Räuberhauptmann stand über ihm und betrachtete den weißblonden Jüngling eingehends. Ob er verwundert über Jucons unerwartetes nacktes Auftauchen war, war nicht aus seinem narbigen, graubärtigen Gesicht heraus zu lesen. "Wen haben wir denn da?" schmunzelte Mandigo und sein Fuß drückte gegen Jucons Leiste.

"Lass mich ihm die Kehle durchschneiden", bettelte Zedyd.

Doch der bullige Valdivianer schüttelte den Kopf. "Nein, er wird uns zuvor noch einige Dinge verraten müssen. Fessle ihn, Zedyd."

Wolof hob den Kopf und blickte zur Tür, vor der der verbrannte Pavo lag. Dahinter war sein Herr, das roch und hörte er. Aber da waren noch zwei weitere Personen, gaben ihm seine Instinkte wieder.

Der Wolf schritt zur angelehnten Tür und schob sie mit der Schnauze auf. Im düsteren Licht des Tages sah er wie ein schlaksiger Mann dabei war seinen Lord mit Lederriemen zu fesseln. Ein Knurren warnte, dann sprang Wolof auf Zedyd zu. Dabei übersah er Mandigo, der seinen Dolch in den Nacken des sprungbereiten Wolfs stieß. Jaulend ließ Wolof von dem kleineren ab und griff den bulligen Messerstecher an.

Zedyd war abgelenkt genug, dass sich Jucon die Lederbänder abstreifen konnte, bevor es dem Räuber gelungen war, damit seine Hände zu binden. Der Lord sprang auf die Beine und aktivierte eine grünglimmende Feuerschlange mit einem einzigen magischen Wort zwischen seinen Händen.

Während Mandigo mit dem blutigen Wolf um sein Leben rang erdrosselte Jucon den mageren Räuber. Das leuchtende Band legte sich um den zerbrechlichen Hals und gierige Flammen züngelten um den Kopf. Zedyd schrie wie ein lebendes Ferkel am Spieß, bis das magische Feuer ihm das Antlitz zerfraß und er nicht mehr schreien konnte. Ein Herzschlag später war der Räuber tot.

Mandigo hatte dem Wolf einige Stichwunden beibringen und ihn von seinem Arm lösen können. Blutend lag Wolof schweratmend am Boden. Über ihm wollte der Räuberhauptmann nun den Todesstoß versetzen, doch Jucon bemerkte dies rechtzeitig. Er schlug mit flammenumwickelter Faust zu. Mehrere Male. Mandigo taumelte von der ungebändigten Wut des hellhäutigen zurück.

Bisse und Brandwunden schwächten ihn. Kein einziger Abwehrschlag konnte Mandigo anbringen, so unkontrolliert und schnell ließ Jucon seine Schläge auf ihn niedersausen. Er trieb den Räuberhauptmann bis zur Wand und setzte zum letzten vernichtenden Schlag an. Seine flammenumtoste Faust holte aus und bohrte sich in Mandigos Brust hinein. Die Hand des Lords umschloss das Herz und das magisch grüne Feuer breitete sich von innen im Körper des Räubers aus. Mit weit aufgerissenem Mund und Augen sank der leblose Leib zu Boden. Das letzte, was Mandigo gesehen hatte, war der todgierende Wahnsinn in Jucons fliederfarbenen Augen.

Vhez wollte die Gelegenheit nutzen und sich an dem Mädchen vergehen, das er bewachte. Er strich ihre schmutzigen Schenkel hinauf und küsste ihre Brüste. Sie wehrte sich schon lange nicht mehr. Plötzlich hielt Vhez inne, er hörte Schreie. Doch keine die um Hilfe riefen, sonder solche die den Tod ankündigten. Der Räuber erhob sich und lauschte.

Petrarca, das in Benevenx geraubte Bauernmädchen, nutzte die Ablenkung und kroch auf allen Vieren in die Schatten unter der Galerie des Empfangssaals. Weitere Todesschreie kamen aus unergreifbarer Ferne. Für sie wäre es Musik, hätte sie noch ein Gefühl besessen. Die mehrfach vergewaltigte junge Frau war gebrochen. Ihre Seele hatte sich an einen winzigen unerreichbaren Ort begeben, von wo sie nun begann wieder hervorzudringen. Sie erreichte eine Wand und dort entdeckte sie ihre Rettung in Form von drei geladenen Armbrüsten, die zwischen zwei Türen eine Mauerwand dekorierten. Petrarca stemmte sich abstützend auf die Beine und griff nach der äußersten und kleinsten der Waffen. Das Gewicht der Armbrust bestärkte sie, obgleich sie sie kaum waagrecht halten konnte. Mit dem Rücken stützte sie sich an der Wand ab und zielte auf den Räuber.

Vhez suchte verwirrt nach seiner Gefangenen, als die Schreie verklungen waren. Als er sie im Schatten entdeckte, zielte sie bereits auf ihn.

Der Bolzen löste sich nur widerwillig von der faserigen Sehne und fand sein Ziel in der Brust des Valdivianers. Vhez stürzte schwergetroffen auf die schmutzigen Steinfließen. Die Frau ließ die Waffe fallen und stolperte davon.

Der Mann hob den verletzten Wolf auf seine Arme und das Tierblut lief ihm die Arme und den nackten Körper hinab. Jucon trug Wolof bis zu seinem Schlafgemach und legte ihn auf das ungemachte Bett. Laken, Decke und Kissen sogen das Blut auf und färbten sich unansehnlich dunkelrot.

Eine einsame Träne kullerte über die Wange des Lords. Er fühlte sich leer und ausgehöhlt und untersuchte die unzähligen Stichwunden. Seine eigenen Schmerzen von den Tritten übersah er in seiner Trauer, obwohl sich die getroffenen Stellen schon rotblau färbten. Die Stiche im Nacken waren sehr tief und bluteten arg. Er sammelte seine dämonische Kraft und stoppte die Blutungen. Warmes grünes Licht drang aus seinen Händen und beschleunigte die Heilung. Doch das Raubtier hatte bereits viel Blut verloren und Jucon konnte nur hoffend beten, dass Wolof überlebte.

Durch das Fenster von unter herauf erklang das hohe Wiehern eines Pferdes. Hel, sein schwarzer Hengst, rief ungeduldig nach ihm.

Das Schlafzimmer des Lords lag nach hinten hinaus in den Garten. Dort zwischen den Schatten alter, knorriger, blattloser Bäume war ein sich tänzelnder, noch dunklerer Schatten auszumachen. Der Hengst. Er hatte den Kopf erhoben, sah zu ihm hinauf und wieherte abermals.

Der ständige Nebel dämpfte etwas die Laute des Pferdes und Jucons Stimme, der ihm hinunterrief: "Ich komme gleich hinunter, Hel. Aber auf die Jagd gehen wir heute nicht." Der weißblonde Jüngling kraulte durchs blutverkrustete Wolfsfell. "Du wirst wieder gesund, mein Freund." Und alle erdenkliche Traurigkeit lag in diesen Worten.

Dann ging Jucon Alde'Atair hinunter. Er kürzte, um in den Garten zu kommen, durch die Küche ab und hörte schon von weitem etwas scheppern. Ein Topf musste heruntergefallen sein. Und nun erinnerte er sich daran, unter den Räubern eine Gefangene gesehen zu haben. Langsam und absolut lautlos schlich er sich heran.

Ohne ein Geräusch zu verursachen betrat Jucon den warmen Raum. Er blickte sich um und entdeckte die Frau im äußersten Winkel. Dort hatte sie sich zusammengekauert und aß die letzten Reste des nun kalten Pilzgerichts.

Zwischen sich und ihr lagen die drei Leichen der Räuber. Der Lord beachtete die übel zugerichteten Körper nicht und schritt ungerührt zwischen ihnen hindurch. Doch Petrarca vermied in ihre Richtung zu sehen, so bemerkte sie den Lord zunächst nicht.

Bemitleidenswert, wie die Benevenxianerin dort in der schattigen Ecke kauerte und hungrig das bisschen Essen mit den Fingern vom Teller leckte. Erbärmlich ihr Zustand. Unzählige kleine Wunden von den Strapazen des weiten Weges durch die unbekannte Wildnis zierten ihren wohlproportionierten Körper. Ihr braunschwarzes Haar zerzaust und voll Schmutz und Ungeziefer. Leer und aussagelos ihr glasig grüner Blick. Verkrustete Blutreste waren an Oberlippe und dem etwas zu spitzen Kinn zu sehen. Bekleidet war sie nur mit einem Stück löchrigen braunen Tuches, das sie sich um die Blöße gebunden hatte.

Jucon Alde'Atair war fast bei ihr angekommen, als sie ihn bemerkte. Der Teller flog ihm wie ein Wurfgeschoss entgegen. Geschickt fing er ihn auf und warf ihn achtlos von sich - ungeachtet dessen wo er letztendlich scheppernd landen würde.

Petrarca kroch hastig aus der Ecke. Sie kreischte, als der Lord nach ihr griff und stieß ihn panisch fort. Humpelnd versuchte sie zu entkommen, wild um sich schlagend und blind jeder Hilfe, die er ihr anbot. Da half nur noch eines. Jucon holte mit der flachen Hand aus und schlug ihr mitten ins Gesicht. Der Schlag brachte sie zu Fall und wimmernd blieb sie im Dreck liegen.

Ihr misshandelter Körper zitterte und war gezeichnet. Ihr Verstand befahl ihrem Geist zu einem Rückzug ins tiefste Innere, was dem Wahnsinn nahe kam. Jucon begriff.

Er hob sie auf und trug sie zum unteren Waschraum. Dort setzte er die wimmernde Frau auf einen Stapel schimmliger Kleidung. Schluchzend und ohne jegliche Gegenwehr mehr, ließ sie es geschehen. So konnte er einige Eimer Wasser aus einer quietschenden Pumpe schöpfen und einen davon machte er auf dem ewigbrennenden Herd heiß. Der Lord bereitete ihr in einer messing-glas-beschlagenen Wanne ein warmes Bad. Sogar die verdickten Reste eines Aromas leerte er hinein. Alsbald roch die kleine Kammer nach schweren Rosen.

Jucon entfernte das schmutzige, löchrige Tuch und setzte Petrarca behutsam in die mit dampfendem Wasser gefüllte Wanne. Er wusch ihr die Wunden aus, den Dreck und das Blut - eigenes oder fremde, wer wusste das? - herunter. Seinen eigenen schmutzigen Leib ignorierte er. Schließlich trocknete er sie ab und brachte sie in eines der unzähligen, ungenutzten, staubigen Zimmer. Dort legte er das Mädchen ins Bett und deckte sie sorgsam mit der muffigen Decke zu. Schnell schlummerte sie ein.

Jucon ging nach unten und fand denn letzten Räuber. Vhez, der röchelnd in der Empfangshalle lag und langsam am Bolzen in seiner Lunge verblutete, beendete er mit einem gnadenlosen Schnitt durch die Kehle das jämmerliche Dasein.

Der Lord begann die zehn valdivianischen Räuber zu entsorgen. Dazu schmiss er die teilweise verbrannten Körper einfach über den Müllaustritt hinter der Küche hinaus in einen tiefen Graben. Die Leichen landeten auf dem zu Kompost gewordenen Müllberg und schon bald würden sich Maden und Bakterien ihrer Wandlung annehmen.

Als das erledigt war, sah er nach seinem verwundeten Wolf. Das Tier schleckte ihm dankbar die Hand ab, war aber immer noch zu schwach vom Blutverlust.

Er wusch sich das Blut und den Dreck vom Körper und griff nach einem weißen Tuch, etwa drei Handlängen breit, und legte es sich um die Hüften. Damit es dort hielt, schnallte er sich seinen Gürtel nun um die Hüfte. Das verlorene Messer steckte wieder in der Scheide.

Zwei Zimmer weiter lag Petrarca. Als der Lord ihre Ruhestätte betrat, schlief sie noch. Seit er sie dort hineingelegt hatte, mussten bereits drei Stunden vergangen sein. Jucon stand reglos an ihrem Bettende und betrachtete sie. Und doch sah er sie nicht. Seine Gedanken schweiften ab.

Keinesfalls dachte er über den zurückliegenden Kampf nach. Was würde mit dieser Frau geschehen? Wenn sie dem Wahnsinn verfiel, würde er sie töten, denn eine Irre konnte er nun wahrlich nicht gebrauchen. Und wenn sie geistig genesen würde? - soweit das in ihrem grauenvollen Zustand geschehen konnte. War sie unantastbar der Schmach, die man ihr zu gedeihen ließ - noch irgendwie brauchbar? So oder so lief alles nur dahin hinaus, dass er sie wohl beseitigen würde. Töten. Ihr das Leben nehmen musste.

Jucon Alde'Atair schüttelte den schönen Kopf. Nein. Das Töten musste endlich mal ein Ende haben. Wirklich?

Es rankte sich nicht umsonst ein gruselige Legende um seine Person. Dem letzten Atair, der herrschenden Kaste in der Provinz Coron von Mantineia. Dem Reich, in dem das eigene Volk von einem einzelnen Mann ausgelöscht worden war.

Begonnen hatte Coron's Untergang mit dem Wahnsinn, dass ein jugendlicher Prinz seine herrschenden Eltern umgebracht hatte! Und nach und nach all die anderen Angehörigen seiner Familie. Zunächst heimlich, mit magisch geladenen Flüchen, die sich in tödliche Unfälle wandelten. Doch dieser Prinz machte nicht einmal vor seinen Untergebenen halt und vergiftete heimtückisch alle Brunnen im Lande, damit es keinen gab, der gegen ihn sprechen konnte. Das Volk floh aus der Provinz und das ganze Reich Mantineia begann zu verwaisen. War dieser Jüngling wahnsinnig?

Nein! Ihn hatte nur ein rachelustiger Dämon aus der alten Götterwelt beseelt. Ihn, Jucon Alde'Atair Am' Corona de' Mantineia, traf nur soweit eine Schuld, in dem er Gefallen fand am Spiel über Leben und Tod.

Wenn Petrarca erwachte und erfuhr, bei wem sie gelandet war, und die alten Geschichten kannte, würde sie ihn verurteilen. Und wenn sie nichts von der mantineianischen Atair-Legende wusste? Die Antwort würde der Lord erst finden, wenn er das Mädchen mit seinem Namen konfrontierte.

Unbeweglich stand der Lord an ihrem Bett wohl noch zwei Stunden und nagende Fragen plagten ihn. Sie erwachte unerwartet und plötzlich. Verwirrt richtete sich ihr Blick auf das Zimmer und schließlich auch auf ihn. Sie brauchte eine Weile bis sie der Situation bewusst wurde, sich an das was geschah erinnerte und wo sie sich befand.

Stumm fragend schaute sie ihn an. Jucon erriet den Sinn ihres verwirrten Blicks, der gleichsam auch seine eigenen Fragen beantworten dürfte. "Willkommen auf Schloss de' Altair Am' Corona-Mantineia", erwiderte der Lord trocken.

Ungläubig starrte Petrarca ihn nur an und fragte schließlich: "Dann seit ihr Lord Jucon Alde'Atair!"

Während er nickte, wusste er, dass wenn sie seinen Namen kannte, auch von der blutigen Legende gehört hatte. Die Konfrontation war da. Ihre Reaktion bleib noch aus...

Petrarca schüttelte den Kopf. "Nein!"

Er versicherte ihr nichts zu tun und bot ihr Kleidung aus der Truhe an, auf deren Deckel sich jahrzehntelanger Staub niedergelegt hatte. Dann verließ er den Raum.

Das Entsetzen steckte ihr tief in den Knochen, als die Frau aus dem Bett stieg. Unwillkürlich überkam sie ein kurzer Schwindel. Sie überwand ihn und öffnete die Truhe mit zitternden Händen. Zuoberst lag ein prächtiges senffarbenes Kleid. Ohne groß zu überlegen kletterte sie hinein.

Wie ein wilder Schwarm Bienen waren ihre Gedanken und Gefühle. Sie kämpfte gegen die eigene Selbstaufgabe. Verursacht von den Misshandlungen der Vergangenheit und dem neuhinzugekommenen Schrecken in das Netz eines blasphemischen Dämons geraten zu sein. Sie wusste von seinen Morden an seinen Eltern, Verwandten und dem eigenen Volk. Mochte dies auch lange vor ihrer Geburt geschehen sein, so bestärkte seine reale Existenz sie in ihrem Glauben an Furcht und Vorsicht, Lebenswille und Flucht.

Als behelfsmäßige Waffe fand Petrarca eine Haarnadel, die Hand lang und aus gehärtetem Walknochen war. Sie versteckte sie im Saum ihres linken Ärmels. Petrarca schlich zur Tür und lauschte zunächst, aus Angst er könne draußen auf sie warten. Doch es war nichts zu hören. Absolute Stille herrschte, obgleich es erst Spätnachmittag war - was aber wegen des ständigen Nebelscheiers und dem schattenreichen Mauerwerk kaum auszumachen war.

Petrarca huschte in den Gang. Barfuß nahm sie die linke Abzweigung des gespenstischen Korridors und gelangte nach zwei kurzen Biegungen an die Galerie, die um die Empfangshalle ging. Mehrere Treppen führten in bestimmten Rhythmen in die untere Etage. Nur ihre leise tapsenden Schritte waren zu vernehmen, als sie das Eingangsportal unten erreichte.

War es beim Eintritt der Räuber noch offen gestanden, so war es nun fest verschlossen und nicht aufzubekommen. Petrarca bemühte sich umsonst. Sie zerrte und riss mit aller Kraft an dem Schließmechanismus, doch die Tür blieb verschlossen.

Dafür erklang ein kratzendes Geräusch. Die Frau fuhr erschrocken herum. An der Haupttreppe ihr gegenüber erschien Jucon. In seiner Hand lag ein Messer, mit dessen Spitze er über die Metallummantelung des Geländers kratzte, während er bedächtig langsam die Stufen hinab schritt.

Der Lord hatte schon fast die Halle erreicht, als Petrarca aus ihrer Starre erwachte und nach einem Fluchtweg suchte. Sie entschloss sich nach rechts zu gehen. Jucon folgte ihr nach.

In ihren Augen las er die Furcht und die Erkenntnis seiner Legende. Er brauchte sie in ihrem Zustand nicht. Aber er wollte sie auch nicht so einfach gehen lassen. Nicht dass sie anderen von seiner Existenz erzählte und sie hier her kommen würden, um ihn zu richten. Aber nicht nur er wollte die Benevenxianerin nicht gehen lassen, auch das Schloss selbst hatte seine Tore verschlossen und würde Petrarca nicht fort lassen.

Am Ende des Korridors rüttelte die Frau an Türen, die sich ihr nicht öffnen wollten. Ihr blieb auch nicht mehr die Gelegenheit einen anderen Gang entlang zu rennen, da der Lord bereits an der letzten Biegung aufgetaucht war.

Petrarca war verloren. Blieb nur noch die Art ihres Todes.

Sie hielt die Haarnadel verborgen in ihrer Hand und trat mit zögernden, bebenden Schritten näher. Sie war unfähig ihm in die unheimlichen Augen zu sehen. Auch vermied sie in sein schönes Gesicht zu sehen. So starrte sie nur irgendwo in die Schatten, konzentriert auf das, was sie vor hatte.

Etwas über eine Armlänge trennte sie noch voneinander. Unerwartet plötzlich überwand Jucon diese kurze Distanz. Mit einer Hand umschlang er die Frau und riss sie an sich. Fordernd berührte er ihre Lippen zu einem unbedeutenden Kuss. Gleichzeitig jedoch stach er mit der anderen bewaffneten Hand das Messer in den ungeschützten Leib. Über den Schmerz in ihrer Seite ließ sie die Nadel fallen, die kaum ein Geräusch in der Stille verursachte.

Jucon ließ die blutende Frau los. Ungläubig und gebrochen starrte sie zu ihm auf. Erschreckend langsam sank sie zu Boden, während sie ihre Hände auf die tiefe Wunde presste. Tränen verschleierten ihren Blick, mit blutiger Hand griff sie nach ihm. Haltsuchend, während sie niedersank, benetzte ihr Blut seinen makellosen Körper und ihr Griff riss ihm das Tuch von den Hüften.

Das viele Blut tränkte das senffarbene Kleid unansehnlich braun und bildete eine Lache um die niedergestreckte Frau. Ein höllisches Feuer legte sich über die fliederfarbenen Augen des Lords und er kniete sich zu ihr herab. Eine Erinnerung an ihren nackten badenden Körper schob sich in sein Gedächtnis und erregte ihn. Sein Phallus richtete sich auf und er schob ihr eilig den Rock bis über die Hüften. Spreizte der schwerverletzten die Beine und tastete ihre Scham mit den Fingern ab. Schwach versuchte sie sich zu wehren, schrie stöhnend und ergab sich ihrem Schicksal. Hart stieß der Lord seinen steifen Schwanz in sie hinein, schob sich vor und zurück und genoss ihre Hitze. Ein dämonisches Knurren entwich seinen verzerrten Lippen, als er sich zum Höhepunkt brachte. An das letzte Mal hatte er keinerlei Erinnerung mehr, so viele Jahrzehnte musste es zurück liegen. Jucon zog sich zurück und fuhr sich kurz über das schlaffer werdende Geschlecht. Dann zog er Petrarca den Rock über die Beine und blickte ihr in die glasig grünen Augen. Sie lebte noch, starrte ihn flehentlich an. Doch gegen die Grausamkeit seiner satanischen Seele hatte sie ihm nichts anzubieten, nicht mal ihren vielfach geschändeten Körper. Er griff nach dem Messer, das er neben sich auf den Boden gelegt hatte und zog die Klinge gnadenlos über die zart zitternde Kehle.

Den Leichnam der Frau entsorgte er über dem Austritt hinter der Waschküche. Er blickte ihr nicht nach und war schon aus dem Raum, als ihr Körper auf dem Haufen der Räuberleichen aufschlug.

Der Hengst war missgelaunt, weil Jucon ihn den ganzen Tag vernachlässigt im Garten zurück gelassen hatte. Nun in den späten Abendstunden gönnte er sich und Hel doch noch einen strengen Ausritt. Nach Sonnenuntergang schoben sich die Nebel und Schatten dichter zusammen und schluckten alles Licht.

Der Lord fand seinen Weg auch in tiefster Finsternis. Er lebte seit vielen Jahrzehnten hier und kannte jeden Stein des Schlosses. In seinem Schlafgemach erwartete ihn Wolof und japste freudig bei seinem Erscheinen. Der Schlaf und die Magie hatten den verwundeten Wolf gestärkt.

Jucon Alde'Atair legte Armbänder und Gürtel auf das Tischchen neben der Tür ab, und warf sich dann auf das schmutzige, blutbesudelte und ungemachte Bett. Es war zur Abwechslung mal ein sehr aufregender Tag gewesen und er fand sehr schnell in einen tiefen Schlaf.

Besessen

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