Читать книгу Videomarketing - ein Arbeitsbuch - Nike Roos - Страница 7
Оглавление[10][11]Einleitung
Am Wochenende war ich auf einem Kongress. Zu meiner Freude traf ich dort Gudrun und Dirk – beide hatten einen meiner zweitägigen Workshops besucht. Ich erinnerte mich noch genau, weil die Gruppe besonders begeistert und inspirierend war. Gudrun erzählte mir ein wenig davon, was sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht hatte. Und dann sagte sie etwas sehr Schönes: „Dein Workshop wirkt heute noch bei mir nach. Ich denke oft daran.“
Dirk erzählte mir später, dass er immer noch mit den Inhalten des Workshops arbeitet. Videos sind Bestandteil seines Marketings geworden. Und noch immer arbeitet er intensiv mit dem Workshop-Handout.
Schon von Anfang an wollte ich für meine Workshop-Teilnehmerinnen kein normales Handout in Form von ein paar Zetteln oder einem PDF der Bildschirmpräsentationen. Ich wollte, dass sie mit dem Handout die Übungen des Workshops weiterführen und vertiefen können. Also stellte ich ein Arbeitsbuch zusammen, das ich drucken und binden ließ. Dass die Teilnehmer nach Monaten und Jahren noch damit arbeiten, freut mich sehr. Dass sie mich anrufen und fragen, ob sie das Arbeitsbuch auch so bei mir kaufen könnten – sie wollten es jemandem schenken – war einer der Gründe für dieses Buch. Hier findest Du die Inhalte aus dem Arbeitsbuch. Dazu kommt – und das ist neu, extra für dieses Buch zusammengetragen – Hintergrundwissen aus meinen Medientätigkeiten: Storytelling, Journalismus, Theater und Gesang.
Dass ich eine „krumme“ Biografie habe, hat mir nie geschadet – eher genutzt. Mein Lebenslauf sieht dadurch bunt aus. Ich habe spannende Sachen gemacht, aber auch Krisen durchlebt. Und im Rückblick waren gerade die Krisen wichtig, damit ich mir selbst treu bleiben konnte. Das Magazin FOCUS schrieb in seiner Titelstory „So setzen Sie sich durch. Unangepasst zum Erfolg“, dass meine Neigung, alles[12] in Frage zu stellen, ein Teil meiner Erfolgsstory sei (FOCUS 9/2016, S. 61). Schon im Studium fand ich Interdisziplinarität spannend und studierte gleich fünf Fächer. Ärgerlich, dass das Studiensystem dies nicht vorsah und ich nur in dreien abschließen durfte. Auch später wollte ich immer Neues ausprobieren und lernen. Als ich die CamerAcademy gründete, wurde mir plötzlich klar, dass die vielen verschiedenen Leidenschaften und Fähigkeiten zusammenpassten: meine Affinität zu Theater und Gesang, Arbeit hinter der Bühne, mit Schauspielerinnen und Sängern. Meine journalistische Ausbildung, Stimmschulung, Moderationstraining. Jahrelange Arbeit als Fernsehredakteurin, bei der ich das bildliche Erzählen von der Pike auf (und von einem fantastischen Lehrmeister – danke, Ronny!) lernen durfte. Marketing und PR. Selbst die Märchentante passte plötzlich ins Bild: Als Künstlerin stehe ich seit 2005 auf der Bühne und erzähle Märchen, Sagen und Geschichten.
Die CamerAcademy ist ein gutes Beispiel für das Zitat von Søren Kierkegaard: dass das Leben vorwärts gelebt, aber erst rückwärts verstanden wird. Denn mit der Camer-Academy verstand ich plötzlich, wie alle diese verschiedenen Kenntnisse und Fähigkeiten zusammenpassen konnten.
Auf den folgenden Seiten ist dieses Hintergrundwissen zusammengefasst, gebündelt und – hoffentlich – verständlich dargestellt. Aber nicht nur das: Die praktischen Anleitungen, Tipps und Übungen aus dem Arbeitsbuch, mit dem Gudrun und Dirk nach Jahren noch arbeiten, sind hier auch zu finden. Denn dazu ist dieses Buch gedacht: nicht nur fürs Wissen, sondern vor allem fürs Tun. Und ich hoffe, dass Du darüber hinaus auch noch Spaß beim Lesen, Ausprobieren und Anwenden hast.
Und wie genau funktioniert das Arbeitsbuch jetzt?
Das Buch besteht aus drei Elementen: einer Rahmenhandlung, Kapiteln zum Hintergrundwissen und einem Praxisteil. Wo Du Dich gerade befindest, erkennst Du an den Überschriften (Praxis, Background, STORY). Alle drei Elemente ziehen sich durch die drei thematischen Hauptkapitel,[13] in denen die wichtigsten Zutaten für erfolgreiche Videokommunikation behandelt werden: die Technik, das Bild und vor allem Du. Du und Deine Ausstrahlung – denn auch Ausstrahlung und Charisma kannst Du lernen.
Es gibt immer wieder graugerahmte Kästen in den Kapiteln. Sie enthalten Übungen, die Du sofort machen kannst. Dieses Buch ist nicht dafür da, einfach nur gelesen zu werden! Wenn Du das unbedingt tun willst, dann lies es eben einmal durch – und lies es danach richtig! Richtig, das bedeutet in diesem Fall: Hör auf zu lesen, wenn Du einen Übungskasten erreichst, und führe die dort beschriebenen Übungen aus. Am besten schreibst Du auf, was gut funktioniert und woran Du noch arbeiten willst. Lies erst weiter, wenn Du eine Übung gemeistert hast.
Such Dir eine Unterstützerin. Erstens macht es zu zweit einfach mehr Spaß, zweitens wird Dir eine weitere Person helfen, dranzubleiben und verhindern, dass das Buch und Dein Fortschritt im Alltagstrott vergessen werden. Und drittens funktionieren viele Übungen besser, wenn Dich jemand unterstützt. Ich erinnere mich, dass sich Gudrun, von der ich oben sprach, schon im Workshop mit einer anderen Teilnehmerin verabredete, gemeinsam weiter an ihrem Videomarketing zu arbeiten.
Am Ende der großen Themenkapitel (Technik, Bild, Charisma) gibt es auch Checklisten, die für Dich zusammenfassen, woran Du denken musst.
Ein Hinweis noch: Vielleicht hast Du bereits gemerkt, dass ich mal von Teilnehmerinnen, dann wieder von Teilnehmern spreche. Mal von Schauspielerinnen, dann von Sängern. Diese Lösung der geschlechtergerechten Sprache hat mir schon bei Barbara Budrichs und meinem letzten Buch „Geld kann jeder“ (Budrich/Roos 2015) gut gefallen. Unsere Testleserinnen hingegen waren verwirrt und fragten sich (und uns), warum wir denn mal von Frauen, dann wieder von Männern sprächen. Wenn wir immer nur die männliche Form verwendet hätten, wäre es kaum jemandem aufgefallen, nicht wahr? Und gerade das zeigt, wie wichtig geschlechtergerechte[14] Sprache ist. Da die konsequente Verwendung beider Formen sich manchmal umständlich liest, wechsle ich ab. Insofern möchte ich Dich bitten, Dich auch als Mann angesprochen zu fühlen, wenn ich von Kundinnen spreche. Andersherum muss ich die Frauen wahrscheinlich nicht bitten, sich angesprochen zu fühlen – wir sind das nämlich gewohnt. Egal, welche Geschlechtsform ich wähle – ich spreche von Menschen.
Oh! Danke sagen will ich auch noch!
Torsten Schördling, der sein technisches Wissen nicht nur in dieses Buch, sondern auch immer wieder in meinen Kopf einfließen lässt und ohne den ich auf Drehs aufgeschmissen wäre. Stimmtrainer Evan Bortnick, der mein rudimentäres Wissen über Atem und Stimme in diesem Buch mit seinem großen Wissensschatz unterstützt. Katharina Frier-Obad für ihr engagiertes und unermüdliches Lektorat. Meinem Sohn Joshua, der so viele Male mein „Ich hab‘ jetzt keine Zeit, ich schreibe!“ erduldet hat. Und meiner Liebsten Penelope, die mir mit Mias Kapriolen geholfen, die Struktur zerpflückt und analysiert, das erste Manuskript Probe gelesen und die letzten Lektoratsschleifen begleitet hat. Du bist nicht nur mein Herz, sondern meistens auch mein Verstand.
Und nicht zuletzt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Workshops. Eure Fragen, Ideen und Anregungen befinden sich in diesem Buch gesammelt, insofern ist das Buch nicht nur für, sondern in weiten Teilen auch von Euch. Vielen Dank für so viele inspirierende und bewegende Stunden mit Euch!
Und jetzt wünsche ich Dir viel Spaß beim Lesen und Tun!
[15]MIA
Ich heiße Mia. Vor vier Jahren habe ich alles hingeschmissen. Einfach so. Meinen sicheren Bürojob. Mein festes Einkommen. Oh Mann, war meine Mutter schockiert!
Ich könnte Euch jetzt meine Biografie erzählen. Aber das ist keine richtige Geschichte. Und ich habe gelernt, dass richtige Geschichten, echte Geschichten, viel wichtiger und wirksamer sind als bloße Fakten. Glaubt Ihr nicht?
Okay, hier sind die Fakten:
Nach dem Abi wählte ich Sport als Studiengang. Nicht auf Lehramt: Ich wollte Leistungssportlerin werden. Mein Sport: Tennis. Ich hatte einen Platz in der Weltrangliste, bevor ich Abi hatte.
Tagsüber studierte ich, abends hatte ich Training. Ich war zielstrebig und wusste, was ich wollte, Disziplin war kein Problem. Wenn meine Kommilitonen feiern gingen, saß ich und lernte. Oder trainierte für den nächsten Wettkampf.
Dann kam der Sportunfall: eine Achillessehnen-Ruptur. Das bedeutete das Aus für meine Sportkarriere. Ich fiel in ein emotionales Loch. Jetzt war auch das Studium mir nicht mehr wichtig. Ein Jahr lang holte ich nach, was ich verpasst zu haben glaubte: Partys, Alkohol, Jungs. Dann hatte ich genug. Meine Karriere war vorbei, das Studium brach ich ab und machte eine Ausbildung zur Bürokauffrau.
Und die Geschichte?
Ich erinnere mich genau an den Morgen, an dem ich neben diesem fremden Typen aufwachte. Er war mindestens zehn Jahre älter als ich und sah nicht übel aus – wobei er ziemlich übel roch. Vor allem nach Alkohol. Das war aber nicht das Hauptproblem. Ich roch wahrscheinlich ähnlich. Jedenfalls fühlte sich meine Mundhöhle an, als sei ein kleines Nagetier darin verendet und kralle sich nun oben am Gaumen fest. Und in meiner Stirnhöhle rannte ein anderes, etwas größeres Tier im Kreis und hämmerte rhythmisch mit seinen Pfoten von innen an die Augäpfel.
[16]Das Hauptproblem war, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich war. Oder wer er war. Oder was ich hier sollte. Oder was wir die Nacht zuvor hier getan hatten. Leise, leise kramte ich meine Sachen zusammen, die überall in seiner unaufgeräumten Bude herumlagen. Dann schlich ich mich aus seiner Wohnung. Durch ein unbekanntes Treppenhaus. Durch unbekannte Straßen. Als ich den Dom erkannte, fing ich an zu heulen, vor Erleichterung und Scham.
Zu Hause duschte ich eine Stunde lang. Als ich mir die Zähne putzte, schaute mich eine Fremde im Spiegel an.
„Was hast Du mit Dir angefangen?“, fragte mich die Fremde. „Ich kann nichts dafür“, verteidigte ich mich. „Die Sportverletzung! Wenn die nicht gewesen wäre!“ – „Ach, was für ein Unsinn“, entgegnete mein Spiegelbild. „Du bist doch selbst für Dein Leben verantwortlich! Das Problem ist nicht das Problem. Das Problem ist nie das Problem! Du bist das Problem. Deine Einstellung ist das Problem!“ Na super. Ich war ein Problem. Klar. So hatte ich mich die letzten Monate auch gefühlt. Ein wandelndes, depressives Problem.
Was sollte ich anfangen mit meinem Leben? Der große Plan war gescheitert. Ich war gescheitert. Keine 23 und schon gescheitert. Ich zog die Nase hoch und wischte mir die Tränen ab. Zeit, mir mein Versagen einzugestehen.
Ich zog zurück zu meiner Mutter in die Kleinstadt. Kleinlaut. Mama hatte wahrscheinlich recht. Ich sollte was Anständiges lernen. Ich brauchte Sicherheit. Stabilität. Also fing ich eine Ausbildung an: Bürokauffrau.
Mit 25 hatte ich den Abschluss in der Tasche. Ein geregeltes Leben im Büro mit einer sicheren Ganztagsstelle wartete auf mich. Und zehn Jahre lang ging das gut. Naja. Mehr oder weniger gut.
Also … eigentlich gar nicht gut. Das Gefühl, gescheitert zu sein, blieb mein steter Begleiter. Der feste Job, die geregelten Arbeitszeiten änderten daran nichts. Mein berechenbares Leben machte mich krank. Mir fehlte das Tempo, das Ziel. Mir fehlte die Disziplin. Ich wurde dick, und ich wurde[17] depressiv – mehr, als ich es nach meiner Sportverletzung damals gewesen war. Also traute ich mich nach ein paar Jahren, vorsichtig wieder mit dem Sport anzufangen. Ich hatte ganz langsam begriffen, dass ein ärztliches Verdikt kein endgültiges Urteil ist. Dass ich selbst entscheiden darf, was mein Körper kann. Schwimmen, Laufen … mit viel Gespür für meinen Körper machte der Sport wieder Spaß. Doch was sollte ich mit meinem Leben beginnen?
Storytelling – das wirksamste Marketing-Tool
Videos funktionieren so gut, weil sie Geschichten erzählen. Bevor ich Dich in die Praxis des Videomarketings schubse, möchte ich deshalb darüber sprechen, warum Storytelling überhaupt funktioniert.
Warum fesseln uns Geschichten? Was haben sie an sich, diese magischen Worte „Ich möchte Dir eine Geschichte erzählen“?
Wir bewegen uns in einer Zeit, in der Kundinnen immer aufgeklärter sind. Die sofortige Überprüfbarkeit und Teilbarkeit eines jedweden Inhaltes macht Konsumenten als Masse zu einem unglaublich mächtigen Verbündeten – oder Gegner. Das zeigen Shitstorms im Internet genauso wie begeisterte Fans. Ganze Bewegungen entstehen in den sozialen Medien.
Und das ist erst der Anfang. Diese Entwicklung wird stärker. Nur ein Beispiel: Allein in Deutschland nutzen rund 27 Millionen Menschen Facebook (Stand: Januar 2016 laut de.statista.com). Im Februar 2011 waren es noch 15 Millionen. Für Firmen, Produktanbieter und Dienstleister bedeutet das: Wir brauchen teilbare Inhalte. Das ist für Produktmacher schon eine Herausforderung, für Dienstleisterinnen aber ungleich schwerer.
[18]Konsumentinnen brauchen von Werbern und Marketingleuten keine Fakten. Wenn sie Fakten wollen, holen sie sie sich selbst. Wir haben unbegrenzten Zugriff auf fast alle Fakten der Welt, wenn wir mit dem Internet umgehen können. Und wir wollen uns selbst informieren. Vor 20 Jahren ließen wir uns noch vom Fernsehen sagen, dass Ariel weißer wäscht – heute überprüfen wir persönlich, ob es das wirklich tut.
Unsere Welt wird durch die Informationsflut unübersichtlicher. Wir brauchen das, wonach Menschen sich seit jeher sehnen, wenn die Welt unübersichtlicher wird: Beziehungen. Bindung. Vertrauen.
Die großen Marken haben das natürlich längst erkannt. Wofür steht eine Marke? Passt sie zu mir, zu meinem Lebensstil? Was nützt sie (oder das Produkt, die Dienstleistung) mir? Was unterscheidet sie von anderen? Kann ich ihr vertrauen? Welche Werte stehen hinter einer Marke oder Firma, und: Sind sie echt? Beweisbar? Authentisch? Oder nur dahergeredetes Zeug?
All das wollen Kunden wissen. Und das vermittelt sich über Geschichten.
Wir sind auf zwei Arten auf Geschichten gepolt:
Erstens durch unsere Kindheit. Schon von klein auf bekommen wir durch Geschichten eine Anleitung, wie das Leben funktioniert. Sie sagen uns, dass wir nicht mit Fremden mitgehen sollen, wenn wir nicht im Bauch des Wolfes landen wollen; sie sagen uns, dass Drachen besiegt werden können und dass es sich lohnt, für etwas zu kämpfen.
Wir lernen aus Geschichten mehr als aus Anleitungen, Zahlen oder Fakten. Bei Kindern funktioniert das Erzählen so gut, weil sie sich schon die Sprache zu eigen gemacht haben, lange bevor sie die Schrift beherrschen. Wenn wir Geschichten erzählen – richtige Geschichten, nicht einfach nur daherreden – dann bedienen wir uns unbewusst verschiedener Techniken, die dem Gedächtnis unserer Zuhörerinnen auf die Sprünge helfen. Das kann man sogar messen: Wenn wir eine Geschichte hören, schüttet unser Gehirn Dopamin,[19] Serotonin und Oxytocin aus (Fisher 2011). Oxytocin sorgt für Wohlbefinden und Behaglichkeit. Ohne Dopamin und Serotonin könnte das Gehirn keine Informationen verarbeiten. Informationen, die mit Geschichten verknüpft sind, funktionieren also um einiges besser als Informationen, die einfach nur im Raum stehen. Übrigens: Alles drei sind sogenannte Glückshormone. Storytelling macht also, zu allem Überfluss, auch noch glücklich.
Der Begriff Storytelling, wie ich ihn hier verwende, bedeutet also nichts anderes als Geschichtenerzählen. In der modernen Wissensvermittlung, im Marketing und im Management wird der englische Begriff benutzt – wahrscheinlich, damit es weniger nach Omas Schaukelstuhl klingt. Eigentlich schade, finde ich. Wir haben damals auf Omas Schoß durch ihre Geschichten viel gelernt.
Psychologie und Neurologie sind nur der erste Grund für die Wirksamkeit von Geschichten. Der zweite ist geschichtlich: Geschichten wirken schon seit vielen tausend Jahren! Schon bevor es eine Schrift gab, haben Menschen sich durch Geschichten Wegweiser gegeben, Neuigkeiten erzählt und Ratschläge erteilt. Wo gibt es Mammutherden, wo lauern Säbelzahntiger?
Tatsächlich waren Gelehrte ursprünglich sogar skeptisch der Schrift gegenüber und befürchteten, sie könne der mündlichen Erzähltradition schaden. In Platons Dialog „Phaidros“ klagt Sokrates, dass die Schriftlichkeit gewisse Gefahren berge: „Denn dies Bedenkliche, Phaidros, haftet doch an der Schrift, und darin gleicht sie in Wahrheit der Malerei. Auch deren Werke stehen doch da wie lebendige, wenn du sie aber fragst, so schweigen sie stolz. […] wenn du sie aber fragst, um das Gesagte zu begreifen, so zeigen sie immer nur ein und dasselbe an. Jede Rede aber, wenn sie nur einmal geschrieben, treibt sich allerorts umher, gleicherweise bei denen, die sie verstehen, wie auch bei denen, für die sie nicht paßt […]“ Sokrates’ Einwände verhinderten nicht, dass sich die Schrift durchsetzte – doch mündliches Erzählen blieb wichtig. Die Evangelien der Bibel wurden[20] lange Zeit mündlich weitergegeben, bevor sie niedergeschrieben wurden.
Später verbreiteten Bänkelsänger Nachrichten; Geschichtenerzähler waren fester Bestandteil vieler Kulturen. Wir sind evolutionär darauf eingestellt, Geschichten zu glauben, ihrer Wegweisung zu folgen. Darum ist eine Geschichte, die uns zum Beispiel ein Produkt verkaufen will, ungleich stärker als jedes rationale Argument.
Wir lernen auch unser Sozialverhalten aus Geschichten. Wir lassen uns von Geschichten sagen, was wir tun sollen – wir lauschen dem wahren Kern der Geschichte und richten unser Handeln danach aus. Dabei ist es egal, ob die Geschichte von der Nachbarin am Gartenzaun erzählt wird, von einem großen Hollywoodfilm, ob es eine Geschichte im beruflichen Rahmen ist oder ob diese Geschichte etwas verkaufen soll.
Menschen brauchen Geschichten, um ihre eigenen Gedanken zu sortieren, um sich selbst in Zusammenhang mit ihrer Welt zu begreifen. Jeder Mensch, dem Du etwas erzählst, hat bereits seine eigene Geschichte. Wenn es Dir gelingt, eine Geschichte zu erzählen, die ihn packt, kannst Du die Art, wie er denkt, lenken. Damit beeinflusst Du aktiv sein Handeln.
Mias Geschichte ist anrührender – und einprägsamer – als ihre faktische Biografie, weil wir Teile daran erkennen oder verstehen. Wir erkennen uns selbst darin wieder, und Mia verbindet sich dadurch mit unserer Geschichte, mit unserem Leben.
Und wie muss eine gute Geschichte aufgebaut sein?
Jede Geschichte ist im Grunde eine Heldenreise, denn wer möchte nicht ein Held sein? Und diese Idee von der Heldenreise ist, genau wie die Idee des Geschichtenerzählens, schon ziemlich alt. Darum nennt man die Heldenreise auch eine archetypische Grundstruktur. Das heißt: Eine gute Geschichte folgt immer einem ähnlichen Muster oder Ablauf. Der irische Schriftsteller James Joyce (1882–1941) nannte das „Monomythos“. Der amerikanische Mythenforscher Joseph[21] Campbell erforschte die Heldenreise als Grundmuster von Mythologien und schrieb darüber in seinem 1949 erschienen Buch „The hero with a thousand faces“ (Campbell 2008). Drehbuchautor und Publizist Christopher Vogler, Autor und Produzent Blake Snyder und andere beschrieben die Heldenreise immer wieder nach diesem auf Campbell basierenden Schema. Das Schema ist immer ungefähr so:
Auch Deine Geschichte ist eine Heldengeschichte. Also frage Dich: Wo und wie beginnt die Geschichte? Und: Wer ist überhaupt der Held? Denn im Marketing-Storytelling ist der Held gemeinhin nicht die Marke oder die Unternehmerin – sondern der Kunde!
[22]Mias Geschichte rührt Dich nicht nur an, weil sie emotional ist – sondern auch, weil sie eine solche Heldenreise ist. Die Heldin ist natürlich Mia. Sie befindet sich in der ihr bekannten Welt des Sports, als plötzlich etwas Schreckliches passiert: die Sportverletzung. Jetzt folgen eine tiefe Krise und Jahre des Zweifelns. (Das ist mit Tod und Auferstehung gemeint: Es muss natürlich nicht wirklich jemand sterben). Hier siehst Du schon, dass der Kreis, wie ich ihn oben gezeichnet habe, mehrere Schleifen haben kann: Mia hat eine Krise am Anfang, aber es sieht ja danach aus, als steuere sie auf eine weitere Krise zu. Wenn die Theorie der Heldenreise stimmt, dann müsste ihr bald ein weiser Mentor oder Begleiter begegnen …
Nachdem Du jetzt also weißt, warum Mias Geschichte Dich mehr berührt als bloße Fakten, wollen wir schauen, wie es mit Mia weitergeht.
MIA HAT EIN PROBLEM
Zehn Jahre im Büro. Zehn Jahre Buchhaltung, Reiseplanung, Akten sortieren, Texte schreiben. Ich durfte die Firmenwebsite mit Inhalt füllen und entwickelte die Social-Media-Kommunikation für den mittelständischen Betrieb, in dem ich arbeitete. Es war … okay. Zehn Jahre geregelte Arbeitszeiten, Sicherheit, garantierter Urlaub. Zehn Jahre, in denen ich mich fragte, wie es sein würde, dies nun bis an mein Lebensende zu machen. Nein, mein Job war wirklich okay. Und bei der Vorstellung, dass ich das bis zur Rente tun würde, empfand ich brennende, verzehrende Langeweile. Dann kam diese Party. Ja, lustigerweise war es wieder eine Party, nach der sich zum zweiten Mal alles änderte.
„Mia!“ Ich hörte seine Stimme kaum über der lauten Musik. Eigentlich wollte ich auch nicht angesprochen werden. Ich stand am Rand der Tanzfläche, wippte mit den Fußspitzen und wartete, dass ein Song kam, der mich auf die[23] Tanzfläche zog. Der Typ, der meinen Namen gerufen hatte, tippte mich von der Seite an. Ein kurzer Blick. Woher wusste der, wie ich heiße? „Silvio. Silvio Grau“, stellte er sich vor. „Abi 1995? Weißt Du nicht mehr?“ Ich wusste tatsächlich nicht mehr. Na ja, wenn ich genau drüber nachdachte, erinnerte ich mich dunkel. Silvio. Einer von den Nerds. Ganz süß, Bücherwurm. Unscheinbar. „Hi, Silvio“, sagte ich mit mäßiger Begeisterung. „Wie geht’s Dir denn so?“ – „Wollte ich Dich gerade fragen. Du standest da und sahst traurig aus.“ Ich schnaubte und brachte ein Lächeln zustande. „Ich stand hier und überlegte, ob ich tanzen will“, entgegnete ich. Silvio kaufte mir das nicht ab, das sah ich seinem Blick an. Und plötzlich kaufte ich es mir selbst nicht mehr ab. „Gehen wir nach nebenan? Da ist es ruhiger.“ Er nickte. Und dann erzählte ich ihm von meinem sicheren, langweiligen Leben. Von meiner Sportverletzung und den Plänen, die damals mit meinem Bein zusammen kaputtgegangen waren. Er hörte zu und stellte ab und zu ein paar Fragen. Die entscheidende Frage kam zuletzt: „Und was unternimmst Du dagegen? Wenn Dich das alles so unglücklich macht? Was müsstest Du tun, um wirklich glücklich zu sein?“
Ja, was unternahm ich dagegen?
Am nächsten Morgen wachte ich wieder mit einem verendeten Nagetier im Mund auf. Diesmal allein. Das Gespräch mit meinem Spiegel verlief nicht besser als sonst. Mein Spiegelbild verhöhnte mich. Diesmal klang die Frage mit: „Was unternimmst Du dagegen? Was müsstest Du tun, um wirklich glücklich zu sein?“ Ein paar Tage lief ich damit herum. Immer wieder diese Frage im Hinterkopf. Dann rief ich Silvio an.
Einige Tage später standen wir auf meinem Balkon. Es regnete, die Menschen unter uns hasteten mit hochgeschlagenen Kragen vorbei. „Ich kann das nicht tun“, schluchzte ich. „Ich kann doch nicht einfach alles aufgeben, was ich mir aufgebaut habe.“ Silvio nickte langsam. „Das verstehe ich. Aber das, was Du Dir aufgebaut hast, macht Dich ja nicht froh, oder? Du wolltest doch Sportlerin sein.“ – „Ja, aber[24] das geht nun mal nicht!“, jammerte ich. Silvio zuckte mit den Schultern. „Ach, weißt Du. Als ich noch beim Fernsehen war, habe ich Geschichten über Menschen gedreht, die scheinbar Unmögliches geschafft haben. Eine fast Siebzigjährige, die einen Marathon gelaufen ist. Und einmal eine Reportage über Kinder, die im Sterben liegen. Ich sage Dir: Es geht immer viel mehr, als wir glauben. Der Unterschied ist nur, es einfach zu wagen.“
Vielleicht hatte er recht. Und Silvio konnte ich noch nicht einmal mit dem Argument kommen, er wisse ja nicht, wie das sei: Silvio hatte seinen gut bezahlten Job beim Fernsehen einfach geschmissen, weil ihm die Medienwelt auf die Nerven ging. Jetzt führte er ein Szenecafé in der Südstadt. Er wusste genau, was es heißt, alles hinzuschmeißen und ganz von vorne anzufangen. Also holte ich tief Luft, wischte mir – wieder einmal – die Tränen ab und sagte: „Okay. Lass uns mal hinsetzen und überlegen, was ich tun könnte. Hilfst Du mir?“
Zwei Wochen später hatte ich mich angemeldet, eine Ausbildung zur Fitnesstrainerin zu machen. Erst einmal neben der Arbeit. Ein halbes Jahr später schmiss ich den Bürojob. Ich trainierte nicht mehr nur vorsichtig, nach und nach. Seit einigen Jahren schwamm und lief ich wieder, und meine Achillessehne spielte mit. Jetzt erstellte ich mir selbst wieder Trainingspläne. Ich wollte keine Leistungssportlerin sein, sondern ich wollte fit genug sein, um andere trainieren zu können. Fit genug, um ein Beispiel sein zu können. Ich wollte beweisen, dass eine Verletzung kein Schiedsspruch ist, den man hinnehmen muss. Und dass Ärzte nicht immer das letzte Wort haben.
Ein paar Monate später hatte ich meine ersten Kunden als Trainerin. Nebenher machte ich weiter mit der Ausbildung – ich hatte zu meiner alten Disziplin zurückgefunden. Wieder fiel es mir leicht, tagsüber zu arbeiten und abends zu lernen. Der nächste Abschluss war der einer Physiotherapeutin. Weiterbildungen in systemischem Coaching, NLP und[25] Hypnotherapie folgten. Je weiter ich mich bildete, desto gefragter wurde ich. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt.
Und von diesem Punkt an schien plötzlich gar nichts mehr so leicht und wie von selbst zu funktionieren.
„Wachstumsschmerzen“, kommentierte Silvio lakonisch, als ich ihm von meinem Problem erzählte. Wir saßen bei unserem Lieblingsitaliener. Die Party war mittlerweile fünf Jahre her, und unsere wöchentlichen Treffen jeden Mittwochabend waren Tradition. Silvio war ein fester Bestandteil meines Lebens geworden – und meiner Karriere bis hierher. Unsere Mittwochabende waren uns beiden heilig. Wir tauschten uns aus, hörten zu und gaben Tipps. Coachten uns gegenseitig. Stellten kritische Fragen, ermutigten einander. Ohne ihn wäre ich nicht da hingekommen, wo ich mittlerweile war. Aber … wo ich mittlerweile war, war ein Engpass.
„Bisher sind alle meine Kundinnen und Kunden auf Empfehlung zu mir gekommen“, erzählte ich Silvio beim Kaffee.
„Empfehlungen sind doch super“, meinte er. „Ein besseres Marketing gibt es nicht. Hast Du Dein Empfehlungsmarketing schon systematisiert?“ – „Ja, eigentlich schon“, antwortete ich. „Ich habe nur das Gefühl, es reicht nicht. Letztens ist mir eine wichtige Kundin abgesprungen, die Schauspielerin: Sie hat die Chance, in Hollywood Fuß zu fassen und zieht nach Los Angeles. Ich habe das Gefühl, ich müsste mich mehr mit meinem Marketing befassen. Und ich habe außerdem das Gefühl, die nächste Generation steht in den Startlöchern, um mich zu überholen.“ Silvio lachte. „Süße, Du bist erst 39!“ – „Ja, das meine ich nicht. Ich meine das moderne Marketing, das sie betreiben. Twitter, Instagram, YouTube, Facebook. Der ganze Social-Media-Kram. Ich weiß nicht, ob ich sowas brauche. Und wenn ja, weiß ich nicht, wie ich’s anfangen sollte.“ Silvio lehnte sich zurück und dachte nach. „Zu Social Media könnte ich Dir schon ein bisschen weiterhelfen.“ Das wusste ich. Das Café, das Silvio zusammen mit seinem Mann Carsten betrieb, hatte etliche tausend Facebook-Fans, und Silvio pflegte die Seite selbst.[26] Er machte Open Stages, hatte Musiker dort zu Gast – der Laden lief.
„Ich weiß nicht, Silvio. Ein Café ist doch was anderes als Personal Training.“ Er lächelte, nickte, schüttelte dann gleich den Kopf. „Weißt Du … im Grunde geht es immer nur darum, Geschichten zu erzählen. Und bei Personal Training noch mehr als bei einem Café. Beim Café bin nicht ich das Erfolgsrezept, sondern die Atmosphäre, das Team, das Angebot … viele Faktoren. Wenn Du Menschen trainierst oder behandelst, dann geht es vor allen Dingen um eines.“ Er machte eine Kunstpause. „Und worum?“, fragte ich. „Na – um Dich. Wenn Du als Expertin, als Coach, Trainer oder dergleichen mit Menschen arbeitest, buchen sie immer zuallererst Dich. Und dafür müssen sie Dich kennenlernen. Und dafür wiederum sind die sozialen Medien eine ziemlich gute Plattform. Vor allem, wenn Du Videos verwendest.“ – „Videos?“ Ich zog erschreckt die Augenbrauen hoch. „Bist Du jeck? Ich bin doch keine Schauspielerin!“ Silvio grinste und leerte den Rest seines Ingwertees. „Keine Sorge, Süße. Musst Du auch gar nicht sein.“ – „Videos!“, echauffierte ich mich. „Ich seh’ doch schon auf Fotos immer total bescheuert aus!“
Videos – das wirksamste Storytelling-Tool
Mia ist also am Punkt der Erkenntnis und beginnt ihren aufregenden Weg hin zur Transformation. Genau wie Du. Du willst also Geschichten – echte Geschichten – nutzen, um Deine Botschaft an Deine Kundinnen zu bringen. Das mit dem Storytelling hast Du begriffen. Warum aber brauchst Du Videos? Darum geht es in diesem Kapitel.
Das Gehirn verarbeitet Bilder 60 Mal schneller als Wörter, und Geschichten sind erzählte Bilder. Noch besser natürlich sind echte Bilder. Bewegte Bilder, die Geschichten erzählen.
[27]Was verbindest Du mit so richtig beeindruckender Werbung? Wenn ich Dich nach Werbung frage, die Dir in Erinnerung geblieben ist, Dich berührt hat: Welche fällt Dir ein?
Wenn ich diese Frage in Workshops stelle, erhalte ich als Antwort fast immer Werbespots: auf YouTube, Fernseh- oder Kinowerbung. Weil Bewegtbilder uns mehr berühren als unbewegte. Weil nichts die fünf Sinne so sehr berührt wie das bewegte Bild, kombiniert mit Ton und Musik. Gleichzeitig ist Fernseh- oder Kinowerbung natürlich sehr aufwändig – für viele „kleine Fische“ unbezahlbar. Fast alle Teilnehmer meiner Workshops sind Mittelständler, Kleinunternehmerinnen oder Einzelkämpfer. Alle sind Expertinnen auf ihrem Gebiet, viele sind Trainer, Coaches oder Speakerinnen. Fünfstellige Summen für einen Imagefilm können sie nicht stemmen.
Genau hier kommt Videokommunikation ins Spiel. Ohne dass wir es gemerkt hätten, haben die YouTuber das Fernsehen überholt. Bekannte YouTuber haben mehrere Millionen Abonnenten – während das Fernsehen Einschaltquoten in Hunderttausendern rechnet.
In der Zeit des Web 2.0 hast Du erkannt: Du brauchst Videos, um Deine Kunden zu erreichen. Du hast eine Vision, eine Botschaft, die Du Deinen Kundinnen mitgeben willst. Sie sind aufgeklärt und informiert. Sie wollen keine polierten Imagefilme sehen, sondern Authentizität und ehrliche Kommunikation. Das gilt besonders für Beraterinnen und Coaches. Der Nasenfaktor ist entscheidend. Und dazu wollen die Kunden die Nase sehen, Deine Stimme hören. Sie wollen keine Werbeslogans, sie wollen Dich hören und sehen, wie Du wirklich bist.
In den USA ist der Trend der Videokommunikation wie immer schon längst angekommen. Einige der ganz Großen auf dem Gebiet Training und Coaching nutzen fast ausschließlich dieses Tool für ihre Marketingkommunikation.
Schau Dir mal Videos von Tony Robbins, Brendon Burchard oder Vrinda Normand an. Am Ende des Buches findest du eine Liste mit Links zu ihren YouTube-Kanälen.[28] Dort kannst Du sehen, wie Videokommunikation mit einer Botschaft funktioniert. Obwohl alle drei sicherlich genügend Geld hätten für glatte Imagefilme (und tatsächlich hat Tony vor zehn Jahren auch noch solche produziert), haben sie sich für Videokommunikation entschieden: Sie selbst stehen vor der Kamera und erzählen ihre Geschichten. Technisch unaufwändig, ohne Schnickschnack und fast ohne Schnitt. Es geht nicht mehr um schnelle Bilder und Kawumm. Es geht um zwischenmenschliche Kommunikation.
Genau wie Tony, Brendon oder Vrinda kannst Du Dich als Expertin, Coach, Trainerin oder Berater vor die Kamera stellen. Und genau wie diese brauchst Du Unterstützung. Nicht viel: kein Kamerateam, keinen Regisseur. Aber ein paar grundlegende Dinge willst Du doch wissen. Denn ein Scharlatan, der sich selbst mit der Webcam am Rechner filmt, mit grauem Bild und rauschendem Ton, das bist Du auch nicht, oder? Authentisch heißt reduziert, echt – aber nicht stümperhaft.
Gerade im Web ist Deine persönliche Ansprache an die Kunden gefragt. Immer öfter finden wir einfache Werbebotschaften mit Gesichtern. Der Kunde 2.0 will Authentizität – und die muss nicht viel kosten.
Dieses Buch ist auf solche einfachen Werbebotschaften ausgelegt: Dein Gesicht vor der Kamera. Deine Botschaft. Natürlich kannst Du das Gelernte auch auf Kunden-Testimonials anwenden, also jemand anderes vor die Kamera stellen, der etwas über Dich, Deine Dienstleistung, Deine Firma erzählt. Du lernst aber nicht, Filme zu drehen – denn das solltest Du wirklich den Profis überlassen. Wenn Du Testimonials von Kunden aufnehmen oder selbst eine Botschaft unter die Leute bringen willst, wenn Du vloggen (Vlog ist die Kurzform für Video-Blog im Internet), Lehrvideos online stellen willst, dann kannst Du hier grundlegende Dinge lernen. Im ersten Teil sprechen wir über die Technik. Danach wird es im zweiten Teil um Bildgestaltung, Licht und Einstellungen gehen. Und im dritten Teil reden wir vornehmlich über Dich – und darüber, wie Du vor der Kamera wirkst.[29] Denn das visuelle Zeitalter bedeutet nicht, dass Deine Kunden irgendetwas oder irgendjemanden sehen wollen. Sie wollen Dich sehen. Und jetzt lernst Du, wie Dir das gelingt.
SPIELEREIEN
Ich war früher immer die, die auf dem Klassenfoto eine Grimasse schnitt. Oder die Augen zuhatte. Auf Mannschaftsfotos des Sportvereins sah ich aus wie dazugestellt: Ich passte da nicht hin und wollte da auch nicht sein. Und jetzt fand Silvio, ich sollte Videos drehen. Meine Güte. Am liebsten hätte ich einfach ein Veto eingelegt. Schließlich konnte ich mich mit dem Thema soziale Medien auch ohne Videos befassen. Aber Silvio und ich hatten schon seit einigen Jahren eine Abmachung. Die Raus-aus-der-Komfortzone-Abmachung.
Sie basierte auf einem Bild, das Silvio auf Facebook fand und mir schickte. Nachdem ich damals, heulend auf dem Balkon, meine Angst besiegt hatte, hatte ich ihm das versprochen: niemals Dinge unversucht zu lassen, weil sie unangenehm oder fremd erscheinen. Ich versprach ihm, dass ich mich allein von meinem Unwohlsein oder meiner Angst nicht mehr würde abhalten lassen, etwas auszuprobieren. Silvio zog also den Komfortzonen-Joker – und ich versprach, es mit Videos zu versuchen.
Erst einmal recherchierte ich im Internet und musste gestehen, dass Videokommunikation tatsächlich ein ziemlich großes Ding war. Da standen also Leute vor einer Kamera[30] und redeten. Mit ihren Kunden. Bei manchen sah das sehr professionell aus. Bei anderen wackelte das Bild, sie hielten sich eine Handykamera vors Gesicht und erzählten fröhlich drauflos. Und ich musste gestehen: Bei einigen wirkte das tatsächlich gar nicht mal übel, das mit der Handykamera. Es wirkte … irgendwie echt. Sympathisch. Okay – bei anderen sah es tatsächlich eher stümperhaft aus.
Ich nahm mein Handy zur Hand und schaltete die Kamera ein. Durchs Display sah ich meinen Schreibtisch. Umschalten auf vordere Kamera. Jetzt konnte ich mich selbst sehen. Puh – ich fand ja schon Selfies immer nur lustig, wenn ich leicht angetrunken mit Freundinnen feiern war und wir alberne Gruppenselfies machten. Probeweise schnitt ich eine Grimasse und schoss ein Foto. Dann schaltete ich auf Video um.
„Hallo“, erzählte ich mir selbst. „Mein Name ist Mia und ich will Videos machen. Also … vielleicht. Also … eigentlich … nicht.“ Ich musste lachen und schaltete aus. Dann wieder ein. „Hallo. Mein Name ist Mia. Ich soll Videos machen. Und dabei krastiniere ich jetzt so lange, bis ich ’n echter Pro geworden bin.“ Wieder Lachen. Ich schaute mir beide Videos auf dem Handy an und lachte noch mehr. „Hallo“, erzählte ich meinem Handy. „Mein Name ist Mia, und so wird das nichts mit den Videos.“
Dann schob ich das Handy beiseite. Vielleicht brauchte ich eine anständige Kamera? Mikros und sowas? Ich weckte meinen Rechner aus dem Mittagsschlaf und begann, nach Kameratechnik zu suchen.