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Оглавление[10][11]I. Macht als Kommunikationsmedium
Die Theorie der Kommunikationsmedien bietet als Grundlage der Machttheorie den Vorteil, die Möglichkeit eines Vergleichs der Macht mit andersartigen Kommunikationsmedien an Hand identisch gehaltener Fragestellungen zu eröffnen – eines Vergleichs zum Beispiel mit Wahrheit oder mit Geld. Diese Fragestellungen dienen also nicht nur der Klärung des Phänomens Macht, sondern zugleich einem breiter orientierten Vergleichsinteresse und dem Austausch theoretischer Anregungen aus verschiedenen Medienbereichen. Die Machttheorie zieht daraus neben solchen Anregungen den Nutzen eines Überblicks über Formen des Einflusses, die außerhalb eines eingegrenzten Konzepts der Macht behandelt werden. Das ermöglicht es, eine oft zu beobachtende Überfrachtung des Machtbegriffs mit Merkmalen eines sehr breit und unbestimmt gefaßten Einflußprozesses zu vermeiden4.
Um einzuleiten, sind daher einige kursorische Bemerkungen zur Theorie der Kommunikationsmedien erforderlich5.
1. In ihren aus dem 19. Jahrhundert überlieferten Hauptbestandsteilen ist die Gesellschaftstheorie einerseits Theorie der sozialen Differenzierung nach Schichtung und nach funktionalen Subsystemen und andererseits Theorie der sozio-kulturellen Evolution. Beide Ausgangspunkte haben sich verbunden in der These, daß die sozio-kulturelle Evolution auf zunehmende Differenzierung hinauslaufe. In diesem Bezugsrahmen blieben Fragen der Kommunikation und Fragen der Motivation zur Annahme und Befolgung von Kommunikationen unterbelichtet. Sie wurden teils als bloß psychologische Tatbestände gesehen und den Individuen zugerechnet, so daß man sie bei einer makrosoziologischen Betrachtungsweise übergehen konnte; teils wurden sie unter Sonderbegriffe wie Konsens, Legitimität, informale Organisation, Massenkommunikation und Ähnliches gebracht. Beide Problembehandlungen führten auf Konzepte geringeren Ranges und geringerer [12]Reichweite im Vergleich zu den Begriffen Differenzierung und Evolution. Fragen der Kommunikation und der Motivation waren so aus der Gesellschaftstheorie zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber sie waren nicht ebenbürtig mit den Hauptbegriffen. Dagegen konnte man dann im Namen eines vermeintlich humanen Interesses auftreten und die verlorene Menschlichkeit einklagen, ohne damit mehr zu erreichen als einen nicht niveaugerecht artikulierten Proteste6.
Der Versuch, eine allgemeine Theorie symbolisch generalisierter Kommunikation zu formulieren und sie mit dem Konzept der Gesellschaftsdifferenzierung sowie mit Aussagen über Mechanismen und Phasen der sozio-kulturellen Evolution zu verknüpfen, zielt darauf ab, diesen Mangel zu beheben. Dabei soll ein Rückgriff auf das »Subjekt« im Sinne der Transzendentalphilosophie ebenso vermieden werden wie der Anspruch, das organisch-psychisch konkretisierte Individuum zu behandeln. Der eine Ausweg wäre zu abstrakt, der andere zu konkret für soziologische Theorie7. Statt dessen gehen wir von der Grundannahme aus, daß soziale Systeme sich überhaupt erst durch Kommunikation bilden, also immer schon voraussetzen, daß mehrfache Selektionsprozesse einander antizipativ oder reaktiv bestimmen. Erst aus den Notwendigkeiten selektiver Akkordierung entstehen soziale Systeme, so wie andererseits solche Notwendigkeiten erst in sozialen Systemen erfahren werden. Die Bedingungen der Möglichkeit dieses Zusammenhanges sind Resultat der Evolution und ändern sich mit ihr. So wie Evolution die zeitliche und Differenzierung die sachliche, artikuliert Kommunikation die soziale Sinnhaftigkeit des Gesellschaftssystems.
Kommunikation kommt nur zustande, wenn man die Selektivität einer Mitteilung verstehen und das heißt: zur Selektion eines eigenen Systemzustandes verwenden kann8. Das impliziert Kontingenz auf beiden Seiten, also auch Möglichkeiten der Ablehnung von kommunikativ übermittelten Selektionsofferten. Diese Möglichkeiten der Zurückweisung können als Möglichkeiten nicht eliminiert werden. Eine Rückkommunikation von Ablehnung [13]und die Thematisierung der Ablehnung in sozialen Systemen ist Konflikt. Alle sozialen Systeme sind potentiell Konflikte; nur das Ausmaß der Aktualisierung dieses Konfliktpotentials variiert mit dem Ausmaß der Systemdifferenzierung und mit der gesellschaftlichen Evolution.
Bei diesen Konstitutionsbedingungen kann die Wahl zwischen Ja und Nein nicht allein durch die Sprache gesteuert werden, denn diese gewährt ja gerade beide Möglichkeiten; noch kann sie dem Zufall überlassen bleiben. Es gibt deshalb in jeder Gesellschaft Zusatzeinrichtungen zur Sprache, die in erforderlichem Umfange die Übertragung von Selektionsleistungen sicherstellen. Der Bedarf dafür steigt und die Form dieser Einrichtungen ändert sich mit der Evolution des Gesellschaftssystems. In einfachen Gesellschaften wird diese Funktion im wesentlichen durch lebensweltlichgemeinsame »Realitätskonstruktionen« erfüllt, die den Kommunikationsprozessen als Selbstverständlichkeiten zu Grunde liegen9. Die Sprache dient in hohem Maße der Vergewisserung solcher Selbstverständlichkeiten, ihre Informations- und Negationspotentiale werden nicht ausgeschöpft10. Erst in fortgeschritteneren Gesellschaften entwickelt sich ein Bedarf für eine funktionale Differenzierung des Sprach-Codes im allgemeinen und besonderer symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien wie Macht oder Wahrheit, die speziell die Motivation zur Annahme von Selektionsofferten konditionieren und regulieren. Durch diese Differenzierung können Konflikts- und Konsenspotentiale in der Gesellschaft miteinander gesteigert werden. Die evolutionären Mechanismen der Variation und der Selektion brauchbarer, sozial erfolgreicher, übertragbarer Selektionen treten auseinander, und das beschleunigt die soziokulturelle Evolution, da jetzt aus mehr Möglichkeiten unter spezifischeren Gesichtspunkten gewählt werden kann.
Historischer Anlaß für die Entwicklung besonders symbolisierter Kommunikationsmedien scheint die Erfindung und Verbreitung der Schrift gewesen zu sein, die das Kommunikationspotential der Gesellschaft über die Interaktion unter Anwesenden hinaus [14]immens erweitert und es damit der Kontrolle durch konkrete Interaktionssysteme entzogen hatte11. Ohne Schrift läßt sich der Aufbau komplexer Machtketten in politisch-administrativen Bürokratien nicht durchführen, geschweige denn eine demokratische Kontrolle politischer Macht. Ostrazismus setzt Schrift voraus. Das Gleiche gilt für die diskursive Entwicklung und Fortschreibung komplexerer Wahrheitszusammenhänge12. Die Sortierfunktion eines logisch schematisierten Wahrheits-Codes wird erst benötigt, wenn schriftlich formuliertes Gedankengut vorliegt. Aber auch die moralische Generalisierung eines Sonder-Codes für Freundschaft/ Liebe (philía, amicitia) in der griechischen Polis ist eine Reaktion auf städtische Schriftkultur, eine Kompensation für eine nicht mehr vorauszusetzende Interaktionsdichte der Nahestehenden (philói). Erst recht ist diese Schriftabhängigkeit beim Geld-Code evident. Erst die Zweit-Codierung der Sprache durch Schrift löst den gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß so stark aus den Bindungen an soziale Situationen und an Selbstverständlichkeiten heraus, daß für Motivation zur Annahme von Kommunikationen derartige Spezial-Codes geschaffen werden müssen, die zugleich auch konditionieren, was erfolgreich behauptet und beansprucht werden kann.
2. Unter Kommunikationsmedien soll nach all dem verstanden werden eine Zusatzeinrichtung zur Sprache, nämlich ein Code generalisierter Symbole, der die Übertragung von Selektionsleistungen steuert. Zusätzlich zur Sprache, die im Normalfall die intersubjektive Verständlichkeit, das heißt das Erkennen der Selektion des je anderen als Selektion gewährleistet, haben Kommunikationsmedien mithin auch eine Motivationsfunktion, indem sie die Annahme fremder Selektionsleistungen nahelegen und für den Normalfall erwartbar machen. Kommunikationsmedien können sich demnach immer dann bilden, wenn die Selektionsweise des einen Partners zugleich als Motivationsstruktur des anderen dient. Die Symbole dieses Zusammenhangs von Selektion und Motivation übernehmen dann die Funktion einer Vermittlung [15]und machen den Zusammenhang beider Seiten deutlich, so daß er als antizipierbarer Zusammenhang die Selektivität verstärken und zusätzlich motivieren kann.
Dieses Konzept hat eine Reihe von Voraussetzungen und Implikationen, die auch für die Machttheorie gelten und sie in eine bestimmte Richtung lenken.
Die erste und wichtigste Voraussetzung ist, daß mediengesteuerte Kommunikationsprozesse Partner verbinden, die beide eigene Selektionsleistungen vollziehen und dies vom jeweils anderen wissen13. Wir werden von Alter und Ego sprechen. Alle Kommunikationsmedien setzen soziale Situationen mit Wahlmöglichkeiten auf beiden Seiten, also Situationen mit doppelkontingenter Selektivität voraus. Genau das gibt ihnen ihre Funktion, Prozesse der Übertragung von Selektionen in ihrer Selektivität von Alter auf Ego zu steuern. Insofern ist das Ausgangsproblem bei allen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien identisch; für Macht gilt insofern nichts anderes als für Liebe oder für Wahrheit. In jedem Falle bezieht sich die einflußnehmende Kommunikation auf einen Partner, der in seinen Selektionen dirigiert werden soll14.
Übertragung von Selektionsleistungen heißt demnach genau genommen: Reproduktion von Selektionsleistungen unter vereinfachten, von Ausgangskonstellationen abstrahierenden Bedingungen. Für diese Vereinfachung und Abstraktion braucht man Symbole, die den konkreten Anfang, den Ausgangskontext der Selektionskette, ersetzen. Dafür entwickeln Kommunikationsmedien symbolisch generalisierte Codes für gemeinsame Orientierung. Jede weitere Phase des Prozesses bleibt gleichwohl selbst Selektion. Kommunikationsmedien kombinieren mithin Gemeinsamkeit der Orientierungen und Nichtidentität der Selektionen. Auch Macht fungiert als Kommunikationsmedium nur unter dieser Grundbedingung15. Sie ordnet soziale Situationen mit doppelter Selektivität. Also muß die Selektivität von Alter und die von Ego unterschieden werden, denn in bezug auf sie stellen sich gerade im Falle der Macht ganz verschiedene Probleme.
[16]Eine fundamentale Voraussetzung aller Macht ist demnach, daß in bezug auf die Selektion des Machthabers Alter Unsicherheit besteht16. Alter verfügt, aus welchen Gründen immer, über mehr als eine Alternative. Er kann bei seinem Partner in bezug auf die Ausübung seiner Wahl Unsicherheit erzeugen und beseitigen. Diese Umleitung über Produktion und Reduktion von Unsicherheit ist Machtvoraussetzung schlechthin, ist Bedingung eines Spielraums für Generalisierung und Spezifikation eines besonderen Kommunikationsmediums – und nicht etwa eine besondere Machtquelle unter anderen.
Auch auf Seiten des machtbetroffenen Ego setzt Macht Offenheit für andere Möglichkeiten des Handelns voraus. Macht erbringt ihre Übertragungsleistung dadurch, daß sie die Selektion von Handlungen (oder Unterlassungen) angesichts anderer Möglichkeiten zu beeinflussen vermag. Sie ist größere Macht, wenn sie sich auch gegenüber attraktiven Alternativen des Handelns oder Unterlassens durchzusetzen vermag. Und sie ist steigerbar nur zusammen mit einer Steigerung der Freiheiten auf Seiten Machtunterworfener.
Macht ist daher zu unterscheiden von dem Zwang, etwas konkret genau Bestimmtes zu tun. Die Wahlmöglichkeiten des Gezwungenen werden auf Null reduziert. Im Grenzfall läuft Zwang auf Anwendung physischer Gewalt hinaus und damit auf Substitution eigenen Handelns für unerreichbares Handeln anderer17. Macht verliert ihre Funktion, doppelte Kontingenz zu überbrükken, in dem Maße, als sie sich dem Charakter von Zwang annähert. Zwang bedeutet Verzicht auf die Vorteile symbolischer Generalisierung und Verzicht darauf, die Selektivität des Partners zu steuern. In dem Maße, als Zwang ausgeübt wird – wir können für viele Fälle auch sagen: mangels Macht Zwang ausgeübt werden muß –, muß derjenige, der den Zwang ausübt, die Selektions- und Entscheidungslast selbst übernehmen; die Reduktion der Komplexität wird nicht verteilt, sondern geht auf ihn über. Ob dies sinnvoll ist, hängt davon ab, wie komplex und veränderlich die Situationen sind, in denen über Handeln entschieden werden muß.
[17]Nur in sehr einfachen Systemen ist die Anwendung von Zwang selbst zentralisierbar. Komplexere Systeme können nur die Entscheidungen (oder gar nur Entscheidungen über Entscheidungsprämissen von Entscheidungen) über die Anwendung von Zwang zentralisieren. Das bedeutet, daß sie Macht bilden müssen, um Zwang zu ermöglichen. Der von Max Weber eingeführte Begriff des »Erzwingungsstabes« bezeichnet diesen Sachverhalt.
Schon diese einfachen Ausgangsüberlegungen zeigen, daß eine genauere Bestimmung, Operationalisierung und Messung konkreter Machtbeziehungen ein außerordentlich kompliziertes Unterfangen wird. Es müßte auf beiden Seiten (bei Kettenbildung: für alle Beteiligte) ein mehrdimensionales Maß für die Komplexität der Möglichkeiten zu Grunde gelegt werden, aus denen sie ein Handeln auswählen können18. Die Macht des Machthabers ist größer, wenn er mehr und verschiedenartigere Entscheidungen zu machtmäßiger Durchsetzung auswählen kann; und sie ist außerdem größer, wenn er dies gegenüber einem Partner tun kann, der seinerseits mehr und verschiedenartigere Alternativen besitzt. Macht steigt mit Freiheiten auf beiden Seiten, steigt zum Beispiel in einer Gesellschaft in dem Maße, als sie Alternativen erzeugt.
Damit sind nicht nur wissenschaftliche und methodische Probleme bezeichnet19. Vielmehr folgt aus dieser Komplikation für die Gesellschaft selbst, daß sie Substitute für einen genauen Vergleich von Machtlagen entwickeln muß, und daß diese Substitute selbst zum Machtfaktor werden. Als Substitute dienen einmal Hierarchien, die eine asymmetrische Machtverteilung postulieren. Man nimmt an, daß ein Vorgesetzter mehr Macht hat als ein Untergebener (obwohl in bürokratischen Organisationen das Gegenteil normal sein dürfte)20. Ein anderes Substitut liegt in der Systemgeschichte: in Fällen erfolgreicher Durchsetzung in Konfliktslagen, die erinnert, normalisiert, als Erwartungen generalisiert werden. Mit dieser Funktion als Vergleichsgrundlage hängt die symbolische Brisanz von Statusfragen und von Einzelereignissen zusammen, die die wirkliche Machtlage zu deutlich beleuchten. Drittens liegen wichtige Substitutionsmöglichkeiten in vertragsartigen [18]Regelungen, mit denen ein übermächtiger Partner sich mit denen arrangiert, die sich zurückziehen oder illoyal sein könnten21. In all diesen Fällen wird der direkte kommunikative Rekurs auf Macht ersetzt durch Bezugnahme auf Symbole, die beide Seiten normativ verpflichten und zugleich dem unterstellten Machtgefälle Rechnung tragen.
Dies alles sind funktionale Äquivalente für Machtmessung und für Machttests als Entscheidungsvoraussetzungen in der gesellschaftlichen Realität. Die institutionelle Verankerung und Gebrauchsfähigkeit solcher Substitute macht exakte Feststellungen unnötig, ja sogar jeden Ansatz dazu problematisch. Dies hat zur Folge, daß die Wissenschaft, gelänge ihr eine Messung von Macht, die soziale Wirklichkeit verändern, nämlich Substitute zerstören, als falsche Annahmen entlarven würde. Eher liegt es allerdings im Bereich des Wahrscheinlichen, daß sie eigene Substitute für Machtmessung entwickeln wird, die in anderen Bereichen der Gesellschaft als lediglich wissenschaftliches Gedankengut behandelt werden.
3. Die Funktion eines Kommunikationsmediums liegt in der Übertragung reduzierter Komplexität. Die Selektion Alters schränkt dadurch, daß sie unter bestimmten, näher anzugebenden Bedingungen kommuniziert wird, die Selektionsmöglichkeiten Egos ein. Von allgemeinen Interferenzen und wechselseitigen Behinderungen – Alter hört Radio und Ego kann deshalb nicht einschlafen – heben Abhängigkeiten, die über Kommunikationsmedien laufen, sich dadurch ab, daß sie einen Prozeß der Kommunikation voraussetzen, der durch Symbole konditioniert werden kann. Sie sind dadurch kulturell formbar, evolutionär veränderbar und mit einer größeren Zahl von Systemzuständen kompatibel.
Auch im Falle von Macht interessiert primär diese Übertragung von Selektionsleistungen und nicht etwa das konkrete Bewirken bestimmter Wirkungen. Macht liegt keineswegs nur in dem Grenzfalle vor, in dem Alter das Handeln Egos konkret festlegt – ihn etwa bestimmt, eine angegebene Schraube so fest [19]wie möglich anzuziehen. Typischer ist es und ausreichend, Macht wie jedes andere Kommunikationsmedium als Beschränkung des Selektionsspielraums des Partners zu sehen22. Die theorieleitende Kausalvorstellung23 darf nicht negiert, sie muß aber abstrahiert werden; sie bezeichnet nicht eine invariante Verknüpfung konkreter Weltzustände – Machtäußerungen und Verhalten – und beschränkt die Wirksamkeit von Macht auch nicht auf den Fall, daß das Verhalten Egos ohne die machtgetragene Kommunikation Alters anders abgelaufen wäre24. Dabei würde nämlich zu Unrecht vorausgesetzt werden, daß ein fertiger Willensentschluß, der dann gebrochen wird, immer schon vorliegt (und empirisch feststellbar ist). Faktisch macht jedoch die Existenz eines Machtgefälles und einer antizipierbaren Machtentscheidung es für den Unterworfenen gerade sinnlos, überhaupt einen Willen zu bilden. Und gerade darin besteht die Funktion von Macht: Sie stellt mögliche Wirkungsketten sicher unabhängig vom Willen des machtunterworfenen Handelnden – ob er will oder nicht. Die Kausalität der Macht besteht in der Neutralisierung des Willens, nicht unbedingt in der Brechung des Willens des Unterworfenen. Sie betrifft diesen auch und gerade dann, wenn er gleichsinnig handeln wollte und dann erfährt: er muß ohnehin. Die Funktion der Macht liegt in der Regulierung von Kontingenz. Wie jeder andere Medien-Code bezieht sich auch der Macht-Code auf eine mögliche (!) – nicht notwendig auf eine wirkliche – Diskrepanz der Selektionsleistungen von Alter und Ego, indem er sie »egalisiert«.
Die Macht des Machthabers ist demnach als Ursache und selbst als potentielle Ursache nicht ausreichend beschrieben. Eher läßt sie sich mit der komplexen Funktion eines Katalysators vergleichen. Katalysatoren beschleunigen (bzw. verlangsamen) den Eintritt von Ereignissen; sie verändern, ohne sich selbst dabei zu ändern, die Eintrittsrate bzw. Wahrscheinlichkeit, die bei zufälligen Beziehungen zwischen System und Umwelt zu erwarten wäre. Sie produzieren letztlich also Zeitgewinn – einen für den Aufbau komplexer Systeme immer kritischen Faktor. Dabei sind sie, und das werden wir in Anlehnung an Kant auch mit dem Begriff des [20]Schematismus ausdrücken, allgemeiner als ihr jeweiliges Produkt; sie verändern sich in der Katalyse nicht oder nicht in gleichem Maße, wie der beschleunigte (bzw. verlangsamte) Prozeß Wirkungen erzeugt oder verhindert.
Wenn man sich bewußt bleibt, daß damit eine reale Struktur (und nicht nur: eine analytische Zusammenfassung) gemeint ist25, kann man somit formulieren, daß Macht eine Chance ist, die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens unwahrscheinlicher Selektionszusammenhänge zu steigern26. Realen Wahrscheinlichkeiten wohnt eine Tendenz zur Selbstverstärkung inne: Wenn man weiß, daß etwas wahrscheinlich ist, rechnet man lieber mit dem Eintritt als mit dem Nichteintritt des Ereignisses, und je höher die Relevanz, desto niedriger die Schwelle, die einen solchen Prozeß ins Rollen bringt. Das Entsprechende gilt aber, wie jeder Autofahrer weiß, auch für Unwahrscheinlichkeiten. Es bedarf also jeweils einer Vorentscheidung, ob ein ungewisses Ereignis für (sehr/ziemlich/wenig) wahrscheinlich oder für (wenig/ziemlich/sehr) unwahrscheinlich angesehen wird. Dabei können rein psychologische Gesetzmäßigkeiten eine Rolle spielen27. Darüber hinaus werden soziale Situationsdefinitionen einwirken und die Wahrnehmung des Wahrscheinlichen bzw. Unwahrscheinlichen beeinflussen. Und diese Situationsdefinitionen können ihrerseits durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien modalisiert sein.
Die katalytische Funktion der Macht beruht nach all dem ihrerseits bereits auf sehr komplexen Kausalzusammenhängen. Eben deshalb ist Macht nur als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium zu begreifen. Durch Abstraktion in Richtung auf symbolisch kontrollierte Selektionszusammenhänge wird zugleich erreicht, daß die Macht nicht als abhängig gesehen wird von einer unmittelbar handelnden Einwirkung des Machthabers auf den Machtunterworfenen28. Vorausgesetzt ist nur Kommunikation überhaupt, also daß der Machtunterworfene auf welchen Umwegen immer von der Selektivität (nicht nur von der Existenz!)29 vergangener oder künftiger Machthandlungen des Machthabers [21]erfährt. Es ist geradezu eine Funktion der Generalisierung des Kommunikationsmediums Macht, solche Umwege zu ermöglichen, ohne damit die Identifizierbarkeit des Macht-Code und der Kommunikationsthemen aufzuheben.
4. Für alle Kommunikationsmedien ist typisch, daß ihrer Ausdifferenzierung eine besondere Interaktionskonstellation und in deren Rahmen eine spezifische Problemstellung zu Grunde liegt. Kommunikationsmedien heben sich nur dort aus den Selbstverständlichkeiten gemeinsamer Lebensführung heraus, wo Einfluß kontingent und dadurch zunächst einmal eher unwahrscheinlich ist. Nur wenn und soweit Güter knapp sind, wird der handelnde Zugriff des einen zum Problem für andere, und diese Situation wird dann durch ein Kommunikationsmedium geregelt, das die Handlungsselektion des einen in das Miterleben anderer überführt und dort akzeptierbar macht30. Im Horizont von Knappheit wird Einfluß in einer ganz besonderen Weise prekär, so daß sich an Hand dieser Sondersituation ein spezifisch generalisiertes Kommunikationsmedium bilden kann, das die Übertragung reduzierter Komplexität für diesen Fall, aber nicht für andere ermöglicht. Nicht anders entsteht Wahrheit. Auch hier muß es im Rahmen allgemeiner lebensweltlicher Selbstverständlichkeiten und Glaubwürdigkeiten zunächst zu einer gewissen Unwahrscheinlichkeit der Information kommen, bevor Prüfkriterien in Funktion treten und ein besonderer Code sich herausbilden kann, der die Feststellung von Wahrheiten und Unwahrheiten reguliert. Wahrheit ist überwundener Zweifel. Ihr Auslöser kann die schlichte Enttäuschung kognitiver Erwartungen sein, aber auch ein verschärft abstrahiertes Auflösungsvermögen kognitiver Instrumente.
Auch zur Ausbildung des Kommunikationsmediums der Macht ist ein solcher focus, ein Durchgang durch gesteigerte Kontingenz erforderlich. Nicht jede Ausführung einer zugemuteten Handlung wird problematisch. Man läßt nicht fallen, was einem gegeben wird, sondern nimmt es an, hält es fest usw. Aber in Sonderfällen, wenn der Zumuter sich sozusagen aufs Zumuten [22]beschränkt und sein eigenes Handeln darauf spezialisiert, das Handeln anderer vorzuschreiben, trägt der konkrete Kontext die Selektionsübertragung nicht mehr. Mit der Kontingenz der Selektion steigt auch die Verlockung zur Negation. Dann kommt eine Übertragung von Selektionsleistungen nur noch unter besonderen Voraussetzungen zustande, und diese Voraussetzungen rekonstruiert und institutionalisiert der Macht-Code. Sie werden erst mit Hilfe eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Grundlage zuverlässiger Erwartungen.
Es ist schwierig, diesen Problembezug in eine Definition einzufangen, die eindeutig angibt, was Macht ist und was sie nicht ist. Der Problembezug generiert jedoch Zusammenhänge, und diese lassen sich beschreiben. Man kann sagen: Je stärker Einfluß kontingent wird, indem er sich als ein Handeln zu erkennen gibt, das die eigene Selektivität darauf spezialisiert, fremdes Handeln auszulösen, desto weniger kann eine natürlich-situative Interessenkongruenz unterstellt werden, desto problematischer wird die Motivation und desto notwendiger wird ein Code, der die Bedingungen der Selektionsübertragung und die Zuschreibung der entsprechenden Motive regelt. Dieser von Interaktionskonstellationen ausgehende Ansatz kann dann in die Theorie gesellschaftlicher Evolution übernommen werden mit der These, daß bei zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung Situationen häufiger werden, in denen trotz so hoher Kontingenz und Spezialisierung Selektionsübertragungen stattfinden müssen, wenn ein erreichtes Entwicklungsniveau gehalten werden soll. In wichtigen Funktionsbereichen stellt sich situative Interessenkongruenz nicht mehr häufig und nicht mehr spezialisiert genug ein, daß damit auszukommen wäre. Dann wird die Entwicklung eines problembezogenen Sonder-Codes für Macht zum Engpaß weiterer Evolution.
Auch diese Argumentation hat ihre Parallelen in anderen Medienbereichen und wird dadurch mitgestützt. Erst von einem gewissen Entwicklungsstande ab wird die tägliche Kommunikation so informationsreich, daß Wahrheit zum Problem wird. Erst von [23]einem gewissen Entwicklungsstande ab wird der Güterbestand so groß, daß es Sinn hat, ihn unter dem Gesichtspunkt der Knappheit für kontingenten Zugriff offen zu halten. Man könnte ferner sagen: Liebe wird als ein besonderer Kommunikations-Code erst nötig, wenn die Emotionen und Welt-Sichten anderer so stark individualisiert – und das heißt: kontingent geworden – sind, daß man ihrer nicht mehr sicher sein kann und deshalb nach Maßgabe kultureller Vorschriften selbst lieben muß. Und auch Kunst ist als Kommunikationsmedium abhängig von gesteigerter Kontingenz – nämlich von der Kontingenz offensichtlich hergestellter, aber vom konkreten lebensweltlichen Zweckkontext nicht mehr getragener Werke. Mit all dem sind spezialisierte Interaktionsproblematiken, nämlich Varianten des Problems der Selektionsübertragung, und zugleich evolutionäre Lagen des Gesellschaftssystems bezeichnet.
5. Die vielleicht wichtigste Veränderung gegenüber älteren Machttheorien liegt darin, daß die Theorie der Kommunikationsmedien das Phänomen Macht auf Grund einer Differenz von Code und Kommunikationsprozeß begreift und deshalb nicht in der Lage ist, Macht einem der Partner als Eigenschaft oder als Fähigkeit zuzuschreiben31. Macht »ist« eine codegesteuerte Kommunikation. Die Zurechnung der Macht auf den Machthaber wird in diesem Code geregelt mit weittragenden Folgen, was Verstärkung der Befolgungsmotive, Verantwortung, Institutionalisierbarkeit, Adressierung von Änderungswünschen usw. anlangt. Obwohl beide Seiten handeln, wird das, was geschieht, dem Machthaber allein zugerechnet32. Die wissenschaftliche Analyse darf sich durch die in ihrem Gegenstand selbst liegenden Zurechnungsregeln jedoch nicht irritieren lassen; solche Regelungen bewirken nicht, daß der Machthaber für das Zustandekommen von Macht wichtiger oder in irgend einem Sinne »ursächlicher« ist als der Machtunterworfene33. Zurechnungsregeln der Medien-Codes sind selbst noch ein möglicher Gegenstand wissenschaftlicher Analyse34. Man kann auch nach ihren Funktionen noch fragen. Dazu muß das analytische Instrumentarium von Vorentscheidungen über Zurechnungen [24]zunächst abstrahieren. Dieses Erfordernis liegt zugleich auf der Linie einer stärkeren Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems aus der Gesellschaft, in unserem Fall einer weitergehenden Differenzierung von Wissenschaft und Politik.
Die Unterscheidung von generalisiertem Code und selektivem Kommunikationsprozeß wird uns im Folgenden ständig begleiten. Die symbolische Generalisierung eines Code, nach dem Erwartungen gebildet werden können, ist Voraussetzung für die Ausdifferenzierung von Macht als eines spezialisierten Mediums, das auf bestimmte Problemkonstellationen bezogen werden kann, bestimmte Leistungen erbringt und bestimmten Bedingungen unterliegt. Im generalisierten Medien-Code liegen ferner die Ansatzpunkte für Steigerungsleistungen im Laufe der gesellschaftlichen Evolution. Unter diesen Gesichtspunkten ist Macht gesellschaftstheoretisch von Interesse. Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß Organisationstheorien oder Interaktionstheorien mit vereinfachten Konzepten der Macht arbeiten können, etwa mit solchen, die im Machtbegriff schon Statusdifferenzen oder ausreichende Informations und Kalkulationsmöglichkeiten voraussetzen. Im Rahmen derart verengter Prämissen wird man jedoch kein Urteil über die gesamtgesellschaftliche Tragweite von Macht gewinnen können.
6. In einer viel beachteten, umfangreichen Kritik des Werkes von Parsons und seiner Machttheorie insbesondere äußert Alvin Gouldner sein Erstaunen darüber, daß Parsons Macht durch ihre Behandlung als symbolisch generalisiertes Medium in so hohem Maße mit legitimer Macht, mit »establishment power« identifiziere und dies für den gesellschaftlichen Normalfall halte35. Diese Auffassung wird pauschal und in einzelnen ihrer Ausformulierungen als moralistisch, als intellektuell absurd, als utopistisch, als irreführend abgetan unter Hinweis auf die Brutalität und die Eigensüchtigkeit der Machthaber. Dies Erstaunen eines Soziologen müßte nun wiederum die Soziologen erstaunen; um so mehr, als es im Rahmen einer Soziologie der Soziologie formuliert wird. [25]Natürlich ist nicht zu bestreiten, daß die Soziologie sich für Phänomene des brutalen und eigensüchtigen Machtgebrauchs interessieren kann und sollte. Ein solches Interesse darf jedoch nicht zu einem in die Begriffe und Theorien eingebauten Vorurteil über die gesellschaftliche Realität auswachsen.
Es war gerade die Leistung der Parsons’schen Theorie, die Vorurteile der Soziologie als einer Krisen- und Oppositionswissenschaft durch eine relativ autonome (in sich selbst dann wieder kritisierbare) Begriffsarchitektonik zu ersetzen. Wie immer man über die Adäquität dieses Instrumentariums urteilt, man wird nicht bestreiten können, daß die Institutionalisierung durchsetzbarer legitimer Macht das Phänomen von größerer gesellschaftlicher Tragweite ist im Vergleich zu Brutalität und Eigensucht. Das Alltagsleben einer Gesellschaft ist in sehr viel stärkerem Maße durch Rekurs auf normalisierte Macht, namentlich auf Rechtsmacht, bestimmt, als durch brutalen und eigensüchtigen Machtgebrauch. Regional begrenzte Ausnahmefälle machen gerade diesen Sachverhalt deutlich36. Die Interferenz legitimer Gewalt ist größer; man kann sie nicht hinwegdenken, ohne daß fast das gesamte normale gesellschaftliche Leben gestört und transformiert würde. Brutalität und Eigensucht sind Vorkommnisse, die mit vielen gesellschaftlichen Zuständen kompatibel sind, so lange sie die Dominanz institutionalisierter Macht nicht untergraben. Natürlich rechtfertigt, wie man aus der Geschichte der Theodizeen und Wohlfahrtsrechnungen weiß, ein solches Argument keinen einzigen Akt der Brutalität, auch nicht ein Tolerieren oder In-Kauf-Nehmen. Aber ein solches Verrechnungsproblem stellt sich seinerseits erst sekundär – sowohl historisch als auch theoretisch. Es setzt voraus, daß ein binärer Schematismus schon eingeführt ist, der Soll und Haben, oder Recht und Unrecht oder konformes und abweichendes Verhalten differenziert.
Mit der Ausarbeitung einer Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien setzen wir dazu an, solche Kontroversen zu unterlaufen. Die Konstitutionsbedingungen einer Dichotomisierung von »herrschender Ordnung« und »Kritik« [26]gehen in die Theorie selbst ein. Sie behandelt derartige Disjunktionen als Elemente eines Kommunikations-Codes und fragt nach ihren genetischen Bedingungen, ihren Funktionen, ihren Folgen, ihren Komplementäreinrichtungen, ihren Entwicklungschancen. Auch eine solche Theorie läßt sich mit Gouldner dann wiederum als moralistisch und konservativ charakterisieren, wenn man unterstellt, daß sie die an ihrem Gegenstand entdeckten Merkmale bejaht; sie ist in dem Sinne konservativ, daß sie die Option bewahren und offen halten möchte, je nach Lage der Dinge für oder gegen eine Machtäußerung Stellung zu nehmen.