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Die beste Zigarette seines Lebens

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Schläpfer ist als fünftes von sieben Kindern einer Familie im Aargauischen geboren, im schönen Bauerndorf Oettingen* * Orts- und Familiennamen wurden in den meisten Fällen verändert.. Die Gemeinderatskanzlei von Oettingen gibt folgende Auskunft zuhanden des Grossrichters der 8. Division: «Obgenannter Schläpfer Johann ist bei seinen Eltern wohnhaft. Bis heute ist über dessen Lebensweise nichts Nachteiliges bekannt. Dessen Eltern besorgen das Schulhaus, und Vater Schläpfer ist nebst dem Strassenarbeiter. Dieselben wie auch der Sohn Johann sind vermögenslos und sind unbedingt auf ihren Verdienst angewiesen. Die Familie ist finanziell immer etwas knapp. Immerhin ist bei denselben in dieser Richtung nie etwas Unregelmässiges vorgekommen. Bei Johann Schläpfer handelt es sich um einen Mann, der bestrebt ist vorwärtszukommen. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass der Angefragte gerne viel redet, so dass man seinen Aussagen nicht immer vollen Glauben schenkt. 3. März 1942. Die Gemeinderatskanzlei.»

Johann Schläpfer war bestrebt vorwärtszukommen. Er besuchte zwei Jahre lang die Sekundarschule in der nahen Kantonshauptstadt, machte ein Welschlandjahr, beides war für den Sohn des Strassenputzers nicht selbstverständlich. Dann musste er verdienen, um Eltern und Geschwister zu unterstützen. Für eine richtige Zahnpflege war in der Familie nicht genügend Geld vorhanden, Johann hatte mit 21 Jahren schon ein künstliches Gebiss. Ein Gefängnisaufseher erinnert sich an dieses Detail, weil er ihm am Abend vor der Hinrichtung sagte: Morgen musst du auf die Zähne beissen, worauf Johann sagte: Das kann ich leider nicht. Weil Johann Schläpfer sofort verdienen musste, war er immer in untergeordneten Stellungen tätig, Hilfsbuchhalter, Hilfsmagaziner, Hilfsbürolist, Hilfsarbeiter. Eine Lehre lag nicht drin. Kurze Zeit arbeitete er als Bürokraft in der Chemikalienhandlung Zuppinger in Oettingen. Der alte Zuppinger sagt heute über Johann Schläpfer: Er war nicht einmal fähig, einen Frachtbrief korrekt auszufüllen, der Johann war sicher kein grosser Spion, aber irgendwann hat man ja anfangen müssen mit den Erschiessungen, obwohl man vielleicht auch an einem andern Ort hätte anfangen können, der Bundespräsident von damals war auch nicht der Sauberste gewesen. Im Dorf habe das Todesurteil nicht besonders viel Aufsehen erregt, in der struben Zeit damals sei das Ereignis in den Kriegsmeldungen untergegangen.

Kurz vor dem Krieg wurde Schläpfer stellungslos, von Zuppinger wegen mangelhafter Leistungen entlassen. Deshalb habe er Freude am Militär gehabt, sagt die Schwester Frieda, die noch heute in Oettingen lebt. Das Militär bot ihm Aufstiegsmöglichkeiten und eine Sicherheit, die er im Zivilleben nicht hatte. Er rückte in eine Verpflegungsabteilung ein und konnte die Fourierschule besuchen, allerdings nur als Magazinfourier. Die Schwester lebt in sehr bescheidenen Verhältnissen in der alten Schläpferschen Wohnung, wo sich seit dem Aktivdienst nicht viel verändert hat. Sie bittet inständig, in Oettingen um Himmels willen nicht nach ihrem verstorbenen Bruder zu forschen, sie würde es nicht ertragen, wenn wieder «davon» gesprochen würde, sie sei sonst mit den Nerven schon ganz unten. Der Vater sei damals aus Gram über die Schande gestorben, bald nach der Erschiessung. Er habe den letzten Rappen dem Advokaten Sonderegger gebracht. Es sei ihnen damals vorgekommen, als ob der Johann mit einem Stein am Hals im Meer versenkt worden sei, er sei einfach verschwunden. Die Familie habe keine Akten gesehen und gar nicht richtig gewusst, was eigentlich passiert sei. Sie seien gänzlich ohne Protektion dagestanden, und die Richter werden gedacht haben: Das ist nur ein Arbeitersohn, den nehmen wir jetzt.

Es gibt einen Brief von Johann aus dieser Zeit, der in der Untersuchungshaft geschrieben wurde: «Meine lieben Eltern und Geschwister! Ich muss zur Feder greifen um einige liebe Worte mit Euch meine Lieben zu berichten. (…) Wie geht es Euch? Ich hoffe gut und es seien alle gesund. Die Behandlung und die Kost hier sind gut, aber wisst ich habe immer so ein furchtbares Heimweh nach Oettingen. Ich bin durch einen Kameraden in eine sehr unangenehme Sache verwickelt. Ich kann Euch nicht schreiben was es ist. (…) Ich weiss nur dass es überhaupt keine Kameraden gibt, auch im Militärdienst nicht. Jeder schaut den andern wenn möglich ins Unglück zu stürzen. Ja nun, es ist jetzt schon so. Hoffen wir dass die ganze Sache doch nicht zu schlimm werde. Ich habe Gottvertrauen und bete viel und ich bitte Euch betet recht viel für mich damit die Sache gut gehe. Ich wünsche Euch allen meine Lieben eine schöne Ostern und ganz besonders meinem lieben Mueti und dem lb. Vater und bitte Euch nochmals betet für mich, damit ich nicht ganz unglücklich werde. Jetzt eine Bitte. Sendet mir Wäsche und zwar: 1 Hemd (nur ein älteres), 2 Paar Socken, und ein Nastuch. Damit ich Euch die schmutzige Wäsche bald wieder zustellen kann, so sendet mir alles in einem Schachteli. Sendet mir noch einen alten Kamm, wenn es auch nur ein Stück ist von einem Kamm. Ich musste meinen bei der Verhaftung abgeben und habe jetzt keinen, ich habe mich noch nie gekämmt. Johann.»

Vor seiner Verhaftung war Schläpfer im Militär recht glücklich gewesen, er hatte endlich eine feste Stelle und blühte auf. Nur der Urlaub machte ihm Sorgen, da war er arbeitslos. Deshalb verdingte er sich in den Militärferien im Zivilverhältnis als militärische Bürohilfe, bezog vom 3. Armeekommando einen Monatslohn von 320 Fr., wovon er den Eltern 150 Fr. ablieferte und ausserdem für seine Geschwister etwas Sackgeld beisteuerte. Sein Urlaubsvorgesetzter war mit «seinen Leistungen und seiner Führung ausserordentlich zufrieden, und können wir auf Grund dieser Tatsache Herrn Schläpfer für jede einschlägige Stelle, die sein Fach betrifft, nur bestens empfehlen». Als Schläpfer später in den Geruch des Landesverrats kam, lautete das militärische Führungszeugnis seines Kompaniekommandanten Rupp ganz anders: «Charakter: Jung und unfertig. Dienstliche Führung: Unzuverlässig. Eignung: Unselbständig. Disziplinarstrafen: 1941 drei Tage scharfen Arrest wegen Alkoholgenusses während der Arbeitszeit. Signiert: Hauptmann Rupp, Verpflegungsabt. 9.» In der Verpflegungsabteilung 9 hatte Schläpfer bei seinen Kollegen einen guten Ruf, er war als hilfsbereit bekannt.

Schläpfer befreundete sich schon in den ersten Monaten des Aktivdienstes mit dem Fourier Zaugg. Dieser sei immer «gut bei Kasse» gewesen, was auf den bedürftigen Schläpfer Eindruck machte. Auch habe er immer sehr hübsche Freundinnen gehabt, während Schläpfer auch in dieser Beziehung nicht viel Erfolg hatte. Als nun Schläpfer wieder einmal Dienst hatte im Minenbüro, wo die Pläne für alle Sprengobjekte der Innerschweiz ausgearbeitet wurden, fragte Zaugg ihn beiläufig: Wenn es jetzt «klöpfen» würde, ob dann die Sprengobjekte geladen seien? Schläpfer antwortete, seines Wissens nicht. Im Laufe der Zeit kam Zaugg dann noch mit weiteren Fragen betreffend Munitionsdepots, Sprengobjekte und Truppenstandorte, auch die Zusammensetzung der Sprengstoffe Trotyl und Chlorat interessierte ihn. Die gewünschten Informationen lagen offen herum auf den Pulten des Minenbüros, und Schläpfer wollte seinem Freund den Gefallen gern tun. Er überreichte ihm einige handgeschriebene und maschinengeschriebene Zettel, ohne Geheimnistuerei, manchmal in einem Restaurant, manchmal auf dem Bahnhofperron, jedenfalls ziemlich naiv. Dafür bezog Schläpfer von Zaugg insgesamt 150 Franken, die er aber später zurückzahlen wollte. Er habe das Geld lediglich bei Zaugg gepumpt, gab er zu Protokoll. Manchmal habe er die Informationen auch Zauggs Braut übergeben, als Belohnung durfte er dann ein wenig mit ihr ausgehen. Diese schöne Begleitung für einen Abend hat ihn immer ganz aufgestellt. Jedenfalls habe er bei der ganzen Sache nicht recht gewusst, dass es um Spionage gegangen sei, er habe gar nichts dahinter vermutet. Unter Fourieren, die ja öfter unterwegs waren, habe man sich gern mit Angaben über Truppenstandorte und andern geographischen Hinweisen ausgeholfen. Wenn es ihm ums Geld gegangen wäre, so hätte er vielleicht 4000 bis 5000 Franken verlangt, und dann wäre ihm finanziell geholfen gewesen. Politische Interessen habe er auch nicht, die diesbezügliche Einstellung des Zaugg sei ihm unbekannt gewesen. Jedoch «jetzt ist mir klar, warum Zaugg ein so guter Kamerad zu mir war, damit er mich ins Unglück stürzen konnte und unser liebes schönes Vaterland verraten. Nie hätte ich an einen Verrat meines schönen Vaterlandes gedacht. Meine finanziellen Verhältnisse sind nicht so gross …, aber nicht im geringsten habe ich an Landesverrat gedacht.» Nachdem Schläpfer vom routinierten Untersuchungsrichter lange genug verhört worden und «weinend zusammengebrochen war und vor sich hin sinniert hatte», gibt er zu Protokoll: «Ich wusste, dass ich einen Verrat militärischer Geheimnisse mit der Abgabe der Auskünfte an Zaugg begangen habe. Ich habe einfach zu wenig überlegt …» Dieses Geständnis wurde später vom Divisionsgericht so interpretiert, dass Schläpfer «objektiven und subjektiven Landesverrat» betrieben habe. Schläpfer hat dieses Geständnis widerrufen, was aber keinen Eindruck auf das Gericht machte. Der Auditor (= Staatsanwalt) beantragte, ihn zum Tode und zu den Kosten zu verurteilen; eventuell zusätzlich zur Degradation, zum Ausschluss aus dem Heer und zu zehn Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit …

Die Meinung der militärischen Experten über den Stellenwert der verratenen Objekte war geteilt. Major Vontobel, im Zivilberuf Bauingenieur, sagte: «… Menznau ist ein Armeedepot, von dem übrigens jedes Kind Kenntnis hat … Das Chlorat ist zusammengesetzt aus 90 Prozent Kalium oder Natriumchlorat und 10 Prozent Parafin … Jeder Mineur sollte die Zusammensetzung wissen. An der Instruktion wird das mitgeteilt. Das gehört zu Waffenlehre und Sprengstoffkenntnis.» Der Oberstleutnant Troxler war anderer Ansicht: «Der Landesverrat beginnt mit der unbekümmerten ersten Diskussion über militärische Belange mit unbekannten Dritten, er steigert sich zur bewussten Bekanntgabe gleicher Tatsachen an Drittpersonen, die als Agenten oder Vertreter fremder Nachrichtendienste erkannt sind, und gipfelt in der Entgegennahme von Entschädigungen für solche Dienstleistungen … Versetzen Sie sich einen Augenblick in den Gedankenkreis des Objektchefs, dessen Name nebst andern auf einer Liste gegen ein paar lumpige Franken verschachert wurde, damit ihn gegebenenfalls irgendein anderer verräterischer Schurke vor Erfüllung seiner soldatischen Aufgabe hinstrecken könne aus Deckung und Hinterhalt, dann werden Sie leicht ermessen können, was er von Ihrem Richtspruch erwartet.»

Das Divisionsgericht 9 «erkannte mit Urteil vom 25. Sept. 1942 Schläpfer der wiederholten Verletzung militärischer Geheimnisse schuldig und verurteilte ihn, gestützt auf Art. 2 Ziff. 1 und 8, 3 Ziff. 1, 218, 86, 106, 27, 49 MStrG, Art. 6 der Verordnung des Bundesrates vom 28. Mai 1940 betr. Abänderung und Ergänzung des MStrG, 1. zum Tode durch Erschiessen, 2. zu den Verfahrenskosten, inbegriffen eine Gerichtsgebühr von 100 Fr., zusammen 549.75 Fr.» In der Urteilsbegründung heisst es unter anderem: «… Aber auch subjektiv wiegt das Verbrechen nicht weniger schwer: Schläpfer hat als Fourier eine vermehrte militärische Ausbildung genossen, und er hat den von ihm geleisteten Fahneneid auf das schändlichste gebrochen. (…) Zu diesem Entscheide gelangt das Gericht nicht etwa, um einer vorhandenen Strömung im Volke zu willfahren, sondern weil es der Auffassung ist, dass die Ausfällung der Todesstrafe im Interesse der Armee und Unabhängigkeit des Landes nicht umgangen werden kann.»

Dem Zivilverteidiger Schläpfers, Kuno Sonderegger, wurden zwei Tage eingeräumt zur Begründung der Kassationsbeschwerde. In einem Brief, der an den Grossrichter der 9. Division gerichtet ist, begründet Sonderegger die Beschwerde. Erstens sei ihm nur ein Auszug aus den Akten freigegeben worden, damit würden wesentliche Vorschriften des Verfahrens verletzt. Zweitens sei Schläpfer offensichtlich der Verführte gewesen, seine Kenntnisse über die Verwendung der von ihm gemachten Angaben seien völlig unabgeklärt, und er habe sein Geständnis aus glaubhaften Gründen widerrufen. Eindeutig stärker belastete Angeklagte seien zu milderen Strafen verurteilt worden. Eine Verletzung der gesetzlichen Gleichheit beweise auch der Fall eines Hauptmanns, dessen Name der Öffentlichkeit nicht bekannt wurde. Drittens habe Schläpfer in einer unklaren Ideologie gehandelt, wie solche im politischen Leben häufig seien. Viertens könne Schläpfer höchstens nach Kenntnis der Tatbestände, die ihm erst in der Untersuchung klar geworden seien, einsehen, dass seine Handlungen in Wirklichkeit Landesverrat waren.

Die Kassationsbeschwerde ging mit einem Schreiben des Grossrichters, der Nichteintreten empfahl, an den Oberauditor der Armee nach Bern und von dort mit einem Schreiben des Oberauditors, der Nichteintreten empfahl, an den Präsidenten des Militärkassationsgerichts. Der Oberauditor schrieb unter anderem: «… Vergleiche mit den Straftaten anderer Verurteilter können im Kassationsverfahren, das lediglich Rechtsüberprüfung ist, keine Berücksichtigung finden. Die Beschwerde des Fouriers Schläpfer ist aus diesen Gründen in vollem Umfang abzulehnen.»

Das Kassationsgericht lehnte die Beschwerde in vollem Umfang ab. Jetzt musste Schläpfer in vollem Umfang den Tod erwarten. Nur die Bundesversammlung stand noch zwischen ihm und den Henkern. Aber sie war eben in die Sommerferien gegangen, als das Urteil eingetroffen war. Also musste Schläpfer auf die Herbstsession warten, wo er auf der Traktandenliste stand. Auf Antrag der Begnadigungskommission der Vereinigten Bundesversammlung lehnte die Vereinigte Bundesversammlung in einer Geheimsitzung (geheim wie die Militärgerichtsverhandlungen) das Gnadengesuch Schläpfers ab. Es war soweit. Nach der Vereinigten Bundesversammlung kommt nichts mehr.

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In seiner Villa über dem Vierwaldstättersee sitzt der pensionierte Staatsanwalt Dr. Schoch und erklärt bei einem kühlen Bier, wie korrekt und sorgfältig er damals richtete, zusammen mit den sechs andern Divisionsrichtern. Schoch war damals Sekretär der Staatsanwaltschaft in einem innerschweizerischen Kanton, im Militär Wachtmeister. Die Divisionsgerichte waren stets aus drei Offizieren und drei Unteroffizieren zusammengesetzt, dazu der Grossrichter. Fünf von den Richtern waren gelernte Juristen, damit habe eine besondere Garantie bestanden für ein sachgemässes Urteil. Die Voruntersuchung sei sehr speditiv erledigt worden von Hauptmann Mahler, im Zivilleben Bezirksanwalt in Zürich. Die polizeilichen Ermittlungen seien bei der Heerespolizei auch in guten Händen gewesen. Die Vorakten sind nur dem Grossrichter, dem Auditor und den Anwälten, nicht aber den sechs übrigen Divisionsrichtern bekannt, damit sie unbefangen bleiben. Da es im Militärgerichtsverfahren keine Appellation, sondern nur die Nichtigkeitsbeschwerde gebe (wenn z.B. Begriffe zu eng oder falsch gefasst wurden), hätten sie ihre Aufgabe besonders ernst genommen. Vier Tage hätten sie gebraucht bis zum Todesurteil. Am ersten Tag instruierte der Grossrichter den Prozess, legte Akten vor, vernahm Zeugen. Am zweiten Tag konnten die sechs Divisionsrichter durch den Mund des Grossrichters Fragen stellen lassen. Am dritten Tag kamen die Verteidiger zu Wort (Schläpfer und Zaugg wurden gemeinsam abgeurteilt, dazu noch einige leichtere Fälle mit langjährigen Zuchthausstrafen, alles in vier Tagen erledigt). Am vierten Tag war Urteilsberatung, am fünften Tag die Urteilseröffnung. Von sieben Richtern müssen sechs für den Tod stimmen, damit ein Todesurteil zustande kommt. Dr. Schoch, ein «ausgesprochener Strafrechtler», wie er sagt, hat in beiden Fällen für den Tod gestimmt. Das würde er auch heute wieder tun. Die Schwere des Falles sei ausschlaggebend gewesen, aber auch die «Schimpflichkeit des Delikts». In jener historisch-konkreten Situation sei kein anderes Urteil möglich gewesen. Das Urteil habe den Zweck der allgemeinen Abschreckung und der Sühne gehabt. Schweres Urteil, aber notwendig. Die heutige Tendenz gehe darauf, nur den Angeklagten zu sehen, damals habe es aber noch ein Staatsethos gegeben. Beim Ausbruch eines neuen Krieges würden dieselben Strafen wieder verhängt, und das sei richtig. Die Gerechtigkeit solle nicht emotional vor sich gehen. Im ganzen Prozess habe alles gut funktioniert, exakte Anklage des Auditors, prima Verteidigung, ein Musterprozess. Die Angeklagten? Zaugg ein vitaler Typ, intelligent, aber niedergeschlagen. Schläpfer eher ein Männchen als ein Mann, eine halbe Portion. Hätte Schoch auch für den Tod gestimmt, wenn er anschliessend selbst auf Zaugg und Schläpfer hätte schiessen müssen? Das sei eine dumme Frage, meinte Dr. Schoch.

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Im Bahnhofbuffet Solothurn ein Gespräch mit Alt-Ständerat Dr. Pfenninger, der damals zur Begnadigungskommission der Bundesversammlung gehörte. Vierzehn Mitglieder hatte die Begnadigungskommission, und etwa die Hälfte davon war auch im Zivilleben für die Todesstrafe. In normalen Zeiten war das keine wichtige Kommission, deshalb wurden auch immer junge Frischlinge hineingewählt. Sie hatte meist Schmuggler zu begnadigen, die zu hohen Geldstrafen verurteilt waren. Dann plötzlich der Bundesratsbeschluss über die Todesstrafe, und über Nacht waren sie zu einer wichtigen Kommission geworden. Pfenninger war überdies in einem Divisionsgericht tätig, welches Urteile gegen Spionage fällte, aber nie über zwanzig Jahre Zuchthaus hinausging. Im Militär führte er als Oberst eines der neugeschaffenen Flabregimenter. Pfenninger hat die Mutter eines Landesverräters gut gekannt, dessen Fall ihm zur Begutachtung vorgelegt wurde.

Wie in allen Fällen hat er auch damals die Begnadigung abgelehnt, hingegen hat er den Delinquenten zwei Tage vor der Hinrichtung noch in der Festung Thorberg besucht. Bundesrat Kobelt habe ihm zu diesem Zweck eigens sein Dienstauto mit Chauffeur zur Verfügung gestellt. Der Sohn dieser Mutter, einer Gemüsefrau, bei der er jeweils nach der Arbeit eingekauft habe, sei ins Besuchszimmer der Festung geführt worden, der Direktor habe sie einen Moment allein gelassen, und der damals dreissigjährige Mann habe sofort zu heulen begonnen und immer wieder gesagt: Ich möchti läbe, ich möchti läbe, er sehe ja seine Dummheit ein und sei reuig. Pfenninger habe aber kein Hehl daraus gemacht, dass er seine Begnadigung bereits abgelehnt habe und die Vereinigte Bundesversammlung in Kürze dem Kommissionsantrag folgen werde. Der junge Mann habe immer nur wieder gesagt: Ich möchti läbe, er höre heute noch seine Stimme, das Wasser sei ihm heruntergelaufen, er war ein etwas beschränkter Bursche, es habe überhaupt eine Mehrheit von einfachen Burschen unter den 17 Erschossenen gehabt. Pfenninger habe ihm nur gesagt, er hätte sich vorher besinnen sollen, statt solche Sachen zu machen, und auf der Schwelle habe er sich nochmals umgedreht und ihm geraten, jetzt müsse er halt tapfer sein. Dieser Delinquent war übrigens ein Zivilist, die Militärgerichte hatten auch Jurisdiktion über landesverräterische Zivilisten.

Die Begnadigungskommission habe jeweils knapp einen Tag gebraucht für die Beurteilung der einzelnen Fälle, ab 9 Uhr morgens konnten sie die Akten einsehen, die Sitzung war dann um 4 Uhr nachmittags. Sie hätten die Akten aber oft kaum mehr richtig studiert, weil sie sich sagten: Wir müssen kein Urteil fällen, sondern nur begnadigen oder nicht.

Da die Grossrichter ihre Sache immer sehr ernst nahmen und man sich auf ihre Urteile verlassen konnte, sagt Pfenninger, war die Arbeit der Begnadigungskommission dadurch sehr erleichtert. Während der sehr kurzen Sitzungen im militärisch bewachten Zimmer 3 sei die Diskussion kaum benützt worden, der Präsident habe jeweils referiert und die Begnadigung immer abgelehnt, und dann hätten sie sich immer fast einstimmig seinen Ausführungen angeschlossen. Manche hätten Skrupel gehabt, zum Beispiel er selbst und auch Nationalrat Killer, weil sie vor dem Krieg noch Vorträge gegen die Todesstrafe gehalten hätten, aber die harte Zeit habe einfach ein Umdenken verlangt, es wäre noch viel mehr Landesverrat vorgekommen ohne diese Abschreckung. Weshalb soll die Todesstrafe im Krieg eine abschreckende Wirkung haben, wenn sie die im Frieden nicht hat? Darauf kann Pfenninger auch nicht antworten, und er räumt schliesslich ein, dass es mehr um die Vernichtung des räudigen Schafes, um den radikalen Familienausschluss und um Rache gehe als um Abschreckung. Man habe einfach eine verdammte Wut gehabt gegen diese Verräter, die den aufopferungsvollen Wehrmännern quasi in den Rücken schossen. Gewiss, von einer bestimmten gesellschaftlichen Stufe an aufwärts nenne man dieselbe Handlungsweise nicht mehr Landesverrat, sondern Politik, zum Beispiel der Anpassung der Schweiz ans Dritte Reich, aber diese Überlegungen habe man damals viel zu wenig angestellt. Und er gebe ja zu, dass die öffentlich verlesene Anpassungsrede des Bundesrates Pilet-Golaz die Demokratie viel gründlicher unterwandert habe als ein heimlich begangener Verrat. Aber Pilet-Golaz sei eben juristisch nicht zu erfassen gewesen.

Pfenninger, der zur «Aktion Nationaler Widerstand» (eine Résistance-Bewegung) gehörte, glaubt, dass die Deutschen die Schweiz auch ohne Landesverrat innert kürzester Zeit überrannt hätten, wenn sie wirklich gewollt hätten. Aber damals hätten alle die Hinrichtungen gebilligt, Soldaten, Offiziere, Zivilisten, durchs Band habe Zustimmung geherrscht im Volk* * Das stimmt nicht ganz. Wie mir Hans Oprecht erzählte, waren die Sozialisten der welschen Schweiz immer dagegen., man habe die Hinrichtungen «gebraucht». Und man habe damit demonstriert, dass die Zeiten halt ernst waren. Die Landesverräter hätten übrigens immer ihre Vergehen gestanden, zur Entschuldigung hätten sie etwa gesagt: Diesen oder jenen verratenen Flugplatz habe jeder Zivilist von der Strasse aus sehen können. Die Offiziere unter ihnen hätten es mehr aus ideologischen Gründen getrieben (ein Leutnant, ein Oberleutnant, ein Major), die Soldaten mehr für die Aufbesserung des Taschengeldes. Pfenninger würde heute eher zur Begnadigung neigen, in manchen Fällen. Übrigens die Gemüsefrau habe die Erschiessung ihres Sohnes besser als erwartet aufgenommen, er habe weiterhin bei ihr eingekauft.

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Im zugerischen Baar geht in einer Studierstube der Kaplanei der Pfarr-Resignat und weiland Feldprediger Stapfer auf und ab mit dem Brevier in der Hand. Ein Stich von Dürer im Treppenhaus: Ritter, Tod und Teufel. Der pensionierte Feldprediger geht schon recht gebückt und eingefallen, aber wenn er von der Armee spricht, gibt er seiner Gestalt einen Ruck, dass es knackt. Wenn er von seinen Feldpredigerkollegen spricht, sagt er: Kamerad Müller, Kamerad Meier, Kamerad, Kamerad. Das tönt fast wie «Genosse» auf französisch: camarade. Er hat nicht mit Zaugg und Schläpfer zu tun gehabt, sondern mit zwei Vierundzwanzigjährigen, die im Zürcher Oberland erschossen wurden. Aber es komme nicht drauf an, die feldpredigerische Betreuung sei immer dieselbe. Die beiden wurden 1944 erschossen, als die Schweiz nicht mehr bedroht war. Für den einen der beiden hat sich ein sozialdemokratischer Ständerat eingesetzt: Er sei ein bisschen jung zum Sterben.

Stapfer hat nach der Exekution in den Feldpredigerschulen Vorträge gehalten über die seelsorgerische Betreuung von Todeskandidaten, welche Vorträge immer auf ein lebhaftes Interesse seiner Kameraden gestossen seien. Es seien dumme Buben gewesen, die von den Deutschen eingewickelt wurden, beide aus einfachen, zerrütteten Familien. Er als Feldprediger habe über die Berechtigung dieser Todesurteile nicht zu urteilen, sondern nur dafür zu sorgen gehabt, dass die beiden anständig aus der Welt gingen. Die beiden hätten dann ihre Sache recht gemacht, es sei eine saubere Exekution gewesen. Zwar hätten sie bis zum letzten Moment gehofft, eine deutsche Invasion werde sie kurz vor der Exekution befreien, aber dann assen sie ruhig ihre Henkersmahlzeit, nämlich Habersuppe, ein Stück Chäs und gschwellti Härdöpfel. Darauf die Sterbegebete, laut rezitiert: Befreie, o Herr, die Seele deines Dieners, wie du Lot befreit hast aus Sodoma und aus den Flammen des Feuers; und wie du die selige Jungfrau und Märtyrin Thekla von drei schrecklichen Peinen befreit hast, so befreie gnädig die Seele dieser deiner Diener, amen. Sie seien übrigens früher Messdiener gewesen, Ministranten. Darauf haben die beiden Kandidaten Abschiedsbriefe an ihre Schätze geschrieben. Die Exekution fand abends vor Sonnenuntergang statt, während gewöhnlich das Morgengrauen bevorzugt wird. Stapfer legt zwei Dokumente auf den Tisch, einen dienstlichen Befehl seines damaligen Obersten Thoma: «Sie haben sich mit den Angehörigen in Vbg. zu setzen und abzuklären, ob Sie die Leichen übernehmen wollen. Die Leichen werden in plombierten Särgen transportiert, welche nicht geöffnet werden dürfen.» Ein anderer Brief, zwei Tage nach der Exekution geschrieben: «Herr Hauptmann! Die Tatsache, dass die beiden Verurteilten ihren Tod ruhig und gefasst erwarteten, hat bewiesen, dass es Ihnen gelungen ist, ihre schwere Aufgabe voll befriedigend zu erfüllen. Ich spreche Ihnen dafür meinen Dank und meine Anerkennung aus. Oberst Thoma. ps: Ihre Dienstleistungen wollen Sie sich bitte von meinem Büro auszahlen lassen.» Zwischen den beiden Briefen liegt die Exekution. Eine der Mütter sei am Tag der Hinrichtung nach Einsiedeln wallfahrten gegangen, und ein Vater habe die Öffnung des plombierten Sarges verlangt, weil er die neuwertigen Schuhe seines Sohnes haben wollte. Daraus kann geschlossen werden, sagte der Feldprediger, dass es komische Leute waren.

Nach dem Besuch bei Stapfer ein Telefongespräch mit Frau Pfarrer Hürlimann. Ihr Mann, der Zaugg und Schläpfer betreute, ist vor zwei Jahren gestorben. Er habe die Gerechtigkeit des Urteils nicht erwägen müssen, sondern ihnen beim Hinübergehen behilflich sein. Pfarrer Hürlimann hat nie Politik gemacht, stand aber auf dem Boden von Luther und Zwingli. Es sei nicht leicht gewesen für all die Herren, die der Hinrichtung beiwohnen mussten. Ihres Mannes Haare wurden damals innert kurzer Zeit weiss. Es habe ihn furchtbar mitgenommen, aber er musste es so annehmen, wie es ihm von der Obrigkeit gegeben war. Der Mann hat nie Ferien genommen, seine Erholung war das Militär. Er musste die beiden dazu bringen, ihre Schuld zu akzeptieren, sagt sie wörtlich. Wenn einer Krebs hat oder einen Unfall, muss der Pfarrer ja auch Trost bringen und die Verzweiflung abwehren. Ihr Mann hat immer zu den geistlichen Verrichtungen Gedichte gemacht, oft Mundartgedichte. So hat er auch die Hinrichtung im Gedicht aufgehoben. Das Gedicht darf sie nicht bekannt machen, sie ist ans Pfarrergeheimnis gebunden, aber es stehe etwas drin vom Wald, der im ersten Morgenlicht lag (es war eine Morgenexekution), und wie die ersten Vögel gepfiffen hätten und alles von der barmherzigen Natur verklärt worden sei.

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Es war eine saubere Hinrichtung, sagt auch Dr. Rupp in Sarnen, damals Hauptmann und Kompaniekommandant von Zaugg und Schläpfer. Wir hatten einfach Vertrauen in die Gerechtigkeit des Urteils, obwohl wir die Akten nicht kannten. Was von oben kam, war richtig. Unterdessen habe er Zweifel bekommen. Als praktizierender Freimaurer und Humanist hat er eine 23seitige Denkschrift über das Erlebnis aus dem Aktivdienst verfasst, die so anfängt: «Am Mittwoch, dem 11. November, wurde Hauptmann Rupp vom rasselnden Wecker jäh aus dem Schlaf gerissen … Es war noch dunkel, kalt, und aus einem schweren, tiefen Nebel rieselte es leise.» Die unveröffentlichte Denkschrift hat er kürzlich an einer Sitzung seiner Freimaurerloge vorgelesen, aber nur mässigen Erfolg damit gehabt. Rupp war im Zivil Restaurateur in einem sehr renommierten Gasthof, wo auch Frölicher verkehrte (Schweizer Gesandter in Berlin während des Aktivdienstes), der für eine radikale Anpassung der Schweiz an Nazi-Deutschland eintrat. Er hat öfter für das leibliche Wohl Frölichers gesorgt, wenn dieser Diplomat wieder einen Schweizer Aufenthalt einschaltete. Die Situation der Schweiz sei damals mit einer belagerten Festung zu vergleichen gewesen, sagt Rupp, und Landesverräter seien ihm vorgekommen wie Leute, die den Festungsschlüssel dem Feind auslieferten. In seiner Verpflegungsabteilung hatte er 50 Metzger unter sich, die für die ganze Division schlachteten, 3000 bis 4000 Stück Vieh im Aktivdienst. Insubordination und Meuterei seien im Aktivdienst kaum vorgekommen, nur einmal hätten seine Mannen gegen den Feldwebel gemurrt, darauf habe er einen bäumigen Strafmarsch organisiert, und die Ruhe sei wieder eingekehrt.

Am Abend vor der Hinrichtung, einige Stunden nach Ablehnung des Gnadengesuchs durch die Vereinigte Bundesversammlung, habe er seine Kompanie feldmarschmässig heraustreten lassen und ihr die «kleine Morgenübung» vom nächsten Tag erklärt. 40 Mann für die Absperrung des Richtplatzes, 40 Mann für die Erschiessungspelotons, fast lauter Metzger. «Es ist dies eine Aufgabe, vor der sich keiner der Anwesenden drücken kann. Es gibt keine Freiwilligen, aber es gibt auch keine Dispensierten», sagte Rupp der Mannschaft. «Leider sind zwei Angehörige unserer Einheit, zwei Unteroffiziere, das Opfer der nazistischen Propaganda geworden, und unserer Einheit ist der Befehl erteilt worden, das Todesurteil innerhalb von 24 Stunden zu vollstrecken. Einzelheiten ihrer Verfehlungen kennen wir nicht, denn aus Sicherheitsgründen muss der Tatbestand geheimgehalten werden.»* * Laut Militärstrafrecht muss die Einheit, zu der die Delinquenten gehören, diese erschiessen.

Im nahen städtischen Schlachthaus «wurden anschliessend die Befehlstechnik und die Schussabgabe einexerziert». Hauptmann Rupp und ein Oberleutnant Meinhold hatten sich als Zielobjekte zur Verfügung gestellt, denn die Mannschaften hatten nicht die Gewohnheit, auf lebende Objekte anzulegen. Es wurde ohne Munition geprobt. Die Offiziere stellten sich einfach vor die Mannschaft und befahlen, auf Kopf und Brust anzulegen, je zehn Mann auf Brust, je zehn auf Kopf.

Dank dem gründlichen Training am Vorabend habe dann am nächsten Morgen auch alles geklappt, der Oberst und Grossrichter Santschi habe das Urteil verlesen, das Kommando sei vom Obersten an den Hauptmann und vom Hauptmann an einen Leutnant übergeben worden, der mit scharfer Stimme befahl: «Rechts um, kehrt», «zum Schuss fertig», «ein Schuss Feuer». Der Bataillonsarzt stellte den sofortigen Tod der beiden fest, so dass sich ein Gnadenschuss erübrigte.

Beim Entladen allerdings ergab sich, dass von einem Peloton drei Mann, vom andern vier Mann nicht geschossen hatten. Rupp überlegte sich, ob diese Befehlsverweigerung bestraft werden sollte. Aber «die Aufgabe der Truppe war einwandfrei erfüllt worden, warum jetzt noch einen Fall aufziehen», überlegte Rupp «instinktiv», und statt einer hochnotpeinlichen Untersuchung dankte er den Soldaten für ihre schwere Pflichterfüllung mit einigen Worten und einem Handschlag. Er habe dann die nicht abgefeuerten Patronen zu sich genommen und im Hosensack verschwinden lassen. Plötzlich, als die Aufgabe der Truppe auf diese einwandfreie Art erledigt war, «hörte man wieder einen Schuss fallen, und ein Wachtmeister der Kantonspolizei sank zusammen. Er hatte eine geladene und entsicherte Maschinenpistole, die er zur Sicherung der Eskortierung mitnahm, auf den Führersitz des Transportautos gelegt und wollte sie nun entladen. Diese sehr sensible Waffe löste bei dieser Manipulation einen Schuss aus, der den Polizisten im Bauch schwer verletzte. Ein dreimonatiger Spitalaufenthalt war die Folge.» Am meisten Eindruck hätten ihm die Schnelligkeit der Exekution und die absolute Ruhe der Beteiligten gemacht, abgesehen vielleicht vom Grossrichter, der in seiner aufgeregten Stimmung vergessen hatte, die Gamaschen anzuziehen. Die Leichen hätten vorne bleistiftgrosse Einschusslöcher aufgewiesen, hinten hätten sie aber wüst ausgesehen. Allerhand Weichteile seien im Gras gelegen, Blut und andere Überreste, so dass ihm der Oberförster, übrigens ein Freund von ihm, am nächsten Tag sagte: Ihr hetted au no chönne suuber uufputze. Die Exekutionsbäumchen seien dann vom Oberförster gefällt worden. Im Tagebuch des Bataillons hat dieser Tag (es wurde sofort die normale Routine wieder aufgenommen) folgende Spur hinterlassen: «07.12 Uhr Füsilierung der Fouriere Zaugg und Schläpfer durch ein Detachement von 40 Mann der Nachschubkompanie 9.09.00 Uhr Übergabe der Pferde und Fuhrwerke der Geb Tf Ko V/4 an die Kol III/3. Durchmarschfassung für das komb Inf Rgt 21 (4. Division) ab Magazin Luzern 11.00–13.00 Uhr und für das Rgt 22 ab 16.00–18.00 Uhr.»

Rupp interessiert sich heute für Geschichte und Poesie, auf dem Schreibtisch ein Buch von Rilke, dann auch einige kommerzielle Aktivitäten, er arbeitet noch halbtags. An die Gesichter und Namen der kommandierten Füsiliere kann er sich nicht erinnern. «Ich habe vieles vergessen, das kommt von der Arterienverkalkung, darum habe ich auch aufgeschrieben, was ich noch wusste.» Er fährt mit mir zum Richtplatz, der sehr idyllisch in einem Tälchen liegt, sehr ruhig in der Morgensonne. Er heisst mich stillstehen, nimmt sieben Schritt Abstand, grosse ausgreifende Schritte, macht rechts um, kehrt, sagt: Hier sind die Füsiliere gestanden, dort der Grossrichter; wo Sie jetzt stehen, waren die Delinquenten angebunden. «Das Kommando war noch nicht verklungen, als ein einziger Knall die bedrückende Stille durchschnitt und die Körper von Zaugg und Schläpfer in die haltenden Stricke sackten», heisst es in Rupps Denkschrift. An diesem Sonntagmorgen ist die Stille gar nicht drückend. In weiter Ferne hört man Schüsse, aber sie kommen aus einem Schiessstand.

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«Schüssed Si los», sagte Oberst Koller, der ehemalige Vorgesetzte Rupps, damals Sekundarlehrer im Zivil, der in seiner Wohnung in L. sitzt und Auskunft gibt.* * Vgl. auch «Sprechstunde bei Dr. Hansweh Kopp», in «Der wissenschaftliche Spazierstock». Koller ist ein bekannter Politiker im Ruhestand, alt Stadtpräsident, Vorsitzender eines Kulturvereins, hat sich um die Förderung der schweizerischen Bühnenkunst verdient gemacht. Er hat alle Exekutionsakten in einem Ordner aufgehoben. Unaufgefordert übergibt er mir die Kopien einiger Vollzugsakten, auch einen Originalzettel mit dem Exekutionsprogramm, den er an jenem Morgen in der Hand hielt. Stolz erklärt Oberst Koller die «minuziöse Vorbereitung» und die «reibungslose Abwicklung». Auch er sagt: Es war eine saubere Exekution. Er habe sich noch lange mit dem Sanitätsoffizier darüber unterhalten, wo gegebenenfalls der Fangschuss erfolgen müsse: in den Mund, in die Schläfe, den Nacken oder die Stirn. Man habe die Frage offengelassen, und es sei dann auch alles gutgegangen. Koller befürwortet auch im Zivilleben die Todesstrafe: Wohin kommen wir sonst mit unserer Humanitätsduselei? Nach der Exekution von Zaugg und Schläpfer, als alles gutgegangen war, die Mannschaften den Platz schon verlassen hatten und er mit einigen Offizieren zurückgeblieben war, hat er aufgeschnauft und eine Zigarette geraucht. Die beste Zigarette meines Lebens, sagt er. Während er rauchte, hörte er gedämpften Soldatengesang, es war das Lied «Eine Kompanie Soldaten, wieviel Freud und Leid ist das». Oberst Koller muss man keine Fragen stellen, es sprudelt freiwillig hervor.

Im Ordner die Protokollakten: Der Regierungsrat X. von Zauggs Heimatkanton und der Regierungsrat Y. des Erschiessungskantons, welche protokollarisch das Recht zur Anwesenheit auf dem Richtplatz haben, verzichteten auf diese Anwesenheit. Auch die Verteidiger wollten nicht beiwohnen. Dann die pathologisch-anatomische Diagnose (die Leichen wurden sofort seziert): Hinrichtung durch Erschiessen. 17 Treffer. 6 Kopfschüsse, 11 Brustschüsse, Sprengung der Schädelkapsel, Schädelbasisfrakturen, weitgehende Zertrümmerung des Gehirns, Schädelschwartenriss, Abriss des linken Ohrläppchens, Zertrümmerung der Brustwirbelsäule, Paravertebrale Frakturen der 2. bis 6. Rippe, 3 Herzdurch- und -streifschüsse, Zerreissung des Herzbeutels, beider Lungenoberlappen und des linken Lungenunterlappens, mehrfache Durchtrennung der Brustschlagader. Hämothorax duplex, zwei Rachenwanddurchschüsse, Zertrümmerung des rechten Humeruskopfes, vacuoläre Depression der Leber.» Signiert: Professor K., eine Kapazität auf dem Gebiet der Pathologie. Dann ein Brief vom protestantischen Pfarrer der Heimatgemeinde Zauggs (eines Dorfes im Emmental): «… dass verschiedene Geschwister nicht einverstanden sind, dass man die Asche Ferdinands ins Grab der Eltern lege, denn das würde dieses Grab der Eltern schänden. Sie können sich gar nicht auf die Tatsache stellen, dass es eine göttliche Vergebung gibt, unter die wir uns selbst dann zu beugen haben, wenn eine weltliche Gerichtsbarkeit keine Gnade mehr geben kann, wie es in diesem Fall wohl geschehen muss.» Die Asche Zauggs und die Leiche Schläpfers kamen dann, weil die Angehörigen sie nicht haben wollten, auf einen Friedhof der Innerschweiz.

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Kurt Holliger in Burgdorf ist Schützenkönig und Metzgermeister. Eine Mietwohnung am Stadtrand, ähnlich eingerichtet wie die Wohnung der Frieda Schläpfer, ziemlich einfach. Holliger sagt: Wir haben nicht gesungen, das hat sich der Oberst eingebildet. Das sei wieder typisch für Koller. «Üseri Offiziere sy komischi Type gsy», der Koller ein richtiger Protz, ein bissiger Hund. «Mir händ si ghasst wie Pescht.» Die waren nicht wie Menschen, immer kaltschnäuzig. Am Abend, als sie die Erschiessung im Schlachthaus trainieren und auf den Oberleutnant Meinhold anlegen mussten, hätte er am liebsten auf diesen geschossen, um diesen Hund wäre es weniger schade gewesen als um den Johann Schläpfer.

Einer aus dem Peloton habe bei dieser Zielübung im letzten Moment gemerkt, dass eine richtige Kugel im Lauf sei, und habe sie leider entfernt, sonst wäre der Meinhold abgekratzt, da er ihnen so schön die Brust hinstreckte. Gott sei Dank habe er nicht auf den Johann Schläpfer zielen müssen, der ein lieber Kerl gewesen sei, sondern auf die Brust vom Zaugg, der weniger sympathisch war. Auch war Zaugg in der Kompanie als deutschfreundlich bekannt, und damals habe man die Deutschen und ihre Freunde wahnsinnig gehasst, weil sie ihretwegen die Geschäfte zu Hause im Stich lassen mussten. So sei das Schiessen leichtergefallen. Aber trotzdem habe er sich oft gefragt, ob das damals richtig gewesen sei und ob man nicht auf ganz andere Leute hätte schiessen sollen, da waren noch ganz andere Vaganten herum. Nur eben, damals hat der Staat einfach über die Leute verfügt, man führte die Befehle aus. Holliger hat nicht gewusst, dass bei einigen der Schuss nicht losging, sie haben nie darüber gesprochen, sie mussten Geheimhaltung versprechen und wurden von der Heerespolizei nachher bespitzelt. Keiner vom Peloton habe geschlafen in der Nacht vorher. Er habe von Jahr zu Jahr mehr Zweifel, ob es die Richtigen getroffen habe, schliesslich, was könne so ein Fourier schon für wichtige Geheimnisse verraten, verglichen mit einem Obersten.

Eine saubere Exekution? Das könne man eigentlich nicht sagen. Auf jeden Fall nicht sauber für die Soldaten, die Schläpfer und Zaugg einsargen mussten. Die Gesichter aufgedunsen, wie von vielen Wespenstichen. Man habe den beiden ihren Ceinturon etwas höher als sonst gegürtet, damit die Soldaten genau 10 Zentimeter weiter oben visieren konnten, wo sich das Herz befand. Die vordere Schützenlinie hingegen musste auf den Mund zielen. Als sie schon die schwarze Binde über den Augen hatten und ihnen alle Knöpfe an der Uniform abgeschnitten waren, damit das Abprallen der Kugeln vermieden wurde, taten die Feldprediger ihren letzten Zuspruch. Zaugg habe keinen Mucks gemacht, also sagte Pfarrer Hürlimann an seiner Stelle: Herr, ich sühne meine Sünden. Der katholische Feldprediger hingegen habe noch gemeinsam mit Schläpfer ein Vaterunser gebetet. Dann habe es geklöpft. Gleich nachher sei es ans Härdöpfelrüsten gegangen. An jenem Tag gab es Brätkügeli, Härdöpfelstock und Randensalat, das weiss er noch genau.

Man nannte es das Exekutionsmenü.

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