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Zug, sein Charme und seine Zuzüger
ОглавлениеMan kann sich der Stadt Zug – wie nett liegt sie im Schutz ihrer Türme am Wasser! – auf verschiedene Weise nähern, vom See her zum Beispiel, aber auch auf dem ebenen Landweg von Baar oder Oberwil, oder vom Berg herunter kann man auch kommen und sieht sie dann hübsch konzentriert (Altstadt) in der Tiefe liegen und metastasenartig, krebsgeschwürmässig in Richtung Zürich wuchern (das Neue). Kommt man vom See, so geniesst man dieselbe Perspektive wie Margret Thatcher, die energische, welche sich bekanntlich immer wieder ferienhalber auf dem Landgut der Familie Glover-Hürlimann erholt und bei dieser Gelegenheit der zugerischen Masseuse A. ihren Rücken zur Massage darbietet (kneten, aufstreichen, groblockern, rundstreichen, feinlockern, Rügeligriff, falscher Kammgriff, Heizgriffe).
Unweit des Glover-Hürlimannschen Landgutes liegt die alte Herrschaft Buonas, heute im Besitz der Witwe Bodmer, riesiges Gelände mit bemerkenswerten Bäumen, leerstehendem Schloss, Herrschaftshaus und etlichen Bediensteten. Dort befindet sich ein unabsehbar grosses Stück Natur noch im besten Zustand, der aber leider nur von Frau Bodmer, ihren Gästen und Bediensteten goutiert werden kann, denn der Zutritt ist verboten, das Seeufer bleibt prinzipiell unzugänglich. Der Blick auf Zug jedenfalls ist von dort aus auch sehr lohnend, wie der Reporter bestätigen kann, der an einem Sonntagnachmittag, als er nach einer Woche Zug über die zugerischen Verhältnisse in aller Ruhe meditieren wollte, von einem Bodmerschen Gärtner mit harschen Bemerkungen weggewiesen wurde.
Unweit dieser Latifundien, seeaufwärts, liegt das sehenswerte Grundstück der Witwe Göhner. Dieser ungemein bekannte Bauunternehmer hatte bekanntlich weite Strecken der Schweiz mit Neubauten bedeckt, ihn selbst aber zog es in die Natur, zum stillen Genuss der Naturschönheiten. Die Witwe Göhner hat nun ein Stück Land dem Paraplegikerzentrum in Basel vermacht, und soll jetzt auf ihrem Territorium gebaut werden, damit sich die Paraplegiker am Zugersee erholen können. Die Nachbarschaft von so vielen querschnittgelähmten Leuten scheint aber der Witwe Bodmer nicht ganz zu behagen; und so hat denn zwar nicht sie, sondern ihr Obergärtner, in der Lokalpresse einen Leserbrief veröffentlicht, der auf die Unbekömmlichkeiten des geplanten Paraplegikerzentrums hinweist.
Buonas gegenüber liegt das Herrschaftshaus der Witwe Gyr, die mit dem Firmengründer der bekannten Landis-&-Gyr-Fabrik verheiratet gewesen ist (im Volksmund Landis und Geldgier genannt). Diese Fabrik ist mit viertausendfünfhundert Beschäftigten die grösste von Zug. Witwe Gyr bewohnt, umsorgt von zwei Gärtnern, zwei Dienstmädchen und einem Chauffeur, den bemerkenswerten Herrensitz am See, dessen Realwert (Genusswert) leider durch das steigende Verkehrsaufkommen der allzu nahen Kantonsstrasse eindeutig gelitten hat. Ihr Chauffeur, zugleich Dirigent des Jodlerchores «Maiglöggli», führt sie einmal pro Woche zur Pedicure nach Zürich und sei auch verantwortlich für das reibungslose Funktionieren der Boote, die im Bootshaus liegen. Er trägt einen interessanten Ledermantel.
Frau Gyr gilt in Zug als Sehenswürdigkeit, liess und lässt sich in der Stadt kaum blicken, lebt zurückgezogen; und so kamen sich der Fotograf Gretler und ich denn auch sehr privilegiert vor, als ihr Enkel, der freundliche Ethnologe Daniel Brunner, uns eröffnete: Heute besuchen wir die Grossmutter! Nach kurzer Fahrt betraten wir das Seegrundstück, der Blick ging nach Buonas hinüber, dann zum Gyrschen Herrensitz und zur oberhalb der Kantonsstrasse liegenden Kapelle, in welcher Pater Alberik Zwyssig die Hymne «Trittst im Morgenrot daher» erfunden hat; und dann sahen wir eine Frauensperson, die energischen Schrittes uns entgegenstrebte und mit hellklingender Stimme interpellierte – «was mached Sie do im Garte?» Es konnte sich dabei unmöglich um die hochbetagte Grossmutter handeln und war denn auch wirklich nur eine ihrer Töchter, Mutter des Ethnologen Daniel Brunner und Gattin des Landis-&-Gyr-Verwaltungsrates Andreas Brunner, der seinerseits ein Sohn des bekannten Theologen Emil Brunner ist; und wurden wir von ihr vorerst energisch des Grundstückes verwiesen, und nur auf die besonders eindringlichen Bitten ihres Sohnes Daniel hin wurde uns doch noch ein kurzer Zutritt bei der Witwe Gyr gewährt.
Das Haus ist auch innen von der rühmenswertesten Art, im Foyer konnten wir einen Bassano ausmachen, auch einen frühen Hodler, und die Witwe stand, selbst ein Bild, auf ihren Krückstock gestützt, im Gegenlicht auf der Schwelle des Salons, welche zu überschreiten uns nicht vergönnt war, und sagte: Zum Thema Zug habe sie rein gar nichts zu sagen.
Frau Gyr, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Topographie: Wenn man sich der Stadt Zug vom Berg her nähert (Zugerberg, Menzingen), dann entdeckt der Reisende, wieviel diese Stadt und ihr Inhalt wert sind. Denn oben auf dem Gubel sieht man gut erhaltene Raketen, eine voll ausgebaute Bloodhound-Stellung hinter Maschenzaun, etwa zehn oder fünfzehn schnittige, sehr teure, vom Design her wirklich ansprechende Fliegerabwehr-Raketen, dazu modernste Radarschirme und verbunkerte Feuerleitzentralen. Wenn da ein Flieger käme, die Stadt Zug und ihre komplizierten Handelsverbindungen stören wollte – er hätte sofort eine Rakete im Bauch. Man ist auch in der Abwehr modern, nicht nur im Handel. Die Raketen deuten alle nach Osten. Einige Lafetten sind unbestückt; vielleicht werden die dazugehörigen Flugkörper unterdessen frisch gestrichen.
Gleich unterhalb der Raketenstellung liegt das Kloster Mariahilf. Im Kriegsfall geht es sofort kaputt, die Bloodhound-Stellungen sind gewiss auf den Generalstabskarten des Warschaupakts eingetragen, und die Zielgenauigkeit der russischen Raketen lässt zu wünschen übrig. Die Nonnen aber, denen man auf einem Spaziergang begegnen mag, lachen weiterhin unbeschwert. (Voll Gottvertrauen.) In der Klosterkirche findet man an der Decke die Schlacht am Gubel gemalt, katholische und reformierte Truppen piesacken einander, Pferde stürzen in die Schlucht, Augen brechen, Lanzen stechen, die Katholiken gewinnen, bravo.
Weiter unten in der Topographie, Straflager Zugerberg, sind die neun russischen Soldaten interniert, welche, in Afghanistan von den Aufständischen gefangengenommen, der Schweiz überstellt worden und nun manchmal in Zug auf einem Einkaufsbummel zu sehen sind. Und ganz unten dann eben diese Stadt, a small farming community near Zurich, wie eine amerikanische Zeitung schrieb, dieses Zug mit seinem Kapuzinerkloster, wo noch die Armensuppe ausgegeben wird, mit seiner Marc Rich und Co., dem weltumspannenden Rohstoffhändler, blauschimmerndes Building an der Baarerstrasse, seiner Phibro ag, aus welcher die Marc Rich und Co. hervorgegangen ist, mit seinem alt Bundesrat Hürlimann, welcher Phibro-Verwaltungsrat gewesen ist und jetzt die Marc Rich berät; dieses Zug mit seiner peinlich geschniegelten Altstadt, die wie ein Disney-Land inmitten der schnell aus dem Boden geschossenen Buildings liegt; eine boomende, pilzende, formlose, wuchernde Stadt, die auch Dallas heissen könnte.
«Eine einzige, zynisch berechnete, von sämtlichen Räten abgesegnete Betonverwüstung, eine Ausbeutung und schamloseste Schändung ohnegleichen ist das, was hier einer schönen kleinen Stadt angetan wird», schreibt der gebürtige Zuger Urs Herzog, Professor an der Universität Zürich, über seine Heimatstadt, die er heute nicht mehr erträgt. Die Altstadt wirkt so komisch in diesem Beton, als sei sie vom Himmel gefallen. Sie ist sinnlos geworden in der neuen Umgebung, eine Puppenstube für Denkmalpfleger, wird von ihrem Kontext relativiert und lächerlich gemacht.
Eine «ratlose Überfremdung» nennt alt Bundesrat Hürlimann diesen Zustand – aber hat er als Alt-Verwaltungsrat der Phibro ag, als ehemaliges Mitglied der Zuger Regierung, welche die ausländischen Firmen mit Steuerbegünstigungen nach Zug holte, wirklich keinen Rat gewusst? Heute ist er «ständiger kultureller Berater» der Marc Rich und Co., wie man bei dieser Firma erfahren kann, während er selbst, bescheiden, seine Rolle viel kleiner sieht: Er habe Marc Rich «ein einziges Mal» kulturpolitisch beraten. Welche Sache das war, möchte er nicht sagen. Er möchte überhaupt fast nichts sagen, wenn man ihn telefonisch befragt; will den Reporter auch nicht empfangen, seine Devise sei: Servir et disparaître, und nachdem er nun dem Kanton Zug und der Eidgenossenschaft an gut sichtbarer Stelle gedient hat, möchte er wohl ganz verschwinden – und doch ist er noch da. Vom Kanton Zug und seiner Wirtschaftspolitik verstehe er nichts, da sei er nicht kompetent, der Reporter solle sich diesbezüglich an den Alt-Stadtpräsiden-ten Hegglin wenden, diesem aber auf keinen Fall verraten, dass er, Hürlimann, dem Reporter geraten habe, sich an ihn zu wenden (dem Leser darf ich es verraten, das wurde mir nicht verboten).
Schweigen, Lieblingsbeschäftigung der Zuger, die etwas zu sagen haben (zu sagen hätten). Silent City. Die Zuger sind richtige Schweige-Virtuosen, Verschweigungskünstler, Diskretionsfanatiker, und die zugezogenen Zuger sind es noch mehr (Marc Rich und so weiter). Dr. Paul Stadlin schweigt, obwohl er doch gewiss über seine 83 Verwaltungsratsmandate etwas zu sagen hätte, der Spross aus alteingesessenem Zuger Geschlecht, der grosse Politiker, er hält nichts von Journalisten, «weil man ihre Artikel ja doch nicht kontrollieren kann». Paul Stadlin lebt in Bürogemeinschaft mit Dr. Rudolf Mosimann, seinem Schwiegersohn, der nur über 33 Mandate verfügt, und der schweigt auch.
Stadlin ist nebenbei Schriftsteller, hat den Text zu einem Fotobuch über Zug geliefert, aus dem alles Hässliche wegretouchiert ist, Zug als landschaftliche, denkmalpflegerische Idylle; und er macht auch Gedichte, die gütigst im Verlag H.R. Balmer Zug, mit dem er sozusagen als Mäzen verquickt ist, verlegt werden. Da er dem Reporter keine Erklärungen abgeben wollte, kann hier nur ein Gedicht von ihm zitiert werden:
EINE ART VON PHILANTHROP
Wenn einer lebenslang nichts getan,
Als Macht und Besitz zu raffen,
Kommt ihn am Schluss wohl die Grossmut an,
Ein bleibendes Werk zu schaffen.
Besiehst du dir jedoch näher das Ding,
Ist’s ein Teil nur von einem Götzen;
Du merkst, dass es dem Herrn drum ging,
Sich selbst ein Denkmal zu setzen.
Er tut es mit jener Besessenheit
Mit der er kein Ziel verfehlte;
Ein «Kindlifresser», der Vreneli speit,
Weil ihn die Vergänglichkeit quälte.
In ihm ist die Wut des Bauens entbrannt
Zu Stadien, Schulen, Museen.
Er wird nun als Philantrop bekannt;
Auch das macht ihm Spass zu sehen.
Doch wisse, sprich niemals bei ihm vor
Mit einem persönlich’ Anliegen:
Für solches Gefasel ist taub sein Ohr
Und nicht ein Nickel zu kriegen.
(Paul Stadlin, «Lamellenblick, Ein Glossarium in Versen»)
Andere schweigen, nachdem sie zuerst reden wollten, zum Beispiel der Hauptbuchhalter einer grossen ausländischen Firma, mit dem ich verabredet war und der mich dann um sieben Uhr früh im Hotel anrief, mit angstgepresster Stimme: Er habe «es» mit seiner Frau besprochen, müsse als Familienvater Rücksicht nehmen, sicherheitshalber wolle er mich lieber doch nicht treffen, die Firma – bitte den Namen nicht nennen – sehr streng, amerikanische Methoden, nicht gemütlich wie Landis & Gyr, der kleinste Fehler, und man wird rücksichtslos gespeicht, bei Indiskretionen fristlose Entlassung, überhaupt ein Klima wie bei den Haifischen. Also kein Treffen mit Hauptbuchhalter X. Bei einer anderen Rohstoff-Verschiebefirma wird der Reporter nach langer Bedenkfrist empfangen und darf tatsächlich mit einem Direktor reden, muss aber zuerst eine schriftliche Erklärung abgeben, welche ihn dazu vergattert, weder Zitate aus dem Gespräch noch den Namen der Firma zu drucken, die ihm ein Interview gegeben hat, das er nicht verwenden darf. Es handelt sich um das nebst der Phibro ag bedeutendste Haus am Platz, nämlich die …
Eine andere Person, ungenannt sein wollend, möchte auf keinen Fall mit dem Reporter in einem öffentlichen Lokal gesehen werden, auch droben in Menzingen oder Ägeri nicht, Verabredung schliesslich auf dem Friedhof Baar, Nähe Beinhaus, und dann ab in seine Wohnung, auf dem Weg dorthin die Angst, wir könnten zusammen gesehen werden. In den eigenen vier Wänden spricht er dann ziemlich frei, wenigstens seiner Frau vertraut er, das ist beruhigend.
Leider weiss er nicht viel Interessantes, arbeitet in untergeordneter Stellung, wie er sagt. Wer nämlich etwas Interessantes weiss, der braucht das Wissen, um Geld zu machen, und das kann sehr schnell gehen, wenn man die Kenntnis der Rohstoffmärkte richtig einsetzt, in einer der berühmten Firmen, Marc Rich, Phibro, Commercial Metals & Rohstoff – sagt die ungenannt sein wollende Person. Habe er doch Schulkameraden erlebt, die kometenhaft aufgestiegen seien, nach der Banklehre sofort in eine dieser Firmen und als Trader Erfolg gehabt, da werde nicht nach Diplomen gefragt, das trading business als letzte Möglichkeit hierzulande für einen Selfmademan, nur gute Nase, harte Ellenbogen und schnelle Auffassungsgabe seien nötig, auch maximales Anpassungsvermögen, da könne man seinen Schnitt machen, nur in diesem Sektor werde einer heute noch ohne Universitätsdiplom so richtig in die Höhe kommen. Aber auch sofort wieder herunter, wenn man nicht spure beziehungsweise für die Firma nicht genug Geld einfahre (wie die Ernte in die Scheune). Wahnsinnig flexibel müsse man halt sein. Und die Zurückhaltenden, Scheuen, Rücksichtsvollen schaffen es nie.
Einen kennt er, in Menzingen droben, Sohn einer vierzehnköpfigen Familie, kommt von ganz unten, der hat es jung geschafft. Vierhunderttausender im Jahr, toller Wagen, Einfamilienhaus in bester Lage, aber der müsse auch krampfen wie ein Vergifteter, die Familie habe nicht viel von ihm, er geniesse nämlich das Vertrauen von Marc Rich, und das sei anstrengend, da werde man in der ganzen Welt herumgeschickt, was ist jetzt wieder mit dem chilenischen Kupfer, wie kann das mit möglichst grossem Zwischengewinn an die Sowjetunion verkitscht werden, was können wir in Südafrika garnieren, wo gibt es politische Lämpen, wann will ein Produzent aus politischen Gründen nicht mit einem Konsumenten verhandeln, so dass der Zwischenhändler eingeschaltet werden muss – harter Job, blitzschnelle Entscheidungen, gesunde Nerven, harte Kalkulation.
Es sei diesem Eddie E. in Menzingen droben nicht an der Wiege gesungen worden, dass er einmal diesen tollen Wagen fahren werde und von Marc Rich in ein Fortbildungsseminar geschickt werde und in der ganzen Welt herumdüsen könne; und darum seien Leute wie E. dem Rich und ähnlichen Firmen so dankbar, weil sie ohne diese nicht aus der zugerischen Enge ausgebrochen wären und es auf keinen grünen Zweig gebracht hätten. Und wenn es auch nur ganz wenige Zuger schaffen, so bleibe für die andern doch die Hoffnung, dass sie es einmal schaffen könnten.
Jedenfalls, diese Firmen schütten ein gutes Salär, auch in den untern Rängen besser als Versicherungen oder Banken oder die Industrie, sagt mein Gewährsmann, und weil so viele davon in Zug domiziliert sind, angelockt von den Steuererleichterungen, müssen die Einheimischen weniger Steuern zahlen. Allerdings, auf die niederen oder mittleren Einkommen trifft es nicht soviel an, bei einem monatlichen Salär von 4000 Franken macht es wenig aus, verglichen mit den Steuern in Zürich, aber für die hohen und höchsten Einkommen ist der Steuerunterschied dann prächtig, sagt der Gewährsmann.
Allerdings, man müsse auch berücksichtigen, dass wegen der vielen durch die zugerischen Verhältnisse angelockten reichen Leute die Mieten wahnsinnig in die Höhe getrieben worden seien, so dass heute in Zug eine rechte Wohnungsnot grassiere. Aber für die Advokaten sei es eine gute Zeit. Ein Freund, der vor zehn Jahren in Zug die Matura bestand, hat ihm erzählt, dass aus seiner Klasse neun Juristen hervorgegangen sind, sieben davon besitzen jetzt einen Mercedes oder etwas in derselben Preisklasse, und alle schiessen sie gewaltig ins Kraut. Jemand müsse ja schliesslich die juristischen Formalitäten für die 9000 juristischen Personen erledigen, welche in Zug domiziliert sind (in Worten: neuntausend).
Zug hat gewaltig expandiert, es ist hier die Wut des Bauens entbrannt, wie Dr. Paul Stadlin sagen würde, und auch die Wut des Renovierens und Abreissens. Kürzlich wurde die sogenannte Metalli abgerissen, eine riesige Zahnlücke klafft jetzt im Stadtbild, wo früher die Metallwarenfabrik stand, und bald wird dort eine Überbauung hingeklatscht, die es an Hässlichkeit mit dem Neustadt-Center ohne weiteres wird aufnehmen können. Das Neustadt-Center ist ein ödes Konglomerat von Ladenstrassen und Büros. Früher soll die Gegend dort wohnlich gewesen sein, sagen die älteren Zuger. Die neue Kantonsschule – ohne die Steuermillionen, die den ausländischen Gesellschaften entfliessen, wäre sie nicht so schnell so zackig gebaut worden – sieht aus wie die Kommandozentrale einer ausländischen Gesellschaft, kalt und ziemlich grausam.
Die Philipp Brothers ag baut auch, das alte Domizil wurde zu eng für die 400 Angestellten, der Neubau wird im Volksmund Pentagon genannt. Auch die Marc Rich hat bekanntlich vor kurzem gebaut, der Sohn des Abwarts der alten Kantonsschule, welche man «die Athene» nannte, hat den Auftrag bekommen. Der bläulich schimmernde, kubische Bau, in dem sich die Nachbarhäuser spiegeln, ist transparent, im Gegensatz zu den Geschäften, die darin abgewickelt werden. Man sieht in das Gebäude hinein, Rohstoffhändler telefonieren, reden miteinander oder auch nicht, Sekretärinnen hasten, blau kolorierte Gesichter erteilen Befehle, auf Monitoren werden die Börsenkurse abgelesen, «junior traders» entwerfen Konzepte, rund um die Welt herum wird geordert, immerdar Gewinn und Verlust/Wäget ein sinnendes Haupt.
Hier wird nichts hergestellt, keine altehrwürdige Produktionstätigkeit ausgeübt wie bei Landis & Gyr, hier wird nur verschoben und garniert, man sieht keine Waren, die Tätigkeit ist immateriell, reiner Geist am Werk. Wie Gottfried Benn richtig sagte: Riesige Hirne biegen/sich über ihr Dann und Wann/Und sehen die Fäden fliegen/die die alte Spinne spann. Und das im ehemals gemüthaften Zug, vor zwanzig Jahren war da noch eine introvertierte Kleinstadt. Unterdessen hat man sich allerdings, wie alt Bundesrat Hans Hürlimann einmal schrieb, «mehr und mehr von Scholle und Sippe entfernt», so schnell wie eine BloodhoundRakete von ihrer Lafette startet. Die Stadt hat abgehoben.
Scholle und Sippe? Das tönt nach alter Zuger Tradition, ein bisschen nach Blut und Boden, katholisch-konservativ, Philipp Etter hat so gesprochen, der militante Anhänger von ständestaatlichen Ideen, der dauerhafteste, langjährigste Bundesrat der Schweizer Geschichte, der berühmteste Zuger vor Hürlimann. Abrupter Übergang in dieser Stadt: von der Schollenhaftigkeit zum Internationalismus. In der Person von Hans Hürlimann streiten diese Gegensätze miteinander. Einerseits die alte Theorie der Bodenständigkeit, in patriotischen Reden zuweilen durchschimmernd, anderseits die Praxis des Phibro-Verwaltungsrats und Marc-Rich-Beraters.
Manchmal wird der Stadt der Boden unter den Füssen weggezogen, und ein Teil verschwindet, weil sie auf schlechten Grund gebaut ist. Am 4. März 1435 zum Beispiel versank die niedere Gasse der heutigen Zuger Altstadt ohne viel Aufhebens im See, mit 26 Häusern und 60 Menschen, eine Inschrift am alten Zollhaus erinnert daran: «MCCCCXXXV gieng Zug under und ertrank Schriber Wikart.» Ein Sohn des Wikart wurde in der Wiege auf den See hinausgespült und blieb am Leben, ein Nachkomme ist heute Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Zug. Der Luzerner Chronist Renwart Cysat hat den Zuger Seesturz so beschrieben: «Es war ein vast kalter Winter und der See überfroren gewesen, jetzt aber der Frühlings Zyt nach der Wärme im Wasser und in der Erde erzeigt, also dass es die Grundveste in dem understen Theil der allten Stadt gegen den See erweicht und erhüllst oder underfresse.»
Am 5. Juli 1887 versinkt schon wieder ein Teil der Vorstadt im See, 600 Bewohner verlieren ihr Obdach, 18 Menschenleben sind zu beklagen. «Als der Rektor der Kantonsschule gegen 19 Uhr die Unglücksstelle zum zweitenmal besichtigen will, wird er plötzlich durch ein Donnern, Krachen und Rasseln erschreckt. Die Wachtposten der Feuerwehr rufen von ihren Beobachtungsposten: «Zurück, fliehet!» Eine dichte Staubwolke breitet sich über der Vorstadt aus und eine Gruppe von Feuerwehrleuten und Schülern stürzt ihm entgegen, dem Postplatz zu. Dieser bietet ihm ein Bild der Verzweiflung. Hunderte rennen jammernd und weinend durcheinander. Kinder suchen ihre Eltern, Frauen ihre Männer.» (H.A. Keiser, dem Andenken einer schweren Zeit)
Die Katastrophe war nicht ganz überraschend gekommen, beim Fortschreiten der Quaiarbeiten hatten sich Risse und Senkungen gezeigt, ein Gutachten erklärte die Vorstadt als gefährdet und schlug ein neues Verfahren vor. Die Zuger Regierung wollte jedoch die Gefahr nicht sehen und den ursprünglichen Pfählungsplan am Quai nicht aufgeben, und so wurde dann weiter gepfählt und gebaut; und dann passierte es.
Bei dieser Gelegenheit hatte die Freiwillige Feuerwehr Zug (FFZ) ihren ersten bedeutenden Einsatz, von dem sich alle Feuerwehrleute befriedigt erklärten. Sie sperrte mit grossem Geschick die Unglücksstelle ab. Diese Feuerwehr, unter der Leitung ihres Kommandanten Wikart und des Präsidenten Meienberg (Markus), ist nach wie vor der bedeutendste Verein der Stadt, Schmelztiegel der gewerblichen Interessen, auch Sprungbrett für eine politische Karriere. War nicht ihr ehemaliger Präsident Hagenbuch, Wirt des gleichnamigen Restaurants, Feuerwehrpräsident, bevor er Stadtpräsident wurde? Mit der Feuerwehr als Hausmacht ist er gegen Hegglin, den viel reicheren «Ochsen»-Wirt, angetreten, der mehr Geld hatte, aber weniger Popularität.
Bei der jährlichen Feuerwehrgeneralversammlung brechen jeweils die unterdrückten Gefühle hervor, das Schweigen, die Zuger Spezialität, darf gebrochen werden, höhnische Schnitzelbänke werden vorgelesen, Zoten produziert, eine geschlossene Männergesellschaft implodiert. Den Frauen könne man diese Grobheiten nicht zumuten, sagt Meienberg (Markus), darum werden sie bei dieser Gelegenheit ausgeschlossen.
Hagenbuch übrigens, der ehemalige Feuerwehr-, dann Stadtpräsident, ist seinerzeit nach einer bewegten Stadtratsitzung vier Treppen hinunter im Stadthaus zu Tode gestürzt, manche sagen: aus Verzweiflung, weil er sich gegen den mächtigsten Konkurrenten Hegglin, der den Stadtrat beherrschte, nicht habe durchsetzen können und weil seine ehrliche, gerade Art zwar beim Volk guten Anklang fand, von den zugerischen Grosskopfeten aber verspottet worden sei. Nachher ist dann Hegglin Stadtpräsident geworden und später Kamer. Der ist immer noch. Die freiwillige Feuerwehr Zug ist auch ein Schmelztiegel für die Gefühle, welche bei den Gewerblern auftreten, wenn die zugerische Linke gegen die Rohstoffhändler auftritt. Die Trotzkisten von der sap im allgemeinen und ganz speziell ihren Vertreter im Stadtparlament, Joe Lang, würde die ffz wohl am liebsten mit dem grossen Wenderohr in den See spülen.
Werbung für die Feuerwehr, Begleittext zu Fotos von allerhand Feuersbrünsten, die in vier Glaskästchen am Polizeigebäude von Zug angebracht sind. «Junge Manner, die Kameradschaft suchen, über Courrage und Mut verfügen und die bereit sind, sich im Dienste der Allgemeinheit zu engagieren, sind bei uns immer willkommen als zukünftige Feuerwehrkameraden.» Viermal der gleiche Text mit «Courrage und Mut» zu immer andern Bildern. Die Kästchen sind ausserdem mit modernen Feuerwehrutensilien geschmückt. Wenn es bei der Marc Rich und Co. einmal brenne, sagt der Feuerwehrkommandant Wikart, so könne man auf bereits erstellte Einsatzpläne zurückgreifen. Alles vorbereitet! Es müsse eine chemische Brandbekämpfung erfolgen, bei den modernen Baumaterialien. Und es könnte ein Widerspruch entstehen zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Marc Rich und Co. einerseits, schliesslich sei dort alles dreifach gesichert und abgeschlossen und elektronisch verriegelt, und dem Wunsch nach allgemeiner Zugänglichkeit sämtlicher Gebäudeteile, anderseits, den die Feuerwehr äussern müsse. Sprungtücher besitzt die Freiwillige Feuerwehr Zug nicht mehr, und ihre längste Leiter ist um ein weniges zu kurz für die oberste Etage des Rich-Glashauses, aber dafür besitzt sie eine in Sekundenschnelle aufblasbare, riesige pneumatische Sprungmatratze. Wenn also ein schwarzer Freitag kommt, wie damals in New York, und die führenden Männer dieser Firma den Wunsch äussern, nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch aus dem Fenster zu springen (– aber lässt sich dort überhaupt ein Fenster öffnen? Vollklimatisiert!), dann steht die Freiwillige Feuerwehr Zug mit ihrer pneumatischen Matratze bereit.
Mit Courrage und Mut springt es sich leichter.
Bei der Phibro ag ist man auch sehr schweigesüchtig. Ein Herr Haecky oder Haecksly – er sagt seinen Namen am Telefon so undeutlich – will mir erst nach 48stündiger Bedenkfrist mitteilen, ob er mir etwas mitteilen könne beziehungsweise ein Interview prinzipiell möglich sei. Nach 48 Stunden sagt er, es sei prinzipiell nicht möglich. Aber Rolf Wespe vom «Tages-Anzeiger» wurde doch auch einmal bei der Phibro empfangen? Eben deshalb! Wespe habe alles verdreht, das heisst, gar nicht günstig über die Phibro geschrieben, darum sei er der letzte gewesen.
Aber Wespe hat nur wiedergegeben, was er bei der Phibro sah und hörte; und das ist vielleicht nicht günstig für die Firma.
Vielleicht weiss C. etwas, der hat drei Wochen als Archivar für die Phibro gearbeitet, bevor er entlassen wurde. Jemand von der kantonalen Verwaltung habe der Phibro, die über alle Angestellten beim Arbeitsamt genaue Erkundigungen einziehe, mitgeteilt, dass C. ein «politischer Aktivist» sei, darum die schnelle Entlassung. Dass er polizeilich registriert ist, wurde ihm bewusst, als er bei einer Freundin zu Hause, deren Vater Polizist war, Fotos entdeckte, die ihn an einer Demo zeigten; der raffinierte Polizist hatte sie ganz geheim durch ein Knopfloch aufgenommen, aber offen zu Hause liegenlassen; dort findet sie dann der Freund der Tochter, als der Vater-Polizist abwesend ist (so klein ist Zug immer noch, trotz aller Expansion).
Man kennt sich und ertappt sich gegenseitig, 20'000 gemütliche auf Beobachtung spezialisierte Einwohner. Bei der Phibro habe im Archiv eine sagenhafte Unordnung geherrscht, es sei ihm ein Rätsel, wie die Steuerbehörden sich auf Grund dieser unordentlich abgelegten Papiere ein genaues Bild von der Finanzkraft der Phibro machen könnten (jährlicher Umsatz: etwa 25 Milliarden Dollar). Die Phibro habe damals mit Kupfer, Zinn, Molybden, Ferrochrom, Ammonium, Klinker, Rhenium und so weiter – aber auch mit Weizen gehandelt, und er habe Dokumente gesehen, wonach die Firma zu einer Zeit, als die Sowjetunion den chilenischen Kupfer offiziell boykottierte, als Zwischenhändler eingesprungen sei, damit die Sowjetunion das Gesicht wahren und doch Kupfer erwerben konnte.
Das Kupfergeschäft sei dann später der Phibro verlorengegangen und an die Marc Rich gefallen, der rasante Eddie E. aus Menzingen habe das an sich gerissen, der schnelle Aufsteiger. Die Beziehungen zwischen Phibro und Marc Rich seien aufs äusserste gespannt, jeder Phibro-Mitarbeiter müsse eine Erklärung unterschreiben, wonach er mit den Marc-Rich-Leuten weder privat noch geschäftlich verkehre. Romeo und Julia in Zug: Sie arbeitet bei der Phibro, er bei Marc Rich … Das Personal sei einer ständigen Kontrolle unterworfen.
Im September 1983 habe ein Betriebsausflug stattgefunden, mit Autocars. Man sei nach Zürich gefahren in den Zoo, weil die Firma dort einen Kragenbären patroniere. Vor dem Kragenbärengehege seien Telegramme rezitiert worden aus Luzern und New York, und man habe dem Kragenbären viele Lebkuchen mitgebracht, und alle seien aufgekratzt gewesen und sich menschlich nähergekommen, auch den amerikanischen Vorgesetzten, mit denen man durchaus fraternisiert habe, im Zoo. Man sei sich weniger kontrolliert vorgekommen als sonst. Später habe es dann Kalbsrücken gegeben in einem anständigen Restaurant, und Harold Dixon habe noch eine musikalische Auflockerung beigetragen (Blues). Etwa zwanzig von den Chefen hätten koscher gegessen.
C. übergibt mir ein «Handbuch für Phibro-Mitarbeiter», welches ihm damals ausgehändigt worden ist. Unter «Blumen und Pflanzen» heisst es dort: «Geschäftlich. Bei den meisten von der Firma zur Verfügung gestellten Pflanzen handelt es sich um empfindliche Hydrokulturen, die eine ganz bestimmte Nahrungsflüssigkeit benötigen. Überlassen Sie deshalb die Pflege der eigens dafür engagierten Spezialfirma. Sonst kann es leicht geschehen, dass die Pflanzen durch ein Zuviel an Pflege Schaden nehmen. Neubestellungen von Hydrokulturen sind der Personal-Adm.-Abteilung zu melden. Die Schnittblumen für die diversen Büros werden jeweils am Montag oder Dienstag geliefert und können beim Empfang abgeholt werden.»
Das Zuger Gewerbe profitiert von den Steuerflüchtlingen, kein Zweifel, und ihm ist wohl dabei. Ob die Phibro mit der Gärtnerei Landtwing ein Spezial-Blumenlieferungs-Abkommen hat oder Marc Rich beim Elektriker Stadler eine Flutlichtalarmanlage bestellt für sein Heim in Baar oder ob der Sohn des Kantonsschulabwarts den Auftrag für das bläulich schimmernde Gebäude erhält – immer profitiert das Gewerbe. Marc Rich – nicht die juristische, die natürliche Person – befürchtet, Tochter und/oder Frau könnten entführt werden, eventuell auch er selbst. Deshalb die Flutlichtalarmanlage. Die funktioniert so, dass Ultraviolett-Sensoren das Gelände rings um sein Haus abtasten, welches sich in der Gegend namens «Himmelrich» in Baar befindet, und die kleinste Bewegung im Bereich der Sensoren bewirkt das jähe Aufblitzen grellsten Lichtes, das jeden Einbrecher, Entführer oder andere lichtscheue Panduren augenblicklich in die Flucht schlüge oder auf der Stelle festnagelte.
Marc Rich fällt nicht auf in seiner Nachbarschaft, auch der Chauffeur nicht, welcher die Tochter in die amerikanische Schule bringt und der zugleich ihr Leibwächter ist. Nur einmal wurden die Nachbarn inkommodiert, als nämlich die Flutlichtalarmanlage eine Nacht lang Probealarm veranstaltete kurz nach ihrer Installation, Licht an, Licht aus, Licht an, ihre Zuverlässigkeit musste überprüft werden, und niemand konnte schlafen ringsum. Zur Wiedergutmachung lud Rich die Nachbarn und einen weiteren Freundeskreis, unter anderem auch den Landammann und Finanzdirektor Georg Stucky, in sein Haus und liess von Margrit Aklin, der bekannten Wirtin, servieren, was nach übereinstimmender Meinung der Gäste nicht gerade üppig gewesen sein soll. Aber die Ehre, das Haus des berühmten Mannes betreten zu haben, entschädigte die Gäste für den einfachen Imbiss.
Marc Rich hat sich sanft eingefügt in die zugerische Umwelt, bald gehört er zu Sippe und Scholle. Er macht alles diskret, spendet ein paar tausend für einen guten Zweck, ohne seinen Namen in die Öffentlichkeit zu bringen, oder kontrolliert durch Mittelsmänner eine kulturelle Stiftung. Die Leute, denen er geholfen hat, zeigen sich bei passender Gelegenheit erkenntlich, eine Hand wäscht die andere, aber niemand weiss, weshalb. Nur keine falsche Bewegung! Immer ganz diskret! Im Restaurant «Glashof», das seiner Firma gehört, kann man koschere Speisen bestellen, aber sie figurieren nicht auf der Speisekarte – das könnte auffallen. Kein offener Prunk, keine fremden Gewohnheiten, keine Abweichungen. Er ist berühmt und muss seine Berühmtheit kaschieren, er hat amerikanische Gewohnheiten und muss sich aufführen wie ein Zuger, er ist Jude und möchte es nicht zeigen.
Auch Herr Schön, das heisst seine Behörde, profitiert von den Steuerflüchtlingen, da ist ebenfalls kein Zweifel. Schön ist Steuerpräsident des Kantons Zug, hat eine altväterische Lehre beim Kanton gemacht und ist dann langsam aufgestiegen. 60 Prozent des Steueraufkommens der Stadt Zug stammten zum Beispiel 1982 von den juristischen Personen, und davon wieder ein grosser Teil von ausländischen Gesellschaften, während beim Kanton 40 Prozent von den juristischen Personen kommen. Die Hälfte der zehn grössten Steuerzahler sind Ausländer. Die Stadt hatte 1982 einen Überschuss von 30, der Kanton von 56 Millionen Franken aufzuweisen.
Schön, ein älterer Herr, bewältigt mit sieben Revisoren sämtliche juristischen Personen des Kantons, nämlich 9000. Wenn man die Briefkastenfirmen abzieht, bleiben noch etwa 3000 übrig, darunter solche Brocken wie Phibro und Marc Rich. Eine ganze Phalanx von internationalen Rabulisten, von gewieften amerikanischen, deutschen, schwedischen Steuerexperten und Juristen, steht der etwas biederen und überforderten Zuger Steuerverwaltung gegenüber.
Wie funktioniert das? Schön sagt: Wir müssen Vertrauen haben in die Gesellschaften. Vertrauen ist eben die Basis, bis zum Beweis des Gegenteils. Natürlich kann man nicht alles prüfen, Stichproben müssen genügen, und stellen Sie sich den Beamtenapparat vor, den wir aufbieten müssten, um wirklich alle Bilanzen durchforsten zu können! Der würde die zusätzlich hereinkommenden Steuern gleich wieder verschlingen. Also bleibt es besser so, wie es ist. Haben wir denn nicht schon genügend Steueraufkommen? Was wollen wir noch mehr? Vertrauen ist alles. Die Liebfrauenkirche ist dank dieser ausländischen juristischen Personen renoviert, eine Tiefgarage mit zehn Etagen gegraben worden, das Casino erweitert und renoviert, die Burg renoviert, bald gibt es eine neue Bibliothek, die Kantonsschule ist gebaut, die Stipendien erhöht, das Kunsthaus ist renoviert, für die Literaturförderung wird etwas gemacht – was wollen wir noch mehr? Mehr können wir eigentlich gar nicht wollen.
Dr. Rudolf Mosimann will auch nicht mehr, als er bereits schon hat. Er gehört zu den Schweigsamen, das heisst, er redet, aber sagt nichts. Dieser aufstrebende Jurist, in glücklicher Bürogemeinschaft mit seinem Schwiegervater und Dichter-Juristen Stadlin lebend, – ist Verwaltungsrat der Marc Rich und war bis vor kurzem Staatsanwalt des Kantons Zug, wurde dann vom Regierungsrat in seinem Amt suspendiert bis auf weiteres, damit es, falls gegen diese Firma hätte ermittelt werden müssen, zu keinen Interessenkollisionen käme. Sein Schwiegervater ist Präsident der Justizprüfungskommission, welche das korrekte Funktionieren der Justiz überwachen soll. – Eigentlich hätte Mosimann ja auch als Marc-Rich-Verwaltungsrat zurücktreten können, um das immerhin viel würdigere Amt des Staatsanwalts zu behalten; aber anderseits ist die Marc Rich und Co. soviel gewaltiger, rein von ihrem Umsatz her (15 Milliarden Dollar), als der Kanton Zug mit seinem Jahresbudget von 166 Millionen Franken (Aufwand), dass man einem gesund empfindenden Zuger Juristen nicht vorwerfen kann, am richtigen Ort demissioniert zu haben. Und überhaupt: Was ist gegen die Marc Rich und Co. einzuwenden? Wir sind doch alle gegen das Lädelisterben, sagt Mosimann. Zwischenhandel ist nötig, im Rohstoffsektor genau wie bei den Lebensmitteln, und wir wollen doch die Kleinen nicht ausrotten!
So tönt es in diesem Städtchen, und allen ist wohl dabei, und vielleicht versinkt wieder einmal ein Teil.
PS I: Nachdem die Reportage im Juni 1984 in der Zeitschrift BILANZ erschienen ist, erscheint bald darauf die polizeiliche Ausschreibung im SCHWEIZERISCHEN POLIZEIANZEIGER, und nachdem sich der Autor dem militärischen Untersuchungsrichter des Divisionsgericht 11 gestellt hatte, wurden er und der Fotograf Roland Gretler je zweieinhalb Stunden getrennt verhört, und zwar punkto «verbotener Veröffentlichung über eine militärische Anlage». Gemeint sind die weithin sichtbaren Bloodhound-Raketenanlagen oberhalb Menzingens, die Tausende von Spaziergängern schon betrachtet haben und die auch vom Swissair-Kursflugzeug aus, Linie Zürich–Rom, bequem eingesehen werden können. Das Verhör wurde von den Untersuchungsorganen, welche im militärischen Ornat erschienen waren, mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit geführt – war landesverräterische Absicht im Spiel? Wollten die Delinquenten dem Lande und seinen Streitkräften bewusst schaden? Wie nahe sind sie an die Objekte herangekommen? Waren sie, angestiftet vom Chefredaktor der Zeitschrift BILANZ? Haben sie aus eigenem Ermessen gehandelt? Sind sie einschlägig vorbestraft?
Während die beiden anfänglich noch glaubten, das Militär wolle sich einen Jux machen, und munter der Vorladung folgten, wurde es ihnen während der Befragung geschmuech. Die juristische Stimmung war ernst, fast wie im Krieg. Der Untersuchungsrichter zeigte nicht das kleinste ironische Augenzwinkern und versuchte hartnäckig, die Delinquenten in Widersprüche zu verwickeln und sie zu leimen und ihnen ihre schwerwiegende Handlungsweise so vor Augen zu führen, dass sie nach zweieinhalbstündigem Abgekochtwerden fast zerknirscht waren. Sie hatten geglaubt, gegen solches Abkochen immun zu sein, aber so simpel ist das nicht, wenn man den Uniformen – Untersuchungsrichter und Protokollant – allein gegenübersitzt und die Argumente an den feldgrauen Männern abprallen. Die versuchten uns, zuerst mich von halb neun bis elf, dann von elf bis zwei Uhr meinen Freund Gretler, mit pädagogischen Methoden zur Einsicht in die Verwerflichkeit unserer Tat und zu einem entsprechenden Geständnis zu bringen, und nach einem Hinweis auf die Arreststrafe oder die Busse, mit der dieses «mittelschwere Vergehen», wie der U-Richter sagte, aller Wahrscheinlichkeit nach bestraft werden müsse, war der letzte Rest an guter Laune verflogen. Wäre jetzt wirklicher Krieg – wir würden in Handschellen vorgeführt. Man kann mit den Feldgrauen nicht argumentieren. Die Frage ist nicht: Sind die Bloodhound-Stellungen längst der Öffentlichkeit bekannt, sondern: Hat die Armee beschlossen, dass sie nicht bekannt sein dürfen? Die Welt als Wille und Vorstellung (noch ein Beitrag zur Realismusdebatte).
Nach dem Verhör hört man lange nichts mehr von der Armee. Die lassen uns schmoren. Oder haben sie es vergessen? Aber nicht doch. Fast ein Jahr später kommt der Einschreibebrief, auf dem Umschlag ein Prägedruck DER GENERALSTABSCHEF. Also nicht militärische Justiz gibt Bescheid, sondern die militärische Exekutive; juristisch hochinteressant. Jörg Zumstein schreibt: «Im vorliegenden Fall steht gemäss Artikel 195 Absatz 2 MStG die Disziplinarstrafgewalt dem Eidgenössischen Militärdepartement zu. Dieses hat gestützt auf Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 MStV mit Verfügung vom 10. Oktober 1984 die Disziplinarstrafgewalt dem Generalstabschef übertragen.» Der Generalstabschef hat Gewalt über Zivilisten, und der Gnädige Herr kann entscheiden, wie er will, nach seinem Gewissen und Geschmack (Zumstein betätigt sich nach Feierabend als Sektenprediger auf ländlichen Kanzeln). Nach ihm kommt nur noch Gott, eine irdische Appelationsinstanz gibt es nicht.
Und er war gnädig, der Gnädige Herr. Er liess Gnade vor Recht ergehen. Obwohl die Delinquenten «es in pflichtwidriger Unvorsichtigkeit unterlassen haben, sich vor der Veröffentlichung des Berichtes zu vergewissern, ob darin ein Verstoss gegen die militärischen Geheimhaltungsvorschriften vorliege oder nicht, ist Ihnen zu glauben, dass Sie nicht mit Wissen und Willen gegen das Bundesgesetz vom 23. Juni 1950 über den Schutz militärischer Anlagen verstossen wollten». Von einem Gesetz, das weithin sichtbares und veraltetes militärisches Spielzeug zum Geheimnis erklärt, konnten wir allerdings nichts wissen, also konnten wir auch keine «pflichtwidrige Unvorsichtigkeit» begehen. Aber immerhin, «Trotz Antrags des Untersuchungsrichters verzichte ich als Inhaber der Disziplinarstrafgewalt nach Würdigung aller Umstände und in Anwendung von Artikel 181a Absatz 3 MStG auf die Ausfällung einer Disziplinarstrafe in der vorliegenden Angelegenheit, und zwar aus folgenden Erwägungen:
1. Ich nehme an, dass Ihnen die militärgerichtliche Untersuchung die Bedeutung des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1950 über den Schutz militärischer Anlagen bewusst werden liess» (zu Befehl, sie hat lassen).
2. «Ich gehe davon aus, dass es keinen Wiederholungsfall geben wird.» (Mei-mei!)
Damit betrachte er diese Angelegenheit, schreibt Generalstabschef Korpskommandant Zumstein, «als erledigt».
Mich beschäftigt sie weiterhin.
PS II: Im Mai 1985 gelangt eine Gruppe von Literaturkritikern an den Limmat Verlag und an mich. Sie soll im Auftrag der «Literarischen Gesellschaft Zug», und, subventioniert vom gleichnamigen Kanton, eine «Zuger Anthologie» mit Texten von Autoren herausgeben, die in Zug leben bzw. lebten oder sonst auf eine Weise mit Stadt und Kanton in Verbindung stehen; und deshalb gelangten sie auch an mich (Bürgerort Menzingen: Die Gemeinde muss mich dereinst, wenn ich alt und verlumpt bin, in ihr Armenhaus aufnehmen).
Welchen Beitrag ich für die Anthologie beisteuern wolle? Sie hätten den Text «Frau Arnold reist nach Amerika», welcher keinen Bezug zu Zug hat, ins Auge gefasst, lässt sich eine Anna Dalcher brieflich vernehmen. Auf die Frage, ob es nicht interessanter wäre, in einer Zuger Anthologie die Reportage «Zug, sein Charme und seine Zuzüger» aufzunehmen, wird erwidert, das sei untunlich, weil dieses Stück ZU UNLITERARISCH sei und «soviel Mais, wie diese Story in einer offiziellen, oder doch öffentlich subventionierten Anthologie, auch als Zweitdruck, nochmals auslösen würde, verträgt dieses Buch nicht. Und der Verleger macht auch nicht mit.» (Pius Knüsel am 31. 8. 85 an den Limmat Verlag).
Zug, sein Charme und seine Literaten.