Читать книгу Einführung in die Logik - Niko Strobach - Страница 9
2.1 Was ist Logik?
ОглавлениеDas Wörtchen „also“
Logik ist Theorie des Argumentierens. Sie beschäftigt sich mit Argumenten, die Beweiskraft beanspruchen. Wissenschaftliches Argumentieren ist dabei nicht etwas prinzipiell anderes als alltägliches Argumentieren. Man macht dabei eigentlich dasselbe, wie wenn man mit einem Kind das Spiel Begründen spielt und nach jeder vorläufigen Antwort durch ein neuerliches „Und warum?“ herausgefordert wird. Nur pfeifen in der Wissenschaft die Schiedsrichter etwas strenger als im Alltag, wenn es um Fragen geht wie die folgenden:
(1) „Wo hast du das her?“
(2) „Kann man das wirklich sehen?“
(3) „Warum folgt denn das daraus?“
Die erste Frage ist der Grund dafür, weshalb es in wissenschaftlichen Texten Fußnoten gibt. Die zweite Frage ist in den empirischen Wissenschaften interessant, in der Philosophie dagegen weniger, weil es hier oft um Dinge geht, die man grundsätzlich nicht sehen kann. Bei der dritten Frage kommt die Logik ins Spiel.
Die typische Situation, in der jemand die dritte Frage stellen wird, ist die folgende: „Bla bla. bla bla bla. Also: bla bla.“ Deshalb soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die Logik als die Wissenschaft des bedeutungsvollen Gebrauchs des Wörtchens „also“ (und der entsprechend funktionierenden Wörter anderer Sprachen) zu charakterisieren. Mit „bedeutungsvoll“ ist gemeint: Das „also“, das den Logiker interessiert, ist nicht das beiläufige „also“ als einleitende Floskel am Anfang einer Äußerung („Also ich sag male…“), sondern das „also“ zwischen Sätzen, an dessen Stelle man auch das Wort „infolgedessen“ gebrauchen könnte. Denn mit diesem „also“ hat es eine besondere Bewandnis:
Wann immer eine Person bedeutungsvoll das Wörtchen „also“ (bzw. „infolgedessen“) zwischen Sätzen gebraucht, behauptet sie, einen gültigen Schluss vorgebracht zu haben.
Dass eine Person behauptet, einen gültigen Schluss vorgebracht zu haben, heißt freilich nicht unbedingt, dass ihr das auch geglückt ist. Was ist damit gemeint, dass etwas angeblich aus etwas folgt? Was behaupte ich, wenn ich behaupte, einen gültigen Schluss vorgebracht zu haben? Was behaupte ich mit dem nicht bloß beiläufigen „also“? Eine Spielregel und zwei Definitionen können zur ersten Annäherung dienen:
Die Spielregel für „also“ zwischen Sätzen: Mit einem nicht bloß beiläufig geäußerten „also“ zwischen Sätzen behauptet eine Person, dass, wer für wahr hält, was sie direkt vor dem „also“ vorgebracht hat, auch für wahr halten muss, was sie unmittelbar nach dem „also“ vorgebracht hat.
Schlüsse
Das, was direkt vor und nach dem „also“ kommt, kann man dessen Kontext nennen: den Text drumrum. Was alles und was genau zum Kontext des „also“ gehört, ist nicht leicht zu sagen. Vielleicht ist es sogar unmöglich. Nicht alles, was bei einem gültigen Schluss den Gebrauch des Wörtchens „also“ rechtfertigt, muss laut ausgesprochen werden. Was auch immer genau zum Kontext des „also“ dazugehört, man kann jedenfalls sagen:
Definition „Schluss“: Ein Schluss ist der Kontext des bedeutungsvollen Gebrauchs des Wörtchens „also“ (bzw. entsprechend funktionierender Wörter anderer Sprachen).
Auch Fehlschlüsse sind nach dieser Definition Schlüsse, nur eben keine gültigen Schlüsse (man könnte sich in diesem Punkt anders entscheiden, aber so ist es am einfachsten). Für die gültigen Schlüsse gilt eine Zusatzbedingung:
Definition „gültiger Schluss“: Ein gültiger Schluss ist der Kontext des bedeutungsvollen und berechtigten Gebrauchs des Wörtchens „also“ (bzw. entsprechend funktionierender Wörter anderer Sprachen).
Das Wort „gültig“ ist nicht mit dem Wort „allgemeingültig“ zu verwechseln, das in Kapitel 3 in seiner technischen Bedeutung eingeführt wird. Wenn man das Wort „allgemeingültig“ nichttechnisch gebraucht, führt das immer zu heilloser Verwirrung, insbesondere in Diskussionen über Ethik. Eine gute Alternative zu „allgemeingültig“ in nichttechnischem Kontext ist fast immer das Wort „wahr“. Spricht man statt von „gültig“ von „formal gültig“, so ist das einfach bekräftigend gemeint. Es wird damit kein Unterschied zu einer anderen Sorte der Gültigkeit behauptet. Die Einführung ins Argumentieren von Tetens benutzt für Argumente „schlüssig“ statt „gültig“ und reserviert „gültig“ für Schlussregeln (198: S. 24, S. 28).
Wesen der Logik
Mit Hilfe des Begriffs des gültigen Schlusses lässt sich eine Arbeitsdefinition von „Logik“ angeben:
Definition „Logik“: Logik ist die Wissenschaft des Wörtchens „also“ (und entsprechend funktionierender Wörter anderer Sprachen), d.h. die Wissenschaft, die zu systematisieren versucht, unter welchen Bedingungen die Behauptung, einen gültigen Schluss vorgebracht zu haben, als gerechtfertigt gelten kann.
Etwas kürzer ist der bekannte und griffige Slogan „Logik ist die Lehre vom richtigen Schließen“. Dass von Rechtfertigung und richtigem Schließen die Rede ist, hat seinen guten Grund. Man stelle sich vor, jemand wollte die Logik als „die Wissenschaft der Gesetze des Denkens“ definieren. Das wäre eine schlechte Definition, weil sie mehrdeutig ist. Denn man kann den Ausdruck „Gesetz des Denkens“ wenigstens auf drei Weisen verstehen. Es ergäben sich deshalb drei verschiedene Lesarten, was Logik sein könnte:
Variante 1: Die Logik versucht, Gesetze aufzufinden, mit denen sich beschreiben lässt, wie wir tatsächlich denken.
Variante 2: Die Logik stellt die Gesetze des Denkens auf; sie sagt uns, wie wir denken sollen.
Variante 3: Die Logik beschäftigt sich mit den Normen, die unser Denken (und damit auch unser Sprechen) konstituieren, selbst wenn wir manchmal de facto gegen diese Normen verstoßen.
Die erste Variante ist sehr unplausibel und wird heute allgemein verworfen. Es ist eigentlich erstaunlich, dass es erst großer Bemühungen des Begründers der modernen Logik, Gottlob Frege, und des Begründers der Phänomenologie, Edmund Husserl, bedurfte, bis das zu Beginn des 20. Jahrhunderts geklärt war. Das Problem mit Variante 1 ist ganz einfach: In diesem Fall wäre die Logik nichts weiter als eine Teildisziplin der Psychologie und könnte nicht zufrieden sein, bis ihre Gesetze auch das Zustandekommen von Fehlschlüssen beschrieben. Denn unser tatsächliches Denken enthält auch Fehlschlüsse. Die zweite Variante erscheint arrogant: Woher nähme ein Logiker das Recht, mir vorzuschreiben, wie ich denken soll? Sollte Logik denn gar nichts mit der Sprache zu tun haben müssen, die wir schon sprechen? Die dritte Variante besagt: Logik ist zwar eine normative Wissenschaft (73, § 11), aber nicht in dem Sinn, dass sie Normen aufstellt, sondern in dem Sinn, dass sie schon vorhandene Normen des Sprechens und Denkens untersucht und systematisiert, wobei freilich eine solche Untersuchung die Normen selbst fortentwickeln mag. Variante 3 scheint mir zurzeit am plausibelsten, aber es gibt auch andere gut vertretbare Meinungen, die eher in Richtung von Variante 2 tendieren.
In der Vergangenheit ist zuweilen eine kathartische (reinigende) Funktion der Logik angenommen worden. 1931 schrieb Rudolf Carnap einen programmatischen Aufsatz mit dem Titel „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ (31). Ein solches Programm würde auch innerhalb der analytischen Philosophie heute kaum noch jemand vertreten. Freilich macht es einen Teil des Wertes von logischen Formeln aus, dass sie – anders als die natürliche Sprache – vollkommen eindeutig sind. Sie machen darauf aufmerksam, dass die poetischen oder rhetorischen Ressourcen einer bestimmten natürlichen Sprache für die Form eines Argumentes nicht die geringste Rolle spielen. Und sie machen sensibel für Unsinn (wenn auch weniger direkt, als Carnap dachte).
Aristoteles’ Definition des syllogismos
Ganz ähnlich wie die vorgeschlagene Arbeitsdefinition für „gültiger Schluss“ lautet schon Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Aristoteles’ Definition dessen, was ein syllogismos ist (14, A1, 24b19–21):
„Ein syllogismos ist eine Rede, in der, indem einiges vorausgesetzt wird, etwas vom Vorausgesetzten Verschiedenes mit Notwendigkeit dazukommt…“
Aristoteles’ Einsicht, dass es so etwas gibt, war zugleich die Entdeckung der Logik. Zwar untersucht Aristoteles unter dem Stichwort syllogismos nur eine ganz bestimmte Art von Schlüssen, die zu Beginn von Kapitel 6 noch zur Sprache kommen werden. Aber syllogismos heißt auch „Schluss“ im Allgemeinen, und Aristoteles’ Charakterisierung ist viel allgemeiner als die von ihm ausgearbeitete Theorie.
Prämisse und Konklusion
Dasjenige, worum es vor und nach dem „also“ geht, muss etwas sein, was man für wahr halten kann (das steckt im „vorausgesetzt“). Es muss sich somit um Sätze, Aussagen oder Urteile handeln. Denn wahr sein können nur vollständige Sätze, Aussagen oder Urteile (auch Theorien können wahr sein; denn eine Theorie kann man als einen einzigen langen Satz auffassen, der sehr oft das Wort „und“ enthält). Begriffe allein sind dagegen weder wahr noch falsch. Einen zum Schluss gehörenden Satz vor dem „also“ nennt man Prämisse („das Vorausgeschickte“). Bei Aristoteles ist es das, was „vorausgesetzt“ wird. Das, was nach dem „also“ kommt, nennt man Konklusion („das Erschlossene“). Bei Aristoteles ist es das, was „mit Notwendigkeit dazukommt“. Ein Schluss kann mehrere Prämissen haben, aber es wird pro Schluss nur eine Konklusion gezogen.
Logische Notwendigkeit
Leider ist an einem wichtigen Punkt Aristoteles’ Definition für sich allein genommen ebenso unklar wie die gerade angegebene Spielregel für das Wort „also“ zwischen Sätzen. Was heißt es, dass man etwas unter gewissen Bedingungen für wahr halten muss? Und was heißt bei Aristoteles „mit Notwendigkeit“? Eines kann nicht sein: dass man tatsächlich im Falle eines gültigen Schlusses in dem Sinn unter Denkzwang steht, dass man nicht anders denken kann. Denn dann wären Fehlschlüsse unmöglich.
Die folgende Beobachtung hilft weiter: Die Charakterisierung des gültigen Schlusses mit Hilfe der Spielregel für das Wörtchen „also“ besagt nicht etwa, dass die Konklusion wahr sein muss, was auch immer mit den Prämissen los ist. Sie besagt nur (ein wenig umgeformt):
Definition
Ein gültiger Schluss besteht aus n Prämisse(n) und einer Konklusion, wobei gilt: Es kann nicht sein, dass die Prämissen alle wahr sind und dennoch die Konklusion nicht wahr.
Man sieht daran: (1) Nur Fälle mit wahren Prämissen interessieren. (2) Für das Vorliegen eines gültigen Schlusses reicht es nicht hin, dass sowohl die Prämisse(n) als auch die Konklusion einfach nur wahr sind. Würde das genügen, so wäre es ein gültiger Schluss, wenn jemand sagte:
Schluss Nr. 1
[Prämisse 1] Einige Tiere sind gefiedert.
[Prämisse 2] Einige Tiere sind nicht gefiedert.
[Konklusion] Also sind einige Tiere Allesfresser.
Denn es sind sämtliche Prämissen wahr und die Konklusion auch. Aber davon, dass hier aus den Prämissen die Konklusion folgt, kann keine Rede sein. Der Gebrauch des Wörtchens „also“ ist hier nicht gerechtfertigt. Ganz anders verhält es sich dagegen bei dem folgenden Beispiel aus einem Logikbuch:
Schluss Nr. 2
[Prämisse 1] Alle Bären sind pelzig.
[Prämisse 2] Ned ist ein Bär.
[Konklusion] Also ist Ned pelzig.
Des Rätsels Lösung, was es hier mit dem Wörtchen „muss“ auf sich hat, ist:
Definition
Definition „logische Notwendigkeit“: Die Konklusion muss genau dann wahr sein, falls die Prämissen wahr sind, wenn gilt: Es gibt keinen strukturgleichen Fall, in dem die Prämissen wahr sind, aber die Konklusion falsch ist.
Tafelschwamm-Test
Nicht nur der zu untersuchende Schluss selbst spielt eine Rolle, sondern es kommt auch noch auf strukturgleiche Alternativen zu ihm an. Das klingt komplizierter, als es ist. Die Definition lässt sich nämlich in ein Verfahren umsetzen, das man den Tafelschwamm-Test nennen kann. Ich kann mir in Schluss Nr. 2 ansehen, welche Wörter darin das strukturelle Gerüst bilden und welche den konkreten Inhalt beisteuern. So ist „alle“ ein Strukturwort, „Ned“, „Bär“ und „pelzig“ sind Inhaltswörter. Die Abgrenzung zwischen den Strukturwörtern und den Inhaltswörtern ist zwar nicht wirklich trennscharf, sofern man nicht schon eine bestimmte Logik voraussetzt. Aber irgendwo muss man anfangen, und es geht an dieser Stelle nur darum, ein Gefühl für die Sache zu bekommen. Typische logische Strukturwörter, die Schlüsse erzeugen können, sind: „und“, „oder“, „nicht“, „wenn … dann“, „alle“ und „einige“. Der Tafelschwamm-Test lässt sich nun wie folgt beschreiben:
Der Tafelschwamm-Test
Frage: Kann die Konklusion bei wahren Prämissen falsch werden?
1. Man wische die Inhaltswörter weg und markiere die so entstandenen Leerstellen – und zwar gleich, wenn man an mehreren Stellen das Gleiche wegwischt, sonst verschieden.
2. Man ersetze die Inhaltswörter – und zwar immer nach dem Prinzip: Gleiches für Gleiches.
3. a) Gelingt es dabei, Inhaltswörter einzusetzen, bei denen man sich vorstellen kann, dass die Prämissen wahr sind, aber trotzdem die Konklusion falsch ist, so ist der ursprünglich untersuchte Schluss kein gültiger Schluss. b) Gelingt dies nicht, so probiere man weiter.
4. Gibt es keinen denkbaren alternativen Fall, in dem die Prämissen wahr sind, aber trotzdem die Konklusion falsch wird, so ist der ursprünglich untersuchte Schluss gültig.
Bei diesem Test kann man Überraschungen erleben. In einem entscheidenden Punkt ist er problematisch. Zunächst lassen sich damit die beiden bisher vorgebrachten Schlüsse auf Gültigkeit untersuchen:
Schluss Nr. 1 mit gelöschten Inhaltswörtern
[Prämisse 1] Einige (1) (2).
[Prämisse 2] Einige (1) nicht (2).
[Konklusion]Also einige (1) (3).
Die erste Überraschung ist wahrscheinlich, dass das Wörtchen „sind“ mit getilgt wurde. Ist das nicht ein Strukturwort? Die Antwort ist: Es hat sich in der modernen Logik eingebürgert, Ausdrücke wie „ist ein Auto“ oder „ist gelb“ oder „hat Federn“ als Einheiten anzusehen. Und statt „ist“ stand hier aus rein grammatischen Gründen „sind“. Nun kann man mit neuen Inhaltswörtern einen strukturgleichen Fall erzeugen, indem man an den mit „(1)“ markierten Stellen „Menschen“ einsetzt, an den mit „(2)“ markierten Stellen „sind nett“ und an den mit „(3)“ markierten Stellen „sind Smartphones“:
Schluss Nr. 1a
[Prämisse 1] Einige (Menschen) (sind nett).
[Prämisse 2] Einige (Menschen) (sind) nicht (nett).
[Konklusion] Also (sind) einige (Menschen) (Smartphones).
Damit haben wir einen zu Schluss Nr. 1 strukturgleichen Fall, in dem die Prämissen wahr sind, aber die Konklusion falsch ist. Schluss Nr. 1 ist also ungültig. Anders bei Schluss Nr. 2.
Schluss Nr. 2 mit gelöschten Inhaltswörtern
[Prämisse 1] Alle (1) (2).
[Prämisse 2] (3)(1).
[Konklusion] Also (3) (2).
Wir können jetzt für „ist pelzig“ einsetzen „ist sterblich“, für „Ned“ „Sokrates“, und für „ist Bär“ „ist Mensch“. So gelangen wir zum langweiligsten Beispiel der Logikgeschichte („Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch etc.“). Auch jede andere Einsetzung, die wahre Prämissen erzeugt, führt in diesem Fall zu einer wahren Konklusion. Man wird nie ein Gegenbeispiel finden, in dem die Prämissen wahr sind, aber die Konklusion falsch ist, wie ja wohl jedem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache klar sein dürfte. Damit ist Schluss Nr. 2 ein gültiger Schluss. Das ist kein Zufall, sondern liegt zum einen an den allgemeinen Spielregeln für den Gebrauch der Strukturwörter; zum anderen daran, dass hier einige Strukturwörter eine besondere Kombination eingehen.
Nun zu zwei vielleicht etwas größeren Überraschungen. Wie steht es mit folgendem Schluss?
Schluss Nr. 3
[Prämisse 1] Wenn Bond einen Fallschirm hat, überlebt er den Absturz.
[Prämisse 2] Bond hat keinen Fallschirm.
[Konklusion] Also überlebt Bond den Absturz nicht.
Zunächst ist wichtig: Die Definition des Tafelschwamm-Tests ist im Hinblick auf dieses Beispiel so zu verstehen, dass Inhaltswörter auch zu ganzen Sätzen kombiniert sein können. In Schluss Nr. 3 sind nämlich die Elemente, auf die es ankommt, ganze Sätze: „Bond hat einen Fallschirm“; „Bond überlebt den Absturz“.
Bei psychologischen Experimenten hat die überwiegende Mehrheit der Versuchspersonen diesen Schluss für gültig erklärt (96). Doch Gültigkeit und Ungültigkeit stehen einem Schluss nicht immer ins Gesicht geschrieben. Schluss Nr. 3 ist ungültig. Denn es gibt die folgende strukturgleiche Alternative dazu:
Schluss Nr. 3a
[Prämisse 1] Wenn es regnet, wird die Straße nass.
[Prämisse 2] Es regnet nicht.
[Konklusion] Also wird die Straße nicht nass.
Man stelle sich vor, die Straßenreinigung kommt. Oder es fällt eine Flasche auf der Straße hin. Oder es regnet nicht, sondern schneit. Das sind lauter Situationen, in denen die Prämissen wahr sind und die Konklusion falsch ist.
Bei der Untersuchung von Schluss Nr. 3 kann man es sich sogar noch leichter machen (das geht aber nicht immer): Man löscht die Inhaltswörter und schreibt einfach dieselben wieder hin. Das ist durch die Definition des Tafelschwamm-Tests nicht verboten. Nun stelle man sich vor, Bond habe zufällig seinen Taschenpropeller dabei. Oder er trägt seinen Aufprall-Abfang-Anzug. Oder er hangelt sich während des Absturzes in das zu Hilfe geeilte Flugzeug seiner Filmabschnittsbegleiterin hinüber. Wieder bekommt man lauter Situationen, in denen die Prämissen wahr sind und die Konklusion falsch ist. Stünde statt „wenn“ ein „nur wenn“, dann sähe die Sache freilich schon wieder ganz anders aus.
Und wie ist es mit diesem Schluss?
Schluss Nr. 4
Alle Fische sind Fahrräder.
Alle Fahrräder verbrauchen Benzin.
Also verbrauchen alle Fische Benzin.
Im Gegensatz zu Schluss Nr. 3 ist das ein gültiger Schluss: Seine Prämissen sind zwar nicht wahr (und die Konklusion auch nicht). Aber in allen strukturgleichen Fällen, in denen die Prämissen wahr wären, wäre auch die Konklusion wahr. Das liegt an der Bedeutung von „alle“, wie ja wohl jedem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache klar sein dürfte.
„gültig“ („valid“) und „beweiskräftig“ („sound“)
Am Beispiel von Schluss Nr. 4 lässt sich eine terminologische Unterscheidung erklären, die für jede Argumentanalyse so fundamental ist, dass die Vertrautheit mit ihr schon als minimales Lernziel einer ganzen Einführung in die Logik gelten kann: die Unterscheidung von „gültig“ (englisch: „valid“) und „beweiskräftig“ (englisch: „sound“) in Bezug auf Schlüsse bzw. Argumente in Form von Schlüssen.
Zur Erinnerung: Gültigkeit hieß, dass es keinen strukturgleichen Fall gibt, in dem die Prämissen wahr sind, aber die Konklusion falsch ist. Mit dem Wort „beweiskräftig“ ist dagegen mehr gemeint als mit dem Wort „gültig“:
Definition
Ein Schluss ist genau dann beweiskräftig, wenn
1. er ein gültiger Schluss ist und
2. alle seine Prämissen wahr sind.
Wer argumentiert, will ein beweiskräftiges Argument vorbringen. Schluss Nr. 4 würde, als Argument vorgebracht, niemanden vom Benzinverbrauch von Fischen überzeugen müssen, obwohl der Schluss gültig ist. Sind dagegen die Prämissen in einem gültigen Schluss wahr, so gibt es vor der Wahrheit der Konklusion kein Entkommen. Voraussetzung dafür ist freilich, dass es sich wirklich um einen gültigen Schluss handelt. Die Überlegungen zum Verhältnis von Gültigkeit und Beweiskraft führen dazu, dass man bei der Argumentanalyse immer verschiedene Fragen und damit verschiedene Arbeitsgänge zu unterscheiden hat:
(1) Welche Form hat das Argument?
(2) Ist es ein gültiger Schluss?
(3) Sind die Prämissen wahr?
Für das englische Adjektiv „sound“ gibt es leider keine weit verbreitete Übersetzung. Sehr oft wird einfach das englische Wort gebraucht. Irritierenderweise hat „sound“ im Zusammenhang mit Axiomensystemen auch noch eine zweite technische Bedeutung. Das spielt aber vor Unterkapitel 4.4 keine Rolle. Das Adjektiv „sound“ hat nichts mit Klang zu tun, sondern ist sprachgeschichtlich verwandt mit „gesund“.
„notwendig“ und „hinreichend
Das Verhältnis der Begriffe der Gültigkeit und der Beweiskraft zueinander lässt sich mit zwei Vokabeln beschreiben, die an vielen Stellen nützlich sind: „notwendig“ und „hinreichend“. Die Definitionen sind fast selbstverständlich.
Definition
Dass A, ist gerade dann notwendig (necessary) dafür, dass B, wenn es nicht sein kann, dass B, wenn es nicht der Fall ist, dass A.
Dass A, ist gerade dann hinreichend (sufficient) dafür, dass B, wenn es nicht sein kann, dass es nicht der Fall ist, dass B, wenn es der Fall ist, dassA.
Beide Vokabeln werden oft benutzt, wenn es darum geht, was ein Philosoph wo in einem Text tut: Gibt er eine notwendige Bedingung an? Gibt er eine hinreichende Bedingung an? Meinte er vielleicht, eine hinreichende Bedingung anzugeben, während es nur ein notwendige ist? Was Schlüsse angeht, so lässt sich (leicht abkürzend) festhalten:
Gültigkeit ist notwendig für Beweiskraft.
Gültgkeit ist nicht hinreichend für Beweiskraft.
Beweiskraft ist nicht notwendig für Gültigkeit.
Beweiskraft ist hinreichend für Gültigkeit.
Fehlende Gültigkeit ist hinreichend für fehlende Beweiskraft.
Problem des Tafelschwamm-Tests
So nützlich der Tafelschwamm-Test ist, um erst einmal ein Gefühl für den Begriff der Gültigkeit zu bekommen und um ungültige Schlüsse nachzuweisen, so problematisch ist er leider auch in einem entscheidenden Punkt. Auf den letzten Seiten tauchte zweimal ein Nebensatz auf, der in einem wissenschaftlichen Buch eigentlich nicht auftauchen dürfte: „wie ja wohl jedem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache klar sein dürfte“. Das war ein Appell an die Intuition, und zwar ohne jede Begründung. So etwas ist nur im Notfall zu rechtfertigen, also dann, wenn es gar nicht anders geht. Es ging tatsächlich nicht anders. Denn man hätte den Tafelschwamm-Test im Fall der Schlüsse Nr. 2 und Nr. 4 unendlich oft wiederholen müssen, um zu zeigen, dass es wirklich kein Gegenbeispiel gibt. Dafür war beim Verfassen dieses Buches nicht genug Zeit. Wenn man dagegen schon eine Logik im Sinne einer systematisierten Theorie des richtigen Schließens hätte, so müsste man nicht unendlich viele Fälle durchprobieren, sondern könnte auf ein allgemeines Gesetz dieser Theorie verweisen. Doch wo bekommt man eine solche Theorie her? Die Antwort ist: Man macht sich eine. Dabei überlegt man zuerst tatsächlich: Was für Schlüsse sollen wohl gültig sein? Was wären wohl plausible Ergebnisse? Kurz: Am Anfang einer jeden Logik steht die Intuition. Und über die kann man sich streiten (Kapitel 8).
Schlüsse und Sätze
Welche Intuitionen man in einer Logik verankert, hängt nicht nur davon ab, welche Schlüsse man als gültig anerkennen will, sondern auch, was für Sätze logisch wahr sein sollen. Sätze und Schlüsse sind in den allermeisten Fällen nicht dasselbe: Schlüsse haben in der Regel mehrere voneinander abgesetzte Zeilen, in jeder Zeile steht ein vollständiger Satz; und das Wort „also“ steht nie in der Mitte, sondern immer am Anfang eines kompletten Satzes, nämlich am Anfang der Konklusion. Es gibt aber zur Gültigkeit bei Schlüssen ein Gegenstück auf der Ebene der Sätze: die logische Wahrheit.
Definition
Def. „logisch wahr“: Ein Satz ist genau dann logisch wahr, wenn jede Ersetzung der Inhaltswörter in ihm wieder einen wahren Satz ergibt, solange man nur die Strukturwörter so lässt, wie sie sind.
Ein Beispiel für einen logisch wahren Satz entsteht, indem man beim Schluss Nr. 2 die Prämissen durch „und“ aneinanderkoppelt und mit „Wenn… dann“ mit der Konklusion verbindet.
„Wenn alle Bären pelzig sind und Ned ein Bär ist, dann ist Ned pelzig.“
Es könnte aber auch noch logisch wahre Sätze von ganz anderer Form geben, zum Beispiel „Entweder es regnet oder es regnet nicht“. Darauf bereitet der nächste Abschnitt vor.
Fragen und Übungen
1) Ist der folgende Schluss a) gültig; b) beweiskräftig; c) weder gültig noch beweiskräftig? „Männer sind grundsätzlich weit weniger intelligent als Frauen; wenn Männer grundsätzlich weit weniger intelligent sind als Frauen, dann sollten sie auch weniger Rechte haben als Frauen; also sollten Männer weniger Rechte haben als Frauen.“
2) Manche Bedingung ist notwendig, aber nicht hinreichend; aber es kommt auch das Umgekehrte vor. Erklären Sie an den folgenden Beispielen:
[1] Eine Nullstelle der ersten Ableitung ist notwendig, aber nicht hinreichend für ein Maximum/Minimum einer Funktion.
[2] Regen ist hinreichend für das Nasswerden der Straße, aber nicht notwendig; denn dass die Straßenreinigung kommt, ist dafür auch hinreichend.
[3] Nicht dauernd zu hungern ist notwendig fürs Glücklichsein, aber nicht hinreichend.
[4] Nicht in Ketten zu liegen ist eine notwendige Bedingung für Handlungsfreiheit.