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Zweites Kapitel
ОглавлениеDie drei Reiter ritten schweigsam dahin. Der alte Taras gedachte früherer Zeiten: seine Jugend zog an ihm vorüber, seine Jahre, die verronnenen Jahre, um die der Kosak immer weint; denn er wünscht sich das ganze Leben als eine ewige Jugend. Er überlegte, wem von den alten Kameraden er wohl im Lager begegnen würde. Er rechnete nach, wer von ihnen schon tot war und wer noch lebte. Stille Tränen glänzten in seinen Augen, er ließ den grauen Kopf trübselig hangen.
Seine Söhne waren von andern Gedanken hingenommen. Aber es gehört sich wohl, etwas mehr von den Söhnen zu sagen. Sie waren mit zwölf Jahren nach Kiew auf die Akademie geschickt worden, weil alle angesehenen Würdenträger jener Zeit es als heilige Ehrenpflicht ansahen, ihren Söhnen eine Erziehung zu geben, allerdings unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß sie sie nachher wieder völlig zu vergessen hätten. Als in Freiheit aufgewachsene Wildlinge kamen diese Burschen auf die Schule; dort pflegten sie dann ein bißchen abgeschliffen und dadurch gewissermaßen über einen Leisten geschlagen zu werden – sie glichen sich merkwürdig untereinander.
Der ältere Sohn Bulbas, Ostap, begann seine Laufbahn damit, daß er schon im ersten Jahr durchbrannte. Er wurde zurückgeholt, fürchterlich verhauen und wieder hinter die Bücher gesetzt. Viermal vergrub er seine Fibel in die Erde, und viermal wurde ihm, nach einer unmenschlichen Tracht Prügel, eine neue gekauft. Sicherlich hätte er es zum fünften Mal ebenso gemacht ohne die feierliche Drohung seines Vaters, ihn dem Kloster für volle zwanzig Jahre als Knecht zu verdingen; er schwöre ihm einen heiligen Eid, daß er das Lager seiner Lebtag nicht erblicken solle, wenn er nicht zuerst auf der Akademie alle Wissenschaften richtig hinter sich brächte. Merkwürdig: dies sagte derselbe Taras Bulba, der auf alle Gelehrsamkeit schalt, und, wie wir sahen, seinen Söhnen riet, sich um so etwas überhaupt nicht zu scheren. Von Stund an setzte sich Ostap mit seltnem Eifer hinter sein langweiliges Buch und gehörte bald zu den besten Schülern. Die damalige Gelehrsamkeit stach wunderlich von dem ganzen Zuschnitt des Lebens der Zeit ab: diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Spitzfindigkeiten hatten nirgends einen Berührungspunkt mit dem Zeitgeist, paßten sich dem Leben nicht an und fanden nie eine praktische Verwendung. Die Schüler konnten ihre scholastischen Kenntnisse nirgends in die Wirklichkeit einhaken. Die Gelehrten von damals waren unwissender als andre Leute, weil ihnen jede Lebenserfahrung fehlte. Die republikanische Verfassung des Seminars, diese Riesenmenge von kraftstrotzenden, gesunden jungen Leuten – das mußte die Schüler auf Dinge bringen, die ihren gelehrten Studien sehr ferne lagen. Die magre Kost, die häufigen Fastenstrafen, auf der andern Seite die Fülle von Gelüsten, die in einem frischen, vollsaftigen, starken Burschen kochen – dies alles vereint gebar in ihnen jene Unternehmungslust, die später im Lager ihre Früchte trug. Die hungrigen Seminaristen strolchten durch die Straßen von Kiew und nötigten alle Welt zu äußerster Wachsamkeit. Die Marktweiber schirmten ihre Pasteten, Kringel und Sonnenblumensamen mit beiden Händen sorglich wie ein Adler seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen von weitem daherkommen sahen. Der Konsul, dessen Amt und Pflicht es war, die Aufsicht über eine Anzahl Kameraden zu führen, hatte in seinen Pluderhosen so grausam große Taschen, daß er darin leicht den ganzen Kram einer Händlerin verstauen konnte, die es sich hätte beifallen lassen, etwa sorglos ein Schläfchen zu machen. Diese Seminaristen bildeten durchaus eine Welt für sich – zu den höheren Kreisen des polnischen und russischen Adels hatten sie keinen Zutritt. Der Marschall Adam Kißel selber, der doch der Protektor der Akademie war, führte sie nicht in die Gesellschaft ein und hatte Weisung gegeben, sie so streng wie möglich zu halten, übrigens brauchte er sich darum nicht zu sorgen – der Rektor und die mönchischen Professoren schonten Rute und Karbatsche sowieso nicht; und oft genug mußten die Aktoren ihre eignen Konsuln so gewaltig durchwalken, daß die sich noch ein paar Wochen lang die Pluderhosen rieben. Vielen von ihnen galt das einfach für nichts – wirkte es doch nur um eine Kleinigkeit kräftiger als ein guter Branntwein mit Pfeffer; andre wieder bekamen die ewigen heißen Umschläge bald gründlich satt und brannten nach dem Lager durch, wenn sie den Weg dahin zu finden wußten und nicht unterwegs wieder aufgegriffen wurden. Daß Ostap Bulba sich mit großem Eifer auf die Logik und sogar auf die Theologie geworfen hatte, konnte ihm die grausamsten Prügel nicht ersparen. Natürlich mußte das in gewissem Sinn den Charakter stählen und jene standhafte Härte erzeugen, auf die sich der Kosak von je etwas zugute getan hat. Ostap galt für einen der zuverlässigsten Kameraden. Er spielte bei frechen Streichen – wenn etwa ein fremder Obst- oder Gemüsegarten geplündert werden sollte – selten den Rädelsführer; doch war er dafür stets einer der ersten, die unter die Fahne eines andern unternehmungslustigen Seminaristen traten. Auf keinen Fall verriet er jemals einen Kameraden – nicht Prügel noch Rutenstreiche konnte ihn dazu bringen. Er hatte wenig Sinn für andre Dinge als Krieg und frohes Becherschwingen – kaum, daß er überhaupt an etwas andres dachte. Gegen seinesgleichen war er ein lieber Kerl, gutherzig, soweit man es eben bei solcher Veranlagung und in jener Zeit zu sein vermochte. Die Tränen seiner Mutter hatten ihm ehrlich ans Herz gegriffen – nur darum ritt er jetzt tief in Gedanken durch den Morgen.
Sein jüngerer Bruder Andri besaß ein regeres und sozusagen entwickelteres Gefühlsleben. Er hatte mehr Freude am Lernen, und es kostete ihn nicht die Anstrengung, die ein schwerfälliger und starker Charakter darauf verwenden muß. Er war erfinderischer als sein Bruder, warf sich öfter zum Anführer bei allerhand gewagten Streichen auf und verstand es manchmal, sich kraft seines anschlägigen Kopfes um die Strafe zu drücken, während sein Bruder Ostap, ohne groß etwas daraus zu machen, den Kittel auszog und sich auf den Boden legte, sehr fern von dem Gedanken, um Gnade zu bitten. Auch Andri brannte vor Tatendurst, zugleich aber stand sein Herz andern Gefühlen offen. Ein starker Liebeshunger begann ihn zu plagen, als er die achtzehn hinter sich hatte – das Weib ging immer häufiger durch seine heißen Träume. Während der philosophischen Dispute tauchte es plötzlich vor ihm auf, frisch, schwarzäugig, verliebt. Ohne Ende gaukelten feste Brüste vor seinen Augen und schlanke, schöne, splitternackte Arme; leichte Gewänder, die er um üppige Mädchenleiber wallen sah, hauchten unsäglich schwülen Duft in seine Träume. Keiner der Kameraden durfte von diesen Wallungen seines leidenschaftlichen jungen Herzens etwas ahnen – galt es doch zu jener Zeit als Schande für einen Kosaken, an Weiber und Liebe auch nur zu denken, bevor er im Krieg gewesen war. Zumal in den letzten Jahren war Andri immer seltner als Rädelsführer bei tollen Streichen auf den Plan getreten und hatte sich dafür um so häufiger allein in den entlegnen Gassen von Kiew herumgetrieben, zwischen den schattigen Kirschgärten, aus denen niedere Häuschen verlockend auf die Straße blinzelten. Manchmal war er auch in das vornehme Viertel geraten, die heutige Altstadt von Kiew, wo die kleinrussischen und polnischen Edelleute wohnten und die Häuser einen gewissen Glanz zeigten. Eines Tages, als er recht in Gedanken war, hätte ihn beinah die Kalesche eines polnischen Junkers überfahren; der grimmig beschnauzbartete Kutscher wischte ihm vom Bock herunter tüchtig eins mit der Peitsche aus. Der Seminarist kam in Wut: leichtsinnigen Mutes griff er mit seiner starken Faust ins Hinterrad und brachte die Kalesche zum Stehen. Der Kutscher aber, der wohl die Vergeltung fürchtete, schlug auf die Pferde ein; sie zogen an, und Andri, der zum Glück grade noch hatte loslassen können, fiel längelang zu Boden, mit der Nase in den Schmutz. Ein silberhelles Lachen erscholl von oben. Er blickte auf und sah ein Mädchen am Fenster stehen, so schön, wie ihm noch keins zu Gesicht gekommen war: schwarze Augen, eine Haut, weiß wie der Schnee zur Stunde der Morgenröte. Das Mädchen lachte herzlich; dies Lachen lieh der blendenden Schönheit ihres Gesichtes zauberische Gewalt. Er war wie von Sinnen. Er sah verloren zu ihr empor und wischte sich dabei mit der Rechten den Schmutz vom Gesicht, wodurch er natürlich nur noch schmutziger wurde. – Wer war dies schöne Mädchen? Er wollte das von dem vielköpfigen, prunkvoll gekleideten Gesinde erfahren, das sich auf dem Hof um einen jungen Pandoraspieler geschart hatte. Aber die Diener und Mägde mußten hellauf lachen, als sie sein schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort. Endlich erfuhr er, daß das Mädchen die Tochter des Marschalls von Kowno war, der zu Besuch in der Stadt weilte. In der folgenden Nacht stieg Andri mit echter Seminaristenfrechheit über den Zaun in den Garten, kletterte auf einen Baum, dessen Äste bis an das Hausdach reichten, schwang sich auf das Dach und ließ sich durch den Kamin geradeswegs in das Schlafzimmer seiner Schönen hinunter. Die Polin saß beim Licht einer Kerze und nahm grade die kostbaren Ringe aus ihren Ohren. Sie erschrak so furchtbar beim Anblick des fremden Menschen, daß sie kein Wort hervorbringen konnte; als sie aber sah, daß der Seminarist mit niedergeschlagnen Lidern dastand und vor lauter Schüchternheit keinen Finger zu rühren vermochte, als sie in ihm den jungen Menschen erkannte, der vor ihren Augen lang in den Schmutz geschlagen war, da packte sie wieder das Lachen. Andris Gesicht hatte eigentlich auch nichts Schreckliches – er war ein sehr hübscher Kerl. Sie lachte von Herzen und trieb eine ganze Weile ihren Spaß mit ihm. Das schöne Mädchen war eine Polin, das heißt, ein kokettes Ding; aber ihre Augen, wundervolle, durchdringend klare Augen, hatten jenen langsamen Aufschlag, der von Beständigkeit zeugt. Der Seminarist stand wie in einen Sack genäht, als die Tochter des Marschalls keck auf ihn zutrat, ihm ihr blitzendes Diadem auf den Kopf setzte, ihre Ohrringe an seine Lippen hängte und ihn in ein Jäckchen aus durchsichtigem Nesseltuch schlüpfen ließ, das mit goldnen Ranken bestickt war. Sie putzte ihn und machte tausend Dummheiten mit ihm, kindlich ausgelassen, wie es die koketten Polinnen nun einmal sind. Den armen Seminaristen machte sie dadurch immer verlegner. Er sah sehr komisch aus, wie er da stand und ihr mit offnem Mund und ohne sich zu rühren in die blendenden Augen starrte. Ein Klopfen an der Tür jagte ihr dann einen Todesschrecken ein. Sie befahl ihm, sich unter ihr Bett zu verkriechen, und als es wieder ruhig geworden war, rief sie gleich nach ihrer Zofe, einer tatarischen Gefangenen, und gab ihr die Weisung, ihn vorsichtig in den Garten hinauszugeleiten und wieder über den Zaun steigen zu lassen. Diesmal aber hatte der Seminarist weniger Glück beim Zaunklettern: der Wächter schlief nicht mehr und erwischte ihn an den Beinen, und nachher lief das Gesinde zusammen und drosch draußen auf der Straße tüchtig auf ihn ein, bis ihm schließlich die Schnelligkeit der Füße zur Rettung wurde. Darnach bildete es künftig ein zu gewagtes Unterfangen, an dem Hause vorbeizugehen; denn das Gesinde des Marschalls war groß an Zahl. Er begegnete der Schönen noch einmal in der katholischen Kirche: sie bemerkte ihn sofort und lächelte ihm strahlend liebenswürdig zu, wie einem guten Freund. Ein letztes Mal noch sah er sie dann flüchtig von weitem, und bald darauf reiste der Marschall von Kowno ab; statt der schönen schwarzäugigen Polin schaute nun irgendein fettes Weibsbild aus jenem Fenster. Dies war es, woran Andri dachte, als er so vor sich hinritt, hängenden Hauptes und den Blick auf die Mähne seines Pferdes gesenkt.
Derweil hatte längst die Steppe ihre grünen Arme um den kleinen Trupp geschlagen. Der dichte und hohe Graswuchs verbarg ihn, nur die schwarzen Kosakenmützen sahen noch zwischen den Rispen hervor.
»Potz Kuckuck, warum so trübselig, Burschen?« rief Bulba endlich und raffte sich aus der Versunkenheit auf. »Sind wir denn Mönche, was? Immer munter! Hol der Fuchs die Gedanken! Steckt euch ne Pfeife zwischen die Zähne! Rauchen wir eins, drücken wir unsern Gäulen die Sporen ein! Und los, daß uns der Vogel in den Lüften nicht nachkommt!«
Die Kosaken bückten sich auf die Gäule und verschwanden im Gras. Auch die schwarzen Mützen sah man nicht mehr, nur ein niedergetretener Streifen im Gras blieb als Spur ihres eilenden Rittes.
Die Sonne schaute schon lange von einem entwölkten Himmel herab und tauchte die Steppe in ihr belebendes, wärmendes Licht. Alle Düsternis und Verträumtheit war aus den Köpfen der Kosaken wie weggeblasen; ihre Herzen schüttelten sich gleich erwachenden Vögeln.
Die Steppe wurde schöner, je weiter sie kamen. Zu der Zeit war der ganze Süden, die grenzenlose Fläche, die das heutige Neurussland bildet, bis ans Schwarze Meer hinunter eine jungfräuliche grüne Einöde. Nie war der Pflug durch die unermeßlichen Wellen des Wildwuchses gegangen; nur die Pferde, die sich darin verstecken konnten wie in einem Walde, stampften ihn nieder. Nichts Schöneres gab es auf der Welt – der ganze Erdkreis glich einem grüngoldigen Ozean, über den Millionen von bunten Blumen ausgeschüttet waren. Zwischen den schlanken Grasstengeln schimmerte es lichtblau, tiefblau und lila, der gelbe Ginster hob seine Pyramiden darüber hinaus, das weiße Schaumkraut sprenkelte mit seinen Schirmdolden das Grün, die Weizenähren, Gott mochte wissen, woher sie kamen, reiften in dichter Fülle. Unten huschten Rebhühner mit sichernden Hälsen durch das zierliche Stengelwerk. Die Luft war erfüllt von tausend Vogelstimmen. Unbeweglich hing der Weih mit gespreiteten Flügeln im Himmel und spähte scharf in das Grasmeer. Der Schrei einer fliegenden Wolke von Wildgänsen klang von einem fernen See herüber. Aus dem Gras erhob sich trägen Flügelschlages die Möwe. Und schon ist sie hoch, hoch oben, du siehst sie nur noch als schwarzen Punkt; da macht sie eine Wendung mit den Flügeln und blitzt hell in der Sonne . . . Hol dich der Teufel, Steppe, schön bist du!
Unsere Reisenden machten zu Mittag nur kurze Rast. Die zehnköpfige Kosakenabteilung, die sie begleitete, saß ab und packte die hölzernen Schnapsflaschen aus und die Kürbisflaschen, die als Trinkgefäße dienten. Gegessen wurde nur Zwieback oder Brot mit Salz, trinken durfte keiner mehr als eine Schale voll, denn Bulba duldete unterwegs kein Saufen. Dann ging der Ritt bis an den Abend weiter.
Um diese Zeit verwandelte sich die Steppe: ihre bunte Fläche leuchtete grell in der scheidenden Sonne und wurde langsam dunkler; man sah förmlich den Schatten der Nacht heranlaufen, düstres Grün verhüllte die Erde, die kräftiger zu atmen schien, jede Blume, jedes Gras hauchte Ambra, die weite Steppe dampfte von Wohlgeruch. Am tiefblauen Himmel standen, wie mit dem Pinsel gemalt, breite Streifen von rosigem Gold, verloren leuchtete hier und da ein weißer, durchsichtiger Wolkenbausch, frischer Windhauch, zart schmeichelnd wie Meereswellen, brachte die Wipfel des Grases leise ins Wiegen und war kaum auf der Wange zu spüren. Die starke Musik, die den Tag erfüllt hatte, klang ab, und eine neue erwachte. Bunte Zieselmäuse schlüpften aus ihren Löchern, machten Männchen und erfüllten die Steppe mit hellen Pfiffen. Das Klirren der Grillen wurde heißer. Manchmal scholl von einem einsamen See in der Ferne der Schrei eines Schwans herüber und flirrte wie Silber in der Luft. Die Reisenden machten auf freiem Feld halt, suchten sich einen Lagerplatz, fachten ein Feuer an und stellten den Kessel darauf, in dem sie ihr Hammelfleisch kochten; der Rauch stieg schräg gen Himmel. Nach dem Essen legten sich die Kosaken schlafen und ließen die gekoppelten Gäule weiden. Sie lagen auf ihren Röcken und deckten sich mit dem gestirnten Firmament zu. Hell und rein erklang in der frischen Nachtluft das Summen, Zirpen und Brummen von Myriaden Insekten und lullte sie sanft in Schlaf. Wenn einmal einer aufstand, lag die Steppe übersät von den Lichtpünktchen der Johanniskäfer vor seinem Blick. Hin und wieder zeigte sich, bald da, bald dort, am Himmel ferner Feuerschein: irgendwo in der Steppe oder am Flussufer brannte trocknes Röhricht; und ein nordwärts strebender dunkler Zug von Schwänen erglänzte plötzlich in silbern rosigem Licht – das sah aus, als segelten rote Tücher unter dem dunkeln Himmel dahin.
Kein Abenteuer störte die Reise. Nicht ein einziger Baum kam den Reitern zu Gesicht – nichts als die unendliche Steppe in freier Schönheit. Hier und da nur blauten am Horizont die Wipfel der fernen Waldungen, die die Ufer des Dnjeprs begleiten.
Einmal deutete Taras auf einen einzigen schwarzen Punkt weit drüben im Gras und sagte zu den Söhnen: »Seht, Burschen, da reitet ein Tatar.«
Ein kleiner schnurrbärtiger Kopf musterte sie aus der Ferne mit schiefen Äuglein, witterte wie ein Jagdhund und gab Fersengeld gleich einer Gemse, als er sah, daß die Kosaken selbdreizehnt waren.
»Los, Burschen, probiert einmal, ob ihr den Tataren nicht fangt! – Ach nein, probiert es erst gar nicht – unmöglich, daß ihr den kriegt: sein Gaul kann laufen wie nicht einmal mein Teufel.«
Bulba sah sich aber doch vor – man wußte ja nicht, ob nicht irgendeine Teufelei dahinterstecke. Sie schlugen sich zu einem Flüsschen hinüber, das die Tatarka heißt und in den Dnjepr mündet. Dort ging es ins Wasser; sie ritten eine ganze Weile im Flussbett, ihre Spuren zu verwischen. Erst dann wurde wieder das Ufer gewonnen und die Reise fortgesetzt.
Nach drei Tagen näherten sie sich ihrem Ziel. Die Luft wurde plötzlich kühler; die Nähe des Dnjeprs machte sich geltend. Und da blitzte es schon in der Ferne – Wasser und Himmel, geschieden durch den dunkeln Streifen des Horizontes. Der Strom wälzte kühle Wellen und kam näher und näher, bis er endlich den halben Gesichtskreis füllte. Es war die Stelle im Laufe des Dnjeprs, wo er, den Engen und Schnellen entronnen, die Freiheit findet und braust wie das fessellose Meer, wo die Inseln in seiner Strömung ihn noch weiter aus den Ufern drängen und seine Wogen das Land überfluten, ohne daß sich ihnen Klippen und Anhöhen in den Weg stellen.
Die Kosaken saßen ab, führten ihre Gäule auf den Prahm und landeten nach dreistündiger Fahrt am Strande der Insel Chortitza, wo das Lager, dessen Sitz häufig wechselte, zur Zeit seinen Platz hatte.
Ein Haufe Volkes stritt sich am Land mit den Fährleuten herum. Die Kosaken sattelten die Pferde. Taras warf sich in die Brust, zog seinen Gurt enger und strich sich martialisch den Schnauzbart. Seine Söhne hielten gleichfalls eine Nachmusterung über ihr Äußeres vom Kopf bis zu den Füßen, in einer wolkigen Mischung aus Neulingsfieber und Freude. Dann ritten sie in die Vorstadt ein, von der es noch eine halbe Werst zum Lager war. Betäubend dröhnten ihnen aus fünfundzwanzig unterirdischen, rasengedeckten Schmieden fünfzig Schmiedehämmer entgegen. Stämmige Gerber saßen unter den Vordächern der Häuser und walkten Rindshäute mit ihren starken Fäusten, Händler hielten in Zelten Stahl, Stein und Pulver feil, ein Armenier bot kostbare Tücher zum Kauf, ein Tatar briet Hammelschnitten in Teig am Spieß, ein Jude zapfte mit vorgerecktem Kopf Schnaps aus dem Faß. Der erste Mensch aber, auf den sie stießen, war ein Kosak, der mitten im Weg schlafend lag und alle viere von sich streckte. Taras Bulba konnte nicht anders: er mußte haltmachen und ihn beinah verliebt bewundern.
»Herrgott, wie protzig er daliegt! Kreuzteufel, was kostet die Welt!« sagte er und zügelte sein Pferd.
Es war in der Tat ein verwegnes Bild: der Kosak hatte sich wie ein Löwe auf die Straße gelümmelt, sein kühn zurückgeworfener Schopf lag eine halbe Elle lang am Boden, die Pluderhosen aus feinem rotem Tuch waren mit Teer beschmiert, zum Zeugnis dessen, daß er auf solche Dinge einfach pfiff.
Als Bulba sich an diesem Anblick genug ergötzt hatte, ging es weiter durch die enge Straße, wo einem noch dazu die Handwerker, die im Freien ihrer Arbeit nachgingen, überall im Weg herumstanden und Leute aus allen Nationen sich drängten – das Volk dieser Vorstadt, die einem Jahrmarkt glich und für Nahrung und Notdurft des Lagers sorgte, in dem nur geschlemmt und mit den Flinten geknallt wurde.
Endlich lag die Vorstadt hinter ihnen, und sie erblickten einige zerstreut liegende Wachhäuser, teils mit Rasen, teils nach tatarischem Brauch mit Filz gedeckt. Manche davon waren mit Kanonen bestückt. Nichts von einem Palisadenzaun oder jenen niedrigen, auf kurzen Holzsäulen stehenden Häuschen mit Schutzdächern, wie in der Vorstadt. Ein flacher Wall und ein Verhau ohne jede Bewachung zeugten von staunenswerter Sorglosigkeit. Ein paar stramme Kosaken, die, ihre Pfeifen zwischen den Zähnen, mitten im Weg herumlagen, blickten den Reisenden gleichgültig entgegen und rührten sich nicht vom Fleck.
Taras ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: »Seid gegrüßt, ihr Herren!«
»Seid gleichfalls gegrüßt!« antworteten die Kosaken.
Wohin man blickte, wimmelte das Volk in bunten Haufen. Den sonnverbrannten Gesichtern sah man es an: dies waren kriegsharte Männer, erprobt in Not und Gefahren. Da war es nun, das Lager! Da war es, das Nest, aus dem sie sich zu weiten Flügen erhoben, die Löwenstarken, die Löwenkühnen! Dies war die Stätte, von der aus Freiheit und Kosakentum das ganze Grenzland beherrschten!
Die Reisenden kamen auf den freien Platz, wo die Ratsversammlung zu tagen pflegte. Auf einem umgestürzten Bottich saß ein Kosak ohne Hemd; er hielt es in der Hand und flickte gemächlich die Löcher darin.
Aufs neue wurde ihnen der Weg verstellt durch eine Schar Musikanten, in deren Kreis ein junger Bursch tanzte, die Mütze keck auf einem Ohr, wild mit den Armen fuchtelnd. Er schrie nur immer: »Spielt schneller, faule Bande! Foma, alter Geizkragen, schenk Schnaps ein für die rechtgläubigen Christen!«
Und Foma, ein Kerl mit einem blaugeschlagenen Auge, goss jedem, der herzutrat, ohne Bezahlung das Schoppenglas voll. Um den jungen Kosaken herum tänzelten vier alte mit kleinen Schritten, sprangen dann wie ein Wirbelwind zur Seite, beinah den Musikanten auf die Köpfe, hüpften plötzlich in der tiefen Kniebeuge umher und stampften rasend schnell und kräftig mit den silbernen Hufeisen unter ihren Hacken den hart getrampelten Boden. Die Erde dröhnte, weithin in die Luft erklangen die Schläge und Wirbel der silberbeschlagnen Hacken. Einer von ihnen aber schrie und tanzte noch wilder als die andern. Sein Haarschopf flatterte im Wind, splitternackt war die kräftige Brust; er hatte seinen dicken Winterpelz an, und der Schweiß strömte von ihm herunter, wie aus der Kanne gegossen.
»Ja, zieh doch, in Gottes Namen, erst deinen Pelz aus!« sagte Taras endlich. »Ja, seht doch bloß, wie er dampft!«
»Ausgeschlossen!« schrie der Kosak.
»Warum denn?«
»Ausgeschlossen! Das kenn ich nun einmal nicht anders: was ich vom Leib zieh, ist schon versoffen.«
Eine Mütze hatte er längst nicht mehr, der lustige Kamerad, auch keinen Gurt um den Rock und kein gesticktes Tuch – es war alles den Weg zum Juden gegangen.
Die Menge wuchs, neue Tänzer kamen hinzu: man konnte nicht ohne freudiges Herzklopfen sehen, wie alles mitgerissen wurde in den freiesten, wildesten Tanz, den die Welt kennt, und der nach den Männern, aus deren strotzender Kraft er geboren wurde, der Kosakentanz heißt.
»Ach, hätt ich nur den Gaul nicht da!« schrie Taras. »Mittanzen würd ich; gleich auf der Stelle tanzte ich mit, bei Gott!«
Inzwischen aber kamen auch gesetztere Leute heran, die für ihre Taten vom ganzen Lager geehrt wurden, alte Grauköpfe, die mehr als einmal zum Ältesten gewählt worden waren. Taras sah eine Menge bekannte Gesichter. Ostap und Andri lauschten auf die Begrüßungen: »Bist du das, Petscheritza?« – »Grüß dich Gott, Kosolup!« – »Wo karrt dich der Teufel her, Taras?« – »Woher kommst du, Doloto?« – »Sei mir gegrüßt, Kirdjäga!« – »Sei gegrüßt, Gusty!« – »Daß ich dich noch einmal seh, Remjon!« Die Recken, die aus den wilden Weiten von ganz Russland zusammengeströmt waren, küßten sich, und nun hob ein Fragen an: »Was macht Kassian?« – »Und Borodawka?« – »Und Kolopjer?« – »Und Pidßyschok?« Taras Bulba mußte hören, Borodawka wäre in Tolopan gehenkt worden, Kolopjer hätten sie in Kisikirmen bei lebendigem Leib geschunden, Pidßyschoks Kopf hinwiederum sei gut eingesalzen in einem Faß nach Stambul gereist. Da ließ der alte Bulba den Kopf hangen und sagte, ins Gedenken verloren: »Waren brave Kosaken!«