Читать книгу Die Klerisei (Nikolai Leskow) (Literarische Gedanken Edition) - Nikolai Leskow - Страница 5
Zweites Kapitel.
ОглавлениеAlle diese meine altmodischen Helden wohnten auf dem Stargoroder Pfarrgehöft, am stillen, schiffbaren Fluß Turitza. Jeder von ihnen, Tuberozow, Zacharia und sogar der Diakon Achilla hatte sein eigenes Häuschen dicht am Ufer, gerade gegenüber dem jenseits des Flusses aufragenden alten Dom mit seinen fünf hohen Kuppeln. Aber so verschieden geartet, wie die drei Männer, waren auch ihre Wohnsitze. Das Haus des Vaters Sawelij war sehr hübsch, mit hellblauer Ölfarbe gestrichen und mit verschiedenfarbigen Sternchen, Quadraten und Schnörkeln über jedem der drei Fenster geziert. Letztere hatten außerdem noch holzgeschnitzte, grellbemalte Einfassungen und grüne Läden, die nie geschlossen wurden, denn das festgefügte Haus trotzte im Winter jeglichem Frost und der Propst liebte das Licht, liebte den Stern, der nachts vom Himmel in seine Stube schaute, liebte den Mondstrahl, der sich wie ein Brokatstreifen über den parkettartig gemusterten Fußboden legte.
Im Häuschen des Propstes herrscht absolute Reinlichkeit und Ordnung, denn es ist niemand da, der Schmutz oder Unordnung machen könnte. Der Propst hat keine Kinder und das ist eine Quelle steter Betrübnis für ihn und seine Lebensgefährtin.
Das Häuschen des Vaters Zacharia Benefaktow ist viel größer als das des Vaters Tuberozow. Aber es fehlt ihm jene Eleganz und Koketterie, die den Wohnsitz des Propstes auszeichnet. Das fünffenstrige, etwas schiefstehende, graue Haus des Vaters Zacharia erinnert eher an einen großen Geflügelstall, und, um die Ähnlichkeit perfekt zu machen, drängen und stoßen sich in den engen Rahmen seiner grünen Fenster unausgesetzt allerlei Schnäbelchen und Schöpfchen. Das ist die gesamte Nachkommenschaft des Vaters Zacharia, den Gott gesegnet hat, wie den Jakob, und dessen Gattin er fruchtbar gemacht hat, wie die Rahel. Bei Vater Zacharia fand man nichts von der spiegelglatten Sauberkeit des Tuberozowschen Hauses, nichts von dessen strenger Ordnung. Überall stieß man auf Spuren schmutziger Kinderpfötchen; aus jedem Winkel guckte ein Kinderköpfchen hervor; alles lebte und webte mit den Kindern und um die Kinder.
Der Diakon Achilla war Witwer und kinderlos. Wenig kümmerte er sich um irdische Güter und Hauswirtschaft. Hart am Flußrande hatte er eine lehmgestrichene, kleinrussische Kate, zu der aber keinerlei Nebengebäude gehörten; nicht einmal ein Zaun war vorhanden, nichts als eine rohe Lattenhürde, innerhalb derer, bis an die Knie im Stroh versinkend, bald ein scheckiger Hengst, bald ein falber Wallach, bald eine schwarze Stute umherstampfte. Die innere Einrichtung des Hauses war ebenfalls ganz kosakenmäßig: in dem vorderen, besseren Raume, den der Hausherr für sich selbst bestimmt hatte, stand ein hölzernes Sofa, welches Achilla auch als Bett diente. Eine weiße Kosaken-Filzdecke lag darüber gebreitet und am Kopfende ein ziselierter asiatischer Sattelbogen, an den sich ein kleines pfannkuchenähnliches Kissen in einem fettigen Nankingüberzug lehnte. Vor diesem Kosakenlager stand ein Tisch aus weißem Lindenholz. An der Wand hing eine Gitarre ohne Saiten, ein hänfener Fangstrick, eine Nagaika und zwei kunstvoll geflochtene Zäume. In der Ecke auf einem kleinen Wandbrett, hinter welchem ein verdorrter Palmweidenzweig gesteckt war, stand ein winziges Heiligenbild, die Himmelfahrt Mariä darstellend, vor dem ein kleines Kiewer Gebetbuch lag. Sonst war nichts, rein gar nichts in der Behausung des Diakons Achilla zu finden. Nebenan in einer kleinen Kammer hauste die alte Nadeshda Stepanowna, genannt Esperance, die früher einmal Zimmermädchen in einem adligen Gutshause gewesen war.
Sie war eine kleine, ältliche, gelbliche, spitznäsige, zusammengeschrumpfte Person von so unverträglichem und unerträglichem Charakter, daß sie trotz ihrer geschickten Hände nirgends dauernd unterkommen konnte, bis sie zu guter Letzt Bedienerin beim einsamen Achilla geworden war, dem sie vorschnattern und vorkeifen konnte soviel sie wollte, denn er beachtete dieses Geschnatter und Gekeife überhaupt nicht; nur wenn die Erregung seiner alten Hausgenossin gar zu arg wurde, machte er ihr im entscheidenden Augenblick durch ein donnerndes: »Versinke, Esperance!« ein Ende, worauf Esperance zumeist auch wirklich sofort verschwand, denn sie wußte, daß Achilla sie andernfalls in seine Arme nehmen, auf das Dach seiner Hütte setzen und dort bis zum Sonnenuntergang ihrem Schicksal überlassen würde.
So lebten diese Leutchen hin und trugen alle mehr oder weniger einer des andern Lasten und suchten sich gegenseitig das einförmige Dasein ein wenig bunter zu gestalten durch allerlei leichte Streitigkeiten und Mißverständnisse, welche auf die durch die Ereignislosigkeit des Kleinstadtlebens erschlaffte menschliche Natur eine so wohltuend aufrüttelnde Wirkung ausüben. So hatte zum Beispiel eines Tages der Gutsbesitzer und Adelsmarschall Alexej Nikititsch Plodomasow von einer Reise nach Petersburg den von ihm sehr hochgeschätzten Domgeistlichen verschiedene mehr oder weniger kostbare Geschenke mitgebracht, darunter auch drei Stöcke: zwei mit ganz gleichen Knöpfen aus Dukatengold für die beiden Pfarrer, den einen für Vater Tuberozow, den andern für Vater Zacharia. Der dritte Stock mit einem hübschen Knopf aus emailliertem Silber war für den Diakon Achilla bestimmt. Diese Stäbe fielen unter die Stargoroder Geistlichen wie die biblischen Schlangen, welche die ägyptischen Zauberer vor den Pharao hinwarfen.
»Durch diese Schenkung der Stäbe ist ein Zweifel in uns geweckt worden,« erzählte der Diakon Achilla.
»Was für einen Zweifel kann es denn geben, Vater Diakon?« fragten die Leute, denen er sein Leid klagte.
»Ach, ihr Laien versteht von solchen Dingen nichts. Erstens ziemt es mir in meinem Amte als Diakon gar nicht, einen solchen Stab zu tragen, denn ich bin kein Pfarrer. Ferner: ich trage diesen Stab jetzt trotzdem, denn ich habe ihn geschenkt bekommen. Drittens aber tritt dabei noch eine zweifelerregende Gleichstellung zutage: der Vater Sawelij und der Vater Zacharia haben Stäbe von ganz derselben Qualität und gleichem Aussehen erhalten. Darf man sie aber so völlig gleichstellen? … Ich frage, darf man das? … Vater Sawelij … ihr wißt es ja selbst … Vater Sawelij … ist ein Weiser, ein Philosoph, ein Justizminister … und nun sehe ich, daß auch er sich darin nicht zu finden weiß und verwirrt ist, ganz furchtbar verwirrt.«
»Was kann ihn denn so verwirren, Vater Diakon?«
»Es verwirrt ihn, daß erstens diese völlige Gleichheit Verwechselungen hervorruft. Was meint ihr, wie soll man erkennen, wem dieser Stab gehört? Versucht es doch herauszukriegen, welcher Stab dem Propst und welcher dem Zacharia zukommt, wenn sie beide ganz gleich aussehen! Freilich, zur Unterscheidung ließe sich ja irgendein Zeichen anbringen – ein Tröpfchen Siegellack auf den Knopf oder ein kleiner Einschnitt in das Holz. Wie steht es aber mit der politischen Seite der Sache? Es ist doch ganz unmöglich, daß der Propst und der Vater Zacharia gleich viel wert wären! Und der Propst fühlt das sehr wohl, und ich seh' es deutlich, und darum sag' ich ihm: ›Vater Propst, es ist in diesem Falle nichts anderes zu machen: gestattet mir, daß ich den Stab des Vaters Zacharia irgendwie zeichne, mit Siegellack oder durch einen Messerschnitt.‹ Er aber antwortet: ›Nichts dergleichen. Untersteh' dich nicht. Es ist nicht nötig.‹ Ja, wie denn nicht nötig?! ›Nun,‹ sag' ich da wieder, ›so gebt mir Euren Segen zu etwas anderm. Ich will ganz insgeheim den Stab des Vaters Zacharia mit dem Messer um einen Zoll kürzer machen, so daß der Vater Zacharia selber von dieser Verkürzung gar nichts merken soll.‹ Er aber nennt mich darauf einen Dummkopf. Gut denn, ich bin ein Dummkopf, ich hör's von ihm nicht zum erstenmal und von ihm kränkt's mich auch nicht, aber ich sehe doch, daß er mit alledem sehr unzufrieden ist, und das raubt mir alle Seelenruhe … Und ihr könnt mich einen dreifachen Dummkopf nennen,« – rief der Diakon, – »ja, ich gestatte es euch, nennt mich ruhig dumm, wenn er, der Vater Sawelij, nicht etwas ganz Politisches im Sinne hat. Ich weiß es ganz genau, daß er eben deswegen mich nicht gewähren läßt, weil er seine eigene Politik verfolgt.«
Und der Diakon Achilla schien sich nicht geirrt zu haben. Noch war kein Monat seit der Beschenkung der Stargoroder Geistlichkeit mit den erwähnten zweifelerregenden Stäben vergangen, als der Propst Sawelij sich plötzlich zu einer Reise in die Gouvernementsstadt zu rüsten begann. Man brauchte dieser Fahrt keine besondere Bedeutung zuzuschreiben, denn der Propst hatte in Amtsangelegenheiten oft genug mit dem Konsistorium zu verhandeln. Aber als der Vater Tuberozow bereits im Wagen saß, wandte er sich plötzlich zum Vater Zacharia:
»Hör' mal, Vater, wo ist denn wohl dein Stab? Gib ihn mir mal her, ich will ihn mit in die Stadt nehmen.«
Diese scheinbar von ungefähr gesagten Worte ließen ein Licht in den Gemütern aller derer aufgehen, die vor das Tor gekommen waren, dem Abreisenden das Geleite zu geben.
Der Diakon Achilla räusperte sich kräftig und flüsterte dem Vater Benefaktow ins Ohr:
»Nun? Sagt' ich's Euch nicht? Da haben wir die Politik!«
»Weshalb wollt Ihr denn meinen Stab in die Stadt mitnehmen, Vater Propst?« fragte Vater Zacharia, und zwinkerte demütig mit den Augen, wobei er zugleich den Diakon beiseite schob.
»Wozu? Nun, vielleicht will ich den Leuten dort zeigen, wie man uns hier achtet und unser gedenkt,« antwortete Tuberozow.
»Alioscha, lauf hin und hol den Stock,« befahl Zacharia seinem kleinen Sohne.
»Vielleicht nehmt Ihr dann auch meinen Stab mit, Vater Propst, um ihn dort zu zeigen?« fragte Achilla in dem sanftmütigsten Tone, dessen er fähig war.
»Nein, den deinen magst du bei dir behalten,« erwiderte Sawelij.
»Warum denn, Vater Propst? Ich bin doch ebenso … ich bin doch auch von dem Herrn Adelsmarschall ausgezeichnet worden,« antwortete der Diakon ein wenig gekränkt.
Aber der Propst würdigte seinen Einspruch keiner Antwort, legte den ihm eben gebrachten Stab des Vater Zacharia neben sich hin und hieß den Kutscher zufahren.
So fuhr er dahin und die beiden zweifelerregenden Stäbe fuhren mit, der Diakon Achilla aber saß zu Hause und mühte sich vergeblich, das Rätsel zu lösen, zu welchem Zweck Tuberozow den Stab des Zacharia mitgenommen hatte.
»Was geht's dich an? Was hast du dabei? Was?« beschwichtigte Zacharia den von Neugier gemarterten Diakon.
»Vater Zacharia, ich sag's Euch, das ist Politik.«
»Nun und wenn's Politik ist, – was geht's dich an? Mag er doch politisieren.«
»Aber ich vergehe vor Neugier, was das für eine Politik sein könnte. Euren Stab zu beschneiden wollte er mir nicht gestatten; das wäre eine Dummheit, sagte er; ich schlug ihm vor, Zeichen anzubringen, aber er wies es zurück. Das einzige, was ich vermute …«
»Ei nun, was kannst du Schwätzer vermuten?«
»Das einzige wäre, daß er … Er setzt bestimmt einen Edelstein hinein.«
»Ja! Nun … nun ja … Aber wo soll er den Stein denn einsetzen?«
»In den Griff.«
»In den seinen oder in den meinen?«
»In den seinen, natürlich in den seinen. Ein Edelstein ist doch ein Wertstück.«
»Sehr schön. Wozu hat hat er dann aber meinen Stab mitgenommen? In den seinen will er den Stein einsetzen lassen, und den meinen nimmt er mit?!«
Der Diakon schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief:
»Da wär' ich wieder mal der Narr.«
»Hoffentlich bist du der Narr, hoffentlich,« bestätigte Vater Zacharia und fügte mit leisem Vorwurf hinzu: »und dabei hast du doch Logik gelernt, mein Lieber. Schäme dich.«
»Warum soll ich mich schämen, wenn ich sie gelernt, aber nicht kapiert habe! Das kann jedem so gehen,« antwortete der Diakon.
Er sprach fortan keinerlei Vermutungen mehr aus, nur im stillen verzehrte ihn nach wie vor die Neugier: was wird nun eigentlich geschehen?
So verging eine Woche, bis der Propst zurückkam. Der Diakon Achilla, welcher gerade einen von ihm neu eingetauschten Steppengaul einritt, war der erste, der die schwarze Pfarrkutsche sich der Stadt nähern sah. Er raste durch die Straßen, machte Halt vor allen Häusern, in denen gute Bekannte wohnten, und schrie in die offenen Fenster hinein: »Er kommt! Der Propst Sawelij! Die edle große Seele!«
Ein neuer Gedanke war dem Achilla plötzlich gekommen.
»Jetzt weiß ich, was es ist,« sagte er zu den Umstehenden, während er vor dem Tore des Pfarrhofes vom Pferde stieg. »Alle meine bisherigen Vermutungen waren nichts als eitel Torheit. Jetzt aber kann ich euch für gewiß sagen, der Vater Propst hat nichts anderes getan, als griechische Lettern – oder auch lateinische – in die Knöpfe einätzen lassen. So ist es, jawohl, so und nicht anders ist es; ganz bestimmt hat er Lettern einätzen lassen, und wenn ich es jetzt nicht erraten habe, so könnt ihr mich hundertmal einen Esel nennen.«
»Warte nur, warte, das tun wir noch; das kommt schon noch,« sagte Vater Zacharia und ging dem eben vorfahrenden Wagen entgegen.
Ernst und würdevoll entstieg der Propst dem Wagen, trat in das Haus ein, betete, begrüßte seine Gattin, indem er sie dreimal auf den Mund küßte, bewillkommnete danach auch den Vater Zacharia, wobei sie sich gegenseitig auf die Schultern küßten, und zu guter Letzt den Diakon Achilla, der dem Propst die Hand küßte, während dieser mit den Lippen seinen Scheitel berührte. Nach dieser Begrüßung ging man ans Teetrinken, Schwatzen, Erzählen, und langsam wich der Abend der Nacht, ohne daß der Propst auch nur ein Wort über die alle so interessierenden Stäbe geäußert hätte. Ein Tag verging, ein zweiter, ein dritter, mit keiner Silbe erwähnte Vater Tuberozow die Angelegenheit. Es schien, als habe er die Stäbe in die Hauptstadt gebracht und sie dort in den Fluß versenkt, damit alles Gerede von ihnen schweige.
Der Diakon brannte förmlich vor Neugier und wußte nicht, was er ersinnen sollte, um das Gespräch auf die Stäbe zu bringen. Aber die Sache kam bald von selbst zur Erledigung. Am fünften oder sechsten Tage nach seiner Heimkehr bat der Vater Sawelij nach dem Hauptgottesdienst den Stadthauptmann, den Schulinspektor, den Arzt und den Vater Zacharia nebst dem Diakon Achilla zu sich zum Tee und fing wiederum zu erzählen an, was er alles in der Gouvernementsstadt gehört und gesehen habe. Er berichtete ihnen von vielerlei schönen Sachen, welche er in den Kaufläden gesehen hatte. »Es ist erstaunlich,« meinte er, »was die dortige Kunstfertigkeit zu leisten vermag.«
Mit diesen Worten ging der Propst ins Nebenzimmer und kam, in jeder Hand einen der wohlbekannten Stäbe haltend, wieder zurück.
»Sehen Sie mal hier,« sagte er, indem er den Gästen die Oberfläche der beiden goldenen Knöpfe vor die Augen hielt.
Der Diakon Achilla riß die Augen auf, um zu erspähen, was der Politikus zustande gebracht hatte, um die gleichwertigen Stäbe unterscheiden zu können. Aber ach! Es war kein wesentlicher Unterschied zu erkennen. Im Gegenteil, ihre Gleichwertigkeit schien nun erst vollkommen, denn in der Mitte eines jeden Knopfes war in ganz gleicher Weise, von einem Strahlenkranze umgeben, ein Gottesauge eingraviert, um welches sich eine kurze Kursivinschrift schlang.
»Und Lettern sind keine da, Vater Propst?« bemerkte Achilla, dem die Geduld ausging.
»Was willst du noch für Lettern?« erwiderte Tuberozow, ohne ihn anzusehen.
»Um sie in ihrer Gleichwertigkeit zu unterscheiden.«
»Immer kommst du mit deinem dummen Zeug,« wandte sich der Propst zum Diakon, und dann stützte er den einen Stab gegen seine Brust und sprach:
»Das soll meiner sein.«
Der Diakon Achilla warf einen schnellen Blick auf den Knopf und las über dem Gottesauge: »Und er fand den Stecken Aarons blühen.«
»Und den nimmst du, Vater Zacharia,« schloß der Propst und gab ihm den andern Stab.
Auf dem Knopfe desselben war um das völlig gleiche Gottesauge in ganz derselben altslawischen Kursivschrift eingraviert:
»Und er gab den Stab in seine Hand.«
Kaum hatte Achilla diese zweite Inschrift gelesen, so knickte er hinter dem Rücken des Vaters Zacharia zusammen, und, den Kopf gegen den Bauch des Arztes stemmend, zuckte und strampelte er in einem unbändigen Lachanfall.
»Na, Quälgeist, was gibt's wieder? Was gibt's?« wandte sich der Vater Zacharia ihm zu, während die übrigen Gäste noch die kunstvolle Arbeit des Juweliers an den Priesterstäben bewunderten.
»Lettern? He? Lettern, du krauser Schafbock du? Wo sind hier die Lettern?«
Der Diakon aber prustete und lachte nur immer toller.
»Was lachst du? Was ficht dich an?«
»Wer ist jetzt der Schafbock, he?« fragte der Diakon, die Worte mühsam hervorstoßend.
»Du natürlich, wer denn sonst?«
Achilla brach in ein neues Gelächter aus, packte den Vater Zacharia an den Schultern und flüsterte theatralisch:
»Na und Ihr, Vater Zacharia, wo Ihr so viel Logik studiert habt, lest doch noch einmal. ›Und er gab den Stab in seine Hand.‹ Was sagt Eure Logik dazu? Wo soll eine solche Inschrift hinaus?«
»Wo hinaus? Nun, so sag du es doch, wo sie hinaus soll!«
»Wo hinaus? Dahinaus,« sagte der Diakon langsam und gedehnt, »daß man ihm mit dem Lineal eins auf die Pfoten gegeben hat.«
»Du lügst!«
»Ich lüge?! Und warum ist denn sein Stecken erblüht? Und kein Wort davon, daß er ihm in die Hand gegeben ist? Warum? Weil das zum Zweck der Erhöhung geschrieben ist, Euch aber ist's zur Erniedrigung geschrieben, daß Euch der Knüppel in die Tatze gelegt ist.«
Vater Zacharia wollte etwas erwidern, aber der Diakon hatte ihn wirklich irre gemacht. Achilla triumphierte, daß es ihm gelungen war, den sanften Benefaktow aus der Fassung zu bringen, doch sein Triumph war nur von kurzer Dauer.
Kaum hatte er sich umgewandt, so sah er auch schon, daß der Propst ihn scharf ins Auge gefaßt hatte, und sobald er bemerkte, daß der Diakon unter der Wirkung dieses strengen Blickes verlegen zu werden begann, wandte er sich an die Gäste und sagte mit ganz ruhiger Stimme:
»Die Inschriften, die Sie hier sehen, habe ich nicht selbst ausgedacht. Der Konsistorialsekretär Afanasij Iwanowitsch hat sie mir empfohlen. Auf einem Abendspaziergang kamen wir beim Goldschmied vorbei, und da meinte Afanasij Iwanowitsch: Wißt Ihr, Vater Propst, was für ein Gedanke mir gekommen ist? Ihr solltet Inschriften auf die Stäbe setzen. Für Euch ›der Stecken Aarons‹ und für den Vater Zacharia – eben jene, die jetzt dasteht.«
»Und du, Vater Diakon,« fuhr der Propst fort, »ich wollte auch etwas von deinem Stabe sagen, wie du mich gebeten hattest, aber ich bin der Meinung, es wäre am besten, du trügest den Stab überhaupt nicht, denn er kommt deinem Amte nicht zu.«
Und damit schritt der Propst in aller Seelenruhe nach der Stubenecke, in welcher der berühmte Stab des Achilla stand, nahm ihn und schloß ihn in den Kleiderschrank ein.
Dieses war der größte Zwist, der sich je in der Stargoroder Pfarrei abgespielt hatte.
Wie es heißt, daß durch ein Dreierlicht einst ganz Moskau in Flammen aufgegangen ist, so entstand auch daraus bald eine ganze Geschichte, welche die verschiedensten Charakterschwächen und Vorzüge Sawelijs und Achillas an den Tag brachte.
Der Diakon kannte diese Geschichte am besten, erzählte sie aber nur in Augenblicken äußerster Erregung.