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Zweites Kapitel

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Die drei Reiter ritten schweigend vor sich hin. Der alte Taraß dachte an die Vergangenheit, seine Jugend zog an ihm vorüber: die dahingeschwundenen Jahre, die der Kosake beweint, der sein ganzes Leben lang jung zu bleiben wünscht. Er dachte daran, wem von seinen einstigen Kameraden er wohl in der Sjetsch begegnen würde. Er rechnete aus, welche von ihnen bereits gestorben wären, und wer wohl noch am Leben sein mochte. In seinem Auge glänzte eine stumme Träne, und sein ergrauter Kopf hing traurig herab ...

Seine Söhne waren mit ganz andern Gedanken beschäftigt. Doch es ist Zeit, etwas Näheres über sie mitzuteilen. Mit zwölf Jahren waren sie auf das Seminar von Kiew geschickt worden, denn alle höheren Würdenträger jener Zeit hielten es für nötig, ihren Söhnen eine gelehrte Erziehung zuteil werden zu lassen, obschon dies zu keinem andern Zweck geschah, als damit sie nachher alles Gelernte wieder vollständig vergessen. Bei ihrem Eintritt ins Seminar waren sie, wie alle Jünglinge ihrer Art, noch sehr wild und richtige Naturburschen; dort aber wurden sie gewöhnlich etwas abgeschliffen und nahmen bald durch die gleichmäßige Erziehung Gewohnheiten an, die da machten, daß sie sich alle ein wenig ähnlich sahen. Ostap, der ältere, begann seine Laufbahn damit, daß er noch im ersten Jahre die Flucht ergriff. Man brachte ihn zurück, prügelte ihn fürchterlich durch und setzte ihn hinter die Bücher. Viermal vergrub er sein Lesebuch in die Erde, und viermal wurde ihm ein neues angeschafft, nachdem er das alte unmenschlich zerrissen hatte. Er hätte es zweifellos noch zum fünftenmal versucht, wenn ihm sein Vater nicht feierlich geschworen hätte, ihn volle zwanzig Jahre als Knecht ins Kloster zu schicken und ihm nicht angedroht hätte, er solle die Sjetsch niemals zu Gesicht bekommen, wenn er sich auf der Akademie nicht alle Wissenschaften aneignen werde. Es ist interessant, daß derselbe Taraß Bulba dies sagte, der über alle Gelehrsamkeit spottete und, wie wir gesehen haben, seinen Kindern empfahl, sich nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen! Seit dieser Zeit begann Ostap mit außerordentlichem Fleiß über dem langweiligen Buche zu brüten und wurde bald einer der besten Schüler. Das damalige Unterrichtssystem nahm nicht die geringste Rücksicht auf das wirkliche Leben; denn diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Finessen paßten gar nicht zu dem Zeitalter, wurden nie angewendet und wurden im Leben nie wieder gebraucht. Die, die sie beherrschten, konnten ihr Wissen, auch wenn es weniger scholastisch war, nirgends anbringen. Die damaligen Gelehrten waren bei ihrer Weltfremdheit, und weil es ihnen an der nötigen Erfahrung fehlte, fast noch unwissender, als die andern Menschen. Außerdem mußte ihnen auch die republikanische Verfassung der Seminare — diese ungeheuere Anzahl gesunder, kräftiger, junger Leute, Lust zu einer Tätigkeit einflößen, die gar nichts mit den Studien, die sie trieben, zu tun hatte. Oft genug erzeugten auch die schlechte Kost, die häufigen Hungerstrafen und die Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden, jungen Manne erwachen, jenen Unternehmungsgeist in ihnen, dem sie nachher in der Saporoger Sjetsch ungehemmten Lauf lassen konnten. Die hungrigen Seminaristen streiften durch die Straßen Kiews und zwangen alle zur peinlichsten Vorsicht. Die Hökerfrauen, die auf dem Markte saßen, bedeckten ihre Pasteten, Brezeln und Kürbissamen stets mit den Händen wie das Adlerweibchen seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen vorbeikommen sahen. Der Konsul, dessen Pflicht es war, die ihm untergebenen Kameraden im Zaum zu halten, hatte so riesige Taschen in seinen weiten Beinkleidern, daß er den ganzen Kramladen der etwas eingeschlafenen Handelsfrau darin hätte unterbringen können. Diese Seminaristen bildeten eine abgeschlossene Welt für sich. Zu den höheren Kreisen, die sich aus dem russischen und polnischen Adel zusammensetzten, hatten sie keinen Zutritt. Selbst der Wojewode Adam Kissel führte sie trotz des Protektorates über das Seminar, das er übernommen hatte, nicht in die gute Gesellschaft ein, und erließ den Befehl, sie recht streng zu halten. Übrigens war diese Anordnung ganz überflüssig, denn der Rektor und die geistlichen Professoren sparten weder Ruten noch Peitsche, und oft genug züchtigten die Liktoren ihre Konsuln auf ihren Befehl so fürchterlich, daß jene sich noch wochenlang die Beinkleider kratzten. Vielen machte das kaum etwas aus, und brannte es nur ein wenig stärker, als ein gut gepfefferter Schnaps; andere jedoch bekamen die ständigen Züchtigungen gründlich satt und brannten nach dem Saporog durch, wenn sie den Weg dorthin zu finden wußten und nicht wieder eingefangen wurden. Ostap Bulba blieb, obschon er die Logik und die Gottesgelahrtheit mit großem Eifer zu erlernen begonnen hatte, keineswegs von den ewigen Prügelstrafen verschont. Es ist nur zu natürlich, daß diese Behandlung schließlich den Charakter verhärten und ihm jene gewisse Festigkeit geben mußte, die den Kosaken stets eigen war. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er verführte selten andere zu frechen Unternehmungen — wie etwa zu Raubzügen in fremde Obst- und Gemüsegärten; dafür aber war er einer der ersten, die sich unter die Fahne eines kühnen, unternehmungslustigen Seminaristen stellten, und nie, und unter keinen Umständen hätte er einen Kameraden verraten: weder Peitschenhiebe noch Rutenstreiche konnten ihn dazu veranlassen. Er war gleichgültig und voller Verachtung gegen alle Leidenschaften, die nicht auf den Krieg oder ein Freß- und Saufgelage abzielten. Wenigstens dachte er fast an nichts anderes. Gleichgestellten gegenüber besaß er eine große Offenheit. Er besaß eine gewisse Güte, soweit dies in dieser Zeit und bei einem solchen Charakter möglich war. Die Tränen der armen Mutter hatten sein Herz außerordentlich bewegt, und es war allein dies Gefühl, das ihn jetzt verwirrte und ihn zwang, nachdenklich den Kopf zu senken.

Sein jüngerer Bruder Andrij hatte lebhaftere und bestimmtere Empfindungen. Das Lernen machte ihm mehr Vergnügen, und er bedurfte dazu keiner besonderen Anstrengung, die ein schwerfälliger und harter Charakter stets dabei anwenden muß. Er war erfinderischer als sein Bruder, war öfter Anführer bei gefährlichen Unternehmungen und verstand es, dank seiner Schlauheit und Intelligenz manches Mal der Strafe zu entgehen; während sein Bruder Ostap gleichmütig und ganz von selbst seinen Rock ablegte und sich auf den Boden streckte, ohne auch nur daran zu denken, daß er um Gnade bitten könnte. Andrijs Seele dürstete gleichfalls nach Heldentaten, aber sie war auch andern Empfindungen zugänglich. Als er das achtzehnte Jahr überschritten hatte, bemächtigte sich seiner ein heftiges Bedürfnis nach Liebe. Immer häufiger tauchte das Weib vor seinen erregten Sinnen auf; während er philosophischen Disputen beiwohnte, umschwebte es ihn: jung, schwarzäugig und zart. Unablässig glaubte er ein Paar glänzende kräftige Brüste oder einen wundervollen zarten nackten Arm vor sich zu sehen; das Kleid, das die jungfräulichen und zugleich starken Glieder einhüllte, hauchte in seiner Phantasie eine unaussprechliche Wollust aus. Er verbarg diese leidenschaftlichen Wallungen seiner Seele sorgfältig vor den Kameraden; denn in jener Zeit galt es für schmachvoll und ehrlos, wenn ein Kosak an Weiber und Liebe dachte, ehe er an einer Schlacht teilgenommen hatte. Überhaupt war er in den letzten Jahren, die er im Seminar verbrachte, immer seltener Anführer einer Rotte, und irrte meist in irgend einem einsamen Winkel Kiews, zwischen Kirschgärten und kleinen Häusern umher, die verführerisch auf die Straße hinausblickten. Hin und wieder geriet er auch in das aristokratische Stadtviertel, in das jetzige „Alte Kiew“, wo die kleinrussischen und polnischen Adligen wohnten und die Häuser einen etwas bizarren Baustil hatten. Als er dort eines Tages tief in Gedanken versunken umherschlenderte, hätte ihn beinahe die Kutsche eines polnischen Pans überfahren, und der auf dem Bock sitzende Kutscher mit einem fürchterlichen Mundwerk versetzte ihm unter greulichen Flüchen einige ziemlich kräftige Peitschenhiebe. Der junge Seminarist geriet in Wut: voll unsinniger Kühnheit packten seine kräftigen Fäuste das hintere Rad, und brachten den Wagen zum Stehen. Aber der Kutscher, der eine Abrechnung befürchtete, versetzte den Pferden einen heftigen Schlag, sie zogen stark an — sodaß Andrij, der glücklicherweise seine Hand zurückgezogen hatte, umgeworfen wurde, und mit dem Gesicht mitten in den Schmutz fiel. Da vernahm er plötzlich ein helles wohlklingendes Lachen über sich. Er sah empor und erblickte am Fenster ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, wie er noch nie ein ähnliches gesehen hatte; ihre Augen waren schwarz, und ihr Antlitz schimmerte so weiß wie Schnee, den die Morgensonne bescheint. Sie lachte aus voller Kehle, und ihr Lachen verlieh ihrer blendenden Schönheit einen geradezu überwältigenden Reiz. Er stand ganz verdutzt da. Traumverloren starrte er sie an und wischte sich zerstreut den Schmutz von seinem Gesicht, jedoch so ungeschickt, daß er sich nur noch mehr entstellte. Wer war dieses schöne Mädchen? Er suchte es von den Bedienten zu erfahren, die reichgeschmückt vor dem Tore standen und einen jungen Bandura[1]spieler umringten. Die Knechte und Mägde brachen jedoch in ein stürmisches Gelächter aus, als sie sein schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort. Endlich hörte er, daß die Unbekannte die Tochter des für einige Zeit hier weilenden Wojewoden von Kowno sei. In der nächsten Nacht kletterte er mit einer nur den Seminaristen eigenen Frechheit über den Zaun, gelangte so in den Garten und erklomm geschwind einen Baum, dessen Zweige das Dach des Hauses berührten. Von dort schwang er sich auf das Dach und gelangte so durch den Schornstein direkt in das Schlafzimmer der Schönen, die gerade vor einer Kerze saß und ihre kostbaren Ohrringe ablegte. Als die schöne Polin plötzlich einen unbekannten Mann vor sich erblickte, erschrak sie derartig, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte, als sie jedoch bemerkte, daß der Seminarist mit gesenkten Augen vor ihr stand und vor Schüchternheit kaum zu atmen wagte, und als sie denselben Jüngling in ihm erkannte, der vor ihren Augen in den Straßenkot gefallen war, brach sie in ein erneutes übermütiges Lachen aus. Allerdings kam noch dazu, daß Andrij garnicht schrecklich aussah, sondern ein sehr hübscher Junge war. Sie lachte von ganzem Herzen und trieb allerlei Kurzweil mit ihm. Wie alle Polinnen war auch sie sehr launenhaft; aber ihre Augen, ihre wundervollen, durchdringend klaren Augen hatten jenen langen Blick, der Beständigkeit verrät. Der Seminarist rührte keinen Finger, er stand wie gefesselt da, als endlich die Tochter des Wojewoden kühn auf ihn zutrat, ihm ihr strahlendes Diadem auf den Kopf setzte, ihm die Lippen mit ihren Ohrringen behängte und ihn in ein durchsichtiges, golddurchwirktes, mit Festons verziertes Hemdchen aus Nesseltuch hüllte. Sie putzte ihn heraus und trieb tausend Dummheiten mit ihm — keck und kindlich, wie es die Art der leichtsinnigen Polinnen ist, was unsern armen Seminaristen in noch größere Verlegenheit brachte. Er machte eine recht komische Figur, wie er mit offenem Mund dastand und regungslos in ihre leuchtenden Augen starrte. Plötzlich vernahm man ein Geräusch an der Tür; sie erschrak aufs heftigste und befahl ihm, sich unter dem Bett zu verstecken. Als die Gefahr vorüber schien, rief sie ihre Kammerzofe, eine gefangene Tatarin, und befahl ihr, ihn vorsichtig in den Garten hinaus zu führen, damit er von dort aus über den Zaun auf die Straße gelangen könne. Aber diesmal kam der Seminarist nicht so glücklich hinüber: der Wächter erwachte, packte ihn kräftig an den Beinen, und die herbeieilenden Knechte walkten ihn auf der Straße so lange durch, bis ihn seine flinken Beine retteten. Seit dieser Zeit war es für ihn gefährlich, an dem Hause seiner Angebeteten vorüberzugehen, denn der Wojewode verfügte über eine sehr zahlreiche Dienerschaft. Dagegen sah er sie einmal in der katholischen Kirche: sie bemerkte ihn und lächelte ihm aufs liebenswürdigste zu, wie einem guten, alten Bekannten. Hierauf begegnete er ihr noch einmal ganz flüchtig; bald darauf reiste der Wojewode von Kowno ab, und statt der schönen, schwarzäugigen Polin starrte ein feistes, gleichgültiges Gesicht aus den Fenstern heraus.

Das war es, woran Andrij dachte, als er mit gesenktem Kopf, und die Augen starr auf die Mähne seines Pferdes gerichtet, dahinritt.

Unterdessen hatte sie die Steppe in ihre grünen Arme aufgenommen, und das hohe Gras verbarg sie von allen Seiten, daß nur noch die schwarzen Kosakenmützen zwischen den Ähren hervorschimmerten.

„He, Jungens, weshalb seid ihr denn plötzlich so still geworden,“ sagte Bulba, endlich aus seinen Träumen erwachend, „ihr seid mir rechte Mönche! Ah, jagt doch alle trüben Gedanken zum Teufel! Steckt euch eine Pfeife in den Mund, wir wollen eins rauchen, den Gäulen die Sporen geben und dahinsausen, daß uns kein Vogel einholen soll!“

Und die Kosaken beugten sich über die Pferde und verschwanden im Grase. Bald konnte man auch die schwarzen Mützen nicht mehr sehen. Nur die lange Flucht des niedergetretenen Grases zeugte von ihrem schnellen Ritte.

Die Sonne strahlte längst am klaren Himmel und ergoß ihr belebendes, wärmespendendes Licht über die ganze Steppe. Alle Schläfrigkeit und Traurigkeit verschwand augenblicklich aus der Seele der Kosaken, und ihre Herzen schwangen sich empor gleich flinken Vögeln.

Je tiefer sie in die Steppe hineinkamen, um so schöner wurde sie. Damals war der ganze Süden, jene große Strecke, die jetzt Neurußland bildet und sich bis zum schwarzen Meer erstreckt, noch eine grüne, jungfräuliche Wüste. Der Pflug hatte diese unermeßlichen Wogen wilden Grases noch nie berührt, und nur die Pferde, die wie in einem Walde in ihm untertauchten, stampften es zuweilen nieder. Es gab kaum etwas Schöneres in der Natur: die ganze Erdoberfläche glich einem grüngoldenen Ozean, übersät von Millionen der mannigfaltigsten Blumen. Zwischen den schlanken, hohen Grashalmen schimmerten hellblaue, blaue und lila Blüten hervor; gelber Ginster ragte mit seiner pyramidenförmigen Spitze empor; weißer Klee glänzte mit seinen schirmartigen Köpfchen auf der Oberfläche; die weiß Gott wie hierher verpflanzten Weizenähren schossen gleich einem Dickicht in die Höhe, und ab und zu flogen ein paar Schnarchhühner mit vorgestreckten Hälsen hindurch. Die Luft war von tausend verschiedenen Vogelstimmen erfüllt. Mit weit ausgebreiteten Flügeln schwebten die Habichte unbeweglich am Himmel, ihre Augen unverwandt auf das Gras gerichtet. Von einem fernen See tönten die Schreie einer weit abseits vorüberziehenden Wolke wilder Gänse herüber. Mit gemessenem Flügelschlage erhob sich eine Möve aus dem Grase und badete sich voller Lust in den blauen Luftwellen. Da war sie schon in der Höhe verschwunden und erglänzte nur noch ganz fern wie ein schwarzer Punkt, aber plötzlich wendete sie ihren Flug und leuchtete hell auf in den blendenden Sonnenstrahlen — hol’ euch der Teufel, ihr Steppen, wie herrlich seid ihr doch ...!

Unsere Reisenden machten nur auf wenige Minuten Rast, um Mahlzeit zu halten. Ihr Gefolge, das aus zehn Kosaken bestand, sprang von den Pferden und band die hölzernen Branntweinflaschen und die Kürbisse, die als Trinkgefäße dienten, ab. Man aß nur etwas Brot, Speck oder Zwieback und ähnliches, trank nicht mehr als ein einziges Glas, und auch dies nur der Stärkung wegen, denn Taraß Bulba erlaubte es nie, sich unterwegs vollzutrinken, und darauf wurde der Weg bis zum Abend fortgesetzt.

In der Dämmerung veränderte die Steppe vollkommen ihr Gesicht. Ihre ganze bunte, von den letzten hellen Sonnenstrahlen beschienene Oberfläche wurde allmählich immer dunkler, sodaß der Schatten der Kosaken in scharfen Konturen über sie hinglitt, und nahm bald einen dunkelgrünen Schimmer an. Der Erde entströmten immer stärkere Düfte: jedes Blümchen, jeder Grashalm atmete Ambra aus, und die ganze Steppe schien ein Meer von Wohlgerüchen geworden zu sein. An dem dunkelblauen Himmel schien ein riesenhafter Pinsel rötlichgoldene Streifen gezogen zu haben; hin und wieder sah man ein paar durchsichtige Wölkchen aufleuchten, und ein frischer, wohltuender Wind strich lockend, wie grüne Meereswellen, kaum merklich über die Spitzen der Gräser hin, so lind, daß er kaum die Wangen berührte. Die ganze Musik, die den Tag erfüllte, war verklungen und durch eine andere ersetzt. Bunte Ziesel kamen aus ihren Schlupflöchern, setzten sich auf ihre Hinterpfötchen und pfiffen durchdringend über die Steppe hin; immer deutlicher wurde das Zirpen der Grillen. Zuweilen tönte von irgend einem einsamen See her der silberhelle Schrei eines Schwanes durch die Luft. Die Reisenden machten mitten auf dem Felde halt, suchten sich ein Nachtlager und zündeten ein Feuer an, auf welches sie einen Kessel stellten, um sich ihr Kulisch zu kochen. Bald dampfte der Kessel und der Rauch stieg schräg in die Luft. Nachdem die Kosaken ihr Abendbrot eingenommen und die aneinandergekoppelten Pferde freigelassen hatten, damit diese ruhig grasen konnten, begaben sie sich zur Ruhe und lagerten sich auf ihren Kitteln. Die nächtlichen Gestirne blickten hell und klar auf sie hinab. Das Knistern, Pfeifen und Summen der ganzen unendlichen Insektenwelt, die im Grase schwirrte, klang an ihr Ohr. All diese Töne hallten wie Musik durch die Nacht, läuterten sich in der frischen Luft und wiegten den müden Sinn langsam in Schlaf. Wenn einer der Reisenden erwachte und sich erhob, lag die Steppe, besät mit den blitzenden Funken schwirrender Leuchtkäfer, vor ihm. Bisweilen wurde der Nachthimmel an verschiedenen Stellen vom fernen Flammenschein des trockenen Schilfrohres beleuchtet, das auf den Wiesen und Flüssen verbrannt wurde. Eine dunkle Schaar von Schwänen, die nach Norden flog, erschien plötzlich in rosig-silbernes Licht getaucht am Himmel, was so aussah, wie wenn rote Tücher am dunkelen Horizont flatterten.

Die Reisenden ritten vorwärts, ohne irgend ein Abenteuer zu erleben. Nirgends gewahrten sie Bäume; überall umgab sie die gleiche endlose, freie, herrliche Steppe. Hin und wieder nur sah man in der Ferne an den Ufern des Dniepr die Wipfel eines Waldes blau aufleuchten, und nur einmal machte Taraß seine Söhne auf einen kleinen schwarzen Punkt fern im Grase aufmerksam und sagte: „Seht mal Jungens, da trabt ein Tatar.“ Ein kleiner, mit einem Schnurrbart geschmückter Kopf richtete seine schmalen Augen auf sie, schnüffelte vorsichtig wie ein Jagdhund in der Luft herum und verschwand wie ein Reh, als er bemerkte, daß die Kosaken dreizehn Mann hoch waren. „Hallo, Jungens, versucht mal den Tataren einzuholen! Ah — laßt es lieber sein, ihr werdet ihn ja doch nicht fangen. Sein Gaul ist schneller als mein ‚Teufel‘.“ Bulba traf jedoch entsprechende Vorsichtsmaßregeln, da er einen Hinterhalt befürchtete. Er ritt mit seinem Zuge bis zu einem kleinen Fluß, der Tatarka hieß und in den Dnjepr mündet; dort sprangen sie ins Wasser, ließen sich mitsamt ihren Pferden eine Zeitlang von der Strömung treiben, um ihre Spur zu verwischen, und setzten erst hiernach an dem andern Ufer ihren Ritt fort.

Drei Tage nach diesem Abenteuer befanden sie sich endlich in der Nähe des Ortes, der das Ziel ihrer Reise war. Die Luft wurde plötzlich merklich kühler, ein Zeichen, daß der Dnjepr nicht mehr fern war. Da glänzte er auch schon in der Ferne, und hob sich als ein dunkler Streifen vom Horizont ab. Seine kalten Wellen rollten dahin, kamen immer näher und näher heran, und schienen endlich die Hälfte der ganzen Erdoberfläche zu umfassen. Das war jene Stelle, wo der Dnjepr, bis dahin von Stromschnellen eingeengt, seinen Lauf ungehindert entfalten und dem Meere gleich, fessellos, dahinrauschen kann, wo die in ihm verstreuten Inseln seine Ufer noch weiter zurückdrängen, und seine Wellen, weder von Felsen noch Dämmen gebrochen, sich breit über das Land ergießen.

Die Kosaken saßen ab, bestiegen die Fähre und gelangten nach einer dreistündigen Überfahrt an die Insel Chortiza, wo sich damals die so oft ihren Aufenthalt wechselnde Sjetsch befand.

Ein Haufen Volks stritt sich gerade am Ufer mit den Fährleuten herum. Die Kosaken zäumten ihre Pferde auf. Taraß reckte sich gewichtig empor, zog seinen Gurt fester zusammen und strich sich stolz mit der Hand über den Schnurrbart. Seine jungen Söhne musterten sich ebenfalls von Kopf bis zu Fuß, nicht ohne eine gewisse Angst und ein unklares Wohlgefallen, und alle ritten in die Vorstadt hinein, die eine halbe Werst von der Sjetsch entfernt lag. Bei ihrer Ankunft wurden sie durch den Lärm von fünfzig Schmiedehämmern betäubt, die in fünfundzwanzig unterirdischen und mit Rasen bedeckten Schmieden niederfielen. Auf der Straße saßen riesige Gerber und walkten unter dem Schutzdach die Ochsenhäute mit ihren muskulösen Händen. Zahlreiche Krämer saßen unter ihren Zelten vor ganzen Haufen von Feuersteinen und Pulver; ein Armenier bot teure Tücher zum Verkauf aus, ein Tatar drehte ein in Teig gehülltes Lamm am Bratspieß, ein Jude zog mit vorgestrecktem Kopf Branntwein aus einem Faß ab. Der erste Mensch, der ihnen begegnete, war ein Saporoger, der mit weit ausgestreckten Händen und Füßen mitten auf dem Wege schlief. Taraß Bulba konnte nicht umhin, haltzumachen und ihn mit großem Vergnügen zu betrachten. „Du hast es dir aber ordentlich bequem gemacht! Verdammt noch einmal, bist du ein prächtiger Bursche!“ rief er aus und hielt an. Das Bild, das sich ihnen darbot, war in der Tat sonderbar genug: der Saporoger lag breit wie ein Löwe mitten auf dem Wege, sein stolz zurückgeworfener Haarschopf bedeckte mindestens drei Fuß vom Boden, und die Beinkleider aus teurem roten Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die vollkommene Verachtung ihres Besitzers gegen solche Dinge recht deutlich zu zeigen. Nachdem Bulba sich an diesem Bilde sattgeschaut hatte, ritt er weiter durch die engen Straßen, die voll von Handwerkern, welche ihren Beruf gleich hier an Ort und Stelle ausübten, und von Leuten aller möglichen Nationalität war, die den Vorort bevölkerten. Es sah hier fast so aus wie auf einem Jahrmarkt, der die ganze Sjetsch kleidete und nährte, da diese sich ja nur aufs Herumlungern und Schießen verstand.

Endlich hatten sie die Vorstadt hinter sich und erblickten einige zerstreut liegende Gebäude, die mit Rasen oder auch, nach tatarischer Art, mit Filz bedeckt waren. Vor einzelnen von ihnen standen Kanonen. Nirgends sah man einen Zaun oder eins jener niedrigen Häuser mit einem Schutzdach auf niedrigen Holzsäulen, wie man sie in der Vorstadt fand. Ein kleiner Wall und ein Verhau, ohne die geringste Bewachung, zeugten von einer unglaublichen Sorglosigkeit. Einige riesenhafte Saporoger Kosaken, die mit ihrer Pfeife in den Zähnen mitten auf dem Wege herumlagen, schauten die Ankömmlinge ziemlich gleichgültig an und rückten nicht vom Fleck. Taraß ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: „Guten Tag, meine Herren.“ „Gleichfalls,“ antworteten die Saporoger. Überall, und auf dem ganzen Felde, sah man in malerischen, bunten Gruppen große Mengen Volkes lagern. Ihre gebräunten Gesichter zeugten davon, daß sie im Pulverdampf der Schlacht gestählt waren und mancherlei Ungemach erfahren hatten. Das also war sie, die Sjetsch! Das war die Höhle, aus der all die Helden hervorgingen, stark und stolz wie Löwen! Das war der Ort, von dem aus sich Rittertum und Freiheit über die ganze Ukraine ergoß!

Die Reisenden lenkten ihre Pferde nach einem geräumigen Platze, wo sich gewöhnlich der Rat versammelte. Auf einem großen umgestürzten Fasse saß ein Saporoger, ohne Hemd; er hielt es in der Hand und stopfte langsam und bedächtig die Löcher. Wiederum versperrte ihnen ein ganzer Haufen von Musikanten den Weg, in deren Mitte ein junger Saporoger, die Mütze auf dem Ohr und mit hocherhobnen Händen, einen Tanz aufführte. Er schrie fortwährend: „Spielt doch schneller, ihr Musikanten! Thomas, schenk tüchtig Branntwein ein, spar doch nicht so bei rechtgläubigen Christen.“ Und Thomas, der ein angeschwollenes Auge hatte, reichte jedem, der an ihn herantrat, einen ungeheuren Becher. Um den jungen Saporoger herum, führten vier Alte mit kleinen Schritten allerlei Tänze aus; bald flogen sie zur Seite wie ein Wirbelwind, wobei sie fast die Köpfe der Musikanten berührten, bald setzten sie sich unvermutet nieder und begannen mit ihren silberbeschlagenen Absätzen laut und hart auf den festgetretenen Fußboden zu stampfen. Dumpf dröhnte die Erde in der ganzen Umgebung, und die Hopps und Topps, die mit den klingenden Sporen der Stiefel geschlagen wurden, schallten laut durch die Luft. Ein Kosak aber schrie lauter als alle andern und drehte sich mit den andern im Tanze. Sein Haarzopf flatterte im Winde, die starke Brust war ganz entblößt, über die Schulter aber hatte er den warmen Wintermantel geworfen, so daß ihm der Schweiß unaufhörlich in Strömen von der Stirn lief.

„Zieh doch wenigstens den Pelz aus,“ sagte endlich Taraß. „Sieh doch, wie du dampfst.“

„Das geht nicht,“ schrie der Saporoger.

„Weshalb nicht?“

„Das geht nicht, das ist bei mir nun mal nicht anders: habe ich ihn erst einmal abgenommen, so vertrinke ich ihn auch!“

Der junge Bursche hatte schon längst keine Mütze, keinen Gürtel am Rock und kein buntes Tuch mehr: alles war schon dorthin gewandert, wo es hingehörte. Der Haufen wurde immer größer, neue Ankömmlinge schlossen sich dem Tanze an, und man konnte nicht ohne Bewegung sehen, wie hier alles an dem tollsten, leidenschaftlichsten aller Tänze, den die Welt je gesehen hat, und der nach seinen kräftigen Erfindern „Kosatschok“ benannt ist, teilnahm.

„Säße ich bloß nicht zu Pferde,“ rief Taraß aus, „wahrhaftig, ich wollte selbst loslegen und mittanzen!“

Unterdessen mischten sich hie und da auch einzelne graue, alte Männer unter die Menge, die in der ganzen Sjetsch wegen ihrer Verdienste geachtet und schon oft Kosakenälteste gewesen waren. Taraß traf bald eine Unzahl Bekannte, und Ostap und Andrij hörten fortwährend Begrüßungsworte: „Holla, da bist du ja, Petscheriza!“ „Guten Tag, Kosolup!“ „Wo kommst du denn her, Taraß?“ „Wie geht’s Doloto?“ „Guten Tag, Kirdjaga!“ „Guten Tag, Gustyj!“ „Ich hätte nie geglaubt, dich in diesem Leben noch einmal wieder zusehen, Remen!“

Und all die Helden, die hier aus der großen Wildnis des östlichen Rußlands zusammengekommen waren, küßten einander, und zahllose Fragen flogen hin und her.

„Was macht Kasjan?“ „Und Borodawka?“ „Wo steckt Kolopjor?“ „Und Pidsyschok?“ Und Taraß bekam fortwährend Antworten wie etwa folgende: Borodawka sei in Tolopan aufgeknüpft, Kolopjor sei bei Kisikirmen lebendigen Leibes geschunden worden, Pidsyschoks Kopf sei eingesalzen und in einem Fasse nach Konstantinopel geschickt worden usw. Und der alte Bulba blickte traurig zu Boden und sagte gedankenvoll: „Und waren doch so wackere Kosaken!“

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