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c) Kontakte und Konflikte zwischen Christen und Andersgläubigen
ОглавлениеDie Beurteilung des Islam im Christentum
Die historische Brisanz des Verhältnisses zwischen Christentum und Islam rührt nicht aus ihrer Unterschiedlichkeit, sondern gerade aus ihrer Ähnlichkeit: Beide stellen konkurrierende Religionen oder Konkurrenzkulturen dar, die aus gemeinsamen Traditionen schöpfen und dabei trotz mancher Übereinstimmungen gerade ihre Gegensätzlichkeit betonen. Doch bis zum Ersten Kreuzzug fand eine eigentliche Auseinandersetzung mit den Inhalten des Islam seitens der lateinischen Christen kaum statt. Der byzantinische Autor Johannes von Damaskus (Damaskenos, † um 750) formulierte in seinem ›Liber de haeresibus‹ schon früh Vorwürfe gegen Muḥammad, die von griechischen Autoren aufgegriffen und wiederholt wurden. Diese stereotypen, über das Spätmittelalter hinaus geläufigen Vorurteile fußten auf den Grundannahmen, dass der Islam ein häretischer Ableger des Christentums und der Koran kein göttliches Werk sei. Weiterhin galt der Prophet als ein Hochstapler zweifelhafter Lebensführung und Moral, der gottgleiche Verehrung genieße. Muslime seien zudem polytheistische Götzenverehrer. Allerdings empfanden gerade die Byzantiner die Notwendigkeit, die Erfolge des Islam mit diesem negativen Bild in Einklang zu bringen. Folglich wurden die Muslime trotz ihrer vermeintlichen Irrtümer als Instrumente bzw. als Geißel Gottes gedeutet, durch die der Herr seine Gläubigen für Verfehlungen gestraft habe. Muḥammad wurde sogar als Vorläufer des Antichrist gedeutet und damit heilsgeschichtlich eingeordnet. Auf derartigen Deutungen und Zerrbildern fußten im Wesentlichen die Urteile, die sich die lateinische Christenheit vom Islam machte.
Dabei existierten sehr wohl stetige, wenn auch nicht intensive politische und wirtschaftliche Kontakte zwischen dem christlichen und dem muslimischen Kulturbereich. Schon Karl der Große (768–814) und Otto der Große (936–973) hatten diplomatische Beziehungen zum Abbasidenhof in Bagdad bzw. zum Omayyadenhof in Córdoba unterhalten, und die byzantinischen Kaiser standen in noch engerem Austausch mit den muslimischen Herrschaften des Vorderen Orients. Auch manchen Kaufleuten war der islamische Raum im ausgehenden 11. Jahrhundert keineswegs unbekannt: Händler der süditalienischen Hafenstadt Amalfi waren so regelmäßig in Jerusalem, dass sie dort ein Spital zur Pflege von Mitchristen errichteten, und auch aus anderen italienischen Städten fanden Schiffe den Weg zu den Märkten und Waren des Ostens. Christen, die sich auf eine Pilgerfahrt ins Heilige Land begaben, kamen unmittelbar mit dem Islam in Berührung und dürften sich ein Bild von dieser Religion gemacht haben. Doch waren es insgesamt nur wenige Menschen, die derartige Kontakte eingingen, und die Quellen geben kaum Auskunft über persönliche Erfahrungen.
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Bilder vom Anderen
Das christliche Bild vom Islam war zum ausgehenden 11. Jahrhundert noch weitgehend von Unkenntnis, Verzerrungen oder schlichtem Desinteresse gekennzeichnet. Genauso wenig existierte allerdings im lateinischen Westen vor den Kreuzzügen eine verbreitete, kohärente anti-islamische Ideologie, die Menschenmassen für einen militärischen Konflikt mit islamischen Herrschaften begeistert hätte. Kaum anders sah es aufseiten der Muslime aus. Aus ihrer Sicht hatte das Christentum trotz seiner unbezweifelbaren heilsgeschichtlichen Bedeutung als Vorläuferreligion des Islam wenig zu bieten. Es war durch diesen überholt und abgelöst worden, Muḥammad war der letzte und größte aller Propheten. In kultureller Hinsicht konnte die christliche Welt mit den großen Zentren des Ostens nicht mithalten. Im geographischen Weltbild des Islam lagen die christlichen Herrschaften vor den Kreuzzügen an der Grenze und damit außerhalb des unmittelbaren Blickfelds. Zwar hatten Muslime mit den griechischen und orientalischen Christen ihrer Herrschaftsgebiete regelmäßigen Kontakt, aber das Interesse an den Inhalten ihrer Religion und das Wissen darum hielt sich in sehr beschränktem Rahmen.
Die Beurteilung der Christen durch Muslime
In der islamischen Welt waren die wichtigsten Informationsquellen über die lateinische Christenheit vor der Ankunft der Kreuzfahrer Reiseberichte, geographische Werke sowie Erzählungen von Personen, die sich als Gefangene, Diplomaten, Kaufleute oder Pilger im lateinischen Westen aufgehalten hatten. Als besonders einflussreich erwies sich die Einteilung der Welt und ihrer Völker nach Ptolemäus (2. Jahrhundert): In Anlehnung an ihn sahen die Muslime die europäischen Christen in feuchtkalten Gegenden wohnen, die sich auf das Gemüt und den Charakter dahingehend auswirkten, dass die Christen unintelligent, roh und ungewaschen seien. Diese Sicht der Dinge bezog sich auf die lateinischen Christen Europas, nicht auf diejenigen des Orients oder gar die Christen unter muslimischer Herrschaft, mit denen man in permanentem Kontakt stand. Dort hatten orientalische Christen gerade im 7. und 8. Jahrhundert etwa durch die Vermittlung antiker Kenntnisse einen wichtigen Anteil am Aufbau der islamischen Kultur. Von den unterschiedlichen christlichen Kirchen im Vorderen Orient wird an anderer Stelle die Rede sein (Kap. III., 3. c), hier gilt es zu unterstreichen, dass diese als „Religionen des Buchs“ einen Sonderstatus, den des Schutzbefohlenen (arab. ḏimmī), genossen. Sie durften ihren Glauben ausüben, solange dies in Bescheidenheit und ohne Missionsversuche geschah, waren allerdings „Bürger zweiter Klasse“ und wurden rechtlich wie steuerlich diskriminiert. Diese Benachteiligungen scheinen aber nicht so unerträglich gewesen zu sein, dass es zu Auswanderungen größeren Stils kam. Nur in Ausnahmesituationen wie zur Zeit des Kalifen al-Ḥākim oder zur Zeit der Almohaden (1130–1269) in Spanien kam es zu wirklichen Verfolgungen. Gerade die Anhänger der von der griechischen Kirche als häretisch bekämpften orientalischen christlichen Bekenntnisse konnten in der muslimischen Machtübernahme durchaus eine Verbesserung ihrer Situation sehen, denn die Behandlung religiöser Minderheiten – seien es Christen, Juden oder Muslime – war im byzantinischen Herrschaftsgebiet strenger als unter dem Islam. Die neuen muslimischen Herren wurden daher weniger als Feinde denn als Glaubensgegner betrachtet. Dies machte sich auch während der byzantinisch-islamischen Auseinandersetzungen vor den Kreuzzügen bemerkbar.
Byzantinischmuslimische Konflikte vor 1095
Denn der östliche Mittelmeerraum (die Levante) war schon vor dem Aufruf zum Ersten Kreuzzug zwischen Muslimen und Christen umkämpft. Dies ist etwas in Vergessenheit geraten, weil traditionelle Protagonisten durch die Kreuzzüge abgelöst wurden: Auf der einen Seite übernahmen die türkischen Seldschuken die Stelle der arabischen Abbasiden, auf der anderen die lateinischen Christen die Rolle der griechisch-orthodoxen Christen. Doch gab es eine lange Tradition byzantinisch-muslimischer Konflikte. Nachdem Byzanz sich über zwei Jahrhunderte lang gegenüber dem Islam in der Defensive befunden hatte, wurde unter drei Kaisern aus der makedonischen Dynastie – Nikephoros II. Phokas (963–969), Johannes I. Tzimiskes (969–976) und Basileios II. – eine intensive Expansionspolitik betrieben, die zur Wiedereroberung weiter Teile Kleinasiens führte und die Byzantiner bis an die Tore Jerusalems brachte. Nur unter Nikephoros Phokas und Johannes Tzimiskes wurden diese Konflikte sogar kurzzeitig in einen religiösen Kontext gestellt. Doch die Patriarchen von Konstantinopel verweigerten den bei den Kämpfen Gefallenen die Anerkennung als Märtyrer: zu fremd war im orthodoxen Christentum noch die Vorstellung vom heiligen, gottgefälligen Kampf mit der Waffe.
Innere Probleme nach dem Tode des byzantinischen Kaisers und der Aufstieg der Seldschuken zur Mitte des 11. Jahrhunderts schoben jeder weiteren Expansion einen Riegel vor. Im Gegenteil: Anatolien und Nordsyrien gingen den Byzantinern unter den Angriffen der Seldschuken verloren, 1085 fiel diesen auch die bedeutende Stadt Antiochia in die Hand. Der weitgehend selbstständig operierende Sultan Qiliğ Arslān I. aus einer Seitenlinie der Seldschukendynastie konnte nach dem Tode des Sultans Malikšāh († 1092) seine eigene Herrschaft sichern und zum so genannten Sultanat der Rum-Seldschuken ausbauen. Wie er unterwarfen auch die Danischmendiden, eine türkische Dynastie, deren Machtzentrum in Nordanatolien lag, Gebiete mit überwiegend griechisch-orthodoxer Bevölkerung und setzten die Byzantiner damit weiter unter Druck. Auch das nomadische Turkvolk der Kumanen bedrohte die Reichsgrenzen.
Inwieweit erreichten Nachrichten von diesen Ereignisse den Westen? In Nordsyrien hatten viele – Griechen und Christen, aber auch arabische Muslime – unter den neuen Herren zu leiden, doch war der Wechsel für die bislang herrschenden Griechen besonders scharf. Sie dürften ein düsteres Bild ihrer Situation nach Konstantinopel getragen haben. Von dort nahm es seinen Weg in den Westen, wo es die Berichte lateinischer Christen aus der Heiligen Stadt, die zweifellos von den unruhigen politischen Verhältnissen in Palästina beeinflusst wurden, ergänzte.
Kaiser Alexios I. Komnenos stützte sich bei seiner Abwehr der seldschukischen Angriffe zunehmend auf Söldner aus Westeuropa (Flamen, Deutsche, Engländer), nachdem der Konflikt mit den süditalienischen Normannen und das treulose Verhalten mancher Söldner bei der Schlacht von Mantzikert den lange betriebenen Rückgriff auf normannische Kontingente wenig ratsam erscheinen ließ. Aufgrund der neuerlichen Bedrohung richtete er eine Gesandtschaft an den Westen; sie traf im März 1095 während eines kirchlichen Konzils im italienischen Piacenza ein. Unter anderem baten die Byzantiner um militärische Unterstützung gegen ihre muslimischen Feinde. Auch wenn keine unmittelbare Reaktion seitens der Versammelten bezeugt ist: Die Vorstellung, den bedrängten Mitchristen zu Hilfe kommen zu müssen, wurde ein halbes Jahr später zu einem wichtigen Argument beim päpstlichen Kreuzzugsaufruf (s. Quelle).
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Hilfe für die Byzantiner als Argument Urbans II. (nach Fulcher von Chartres) Zit. nach: Hagenmeyer, Heinrich (Hrsg.): Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana (Lib. I, cap. III, 2), S. 132ff.
Es ist nämlich nötig, Euren im Osten befindlichen Mitbrüdern sofort mit der Unterstützung zu Hilfe zu eilen, die sie schon oft von euch erbeten haben. Wie den meisten von Euch bereits zugetragen worden ist, sind die Türken, ein persischer Stamm, bis zum Mittelmeer, zum so genannten Arm des hl. Georg [zum Bosporus] eingedrungen. […] Wenn Ihr sie weiter gewähren lasst, werden die Gläubigen Gottes noch weiter überrannt.
Konflikte zwischen Muslimen und lateinischen Christen vor 1095
Auch im Westen Europas konnte man zum Ende des 11. Jahrhunderts auf eine lange Erfahrung im Kampf mit muslimischen Gegnern zurückschauen. Im Verlauf des 8. und 9. Jahrhunderts waren die Iberische Halbinsel, Sizilien und Teile Unteritaliens von Muslimen erobert worden, und noch in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts bedrohten Muslime von Stützpunkten an der provenzalischen Küste aus Südfrankreich und die Alpenpässe. Zwar konnten diese Vorposten in den darauf folgenden Jahrzehnten beseitigt werden, doch verblieben mit Spanien und Sizilien zwei Bereiche christlich-islamischer Auseinandersetzungen neben der kleinasiatischen Grenzzone. Hier waren die Konflikte virulent und dauerhaft.
Im Jahre 711 hatten islamisierte Berber in der Nähe Gibraltars ein christliches Heer besiegt und in kurzer Zeit beinahe die gesamte Iberische Halbinsel unter ihre Herrschaft gebracht. Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts unternahmen Christen aber immer wieder Züge in den muslimisch beherrschten Süden, wobei sie allmählich auch Landgewinne erzielten. Lange Friedensperioden und kriegerische Auseinandersetzungen wechselten sich ab. Nach dem Untergang des Kalifats von Córdoba (1031) gewannen die Konflikte deutlich an Intensität: Unter König Alfons VI. von Kastilien (1072–1109) dehnten die Christen ihr Herrschaftsgebiet stark nach Süden aus, und im Jahre 1085 eroberten sie die alte westgotische Hauptstadt Toledo. Schon bald jedoch sahen sie sich durch die ins Land gerufene Berberdynastie der Almoraviden, die im Jahre 1086 einem christlichen Heer bei Sagrajas eine schwere Niederlage beibrachten, aufs Neue zurückgedrängt (vgl. Kap. IV., 1. a). Das 11. Jahrhundert war also eine ausgesprochene Umbruchphase der konfessionellen Beziehungen auf der Iberischen Halbinsel. Gesicherter war die Situation der Christen im dritten christlichislamischen Grenzgebiet des 11. Jahrhunderts, Sizilien und Süditalien. Hier festigten die Normannen in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ihre Herrschaft, auch wenn viele Muslime noch in ihrer Heimat verblieben und man sich nie ganz vor einem Angriff aus dem Süden sicher sein konnte. Nicht zuletzt gegen diese Gefahr richtete sich eine Expedition, die eine pisanische Flotte im Jahre 1087 gegen Mahdia (al-Mahdīya), eine Stadt bei Tunis, unternahm. Dabei wurden ausdrücklich die im Kampf gegen die Muslime gefallenen Christen als Märtyrer gefeiert.
Die europäische Expansion
Der Islam befand sich also 1095 keineswegs überall im Vormarsch: Im Westen Europas, auf der Iberischen Halbinsel und auf Sizilien, hatte er an Boden gegenüber den Christen verloren, während er im Osten, in Kleinasien, unter den Seldschuken in der Offensive war. Die Trennlinie bildete ungefähr das Mittelmeer, dessen nördliche Küste weitgehend christlich und dessen Südflanke größtenteils muslimisch war. Dieses Bild einer beginnenden christlichen Expansionsbewegung lässt sich auch in anderen Bereichen festmachen. Die Wikingereinfälle, die seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert immer wieder für Zerstörungen gesorgt hatten, fanden mit dem misslungenen Angriff König Haralds Hadrada auf England im Jahre 1066 einen Schlusspunkt. Und die nomadischen Ungarn (Magyaren) wurden schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts in die lateinische Christenheit integriert. Als wichtiges konfessionelles Grenzgebiet des Christentums blieb der Nordosten Europas, wo heidnische Slawen lebten. Auch hier befand sich das lateinische Christentum am Ende des 11. Jahrhunderts in einer Expansionsphase. Zwar hatte der große Slawenaufstand von 983 viele ältere Eroberungen und Gründungen der Karolinger- und beginnenden Ottonenzeit zunichte gemacht, doch seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wurden östlich der Elbe und Saale verlorene Gebiete zurückerobert und zerstörte Kirchen wieder aufgebaut. Siedler zogen in die neu gewonnenen Gebiete, die einheimische Bevölkerung wurde missioniert. Während im Osten des Römisch-Deutschen Reiches christliche Herrschaften und eigene kirchliche Strukturen entstanden (Polen, Böhmen und Ungarn), verblieben im Nordosten an der Wende zum 12. Jahrhundert noch heidnische Völker. Die westslawischen Pomoranen und Wenden bildeten zusammen mit den finno-ugrischen und baltischen Stämmen der Prußen, Liven, Esten, Litauer und Finnen von der Grenze Sachsens bis zum Polarkreis einen großen Bogen schriftloser, polytheistischer Völker. Ihre Siedlungsgebiete sollten ebenso wie die Iberische Halbinsel und der Vordere Orient zum Ziel von Kreuzfahrerheeren werden.
Die Kreuzzüge erlangen vor dem Hintergrund der drei wichtigsten hier beschriebenen Entwicklungen – der herrschaftlichen Zersplitterung des europäischen Raumes, der fortschreitenden konfessionellen Trennung der Christenheit im 11. Jahrhundert sowie schließlich der Expansionsbewegungen in Ost und West – besondere Bedeutung. Sie fügten sich über bestehende Barrieren hinweg in die große Expansionsbewegung ein und vermittelten dabei den Waffenträgern des lateinischen Europa ein klares, gemeinsames Ziel. Schon die Zeitgenossen wiesen auf die über die geläufigen Grenzen hinausreichende Qualität der Kreuzzüge hin. Diese neue Form militärischer Unternehmungen trug wesentlich dazu bei, der europäischen Expansion des Mittelalters Kohärenz zu verleihen.