Читать книгу LILA ... der (vor)letzte Versuch Mr. Right zu finden - Nina Kather - Страница 5
ОглавлениеNinaaaa, hiiiier!!!“ schallte es laut durch das feine Café. Heftig bogen sich die leuchtenden Balken ihres auffallenden Pullovers. Mit der Gabel in der Rechten balancierte sie das Stück Torte zum Mund, mit der anderen Hand fuchtelte sie wild in der Luft. Die Köpfe der Gäste schnellten in die Höhe, ihre Blicke flogen zwischen uns beiden hin und her. War mir dieser Auftritt peinlich. „Nina, tief durchatmen und lächeln!“ sagte ich mir und kurvte gelassen um die Sitzgruppen herum auf die Ruferin zu. Berta Ulrike saß vor einem silbernen Kännchen Kaffee und genoss ein üppiges Tortenstück. Typisch. Abwarten fiel ihr schwer. Als bräche morgen eine Hungersnot aus. Berta Ulrike war auch heute die erste, wie immer beim Essen. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Bunt und drall und laut wie immer. Aber liebenswert. Ihre Großmutter, ebenfalls eine Berta, hatte mit dem Hinweis auf ein beträchtliches Erbe auf dem gleichen Namen bestanden. „Was ist schon ein `verstaubter´ Name gegen ein Vermögen“, sagten sich ihre Eltern und nannten ihre Tochter zusätzlich Ulrike, um dem Namen einen halbwegs modernen Anstrich zu geben. Sie selbst nannte sich nur Rieke. Aus einer Laune heraus verpassten wir Berta Ulrike den Spitznamen `Bulli´. Er passte zu ihr, fand ich. „Bleib nur sitzen“, lachte ich abwinkend, als sie im selben Augenblick Anstalten machte, ihre beträchtlichen Formen zwischen Sitzbank und Tisch hindurch zu quetschen. Seit unserem letzten Treffen schien sie erheblich an Gewicht zugelegt zu haben. Mein banger Blick heftete sich an die Granate von Anker an der schweren Silberkette. Wollte Berta Ulrike damit etwa ein Kreuzfahrtschiff vertäuen? Dieser Gedanke reizte mich spontan zum Lachen. Der Anhänger baumelte erst leicht … nur noch wenige Zentimeter – hoppla, mit mehr Schwung – sah ich das kostbare Porzellan samt üppiger Torte vom Tisch gefegt und mit lautem Getöse auf dem Boden zerspringen. Nach Sekunden, die sich anfühlten wie eine kleine Ewigkeit, war Entwarnung angesagt. Ich atmete auf. Bulli hatte den Kampf zwischen ihrer Leibesfülle und der Enge hinter dem Tisch eindeutig für sich entschieden. „Komm´ erst mal her und lass´ Dich anschauen. – ganz in Lila … sieht toll aus! Wir haben uns ja sooo lange nicht gesehen“, minutenlang drückte sie mich an ihre wogende Oberweite, in der ich fast versank. Dabei fühlte ich wie im Clinch beim Boxkampf … oder wie beim Probetanz mit einem meiner potenziellen Tanzpartner. Doch dazu später mehr. Ich freute mich wirklich auf vergnügliche Unterhaltung. Bulli hatte die beneidenswerte Gabe, das Leben von der lockeren Seite zu betrachten und mischte unser FrauenClübchen jedes Mal ganz schön auf. „Du ich muss mal gerade“, zwinkerte sie mir zu, der Rest des Satzes erstarb in Gemurmel. „Setz´ Dich schon. Noch hast Du die freie Auswahl“, raunte sie im Vorübergehen und deutete auf die leeren Stühle. Die grellen Querstreifen in Kirschrot, Orange, Zitronengelb und Himbeerfarben entfernten sich. Unwillkürlich kniff ich meine Augen einen kurzen Moment vor der krassen Farbenpracht zu. Dass Berta die Keramik-Abteilung rechts liegen ließ und sich vor der verlockenden Torten-Theke aufbaute, hätte ich mir denken können. Ihr bombastisches Tortenstück schien nur eine Vorspeise gewesen zu sein …
Café Klingel war gut besucht. Nur wenige Tische waren noch frei. Wie gut, dass wir vorsichtshalber einen Tisch reserviert hatten. Ich hängte meine Jacke auf und suchte mir einen Platz aus. Gern verzichtete ich auf den grandiosen Ausblick der Fußgängerzone und setzte mich mit dem Rücken zum Fenster. Von hier aus hatte ich den vollen Überblick über den gesamten Raum und die anderen Gäste. Eindrucksvolle Bilder in zarten Pastellfarben schmückten die schlichten cremefarbenen Wände. In den großen weißen Vasen steckten kunstvoll dekorierte Seidenblumen. Die Renovierung des Cafés war eindeutig gelungen. Bulli quetschte sich wieder auf ihre Bank und schenkte der heran eilenden Serviererin mitsamt Teilchen strahlende Blicke. „Wo bleiben die anderen?“ Automatisch tippte ich auf meine Armbanduhr. „Die werden schon noch kommen“, murmelte sie ungerührt zwischen zwei Bissen ihres glänzenden Schokoladenkusses. „Keep cool Nina.“ Ungeniert leckte sie sich die Lippen. Grinsend vertiefte ich mich in die Getränkekarte, als es schlagartig laut wurde. Mit unüberhörbarem Stimmen-Gewusel liefen ein paar Frauen des früheren `Mittelalters´ durch das offene Treppenhaus auf uns zu. Na, das wurde auch Zeit. Schließlich freute ich mich auf den Rest unserer kleinen Truppe. War das ein Hallooo. Endlich war unser F.F.C. mal wieder komplett. Auf einem weinseligen Abend unseres Weihnachtsmarktes hatte Bulli diesen Namen für unser Grüppchen erfunden. Er bedeutete ganz simpel `Fünf Frauen Club´. „Du in Lila, Nina!!! sprudelte es aus Susanne und Hannah heraus, als sie mich begrüßten. Jana und Berta nickten lachend. „Lass´ mal sehen“, Hannah Marlene Sophie, stets perfekt onduliert und gekleidet, trat einen Schritt zurück und begutachtete mein Outfit wohlwollend. „Ihr Lieben, Ihr wisst doch: Lila der letzte … oder eher vorletzte Versuch …“, erklärte ich zwinkernd. Alle lachten. Lila ist meine Farbe. Ich habe nicht nur etliche Oberteile, Schals und Tücher in der Farbe Lila, sondern auch mein Heim mit einigen Dekorationen in diesem Farbton verschönert.
Susanne hatte meinen demonstrativen Blick zur Uhr aufgefangen. „Nina, nun sei nicht so“, kichernd gab sie mir einen leichten Schubs auf den Arm. „Was sind schon 20 Minuten gegen uns“ „Und einen interessanten Austausch“, stimmte Hannah in die allgemeine Meinung ein. „Davon gehe ich auf jeden Fall aus“, fasste Berta belustigt zusammen. Die Meinung war einhellig. Aber trotzdem. Lange warten lassen finde ich unhöflich. Allerdings stehe ich mit meiner Ansicht meistens allein auf weiter Flur. Das habe ich im Laufe der Zeit in ganz unterschiedlichen Situationen feststellen müssen. Immer wieder. Ich war pünktlich und werde es weiterhin auch sein.
Seit unserem letzten Wiedersehen war einige Zeit vergangen. Dementsprechend lebhaft fiel die Begrüßung aus. Alles lachte und kicherte durcheinander. Die Umarmungen und Wangen-Drücken hier und da wollten nicht enden. „Nina, bleib geschmeidig!“ raunte mir Susanne zu, als wir den anderen zum Buffet folgten. Mein Blick blieb an Hannahs Garderobe hängen. Sie hätte zweifellos eine gute Modeberaterin abgegeben, wenn man von ihrer sehr antiken Frisur einmal absah. Hannah Marlene Sophie trug ihre silbrigen feinen Haare auftoupiert, während sämtliche Spitzen zu einer Außenrolle gelegt waren. Dabei kam mir spontan der Begriff `Regenrinne´ in den Sinn, den eine Kollegin kurz vor ihrem dringenden Friseurbesuch geprägt hatte. Verzweifelt fasste sich dabei an die Nacken-Haare. Diese waren krass gewachsen: Mindestens einen Zentimeter … Hannahs Frisur wirkte sehr betoniert und erinnerte mich an meine Klassenlehrerin aus Grundschulzeiten. Frau Seifert, Isolde Seifert. Diese trug genauso eine verstaubte Frisur wie Hannah. Zufall oder eine typische Lehrerinnen-Krankheit? Meine Klassenlehrerin setzte noch ein Tüpfelchen obenauf, indem sie ihre Außenrolle mit diversen Klämmerchen fest zurrte. Scheußlich. Wie viel Unmengen Hannah wohl an Haarspray verbrauchte? Die anderen waren dagegen eher ziemlich leger gekleidet. Wir verweilten einige Zeit am Torten-Buffet. Meine Freundinnen schienen ausgehungert. Leise grinste ich in mich hinein. Nachdem wir endlich unsere Wünsche geäußert und die Sitzordnung festgelegt hatten, wurde es in heißer Erwartung auf Kaffee und Torte ruhiger am Tisch. „Ihr Lieben, Ihr liefert mir quasi die Steilvorlage zu meinem Erlebnis“, dabei tippte ich auf meine Uhr. „Na denn, leg´ mal los“, ermunterte mich Susanne. „So was ist mir noch nie passiert“, absichtlich betonte ich `so was´. „Ich war höchstens vier Minuten später an unserem Treffpunkt eingetrudelt …“ „Entschuldige, dass ich unterbreche, Du, Nina, unpünktlich? Dass ich das noch erlebe“, räusperte sich Jana.
Albrecht, der Wilde
„Deutlich ungehalten kam er auf mich zu und begrüßte mich: „Pünktlichkeit ist wohl nicht Deine Stärke.“ „Albrecht, ein wilder Typ“, begann ich. „Das ist eine unverschämte Äußerung. Du bist doch die Pünktlichkeit in Person“, lobte mich Hannah. „Ja klar“, versicherte ich. „Ich finde es meinen Mitmenschen gegenüber einfach respektlos, sie zu lange warten zu lassen. Auch ein absolutes Nogo. Siehe Punkt drei.“ Susanne und Hannah ließen ihre Kuchengabel sinken, ich hatte den Eindruck, dass sogar die allzeit entspannte Berta den Atem ein wenig anhielt. Ein seltenes Phänomen; denn um einen lockeren Spruch war sie nie verlegen. Es war fast unheimlich still.
„Unpünktlichkeit ist ein Punkt von meinen drei „Nogos “, erklärte ich mit fester Stimme und ernstem Blick. „Und die anderen beiden“? Berta war neugierig. „Da bin ich aber mal gespannt“, meinte auch Susanne. Nach einer kleinen Atem-Pause fuhr ich fort: